Muggeline und der Meister der Zaubertränke
von eve001
Kurzbeschreibung
Seit 15 Jahren herrschen Voldemort und seine Todesser über die magische und nichtmagische Bevölkerung Großbritanniens. In dieser hierarchischen Gesellschaft gehört Hermine Granger, als unfreier Muggel, der untersten Schicht an. Ihr einziger Ausweg vor einem weiteren sozialen Abstieg ist eine neue Anstellung, die sie ausgerechnet zu dem Mann führt, der für die muggelverachtenden Gesetze verantwortlich ist: Severus Snape. (Alternatives Universum!)
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Het
Hermine Granger
Severus Snape
19.08.2021
18.08.2022
52
232.704
184
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Dieses Kapitel
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07.10.2021
3.777
Kapitel 11: Geheimnisse sind Lügen
Zuerst hatte Hermine überlegt, den Gedichtband in die Bibliothek zurückzubringen. Der Grund dafür war recht simpel: Weil man Zauberern nicht trauen durfte.
Das „Geschenk“ war möglicherweise eine Falle. Snape musste nur ihr Zimmer durchsuchen lassen und schon hätte er einen Vorwand, sie höchstpersönlich in der Singenden Sirene abzuliefern. Schließlich war es Muggeln verboten, Bücher zu besitzen. Er würde bestimmt nicht zugeben, dass er ihr das Büchlein geschenkt hatte. Und wer würde schon einer Muggel glauben, die behauptete, dass ausgerechnet Snape gegen seine eigenen Gesetze verstieß?
Nach allem, was sie über ihn wusste, traute sie ihm das durchaus zu.
Aber dann waren Hermine Zweifel gekommen. Nicht an Snapes Absichten oder seinem verwerflichen Charakter, sondern lediglich an der Tatsache, dass Zauberer einen Vorwand brauchten, um einen unliebsamen Muggel loszuwerden. Den brauchten sie nicht. Deshalb kam Hermine zu dem Schluss, dass der Gedichtband auf ihrem Bett doch nichts anderes als Snapes seltsame Art war, Danke zu sagen. Immerhin hatte sie ihm geholfen, seine Wunde zu versorgen. Den Gedanken, dass sie indirekt schuld daran war, dass es überhaupt zu dem Unglück gekommen war, ignorierte sie für den Moment.
Bis spät in die Nacht las Hermine in dem Büchlein. Am darauffolgenden Morgen war sie entsprechend unausgeschlafen, was Mrs Cole nicht entging. Die Küchenchefin nahm darauf jedoch keine Rücksicht. Sie halste Hermine jede Menge Arbeiten auf, die sie bis zum Nachmittag auf Trab halten würden.
Nachdem das Frühstück für die Snapes im Esszimmer angerichtet worden war, durfte Hermine eine kurze Pause machen. Sie trank eine weitere Tasse Kaffee, aß nachdenklich eine Scheibe Toast und wippte mit dem Fuß zum Takt der Musik aus dem Radio, als Snape die Küche betrat. Hermine und alle anderen Bediensteten in der Küche erstarrten in ihren Bewegungen. Der Hausherr hatte sich noch nie nach unten verirrt. Das hatte bestimmt nichts Gutes zu bedeuten. Alle schienen gespannt die Luft anzuhalten.
Snape sagte nichts. Sein kalter Blick schweifte durch die Küche. Es war offensichtlich, dass ihn nicht die bereits laufenden Vorbereitungen für das Mittagessen interessierten. Er suchte etwas. Oder jemandem.
„Du. Mitkommen“, sagte er an Hermine gewandt und war so schnell wieder aus der Küche verschwunden, wie er gekommen war.
Mühsam würgte Hermine das Stück Toast in einem Mund hinunter. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
„Geh! Du darfst ihn nicht warten lassen!“, sagte Mrs Cole und scheuchte sie aus der Küche.
Hermine hatte kein gutes Gefühl dabei, als sie Snape hinterherlief. Ging es um den Gedichtband? War er doch eine Falle gewesen? Sie wagte es nicht, Snape anzusprechen. Was auch immer er von ihr wollte, sie würde es bald erfahren. Kein einziges Mal warf er einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass sie ihm folgte. Er war es gewohnt, dass seine Befehle befolgt wurden.
Snape öffnete die Tür zu seinem Labor und hielt sie ihr auf. Zögerlich kam Hermine dieser stummen Aufforderung nach und betrat jenen Raum, von dem sie gestern noch geschworen hatte, ihn nie wieder zu betreten. So schnell konnte es gehen. Alles im Labor sah so aus wie gestern. Ein leichter Brandgeruch hing noch in der Luft.
Zu ihrer Erleichterung bemerkte Hermine, dass Ron ebenfalls anwesend war. Dann konnte es gar nicht so schlimm werden, hoffte sie.
„Nun, Weasley. Das ist die Person, die auf Anhieb einen besseren Sud zustande gebracht hat als Sie nach fünf Anläufen.“
Rons Ohren nahmen einen dunklen Rotton an, der sich schrecklich mit seinen roten Haaren biss. Seine freundliche Miene wurde zusehends abweisend.
Beschämt senkte Hermine den Kopf. Dafür hatte Snape sie also hergebracht: Um Ron zu demütigen.
„Schlecht in Zaubertränken zu sein, ist eine Sache. Aber schlechter als ein Muggel zu sein, ist eine beachtliche Leistung.“ Snapes Stimme triefte nur so vor Hohn.
Zu gerne hätte Hermine etwas gesagt, gegen diese Ungerechtigkeit protestiert, doch die Angst vor einer weiteren Bestrafung versiegelte ihre Lippen. Verstohlen warf sie Ron einen Blick zu. Sein Gesicht war dunkelrot und er hatte die Hände zu Fäusten geballt. Auch er schien sich nur mit Mühe davon abhalten zu können, Snape eine freche Antwort zu geben.
Das hämische Grinsen auf Snapes dünnen Lippen machte deutlich, wie sehr er diese Situation genoss und das unfaire Machtgefälle auskostete. „Sieben Jahre magische Ausbildung verschwendet. Eine Tragödie.“
„Wenn sie so gut ist, dann lassen Sie doch Hermine die Tränke brauen“, zischte Ron.
„Soso… Hermine… So weit sind wir also schon? Ja? Typisch Blutsverräter…“
Snape wandte seine Aufmerksamkeit nun Hermine zu. Am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst. Trotzdem hielt sie dem Blick seiner schwarzen Augen stand, die sie auf eine Art und Weise musterten, die ihr ein flaues Gefühl im Magen bescherte.
„Das ist keine so schlechte Idee, Weasley, obwohl sie von Ihnen kommt.“
Hermine traute ihren Ohren nicht. Sie, ausgerechnet sie, sollte einen Zaubertrank brauen? Ron sah genauso verwirrt aus. Nur Snape schien sich prächtig zu amüsieren. Er zückte seinen Zauberstab, murmelte ein paar Worte und der Kessel war plötzlich doppelt so groß.
„Granger kümmert sich um die Zutaten. Zuerst müssen die Alraunenwurzeln in Würfel geschnitten werden. So wie gestern. Und Sie, Weasley, brauen den Trank. Unter meiner Aufsicht natürlich. Vielleicht geschieht ja doch noch ein Wunder und Sie schaffen es irgendwann, den Trank fehlerlos zu brauen. Dann können wir uns den wirklich herausfordernden Tränken zuwenden. Na los, fangen Sie an. Doppeltes Kesselvolumen verlangte die doppelte Zutatenmenge, aber“, er hob warnend den Zeigefinger und legte eine dramatische Pause ein, „nicht die doppelte Zubereitungszeit.“
Hermines Hände zitterten, als sie das kurze Messer in die Hand nahm und mit dem Zerkleinern der Zutaten begann. In der Küche hatte sie in den letzten Monaten genug Erfahrung gesammelt. Sie atmete einmal tief durch, trotzdem legte sich ihre Nervosität nicht. Snape konnte das doch unmöglich ernst meinen? Vielleicht war das alles nur ein Traum? In einem unbeobachteten Moment piekte sie sich selbst die Messerspitze in den Handrücken. Es tat weh. Also doch kein Traum.
„Ich hab’s nicht so gemeint“, flüsterte Ron, als er auf dem Weg zum Zutatenregal an ihr vorbeikam.
„Schon okay“, antwortete sie ebenso leise.
Keine Sekunde ließ Snape Hermine und Ron aus den Augen. Jeden noch so kleinen Fehler kommentierte er auf seine bissige Art und sparte auch zwischendurch nicht mit Spott und Hohn, wenn sie etwas richtig gemacht hatten.
„Es braucht also die Hilfe eines Muggels, damit Sie einen halbwegs brauchbaren Zaubertranksud zustande bringen.“ Snape rührte die Flüssigkeit in dem Kessel um. „Haben Sie das Rezept gelernt? Was jetzt, Weasley?“
„Ja, Sir. Im nächsten Arbeitsschritt werden Feenflügel, Blutegelsaft und dann die Doxy-Eier hinzugefügt.“
„Und warum werden die Doxy-Eier zum Schluss hinzugefügt?“
Ron fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Ähm… Zur Neutralisierung.“
„Wovon?“
„Der Säure der Doxy-Eier“, wisperte Hermine und hoffte, Ron damit zu helfen.
Ron hatte sie gehört. Snape leider auch.
Er zog überrascht eine Augenbraue nach oben. „Eins zu null für den Muggel.“
Hermine wusste nicht, ob sie sich darüber freuen oder ob es ihr peinlich sein sollte. Sie senkte den Blick und konzentrierte sich wieder auf die Zutaten auf dem Schneidebrett vor ihr. Sie nahm sich vor, in Zukunft den Mund zu halten. Das wäre wohl das Beste für alle Beteiligten. Vor allem für sie selbst.
Mit Fortschreiten des Zaubertranks entspannte Hermine sich allmählich. Sie fand es ungeheuer aufregend, beim Brauen mithelfen zu dürfen, und sog das neue Wissen und die ungewohnten Sinneseindrücke wie ein trockener Schwamm auf. Sie hörte aufmerksam zu, wenn Snape etwas erklärte und beobachtete ihn und Ron beim Brauen. Hermine durfte sich nur um die Zutaten kümmern. Das Brauen übernahmen die Zauberer, trotzdem trat sie neugierig an den Kessel heran, um einen Blick hineinzuwerfen. Mit geschlossenen Augen inhalierte sie die schimmernden Dämpfe, die aus dem Kessel aufstiegen. Sie rochen überraschend gut.
Sanft zog Ron sie an ihrem Ärmel zurück. „Das solltest du lieber nicht tun. Ein Junge in meinem Jahrgang hat das mal gemacht – war eine Mutprobe – und konnte dann den ganzen Tag nicht mehr aufhören zu kichern.“
Mit einem verlegenen Lächeln trat Hermine einen Schritt zurück. „Ich kümmere mich besser um die nächsten Zutaten.“ Sie warf einen Blick auf das Rezept und ging hinüber zum Regal. Ron starrte ihr mit offenem Mund hinterher.
„Du kannst – “, er unterbrach sich selbst und vergewisserte sich, dass Snape außer Hörweite war, „lesen?“
„Ja. Und keine Sorge, Snape weiß das bereits.“
Wie zur Bestätigung ihrer Worte blickte Snape in ihre Richtung. Seine Miene war unergründlich, doch für einen kurzen Moment meinte sie, ein amüsiertes Funkeln in seinen sonst so kalten Augen entdeckt zu haben. Schnell verdrängte sie den Gedanken wieder. Das Schnüffeln an den Dämpfen hatte ihr offensichtlich Halluzinationen beschert.
Kaum zwei Stunden später war der Zaubertrank fertig. Snape überprüfte eingehend die Konsistenz, die Farbe und den Geruch, ehe er sich seinen beiden unfreiwilligen Assistenten zuwandte. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. „Der Trank ist akzeptabel.“ Im Gegensatz zu ihm strahlten Hermine und Ron und waren erleichtert, dass ihnen der Trank gelungen war.
„Granger, zurück in die Küche. Deine Dienste werden hier nicht länger benötigt. Und falls dich jemand fragt, was du hier gemacht hast: Du hast geputzt... Und Sie, Weasley, füllen den Trank in Phiolen ab. Anschließend reinigen Sie hier alles gründlich.“
Tapfer versuchte Hermine sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, dass er sie einfach so in die Küche zurückschickte. Als wäre ihre Anwesenheit nicht länger erwünscht. Und wahrscheinlich war dem auch so.
Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und ging zu der Tür. Als ihre Hand auf der Klinke lag, warf sie noch einen Blick über die Schulter zurück. Trotz Snapes bitterbösen Kommentaren hatte sie zum ersten Mal seit Elsies Entlassung wieder ein wenig Spaß gehabt. Sie fing Rons Blick auf und erwiderte zaghaft sein Lächeln. Doch als sie bemerkte, dass Snape sie beobachtete, verließ sie rasch das Labor und eilte in die Küche zurück.
„Sie ist eine Muggel, Severus.“
Seine Mutter hatte schon immer die Gabe gehabt, das Offensichtliche auszusprechen. „Ja, und trotzdem ist sie recht hilfreich beim Brauen.“
„Beim Brauen? Muggel können keine Zaubertränke brauen.“
Da, schon wieder. Severus seufzte. Er legte seine Schreibfeder beiseite und schenkte seiner Mutter die Aufmerksamkeit, nach der sie so dringend verlangte. Obwohl der zu erledigende Aktenstapel auf seinem Schreibtisch eine besorgniserregende Höhe erreicht hatte, nahm er sich die Zeit für dieses Gespräch. Früher würde sie ihn nicht in Ruhe lassen. Seit einigen Wochen half Granger immer wieder im Labor. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis seine Mutter ihn darauf ansprechen würde.
„Das Mädchen bereitet die Zutaten vor, mehr nicht.“
„Aha. Und das kann der Junge nicht selbst? So, wie es jeder anständige Zaubertrankbrauer macht?“
„Weasley ist eine Niete.“
„Und das Muggel-Mädchen ist besser als er? Besser als ein Zauberer?“
Severus antwortete nicht sofort. Er dachte an die letzten Male zurück, an denen sie zu dritt gebraut hatten. Er würde nicht behaupten, dass Granger besser als Weasley wäre. Dazu fehlten ihr eindeutig das Wissen und die Routine. Aber sie hatte in der kurzen Zeit beachtliche Fortschritte gemacht. Sie hatte eindeutig Potenzial und mit der richtigen Förderung…
Würde das auch nichts ändern. Sie war ja nur eine Muggel – wie seine Mutter so treffend erkannt und Severus mal wieder für einen Augenblick vergessen hatte. Muggel oder reinblütige Hexe. Dazwischen gab es nichts mehr. Doch das Mädchen schien in keine der beiden Kategorien zu passen.
„Granger stellt sich geschickt an“, sagte er ausweichend.
„Ja, sie ist nicht auf den Kopf gefallen. Das ist mir nicht entgangen. Sie hat eine schnelle Auffassungsgabe. Trotzdem: Sie ist eine Muggel.“ Sie musterte ihren Sohn aufmerksam. „Oder gibt es da etwas, das ich erfahren sollte? Als deine Mutter?“
Im ersten Moment wusste Severus nicht, worauf sie hinauswollte, doch als der Knut bei ihm gefallen war, konnte er seine Entrüstung kaum verbergen.
„Mutter! Ich bin nicht Duncan, der allem hinterherläuft, was einen Rock trägt!“
Sie schmunzelte. „Gut, das beruhigt mich. Ungemein sogar. Es hätte mich auch überrascht, wenn du Hasenzähne und buschige Haare neuerdings attraktiv gefunden hättest.“
Severus verschränkte die Arme vor der Brust, blickte seine Mutter so abweisend an wie nur möglich und hoffte, dass sie ihn nun endlich in Ruhe ließe.
„Du bist mein Sohn und ich bin besorgt um dich. Das war ich schon immer, auch wenn… wenn es nicht immer leicht war…“
Die Vergangenheit war etwas, woran Severus nur ungern erinnert wurde, überhaupt jener Teil, den sie soeben angesprochen hatte. Demonstrativ wendete er sich deshalb wieder seinem Aktenstapel zu. Für ihn war das Gespräch damit beendet. Vor dem Schlafengehen wollte er noch ein paar Berichte lesen. Nur den neuesten Forschungsbericht von Heiler Jugson hob er sich für ein anderes Mal auf. Die schaurigen Details der abartigen Experimente im St. Mungo würden ihm sonst den Schlaf rauben.
„Ich bitte dich, Severus, hör auf damit. Es fällt auf, dass du das Mädchen zu dir holst. Neuerdings abends, wenn du aus dem Ministerium oder von wer weiß wo zurückkommst. Hör auf, bevor Gerüchte entstehen. Oder schlimmer noch: Bevor jemand dahinterkommt, für wen du Tränke braust.“
Severus setzte zu einer Antwort an, doch in dem Moment färbten sich das Feuer im Kamin hinter ihm smaragdgrün. Der braune Lockenschopf von Alvin Avery erschien in den Flammen.
„Guten Abend, Madame Snape… Severus, es tut mir leid, dass ich dich stören muss, aber es gab schon wieder einen Überfall.“
„Der Widerstand?“
Alvin nickte. Er hielt eine einzelne Phönixfeder in die Höhe.
Severus‘ Mutter schlug sich die Hand vor den Mund, während Severus von seinem Sessel aufsprang. Mit einem Schlenker seines Zauberstabs rief er seinen Umhang vom Garderobenständer herbei und schlüpfte hinein.
„Wer? Wo?“
„Halt dich fest: Bei Lucius. In seinem Anwesen.“
Nun hatte Lily endgültig den Verstand verloren.
„Gibt es Verletzte?“
Alvin gluckste vergnügt. „Ja, Lucius‘ Stolz.“
„Ich will mir das ansehen. Ich komme zu dir.“
„Ich bin schon vor Ort.“
Kaum trat Severus aus dem Kamin im Salon der Malfoys, da hörte er schon Lucius lamentieren. Bei ihm wusste man nie, ob seine Worte ernstgemeint waren oder ob er an einer neuen Pressemitteilung arbeitete:
„- Zeiten leben wir eigentlich? Wenn anständige Zauberer, nachts in ihren Betten überfallen werden? Wer kann da noch ruhig schlafen, wenn solche Verbrecher auf freiem Fuß herumlaufen?“ Er holte kurz Luft und fasste Alvin Avery scharf ins Auge, der mit gelangweilter Miene Lucius‘ Frust über sich ergehen ließ. „Und was macht eigentlich deine Polizeibrigarde? Hm? Außer in ihren hübschen roten Umhängen herumzustolzieren? Hast du nicht großspurig verkündet, dass du eine heiße Spur hast? Nichts als Angeberei! Ich frage mich, wer auf die dumme Idee gekommen ist, ausgerechnet dir so einen wichtigen Posten anzuvertrauen!“
„Ich“, sagte Severus laut und alle Augen waren plötzlich auf ihn gerichtet. Die anwesenden Zauberer der magischen Polizeibrigarde, die das Anwesen auf Spuren der Einbrecher untersuchten, nahmen sofort Haltung an und salutierten. Severus ließ sie kurz zappeln, nutzte den Moment, um sich einen Überblick zu verschaffen. „Weitermachen.“
Die Hexen und Zauberer in ihren blutroten Umhängen setzten ihre Arbeit umgehend fort und schienen sogar noch ein wenig gewissenhafter als zuvor nach magischen und nichtmagischen Spuren zu suchen. Severus war zwar nicht ihr direkter Vorgesetzter, aber die Hand des Dunklen Lords wollte niemand verärgern.
„Severus, mein Freund!“ Lucius eilte ihm entgegen und schüttelte ihm die Hand. „Danke, dass du gekommen bist. Narzissa ist außer sich vor Angst!“
Alvin nickte Severus grinsend zu, bevor er zu seinen Leuten ging und sich nach deren bisherigen Ermittlungsstand erkundigte.
„Ist Narzissa etwas passiert?“
„Nein, Salazar sei Dank! Aber stell dir vor, was alles hätte passieren können!“
Severus antwortete nicht. Auf so ein sinnloses Was-wäre-wenn ließ er sich gar nicht erst ein. Es führte zu nichts und verzerrte nur den Blick auf die Fakten.
„Was ist hier geschehen?“, fragte er stattdessen. Der Salon der Malfoys sah aus wie immer: prächtig, überladen und mit einem unverkennbaren Hang zum Kitsch.
„Ich war in meinem Arbeitszimmer, als ich ein Poltern gehört habe. Aus der Bibliothek. Zuerst habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Es hätten ja unsere Dienstmädchen sein können. Doch das Poltern wurde lauter. Dann hörte ich Stimmen. Deshalb ging ich nachsehen. Doch kaum habe ich die Tür aufgemacht, da kam mir schon ein Schockzauber entgegengeflogen.“
„Und dann hast du mutig gekämpft?“, fragte Alvin Avery feixend, der unbemerkt an sie herangetreten war. Seine braunen Augen funkelten bei Lucius‘ wütendem Gesichtsausdruck vergnügt.
„Das hätte ich, aber ich hatte ja meinen Zauberstab nicht dabei. Deshalb lief ich zurück und als ich wieder in der Bibliothek war, waren sie schon weg. Durchs Fenster geflohen.“
Für Severus klang das alles sehr seltsam. „Was haben deine Leute herausgefunden?“, wollte er von Alvin wissen.
Er schwang mit einer eleganten Handbewegung seinen Zauberstab und eine Pergamentrolle erschien vor ihm in der Luft. Die Notizen darauf las er vor:
„Keine Hinweise auf einen Einbruch. Alle Schutzzauber rund um das Grundstück waren noch aktiv, als wir hier eingetroffen sind. Es gibt auch keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen ins Haus. Das heißt, der oder die Täter wurden hereingelassen.“
„Unmöglich!“ Lucius schüttelte vehement den Kopf. „Es waren doch nur Narzissa und ich anwesend!“
„Und was ist mit deinen Hausmädchen? Oder deinen Hauselfen?“
Für einen Moment fehlten Lucius die Worte. Der Gedanke, von seinem eigenen Personal hintergangen worden zu sein, schien ihn völlig zu überrumpeln. Als er sich wieder gefangen hatte, zischte er: „Dobby!“
Mit einem lauten Knall erschien ein Hauself. Er war nur etwa kniehoch und trug einen Kissenbezug als einziges Kleidungsstück. Mit seiner piepsigen, aber sehr durchdringenden Stimme, fragte er: „Was kann Dobby für Euch tun, Sir?“ Mit seinen großen Augen, die Severus an Tennisbälle erinnerten, blickte er sich nervös um. So viele Zauberer bereiteten ihm sichtliches Unbehagen.
„Hol die Hausmädchen!“
Mit einer tiefen Verbeugung und einem weiteren Knall verschwand der Hauself.
„Wie viele Hausmädchen habt ihr?“, frage Alvin.
„Drei.“
Eine Feder erschien plötzlich in der Luft und machte eine Notiz auf der Pergamentrolle, die noch immer neben Alvin in der Luft schwebte.
Nur wenige Minuten später betraten zwei Frauen mittleren Alters am ganzen Leib zitternd den Salon. Sie waren in unförmige graue Kittel gehüllt. Als sie vor den Zauberern standen, machten sie einen tiefen Knicks und hielten ihre Blicke demütig gesenkt.
„Da fehlt eine“, stellte Alvin überflüssigerweise fest.
Lucius warf ihm einen vernichtenden Blick zu, erst dann wandte er sich an die Frauen. „Wo ist Fielding?“
„Terell weiß es nicht, Herr“, antwortete das erste Hausmädchen.
„O’Brien weiß es auch nicht, Herr.“
„Was heißt das, ihr wisst es nicht? Wann habt ihr Fielding das letzte Mal gesehen?“, fragte Lucius zunehmend wütend.
„O’Brien hat vor ungefähr einer Stunde mit ihr gesprochen. Fielding hat gesagt, dass sie in der Bibliothek noch putzen muss. O’Brien hat ihr das geglaubt und hat sie seitdem nicht mehr gesehen.“
Alvins Feder hatte jedes Wort der Hausmädchen mitgeschrieben. Er betrachtete die Frauen stirnrunzelnd. „Ihr könnt gehen“, sagte er, doch sie rührten sich nicht.
Erst, als Lucius sie mit einer ungeduldigen Handbewegung wegscheuchte, verließen sie den Salon.
„Deine Hausmädchen hören sich an wie Hauselfen“, gluckste Alvin vergnügt und steckte sich ein Bonbon in den Mund. „Ist irgendwie ulkig. Das sollte ich unseren auch beibringen.“
„Sie sind ja auch sowas wie Hauselfen, nicht wahr?… Nur eine Stufe darunter.“
In Severus‘ Augen war jetzt nicht der richtige Moment für ideologische Grundsatzdiskussionen. Sie mussten diesen Überfall aufklären. „Nun, dann wissen wir jetzt ja schon, wer sie hereingelassen hat. Dieses Hausmädchen namens Fielding. Vielleicht hat sie mit dem Phönix-Orden zusammengearbeitet. Möglicherweise schon vor ihrer Anstellung hier oder sie wurde erst später rekrutiert.“
„Oder gezwungen. Die Aufständischen hätten sie auch zwingen können, ihn zu helfen“, warf Alvin ein.
„Möglich. Deine Leute müssen ihren Hintergrund überprüfen. Familie, Freunde, Kontakte – das Übliche. Ist sie eine Muggel, Lucius?“
„Ja. Kein Fünkchen Magie im Leib, deshalb verstehe ich das nicht. Sie hatte es doch gut bei uns.“
Severus hob eine Augenbraue, sprach aber nicht das aus, was er sich dachte. „Diese Diebstähle häufen sich. Erst das Krankenhaus, dann die Überfälle auf Supermärkte und Banken…“
„Vergiss nicht die vielen Taschendiebstähle in letzter Zeit. Sie nehmen den Zauberern und Hexen die Zauberstäbe weg und ich verwette meinen eigenen darauf, dass diese ganzen Überfälle in Verbindung stehen.“
Was Alvin sagte, ergab durchaus Sinn für Severus. „Sie stehlen das, was sie brauchen.“, überlegte er laut. „Medizin, Nahrung, Geld und Zauberstäbe… Hast du nicht irgendwas von Grabschändungen erzählt?“
„Ja. Wir vermuten, dass die Rebellen dahinterstecken. Sie öffnen die Gräber und holen sich die Zauberstäbe der Toten.“
Auch das überraschte Severus nicht. Seit nur Reinblüter und Halbblüter einen Zauberstab kaufen und besitzen durften, waren die Preise für Zauberstäbe absichtlich erhöht worden, um den Erwerb für alle anderen unerschwinglich zu machen.
„Ich möchte die Bibliothek sehen. Wurde etwas gestohlen?“
Alvin und Lucius tauschten einen bedeutungsschweren Blick.
„Was?“, fragte Severus misstrauisch.
„Es wurde… es wurde alles gestohlen. Einfach alles. Alle Bücher“, erzählte Alvin langsam. „Wir gehen von einem ziemlich guten Schrumpfzauber aus, in Kombination mit einem unaufspürbaren Ausdehnungszauber.“
Ohne auf die anderen zu warten, ging Severus in die Bibliothek. Er war oft genug bei den Malfoys zu Gast gewesen, um den Weg zu kennen.
Alvin hatte Mühe, mit Severus Schritt zu halten. „Noch etwas ist anders. Diesmal haben sie eine Botschaft hinterlassen.“
„Das tun sie doch immer. Immer eine Phönixfeder.“
„Nein, diesmal… Sieh selbst.“
Es war ein merkwürdiger Anblick, der sich Severus in der Bibliothek bot: Leere Bücherregale so weit das Auge reichte. Schlagartig hatte der Raum seine heimelige Atmosphäre verloren. Er wirkte nun kahl und bedrückend.
Quer über die leeren Regale hatte jemand mit magischer Farbe ein einzelnes Wort geschrieben. Es schillerte in den unterschiedlichsten Farben. Wie ein Regenbogen.
LÜGNER!
„Ich weiß nicht, was sie mir damit sagen wollen“, behauptete Lucius.
Doch Severus wusste es. Lucius‘ Erfolgsmeldungen der letzten Wochen waren nichts weiter als Propaganda gewesen. Lügen, die die wahre Situation verschleiern sollten. Er ahnte, worauf sich die Botschaft bezog: Salisbury.
„Davon muss der Dunkle Lord erfahren“, sagte Severus.
„Nein, Severus! Das – auf keinen Fall!“
Überrascht hob Severus eine Augenbraue. „Du willst dem Dunklen Lord diesen Vorfall verheimlichen? Geheimnisse sind nicht anderes als Lügen, Lucius.“
„Bitte, ich flehe dich an, Severus! Bitte! Du kannst ihm von dem Einbruch berichten, von mir aus auch von der Botschaft, aber bitte – bitte – erwähne nicht, dass die Bücher gestohlen wurden.“
„Warum darf er das nicht erfahren?“
Lucius schluckte mühsam. Er kostete ihm sichtlich große Überwindung, die folgenden Worte auszusprechen: „Weil darunter auch ein Geschenk des Dunklen Lords war. Ein Buch, das er mir vor vielen Jahren anvertraut hat… Sein Tagebuch.“
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Wer etwas über Severus' Anfänge und seine Zeit als junger Todesser erfahren möchte, sollte unbedingt einen Blick in meine FF Dunkle Jahre werfen, die übrigens auch für den HP-Award nominiert wurde *freu*
Nächsten Donnerstag geht's hier weiter :-) Und ich möchte mich an dieser Stelle herzlich für das Interesse an der "Muggeline" bedanken! Ihr seid ein Wahnsinn! So viele Herzen, Sternchen und nette Kommentare! Vielen, vielen Dank!
Zuerst hatte Hermine überlegt, den Gedichtband in die Bibliothek zurückzubringen. Der Grund dafür war recht simpel: Weil man Zauberern nicht trauen durfte.
Das „Geschenk“ war möglicherweise eine Falle. Snape musste nur ihr Zimmer durchsuchen lassen und schon hätte er einen Vorwand, sie höchstpersönlich in der Singenden Sirene abzuliefern. Schließlich war es Muggeln verboten, Bücher zu besitzen. Er würde bestimmt nicht zugeben, dass er ihr das Büchlein geschenkt hatte. Und wer würde schon einer Muggel glauben, die behauptete, dass ausgerechnet Snape gegen seine eigenen Gesetze verstieß?
Nach allem, was sie über ihn wusste, traute sie ihm das durchaus zu.
Aber dann waren Hermine Zweifel gekommen. Nicht an Snapes Absichten oder seinem verwerflichen Charakter, sondern lediglich an der Tatsache, dass Zauberer einen Vorwand brauchten, um einen unliebsamen Muggel loszuwerden. Den brauchten sie nicht. Deshalb kam Hermine zu dem Schluss, dass der Gedichtband auf ihrem Bett doch nichts anderes als Snapes seltsame Art war, Danke zu sagen. Immerhin hatte sie ihm geholfen, seine Wunde zu versorgen. Den Gedanken, dass sie indirekt schuld daran war, dass es überhaupt zu dem Unglück gekommen war, ignorierte sie für den Moment.
Bis spät in die Nacht las Hermine in dem Büchlein. Am darauffolgenden Morgen war sie entsprechend unausgeschlafen, was Mrs Cole nicht entging. Die Küchenchefin nahm darauf jedoch keine Rücksicht. Sie halste Hermine jede Menge Arbeiten auf, die sie bis zum Nachmittag auf Trab halten würden.
Nachdem das Frühstück für die Snapes im Esszimmer angerichtet worden war, durfte Hermine eine kurze Pause machen. Sie trank eine weitere Tasse Kaffee, aß nachdenklich eine Scheibe Toast und wippte mit dem Fuß zum Takt der Musik aus dem Radio, als Snape die Küche betrat. Hermine und alle anderen Bediensteten in der Küche erstarrten in ihren Bewegungen. Der Hausherr hatte sich noch nie nach unten verirrt. Das hatte bestimmt nichts Gutes zu bedeuten. Alle schienen gespannt die Luft anzuhalten.
Snape sagte nichts. Sein kalter Blick schweifte durch die Küche. Es war offensichtlich, dass ihn nicht die bereits laufenden Vorbereitungen für das Mittagessen interessierten. Er suchte etwas. Oder jemandem.
„Du. Mitkommen“, sagte er an Hermine gewandt und war so schnell wieder aus der Küche verschwunden, wie er gekommen war.
Mühsam würgte Hermine das Stück Toast in einem Mund hinunter. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
„Geh! Du darfst ihn nicht warten lassen!“, sagte Mrs Cole und scheuchte sie aus der Küche.
Hermine hatte kein gutes Gefühl dabei, als sie Snape hinterherlief. Ging es um den Gedichtband? War er doch eine Falle gewesen? Sie wagte es nicht, Snape anzusprechen. Was auch immer er von ihr wollte, sie würde es bald erfahren. Kein einziges Mal warf er einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass sie ihm folgte. Er war es gewohnt, dass seine Befehle befolgt wurden.
Snape öffnete die Tür zu seinem Labor und hielt sie ihr auf. Zögerlich kam Hermine dieser stummen Aufforderung nach und betrat jenen Raum, von dem sie gestern noch geschworen hatte, ihn nie wieder zu betreten. So schnell konnte es gehen. Alles im Labor sah so aus wie gestern. Ein leichter Brandgeruch hing noch in der Luft.
Zu ihrer Erleichterung bemerkte Hermine, dass Ron ebenfalls anwesend war. Dann konnte es gar nicht so schlimm werden, hoffte sie.
„Nun, Weasley. Das ist die Person, die auf Anhieb einen besseren Sud zustande gebracht hat als Sie nach fünf Anläufen.“
Rons Ohren nahmen einen dunklen Rotton an, der sich schrecklich mit seinen roten Haaren biss. Seine freundliche Miene wurde zusehends abweisend.
Beschämt senkte Hermine den Kopf. Dafür hatte Snape sie also hergebracht: Um Ron zu demütigen.
„Schlecht in Zaubertränken zu sein, ist eine Sache. Aber schlechter als ein Muggel zu sein, ist eine beachtliche Leistung.“ Snapes Stimme triefte nur so vor Hohn.
Zu gerne hätte Hermine etwas gesagt, gegen diese Ungerechtigkeit protestiert, doch die Angst vor einer weiteren Bestrafung versiegelte ihre Lippen. Verstohlen warf sie Ron einen Blick zu. Sein Gesicht war dunkelrot und er hatte die Hände zu Fäusten geballt. Auch er schien sich nur mit Mühe davon abhalten zu können, Snape eine freche Antwort zu geben.
Das hämische Grinsen auf Snapes dünnen Lippen machte deutlich, wie sehr er diese Situation genoss und das unfaire Machtgefälle auskostete. „Sieben Jahre magische Ausbildung verschwendet. Eine Tragödie.“
„Wenn sie so gut ist, dann lassen Sie doch Hermine die Tränke brauen“, zischte Ron.
„Soso… Hermine… So weit sind wir also schon? Ja? Typisch Blutsverräter…“
Snape wandte seine Aufmerksamkeit nun Hermine zu. Am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst. Trotzdem hielt sie dem Blick seiner schwarzen Augen stand, die sie auf eine Art und Weise musterten, die ihr ein flaues Gefühl im Magen bescherte.
„Das ist keine so schlechte Idee, Weasley, obwohl sie von Ihnen kommt.“
Hermine traute ihren Ohren nicht. Sie, ausgerechnet sie, sollte einen Zaubertrank brauen? Ron sah genauso verwirrt aus. Nur Snape schien sich prächtig zu amüsieren. Er zückte seinen Zauberstab, murmelte ein paar Worte und der Kessel war plötzlich doppelt so groß.
„Granger kümmert sich um die Zutaten. Zuerst müssen die Alraunenwurzeln in Würfel geschnitten werden. So wie gestern. Und Sie, Weasley, brauen den Trank. Unter meiner Aufsicht natürlich. Vielleicht geschieht ja doch noch ein Wunder und Sie schaffen es irgendwann, den Trank fehlerlos zu brauen. Dann können wir uns den wirklich herausfordernden Tränken zuwenden. Na los, fangen Sie an. Doppeltes Kesselvolumen verlangte die doppelte Zutatenmenge, aber“, er hob warnend den Zeigefinger und legte eine dramatische Pause ein, „nicht die doppelte Zubereitungszeit.“
Hermines Hände zitterten, als sie das kurze Messer in die Hand nahm und mit dem Zerkleinern der Zutaten begann. In der Küche hatte sie in den letzten Monaten genug Erfahrung gesammelt. Sie atmete einmal tief durch, trotzdem legte sich ihre Nervosität nicht. Snape konnte das doch unmöglich ernst meinen? Vielleicht war das alles nur ein Traum? In einem unbeobachteten Moment piekte sie sich selbst die Messerspitze in den Handrücken. Es tat weh. Also doch kein Traum.
„Ich hab’s nicht so gemeint“, flüsterte Ron, als er auf dem Weg zum Zutatenregal an ihr vorbeikam.
„Schon okay“, antwortete sie ebenso leise.
Keine Sekunde ließ Snape Hermine und Ron aus den Augen. Jeden noch so kleinen Fehler kommentierte er auf seine bissige Art und sparte auch zwischendurch nicht mit Spott und Hohn, wenn sie etwas richtig gemacht hatten.
„Es braucht also die Hilfe eines Muggels, damit Sie einen halbwegs brauchbaren Zaubertranksud zustande bringen.“ Snape rührte die Flüssigkeit in dem Kessel um. „Haben Sie das Rezept gelernt? Was jetzt, Weasley?“
„Ja, Sir. Im nächsten Arbeitsschritt werden Feenflügel, Blutegelsaft und dann die Doxy-Eier hinzugefügt.“
„Und warum werden die Doxy-Eier zum Schluss hinzugefügt?“
Ron fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Ähm… Zur Neutralisierung.“
„Wovon?“
„Der Säure der Doxy-Eier“, wisperte Hermine und hoffte, Ron damit zu helfen.
Ron hatte sie gehört. Snape leider auch.
Er zog überrascht eine Augenbraue nach oben. „Eins zu null für den Muggel.“
Hermine wusste nicht, ob sie sich darüber freuen oder ob es ihr peinlich sein sollte. Sie senkte den Blick und konzentrierte sich wieder auf die Zutaten auf dem Schneidebrett vor ihr. Sie nahm sich vor, in Zukunft den Mund zu halten. Das wäre wohl das Beste für alle Beteiligten. Vor allem für sie selbst.
Mit Fortschreiten des Zaubertranks entspannte Hermine sich allmählich. Sie fand es ungeheuer aufregend, beim Brauen mithelfen zu dürfen, und sog das neue Wissen und die ungewohnten Sinneseindrücke wie ein trockener Schwamm auf. Sie hörte aufmerksam zu, wenn Snape etwas erklärte und beobachtete ihn und Ron beim Brauen. Hermine durfte sich nur um die Zutaten kümmern. Das Brauen übernahmen die Zauberer, trotzdem trat sie neugierig an den Kessel heran, um einen Blick hineinzuwerfen. Mit geschlossenen Augen inhalierte sie die schimmernden Dämpfe, die aus dem Kessel aufstiegen. Sie rochen überraschend gut.
Sanft zog Ron sie an ihrem Ärmel zurück. „Das solltest du lieber nicht tun. Ein Junge in meinem Jahrgang hat das mal gemacht – war eine Mutprobe – und konnte dann den ganzen Tag nicht mehr aufhören zu kichern.“
Mit einem verlegenen Lächeln trat Hermine einen Schritt zurück. „Ich kümmere mich besser um die nächsten Zutaten.“ Sie warf einen Blick auf das Rezept und ging hinüber zum Regal. Ron starrte ihr mit offenem Mund hinterher.
„Du kannst – “, er unterbrach sich selbst und vergewisserte sich, dass Snape außer Hörweite war, „lesen?“
„Ja. Und keine Sorge, Snape weiß das bereits.“
Wie zur Bestätigung ihrer Worte blickte Snape in ihre Richtung. Seine Miene war unergründlich, doch für einen kurzen Moment meinte sie, ein amüsiertes Funkeln in seinen sonst so kalten Augen entdeckt zu haben. Schnell verdrängte sie den Gedanken wieder. Das Schnüffeln an den Dämpfen hatte ihr offensichtlich Halluzinationen beschert.
Kaum zwei Stunden später war der Zaubertrank fertig. Snape überprüfte eingehend die Konsistenz, die Farbe und den Geruch, ehe er sich seinen beiden unfreiwilligen Assistenten zuwandte. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. „Der Trank ist akzeptabel.“ Im Gegensatz zu ihm strahlten Hermine und Ron und waren erleichtert, dass ihnen der Trank gelungen war.
„Granger, zurück in die Küche. Deine Dienste werden hier nicht länger benötigt. Und falls dich jemand fragt, was du hier gemacht hast: Du hast geputzt... Und Sie, Weasley, füllen den Trank in Phiolen ab. Anschließend reinigen Sie hier alles gründlich.“
Tapfer versuchte Hermine sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, dass er sie einfach so in die Küche zurückschickte. Als wäre ihre Anwesenheit nicht länger erwünscht. Und wahrscheinlich war dem auch so.
Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und ging zu der Tür. Als ihre Hand auf der Klinke lag, warf sie noch einen Blick über die Schulter zurück. Trotz Snapes bitterbösen Kommentaren hatte sie zum ersten Mal seit Elsies Entlassung wieder ein wenig Spaß gehabt. Sie fing Rons Blick auf und erwiderte zaghaft sein Lächeln. Doch als sie bemerkte, dass Snape sie beobachtete, verließ sie rasch das Labor und eilte in die Küche zurück.
***
„Sie ist eine Muggel, Severus.“
Seine Mutter hatte schon immer die Gabe gehabt, das Offensichtliche auszusprechen. „Ja, und trotzdem ist sie recht hilfreich beim Brauen.“
„Beim Brauen? Muggel können keine Zaubertränke brauen.“
Da, schon wieder. Severus seufzte. Er legte seine Schreibfeder beiseite und schenkte seiner Mutter die Aufmerksamkeit, nach der sie so dringend verlangte. Obwohl der zu erledigende Aktenstapel auf seinem Schreibtisch eine besorgniserregende Höhe erreicht hatte, nahm er sich die Zeit für dieses Gespräch. Früher würde sie ihn nicht in Ruhe lassen. Seit einigen Wochen half Granger immer wieder im Labor. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis seine Mutter ihn darauf ansprechen würde.
„Das Mädchen bereitet die Zutaten vor, mehr nicht.“
„Aha. Und das kann der Junge nicht selbst? So, wie es jeder anständige Zaubertrankbrauer macht?“
„Weasley ist eine Niete.“
„Und das Muggel-Mädchen ist besser als er? Besser als ein Zauberer?“
Severus antwortete nicht sofort. Er dachte an die letzten Male zurück, an denen sie zu dritt gebraut hatten. Er würde nicht behaupten, dass Granger besser als Weasley wäre. Dazu fehlten ihr eindeutig das Wissen und die Routine. Aber sie hatte in der kurzen Zeit beachtliche Fortschritte gemacht. Sie hatte eindeutig Potenzial und mit der richtigen Förderung…
Würde das auch nichts ändern. Sie war ja nur eine Muggel – wie seine Mutter so treffend erkannt und Severus mal wieder für einen Augenblick vergessen hatte. Muggel oder reinblütige Hexe. Dazwischen gab es nichts mehr. Doch das Mädchen schien in keine der beiden Kategorien zu passen.
„Granger stellt sich geschickt an“, sagte er ausweichend.
„Ja, sie ist nicht auf den Kopf gefallen. Das ist mir nicht entgangen. Sie hat eine schnelle Auffassungsgabe. Trotzdem: Sie ist eine Muggel.“ Sie musterte ihren Sohn aufmerksam. „Oder gibt es da etwas, das ich erfahren sollte? Als deine Mutter?“
Im ersten Moment wusste Severus nicht, worauf sie hinauswollte, doch als der Knut bei ihm gefallen war, konnte er seine Entrüstung kaum verbergen.
„Mutter! Ich bin nicht Duncan, der allem hinterherläuft, was einen Rock trägt!“
Sie schmunzelte. „Gut, das beruhigt mich. Ungemein sogar. Es hätte mich auch überrascht, wenn du Hasenzähne und buschige Haare neuerdings attraktiv gefunden hättest.“
Severus verschränkte die Arme vor der Brust, blickte seine Mutter so abweisend an wie nur möglich und hoffte, dass sie ihn nun endlich in Ruhe ließe.
„Du bist mein Sohn und ich bin besorgt um dich. Das war ich schon immer, auch wenn… wenn es nicht immer leicht war…“
Die Vergangenheit war etwas, woran Severus nur ungern erinnert wurde, überhaupt jener Teil, den sie soeben angesprochen hatte. Demonstrativ wendete er sich deshalb wieder seinem Aktenstapel zu. Für ihn war das Gespräch damit beendet. Vor dem Schlafengehen wollte er noch ein paar Berichte lesen. Nur den neuesten Forschungsbericht von Heiler Jugson hob er sich für ein anderes Mal auf. Die schaurigen Details der abartigen Experimente im St. Mungo würden ihm sonst den Schlaf rauben.
„Ich bitte dich, Severus, hör auf damit. Es fällt auf, dass du das Mädchen zu dir holst. Neuerdings abends, wenn du aus dem Ministerium oder von wer weiß wo zurückkommst. Hör auf, bevor Gerüchte entstehen. Oder schlimmer noch: Bevor jemand dahinterkommt, für wen du Tränke braust.“
Severus setzte zu einer Antwort an, doch in dem Moment färbten sich das Feuer im Kamin hinter ihm smaragdgrün. Der braune Lockenschopf von Alvin Avery erschien in den Flammen.
„Guten Abend, Madame Snape… Severus, es tut mir leid, dass ich dich stören muss, aber es gab schon wieder einen Überfall.“
„Der Widerstand?“
Alvin nickte. Er hielt eine einzelne Phönixfeder in die Höhe.
Severus‘ Mutter schlug sich die Hand vor den Mund, während Severus von seinem Sessel aufsprang. Mit einem Schlenker seines Zauberstabs rief er seinen Umhang vom Garderobenständer herbei und schlüpfte hinein.
„Wer? Wo?“
„Halt dich fest: Bei Lucius. In seinem Anwesen.“
Nun hatte Lily endgültig den Verstand verloren.
„Gibt es Verletzte?“
Alvin gluckste vergnügt. „Ja, Lucius‘ Stolz.“
„Ich will mir das ansehen. Ich komme zu dir.“
„Ich bin schon vor Ort.“
***
Kaum trat Severus aus dem Kamin im Salon der Malfoys, da hörte er schon Lucius lamentieren. Bei ihm wusste man nie, ob seine Worte ernstgemeint waren oder ob er an einer neuen Pressemitteilung arbeitete:
„- Zeiten leben wir eigentlich? Wenn anständige Zauberer, nachts in ihren Betten überfallen werden? Wer kann da noch ruhig schlafen, wenn solche Verbrecher auf freiem Fuß herumlaufen?“ Er holte kurz Luft und fasste Alvin Avery scharf ins Auge, der mit gelangweilter Miene Lucius‘ Frust über sich ergehen ließ. „Und was macht eigentlich deine Polizeibrigarde? Hm? Außer in ihren hübschen roten Umhängen herumzustolzieren? Hast du nicht großspurig verkündet, dass du eine heiße Spur hast? Nichts als Angeberei! Ich frage mich, wer auf die dumme Idee gekommen ist, ausgerechnet dir so einen wichtigen Posten anzuvertrauen!“
„Ich“, sagte Severus laut und alle Augen waren plötzlich auf ihn gerichtet. Die anwesenden Zauberer der magischen Polizeibrigarde, die das Anwesen auf Spuren der Einbrecher untersuchten, nahmen sofort Haltung an und salutierten. Severus ließ sie kurz zappeln, nutzte den Moment, um sich einen Überblick zu verschaffen. „Weitermachen.“
Die Hexen und Zauberer in ihren blutroten Umhängen setzten ihre Arbeit umgehend fort und schienen sogar noch ein wenig gewissenhafter als zuvor nach magischen und nichtmagischen Spuren zu suchen. Severus war zwar nicht ihr direkter Vorgesetzter, aber die Hand des Dunklen Lords wollte niemand verärgern.
„Severus, mein Freund!“ Lucius eilte ihm entgegen und schüttelte ihm die Hand. „Danke, dass du gekommen bist. Narzissa ist außer sich vor Angst!“
Alvin nickte Severus grinsend zu, bevor er zu seinen Leuten ging und sich nach deren bisherigen Ermittlungsstand erkundigte.
„Ist Narzissa etwas passiert?“
„Nein, Salazar sei Dank! Aber stell dir vor, was alles hätte passieren können!“
Severus antwortete nicht. Auf so ein sinnloses Was-wäre-wenn ließ er sich gar nicht erst ein. Es führte zu nichts und verzerrte nur den Blick auf die Fakten.
„Was ist hier geschehen?“, fragte er stattdessen. Der Salon der Malfoys sah aus wie immer: prächtig, überladen und mit einem unverkennbaren Hang zum Kitsch.
„Ich war in meinem Arbeitszimmer, als ich ein Poltern gehört habe. Aus der Bibliothek. Zuerst habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Es hätten ja unsere Dienstmädchen sein können. Doch das Poltern wurde lauter. Dann hörte ich Stimmen. Deshalb ging ich nachsehen. Doch kaum habe ich die Tür aufgemacht, da kam mir schon ein Schockzauber entgegengeflogen.“
„Und dann hast du mutig gekämpft?“, fragte Alvin Avery feixend, der unbemerkt an sie herangetreten war. Seine braunen Augen funkelten bei Lucius‘ wütendem Gesichtsausdruck vergnügt.
„Das hätte ich, aber ich hatte ja meinen Zauberstab nicht dabei. Deshalb lief ich zurück und als ich wieder in der Bibliothek war, waren sie schon weg. Durchs Fenster geflohen.“
Für Severus klang das alles sehr seltsam. „Was haben deine Leute herausgefunden?“, wollte er von Alvin wissen.
Er schwang mit einer eleganten Handbewegung seinen Zauberstab und eine Pergamentrolle erschien vor ihm in der Luft. Die Notizen darauf las er vor:
„Keine Hinweise auf einen Einbruch. Alle Schutzzauber rund um das Grundstück waren noch aktiv, als wir hier eingetroffen sind. Es gibt auch keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen ins Haus. Das heißt, der oder die Täter wurden hereingelassen.“
„Unmöglich!“ Lucius schüttelte vehement den Kopf. „Es waren doch nur Narzissa und ich anwesend!“
„Und was ist mit deinen Hausmädchen? Oder deinen Hauselfen?“
Für einen Moment fehlten Lucius die Worte. Der Gedanke, von seinem eigenen Personal hintergangen worden zu sein, schien ihn völlig zu überrumpeln. Als er sich wieder gefangen hatte, zischte er: „Dobby!“
Mit einem lauten Knall erschien ein Hauself. Er war nur etwa kniehoch und trug einen Kissenbezug als einziges Kleidungsstück. Mit seiner piepsigen, aber sehr durchdringenden Stimme, fragte er: „Was kann Dobby für Euch tun, Sir?“ Mit seinen großen Augen, die Severus an Tennisbälle erinnerten, blickte er sich nervös um. So viele Zauberer bereiteten ihm sichtliches Unbehagen.
„Hol die Hausmädchen!“
Mit einer tiefen Verbeugung und einem weiteren Knall verschwand der Hauself.
„Wie viele Hausmädchen habt ihr?“, frage Alvin.
„Drei.“
Eine Feder erschien plötzlich in der Luft und machte eine Notiz auf der Pergamentrolle, die noch immer neben Alvin in der Luft schwebte.
Nur wenige Minuten später betraten zwei Frauen mittleren Alters am ganzen Leib zitternd den Salon. Sie waren in unförmige graue Kittel gehüllt. Als sie vor den Zauberern standen, machten sie einen tiefen Knicks und hielten ihre Blicke demütig gesenkt.
„Da fehlt eine“, stellte Alvin überflüssigerweise fest.
Lucius warf ihm einen vernichtenden Blick zu, erst dann wandte er sich an die Frauen. „Wo ist Fielding?“
„Terell weiß es nicht, Herr“, antwortete das erste Hausmädchen.
„O’Brien weiß es auch nicht, Herr.“
„Was heißt das, ihr wisst es nicht? Wann habt ihr Fielding das letzte Mal gesehen?“, fragte Lucius zunehmend wütend.
„O’Brien hat vor ungefähr einer Stunde mit ihr gesprochen. Fielding hat gesagt, dass sie in der Bibliothek noch putzen muss. O’Brien hat ihr das geglaubt und hat sie seitdem nicht mehr gesehen.“
Alvins Feder hatte jedes Wort der Hausmädchen mitgeschrieben. Er betrachtete die Frauen stirnrunzelnd. „Ihr könnt gehen“, sagte er, doch sie rührten sich nicht.
Erst, als Lucius sie mit einer ungeduldigen Handbewegung wegscheuchte, verließen sie den Salon.
„Deine Hausmädchen hören sich an wie Hauselfen“, gluckste Alvin vergnügt und steckte sich ein Bonbon in den Mund. „Ist irgendwie ulkig. Das sollte ich unseren auch beibringen.“
„Sie sind ja auch sowas wie Hauselfen, nicht wahr?… Nur eine Stufe darunter.“
In Severus‘ Augen war jetzt nicht der richtige Moment für ideologische Grundsatzdiskussionen. Sie mussten diesen Überfall aufklären. „Nun, dann wissen wir jetzt ja schon, wer sie hereingelassen hat. Dieses Hausmädchen namens Fielding. Vielleicht hat sie mit dem Phönix-Orden zusammengearbeitet. Möglicherweise schon vor ihrer Anstellung hier oder sie wurde erst später rekrutiert.“
„Oder gezwungen. Die Aufständischen hätten sie auch zwingen können, ihn zu helfen“, warf Alvin ein.
„Möglich. Deine Leute müssen ihren Hintergrund überprüfen. Familie, Freunde, Kontakte – das Übliche. Ist sie eine Muggel, Lucius?“
„Ja. Kein Fünkchen Magie im Leib, deshalb verstehe ich das nicht. Sie hatte es doch gut bei uns.“
Severus hob eine Augenbraue, sprach aber nicht das aus, was er sich dachte. „Diese Diebstähle häufen sich. Erst das Krankenhaus, dann die Überfälle auf Supermärkte und Banken…“
„Vergiss nicht die vielen Taschendiebstähle in letzter Zeit. Sie nehmen den Zauberern und Hexen die Zauberstäbe weg und ich verwette meinen eigenen darauf, dass diese ganzen Überfälle in Verbindung stehen.“
Was Alvin sagte, ergab durchaus Sinn für Severus. „Sie stehlen das, was sie brauchen.“, überlegte er laut. „Medizin, Nahrung, Geld und Zauberstäbe… Hast du nicht irgendwas von Grabschändungen erzählt?“
„Ja. Wir vermuten, dass die Rebellen dahinterstecken. Sie öffnen die Gräber und holen sich die Zauberstäbe der Toten.“
Auch das überraschte Severus nicht. Seit nur Reinblüter und Halbblüter einen Zauberstab kaufen und besitzen durften, waren die Preise für Zauberstäbe absichtlich erhöht worden, um den Erwerb für alle anderen unerschwinglich zu machen.
„Ich möchte die Bibliothek sehen. Wurde etwas gestohlen?“
Alvin und Lucius tauschten einen bedeutungsschweren Blick.
„Was?“, fragte Severus misstrauisch.
„Es wurde… es wurde alles gestohlen. Einfach alles. Alle Bücher“, erzählte Alvin langsam. „Wir gehen von einem ziemlich guten Schrumpfzauber aus, in Kombination mit einem unaufspürbaren Ausdehnungszauber.“
Ohne auf die anderen zu warten, ging Severus in die Bibliothek. Er war oft genug bei den Malfoys zu Gast gewesen, um den Weg zu kennen.
Alvin hatte Mühe, mit Severus Schritt zu halten. „Noch etwas ist anders. Diesmal haben sie eine Botschaft hinterlassen.“
„Das tun sie doch immer. Immer eine Phönixfeder.“
„Nein, diesmal… Sieh selbst.“
Es war ein merkwürdiger Anblick, der sich Severus in der Bibliothek bot: Leere Bücherregale so weit das Auge reichte. Schlagartig hatte der Raum seine heimelige Atmosphäre verloren. Er wirkte nun kahl und bedrückend.
Quer über die leeren Regale hatte jemand mit magischer Farbe ein einzelnes Wort geschrieben. Es schillerte in den unterschiedlichsten Farben. Wie ein Regenbogen.
LÜGNER!
„Ich weiß nicht, was sie mir damit sagen wollen“, behauptete Lucius.
Doch Severus wusste es. Lucius‘ Erfolgsmeldungen der letzten Wochen waren nichts weiter als Propaganda gewesen. Lügen, die die wahre Situation verschleiern sollten. Er ahnte, worauf sich die Botschaft bezog: Salisbury.
„Davon muss der Dunkle Lord erfahren“, sagte Severus.
„Nein, Severus! Das – auf keinen Fall!“
Überrascht hob Severus eine Augenbraue. „Du willst dem Dunklen Lord diesen Vorfall verheimlichen? Geheimnisse sind nicht anderes als Lügen, Lucius.“
„Bitte, ich flehe dich an, Severus! Bitte! Du kannst ihm von dem Einbruch berichten, von mir aus auch von der Botschaft, aber bitte – bitte – erwähne nicht, dass die Bücher gestohlen wurden.“
„Warum darf er das nicht erfahren?“
Lucius schluckte mühsam. Er kostete ihm sichtlich große Überwindung, die folgenden Worte auszusprechen: „Weil darunter auch ein Geschenk des Dunklen Lords war. Ein Buch, das er mir vor vielen Jahren anvertraut hat… Sein Tagebuch.“
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Wer etwas über Severus' Anfänge und seine Zeit als junger Todesser erfahren möchte, sollte unbedingt einen Blick in meine FF Dunkle Jahre werfen, die übrigens auch für den HP-Award nominiert wurde *freu*
Nächsten Donnerstag geht's hier weiter :-) Und ich möchte mich an dieser Stelle herzlich für das Interesse an der "Muggeline" bedanken! Ihr seid ein Wahnsinn! So viele Herzen, Sternchen und nette Kommentare! Vielen, vielen Dank!