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In den Tiefen der Hölle

von Timelord
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Freundschaft / P12 / Gen
Gabriele "Gaby" Glockner Inspektor "Wespe" Bienert Karl "der Computer" Vierstein Peter "Tim" Carsten Willi "Klößchen" Sauerlich
13.06.2021
13.06.2021
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«Gewonnen!»
Klösschen stiess triumphierend mit der Faust in die Luft und sonnte sich im Beifall seiner Mitschüler. Joachim Notke aus der 8a, den Klösschen und Tim gerade im Tischkickern geschlagen hatte, klatschte frustriert mit der Faust gegen die Seite des Automats. «Ach verdammt», fluchte er und raufte sich die sandfarbenen Haare. Sein Teamkollege Samuel schüttelte enttäuscht den Kopf, die Hände immer noch auf der richtigen Position, um Torhüter und Verteidiger zu steuern.
«Reife Leistung», meinte Tim und klatschte mit seinem Budenkameraden ab. Dann grinste er. «Endlich haben wir mal deine Sportart gefunden.» Klösschen schnaubte gespielt beleidigt und patschte Tim mit der flachen Hand gegen den Oberarm. «Banause», sagte er hochmütig. «Jedenfalls sind wir weiter.»
Tim nickte und sah zu dem Whiteboard, das neuerdings an der Wand hing. Dort notierte Zacharias aus der 9c das Ergebnis und an dem komplizierten Baumdiagramm war jetzt zu erkennen, dass das Team «Adlernest» eine Runde weiter war. Das Internatsinterne Tischkickerturnier war auf bestem Weg dazu, zu einer neuen Tradition zu werden. Schon seit mehr als zwei Wochen wurde an jedem zweiten Abend in verschiedenen Kategorien um den Sieg gekämpft. Die Mittelschüler, zu denen auch Tim und Klösschen gehörten, würden wohl in vier Tagen das entscheidende Match spielen und mittlerweile waren Tim und Klösschen im Viertelfinal.
«Wenn wir gewinnen, sind wir drei Monate vom Küchendienst befreit. Himmlisch, die Vorstellung!»
Tim lachte und nahm sich eine Cola, die auf dem Tisch im Hobbyraum bereitstand. Klösschen nahm stattdessen eine Handvoll Chips und sah auf das Whiteboard.
«Entweder die Wigwams oder die vom Tigerkäfig. Die packen wir mit links.»
«Nicht so vorschnell. Matti ist stark im Tor», sagte Tim und nahm wieder einen Schluck, bevor er lachte. «Wir tönen so, als ob wir gerade die Weltmeisterschaft besprechen würden.»
«Es geht hier um viel mehr als bloss eine schnöde Weltmeisterschaft», sagte Klösschen süffisant. «Schliesslich geht es um unsere freien Abenden.»
«Auch wieder wahr», lachte Tim. «Aber hör mal, ich verkrümel mich wohl mal. Ich will noch in die Turnhalle. Sonst gewinnen wir zwar das Kickerturnier, aber auf dem Judoturnier blamier ich mich.»
«Du doch nicht», sagte Klösschen und nahm erneut eine Hand voll mit Chips. «Aber meinen Segen hast du. Zisch ab.»
«Hochverehrtesten Dank», frotzelte Tim und machte einen Knicks, bevor er aus dem Hobbyraum ging, den anderen zuwinkend.
Er nahm die Treppe zwei Stufen auf einmal. Obwohl es erst neun war, schien das Haus um diese Zeit verlassen. Die Mittel- und Unterschüler tummelten sich in den Hobbyräumen, spielten Tischkicker oder schauten Fernsehen. Die Oberstufenschüler, welche nicht am Turnier teilnahmen, hatten Ausgang und dachten gar nicht erst daran, vor elf zurück zu sein. Tims Schritte hallten schon fast überdeutlich in seinen Ohren nach, als er den ersten Stock erreichte und zu der gemeinsamen Bude von ihm und Klösschen ging.
Er war noch nicht ganz an der Tür, als er eine Stimme hörte.
«…dann um halb zwei bei der Fabrik. Okay?»
Tim kannte die Stimme. Sie gehörte Damian Stoica aus der 10c, der erst seit einem halben Jahr im Internat wohnte, Tim aber schon weit länger kannte. Er besuchte die Internatsschule seit der fünften Klasse, doch seine Eltern waren im letzten Jahr weggezogen und so war aus dem Externen Schüler ein Interner geworden.
Damian war nie sonderlich aufgefallen und galt als eher still und zurückhaltend, doch sehr schlau und naturwissenschaftlich begabt, wo er sich besonders für Chemie interessierte. Jedoch hatte Tim mitbekommen, dass er sich in letzter Zeit häufig mit deutlich älteren Schülern abgab und mit ihnen herumhing. Ausserdem wirkte er in letzter Zeit häufig gereizt und verstimmt und war sogar uncharakteristisch aufmüpfig geworden.
Tim verlangsamte seinen Schritt etwas. Die Tür zu Damians Bude, dem «Tigerkäfig», war nur angelehnt. Offensichtlich hatte er es versäumt, sie ordentlich ins Schloss zu ziehen.
«Ja, klar sage ich niemandem was. Für wie dumm hältst du mich?»
Der ruppige Ton wollte nicht recht zu dem stillen Jungen passen. Tim bemühte sich jetzt um lautloses Auftreten und schlich näher. Seine Neugierde nahm einfach Überhand.
«Ich mach das schon. Dann wird alles wieder gut», sagte Damian. Ein paar Momente herrschte Stille, als der Junge offensichtlich lauschte. «Das ist ein Klacks. Dort ist nie jemand… Es hat ja nur den Zaun.» Seine Stimme klang etwas zittrig und er sprach etwas lauter als nötig. Vielleicht um sich selbst Mut zu machen. Wieder war es kurz still, bis Damians Stimme ertönte, diesmal leise. «Ja okay. Dann Tschüss. Bis später.»
Tim hörte ein Tuten und ging hastig ein paar Schritte zurück. Gerade rechtzeitig, denn Damian kam aus der Tür und sah Tim erstaunt an.
«Was machst du denn hier?», fragte er überrumpelt. Tim zeigte auf die Tür des Adlernests. «Hab gehört ein Tim wohnt dort. Ich will ihn besuchen.»
«Scherzkeks», murmelte Damian und sah verstimmt aus. «Alles okay?», fragte Tim deshalb. Für einen Moment musterte Damian ihn misstrauisch aus seinen grünen Augen. Tim realisierte schnell, dass Damian ihm keine Antwort auf die Frage geben würde und beschloss, abzulenken.
«Warum bist du nicht unten? Ich hab Freddy jedenfalls gesehen.» Gemeint war Frederik Larsen, der ebenfalls im Tigerkäfig wohnte. Damian zog die Tür hinter sich zu. «Ich wollte auch wieder nach Unten. Wir spielen noch gegen die Kajüten. Hab’ nur noch einen Anruf gekriegt von meiner Tante.»
Tim brummte, was alles heissen konnte. Damians etwas ruppiger Ton hatte nicht für ein Gespräch mit einer Tante gesprochen, aber die Erklärung klang zumindest bislang schlüssig und Tim hatte keinen Grund, seinem Mitschüler zu misstrauen.
«Dann viel Spass», sagte er schliesslich und wandte sich ab.
«Werde ich haben. See you.»
Tim hörte, wie Damian hinter ihm den Gang entlangging, als er in das Adlernest trat. Er schnappte sich seine Trainingsklamotten und schlüpfte hinein, doch in Gedanken war er immer noch bei dem Gespräch von vorher. Aus irgendeinem Grund spukten ihm Damians Worte immer noch im Kopf herum, doch er wurde nicht schlau daraus, egal wie oft er sie drehte.

***
Die ersten zwei Stunden am Freitag waren für die 9b eine frei, da sich Doktor Schindler eine fiese Grippe eingefangen hatte. Da er mit den anderen Geschichtspaukern auf einem Ausflug gewesen war, hatte er die ganze Meute angesteckt und so war das Internat für diese Woche «Geschichtslos», wie Klösschen frotzelte. Damit fiel natürlich auch eine etwaige Vertretung aus.
Tim sass auf einem Stuhl im Waschsaal, hatte das T-Shirt ausgezogen und liess sich von Klösschen die Haare schneiden. Die waren ihm nämlich am Vortag beim Training ordentlich in die Quere gekommen und da hatte er beschlossen, sie mal wieder kürzen zu lassen. Klösschen war darin überraschend geschickt und so vertraute Tim seinem Budenkameraden schon seit längerem die entsprechende Prozedur an.
«Was machst du denn für ein Gesicht?», fragte Klösschen und teilte Tims Haare gerade mit dem Kamm.
«Mir geht das Gespräch mit Damian nicht aus dem Kopf.»
«Welcher Damian denn?»
«Stoica. Der aus dem Tigerkäfig. Kennst du den noch einen?»
«Jetzt wo du’s sagst nö… Aber erzähl mal, was ist mit dem?»
Tim erzählte von dem Telefonat, während Klösschen mit der Schere hantierte und ein paar Mal brummte.
«Halb zwei bei der Fabrik», wiederholte er. «Zum Glück gibt es ja nur eine in der Stadt.»
«Haha», grimasste Tim, doch entspannte das Gesicht, als Klösschen seinen Kopf drehte und ihm ein paar Strähnen abschnitt. «Willst du hinten rasiert?»
«Seit wann hast du einen Rasierer?»
«Hat mir Papa zum Geburtstag geschenkt. Sauerlich-Männer bekommen früh Bart, hat er gesagt.»
Tim verkniff sich jeglichen Kommentar diesbezüglich und nickte stattdessen. «Klar, mach hinten ab. Und gestuft bitte.»
«Zu Befehl!»

***

Die dritte Stunde war Mathe, sehr zum Leidwesen von Klösschen, der auf dem ganzen Weg betrauerte, dass Doktor Schindler und Doktor Mechthild Bleul, genannt Tangente und ihre Mathelehrerin, sich nicht mochten.
Gaby und Karl warteten schon vor dem Klassenzimmer und nach dem Begrüssungskuss wurde Tim von seiner Freundin erst einmal begutachtet.
«Das sieht ja schick aus», sagte sie und fuhr Tim durch die Haare, die im Nacken ganz kurz waren und sich stachelig anfühlten. «Wenn du noch ein bisschen mehr Erfahrung sammelst, Klösschen, dann lass ich dich sogar an meine Haare.»
«Das wäre ja fast ein Ritterschlag im Frisörhandwerk», grinste Karl, was ihm einen Ellbogenstoss von Klösschen einbrachte.
«Nur weil es an deinen Haaren nicht viel zu machen gibt, musst du nicht meine Weiterbildung kritisieren», sagte Klösschen gespielt beleidigt und zog ein hochnäsiges Gesicht, das seine drei Freunde auflachen liess.
Dr. Bleul war mal wieder zu spät, doch die Schüler waren eigentlich nichts anderes gewohnt. So genial sie mit Zahlen war, so schlechter schien die Lehrerin eine Uhr lesen zu können. So schauten die meisten gar nicht erst auf, als sie fünf Minuten nach dem Klingeln in die Klasse gehetzt kam, sich entschuldigte und ihre Tasche auf das Lehrerpult fallen liess.
Die Doppelstunde verlief schleppend, da sie sich immer noch mit Trigonometrie herumschlugen. Tim und Karl war langweilig, während Klösschen und Gaby gemeinsam an einer Aufgabe knobelten und zu ihrer beiden Freude auch die richtige Antwort errechneten.
Als es klingelte packten die vier das Zeug zusammen und Tim stiess seinen Pultnachbaren Karl an.
«He Computer», sagte er leise. «Hast du heute Damian gesehen?»
Karl packte sein Matheheft ein und sah Tim über den Rand seiner Brille an. «Damian? Nein, der ist mir nicht begegnet. Warum fragst du?»
«Ich habe gestern ein bisschen ein komisches Gespräch mit angehört… Aber eventuell hat es nichts zu bedeuten.»
Karl zuckte mit den Schultern und räumte sein Mathezeug zusammen. Klösschen und Gaby standen bereits im Gang und alberten miteinander herum.
«Klösschen hat mir gerade erzählt, dass ihr angehende Weltmeister seid», zwinkerte sie. Tim grinste. «Angehende Nicht-Küchendienstler trifft es wohl eher», sagte er. «Heute sind die Viertelfinale. Wir spielen gegen die vom Tigerkäfig.»
«Die packen wir!», sagte Klösschen selbstbewusst. «Schliesslich hat Damian Reflexe wie eine Raupe und Freddys Hände zittern.»
«Dann viel Spass euch zweien», grinste Gaby, doch ihr Blick wurde sogleich wieder ernst. «Ich muss jedenfalls nach Hause, wir essen mal wieder zusammen zu Mittag. Papi hat ganz schön viel zu tun.»
«Mit was denn?», fragte Tim neugierig. Gaby zuckte mit den Schultern. «Das weiss ich nicht, jedenfalls war er kaum Zuhause und Mami hat endlich ein Machtwort gesprochen.»
«Sonst behelligen wir halt Wespe, der weiss sicher was», warf Klösschen ein, während er ein Stück Schokolade aus der Hosentasche nahm und Reihum anbot. Inspektor Bienert, genannt Wespe, war bis vor einigen Monaten Kommissar Glockners Assistent gewesen und verstand sich ganz gut mit TKKG. Jedoch war er anderweitig zugeteilt worden, weshalb Gaby auch bedauernd den Kopf schüttele, während sie ein Stückchen Schokolade in den Mund steckte.
«Nein, der ist nicht mehr am Puls, seit er mit Schalavsky herumhängen muss. Aber ich seh mal, was ich aus Papi herauskitzeln kann. Dann schönes Wochenende euch zweien!»
Die Jungs winkten ihr zum Abschied zu. Klösschen und Karl verabschiedeten sich ebenfalls, sie wollten bei Karl ein neues Game ausprobieren, womit Tim herzlich wenig anfangen konnte.
«Aber sei rechtzeitig wieder da», sagte Tim und drohte mit dem Zeigefinger. «Nicht dass wir de fakto disqualifiziert werden.»
«Keine Sorge, Häuptling», sagte Klösschen und salutierte beim Weggehen. «Ich werde rechtzeitig wieder da sein!»
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