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Von Schwarzlesern und Anspruchsdenken – Eine Streitschrift

von Robidu
Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P12 / Gen
11.07.2021
11.07.2021
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1.943
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11.07.2021 1.943
 
Es gibt wohl kein Thema, das die Gemüter hier auf fanfiktion.de derzeit so aufwühlt wie das Problem um ausbleibende Reviews. Dabei ist der Verursacher dieser Malesse natürlich sehr schnell gefunden: Der Schwarzleser, der sich erdreistet, einfach Geschichten zu lesen, ohne sich bei den betreffenden Autoren erkenntlich zu zeigen. Und so kocht auch die Stimmung hoch, und schnell werden diejenigen auf eine Stufe mit Verbrechern gestellt.

Doch leider geht dieser Ansatz völlig am Kernproblem, das für diese Reviewflaute verantwortlich zeichnet, vorbei.
„Halt,“ werden einige jetzt sagen, „das Problem liegt darin begründet, daß die Nutzer mittlerweile zu faul geworden sind!“
Eine interessante Auffassung: Der Leser, der keine Reviews hinterläßt, ist also faul. Leider enthält genau diese Auffassung einen entscheidenden Denkfehler: Wenn die mangelnde Bereitschaft, Reviews zu hinterlassen, auf Faulheit zurückzuführen sein soll, weshalb sind dann auch Stammreviewer, die früher mit schöner Regelmäßigkeit viele Reviews hinterlassen haben, davon betroffen? Welchen Grund soll es geben, daß jemand sein ihm angestammtes Verhalten ohne erkennbaren Grund ändert?
Die Antwort ist hier ebenso einfach: Es gibt schlichtweg keinen! Der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier, und um sein Verhalten zu ändern, bedarf er eines externen Stimulus, der ihn dazu bringt, genau dies zu tun.

Zudem ist eine Community kein starres Gebilde, da Leute ständig kommen und gehen. Zugegeben, es mag Leute geben, die lieber nehmen denn geben, aber die findet man nicht nur im Bereich der Fanfiktion, sondern überall in der Gesellschaft. Daß diese sich selbst ins Abseits stellen, ist ebenso klar: Wer sieht es schon gerne, wenn irgendwer immer alles haben will, aber selbst nichts abgibt?
Dieser Ansatz zieht im Bereich der Fanfiktion jedoch nur sehr bedingt: Erstens zwingt einen niemand dazu, Geschichten zu veröffentlichen, und zweitens ist niemand dazu verpflichtet, zu Geschichten, die man liest, Rückmeldung zu geben.

„Moment, aber man geht doch einen rechtsverbindlichen Vertrag ein, der einen genau dazu verpflichtet!“
Genau dieser Tenor ist in letzter Zeit häufiger laut geworden. Hierzu möchte ich feststellen: Eine Verpflichtung, Reviews zu schreiben, gibt es auf fanfiktion.de nicht! Das, was hier gerne zitiert wird, ist letztlich eine höfliche Bitte, aber keine Verpflichtung! Schließlich findet sich derlei weder in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen noch in den Regeln von fanfiktion.de an – und außerdem möchte ich hier den Administrator der Seite zitieren, der sich sehr klar zu diesem Sachverhalt geäußert hat, nachzulesen hier:
Es gibt auch keine derartige Vereinbarung. Reviews sind freiwillig. So wurde es schon immer gehalten. Es wäre auch kontraproduktiv, sie erzwingen zu wollen. Das kann nur nach hinten losgehen. Woraus folgt, daß man andere Ansätze braucht."
Damit erweist sich die vermeintliche Verpflichtung zum Schreiben von Reviews als ausgemachter Unsinn.

Weiterhin ist es hilfreich, wenn man die Zeit einmal zu dem Punkt zurückdreht, an dem der Begriff Schwarzleser erstmals aufgekommen ist. Da waren es vereinzelt Nutzer, die sich irgendwelche Tierchen ins Profil gepackt hatten, um gegen die wahrgenommene Faulheit der Leser zu protestieren.
Auf den ersten Blick mag es vielleicht so ausschauen, daß hier tatsächlich eine massive Diskrepanz vorliegt: Zugriffszahlen, die teils in die Tausende gehen, aber die Menge der Reviews ist nur ein Bruchteil dieser Menge. Zudem gibt es jede Menge Leute, die die Geschichte zu den Favoriten genommen haben, ohne selbst etwas zu der Geschichte zu schreiben.
Allerdings ist diese Darstellung nicht frei von Verzerrungen: Leser können schließlich mehrfach zurückkehren, beispielsweise um die Geschichte noch einmal zu lesen. Damit lösen diese aber unweigerlich einen Treffer aus und lassen den Zugriffszähler hochzählen. Nur wird jemand, der zurückkehrt, aber nicht erneut ein Review dalassen.
Zudem gibt es auch die Fraktion Unentschlossen, die sich die Geschichte erst einmal durchlesen will und vielleicht zum Schluß einen Kommentar abliefert.
Manche Leute schreiben vielleicht kein Review, weil ihnen nichts Gescheites einfällt. Fakt ist, daß manche Leute nicht so gut darin sind, etwas auszuformulieren, und ihnen das vielleicht peinlich ist. Diesen psychologischen Effekt darf man hier nicht außer acht lassen. Hinzu kommt, daß einigen von ihnen ein einfaches „Hat mir gefallen“ als zu platt erscheint – oder sie wollen vielleicht einem Autoren, dessen Geschichte bestenfalls Mittelmaß ist, nicht zu nahe treten. Die Gründe sind hier vielfältig.
Und dann gibt es auch noch die langen Geschichten, die man eben nicht so nebenbei lesen kann, stattdessen ist der Zeitbedarf dafür so hoch, daß man dies etappenweise tun muß. Dies wiederum bedeutet, daß man eine Geschichte zwangsläufig mehrfach aufrufen muß, und jeder erneute Aufruf erhöht wiederum den Zugriffszähler.
Hieraus gleich Reviewfaulheit ableiten zu wollen, ist genauso wenig zielführend.

Doch was ursprünglich höchstwahrscheinlich dazu gedient hatte – wenn auch mit nach meinem Dafürhalten untauglichen Mitteln – auf das Problem mit der niedrigen Anzahl Reviews hinzuweisen, hatte irgendwann eine Eigendynamik entwickelt, spätestens als sich bei einigen Autoren die Vorstellung festzusetzen begann, daß sie für ihre Geschichten einen Anspruch auf Reviews hätten, und hier begannen dann die unschönen Begleiterscheinungen: Morddrohungen gegen Nichtreviewer und Erpressung von Reviews.
Wie soll ich den Text, der dem Killerhasen Revi zugeordnet ist, denn sonst deuten: „Revi hasst kleine Schwarzleser und ersticht die, die bei ihren Storys Kommis verlangen, aber selbst nie eins hinterlassen.
Wenn ihr genau wie Revi Schwarzleser hasst, dann kopiert Revi in euer Profil und verbündet euch gegen die Faulheit der Leser.

Jeder möge sich hier bitte selbst einen Reim drauf machen. Ich für meinen Teil empfinde so etwas als hochgradig abstoßend und werde entsprechend darauf reagieren.

Und dann ist da auf jeden Fall die menschliche Psyche, die es zu berücksichtigen gilt. Wenn man sich so dermaßen angefeindet vorkommt – und so kommen diese Schimpftiraden nun mal herüber – verschreckt man nur allzu oft Leute, die vielleicht ein Review dagelassen hätten. Denn überlegt Euch bitte einmal, wie ein solches Gebaren herüberkommt.
Hier hilft es, dieses Verhalten auf andere Bereiche des Lebens zu übertragen. Oder wie empfändet Ihr es beispielsweise, wenn jemand Euch jemand nach einer Einladung zu einer Feier angeht, daß Ihr der betreffenden Person gefälligst zu sagen hättet, wie die Feier war, da dieser Jemand einen Anspruch darauf hätte? Und was ist, wenn derjenige Euch sogar noch damit droht, Euch im Verweigerungsfalle nicht mehr einzuladen?
Dies klingt vielleicht weit hergeholt, ist aber letztenendes dieselbe Argumentationsschiene und mindestens genauso affig.

Zu guter Letzt gibt es auch noch den Faktor Autor: Wenn man sich dann entschließt, auf solch eine (mehr oder minder freundliche) Aufforderung hin ein Review dazulassen, folgt vielfach eine böse Überraschung, insbesondere wenn das Review für den Autoren völlig unerwartete Kritik enthält. Da kann es noch so freundlich geschrieben sein, aber der Autor zeigt sich alles andere als erfreut darüber: Man möge seine Kritik gefälligst für sich behalten. Es sei nicht die Geschichte des Reviewers. Die Geschichte sei sowieso Fiktion, also könne man schreiben, was man wolle. Der Reviewer habe keine Ahnung... Diese Liste läßt sich beliebig fortsetzen.
Dabei lassen es viele Autoren, die so reagieren, aber nicht damit bewenden, den Reviewer entsprechend abzukanzeln, sondern der Tonfall läßt hier meist ebenso zu wünschen übrig, so daß der Reviewer sich zwangsläufig fragt, was denn bloß in besagten Autoren gefahren ist und wo dessen gute Kinderstube abgeblieben ist. Schlimmer noch, in manchen Fällen kommt es sogar noch zu einem regelrechten Kesseltreiben, wenn nämlich die Fans besagten Autors ebenfalls auf die Barrikaden gehen und dem Verfasser des kritischen Reviews zusätzlich zu Leibe rücken, wobei sich meist ein ähnliches Verhaltensmuster ergibt wie das des vorgeblich gekränkten Autors.
Auf jeden Fall sorgt dies für ordentlich Verdruß seitens des so angegangenen Reviewers, der sich höchstwahrscheinlich fortan zweimal überlegen wird, ob er noch Reviews verfaßt. In einigen Fällen kann dies jedoch ins genaue Gegenteil umschlagen, so daß es zukünftig noch wesentlich heftigere Reviews geben wird.
Hier haben wir es also ganz klar mit dem klassischen Aktions-Reaktions-Phänomen zu tun. Doch egal was der so verschreckte Reviewer in der Folge anstellt, der Schaden ist jedenfalls angerichtet.
Wenn man die Beziehung zwischen Autor und Reviewer nämlich auf die Beziehung zwischen Geschäftsmann und Kunde abbildet, was von einigen Leuten ja mittlerweile propagiert wird – anderenfalls ergibt das Postulat der vertraglichen Verpflichtung zum Schreiben von Reviews keinen Sinn – dann sollte man auch immer eines ins Kalkül ziehen: Der Kunde ist König!
Daraus wiederum folgt dann zwingend, daß der Autor tunlichst auf die Rückmeldungen des Lesers eingehen sollte, um kein Desaster heraufzubeschwören. Denn wie in einer Geschäftsbeziehung auch, wird eine schlechte Kundenpflege garantiert zu Mißerfolg führen. Überlegt Euch bitte einmal, wie Ihr reagiertet, wenn Euch ein Händler mit den Worten „Wenn es Ihnen bei uns nicht paßt, können Sie gerne woanders hingehen“ im besten Fall hinauskomplimentiert, und im schlimmsten Fall dürft Ihr Euch dann noch irgendwelche Schimpftiraden und Beleidigungen anhören. Würdet Ihr besagten Händler dann weiterhin aufsuchen wollen?
Falls Ihr jetzt mit „ja“ antworten solltet: Bleibt sachlich!
Denn derart vor den Kopf gestoßen, ist es das Natürlichste der Welt, daß man sich eben woanders umschaut, und mit Geschichten verhält es sich letztlich keinen Deut anders: Ein unfreundlicher Autor wird seine Leserschaft höchstens verschrecken.

Doch damit nicht genug: Ausbleibende kritische Reviews ziehen wiederum einen ganzen Rattenschwanz unschöner Begleiterscheinungen nach sich. Wenn ein Autor nicht auf seine Schwächen hingewiesen wird, wie soll er sich dann überhaupt verbessern können? Dies wiederum hat dann unweigerlich zur Folge, daß die Anzahl mittelmäßiger bis schlechter Geschichten in Relation zu den Guten ansteigen wird – was wiederum potentielle Leser vergraulen wird. Bei einer großen Zahl Leser ist es nun mal so, daß sie nicht irgendwelchen Schund lesen wollen, sondern durchaus ein brauchbares Werk. Diese kann man im Bereich der Fanfiktion sehr wohl finden, und zwar ohne daß man auch nur einen müden Cent dafür ausgeben müßte, und bei den guten Autoren kommen die Reviews meist ganz von alleine.
Wenn jedoch die Anzahl schlechter Geschichten nach solch unschönen Ereignissen überproportional ansteigt, wird dies ab einer bestimmten Schwelle unweigerlich eine Abwärtsspirale in Gang setzen.

Daher stelle ich hiermit die folgenden Thesen auf:

1. Die hier spürbare Reviewflaute ist nicht die Ursache, sondern lediglich ein Symptom des Problems.
2. Um der Reviewflaute wirksam beizukommen, ist ein Umdenken insbesondere derjenigen Autoren und Autorinnen erforderlich, die jedwede Kritik im Keim ersticken.
2a. Wer Reviews haben will, muß auch Willens sein, etwaige Kritik zu akzeptieren.
3. Reviewzwang führt zu einer weiteren Verschlechterung der Situation.
4. Erzwungene Reviews sind nicht hilfreich, weder für die Autoren noch für die Reviewer.
5. Andere Leute als Schwarzleser abzustempeln, wird die Situation in keinster Weise verbessern.
6. Anderen Leuten ein schlechtes Gewissen einzureden, wird die Reviewtätigkeit grundsätzlich negativ beeinflussen.


Zudem sollte sich jeder, der hier schreibt, für sich gewissenhaft die Frage beantworten, weshalb er überhaupt Geschichten schreibt.
Ist es, um anderen Menschen eine Freude zu bereiten? Dann ergibt dieses Reviewgebettel keinen Sinn, sondern man kann sich ganz einfach an der stetig steigenden Anzahl Zugriffe erfreuen. Die Reviews sind in diesem Fall ein netter Nebeneffekt.
Ist es, um seine eigene Schreibkunst zu verbessern? Dann sind Reviews hilfreich, und wenn erkennbar ist, daß der betreffende Autor ernsthaft an einer kritischen Bewertung interessiert ist, folgen die Reviews meist ganz von alleine.
Ist es, um Aufmerksamkeit zu erheischen? In diesem Fall läuft Entscheidendes völlig falsch. Denn wenn Geschichten zu einer Melkkuh für Aufmerksamkeit verkommen, reden wir hier nicht mehr von einem Hobby, sondern von einem zwanghaften Verhalten, das professioneller Hilfe bedarf, möglicherweise bis hin zu einem deutlich ausgeprägten Narzißmus. Anstatt in diesem Fall andere Leute in diesen Zwang hineinziehen zu wollen, ist es viel hilfreicher, der dem zugrundeliegenden Zwangsstörung beizukommen.

Auf jeden Fall hat ein solches Anspruchsdenken auch viel mit Scheinheiligkeit zu tun, denn das, was die Betreffenden von anderen fordern, sind sie vielfach im Gegenzug nicht gewillt, anderen zu geben. Da wird dann schnell Wasser gepredigt und Wein getrunken, und wehe, die Betreffenden werden auf diese Diskrepanz in ihrem Verhalten hingewiesen. Dann reagieren diese gleich eingeschnappt und wälzen die Schuld auf andere ab.
Oder wie Norm MacDonald es so zutreffend ausgedrückt hat: Scheinheiligkeit ist die sichtbare Bestätigung verborgener Schande.
 
 
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