Ausnahmezustand
von Bibi77
Kurzbeschreibung
Ein Mann dreht durch und sorgt für Chaos. Mitten drin: Richie Moser. Dabei wollte er eigentlich nur schnell Farbe für das künftige Kinderzimmer holen… [Knüpft an "Kabale, Mord und Diebe" an, Vorablektüre ist aber nicht nötig]
GeschichteAngst, Familie / P12 / Het
Ernst "Stocki" Stockinger
OC (Own Character)
Peter Höllerer
Rex
Richard "Richie" Moser
10.08.2021
26.08.2021
6
11.155
5
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10.08.2021
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Eine Stadt hält den Atem an.
Schon seit Tagen hängt eine Hitzeglocke mit Temperaturen über 30 Grad über Wien. Auf den belebten Straßen und Plätzen, in den Kaffeehäusern und Parks schwitzen Einheimische wie Touristen in der stickig-schwülen Luft, in einem kleinen Einfamilienhaus im Wiener Gürtel Polizist Richard Moser, Freundin Sonja und Schäferhund Rex bei der Renovierung des künftigen Kinderzimmers.
Es ist letztlich doch eine Last-Minute-Aktion geworden. Immer wieder haben die werdenden Eltern das Vorhaben erst aufgeschoben, dann aufschieben müssen. Eine Vertretung für Sonjas Tierarztpraxis hatte gefunden und eingearbeitet, ihre Wohnung gekündigt und geräumt werden müssen, parallel sind Moser und Rex von einer Mordserie im Rotlichtmilieu und einem Raubmord auf Trab gehalten worden. Nun bleibt ihnen nur noch eine knappe Woche bis zum errechneten Geburtstermin, wenn sie Pech haben, sogar noch weniger – und es steht noch nicht einmal ein aufgebautes Kinderbett im Schlafzimmer.
Mit Hochdruck pinselt Moser helles Orange an die große Wand, an der Sonja später noch große Tierbilder aufhängen will. Neutrale Farben, das hat sie sich so gewünscht, auch wenn sie mittlerweile schon wissen, dass es ein Mädchen wird. Sonja hat sich sehr über diese Nachricht gefreut: Nun ist sie geschlechtertechnisch bald nicht mehr in der Unterzahl. Und auch Moser freut sich: Mit Mädchen kann er ja bekanntermaßen besonders gut und die Hauptsache ist ja sowieso, es geht alles gut und das Kind ist gesund, wie man so schön sagt.
Nur beim Namen, da sind sie sich noch nicht einig geworden, ob nun kurz oder lang, klassisch oder modern, mit oder ohne tiefere Bedeutung…
An der gegenüberliegenden Wand, die schon fertig gestrichen und getrocknet ist, räumen Sonja und Rex schon Kleiderschrank und Wickelkommode ein. Weil Sonja sich nach fast neun Monaten mit dem Zwerg unter den Rippen nicht mehr so gut bücken kann, reicht Rex ihr Windeln, Puder und Cremes herauf.
Alle Drei arbeiten stumm vor sich hin und hängen ihren Gedanken nach. Rex träumt von einem kühlen, schattigen Plätzchen, Richard von einem Sprung in irgendeinen See und Sonja davon, endlich mit hochgelegten Beinen in einem Krankenhausbett zu liegen und das Kind in den Armen zu halten, das ihr mit seinem Gewicht und, vor allem, seiner ausdauernden Lebhaftigkeit inzwischen ordentlich zu schaffen macht. Derweil spielen sie im Radio einen Sommerhit nach dem anderen und der Wettermoderator verspricht für den Nachmittag ein Gewitter mit noch mehr Luftfeuchtigkeit und tropischen Temperaturen.
„Das is wirklich keine gute Jahreszeit für eine fortgeschrittene Schwangerschaft“, meint Sonja, während sie sich mit einer Packung Feuchttücher etwas Luft zufächelt und versucht, ihren schmerzenden Rücken etwas zu dehnen. Sofort spürt sie Richards Blicke auf sich gerichtet.
„Mach eine Pause, Sonja!“, bittet er und schmeißt den Pinsel in den Farbeimer. „Ich muss sowieso noch amal in den Baumarkt. Die Farbe is alle.“
Sonja blickt auf die Wand, die halb orange und noch halb grau vom Putz ist. Das kann so wirklich nicht bleiben. „Na schön. Dann sortier‘ ich derweil die Babywäsche. Das kann ich ja zum Glück auch im Sitzen machen.“ Sie zwingt sich zu einem Lächeln, damit Richard sich keine Sorgen macht.
Während er durch das Haus wuselt, in ein sauberes dunkelblaues Achselshirt und Turnschuhe schlüpft und den Autoschlüssel sucht, macht sich auf einmal ein ganz ungutes Gefühl in Sonja breit, an dem nicht nur die heftigen Tritte schuld sind, mit dem die Kleine gerade ihre Nieren bearbeitet. Am liebsten hätte sie Richard sofort gebeten, nicht zu fahren, doch im nächsten Moment lässt dieses beklemmende Gefühl auch schon wieder nach und es geht ihr besser.
„Den Rex lass‘ ich dir da“, sagt Richard an der Haustür. „Für den is es eh zu warm im Auto.“
„Sieht auch nicht so aus, als wollte er mitkommen“, meint Sonja mit Blick in den Vorgarten, wo Rex bereits in das Planschbecken gehüpft ist, das Richard ihm aufgepustet hat. „Aber nimm wenigstens das Telefon mit!“, bittet sie noch und drückt es ihm fest in die Hand. Dann nimmt sie sein Gesicht zwischen ihre Hände und gibt ihm einen innigen Kuss auf die Lippen. „Ich lieb dich!“
Sie spürt seine Hände an ihrem Bauch, während er mit einem seligen Lächeln erwidert: „Ich euch auch! Bis gleich!“ Dann löst er sich von ihr, schiebt sich die Sonnenbrille auf die Nase und eilt zum Auto.
Nun will Rex doch mitkommen, aber Richard pfeift ihn zurück. „Du bleibst bei der Sonja und passt schön auf! Ich bin gleich wieder da!“
Es folgt eine kurze, gestenreiche Diskussion, bei der Rex heute den Kürzeren zieht. Aber nur mit sichtlichem Widerwillen lässt er Richard schließlich gehen und bleibt empört bellend vor dem zufallenden Gartentor stehen.
Sonja sieht dem Alfa Romeo noch lange nach – auch, als der schon längst davongefahren ist – und hat plötzlich wieder das Gefühl, einen Knoten in der Brust zu haben. Es ist doch alles gut, redet sie sich ein und atmet tief durch, er ist ja nur Farbe holen. Trotzdem wünscht sie sich jetzt, er hätte wenigstens den Rex mitgenommen, dann wäre sie sicher ruhiger gewesen.
***
Auch im Büro der Mordkommission fällt das Atmen schwer. Die Ventilatoren arbeiten auf Hochtouren. Stockinger hat die Ärmel hochgekrempelt und wedelt sich mit einer Akte Luft zu, Höllerer ist allein vom Sitzen völlig durchgeschwitzt.
„I hab die ganze Nacht net g’schlafen“, mault er. „Des is so a Hitze da bei mir unterm Dach!“ Er sieht nach dem leeren Schreibtisch zu seiner Linken. „Der Richard hat’s gut, dass der jetz Urlaub hat.“
„Hmhm, dafür wird der bald überhaupt net mehr schlafen können, wenn erst der Nachwuchs da is“, meint Stockinger.
„Bin amal g’spannt, ob das wirklich noch klappt in seim Urlaub.“
„Beim Richard sein Glück sicher net“, ist Stockinger sich sicher.
„Wann war noch amal der Termin?“
Ehe Stockinger antworten kann, klingelt plötzlich das Telefon. Nur widerwillig nimmt er den Hörer in die Hand. Sein Gesicht friert augenblicklich ein.
„Aha. Puh – Du, kann des net wer anders machen? Der Richie is grad – Was? Ja, is ja guat, wir kommen ja hin.“ Stockinger legt wieder auf. „‘S gibt Arbeit: A junge Frau is bei sich daheim erschossen worden. Aber schaut wohl mehr nach aner Hinrichtung aus.“
Höllerer macht dicke Backen. „Na fein, und das bei der Hitze und ohne den Richard und den Rex!“
Stockinger hebt entschuldigend die Hände. „Das Team vom Breitner is a unterbesetzt: alle auf Urlaub. Und die Steckl und ihre Leut san noch an einem Entführungsfall dran. Also los! Das schaff‘ mer jetz auch amal ohne den Richard!“
***
Der hat inzwischen den Baumarkt erreicht.
Es ist kein besonders großer Markt – ein bisschen Sanitär, ein bisschen Baumaterial, ein bisschen Grünzeug für den Garten –, aber einen Eimer Farbe bekommt man hier ebenso gut wie in diesen modernen Supertempeln und außerdem liegt der Laden quasi direkt um die Ecke und ist wesentlich übersichtlicher. Es gibt einen mittigen Durchgang, von dem rechts und links die Regalreihen abzweigen; rund herum führt ein schmalerer Gang an den Wandregalen vorbei. Das erspart eine lange Sucherei.
Es ist Freitagnachmittag und viel Betrieb. Die Leute decken sich für das Wochenende mit Blumen, Gartenschläuchen und Grillkohle ein, kämpfen um das letzte Poolzubehör und stehen Schlange an den beiden Kassen. Ein großer kräftiger Kerl mit grauem Zopf, Karohemd und Rucksack diskutiert hitzig mit einem Mitarbeiter. Moser drückt sich an den beiden vorbei und schlüpft in die Abteilung mit den Tapeten und Farben.
Dort ist er nicht allein.
Eine kleine Frau mit einem beeindruckend langen dunklen Pferdeschwanz, sie mag kaum älter sein als er, steht auf Zehenspitzen vor dem Regal und angelt vergeblich nach den Farbflaschen auf der obersten Reihe, die man zum Anmischen nimmt.
„Kann ich helfen?“ Moser lächelt.
Sie wirbelt herum und lächelt sichtlich erleichtert zurück. „Ja, bitte, das is sehr lieb von Ihnen. Die blaue Farbe da oben.“
„Die?“
„Na, die dunklere davon. Ja, genau die. Sonst sagt mein Sohn nachher noch: ‚Für Babyblau bin i doch schon zu groß!‘“ Lachend nimmt sie Moser die Flasche ab. „Vielen Dank.“
„Sie sind wohl auch grad am Renovieren?“, erkundigt er sich, während er nun nach seinem Orange sucht.
„Ja, das Kinderzimmer“, sagt sie seufzend. „Der Marcel meint, jetz, wo er in die Schule kommt, kann er unmöglich noch Teddybären an den Wänden haben. Apropos: wo steckt der Gauner eigentlich?“
Wie gerufen tobt plötzlich ein kleiner Junge mit rotem Base-Cap und ordentlich Schotterflechte an den Knien um die Ecke.
„Mama, Mama! Kann ich a neuen Fußball haben?“, fragt er ganz außer Atem und deutet in eine unbestimmte Richtung hinter seinem Rücken.
„Schon wieder?“
„Na den andern hat doch der David verschossen! Biiiiiitte!!!“
„Na schön. Aber beeil dich! Du waßt, i hab Spätdienst und muss bald zur Arbeit!“
„Yeah!!!“ Der Kleine rennt wieder davon.
„Jungs“, meint die Frau Mama mit einem entschuldigenden Lächeln.
„Kenn ich“, meint Moser und denkt an die Besuche mit Rex im Zoogeschäft.
„Spielt Ihrer auch Fußball?“
„Ja. Also, der Hund. Ob das zweibeinige Kind auch mal Fußball spielen wird, is noch nicht raus. Es wird eine Tochter.“
„Ach?“ Die Dunkelhaarige grinst wissend. „Lassen Sie mich raten: Jetzt müssen Sie auch noch schnell ein Kinderzimmer streichen?“
Moser ist etwas verlegen und lächelt. „Ja, es is das erste. Is bald soweit.“
„Na dann haben Sie ja noch was vor sich“, meint sie. „Genießen Sie’s! Die erste Zeit is zwar furchtbar anstrengend, aber wenn die Kleinen erst amal groß sind, wünscht man sich die ersten Monate doch manchmal zurück.“
Moser weiß nicht, ob ihn das motivieren oder beunruhigen soll. Eigentlich hätte er jetzt noch viele Fragen, wo er endlich einmal auf eine fachkundige Person getroffen ist, aber die Dame hat es leider eilig und schiebt schon ihren Einkaufswagen an ihm vorbei.
„Also dann: vielen Dank noch amal für Ihre Hilfe! Und alles Gute für’s Töchterchen!“, wünscht sie fröhlich und lenkt ihren Wagen in den Gang.
„Ja, danke“, erwidert Moser. „Und schö – “
Plötzlich zerreißt ein lautes Tack-tack-tack-tack-tack die Luft.
Splitternde, klirrende Geräusche. Schreie, Panik im Laden.
Moser stürzt nach vorn und wirft sich schützend auf die Frau. Dann, wieder dieses Tack-tack-tack-tack-tack einer automatischen Waffe.
Ein Kind kreischt.
Blinzelnd hebt Moser den Kopf und sieht in der hinteren Ladenecke gerade noch ein Karohemd und eine rote Mütze im gesonderten Aufenthaltsbereich hinter einer Glasscheibe verschwinden.
Schon seit Tagen hängt eine Hitzeglocke mit Temperaturen über 30 Grad über Wien. Auf den belebten Straßen und Plätzen, in den Kaffeehäusern und Parks schwitzen Einheimische wie Touristen in der stickig-schwülen Luft, in einem kleinen Einfamilienhaus im Wiener Gürtel Polizist Richard Moser, Freundin Sonja und Schäferhund Rex bei der Renovierung des künftigen Kinderzimmers.
Es ist letztlich doch eine Last-Minute-Aktion geworden. Immer wieder haben die werdenden Eltern das Vorhaben erst aufgeschoben, dann aufschieben müssen. Eine Vertretung für Sonjas Tierarztpraxis hatte gefunden und eingearbeitet, ihre Wohnung gekündigt und geräumt werden müssen, parallel sind Moser und Rex von einer Mordserie im Rotlichtmilieu und einem Raubmord auf Trab gehalten worden. Nun bleibt ihnen nur noch eine knappe Woche bis zum errechneten Geburtstermin, wenn sie Pech haben, sogar noch weniger – und es steht noch nicht einmal ein aufgebautes Kinderbett im Schlafzimmer.
Mit Hochdruck pinselt Moser helles Orange an die große Wand, an der Sonja später noch große Tierbilder aufhängen will. Neutrale Farben, das hat sie sich so gewünscht, auch wenn sie mittlerweile schon wissen, dass es ein Mädchen wird. Sonja hat sich sehr über diese Nachricht gefreut: Nun ist sie geschlechtertechnisch bald nicht mehr in der Unterzahl. Und auch Moser freut sich: Mit Mädchen kann er ja bekanntermaßen besonders gut und die Hauptsache ist ja sowieso, es geht alles gut und das Kind ist gesund, wie man so schön sagt.
Nur beim Namen, da sind sie sich noch nicht einig geworden, ob nun kurz oder lang, klassisch oder modern, mit oder ohne tiefere Bedeutung…
An der gegenüberliegenden Wand, die schon fertig gestrichen und getrocknet ist, räumen Sonja und Rex schon Kleiderschrank und Wickelkommode ein. Weil Sonja sich nach fast neun Monaten mit dem Zwerg unter den Rippen nicht mehr so gut bücken kann, reicht Rex ihr Windeln, Puder und Cremes herauf.
Alle Drei arbeiten stumm vor sich hin und hängen ihren Gedanken nach. Rex träumt von einem kühlen, schattigen Plätzchen, Richard von einem Sprung in irgendeinen See und Sonja davon, endlich mit hochgelegten Beinen in einem Krankenhausbett zu liegen und das Kind in den Armen zu halten, das ihr mit seinem Gewicht und, vor allem, seiner ausdauernden Lebhaftigkeit inzwischen ordentlich zu schaffen macht. Derweil spielen sie im Radio einen Sommerhit nach dem anderen und der Wettermoderator verspricht für den Nachmittag ein Gewitter mit noch mehr Luftfeuchtigkeit und tropischen Temperaturen.
„Das is wirklich keine gute Jahreszeit für eine fortgeschrittene Schwangerschaft“, meint Sonja, während sie sich mit einer Packung Feuchttücher etwas Luft zufächelt und versucht, ihren schmerzenden Rücken etwas zu dehnen. Sofort spürt sie Richards Blicke auf sich gerichtet.
„Mach eine Pause, Sonja!“, bittet er und schmeißt den Pinsel in den Farbeimer. „Ich muss sowieso noch amal in den Baumarkt. Die Farbe is alle.“
Sonja blickt auf die Wand, die halb orange und noch halb grau vom Putz ist. Das kann so wirklich nicht bleiben. „Na schön. Dann sortier‘ ich derweil die Babywäsche. Das kann ich ja zum Glück auch im Sitzen machen.“ Sie zwingt sich zu einem Lächeln, damit Richard sich keine Sorgen macht.
Während er durch das Haus wuselt, in ein sauberes dunkelblaues Achselshirt und Turnschuhe schlüpft und den Autoschlüssel sucht, macht sich auf einmal ein ganz ungutes Gefühl in Sonja breit, an dem nicht nur die heftigen Tritte schuld sind, mit dem die Kleine gerade ihre Nieren bearbeitet. Am liebsten hätte sie Richard sofort gebeten, nicht zu fahren, doch im nächsten Moment lässt dieses beklemmende Gefühl auch schon wieder nach und es geht ihr besser.
„Den Rex lass‘ ich dir da“, sagt Richard an der Haustür. „Für den is es eh zu warm im Auto.“
„Sieht auch nicht so aus, als wollte er mitkommen“, meint Sonja mit Blick in den Vorgarten, wo Rex bereits in das Planschbecken gehüpft ist, das Richard ihm aufgepustet hat. „Aber nimm wenigstens das Telefon mit!“, bittet sie noch und drückt es ihm fest in die Hand. Dann nimmt sie sein Gesicht zwischen ihre Hände und gibt ihm einen innigen Kuss auf die Lippen. „Ich lieb dich!“
Sie spürt seine Hände an ihrem Bauch, während er mit einem seligen Lächeln erwidert: „Ich euch auch! Bis gleich!“ Dann löst er sich von ihr, schiebt sich die Sonnenbrille auf die Nase und eilt zum Auto.
Nun will Rex doch mitkommen, aber Richard pfeift ihn zurück. „Du bleibst bei der Sonja und passt schön auf! Ich bin gleich wieder da!“
Es folgt eine kurze, gestenreiche Diskussion, bei der Rex heute den Kürzeren zieht. Aber nur mit sichtlichem Widerwillen lässt er Richard schließlich gehen und bleibt empört bellend vor dem zufallenden Gartentor stehen.
Sonja sieht dem Alfa Romeo noch lange nach – auch, als der schon längst davongefahren ist – und hat plötzlich wieder das Gefühl, einen Knoten in der Brust zu haben. Es ist doch alles gut, redet sie sich ein und atmet tief durch, er ist ja nur Farbe holen. Trotzdem wünscht sie sich jetzt, er hätte wenigstens den Rex mitgenommen, dann wäre sie sicher ruhiger gewesen.
***
Auch im Büro der Mordkommission fällt das Atmen schwer. Die Ventilatoren arbeiten auf Hochtouren. Stockinger hat die Ärmel hochgekrempelt und wedelt sich mit einer Akte Luft zu, Höllerer ist allein vom Sitzen völlig durchgeschwitzt.
„I hab die ganze Nacht net g’schlafen“, mault er. „Des is so a Hitze da bei mir unterm Dach!“ Er sieht nach dem leeren Schreibtisch zu seiner Linken. „Der Richard hat’s gut, dass der jetz Urlaub hat.“
„Hmhm, dafür wird der bald überhaupt net mehr schlafen können, wenn erst der Nachwuchs da is“, meint Stockinger.
„Bin amal g’spannt, ob das wirklich noch klappt in seim Urlaub.“
„Beim Richard sein Glück sicher net“, ist Stockinger sich sicher.
„Wann war noch amal der Termin?“
Ehe Stockinger antworten kann, klingelt plötzlich das Telefon. Nur widerwillig nimmt er den Hörer in die Hand. Sein Gesicht friert augenblicklich ein.
„Aha. Puh – Du, kann des net wer anders machen? Der Richie is grad – Was? Ja, is ja guat, wir kommen ja hin.“ Stockinger legt wieder auf. „‘S gibt Arbeit: A junge Frau is bei sich daheim erschossen worden. Aber schaut wohl mehr nach aner Hinrichtung aus.“
Höllerer macht dicke Backen. „Na fein, und das bei der Hitze und ohne den Richard und den Rex!“
Stockinger hebt entschuldigend die Hände. „Das Team vom Breitner is a unterbesetzt: alle auf Urlaub. Und die Steckl und ihre Leut san noch an einem Entführungsfall dran. Also los! Das schaff‘ mer jetz auch amal ohne den Richard!“
***
Der hat inzwischen den Baumarkt erreicht.
Es ist kein besonders großer Markt – ein bisschen Sanitär, ein bisschen Baumaterial, ein bisschen Grünzeug für den Garten –, aber einen Eimer Farbe bekommt man hier ebenso gut wie in diesen modernen Supertempeln und außerdem liegt der Laden quasi direkt um die Ecke und ist wesentlich übersichtlicher. Es gibt einen mittigen Durchgang, von dem rechts und links die Regalreihen abzweigen; rund herum führt ein schmalerer Gang an den Wandregalen vorbei. Das erspart eine lange Sucherei.
Es ist Freitagnachmittag und viel Betrieb. Die Leute decken sich für das Wochenende mit Blumen, Gartenschläuchen und Grillkohle ein, kämpfen um das letzte Poolzubehör und stehen Schlange an den beiden Kassen. Ein großer kräftiger Kerl mit grauem Zopf, Karohemd und Rucksack diskutiert hitzig mit einem Mitarbeiter. Moser drückt sich an den beiden vorbei und schlüpft in die Abteilung mit den Tapeten und Farben.
Dort ist er nicht allein.
Eine kleine Frau mit einem beeindruckend langen dunklen Pferdeschwanz, sie mag kaum älter sein als er, steht auf Zehenspitzen vor dem Regal und angelt vergeblich nach den Farbflaschen auf der obersten Reihe, die man zum Anmischen nimmt.
„Kann ich helfen?“ Moser lächelt.
Sie wirbelt herum und lächelt sichtlich erleichtert zurück. „Ja, bitte, das is sehr lieb von Ihnen. Die blaue Farbe da oben.“
„Die?“
„Na, die dunklere davon. Ja, genau die. Sonst sagt mein Sohn nachher noch: ‚Für Babyblau bin i doch schon zu groß!‘“ Lachend nimmt sie Moser die Flasche ab. „Vielen Dank.“
„Sie sind wohl auch grad am Renovieren?“, erkundigt er sich, während er nun nach seinem Orange sucht.
„Ja, das Kinderzimmer“, sagt sie seufzend. „Der Marcel meint, jetz, wo er in die Schule kommt, kann er unmöglich noch Teddybären an den Wänden haben. Apropos: wo steckt der Gauner eigentlich?“
Wie gerufen tobt plötzlich ein kleiner Junge mit rotem Base-Cap und ordentlich Schotterflechte an den Knien um die Ecke.
„Mama, Mama! Kann ich a neuen Fußball haben?“, fragt er ganz außer Atem und deutet in eine unbestimmte Richtung hinter seinem Rücken.
„Schon wieder?“
„Na den andern hat doch der David verschossen! Biiiiiitte!!!“
„Na schön. Aber beeil dich! Du waßt, i hab Spätdienst und muss bald zur Arbeit!“
„Yeah!!!“ Der Kleine rennt wieder davon.
„Jungs“, meint die Frau Mama mit einem entschuldigenden Lächeln.
„Kenn ich“, meint Moser und denkt an die Besuche mit Rex im Zoogeschäft.
„Spielt Ihrer auch Fußball?“
„Ja. Also, der Hund. Ob das zweibeinige Kind auch mal Fußball spielen wird, is noch nicht raus. Es wird eine Tochter.“
„Ach?“ Die Dunkelhaarige grinst wissend. „Lassen Sie mich raten: Jetzt müssen Sie auch noch schnell ein Kinderzimmer streichen?“
Moser ist etwas verlegen und lächelt. „Ja, es is das erste. Is bald soweit.“
„Na dann haben Sie ja noch was vor sich“, meint sie. „Genießen Sie’s! Die erste Zeit is zwar furchtbar anstrengend, aber wenn die Kleinen erst amal groß sind, wünscht man sich die ersten Monate doch manchmal zurück.“
Moser weiß nicht, ob ihn das motivieren oder beunruhigen soll. Eigentlich hätte er jetzt noch viele Fragen, wo er endlich einmal auf eine fachkundige Person getroffen ist, aber die Dame hat es leider eilig und schiebt schon ihren Einkaufswagen an ihm vorbei.
„Also dann: vielen Dank noch amal für Ihre Hilfe! Und alles Gute für’s Töchterchen!“, wünscht sie fröhlich und lenkt ihren Wagen in den Gang.
„Ja, danke“, erwidert Moser. „Und schö – “
Plötzlich zerreißt ein lautes Tack-tack-tack-tack-tack die Luft.
Splitternde, klirrende Geräusche. Schreie, Panik im Laden.
Moser stürzt nach vorn und wirft sich schützend auf die Frau. Dann, wieder dieses Tack-tack-tack-tack-tack einer automatischen Waffe.
Ein Kind kreischt.
Blinzelnd hebt Moser den Kopf und sieht in der hinteren Ladenecke gerade noch ein Karohemd und eine rote Mütze im gesonderten Aufenthaltsbereich hinter einer Glasscheibe verschwinden.