Prüfungszeit - Noblesse
von amica libri
Kurzbeschreibung
Wie würde es wohl ablaufen, wenn die Prüfungszeit an der Yeran High School beginnt? Seira, Regis, Ikhan, Shinwoo und Raizel stellen sich dem ärgsten Feind vieler Schüler: Einer Matheklausur. Kein Wunder, dass es da zwischen Frankenstein und dem Mathelehrer Pedro Redebedarf gibt...
OneshotHumor / P12 / Gen
22.06.2021
22.06.2021
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22.06.2021
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Frankenstein schaute den verunsicherten Lehrer vor ihm geduldig an.
«Sie wollten mit mir über die Matheklausuren einiger Schüler sprechen, Pedro?»
«J… Ja, Sir. Es ist so… also… Herr Schulleiter»
Es war auf gewisse Weise faszinierend, diesen grossen, breitschultrigen Mann mit der unübersehbaren Narbe mitten auf der Stirn, der von Gejutel schon für eine ausgebildete Kampfmaschine gehalten wurde, so eingeschüchtert zu sehen. Er knetete nervös seine Hände und wollte kaum mit der Sprache herausrücken.
«Es handelt sich wohl um die Schüler, die ich vermute, nicht wahr?», half Frankenstein ihm auf die Sprünge.
«Ja, Sir. Es geht um Shinwoo Han, Ikhan Woo, Regis K. Landegre, Seira J. Loyard und Cadis Etre… Etra… Etrama…»
Er kratzte sich am Kopf, während er versuchte, diesen langen und ungewöhnlichen Namen auf die Reihe zu kriegen.
«Cadis Etrama di Raizel», sprang Frankenstein ein. «Ich verstehe. Und was ist nun mit den Prüfungen der fünf?»
«Naja, Sir, Sie wollten doch wissen, wie es bei den Austauschschülern so läuft, darum wollte ich Ihnen Bescheid geben.»
«Und Shinwoo und Ikhan?»
«…»
Frankenstein seufzte leise, dann setzte er ein Lächeln auf und bat: «Nur zu, Pedro. Erzählen Sie.»
«Also, es war so…»
-------------------------------------------- Am Tag zuvor, im Klassenraum ---------------------------------------------
«Alle aufgepasst!»
Der Mathematiklehrer Pedro schaute streng in die Runde und die Klasse verstummte augenblicklich. Selbst Shinwoo schaffte es, einmal fünf Minuten lang ruhig zu sein. Ihm stand jetzt schon der Schweiss auf der Stirn.
«Wie ihr wisst, schreibt ihr heute eine Mathematikprüfung. Ihr habt dazu 45 Minuten Zeit. Wenn ich jemanden beim Spicken erwische, wird die Prüfung sofort eingezogen und es gibt eine Note Abzug. Hier in der Yeran High zählt Leistung, nicht Schummeln, kapiert?!»
Bei diesen Worten schaute Pedro Shinwoo besonders grimmig an. Dies lag aber nur daran, dass dieser Junge den Unterricht am häufigsten störte, beim Spicken hatte er ihn noch nie erwischt, dass musste man ihm lassen. So nervtötend Shinwoo auch sein konnte, er betrog nicht. Dazu wahr er wohl zu ehrlich. Ein fairer Sportsmann.
Pedro wandte den Blick wieder von seinem Problemschüler ab und liess ihn über die gesamte Klasse schweifen. Alle sassen brav auf ihren Stühlen, die umgedrehte Prüfung auf ihren Tischen.
«Gebt euch also Mühe. Besonders du, Shinwoo. Immerhin ist diene Versetzung gefährdet.»
Er ignorierte Shinwoos Protest («Das ist unfair, wieso nur ich?») und gab das Startsignal: «Ihr könnt jetzt beginnen». Es gab ein eifriges Umblättern, dann war es bis auf das Kratzen der Stifte auf Papier ruhig. Pedro setzte sich auf seinen Stuhl und behielt die Klasse im Blick. Er wusste auch genau, auf welche fünf Schüler er besonders achten würde…
Nach 9 Minuten
Die ganze Klasse war konzentriert. Selbst Shinwoo schrieb in seinen Test, allerdings bearbeitete er gerade die letzte Aufgabe. Offenbar hatte er einige Aufgaben ausgelassen, die er nicht lösen konnte. Aber immerhin konnte er etwas lösen. Oder versuchte es zumindest.
Bei Regis, Seira und Ikhan gab es keine Auffälligkeiten, sie waren alle auf die Blätter vor ihnen konzentriert und schrieben, ohne aufzuschauen.
Raizel sass unbeweglich an seinem Tisch und starrte seine Prüfung ausdruckslos an.
Nach 21 Minuten
Shinwoos Konzentration war endgültig am Ende. Er hatte schon seit knapp 10 Minuten blätterte er die Klausur immer wieder durch, als hätte er die Hoffnung, die Aufgaben würden dadurch auf wundersame Weise einfacher werden. Was sie natürlich nicht taten. Dies hatte den Jungen unruhig gemacht, er änderte ständig seine Position: Mal legte er den Kopf in den Nacken und betrachtete die Decke, mal stützte er beide Ellenbogen auf den Tisch und liess das Gesicht in die Hände sinken, während sein rechtes Bein unaufhörlich zuckte. Jetzt liess er sich mit ausgestreckten Armen auf den Tisch fallen, sodass seine Stirn mit einem leisen «Bum» auf der Tischplatte ankam. Dabei seufzte und stöhnte er laut.
Die Klasse zeigte keine Reaktion, sie waren dieses Verhalten inzwischen gewohnt. Nur Seira und Regis schauten kurz zu ihm hinüber, die erstere mit einem leicht besorgten, der letztere mit genervter Miene.
Ikhan neben ihm bekam davon noch nicht einmal etwas mit. Er war ganz auf seine Prüfung konzentriert und sein Stift flog in wahnsinnigem Tempo über das Papier. Pedro konnte aus der Ferne natürlich nicht erkennen, was er schrieb, aber es war sehr viel mehr als der vorgesehene Lösungsweg. Die Finger seiner linken Hand bewegten sich dabei in der Luft, knapp über der Tischplatte, als würde er gerade auf eine Tastatur tippen.
Seira schien etwa in der Mitte der Prüfung angekommen zu sein, sie lag also perfekt in der Zeit. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, während sie Aufgabe für Aufgabe löste.
Auch Regis bemühte sich, sich seinen Stress nicht anmerken zu lassen. Aber er konnte nicht verhindern, dass er sich ab und zu unbewusst am Kopf kratzte, wenn er gerade nicht weiter kam. Seine Haare waren auf der einen Seite dementsprechend leicht zerzaust – aber auf sehr elegante Art!
Raizel sass unbeweglich an seinem Tisch und starrte ausdruckslos aus dem Fenster.
Nach 34 Minuten
Das Kratzen von Stuhlbeinen liess die Klasse aufschauen. Es war Ikahn (wer sonst?!), der seine vollständig ausgefüllte Klausur nach vorne brachte.
«Echt jetzt, du Streber?!», rief der aufgesprungene Shinwoo entrüstet aus.
«Shinwoo Han, setzt dich sofort wieder hin und sei leise. Hör auf, deine Mitschüler zu stören!», fuhr der Lehrer ihn an, während er Ikhans Prüfung entgegennahm. Der kurzgewachsene Junge schob sich die Brille hoch und verliess das Schulzimmer ohne einen Blick zurück. Seine Wangen waren knallrot.
Shinwoo liess sich wieder auf seinen Stuhl fallen und grummelte leise vor sich hin, bis sein Blick wieder auf die Prüfung fiel und er verzweifelt aufstöhnte.
«Shinwoo!»
«Ja, Sir, bin schon ruhig.»
Auch Regis hatte Ikhan nachgeschaut und widmete sich erst jetzt wieder seinem eigenen Test. Sein Haareraufen war diesmal deutlich weniger elegant.
Seira hingegen wirkte kein bisschen gestresst. Sie hatte ihr Zeitmanagement im Griff und löste alle Aufgaben der Reihe nach, von der ersten bis zur letzten, scheinbar ohne Probleme. Ihre ganze Haltung zeugte von Eleganz und Gelassenheit.
Raizel hatte zugeschaut, wie Ikahn den Raum verliess, dann drehte er den Kopf wieder nach Links und starrte ausdruckslos aus dem Fenster.
Nach 43 Minuten
«Noch zwei Minuten», rief Pedro in die Runde. Er erntete dafür einige panische Blicke, die sich aber sofort wieder auf Papiere senkten, die hektisch vollgekritzelt wurden. Irgendwie mochte er diese letzten Minuten einer Prüfung, wenn die Schüler so richtig ins Schwitzen kamen…
Die absolute Stille im Schulzimmer wurde nur durch Shinwoos gelegentliches Seufzen unterbrochen, als alle ihr Gehirn noch einmal zu voller Leistung antrieben.
Nun ja, fast all: Raizel sass unbeweglich auf seinem Stuhl und starrte ausdruckslos auf die Tischplatte.
«Uuuund… Ende!», verkündete der Mathelehrer. «Alle Stifte weglegen. Gebt die Klausuren bei mir ab und schaut, dass ihr auch euren Namen draufgeschrieben habt.»
Die Schüler erhoben sich, um ihre Tests nach vorne zu bringen und begannen dabei gleich, mit ihren Klassenkameraden über die Aufgaben zu reden. Auch Shinwoo trat, seine ausgefüllten Blätter in der Hand, an Rais Tisch.
«Boah, ein Glück, dass die Prüfung vorbei ist. Die war so schwer… Und dieser kleine Nerd war schon wieder so früh ferti… Rai! Du hast ja gar nichts geschrieben! Deine Blätter sind völlig leer!»
Rai hob seinen Blick in das entsetzte Gesicht des Jungen, dann senkte er ihn wieder auf die Papiere vor ihm. Zum ersten Mal in der vergangenen dreiviertel Stunde nahm er einen Stift in die Hand und führte ihn über das oberste Blatt. Mit seiner überaus eleganten Handschrift schrieb er, das erste Mal in seinem langen Leben füllte er etwas auf einer Prüfung aus!
Als er die Hand wieder sinken liess, stand da: «Raizel».
------------------------------ Zurück in der Gegenwart, im Büro des Schulleiters ------------------------------------
Einen Moment lang sass Frankenstein nur da, ohne sich zu bewegen. Vor ihm lagen fünf Prüfungen.
«He…Herr Schulleiter? Was halten Sie davon?», wagte Pedro nach einer Weile zu fragen, was seinen Chef endlich aus seiner Starre riss.
«Nun…» Frankenstein räusperte sich.
Fangen wir mal mit dem positiven an, dachte er.»
«Die Prüfung von Miss Seira ist perfekt gelöst.»
«Ja, das ist die reinste Musterlösung. Fast als hätte sie sie auswendig gele…»
«In der Tat ist sie eine hervorragende Schülerin!», fiel Frankenstein ihm ins Wort. «Als Schulleiter der Yeran High School bin ich ausgesprochen stolz, einen Schützling wie sie hier zu haben.»
«Ja, Sir, selbstverständlich», pflichtete ihm der Mathelehrer eifrig nickend bei. Frankenstein ergriff wieder das Wort:
«Was Regis angeht: Nun, er scheint etwas mehr Mühe zu haben. Aber seine Note ist durchaus ausreichend, da gibt es nichts zu beanstanden. Und Ikhan… Diese Prüfung ist nicht wirklich eine Überraschung. Dieser Junge ist höchst intelligent.»
«Vielleicht etwas zu intelligent…», murmelte Pedro düster. «Er hat in jeder Aufgabe einen extrem komplizierten Rechenweg gewählt. Die Ergebnisse sind korrekt, aber… Wieso muss er alles so unnötig kompliziert machen?!»
«Der einfache Lösungsweg ist ihm wohl zu langweilig. So wie ich das hier sehe», mit diesen Worten nahm Frankenstein Ikhans Prüfung in die Hand, «hat er eine verallgemeinerte Formel via Approximation gewählt. Das übersteigt das Niveau eines High School Schülers bei Weitem, ist aber völlig korrekt.»
Er warf die Blätter locker wieder auf seinen Schreibtisch.
«Ich habe hier nichts auszusetzen.»
«Natürlich, da bin ich ganz Ihrer Meinung, Herr Direktor. Aber wenn wir uns nun Shinwoo zuwenden…»
Frankenstein kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken.
Shinwoo. In der Tat ein schwieriger Fall. Seine Prüfung ist eine Katastrophe. Damit sind seine Noten insgesamt nicht ausreichend, um ins nächste Schuljahr versetzt zu werden. Aber…
«Ich denke, bei Shinwoo können wir einen gewissen Spielraum lassen.»
«Was? Ich meine: Wie bitte, Sir?»
Pedro starrte ihn völlig entgeistert an.
«Nicht nur, dass seine Noten schlecht sind, Shinwoo stört auch immer wieder den Unterricht. Wenn er gerade mal nicht schläft, ist er laut. Der Junge hat sich einfach nicht im Griff!»
Du hast ja keine Ahnung!, dachte Frankenstein. Schliesslich hängt der Junge nicht bei DIR jeden Abend rum, verteilt überall Krümel und lässt seinen Müll liegen!
Doch er sagte:
«Und dennoch gibt es jede Menge Eliteunis, die sich die Finger nach ihm lecken. Das, was ihm an schulischer Leistung fehlt, macht er mit sportlichen Fähigkeiten wieder wett. Ein derartiges Sporttalent an der Yeran High zu haben, wirkt sich positiv auf den Ruf der gesamten Schule aus. Wenn wir ihn aber wiederholen lassen… nun, dann könnte der ein oder andere auf die Idee kommen, dass diese Schule nicht in der Lage ist, vielversprechenden Talenten etwas beizubringen. Man könnte es als mangelndes Engagement oder sogar mangelnde Fähigkeit der Lehrer auslegen. Und das wollen wir doch nicht, oder…?»
«N… Natürlich nicht, Herr Schulleiter. Also wird er ins nächste Schuljahr versetzt?»
«Ja, ich werde ihm die Bestätigung seiner Versetzung ausstellen. Wars dass dann?»
«Nein, Sir, tut mir leid. Da ist noch die Prüfung von Cad… Candis… Raizel.»
Mist. Er hat sich nicht ablenken lassen.
«Seine Prüfung ist leer, bis auf den Namen. Der Junge hat die ganzen 45 Minuten lang nicht einen Finger gerührt! Austauschschüler hin oder her, das ist Arbeitsverweigerung! Die anderen beiden haben die Prüfung ja auch ausgefüllt! Das ist absolut… in…akzep…abl…»
Er schaffte es kaum, seinen Satz zu beenden, so kleinlaut wurde er. Der Blick des Schulleiters jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Eine dunkle, gewalttätige Aura ging von ihm aus. Der Lehrer fühlte sich überhaupt nicht mehr wohl in seiner Haut.
«Wie war das?», fragte Frankenstein mit drohender Stimme, die sein Lächeln Lüge strafte.
«Nun… also… Er hat gar nichts geschrieben!», versuchte sich der stämmige Mann zu verteidigen, während ihm kalter Schweiss in den Nacken lief.
Er wusste ja nicht, wie sehr sich Frankenstein zusammenreissen musste, ihn nicht am Kragen zu packen und anzuschreien:
«Wie kannst du es wagen, das Verhalten meines Meisters zu kritisieren! Schlimm genug, dass er eine Prüfung über sich ergehen lassen muss! Als ob irgendjemand das Rechte hätte, von ihm ein Beweis seiner Fähigkeiten zu verlangen! Sei gefälligst respektvoll, du verdammter Mistkerl!»
Zum Glück schaffte es der Schulleiter gerade noch, sich davon abzuhalten. Also lächelte er weiter.
«Pedro. Was Raizel betrifft…»
-------------------------------------------------------- Am Abend -----------------------------------------------------------
«Ich kanns echt nicht fassen, dass du trotz deiner schlechten Noten nicht wiederholen musst!»
Ikhan klang beinahe beleidigt, doch Shinwoo lachte nur laut.
Die Kinder waren wie fast jeden Abend in Frankensteins Haus versammelt, redeten und lachten, während sich aufgerissene Knabberzeugpackungen auf dem Tisch häuften.
«Es ist eindeutig nicht gerecht», mischte sich Regis ein. «Ganz offensichtlich werden für dich andere Massstäbe angewandt. Dadurch werden alle anderen Schüler benachteiligt.»
«Ach, jetzt sei nicht so, Regis», gab Shinwoo zurück. «Du bist doch nur sauer, weil Seira die volle Punktzahl hat und du nur knapp genügend warst!»
«Als ob mich so etwas aufregen würde! Ich habe es doch nicht nötig, mich mit anderen zu vergleichen. Das ist vollkommen unelegant.»
«Ausserdem ist Seira eine wahre Musterschülerin. Ich wäre auch gerne so gut in Mathe…», warf Yuna ein. Seiras Wangen röteten sich bei diesem Kompliment.
Die anderen stimmten dem begeistert bei, wodurch Seiras Wangen noch etwas dunkler wurden.
«Aber was mich wirklich wundert:», wechselte Shinwoo das Thema, «Wie konnte Rai die Prüfung bestehen? Er hat doch gar nichts gelöst!»
Alle wendeten den Kopf dem Dunkelhaarigen zu, der schweigsam wie immer einen Schluck von seinem Tee nahm. Nur sein Blick flackerte ganz kurz zu seinem Diener hinüber, der etwas entfernt an der Anrichte lehnte.
«Naja, Rai hat halt noch immer Mühe, sich an das Leben in Korea zu gewöhnen», beantwortete Ikhan nun Shinwoos Frage.
«Stimmt. Und der Direx würde ihn nie durchfallen lassen, nicht wahr, Schulleiter Lee?»
«Die Yeran High nimmt selbstverständlich Rücksicht auf die besonderen Umstände ihrer Austauschschüler», bestätigte Frankenstein lächelnd und beobachtete, wie sei Herr verlegen den Kopf senkte.
Ach Meister, dachte er, macht euch keine Sorgen. Ich werde euch beschützen, vor allem und jedem! Auch vor der Mathematik!
«Sie wollten mit mir über die Matheklausuren einiger Schüler sprechen, Pedro?»
«J… Ja, Sir. Es ist so… also… Herr Schulleiter»
Es war auf gewisse Weise faszinierend, diesen grossen, breitschultrigen Mann mit der unübersehbaren Narbe mitten auf der Stirn, der von Gejutel schon für eine ausgebildete Kampfmaschine gehalten wurde, so eingeschüchtert zu sehen. Er knetete nervös seine Hände und wollte kaum mit der Sprache herausrücken.
«Es handelt sich wohl um die Schüler, die ich vermute, nicht wahr?», half Frankenstein ihm auf die Sprünge.
«Ja, Sir. Es geht um Shinwoo Han, Ikhan Woo, Regis K. Landegre, Seira J. Loyard und Cadis Etre… Etra… Etrama…»
Er kratzte sich am Kopf, während er versuchte, diesen langen und ungewöhnlichen Namen auf die Reihe zu kriegen.
«Cadis Etrama di Raizel», sprang Frankenstein ein. «Ich verstehe. Und was ist nun mit den Prüfungen der fünf?»
«Naja, Sir, Sie wollten doch wissen, wie es bei den Austauschschülern so läuft, darum wollte ich Ihnen Bescheid geben.»
«Und Shinwoo und Ikhan?»
«…»
Frankenstein seufzte leise, dann setzte er ein Lächeln auf und bat: «Nur zu, Pedro. Erzählen Sie.»
«Also, es war so…»
-------------------------------------------- Am Tag zuvor, im Klassenraum ---------------------------------------------
«Alle aufgepasst!»
Der Mathematiklehrer Pedro schaute streng in die Runde und die Klasse verstummte augenblicklich. Selbst Shinwoo schaffte es, einmal fünf Minuten lang ruhig zu sein. Ihm stand jetzt schon der Schweiss auf der Stirn.
«Wie ihr wisst, schreibt ihr heute eine Mathematikprüfung. Ihr habt dazu 45 Minuten Zeit. Wenn ich jemanden beim Spicken erwische, wird die Prüfung sofort eingezogen und es gibt eine Note Abzug. Hier in der Yeran High zählt Leistung, nicht Schummeln, kapiert?!»
Bei diesen Worten schaute Pedro Shinwoo besonders grimmig an. Dies lag aber nur daran, dass dieser Junge den Unterricht am häufigsten störte, beim Spicken hatte er ihn noch nie erwischt, dass musste man ihm lassen. So nervtötend Shinwoo auch sein konnte, er betrog nicht. Dazu wahr er wohl zu ehrlich. Ein fairer Sportsmann.
Pedro wandte den Blick wieder von seinem Problemschüler ab und liess ihn über die gesamte Klasse schweifen. Alle sassen brav auf ihren Stühlen, die umgedrehte Prüfung auf ihren Tischen.
«Gebt euch also Mühe. Besonders du, Shinwoo. Immerhin ist diene Versetzung gefährdet.»
Er ignorierte Shinwoos Protest («Das ist unfair, wieso nur ich?») und gab das Startsignal: «Ihr könnt jetzt beginnen». Es gab ein eifriges Umblättern, dann war es bis auf das Kratzen der Stifte auf Papier ruhig. Pedro setzte sich auf seinen Stuhl und behielt die Klasse im Blick. Er wusste auch genau, auf welche fünf Schüler er besonders achten würde…
Nach 9 Minuten
Die ganze Klasse war konzentriert. Selbst Shinwoo schrieb in seinen Test, allerdings bearbeitete er gerade die letzte Aufgabe. Offenbar hatte er einige Aufgaben ausgelassen, die er nicht lösen konnte. Aber immerhin konnte er etwas lösen. Oder versuchte es zumindest.
Bei Regis, Seira und Ikhan gab es keine Auffälligkeiten, sie waren alle auf die Blätter vor ihnen konzentriert und schrieben, ohne aufzuschauen.
Raizel sass unbeweglich an seinem Tisch und starrte seine Prüfung ausdruckslos an.
Nach 21 Minuten
Shinwoos Konzentration war endgültig am Ende. Er hatte schon seit knapp 10 Minuten blätterte er die Klausur immer wieder durch, als hätte er die Hoffnung, die Aufgaben würden dadurch auf wundersame Weise einfacher werden. Was sie natürlich nicht taten. Dies hatte den Jungen unruhig gemacht, er änderte ständig seine Position: Mal legte er den Kopf in den Nacken und betrachtete die Decke, mal stützte er beide Ellenbogen auf den Tisch und liess das Gesicht in die Hände sinken, während sein rechtes Bein unaufhörlich zuckte. Jetzt liess er sich mit ausgestreckten Armen auf den Tisch fallen, sodass seine Stirn mit einem leisen «Bum» auf der Tischplatte ankam. Dabei seufzte und stöhnte er laut.
Die Klasse zeigte keine Reaktion, sie waren dieses Verhalten inzwischen gewohnt. Nur Seira und Regis schauten kurz zu ihm hinüber, die erstere mit einem leicht besorgten, der letztere mit genervter Miene.
Ikhan neben ihm bekam davon noch nicht einmal etwas mit. Er war ganz auf seine Prüfung konzentriert und sein Stift flog in wahnsinnigem Tempo über das Papier. Pedro konnte aus der Ferne natürlich nicht erkennen, was er schrieb, aber es war sehr viel mehr als der vorgesehene Lösungsweg. Die Finger seiner linken Hand bewegten sich dabei in der Luft, knapp über der Tischplatte, als würde er gerade auf eine Tastatur tippen.
Seira schien etwa in der Mitte der Prüfung angekommen zu sein, sie lag also perfekt in der Zeit. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, während sie Aufgabe für Aufgabe löste.
Auch Regis bemühte sich, sich seinen Stress nicht anmerken zu lassen. Aber er konnte nicht verhindern, dass er sich ab und zu unbewusst am Kopf kratzte, wenn er gerade nicht weiter kam. Seine Haare waren auf der einen Seite dementsprechend leicht zerzaust – aber auf sehr elegante Art!
Raizel sass unbeweglich an seinem Tisch und starrte ausdruckslos aus dem Fenster.
Nach 34 Minuten
Das Kratzen von Stuhlbeinen liess die Klasse aufschauen. Es war Ikahn (wer sonst?!), der seine vollständig ausgefüllte Klausur nach vorne brachte.
«Echt jetzt, du Streber?!», rief der aufgesprungene Shinwoo entrüstet aus.
«Shinwoo Han, setzt dich sofort wieder hin und sei leise. Hör auf, deine Mitschüler zu stören!», fuhr der Lehrer ihn an, während er Ikhans Prüfung entgegennahm. Der kurzgewachsene Junge schob sich die Brille hoch und verliess das Schulzimmer ohne einen Blick zurück. Seine Wangen waren knallrot.
Shinwoo liess sich wieder auf seinen Stuhl fallen und grummelte leise vor sich hin, bis sein Blick wieder auf die Prüfung fiel und er verzweifelt aufstöhnte.
«Shinwoo!»
«Ja, Sir, bin schon ruhig.»
Auch Regis hatte Ikhan nachgeschaut und widmete sich erst jetzt wieder seinem eigenen Test. Sein Haareraufen war diesmal deutlich weniger elegant.
Seira hingegen wirkte kein bisschen gestresst. Sie hatte ihr Zeitmanagement im Griff und löste alle Aufgaben der Reihe nach, von der ersten bis zur letzten, scheinbar ohne Probleme. Ihre ganze Haltung zeugte von Eleganz und Gelassenheit.
Raizel hatte zugeschaut, wie Ikahn den Raum verliess, dann drehte er den Kopf wieder nach Links und starrte ausdruckslos aus dem Fenster.
Nach 43 Minuten
«Noch zwei Minuten», rief Pedro in die Runde. Er erntete dafür einige panische Blicke, die sich aber sofort wieder auf Papiere senkten, die hektisch vollgekritzelt wurden. Irgendwie mochte er diese letzten Minuten einer Prüfung, wenn die Schüler so richtig ins Schwitzen kamen…
Die absolute Stille im Schulzimmer wurde nur durch Shinwoos gelegentliches Seufzen unterbrochen, als alle ihr Gehirn noch einmal zu voller Leistung antrieben.
Nun ja, fast all: Raizel sass unbeweglich auf seinem Stuhl und starrte ausdruckslos auf die Tischplatte.
«Uuuund… Ende!», verkündete der Mathelehrer. «Alle Stifte weglegen. Gebt die Klausuren bei mir ab und schaut, dass ihr auch euren Namen draufgeschrieben habt.»
Die Schüler erhoben sich, um ihre Tests nach vorne zu bringen und begannen dabei gleich, mit ihren Klassenkameraden über die Aufgaben zu reden. Auch Shinwoo trat, seine ausgefüllten Blätter in der Hand, an Rais Tisch.
«Boah, ein Glück, dass die Prüfung vorbei ist. Die war so schwer… Und dieser kleine Nerd war schon wieder so früh ferti… Rai! Du hast ja gar nichts geschrieben! Deine Blätter sind völlig leer!»
Rai hob seinen Blick in das entsetzte Gesicht des Jungen, dann senkte er ihn wieder auf die Papiere vor ihm. Zum ersten Mal in der vergangenen dreiviertel Stunde nahm er einen Stift in die Hand und führte ihn über das oberste Blatt. Mit seiner überaus eleganten Handschrift schrieb er, das erste Mal in seinem langen Leben füllte er etwas auf einer Prüfung aus!
Als er die Hand wieder sinken liess, stand da: «Raizel».
------------------------------ Zurück in der Gegenwart, im Büro des Schulleiters ------------------------------------
Einen Moment lang sass Frankenstein nur da, ohne sich zu bewegen. Vor ihm lagen fünf Prüfungen.
«He…Herr Schulleiter? Was halten Sie davon?», wagte Pedro nach einer Weile zu fragen, was seinen Chef endlich aus seiner Starre riss.
«Nun…» Frankenstein räusperte sich.
Fangen wir mal mit dem positiven an, dachte er.»
«Die Prüfung von Miss Seira ist perfekt gelöst.»
«Ja, das ist die reinste Musterlösung. Fast als hätte sie sie auswendig gele…»
«In der Tat ist sie eine hervorragende Schülerin!», fiel Frankenstein ihm ins Wort. «Als Schulleiter der Yeran High School bin ich ausgesprochen stolz, einen Schützling wie sie hier zu haben.»
«Ja, Sir, selbstverständlich», pflichtete ihm der Mathelehrer eifrig nickend bei. Frankenstein ergriff wieder das Wort:
«Was Regis angeht: Nun, er scheint etwas mehr Mühe zu haben. Aber seine Note ist durchaus ausreichend, da gibt es nichts zu beanstanden. Und Ikhan… Diese Prüfung ist nicht wirklich eine Überraschung. Dieser Junge ist höchst intelligent.»
«Vielleicht etwas zu intelligent…», murmelte Pedro düster. «Er hat in jeder Aufgabe einen extrem komplizierten Rechenweg gewählt. Die Ergebnisse sind korrekt, aber… Wieso muss er alles so unnötig kompliziert machen?!»
«Der einfache Lösungsweg ist ihm wohl zu langweilig. So wie ich das hier sehe», mit diesen Worten nahm Frankenstein Ikhans Prüfung in die Hand, «hat er eine verallgemeinerte Formel via Approximation gewählt. Das übersteigt das Niveau eines High School Schülers bei Weitem, ist aber völlig korrekt.»
Er warf die Blätter locker wieder auf seinen Schreibtisch.
«Ich habe hier nichts auszusetzen.»
«Natürlich, da bin ich ganz Ihrer Meinung, Herr Direktor. Aber wenn wir uns nun Shinwoo zuwenden…»
Frankenstein kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken.
Shinwoo. In der Tat ein schwieriger Fall. Seine Prüfung ist eine Katastrophe. Damit sind seine Noten insgesamt nicht ausreichend, um ins nächste Schuljahr versetzt zu werden. Aber…
«Ich denke, bei Shinwoo können wir einen gewissen Spielraum lassen.»
«Was? Ich meine: Wie bitte, Sir?»
Pedro starrte ihn völlig entgeistert an.
«Nicht nur, dass seine Noten schlecht sind, Shinwoo stört auch immer wieder den Unterricht. Wenn er gerade mal nicht schläft, ist er laut. Der Junge hat sich einfach nicht im Griff!»
Du hast ja keine Ahnung!, dachte Frankenstein. Schliesslich hängt der Junge nicht bei DIR jeden Abend rum, verteilt überall Krümel und lässt seinen Müll liegen!
Doch er sagte:
«Und dennoch gibt es jede Menge Eliteunis, die sich die Finger nach ihm lecken. Das, was ihm an schulischer Leistung fehlt, macht er mit sportlichen Fähigkeiten wieder wett. Ein derartiges Sporttalent an der Yeran High zu haben, wirkt sich positiv auf den Ruf der gesamten Schule aus. Wenn wir ihn aber wiederholen lassen… nun, dann könnte der ein oder andere auf die Idee kommen, dass diese Schule nicht in der Lage ist, vielversprechenden Talenten etwas beizubringen. Man könnte es als mangelndes Engagement oder sogar mangelnde Fähigkeit der Lehrer auslegen. Und das wollen wir doch nicht, oder…?»
«N… Natürlich nicht, Herr Schulleiter. Also wird er ins nächste Schuljahr versetzt?»
«Ja, ich werde ihm die Bestätigung seiner Versetzung ausstellen. Wars dass dann?»
«Nein, Sir, tut mir leid. Da ist noch die Prüfung von Cad… Candis… Raizel.»
Mist. Er hat sich nicht ablenken lassen.
«Seine Prüfung ist leer, bis auf den Namen. Der Junge hat die ganzen 45 Minuten lang nicht einen Finger gerührt! Austauschschüler hin oder her, das ist Arbeitsverweigerung! Die anderen beiden haben die Prüfung ja auch ausgefüllt! Das ist absolut… in…akzep…abl…»
Er schaffte es kaum, seinen Satz zu beenden, so kleinlaut wurde er. Der Blick des Schulleiters jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Eine dunkle, gewalttätige Aura ging von ihm aus. Der Lehrer fühlte sich überhaupt nicht mehr wohl in seiner Haut.
«Wie war das?», fragte Frankenstein mit drohender Stimme, die sein Lächeln Lüge strafte.
«Nun… also… Er hat gar nichts geschrieben!», versuchte sich der stämmige Mann zu verteidigen, während ihm kalter Schweiss in den Nacken lief.
Er wusste ja nicht, wie sehr sich Frankenstein zusammenreissen musste, ihn nicht am Kragen zu packen und anzuschreien:
«Wie kannst du es wagen, das Verhalten meines Meisters zu kritisieren! Schlimm genug, dass er eine Prüfung über sich ergehen lassen muss! Als ob irgendjemand das Rechte hätte, von ihm ein Beweis seiner Fähigkeiten zu verlangen! Sei gefälligst respektvoll, du verdammter Mistkerl!»
Zum Glück schaffte es der Schulleiter gerade noch, sich davon abzuhalten. Also lächelte er weiter.
«Pedro. Was Raizel betrifft…»
-------------------------------------------------------- Am Abend -----------------------------------------------------------
«Ich kanns echt nicht fassen, dass du trotz deiner schlechten Noten nicht wiederholen musst!»
Ikhan klang beinahe beleidigt, doch Shinwoo lachte nur laut.
Die Kinder waren wie fast jeden Abend in Frankensteins Haus versammelt, redeten und lachten, während sich aufgerissene Knabberzeugpackungen auf dem Tisch häuften.
«Es ist eindeutig nicht gerecht», mischte sich Regis ein. «Ganz offensichtlich werden für dich andere Massstäbe angewandt. Dadurch werden alle anderen Schüler benachteiligt.»
«Ach, jetzt sei nicht so, Regis», gab Shinwoo zurück. «Du bist doch nur sauer, weil Seira die volle Punktzahl hat und du nur knapp genügend warst!»
«Als ob mich so etwas aufregen würde! Ich habe es doch nicht nötig, mich mit anderen zu vergleichen. Das ist vollkommen unelegant.»
«Ausserdem ist Seira eine wahre Musterschülerin. Ich wäre auch gerne so gut in Mathe…», warf Yuna ein. Seiras Wangen röteten sich bei diesem Kompliment.
Die anderen stimmten dem begeistert bei, wodurch Seiras Wangen noch etwas dunkler wurden.
«Aber was mich wirklich wundert:», wechselte Shinwoo das Thema, «Wie konnte Rai die Prüfung bestehen? Er hat doch gar nichts gelöst!»
Alle wendeten den Kopf dem Dunkelhaarigen zu, der schweigsam wie immer einen Schluck von seinem Tee nahm. Nur sein Blick flackerte ganz kurz zu seinem Diener hinüber, der etwas entfernt an der Anrichte lehnte.
«Naja, Rai hat halt noch immer Mühe, sich an das Leben in Korea zu gewöhnen», beantwortete Ikhan nun Shinwoos Frage.
«Stimmt. Und der Direx würde ihn nie durchfallen lassen, nicht wahr, Schulleiter Lee?»
«Die Yeran High nimmt selbstverständlich Rücksicht auf die besonderen Umstände ihrer Austauschschüler», bestätigte Frankenstein lächelnd und beobachtete, wie sei Herr verlegen den Kopf senkte.
Ach Meister, dachte er, macht euch keine Sorgen. Ich werde euch beschützen, vor allem und jedem! Auch vor der Mathematik!
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