Muggeline und der Meister der Zaubertränke
von eve001
Kurzbeschreibung
Seit 15 Jahren herrschen Voldemort und seine Todesser über die magische und nichtmagische Bevölkerung Großbritanniens. In dieser hierarchischen Gesellschaft gehört Hermine Granger, als unfreier Muggel, der untersten Schicht an. Ihr einziger Ausweg vor einem weiteren sozialen Abstieg ist eine neue Anstellung, die sie ausgerechnet zu dem Mann führt, der für die muggelverachtenden Gesetze verantwortlich ist: Severus Snape. (Alternatives Universum!)
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Het
Hermine Granger
Severus Snape
19.08.2021
18.08.2022
52
232.704
192
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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14.10.2021
4.093
Kapitel 12: Schmutzige Arbeit
Hermine fühlte sich wortwörtlich in die Ecke gedrängt, als Mrs. Cole vor ihr stand und ihr den Weg versperrte. Mit in die Hüften gestemmten Händen blickte die Küchenchefin bedrohlich auf sie hinunter.
„Putzen? Schon wieder?“
Hermine nickte schnell und vermied es, ihr dabei in die Augen zu schauen.
„Und was putzt du alles bei Meister Snape? Lässt er dich auch seinen Zauberstab polieren?“
Hermine schüttelte so vehement den Kopf, dass sie schon fürchtete, sich ein Schleudertrauma zugezogen zu haben.
Mrs. Cole verzog ungläubig das Gesicht, machte dann aber einen Schritt zur Seite.
Erleichtert atmete Hermine auf.
„Geh. Ich bin es ja mittlerweile schon gewohnt, dass die ganze Arbeit an mir hängenbleibt!“ Sie schnaubte durch die Nase wie ein wütender Stier. „Tag und Nacht muss ich mich mit euch dummen Gänsen herumärgern!“
Mit schnellen Schritten verließ Hermine die Küche und eilte zu Snapes Labor, denn er hasste es, wenn man ihn warten ließ.
Die Tür stand offen. Hermine strich ihre Schürze glatt, atmete tief durch und betrat den Raum.
Snape und Ron waren bereits mit den Vorbereitungen beschäftigt und besprachen die notwendigen Arbeitsschritte. Noch bevor Hermine den Mund geöffnet hatte, hatte Snape sie bemerkt.
„Na endlich, Granger. Auf deinem Platz warten bereits ein paar Zutaten auf dich. Erst der Blutbildungstrank, dann der Heiltrank. Wir müssen einen großen Kessel davon brauen. Das ist wichtig. Und zum Schluss das Skele-Wachs. Warum diese Reihenfolge?“, fragte Snape und blickte Ron auffordernd an.
„Ähm… Weil-“
„Weil das Skele-Wachs zwölf Stunden abkühlen muss“, antwortete Hermine sofort. „Und das kann es am besten über Nacht.“
Snape schnalzte mit der Zunge und ging hinüber zu der kleinen Kreidetafel, um einen weiteren Punkt für Hermine einzutragen. Was als harmloser Witz begonnen hatte, war für Snape zur perfekten Gelegenheit geworden, Ron dauerhaft zu demütigen. Und Hermine sah gar nicht ein, warum sie Ron dieses kleine Spiel gewinnen lassen sollte.
Zuerst hatte ihre Punkte-Spalte die Überschrift „Muggel“ getragen, doch Ron hatte – warum auch immer – versucht, „Hermine“ daraus zu machen, was ihm aber misslungen war, deshalb hatte sich die Buchstaben vermischt.
„Damit steht es 27 zu 35 für unsere Muggeline. Traurig und beschämend. Aber als Fan der Chudley Cannons sind Sie es wahrscheinlich gewohnt, ständig zu verlieren, nicht wahr, Weasley?“
Ron erwiderte nichts, sondern hackte mit seinem Messer auf die Zutaten ein, als hätte ihn jede Ingwerwurzel persönlich beleidigt. Snape bemerkte dies und seine Lippen kräuselten sich zu einem hämischen Grinsen.
Um nicht selbst das Ziel seines Spotts zu werden, arbeitete Hermine schnell und hielt den Kopf gesenkt. Snape beobachtete zwar nach wie vor jeden ihrer Handgriffe, aber er ging diesmal kommentarlos an ihr vorüber, was bedeutete, dass er mit ihrer Arbeit zufrieden war. Ein Lob hatte sie noch nie von ihm zu hören bekommen.
Während Ron den Trank braute und Hermine die nächsten Zutaten vorbereitete, sortierte Snape den Vorratsschrank. Auf einem Bogen Pergament notierte er jene Zutaten, die demnächst zur Neige gingen oder bereits aufgebraucht waren.
„Wir brauchen Liebstöckel, am besten frischen.“
„Im Gewürzgarten der Küche, Herr.“
Snape trat ans offene Fenster und blickte hinaus in den Garten. Für Anfang Juni war es bereits angenehm warm. Daran hatte auch der heftige Regen in der gestrigen Nacht und am Vormittag nichts geändert. Mit jedem Windstoß wurde der Duft nasser Erde hereingetragen. Hermine mochte diesen Geruch.
„Die Erde wird durchweicht sein“, überlegte Snape laut. „Das ist die ideale Voraussetzung, um auch ein paar Gänseblümchenwurzeln zu ernten. Na, wer von Ihnen möchte im Dreck wühlen?“
Hermine machte sich schon darauf gefasst, dass diese Ehre ihr zuteilwerden würde. Dreckige Arbeit für dreckige Muggel. Sie kannte den Humor der Zauberer schon zur Genüge.
„Klingt nach ’ner tollen Aufgabe“, murmelte Ron.
„Melden Sie sich freiwillig, Weasley?“
Ron schüttelte den Kopf. „Ist doch eher was für einen Muggel, Sir.“
Haha. Selten so gelacht.
Hermine legte das Messer beiseite und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Warum sollte sie das Unvermeidliche noch länger hinauszögern?
„Ich mache es, Herr.“
„Nein, du bleibst. Weasley geht.“
Hermine war von dieser Entscheidung ebenso überrascht wie Ron, der nicht sonderlich begeistert schien, dass nun er es war, der in der Erde wühlen durfte. Er schnappte sich das Körbchen, in dem sie immer die frischen Kräuter sammelten, und marschierte über die Terrasse hinaus in den Garten.
Verstohlen blickte Hermine zu Snape, der noch immer mit dem Vorratsschrank beschäftigt war, und fragte sich, warum er Ron diese Aufgabe übertragen hatte und nicht ihr.
„Ich wollte keine schlammigen Fußabdrücke in meinem Labor. Weasley kann seine Schuhe magisch reinigen, du hättest mir alles verdreckt.“
Hermine nickte hastig und setzte ihre Arbeit fort. Konnte Snape etwa ihre Gedanken lesen? Dass er sehr gut darin war, die Emotionen seiner Mitmenschen und vor allem deren Mimik zu deuten, war ihr schon oft aufgefallen. Aber das jetzt war unheimlich gewesen. Außerdem machte ihr die Vorstellung Angst, dass nicht einmal mehr ihre Gedanken ihr allein gehörten.
Sie versuchte deshalb, an nichts zu denken. Ein leerer Geist konnte sie schließlich nicht in Schwierigkeiten bringen.
Binnen weniger Minuten war ihr guter Vorsatz jedoch vergessen, als der Blutbildungstrank auf dem Tisch ihr gegenüber laut blubbernd nach der nächsten Zutat verlangte. Nervös blickte Hermine hinüber zu Snape. Wem würde er eher den Kopf abreißen, wenn der Trank misslingen würde? Ron, der im Garten gewesen war, oder ihr, die tatenlos danebengestanden hatte?
„Herr, die nächste Zutat gehört in den Trank.“
„Bediene dich.“
Schnell warf Hermine einen Blick auf das Rezept und ging danach hinüber zum Vorratsschrank. Sie brauchte zwei Occamy-Schuppen. Dank der alphabetischen Sortierung fand sie rasch, wonach sie suchte. Sie ignorierte das Glas mit den eingelegten Occamy-Augen, die sie mit ihrem stechenden Blick zu verfolgen schienen, und griff stattdessen nach einer kleinen Box. Darin befanden sich unzählige daumennagelgroße Schuppen. Im Sonnenlicht schillerten sie blaugrün. Fasziniert betrachtete Hermine das wunderschöne Farbenspiel. Doch etwas daran war seltsam: Erst letzte Woche hatten sie in einem Trank Occamy-Federn verwendet. Konnte ein Tier sowohl Federn als auch Schuppen besitzen? Wie sah so ein Tier aus? Wie ein Vogel mit Schuppen?
„Was ist los, Granger? Stimmt etwas nicht?“
„Es ist alles in Ordnung, Herr“, beeilte Hermine sich zu sagen. „Ich habe nur die Schuppen betrachtet, weil… weil sie so schön sind.“
„Das hast du über die Feenflügel auch gesagt. Und über die Skarabäen.“ Die Belustigung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Hermine spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Er machte sich über sie lustig. In seinen Augen war sie bestimmt nichts weiter als ein dummer Muggel, den man mit bunten Farben begeistern konnte. Wie ein einfältiges Kind. Sie rechnete mit einer hämischen Bemerkung, aber sie blieb aus.
„Dürfte ich… dürfte ich eine Frage stellen, Herr?“
„Hast du bereits…“, murmelte er und notierte wieder etwas auf der Liste. Er blickte kurz in Hermines Richtung, bevor er seine Arbeit fortsetzte. „Na los, Granger. Spuck die Frage aus, die dir unter den Nägeln brennt. “
Hermine biss sich verlegen auf die Lippe. „Ich… ich habe mich gefragt, wie ein Occamy aussieht. Wie kann das Tier Schuppen und Federn haben?“
Snape zog eine Augenbraue hoch. „Das ist doch eigentlich offensichtlich. Ein Occamy ähnelt einer geflügelten Schlange.“
„Oh.“
„Was hast du denn gedacht? Dass es ein geflügelter Fisch ist?“ Seine Mundwinkel zuckten.
„Ähm…“
Snape stieß ein abfälliges Schnauben aus und schüttelte den Kopf. Er murmelte etwas, das wie „Geflügelter Fisch!“ klang, dann seufzte er. „Hier im Regal steht auch ein Buch über magische Tierwesen. Mit Abbildungen. Ich gestatte dir, es zu benutzen, um die Bilder zu betrachten. Und nun wirf die Schuppen in den Trank und rühr ihn so lange um, bis sie sich aufgelöst haben.“
„Ja, Herr.“
Hermine eilte zum Trank zurück und warf zwei Schuppen hinein. Es war nur eine unbedeutende Aufgabe, nur ein Arbeitsschritt von vielen, doch auf Hermines Gesicht breitete sich ein seliges Lächeln aus, als sie den Schöpflöffel in die Hand nahm. Anfangs hatte Snape sie kaum in die Nähe des Kessels gelassen, nun durfte sie sogar schon umrühren! Und das Beste daran war: Der Trank veränderte seine Farbe, wie es im Rezept geschrieben stand. Sie hatte ihn nicht ruiniert. Vielleicht konnten Muggel doch Zaubertränke brauen?
Rons Rückkehr lenkte sie von weiteren Überlegungen in diese Richtung ab. Ein schadenfrohes Grinsen stahl sich auf Hermines Lippen, als Ron mit dreckigen Schuhen ins Labor zurückkehrte und bei jedem Schritt Schlammspuren auf dem Fußboden hinterließ. Doch bei dem Gedanken, dass wahrscheinlich sie es sein würde, die den Dreck wegputzen musste, verschwand das Grinsen augenblicklich aus ihrem Gesicht.
„Weasley! Sie Idiot! Wozu haben Sie eigentlich einen Zauberstab? Und ein Hirn? Sie könnten beides eigentlich abgeben, weil Sie es eh nicht verwenden!“
Mit einem genuschelten „Tschuldigung“ schwang Ron seinen Zauberstab und entfernte die Schlammspuren.
Snape drückte Hermine das Körbchen mit den frischen Zutaten aus dem Garten in die Hand. „Reinige die Wurzeln und leg sie anschließend zum Trocknen auf das Fensterbrett.“
„Ja, Herr.“
Seit Hermine beim Brauen half, gab es ein Waschbecken mit einem funktionierenden Wasserhahn in dem Raum. Sie wusch die Wurzeln, bis sie vollständig von der Erde befreit waren und legte sie dann auf dem Fensterbrett auf.
Hermine wollte soeben zu ihrem Arbeitsplatz zurückkehren, da flog eine große Eule durch die offene Terrassentür herein. Sie steuerte zielstrebig auf Snape zu, der ihr sogleich den blutroten Umschlag vom Bein band.
Während er die Nachricht las, verfinsterte sich Snapes Miene immer mehr. Als er damit fertig war, dachte er noch einen Moment nach, dann zückte er seinen Zauberstab und ließ den noch nicht fertigen Zaubertrank erstarren.
„Ich muss dringend weg“, verkündete er und wandte sich an Ron. „Sie werden in die Stadt apparieren und in die Apotheke gehen. Alles, was auf dieser Liste steht, brauche ich bis morgen. Verstanden?“ Er überreichte Ron ein Stück Pergament. Dann schlüpfte er in seinen Umhang, ging hinüber zu dem Schrank mit den fertigen Tränken und steckte sich ein paar Fläschchen in die Innentasche seiner Robe.
Ron las stirnrunzelnd die Liste. „Okay, Sir.“
„Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Vor heute Abend wahrscheinlich nicht. Deshalb verschieben wir das hier auf morgen.“
Snape drehte sich zu Hermine um. „Du kannst wieder in die Küche gehen, Granger. Heute gibt es hier keine Arbeit mehr für dich.“
„Aber wir wollten doch noch den Heiltrank brauen. Und das Skele-Wachs…“ Die Enttäuschung war ihr deutlich anzuhören. Sie hatte sich darauf gefreut. Nicht nur, weil sie dann den restlichen Tag von Mrs. Coles schlechter Laune verschont geblieben wäre, sondern weil es ihr insgeheim Spaß machte, beim Brauen zu helfen.
Ihre Reaktion entlockte Snape ein Lächeln. Ehrlich, ohne Spott oder Hohn. „Ein anderes Mal, Granger. Jetzt muss ich mich um eine dringende Angelegenheit kümmern.“
Sie nickte betrübt.
Mit wehendem Umhang verließ Snape das Labor. Als er weg war, atmete Ron erleichtert auf und steckte die Liste in seine Hosentasche.
„Jetzt kann der Tag doch noch schön werden.“ Er lächelte, doch Hermine sagte nichts. Rons abrupte Stimmungswechsel kannte sie schon zur Genüge. In einem Moment war er nett, im nächsten beschimpfte er sie. Im Gegensatz zu ihm waren Snapes Gemütszustände leichter zu durchschauen: Der hatte immer schlechte Laune.
„Ich gehe zurück in die Küche.“ Hermine wandte sich zum Gehen, doch Ron lief ihr hinterher.
„Ich hab mich gefragt, also… Na ja… Vielleicht magst du … Ähm…. Du könntest … also… mich begleiten“, nuschelte er. Sein Gesicht war feuerrot. Er blickte verlegen zu Boden.
Hermine traute ihren Ohren nicht. „Ich soll dich begleiten? Ich, der dreckige Muggel?
„Das habe ich doch nicht so gemeint!“
„Ach?“ Nahezu perfekt ahmte Hermine Snapes skeptischen Blick nach, indem sie nur eine Augenbraue hochzog.
„Ich hatte keine andere Wahl!“
Auch Snapes abfälliges Schnauben imitierte Hermine meisterlich und setzte ihren Weg fort. Ron lief ihr hinterher.
„Meine ganze Familie gilt als Blutsverräter! Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man von der ganzen Zaubererschaft wie Dreck behandelt wird…“
„Nein, kann ich mir gar nicht vorstellen“, höhnte Hermine. „Muss schrecklich sein.“
„Okay, das … das war jetzt auch nicht sonderlich klug von mir…“
„Nein, war es nicht.“
„Niemand in meiner Familie bekommt einen Job. Keiner will einen Blutsverräter einstellen. Aber das hier ist meine Chance, meiner Familie zu helfen, verstehst du?“
Nein, Hermine verstand gar nichts. Und eigentlich interessierte es sie auch gar nicht. Na ja, nicht sonderlich.
Ron überholte sie und stellte sich ihr in den Weg, damit sie ihm zuhören musste.
„Snape hat versprochen, dass er sich für meine Familie einsetzen wird, wenn ich den Job ordentlich mache. Dann bekommen wir unseren Reinblüter-Status zurück. Und deshalb…“
„Und deshalb beleidigst du mich bei jeder Gelegenheit? Damit er denkt, dass du ein überzeugter Reinblüter bist? Toller Plan.“
Ron strich sich verlegen über den Nacken. „So betrachtet ist das vielleicht keine so gute Idee… Und es tut mir auch leid, wenn ich zu dir gemein bin, weil ich es gar nicht so meine…“ Er stand mit hängenden Schultern vor ihr und schaffte es nicht, ihr in die Augen zu schauen. Das personifizierte schlechte Gewissen.
Hermine verdrehte die Augen. „Dann verstehe ich jetzt, warum du einmal nett und im nächsten Augenblick der größte und gemeinste Dummdödel bist.“
„Dummdödel?“
„Arsch.“
Ron grinste. „Ich habe dich noch nie schimpfen gehört.“
„Das dürfen Dienstmädchen auch nicht.“
Langsam gewann Ron sein Selbstbewusstsein wieder zurück. „Also… na ja… kommst du mit? In die Apotheke? Muss ja niemand erfahren.“
Hermine zögerte. Ein Ausflug in die Stadt – das klang verlockend. Aber Mrs. Cole würde ihr die Ohren langziehen und was Snape mit ihr anstellen würde, wenn er davon erfahren würde, wollte sie sich gar nicht erst ausmalen. „Ich kann nicht.“
„Okay.“ Ron versuchte seine Enttäuschung zu überspielen, doch das gelang ihm nicht. „Dann… dann sehen wir uns.“
Hermine nickte und sah ihm noch hinterher, wie er in die Eingangshalle ging und das Anwesen verließ.
Sie dachte noch immer über Rons Worte nach, als sie die Treppe zur Küche hinunterging. Er schien sein Verhalten ehrlich zu bereuen und seine Erklärung, warum er sie immer wieder beschimpft hatte, klang glaubwürdig. Eines verstand sie trotzdem nicht: Warum bereute er sein Verhalten? Die meisten Zauberer behandelten Muggel weitaus schlechter – ohne den geringsten Anflug eines schlechten Gewissens. Vielleicht waren er und seine Familie tatsächlich so muggelfreundlich, wie ihnen vorgeworfen wurde. Oder…
Hermine blieb abrupt auf der Treppe stehen. Oder das alles war ein gefinkelter Plan, um –
Ja, um was eigentlich? Um sie bei Snape schlecht zu machen? Noch tiefer konnte sie in Snapes Achtung nicht mehr sinken. Um sie in Schwierigkeiten zu bringen? Hatte er sie deshalb eingeladen? Nein. Hermine traute zwar Zauberern alles Schlechte zu, aber Ron machte keinen verschlagenen Eindruck auf sie. Er wirkte eher unbeholfen, überhaupt dann, wenn er mit ihr allein war. Als würde ihre Anwesenheit ihn nervös machen. Bei dem Gedanken musste Hermine grinsen. Fast so, als –
Nein, dieser Gedanke war vollkommen absurd. Ein Zauberer und sie? Niemals. Nicht einmal dann, wenn die Hölle zufriert.
Hermine stieg die restlichen Stufen in die Küche hinunter. Sie konnte Mrs. Coles Gekeife hören und machte sich auf einen anstrengenden, langweiligen Nachmittag gefasst.
„Wenn du noch einmal die Milch überkochen lässt, dann Gnade dir Merlin, du dumme Gans!“
Bis jetzt hatte die Küchenchefin Hermine noch nicht bemerkt.
Und das war Hermines Chance!
Snape hatte selbst gesagt, dass der Heiltrank wichtig war. Hermine kannte das Rezept, sie hatte bei allen Arbeitsschritten bereits geholfen. Der Zaubertrank würde für sie kein Problem darstellen, auch wenn Snape immer behauptete, dass Muggel keine Zaubertränke brauen könnten. Beim Blutbildungstrank hatte es keine Probleme gegeben. Heute würde sie ihm endgültig beweisen, dass er sich irrte, jawohl!
Mrs. Cole würde sie bestimmt nicht vermissen. Ron würde erst in ein oder zwei Stunden zurückkommen, ebenso Snape. Das war Hermines Gelegenheit, den Zauberern zu beweisen, dass sie mehr konnte als nur Zutaten schnippeln.
Unbemerkt huschte Hermine die Treppe wieder hoch und lief in Snapes Labor. Dort verschloss sie die Tür, krempelte die Ärmel ihres Kleides hoch und freute sich schon auf das Gesicht von Snape, wenn sie ihm den Heiltrank unter seine viel zu groß geratene Nase halten würde.
Der leise stöhnende Fleischhaufen zu seinen Füßen hatte die Bezeichnung „Mensch“ gar nicht mehr verdient. Die Blutlache, in der er lag, hatte sich mit dessen Ausscheidungen vermischt. Ein ekelhafter Anblick und ein noch schlimmerer Geruch.
Angewidert fasste Severus dem Mann unters Kinn und zwang dessen Kopf nach oben, um ihm in die Augen sehen zu können. Ein leerer Blick. Gebrochen. Keine Seltenheit bei einer Überdosis Cruciatus-Flüchen. Der Folterknecht hatte ganze Arbeit geleistet.
„War das Bellatrix?“
„Nein, das war Rowles Werk“, antwortete Alvin achselzuckend und verzog danach sofort schmerzerfüllt das Gesicht. Offensichtlich hatte er sich bei der Gefangennahme verletzt, denn er trug seinen linken Arm in einer Schlinge. Seine bandagierten Finger schafften es nicht, eines seiner heißgeliebten Fruchtbonbons auszuwickeln. Er steckte es unverrichteter Dinge wieder in seinen Umhang. „Er hatte wohl einen schlechten Tag.“
„Habt ihr aus Longbottom irgendwas herausbekommen? Irgendwas Brauchbares?“
Severus wischte sich seine blutigen Finger an den Überresten von Longbottoms Umhang ab und trat einen Schritt zurück. Irgendwas knirschte unter seinen Stiefeln. Ein Fingernagel oder möglicherweise ein Zahn. Er machte sich nicht die Mühe nachzusehen, was es tatsächlich gewesen war.
„Das Übliche. Er kann nicht verraten, wo das Hauptquartier des Phönix-Orden ist, weil er nicht der Geheimniswahrer ist. Ein paar Namen von Sympathisanten hat er uns genannt… Meine Leute sind schon unterwegs, um der Sache nachzugehen. Und“, Alvin legte eine dramatische Pause ein, „auch er hat den Sherwood Forrest erwähnt.“
„Hm.“
„Komm schon, Severus! Ein bisschen mehr Begeisterung! Das muss doch was zu bedeuten haben! Das könnte die heiße Spur sein, auf die wir schon so lange warten!“
Severus teilte dessen Euphorie nicht. „Und was erhoffst du dir, im Sherwood Forrest zu finden? Robin Hood?“
„Wer ist Robin Hood?“
„Nur so eine Muggel-Sage. Nicht so wichtig.“ Severus verließ gemeinsam mit Alvin den Verhörraum im Ministerium. „Robin Hood“ war nicht irgendeine Muggel-Sage, sondern Lilys Lieblingsgeschichte. Er konnte sich noch genau daran zurückerinnern, wie sie ihm immer wieder aus dem alten, abgegriffenen Buch vorgelesen hatte. Damals, als sie noch Kinder gewesen waren, und er gedacht hatte, dass sie nichts und niemand jemals würde trennen können.
Alvin ließ nicht locker. „Aber du musst zugeben, dass es eine heiße Spur sein könnte!“
„Möglicherweise. Oder es ist ein Reinfall wie Salisbury. So ein Desaster darf sich nicht wiederholen.“
„Diese Spur ist heißer als die Sache in Salisbury!“, widersprach Alvin aufgebracht. „Hör zu, Severus: Wir nehmen meine Männer und die Todesser. Und ein paar Einsatzkräfte der Muggel. Damit umstellen wir das ganze Gebiet und dann durchkämmen wir es. Zentimeter für Zentimeter. Wir könnten auch die Dementoren einsetzen und von mir aus auch Greyback und seine Bluthunde.“
„Nein“, sagte Severus schlicht.
Alvin stöhnte frustriert auf. „Na komm schon, der Plan klingt doch einwandfrei. Alles, was ich brauche, ist dein Einverständnis. Dann spreche ich mich mit Duncan ab und in ein paar Tagen können wir loslegen.“
„Ihr werdet aber von mir keine Erlaubnis für diesen Einsatz bekommen.“
„Schön. Wann ist der Dunkle Lord wieder da?“
Ach, dieses Spiel wollte Alvin also spielen? Gut, da war er nicht der Erste. „Das weiß ich nicht. Ich bin sein Stellvertreter, nicht seine Sekretärin.“
„Aber als seine Hand“, Alvin fuchtelte unnötigerweise mit seiner gesunden Hand vor Severus‘ Gesicht herum, „solltest du eigentlich wissen, wo er ist.“
Blitzschnell packte Severus Alvins Handgelenk und zwang seinen Arm nach unten. „Ich sagte, ich weiß nicht, wann er wieder zurückkommt. Aber ich weiß sehr wohl, wo er ist. Nämlich bei unseren Verbündeten in Russland und Bulgarien.“ Er ließ Alvins Hand los, der mehr denn je eine Schnute wie ein beleidigtes Kind zog.
„Macht der MAKUSA schon wieder Stress?“
„Wann macht er das nicht?“ Severus seufzte. „Für den Fall, dass die Amerikaner ihre Drohung eines Tages doch wahrmachen und uns angreifen, brauchen wir starke Verbündete. Wir können nicht an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen.“
„Deshalb sollten wir dem Phönix-Orden ein für alle Mal den Garaus machen.“
„Und das werden wir auch. Aber nicht, indem wir überstürzt handeln und Gerüchten Glauben schenken… Ist die Befragung von Mrs. Longbottom schon beendet?“
„Nein, Bellatrix tobt sich noch an ihr aus… Ziemlich hässliche Sache. Beim Zuschauen ist dem jungen Malfoy das Frühstück hochgekommen.“
Severus verzog das Gesicht. Dann würde auch er auf diesen Anblick verzichten.
„Und was ist mit dem Jungen der Longbottoms? Wo ist er?“
„Er war nicht dabei. Aber meine Leute suchen nach ihm. Die neuen Steckbriefe werden bereits gedruckt.“
„Gut. Deinen Bericht erwarte ich bis spätestens morgen Abend.“
Alvin stöhnte genervt auf und fuhr sich durch seinen Haarschopf. „Reicht dir nicht eine mündliche Zusammenfassung?“
„Ich will einen schriftlichen Bericht. Bis morgen Abend.“
„Aber Severus… Seit unsere Kleine auf der Welt ist, habe ich kaum eine Nacht durchgeschlafen…“
Severus ließ sich von Alvins mitleidserregenden Anblick nicht erweichen. Die Augenringe waren tatsächlich äußerst unschön.
Mit einem schicksalsergebenen Seufzen sackten Alvins Schultern nach unten. „Na schön. Wenn’s sein muss…“
„Muss es.“
Für Severus war damit das Gespräch und somit auch sein Besuch im Ministerium beendet. Mit einem Nicken verabschiedete er sich von Alvin, der aber weiterhin wie ein dressiertes Hündchen neben ihm herlief.
„Hast du eigentlich noch so einen Trank, den du für Duncan gebraut hast?“
„Wofür?“
Mit einer unnötig weit ausholenden Geste deutete Alvin auf seinen verletzten linken Arm. „Für mich. Tut verdammt weh. Die Longbottoms haben uns einen ziemlich heftigen Kampf geliefert. Und Duncan hat gemeint, dass dein Trank wahre Wunder bewirkt hat.“
„Ich schicke dir ein paar Phiolen.“
„Danke. Ich wusste gar nicht, dass du wieder braust.“
„Tue ich auch nicht. Dafür fehlt mir die Zeit.“
„Apropos Zeit: Hast du dir in der Zwischenzeit schon überlegt, was du wegen Malfoy machst? Was wirst du dem Lord sagen?“
„Die Wahrheit, wenn er danach fragt.“ Severus drückte den Knopf und wartete auf einen der goldenen Fahrstühle. „Bis zu dessen Rückkehr hat Lucius noch Zeit, das Tagebuch wiederzubeschaffen.“
„Und wie soll er das anstellen?“
„Das ist nicht mein Problem.“
Severus stieg in einen der goldenen Fahrstühle und fuhr nach oben ins Atrium des Zaubereiministeriums. Die Besprechungen der letzten Tage, all die sich im Kreis drehenden Diskussionen, wie sie am besten auf die Überfälle des Phönix-Ordens reagieren sollten, hatten ihn erschöpft. Und frustriert, weil sie absolut sinnlos waren. Egal, was Lucius in seinen Pressemitteilungen auch immer behauptete – sie hatten keine Ahnung, wo der Orden sich versteckte. Sie wussten nur, dass er stärker wurde und immer mehr Anhänger hatte.
Deshalb konnte der Sherwood Forrest kein echter Hinweis sein. Lily war viel zu umsichtig, um einen Ort als Versteck zu wählen, den auch Severus kannte. Dass sie klug und gerissen war, stand außer Frage, sonst hätte sie die letzten Jahre nicht überlebt.
Im Atrium war es an diesem Abend sehr ruhig. Severus nahm sich einen Moment Zeit, um in Voldemorts überdimensionales, starres Gesicht zu blicken. Er sah hinauf in die Augen der riesigen Skulptur aus schwarzem Stein, die auf ihrem Thron hockte und ernst auf ihn hinabblickte. Der Künstler hatte Voldemort überraschend gut getroffen. Alles andere hätte er mit seinem Leben bezahlt. Ein Junge und ein Mädchen standen neben Voldemorts Thron, blickten glücklich lächelnd zu ihm auf. Voldemort – der strenge Vater aller Hexen und Zauberer, zumindest der reinblütigen. Die Muggel waren im Verhältnis zu den Kindern winzig klein dargestellt. Sie krochen wie Ungeziefer auf dem Boden herum oder knieten demütig vor dem Thron. „MAGIE IST MACHT“, verkündete der Sockel. Das war sie, die Neue Ordnung.
Mit einem leisen Seufzen wandte Severus sich ab. Er fing den Blick einer hübschen Hexe auf, die ebenfalls die Skulptur betrachtet hatte. Als sie Severus erkannte, senkte sie rasch den Blick und eilte an ihm vorbei. Das war der Preis, den er für seinen Ruf zahlen musste. Einem Ruf, den er teilweise den Taten anderer und einer Verkettung glücklicher Umstände zu verdanken hatte, aber er beschwerte sich nicht darüber, sondern tat alles, um ihn aufrecht zu erhalten.
Mittels Flohpulver gelangte Severus nach Hetfield House, direkt in sein Arbeitszimmer. Er zog seinen Umhang aus und warf ihn über den nächstbesten Stuhl. Endlich war er wieder zu Hause. Doch bevor er sich ein wenig Ruhe und etwas zu essen gönnen würde, wollte er Alvin noch die versprochenen Phiolen schicken. Aus diesem Grund machte er sich auf den Weg ins Labor und staunte nicht schlecht, als er im dunklen Flur unter der Tür einen schmalen Lichtstreifen sah. Irgendjemand war im Labor – entgegen seinen Anweisungen. Nichts machte Severus wütender, als wenn man sich seinen Befehlen widersetzte.
Er zückte seinen Zauberstab und stieß mit der anderen Hand so kräftig die Tür auf, dass sie geräuschvoll gegen die Wand flog. Doch es war nicht Weasley, wie er zuerst vermutet hatte, der unverhofft seine Begeisterung fürs Tränkebrauen entdeckt hatte und deshalb so spät noch im Labor war.
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Soooo, wieder ein recht langes Kapitel :-) Nächsten Donnerstag geht's weiter!
Hermine fühlte sich wortwörtlich in die Ecke gedrängt, als Mrs. Cole vor ihr stand und ihr den Weg versperrte. Mit in die Hüften gestemmten Händen blickte die Küchenchefin bedrohlich auf sie hinunter.
„Putzen? Schon wieder?“
Hermine nickte schnell und vermied es, ihr dabei in die Augen zu schauen.
„Und was putzt du alles bei Meister Snape? Lässt er dich auch seinen Zauberstab polieren?“
Hermine schüttelte so vehement den Kopf, dass sie schon fürchtete, sich ein Schleudertrauma zugezogen zu haben.
Mrs. Cole verzog ungläubig das Gesicht, machte dann aber einen Schritt zur Seite.
Erleichtert atmete Hermine auf.
„Geh. Ich bin es ja mittlerweile schon gewohnt, dass die ganze Arbeit an mir hängenbleibt!“ Sie schnaubte durch die Nase wie ein wütender Stier. „Tag und Nacht muss ich mich mit euch dummen Gänsen herumärgern!“
Mit schnellen Schritten verließ Hermine die Küche und eilte zu Snapes Labor, denn er hasste es, wenn man ihn warten ließ.
Die Tür stand offen. Hermine strich ihre Schürze glatt, atmete tief durch und betrat den Raum.
Snape und Ron waren bereits mit den Vorbereitungen beschäftigt und besprachen die notwendigen Arbeitsschritte. Noch bevor Hermine den Mund geöffnet hatte, hatte Snape sie bemerkt.
„Na endlich, Granger. Auf deinem Platz warten bereits ein paar Zutaten auf dich. Erst der Blutbildungstrank, dann der Heiltrank. Wir müssen einen großen Kessel davon brauen. Das ist wichtig. Und zum Schluss das Skele-Wachs. Warum diese Reihenfolge?“, fragte Snape und blickte Ron auffordernd an.
„Ähm… Weil-“
„Weil das Skele-Wachs zwölf Stunden abkühlen muss“, antwortete Hermine sofort. „Und das kann es am besten über Nacht.“
Snape schnalzte mit der Zunge und ging hinüber zu der kleinen Kreidetafel, um einen weiteren Punkt für Hermine einzutragen. Was als harmloser Witz begonnen hatte, war für Snape zur perfekten Gelegenheit geworden, Ron dauerhaft zu demütigen. Und Hermine sah gar nicht ein, warum sie Ron dieses kleine Spiel gewinnen lassen sollte.
Zuerst hatte ihre Punkte-Spalte die Überschrift „Muggel“ getragen, doch Ron hatte – warum auch immer – versucht, „Hermine“ daraus zu machen, was ihm aber misslungen war, deshalb hatte sich die Buchstaben vermischt.
„Damit steht es 27 zu 35 für unsere Muggeline. Traurig und beschämend. Aber als Fan der Chudley Cannons sind Sie es wahrscheinlich gewohnt, ständig zu verlieren, nicht wahr, Weasley?“
Ron erwiderte nichts, sondern hackte mit seinem Messer auf die Zutaten ein, als hätte ihn jede Ingwerwurzel persönlich beleidigt. Snape bemerkte dies und seine Lippen kräuselten sich zu einem hämischen Grinsen.
Um nicht selbst das Ziel seines Spotts zu werden, arbeitete Hermine schnell und hielt den Kopf gesenkt. Snape beobachtete zwar nach wie vor jeden ihrer Handgriffe, aber er ging diesmal kommentarlos an ihr vorüber, was bedeutete, dass er mit ihrer Arbeit zufrieden war. Ein Lob hatte sie noch nie von ihm zu hören bekommen.
Während Ron den Trank braute und Hermine die nächsten Zutaten vorbereitete, sortierte Snape den Vorratsschrank. Auf einem Bogen Pergament notierte er jene Zutaten, die demnächst zur Neige gingen oder bereits aufgebraucht waren.
„Wir brauchen Liebstöckel, am besten frischen.“
„Im Gewürzgarten der Küche, Herr.“
Snape trat ans offene Fenster und blickte hinaus in den Garten. Für Anfang Juni war es bereits angenehm warm. Daran hatte auch der heftige Regen in der gestrigen Nacht und am Vormittag nichts geändert. Mit jedem Windstoß wurde der Duft nasser Erde hereingetragen. Hermine mochte diesen Geruch.
„Die Erde wird durchweicht sein“, überlegte Snape laut. „Das ist die ideale Voraussetzung, um auch ein paar Gänseblümchenwurzeln zu ernten. Na, wer von Ihnen möchte im Dreck wühlen?“
Hermine machte sich schon darauf gefasst, dass diese Ehre ihr zuteilwerden würde. Dreckige Arbeit für dreckige Muggel. Sie kannte den Humor der Zauberer schon zur Genüge.
„Klingt nach ’ner tollen Aufgabe“, murmelte Ron.
„Melden Sie sich freiwillig, Weasley?“
Ron schüttelte den Kopf. „Ist doch eher was für einen Muggel, Sir.“
Haha. Selten so gelacht.
Hermine legte das Messer beiseite und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Warum sollte sie das Unvermeidliche noch länger hinauszögern?
„Ich mache es, Herr.“
„Nein, du bleibst. Weasley geht.“
Hermine war von dieser Entscheidung ebenso überrascht wie Ron, der nicht sonderlich begeistert schien, dass nun er es war, der in der Erde wühlen durfte. Er schnappte sich das Körbchen, in dem sie immer die frischen Kräuter sammelten, und marschierte über die Terrasse hinaus in den Garten.
Verstohlen blickte Hermine zu Snape, der noch immer mit dem Vorratsschrank beschäftigt war, und fragte sich, warum er Ron diese Aufgabe übertragen hatte und nicht ihr.
„Ich wollte keine schlammigen Fußabdrücke in meinem Labor. Weasley kann seine Schuhe magisch reinigen, du hättest mir alles verdreckt.“
Hermine nickte hastig und setzte ihre Arbeit fort. Konnte Snape etwa ihre Gedanken lesen? Dass er sehr gut darin war, die Emotionen seiner Mitmenschen und vor allem deren Mimik zu deuten, war ihr schon oft aufgefallen. Aber das jetzt war unheimlich gewesen. Außerdem machte ihr die Vorstellung Angst, dass nicht einmal mehr ihre Gedanken ihr allein gehörten.
Sie versuchte deshalb, an nichts zu denken. Ein leerer Geist konnte sie schließlich nicht in Schwierigkeiten bringen.
Binnen weniger Minuten war ihr guter Vorsatz jedoch vergessen, als der Blutbildungstrank auf dem Tisch ihr gegenüber laut blubbernd nach der nächsten Zutat verlangte. Nervös blickte Hermine hinüber zu Snape. Wem würde er eher den Kopf abreißen, wenn der Trank misslingen würde? Ron, der im Garten gewesen war, oder ihr, die tatenlos danebengestanden hatte?
„Herr, die nächste Zutat gehört in den Trank.“
„Bediene dich.“
Schnell warf Hermine einen Blick auf das Rezept und ging danach hinüber zum Vorratsschrank. Sie brauchte zwei Occamy-Schuppen. Dank der alphabetischen Sortierung fand sie rasch, wonach sie suchte. Sie ignorierte das Glas mit den eingelegten Occamy-Augen, die sie mit ihrem stechenden Blick zu verfolgen schienen, und griff stattdessen nach einer kleinen Box. Darin befanden sich unzählige daumennagelgroße Schuppen. Im Sonnenlicht schillerten sie blaugrün. Fasziniert betrachtete Hermine das wunderschöne Farbenspiel. Doch etwas daran war seltsam: Erst letzte Woche hatten sie in einem Trank Occamy-Federn verwendet. Konnte ein Tier sowohl Federn als auch Schuppen besitzen? Wie sah so ein Tier aus? Wie ein Vogel mit Schuppen?
„Was ist los, Granger? Stimmt etwas nicht?“
„Es ist alles in Ordnung, Herr“, beeilte Hermine sich zu sagen. „Ich habe nur die Schuppen betrachtet, weil… weil sie so schön sind.“
„Das hast du über die Feenflügel auch gesagt. Und über die Skarabäen.“ Die Belustigung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Hermine spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Er machte sich über sie lustig. In seinen Augen war sie bestimmt nichts weiter als ein dummer Muggel, den man mit bunten Farben begeistern konnte. Wie ein einfältiges Kind. Sie rechnete mit einer hämischen Bemerkung, aber sie blieb aus.
„Dürfte ich… dürfte ich eine Frage stellen, Herr?“
„Hast du bereits…“, murmelte er und notierte wieder etwas auf der Liste. Er blickte kurz in Hermines Richtung, bevor er seine Arbeit fortsetzte. „Na los, Granger. Spuck die Frage aus, die dir unter den Nägeln brennt. “
Hermine biss sich verlegen auf die Lippe. „Ich… ich habe mich gefragt, wie ein Occamy aussieht. Wie kann das Tier Schuppen und Federn haben?“
Snape zog eine Augenbraue hoch. „Das ist doch eigentlich offensichtlich. Ein Occamy ähnelt einer geflügelten Schlange.“
„Oh.“
„Was hast du denn gedacht? Dass es ein geflügelter Fisch ist?“ Seine Mundwinkel zuckten.
„Ähm…“
Snape stieß ein abfälliges Schnauben aus und schüttelte den Kopf. Er murmelte etwas, das wie „Geflügelter Fisch!“ klang, dann seufzte er. „Hier im Regal steht auch ein Buch über magische Tierwesen. Mit Abbildungen. Ich gestatte dir, es zu benutzen, um die Bilder zu betrachten. Und nun wirf die Schuppen in den Trank und rühr ihn so lange um, bis sie sich aufgelöst haben.“
„Ja, Herr.“
Hermine eilte zum Trank zurück und warf zwei Schuppen hinein. Es war nur eine unbedeutende Aufgabe, nur ein Arbeitsschritt von vielen, doch auf Hermines Gesicht breitete sich ein seliges Lächeln aus, als sie den Schöpflöffel in die Hand nahm. Anfangs hatte Snape sie kaum in die Nähe des Kessels gelassen, nun durfte sie sogar schon umrühren! Und das Beste daran war: Der Trank veränderte seine Farbe, wie es im Rezept geschrieben stand. Sie hatte ihn nicht ruiniert. Vielleicht konnten Muggel doch Zaubertränke brauen?
Rons Rückkehr lenkte sie von weiteren Überlegungen in diese Richtung ab. Ein schadenfrohes Grinsen stahl sich auf Hermines Lippen, als Ron mit dreckigen Schuhen ins Labor zurückkehrte und bei jedem Schritt Schlammspuren auf dem Fußboden hinterließ. Doch bei dem Gedanken, dass wahrscheinlich sie es sein würde, die den Dreck wegputzen musste, verschwand das Grinsen augenblicklich aus ihrem Gesicht.
„Weasley! Sie Idiot! Wozu haben Sie eigentlich einen Zauberstab? Und ein Hirn? Sie könnten beides eigentlich abgeben, weil Sie es eh nicht verwenden!“
Mit einem genuschelten „Tschuldigung“ schwang Ron seinen Zauberstab und entfernte die Schlammspuren.
Snape drückte Hermine das Körbchen mit den frischen Zutaten aus dem Garten in die Hand. „Reinige die Wurzeln und leg sie anschließend zum Trocknen auf das Fensterbrett.“
„Ja, Herr.“
Seit Hermine beim Brauen half, gab es ein Waschbecken mit einem funktionierenden Wasserhahn in dem Raum. Sie wusch die Wurzeln, bis sie vollständig von der Erde befreit waren und legte sie dann auf dem Fensterbrett auf.
Hermine wollte soeben zu ihrem Arbeitsplatz zurückkehren, da flog eine große Eule durch die offene Terrassentür herein. Sie steuerte zielstrebig auf Snape zu, der ihr sogleich den blutroten Umschlag vom Bein band.
Während er die Nachricht las, verfinsterte sich Snapes Miene immer mehr. Als er damit fertig war, dachte er noch einen Moment nach, dann zückte er seinen Zauberstab und ließ den noch nicht fertigen Zaubertrank erstarren.
„Ich muss dringend weg“, verkündete er und wandte sich an Ron. „Sie werden in die Stadt apparieren und in die Apotheke gehen. Alles, was auf dieser Liste steht, brauche ich bis morgen. Verstanden?“ Er überreichte Ron ein Stück Pergament. Dann schlüpfte er in seinen Umhang, ging hinüber zu dem Schrank mit den fertigen Tränken und steckte sich ein paar Fläschchen in die Innentasche seiner Robe.
Ron las stirnrunzelnd die Liste. „Okay, Sir.“
„Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Vor heute Abend wahrscheinlich nicht. Deshalb verschieben wir das hier auf morgen.“
Snape drehte sich zu Hermine um. „Du kannst wieder in die Küche gehen, Granger. Heute gibt es hier keine Arbeit mehr für dich.“
„Aber wir wollten doch noch den Heiltrank brauen. Und das Skele-Wachs…“ Die Enttäuschung war ihr deutlich anzuhören. Sie hatte sich darauf gefreut. Nicht nur, weil sie dann den restlichen Tag von Mrs. Coles schlechter Laune verschont geblieben wäre, sondern weil es ihr insgeheim Spaß machte, beim Brauen zu helfen.
Ihre Reaktion entlockte Snape ein Lächeln. Ehrlich, ohne Spott oder Hohn. „Ein anderes Mal, Granger. Jetzt muss ich mich um eine dringende Angelegenheit kümmern.“
Sie nickte betrübt.
Mit wehendem Umhang verließ Snape das Labor. Als er weg war, atmete Ron erleichtert auf und steckte die Liste in seine Hosentasche.
„Jetzt kann der Tag doch noch schön werden.“ Er lächelte, doch Hermine sagte nichts. Rons abrupte Stimmungswechsel kannte sie schon zur Genüge. In einem Moment war er nett, im nächsten beschimpfte er sie. Im Gegensatz zu ihm waren Snapes Gemütszustände leichter zu durchschauen: Der hatte immer schlechte Laune.
„Ich gehe zurück in die Küche.“ Hermine wandte sich zum Gehen, doch Ron lief ihr hinterher.
„Ich hab mich gefragt, also… Na ja… Vielleicht magst du … Ähm…. Du könntest … also… mich begleiten“, nuschelte er. Sein Gesicht war feuerrot. Er blickte verlegen zu Boden.
Hermine traute ihren Ohren nicht. „Ich soll dich begleiten? Ich, der dreckige Muggel?
„Das habe ich doch nicht so gemeint!“
„Ach?“ Nahezu perfekt ahmte Hermine Snapes skeptischen Blick nach, indem sie nur eine Augenbraue hochzog.
„Ich hatte keine andere Wahl!“
Auch Snapes abfälliges Schnauben imitierte Hermine meisterlich und setzte ihren Weg fort. Ron lief ihr hinterher.
„Meine ganze Familie gilt als Blutsverräter! Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man von der ganzen Zaubererschaft wie Dreck behandelt wird…“
„Nein, kann ich mir gar nicht vorstellen“, höhnte Hermine. „Muss schrecklich sein.“
„Okay, das … das war jetzt auch nicht sonderlich klug von mir…“
„Nein, war es nicht.“
„Niemand in meiner Familie bekommt einen Job. Keiner will einen Blutsverräter einstellen. Aber das hier ist meine Chance, meiner Familie zu helfen, verstehst du?“
Nein, Hermine verstand gar nichts. Und eigentlich interessierte es sie auch gar nicht. Na ja, nicht sonderlich.
Ron überholte sie und stellte sich ihr in den Weg, damit sie ihm zuhören musste.
„Snape hat versprochen, dass er sich für meine Familie einsetzen wird, wenn ich den Job ordentlich mache. Dann bekommen wir unseren Reinblüter-Status zurück. Und deshalb…“
„Und deshalb beleidigst du mich bei jeder Gelegenheit? Damit er denkt, dass du ein überzeugter Reinblüter bist? Toller Plan.“
Ron strich sich verlegen über den Nacken. „So betrachtet ist das vielleicht keine so gute Idee… Und es tut mir auch leid, wenn ich zu dir gemein bin, weil ich es gar nicht so meine…“ Er stand mit hängenden Schultern vor ihr und schaffte es nicht, ihr in die Augen zu schauen. Das personifizierte schlechte Gewissen.
Hermine verdrehte die Augen. „Dann verstehe ich jetzt, warum du einmal nett und im nächsten Augenblick der größte und gemeinste Dummdödel bist.“
„Dummdödel?“
„Arsch.“
Ron grinste. „Ich habe dich noch nie schimpfen gehört.“
„Das dürfen Dienstmädchen auch nicht.“
Langsam gewann Ron sein Selbstbewusstsein wieder zurück. „Also… na ja… kommst du mit? In die Apotheke? Muss ja niemand erfahren.“
Hermine zögerte. Ein Ausflug in die Stadt – das klang verlockend. Aber Mrs. Cole würde ihr die Ohren langziehen und was Snape mit ihr anstellen würde, wenn er davon erfahren würde, wollte sie sich gar nicht erst ausmalen. „Ich kann nicht.“
„Okay.“ Ron versuchte seine Enttäuschung zu überspielen, doch das gelang ihm nicht. „Dann… dann sehen wir uns.“
Hermine nickte und sah ihm noch hinterher, wie er in die Eingangshalle ging und das Anwesen verließ.
Sie dachte noch immer über Rons Worte nach, als sie die Treppe zur Küche hinunterging. Er schien sein Verhalten ehrlich zu bereuen und seine Erklärung, warum er sie immer wieder beschimpft hatte, klang glaubwürdig. Eines verstand sie trotzdem nicht: Warum bereute er sein Verhalten? Die meisten Zauberer behandelten Muggel weitaus schlechter – ohne den geringsten Anflug eines schlechten Gewissens. Vielleicht waren er und seine Familie tatsächlich so muggelfreundlich, wie ihnen vorgeworfen wurde. Oder…
Hermine blieb abrupt auf der Treppe stehen. Oder das alles war ein gefinkelter Plan, um –
Ja, um was eigentlich? Um sie bei Snape schlecht zu machen? Noch tiefer konnte sie in Snapes Achtung nicht mehr sinken. Um sie in Schwierigkeiten zu bringen? Hatte er sie deshalb eingeladen? Nein. Hermine traute zwar Zauberern alles Schlechte zu, aber Ron machte keinen verschlagenen Eindruck auf sie. Er wirkte eher unbeholfen, überhaupt dann, wenn er mit ihr allein war. Als würde ihre Anwesenheit ihn nervös machen. Bei dem Gedanken musste Hermine grinsen. Fast so, als –
Nein, dieser Gedanke war vollkommen absurd. Ein Zauberer und sie? Niemals. Nicht einmal dann, wenn die Hölle zufriert.
Hermine stieg die restlichen Stufen in die Küche hinunter. Sie konnte Mrs. Coles Gekeife hören und machte sich auf einen anstrengenden, langweiligen Nachmittag gefasst.
„Wenn du noch einmal die Milch überkochen lässt, dann Gnade dir Merlin, du dumme Gans!“
Bis jetzt hatte die Küchenchefin Hermine noch nicht bemerkt.
Und das war Hermines Chance!
Snape hatte selbst gesagt, dass der Heiltrank wichtig war. Hermine kannte das Rezept, sie hatte bei allen Arbeitsschritten bereits geholfen. Der Zaubertrank würde für sie kein Problem darstellen, auch wenn Snape immer behauptete, dass Muggel keine Zaubertränke brauen könnten. Beim Blutbildungstrank hatte es keine Probleme gegeben. Heute würde sie ihm endgültig beweisen, dass er sich irrte, jawohl!
Mrs. Cole würde sie bestimmt nicht vermissen. Ron würde erst in ein oder zwei Stunden zurückkommen, ebenso Snape. Das war Hermines Gelegenheit, den Zauberern zu beweisen, dass sie mehr konnte als nur Zutaten schnippeln.
Unbemerkt huschte Hermine die Treppe wieder hoch und lief in Snapes Labor. Dort verschloss sie die Tür, krempelte die Ärmel ihres Kleides hoch und freute sich schon auf das Gesicht von Snape, wenn sie ihm den Heiltrank unter seine viel zu groß geratene Nase halten würde.
***
Der leise stöhnende Fleischhaufen zu seinen Füßen hatte die Bezeichnung „Mensch“ gar nicht mehr verdient. Die Blutlache, in der er lag, hatte sich mit dessen Ausscheidungen vermischt. Ein ekelhafter Anblick und ein noch schlimmerer Geruch.
Angewidert fasste Severus dem Mann unters Kinn und zwang dessen Kopf nach oben, um ihm in die Augen sehen zu können. Ein leerer Blick. Gebrochen. Keine Seltenheit bei einer Überdosis Cruciatus-Flüchen. Der Folterknecht hatte ganze Arbeit geleistet.
„War das Bellatrix?“
„Nein, das war Rowles Werk“, antwortete Alvin achselzuckend und verzog danach sofort schmerzerfüllt das Gesicht. Offensichtlich hatte er sich bei der Gefangennahme verletzt, denn er trug seinen linken Arm in einer Schlinge. Seine bandagierten Finger schafften es nicht, eines seiner heißgeliebten Fruchtbonbons auszuwickeln. Er steckte es unverrichteter Dinge wieder in seinen Umhang. „Er hatte wohl einen schlechten Tag.“
„Habt ihr aus Longbottom irgendwas herausbekommen? Irgendwas Brauchbares?“
Severus wischte sich seine blutigen Finger an den Überresten von Longbottoms Umhang ab und trat einen Schritt zurück. Irgendwas knirschte unter seinen Stiefeln. Ein Fingernagel oder möglicherweise ein Zahn. Er machte sich nicht die Mühe nachzusehen, was es tatsächlich gewesen war.
„Das Übliche. Er kann nicht verraten, wo das Hauptquartier des Phönix-Orden ist, weil er nicht der Geheimniswahrer ist. Ein paar Namen von Sympathisanten hat er uns genannt… Meine Leute sind schon unterwegs, um der Sache nachzugehen. Und“, Alvin legte eine dramatische Pause ein, „auch er hat den Sherwood Forrest erwähnt.“
„Hm.“
„Komm schon, Severus! Ein bisschen mehr Begeisterung! Das muss doch was zu bedeuten haben! Das könnte die heiße Spur sein, auf die wir schon so lange warten!“
Severus teilte dessen Euphorie nicht. „Und was erhoffst du dir, im Sherwood Forrest zu finden? Robin Hood?“
„Wer ist Robin Hood?“
„Nur so eine Muggel-Sage. Nicht so wichtig.“ Severus verließ gemeinsam mit Alvin den Verhörraum im Ministerium. „Robin Hood“ war nicht irgendeine Muggel-Sage, sondern Lilys Lieblingsgeschichte. Er konnte sich noch genau daran zurückerinnern, wie sie ihm immer wieder aus dem alten, abgegriffenen Buch vorgelesen hatte. Damals, als sie noch Kinder gewesen waren, und er gedacht hatte, dass sie nichts und niemand jemals würde trennen können.
Alvin ließ nicht locker. „Aber du musst zugeben, dass es eine heiße Spur sein könnte!“
„Möglicherweise. Oder es ist ein Reinfall wie Salisbury. So ein Desaster darf sich nicht wiederholen.“
„Diese Spur ist heißer als die Sache in Salisbury!“, widersprach Alvin aufgebracht. „Hör zu, Severus: Wir nehmen meine Männer und die Todesser. Und ein paar Einsatzkräfte der Muggel. Damit umstellen wir das ganze Gebiet und dann durchkämmen wir es. Zentimeter für Zentimeter. Wir könnten auch die Dementoren einsetzen und von mir aus auch Greyback und seine Bluthunde.“
„Nein“, sagte Severus schlicht.
Alvin stöhnte frustriert auf. „Na komm schon, der Plan klingt doch einwandfrei. Alles, was ich brauche, ist dein Einverständnis. Dann spreche ich mich mit Duncan ab und in ein paar Tagen können wir loslegen.“
„Ihr werdet aber von mir keine Erlaubnis für diesen Einsatz bekommen.“
„Schön. Wann ist der Dunkle Lord wieder da?“
Ach, dieses Spiel wollte Alvin also spielen? Gut, da war er nicht der Erste. „Das weiß ich nicht. Ich bin sein Stellvertreter, nicht seine Sekretärin.“
„Aber als seine Hand“, Alvin fuchtelte unnötigerweise mit seiner gesunden Hand vor Severus‘ Gesicht herum, „solltest du eigentlich wissen, wo er ist.“
Blitzschnell packte Severus Alvins Handgelenk und zwang seinen Arm nach unten. „Ich sagte, ich weiß nicht, wann er wieder zurückkommt. Aber ich weiß sehr wohl, wo er ist. Nämlich bei unseren Verbündeten in Russland und Bulgarien.“ Er ließ Alvins Hand los, der mehr denn je eine Schnute wie ein beleidigtes Kind zog.
„Macht der MAKUSA schon wieder Stress?“
„Wann macht er das nicht?“ Severus seufzte. „Für den Fall, dass die Amerikaner ihre Drohung eines Tages doch wahrmachen und uns angreifen, brauchen wir starke Verbündete. Wir können nicht an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen.“
„Deshalb sollten wir dem Phönix-Orden ein für alle Mal den Garaus machen.“
„Und das werden wir auch. Aber nicht, indem wir überstürzt handeln und Gerüchten Glauben schenken… Ist die Befragung von Mrs. Longbottom schon beendet?“
„Nein, Bellatrix tobt sich noch an ihr aus… Ziemlich hässliche Sache. Beim Zuschauen ist dem jungen Malfoy das Frühstück hochgekommen.“
Severus verzog das Gesicht. Dann würde auch er auf diesen Anblick verzichten.
„Und was ist mit dem Jungen der Longbottoms? Wo ist er?“
„Er war nicht dabei. Aber meine Leute suchen nach ihm. Die neuen Steckbriefe werden bereits gedruckt.“
„Gut. Deinen Bericht erwarte ich bis spätestens morgen Abend.“
Alvin stöhnte genervt auf und fuhr sich durch seinen Haarschopf. „Reicht dir nicht eine mündliche Zusammenfassung?“
„Ich will einen schriftlichen Bericht. Bis morgen Abend.“
„Aber Severus… Seit unsere Kleine auf der Welt ist, habe ich kaum eine Nacht durchgeschlafen…“
Severus ließ sich von Alvins mitleidserregenden Anblick nicht erweichen. Die Augenringe waren tatsächlich äußerst unschön.
Mit einem schicksalsergebenen Seufzen sackten Alvins Schultern nach unten. „Na schön. Wenn’s sein muss…“
„Muss es.“
Für Severus war damit das Gespräch und somit auch sein Besuch im Ministerium beendet. Mit einem Nicken verabschiedete er sich von Alvin, der aber weiterhin wie ein dressiertes Hündchen neben ihm herlief.
„Hast du eigentlich noch so einen Trank, den du für Duncan gebraut hast?“
„Wofür?“
Mit einer unnötig weit ausholenden Geste deutete Alvin auf seinen verletzten linken Arm. „Für mich. Tut verdammt weh. Die Longbottoms haben uns einen ziemlich heftigen Kampf geliefert. Und Duncan hat gemeint, dass dein Trank wahre Wunder bewirkt hat.“
„Ich schicke dir ein paar Phiolen.“
„Danke. Ich wusste gar nicht, dass du wieder braust.“
„Tue ich auch nicht. Dafür fehlt mir die Zeit.“
„Apropos Zeit: Hast du dir in der Zwischenzeit schon überlegt, was du wegen Malfoy machst? Was wirst du dem Lord sagen?“
„Die Wahrheit, wenn er danach fragt.“ Severus drückte den Knopf und wartete auf einen der goldenen Fahrstühle. „Bis zu dessen Rückkehr hat Lucius noch Zeit, das Tagebuch wiederzubeschaffen.“
„Und wie soll er das anstellen?“
„Das ist nicht mein Problem.“
Severus stieg in einen der goldenen Fahrstühle und fuhr nach oben ins Atrium des Zaubereiministeriums. Die Besprechungen der letzten Tage, all die sich im Kreis drehenden Diskussionen, wie sie am besten auf die Überfälle des Phönix-Ordens reagieren sollten, hatten ihn erschöpft. Und frustriert, weil sie absolut sinnlos waren. Egal, was Lucius in seinen Pressemitteilungen auch immer behauptete – sie hatten keine Ahnung, wo der Orden sich versteckte. Sie wussten nur, dass er stärker wurde und immer mehr Anhänger hatte.
Deshalb konnte der Sherwood Forrest kein echter Hinweis sein. Lily war viel zu umsichtig, um einen Ort als Versteck zu wählen, den auch Severus kannte. Dass sie klug und gerissen war, stand außer Frage, sonst hätte sie die letzten Jahre nicht überlebt.
Im Atrium war es an diesem Abend sehr ruhig. Severus nahm sich einen Moment Zeit, um in Voldemorts überdimensionales, starres Gesicht zu blicken. Er sah hinauf in die Augen der riesigen Skulptur aus schwarzem Stein, die auf ihrem Thron hockte und ernst auf ihn hinabblickte. Der Künstler hatte Voldemort überraschend gut getroffen. Alles andere hätte er mit seinem Leben bezahlt. Ein Junge und ein Mädchen standen neben Voldemorts Thron, blickten glücklich lächelnd zu ihm auf. Voldemort – der strenge Vater aller Hexen und Zauberer, zumindest der reinblütigen. Die Muggel waren im Verhältnis zu den Kindern winzig klein dargestellt. Sie krochen wie Ungeziefer auf dem Boden herum oder knieten demütig vor dem Thron. „MAGIE IST MACHT“, verkündete der Sockel. Das war sie, die Neue Ordnung.
Mit einem leisen Seufzen wandte Severus sich ab. Er fing den Blick einer hübschen Hexe auf, die ebenfalls die Skulptur betrachtet hatte. Als sie Severus erkannte, senkte sie rasch den Blick und eilte an ihm vorbei. Das war der Preis, den er für seinen Ruf zahlen musste. Einem Ruf, den er teilweise den Taten anderer und einer Verkettung glücklicher Umstände zu verdanken hatte, aber er beschwerte sich nicht darüber, sondern tat alles, um ihn aufrecht zu erhalten.
Mittels Flohpulver gelangte Severus nach Hetfield House, direkt in sein Arbeitszimmer. Er zog seinen Umhang aus und warf ihn über den nächstbesten Stuhl. Endlich war er wieder zu Hause. Doch bevor er sich ein wenig Ruhe und etwas zu essen gönnen würde, wollte er Alvin noch die versprochenen Phiolen schicken. Aus diesem Grund machte er sich auf den Weg ins Labor und staunte nicht schlecht, als er im dunklen Flur unter der Tür einen schmalen Lichtstreifen sah. Irgendjemand war im Labor – entgegen seinen Anweisungen. Nichts machte Severus wütender, als wenn man sich seinen Befehlen widersetzte.
Er zückte seinen Zauberstab und stieß mit der anderen Hand so kräftig die Tür auf, dass sie geräuschvoll gegen die Wand flog. Doch es war nicht Weasley, wie er zuerst vermutet hatte, der unverhofft seine Begeisterung fürs Tränkebrauen entdeckt hatte und deshalb so spät noch im Labor war.
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Soooo, wieder ein recht langes Kapitel :-) Nächsten Donnerstag geht's weiter!