Stiller Tod
von ReScripta
Kurzbeschreibung
Rango plagen Albträume. Jake ist wieder im Stadtgebiet gesichtet worden und das Chamäleon befürchtet einen Rachefeldzug des gefährlichen Killers. Trotz aller Vorsicht kann er nicht verhindern, dass Jake ihn doch eines Tages schnappt, und das wird schlimmer als jeder Albtraum.
GeschichteAngst / P12 / Gen
Klapperschlangen Jake
Rango
11.06.2021
15.06.2021
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11.06.2021
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Hallo! :) Diese Rango Geschichte ist schon älter. Hab sie mal vor Jahren verfasst und besteht nur aus drei Kapiteln, wollte sie aber nicht im Archiv verstauben lassen. Viel Spaß beim Lesen. ;)
Wo war er? Die Gegend kam ihm bekannt vor. Lichter fuhren an ihm vorbei. Jetzt erkannte er den Highway. Aber was machte er hier? Das Chamäleon sah sich um. Er hörte die Autos, die an ihm vorbeirauschten. Er spürte den Fahrtwind. Er stand am Straßenrand. Es war tiefste Nacht. Wieso stand er hier? Er konnte sich nicht erklären, wie er hierhergekommen war.
„Wir sehen uns auf der anderen Seite“, sagte eine Stimme.
Rango drehte sich um. Aber es war niemand zu sehen.
Er sah auf die andere Straßenseite. Dort schimmerte ein Licht. War das die Kutsche mit den goldenen Wächtern? Plötzlich tauchten am Nachthimmel feurige Bilder auf, die ihn kurz umschwirrten, dann wieder verschwanden.
Jemand schrie. Er drehte sich um. Vor sich konnte er die Stadt in einiger Entfernung erkennen.
Wer hatte da geschrien?
Er rannte los. Der Himmel vermischte sich mit der dunklen Nacht und einer leichten Dämmerung. Es wurde hell.
Kaum hatte er das Schild mit der Aufschrift „Dreck jetzt Schlamm“ erreicht, kippte es um.
Rango wollte es wieder hochheben, doch dann ertönte wieder ein Schrei und er ließ das Schild wieder fallen.
Wer schrie da?
Er rannte an den ersten Häusern vorbei. Die Fenster waren dunkel und leer.
Das Chamäleon sah sich um und lauschte. Die Turmuhr schlug mehrere Male.
Seine Augen wanderten zur Uhr hoch. Es war 4.20 Uhr. Wieso schlug die Uhr? War sie kaputt?
Wieder schrie jemand.
„Ich komme!“, rief er.
Er blickte in sämtliche Gassen. Aber sie waren alle leer und dunkel. Bis auf eine.
Rangos Augen weiteten sich. „Mister Timms“, hauchte er.
Der Plastikfisch bewegte sich noch kurz, dann lag er leblos auf dem Boden.
Rango rannte zu ihm hin. „Was ist passiert?“
Plötzlich bewegten sich die Augen des Spielzeugfisches in seine Richtung.
„Wo sind deine Freunde, Amigo?“
„Keine Ahnung“, antwortete Rango völlig verwirrt. „Vielleicht baden.“
„Das nützt dir nichts mehr“, hörte er eine andere Stimme von hinten.
Zuerst war die Gasse leer, doch dann tauchten wie aus dem Nichts zwei glühende Augen auf.
Die Gestalt wurde groß und kam auf ihn zu. „Hallo, Bruder. Durstig?“
Die Schlange öffnete ihren Mund.
Rango schluckte. „Keinen Durst.“
„Aber ich habe Durst“, entgegnete die dunkle Gestalt. „Sogar Hunger.“
Die Augen fingen plötzlich Feuer und sprangen ihn an. „AAHHH...“
„AAAAHHHHH!!!!“
Rango schrie wie am Spieß und setzte sich kerzengerade auf. Sein Herz raste wie wild.
Wie erstarrt saß er im Bett, seine Hände fest an der Bettdecke geklammert. So langsam drang es zu ihm durch, dass er nur geträumt hatte. Noch etwas zittrig setzte er sich auf die Bettkante.
„Okay, okay“, murmelte er. „Es war nur ein Traum. Es war nur ein Traum.“
Draußen dämmerte es. Rango warf einen Blick auf sein Bett, doch dann schüttelte er den Kopf. Er konnte nicht mehr einschlafen. Still stand er auf und zog sich seine Kleider über. Dann trat er raus auf die Straße. Niemand war zu sehen. Alle waren noch im Schlaf.
Nachdem er etwas nachgedacht hatte, beschloss er die Straße runter an den See zu gehen.
Der See lag friedlich neben der Stadt. Die Sonne ging gerade auf und spielte mit ihren ersten Strahlen sanft auf die Wasseroberfläche. Der Anblick war wunderschön. Das Chamäleon schloss die Augen und genoss die ersten warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Diese Ruhe entspannte ihn und ließ seinen Albtraum langsam wieder vergessen.
„Guten Morgen, Sheriff. Schon so früh auf den Beinen?“
Er öffnete die Augen und drehte sich um. Elgin, der alte Wüstenluchs, stand nicht weit entfernt in eine Art Jogging Anzug und wirkte sehr sportlich, trotz seines Alters.
Schnell stellte sich Rango in gewichtiger Position auf. „Das Gesetz schläft niemals.“
„Na wenn Sie meinen. Lust auf eine Runde Joggen?“
Rango hob dankend die Hände. „Besser nicht. Ich muss meine Kräfte reservieren für größere Aufgaben.“
„Tja, die werden Sie auch bestimmt brauchen“, meinte Elgin nebenbei, was Rango aber sofort aufhorchen ließ. „Wieso?“
„Ach nur so.“ Schnell drehte Elgin sich um und joggte weiter am Strand entlang.
Nachdenklich sah Rango ihm nach. Was hatte Elgin damit gemeint?
Im Saloon war alles still. Nur Buford stand schon hinter der Bar. Es hätte Rango nicht gewundert, wenn er dort sogar übernachten würde. Mit lässigen Schritten ging er zu ihm rüber und lehnte sich auf den Bartisch. Er wich kurz einem Spucken von Buford aus, womit die Kröte immer den Tisch abwischte.
„Morgen, Buford“, grüßte Rango in lockerer Stimme.
„Morgen, Sheriff“, murmelte Buford
„Heute noch keine Kunden gehabt?“, fragte Rango. „War gestern Abend noch etwas los im Hotel gewesen?“
„Nein, Sheriff. Alles in Ordnung. Oder zumindest beinah.“
Rango hob die Augenbrauen. „Beinah? Wieso?“
Buford schwieg und holte ein Glas zum Putzen. „Nicht wichtig.“
„Ach, komm schon“, sagte Rango mit heiterer Stimme. „Du weißt, dass du mir immer alles sagen kannst. Ich bin nicht nur Sheriff, sondern auch Amtsperson für alles. Also, was ist los gewesen? Ist euch der Kaktussaft ausgegangen?“
„Das wäre nur das mindere Übel.“
„Mindere? Wieso denn das?“
„Nun, es ist… Na ja…. Löffel kam gestern Nacht noch ins Hotel…“
Verwundert hob Rango den Kopf. „Ach, ist der schon wieder zurück von seinem Besuch von seinem Bruder? Ich dachte, er wollte erst Übermorgen kommen. Hat er es vor lauter Heimweh nicht mehr ausgehalten?“
Er kicherte leise. Aber Buford konnte nicht lachen. Stattdessen sah er stumm auf sein Glas, das inzwischen schon blitzblank war.
Rango räusperte sich entschuldigend und sah Buford fragend an. Warum benahmen sich heute Morgen alle so merkwürdig? Erst Elgin am Strand und jetzt auch noch Buford.
„Jetzt komm schon. Was ist denn los?“
„Ich denke, er soll es Ihnen besser selber sagen“, wich Buford seiner Frage aus.
Rango machte große Augen. „Was soll er mir sagen?“
In diesem Moment öffnete sich die Tür und die Goldgräbermaus Löffel betrat den Saloon.
„Sheriff, genau Sie habe ich die ganze Zeit gesucht!“
„Mich gesucht?“, fragte Rango verwirrt und lehnte sich mit den Rücken gegen die Bar. „Wieso denn das?“
„Ich wollte Sie nicht aufwecken, weil Sie doch Ihre Kräfte schonen müssen.“
„Ich verstehe überhaupt nichts, Löffel. Ich dachte, du wärst bei deinem Bruder zu Besuch.“
„War ich auch“, bestätigte Löffel und ging hastig zu Rango rüber. „Aber ich musste früher kommen, weil ich etwas Wichtiges erfahren habe.“
„Noch wichtiger als der Besuch bei deinem Bruder?“
„Die ganze Gegend spricht schon darüber.“
„Wovon?“ So langsam bekam Rango ein mulmiges Gefühl im Magen. „Jetzt sag es doch endlich!“
Löffel sah sich nach allen Seiten um, als ob er befürchtete, jemand würde sie belauschen. Dann beugte er sich vorsichtig zu Rango vor.
„Hören Sie“, raunte er ihm zu. „Ich hab da etwas gehört. Ich hab mich mit einigen Leuten aus der nahen Umgebung unterhalten. Und sie sagten mir, dass…“ Er hielt kurz inne, bevor er leise weitersprach. „…dass Klapperschlangen Jake sich wieder in der Nähe aufhalten sollte.“
Rango zuckte erschrocken zusammen. Wieder ging ihm der Traum an seinen inneren Augen vorbei. Sollte sein Traum doch kein Traum gewesen sein? War es vielleicht sogar eine instinktive Warnung gewesen?
„Bist du ganz sicher?“, fragte Rango forschend, wenn auch mit einem skeptischen Unterton.
„Warum sollten die Leute lügen?“, fragte Löffel.
„Wie ich sehe, hast du es ihm bereits erzählt“, sagte Elgin und betrat nun ebenfalls den Saloon. Sein Handtuch hatte er über die Schultern gelegt und musterte Rango prüfend.
Kurz darauf betrat Waffles, die Wüstenstachelechse, den Saloon. „Hey Leute, wisst ihr was ich gerade gehört habe?“
„Dass Jake wieder in der Umgebung ist“, murmelte Elgin düster.
Waffles sah sprachlos zu ihm hoch. „Ach, das wisst ihr schon?“
Elgin murmelte ein bejahendes „Mmmh“ und warf einen Seitenblick zu Rango rüber.
„Ich könnte mir schon vorstellen, warum er hierherkommen würde“, raunte er Waffles zu.
Nach diesen ersten Schrecksekunden hatte Rango sich einigermaßen wieder gefasst und tat so als ob es ihm nicht interessierten würde.
„Ach, wegen Jake würde ich mir keine Sorgen machen. Ich meine, wir sind zwar keine Blutsverwandten aber immerhin Reptilien. Und Verwandte bringen sich doch nicht gegenseitig um.“
„Sind Sie da ganz sicher, Sheriff?“, fragte Löffel, der nicht so ganz davon überzeugt war. „Jake ist nicht so einer, der gerne jemanden verschont. Schon gar nicht, wenn ihn jemand besiegt hat.“
„Hey!“, unterbrach ihn Rango. „Ich hab ihn ganz fair geschlagen. Okay? So nachtragend wird der schon gar nicht sein. Buford, gib mal eine Runde Kaktussaft aus.“
Stirnrunzelnd griff die Kröte ins Regal und holte eine Kaktussaft-Flasche raus. Offensichtlich fragte er sich gerade, ob der Sheriff wirklich überzeugt von seinen Gedanken war, oder ob er nur wieder etwas vorspielte.
„Und Sie sind sich wirklich ganz sicher, dass Jake sich nicht an Ihnen vergreifen will?“, fragte Buford während er den vieren und sich selber eingeschenkte. „Ich meine, immerhin, Löffel hat gar nicht so Unrecht. Wir kennen Jake viel länger als Sie. Und Klappeschlangen haben ein wilderes, rachsüchtigeres Blut als das eines Mexikaners, oder noch viel wilder als das eines Texaners.“
„Gerüchten zufolge soll Jake sogar aus Texas stammen“, fügte Löffel hinzu und trank sein kleines Glas aus. „Und Leute aus Texas verstehen in der Regel keinen Spaß.“
„Tz.“ Rango rümpfte die Nase und trank ebenfalls sein Glas in einem Zug aus. „Ich mach mir keine Sorgen. Jake hat Respekt vor meiner Kugel.“ Das Chamäleon griff nach seinem Revolver und schwenkte das Magazin demonstrativ raus und rein. „Der wird sich hüten mir zu nahe zu kommen.“
Mit diesen Worten stand er von Stuhl auf und ging zur Tür.
„Aber Sheriff“, rief Löffel ihm hinterher. „Sobald Jake die Möglichkeit hat, tötet er doch jeden, wenn es ihm passt.“
Rango hob die Augenbrauen und warf den Kopf in den Nacken. „Wenn dem so wäre, dann hätte er mich damals schon längst getötet. Aber er hat es nicht getan. Von daher, würde ich mir keine Sorgen machen. Mich bringt nicht so leicht etwas um.“
In diesem Moment schwang die Tür auf. Rango schrie erschrocken auf.
„Hey Leute“, grüßte Elbows, ein alter Wüstenkater, und rauschte in den Raum. „Ihr glaubt gar nicht was ich gerade gehört habe.“
„Was denn?“, fragte Rango schnell, nachdem er sich in dieser Sekunde wieder von seinem Schrecken erholt hatte.
Elbows wollte gerade Luft holen, doch Elgin kam ihm zuvor. „Jake ist wieder in der Nähe.“
Elbows stutzte. „Woher wisst ihr das?“
„Löffel hat es uns bereits gesagt“, sagte Buford und steckte sich eine Zigarre an. „Da warst du gestern Abend nicht dabei gewesen.“
„Oh, echt? Ich war gestern Abend noch auf der Nachbarfarm gewesen, weil es dort Ärger gegeben hatte.“
„Was denn für einen Ärger?“, fragte Rango, der für Verbrechen immer ein offenes Ohr hatte.
Außerdem, wenn Jake wirklich wieder in der Nähe war, dann konnte es doch nur Ärger geben.
„Nichts Besonderes“, berichtete Elbows „Nur wieder Viehdiebe, die die Roadrunners stehlen wollten.“
Rango atmete erleichtert auf. Jake stahl normalerweise keine Roadrunner. Höchstens nur unschuldigen Seelen.
„Na dann werde ich mir das mal ansehen.“
„Trauen Sie sich wirklich so alleine jetzt da raus?“, fragte Löffel unsicher, der immer noch im Hinterkopf hatte, dass Rango nicht aus dem Westen stammte. Viel weniger sogar, er war ein Haustier gewesen.
„Löffel, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Rango zog seine beiden Revolver und zielte damit in sämtliche Richtungen. „Ich bin die Sicherheit in Person von dieser Stadt. Ich habe Jake schon einmal besiegt und ich werde es auch diesmal wieder tun.“
Wieder schwang er die beiden Revolver. Diesmal allerdings zu schnell. Und eh er sich versah, fielen die Kugeln aus den Revolvern auf den Boden.
„Ähm… seht ihr, sogar meine Kugeln selber, können es kaum erwarten sich in den Kampf zu stürzen.“
Schnell sammelte er die Kugeln wieder ein und schlüpfte durch die Tür nach draußen.
Die anderen warfen sich fragende Blicke zu.
Bis zur besagten Nachbarfarm war es nicht weit. Doch während des Ritts mit dem Roadrunner fühlte Rango sich ständig beobachtet. Wieder war da diese Angst. Sein Herz hämmerte wie verrückt. Aber warum? Es war doch niemand hier. Rango hielt sich am Hals. Warum war er so nervös? Das musste doch einen Grund haben.
Nachdem er die Sache auf der Farm untersucht hatte, die lediglich aus einem demolierten Zaun und leergeschossenen Flinten bestand, machte er sich wieder auf den Rückweg zur Stadt. Unterwegs drehte er sich immer wieder um. Seine Augen bewegten sich in sämtliche Richtungen. Folgte ihm irgendetwas? Aber er konnte niemanden sehen.
Er war erleichtert, als er endlich die Stadt erreichte. Kaum war er auf der Straße, fühlte er sich schon fast wieder sicher. Vor dem Sheriff Büro hielt er an und stieg ab.
Er schrie auf, als er eine Hand auf der Schulter spürte und drehte sich um.
„Warum so erschrocken?“, fragte Fresca verwundert, die ihrem Sheriff nur ein Klaps auf die Schulter gegeben hatte. Rangos Herz raste wie wild. Schwer atmend hielt er sich den Brustkorb. „Schleich dich nicht immer so an.“
Die Eichhörnchendame kicherte. „Sind heute etwas gereizt, oder Sheriff?“
Rango nickte hastig. „Ja… war ein anstrengender Tag gewesen.“
Schnell eilte er ins Hotel, wo in der Hotelbar es laut einherging. Doch kaum hatte das Chamäleon einen Fuß über die Türschwelle gesetzt, verstummten mit einem Schlag sämtliche Gespräche. Sogar die Pokerspieler sahen von ihren Karten auf und starrten Rango an, als käme er von einem anderen Planten.
Für gefühlte zehn Sekunden blieb Rango sprachlos zwischen Bürgersteig und Raum stehen. Dann räusperte er sich.
„Ist etwas?“, fragte er verwundert.
Endlich kam wieder Bewegung in den eingefrorenen Raum und alle schüttelten abweisend die Köpfe. „Nein, nein“, beteuerten die Anwesenden und wandten sich wieder ihren Freizeitaktivitäten zu.
Etwas unsicher ging Rango zur Bar rüber, an der Buford wie jeden Abend Dienst hatte, wenn er von der Saloonbar zur Hotelbar wechselte.
Waffles und Elgin saßen zu beiden Seiten von Rango und schielten nur abwechselnd zum Sheriff rüber. Schließlich hielt Waffles es nicht mehr länger aus und stellte eine Frage, die ihm schon die ganze Zeit auf den Lippen brannte wie der Whisky in seinem Glas.
„Und?“, fragte er aufgeregt.
Rango sah ihn überrascht an. „Was und?“
„Na, da draußen, haben Sie ihn gesehen?“
Rango schluckte, tat aber so als wüsste er nicht was er meinte. „Wen denn?“
„Na… Klapperschlangen Jake.“
Alle hoben alarmierend die Köpfe und starrte Rango an. Dieser wiederum lächelte verschmitzt. „Äh… nein, da war absolut niemand außer mir, und ein paar Wüstensteinen und Kakteen. Ansonsten keine Seele.“
„Die hat bestimmt schon Jake zu sich genommen“, murmelte jemand in der Runde.
Rango wollte gerade zu einem Vortrag ansetzen als Elgin ihm zuvorkam. „Der Letzte, an dem Jake sich gerächt hatte, das war vor… wie vielen Jahren? 3 Jahren?“
„Oh, ja“, stimmte Furgus, der alte Wüstenkauz, ihm zu. „Kann mich noch gut an den Typen erinnern. Der hatte nur eine abfällige Bemerkung über ihn geäußert, vor der ganzen Stadt. Und am nächsten Tag hatte man nur noch seine ausgewürgten Eingeweide gefunden.“
Rango schluckte. Ihm wurde übel. Nervös zog er an seinem Halstuch.
„Aber Sie werden ihn bestimmt wieder verscheuchen, oder Sheriff?“, fragte Löffel.
Rango gab sich Mühe die bleiche Farbe aus seinem Gesicht wieder verschwinden zu lassen und hob stolz den Kopf. „Natürlich werde ich das. Das ist doch selbstverständlich. Aber wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet…“
Mit diesen Worten steuerte er auf den Ausgang zu. Er wollte nur so schnell wie möglich raus aus dieser stickigen Bude, unter deren Blicke der Anderen er beinahe erstickte.
„Viel Glück, Sheriff!“, rief Waffles ihm noch begeistert hinterher.
Rango winkte ihm übermütig zu, dann verschwand er hastig durch die Flügeltüren.
Kaum war er verschwunden setzten alle wieder ihre ernsten Gesichter auf. Alle schienen es zu wissen und jeder schien es zu ahnen.
Wieder im Büro fühlte Rango sich wieder etwas sicherer. Kein Bandit würde freiwillig ein Gefängnis stürmen. Zumindest hoffte er das.
„Alles okay“, versuchte er sich zu beruhigen, während er sich seine Kleider auszog. „Alles okay. Nur keine Aufregung.“
Mit zittrigen Händen nahm er die Öllampe vom Tisch und ging zu Bett.
„Es kann nichts passieren solange ich die Ruhe bewahre. Hörst du. Du musst ganz ruhig bleiben.“
Neben seinem Bett stellte er die Öllampe auf die Kommode. Dann schob er die Decke beiseite und schlüpfte ins Bett. Eine Weile saß er noch da und lauschte. Alles schien ruhig. So ruhig wie immer. Seine Augen wanderten in sämtliche Richtungen. Warum hatte er nur so ein merkwürdiges Gefühl, oder bildete er es sich nur ein?
Er atmete tief durch. „Ganz ruhig. Ganz ruhig.“
Mit einem erneuten tiefen Atemzug schloss er die Augen und entspannte seine Gesichtsmuskeln. Langsam wanderte die Entspannung bis in seine Hände und er spürte, wie er wieder ruhiger wurde. Er konzentrierte sich auf seine Atmung.
Rango kniff die Augen zusammen. Er stand auf der Straße mitten in der Stadt. Stand da am Ende der Straße nicht Bohne? Ja, sie war es.
„Bohne! Hallo, Bohne! Bohne!“
Wie wild winkte Rango zu ihr rüber. Doch Bohne schien ihn nicht zu hören. Stattdessen bog sie eilig in eine Seitenstraße. Schnell rannte Rango ihr nach.
„Bohne! Warte!“
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel. Überrascht sah Rango auf. Es war Nacht.
Wie schnell die Zeit vergeht, dachte er. Bohne, wo war Bohne? In der Seitenstraße war es stockfinster. Vielleicht war sie im Saloon. Rango machte kehrt. Doch im Saloon war es ebenfalls dunkel. Rangos Blick wanderte zur Turmuhr. Es war gerade erst 12.00 Mitternacht. Um diese Zeit waren die Leute doch noch im Hotel. Rango fuhr herum. Ein Rasseln hatte ihn aufgeschreckt. Er sah um sich. Aber es war niemand zu sehen. Er war ganz allein auf der Straße. Alle Häuser lagen im Dunkel. Wo waren die ganzen Bewohner?
Da. Eine große Gestalt stand am Eingang der Stadt. War das nicht…? Rango wich zurück.
„Ich hole dich!“ Hörte er eine Stimme. „Ich bringe deine Seele in die Hölle!“
PENG!
Rango schrie auf. Er kippte zur Seite und knallte auf den Boden. In diesem Moment rannte etwas am Fenster des Sheriffbüros vorbei. Die Stadtjungen spielten gerade mit Böllern auf der Straße und hatten den Schrei ihres Sheriffs gar nicht bemerkt.
Doch Rango war alles andere als erleichtert. Sein Herz raste wie ein Dampfhammer. Hastig stand er auf. Noch immer schwer atmend rannte er zu dem Wasserfass, das neben dem Schreibtisch stand und schöpfte sich eine große Kelle Wasser heraus. Hastig trank er die Tasse in einem Zug aus. Unruhig hielt er sich am Kopf und versuchte das gerade geträumte zu verarbeiten.
Als Rango an diesem Morgen in den Saloon kam, wirkte er sehr niedergeschlagen. Er torkelte eher als dass er ging. Müde ließ er sich auf einem freien Barhocker nieder und gähnte.
„Schlaflose Nacht gehabt, Sheriff?“, fragte Löffel heiter und dachte womöglich, dass Rango die ganze Nacht mit Bohne verbracht hätte.
„Nein, ich hab nur die ganze Nacht wach gelegen und die Gegend bewacht. Außer mir, macht das ja sowieso keiner!“
Erst jetzt merkte Rango, dass er fast geschrien hatte. Erschrocken sah er sich um. Alle starrten ihn an. Um jeder weiteren Frage zu entgehen verließ Rango schnell wieder den Saloon.
Als er Wounded Bird auf dem Gehsteig stehen sah, ging er zu ihm hin.
„Ah, mein Hilfssheriff. Gut dass ich dich hier finde. Hör zu. Wenn du irgendetwas sehen solltest, dann sag mir vorher Bescheid. Okay?“
Rango entfernte sich. Wounded Bird sah ihm fragend nach. Er spürte, dass Rango etwas bedrückte. Viel schlimmer. Er hatte Angst. Sogar sehr große Angst.
„Schlange wird kommen“, murmelte er leise. „Sei auf der Hut.“
An diesem Abend traute Rango sich gar nicht erst ins Bett zu gehen. Immer wieder ging er im Sheriffbüro auf und ab. Er kam einfach nicht zur Ruhe. Immer wieder hatte er das Gefühl beobachtet zu werden, was er aber immer wieder auf seine Nervosität zurückführte. Er blieb stehen. Ob er hier überhaupt noch sicher war?
Mit einem mulmigen Gefühl sah er aus dem Fenster raus auf die Straße, die komplett im Dunkeln lag. Rango merkte wie seine Hand zitterte. Immer wieder kam ihm das Bild aus seinem Traum in den Sinn, wo wie aus dem Nichts Jakes feurige Augen ihn anstarrten.
Rango fuhr herum.
Was war das? Irgendwo hatte es leise gescheppert, als ob etwas umgekippt wäre. Kam das Geräusch von drinnen oder von draußen? Er lauschte. Seine Atmung war angespannt und er wagte sich nicht zu bewegen. Nach einer Minute trat er vorsichtig zu seinem Schreibtisch und wollte sich gerade hinsetzten, als ihm wieder ein Geräusch zusammenfahren ließ.
Es kam eindeutig von draußen.
„Nicht rausgehen. Nicht rausgehen“, rief er sich immer wieder zu.
Ein paar Minuten lang blieb alles ruhig. Dann war da auf einmal ein leichtes Kratzen an der Tür. Rangos Herz schlug ihm bis zum Hals. Was war da draußen?
„Ach, bestimmt nur der Wind, der den Sand gegen die Holzwände scheuert“, versuchte er sich zu beruhigen. „Oder nur Kellerasseln, die nach Futter suchten.“
Erschrocken fuhr das Chamäleon hoch. Das Schaben an der Tür wurde lauter. Dann blieb alles wieder still. Rango konnte die Ungewissheit nicht mehr länger ertragen. Das reichte. Er war der Sheriff und kein Feigling mehr. Er stand auf, aber nicht ohne seinen Revolver. Anschließend riss er die Tür auf, den Revolver nach draußen gerichtet. Alles war leer. Niemand war zu sehen.
„Hallo!? Ist da jemand? Zwing mich nicht zu schießen!“
Vorsichtig wagte er einen Schritt nach draußen und sah sich prüfend nach allen Seiten um. Doch die Straße war leer. Total leer.
Ein leises schabendes Geräusch ließ ihn zusammenschrecken. Es kam vom Nachbargebäude.
Jetzt nahm Rango nicht nur einen sondern zwei Revolver zur Hand und trat nach draußen auf den Bürgersteig. Der Mond beleuchtete schwach die Straße. Rangos Blick wanderte zur Turmuhr. Es war kurz vor 2 Uhr morgens.
Mit klopfendem Herzen ging er zur Ecke und richtete die Revolver in die dunkle Gasse.
Plötzlich umschlag ihn etwas. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Röchelnd zappelte er im Würgegriff. Er spürte seinen Körper nicht mehr.
„Schlaf schön“, flüsterte eine dunkle Stimme.
Irgendetwas drückte enger zu. Keuchend rang Rango nach Luft. Dann wurde alles um ihn herum schwarz.
1. Albträume
Wo war er? Die Gegend kam ihm bekannt vor. Lichter fuhren an ihm vorbei. Jetzt erkannte er den Highway. Aber was machte er hier? Das Chamäleon sah sich um. Er hörte die Autos, die an ihm vorbeirauschten. Er spürte den Fahrtwind. Er stand am Straßenrand. Es war tiefste Nacht. Wieso stand er hier? Er konnte sich nicht erklären, wie er hierhergekommen war.
„Wir sehen uns auf der anderen Seite“, sagte eine Stimme.
Rango drehte sich um. Aber es war niemand zu sehen.
Er sah auf die andere Straßenseite. Dort schimmerte ein Licht. War das die Kutsche mit den goldenen Wächtern? Plötzlich tauchten am Nachthimmel feurige Bilder auf, die ihn kurz umschwirrten, dann wieder verschwanden.
Jemand schrie. Er drehte sich um. Vor sich konnte er die Stadt in einiger Entfernung erkennen.
Wer hatte da geschrien?
Er rannte los. Der Himmel vermischte sich mit der dunklen Nacht und einer leichten Dämmerung. Es wurde hell.
Kaum hatte er das Schild mit der Aufschrift „Dreck jetzt Schlamm“ erreicht, kippte es um.
Rango wollte es wieder hochheben, doch dann ertönte wieder ein Schrei und er ließ das Schild wieder fallen.
Wer schrie da?
Er rannte an den ersten Häusern vorbei. Die Fenster waren dunkel und leer.
Das Chamäleon sah sich um und lauschte. Die Turmuhr schlug mehrere Male.
Seine Augen wanderten zur Uhr hoch. Es war 4.20 Uhr. Wieso schlug die Uhr? War sie kaputt?
Wieder schrie jemand.
„Ich komme!“, rief er.
Er blickte in sämtliche Gassen. Aber sie waren alle leer und dunkel. Bis auf eine.
Rangos Augen weiteten sich. „Mister Timms“, hauchte er.
Der Plastikfisch bewegte sich noch kurz, dann lag er leblos auf dem Boden.
Rango rannte zu ihm hin. „Was ist passiert?“
Plötzlich bewegten sich die Augen des Spielzeugfisches in seine Richtung.
„Wo sind deine Freunde, Amigo?“
„Keine Ahnung“, antwortete Rango völlig verwirrt. „Vielleicht baden.“
„Das nützt dir nichts mehr“, hörte er eine andere Stimme von hinten.
Zuerst war die Gasse leer, doch dann tauchten wie aus dem Nichts zwei glühende Augen auf.
Die Gestalt wurde groß und kam auf ihn zu. „Hallo, Bruder. Durstig?“
Die Schlange öffnete ihren Mund.
Rango schluckte. „Keinen Durst.“
„Aber ich habe Durst“, entgegnete die dunkle Gestalt. „Sogar Hunger.“
Die Augen fingen plötzlich Feuer und sprangen ihn an. „AAHHH...“
„AAAAHHHHH!!!!“
Rango schrie wie am Spieß und setzte sich kerzengerade auf. Sein Herz raste wie wild.
Wie erstarrt saß er im Bett, seine Hände fest an der Bettdecke geklammert. So langsam drang es zu ihm durch, dass er nur geträumt hatte. Noch etwas zittrig setzte er sich auf die Bettkante.
„Okay, okay“, murmelte er. „Es war nur ein Traum. Es war nur ein Traum.“
Draußen dämmerte es. Rango warf einen Blick auf sein Bett, doch dann schüttelte er den Kopf. Er konnte nicht mehr einschlafen. Still stand er auf und zog sich seine Kleider über. Dann trat er raus auf die Straße. Niemand war zu sehen. Alle waren noch im Schlaf.
Nachdem er etwas nachgedacht hatte, beschloss er die Straße runter an den See zu gehen.
Der See lag friedlich neben der Stadt. Die Sonne ging gerade auf und spielte mit ihren ersten Strahlen sanft auf die Wasseroberfläche. Der Anblick war wunderschön. Das Chamäleon schloss die Augen und genoss die ersten warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Diese Ruhe entspannte ihn und ließ seinen Albtraum langsam wieder vergessen.
„Guten Morgen, Sheriff. Schon so früh auf den Beinen?“
Er öffnete die Augen und drehte sich um. Elgin, der alte Wüstenluchs, stand nicht weit entfernt in eine Art Jogging Anzug und wirkte sehr sportlich, trotz seines Alters.
Schnell stellte sich Rango in gewichtiger Position auf. „Das Gesetz schläft niemals.“
„Na wenn Sie meinen. Lust auf eine Runde Joggen?“
Rango hob dankend die Hände. „Besser nicht. Ich muss meine Kräfte reservieren für größere Aufgaben.“
„Tja, die werden Sie auch bestimmt brauchen“, meinte Elgin nebenbei, was Rango aber sofort aufhorchen ließ. „Wieso?“
„Ach nur so.“ Schnell drehte Elgin sich um und joggte weiter am Strand entlang.
Nachdenklich sah Rango ihm nach. Was hatte Elgin damit gemeint?
Im Saloon war alles still. Nur Buford stand schon hinter der Bar. Es hätte Rango nicht gewundert, wenn er dort sogar übernachten würde. Mit lässigen Schritten ging er zu ihm rüber und lehnte sich auf den Bartisch. Er wich kurz einem Spucken von Buford aus, womit die Kröte immer den Tisch abwischte.
„Morgen, Buford“, grüßte Rango in lockerer Stimme.
„Morgen, Sheriff“, murmelte Buford
„Heute noch keine Kunden gehabt?“, fragte Rango. „War gestern Abend noch etwas los im Hotel gewesen?“
„Nein, Sheriff. Alles in Ordnung. Oder zumindest beinah.“
Rango hob die Augenbrauen. „Beinah? Wieso?“
Buford schwieg und holte ein Glas zum Putzen. „Nicht wichtig.“
„Ach, komm schon“, sagte Rango mit heiterer Stimme. „Du weißt, dass du mir immer alles sagen kannst. Ich bin nicht nur Sheriff, sondern auch Amtsperson für alles. Also, was ist los gewesen? Ist euch der Kaktussaft ausgegangen?“
„Das wäre nur das mindere Übel.“
„Mindere? Wieso denn das?“
„Nun, es ist… Na ja…. Löffel kam gestern Nacht noch ins Hotel…“
Verwundert hob Rango den Kopf. „Ach, ist der schon wieder zurück von seinem Besuch von seinem Bruder? Ich dachte, er wollte erst Übermorgen kommen. Hat er es vor lauter Heimweh nicht mehr ausgehalten?“
Er kicherte leise. Aber Buford konnte nicht lachen. Stattdessen sah er stumm auf sein Glas, das inzwischen schon blitzblank war.
Rango räusperte sich entschuldigend und sah Buford fragend an. Warum benahmen sich heute Morgen alle so merkwürdig? Erst Elgin am Strand und jetzt auch noch Buford.
„Jetzt komm schon. Was ist denn los?“
„Ich denke, er soll es Ihnen besser selber sagen“, wich Buford seiner Frage aus.
Rango machte große Augen. „Was soll er mir sagen?“
In diesem Moment öffnete sich die Tür und die Goldgräbermaus Löffel betrat den Saloon.
„Sheriff, genau Sie habe ich die ganze Zeit gesucht!“
„Mich gesucht?“, fragte Rango verwirrt und lehnte sich mit den Rücken gegen die Bar. „Wieso denn das?“
„Ich wollte Sie nicht aufwecken, weil Sie doch Ihre Kräfte schonen müssen.“
„Ich verstehe überhaupt nichts, Löffel. Ich dachte, du wärst bei deinem Bruder zu Besuch.“
„War ich auch“, bestätigte Löffel und ging hastig zu Rango rüber. „Aber ich musste früher kommen, weil ich etwas Wichtiges erfahren habe.“
„Noch wichtiger als der Besuch bei deinem Bruder?“
„Die ganze Gegend spricht schon darüber.“
„Wovon?“ So langsam bekam Rango ein mulmiges Gefühl im Magen. „Jetzt sag es doch endlich!“
Löffel sah sich nach allen Seiten um, als ob er befürchtete, jemand würde sie belauschen. Dann beugte er sich vorsichtig zu Rango vor.
„Hören Sie“, raunte er ihm zu. „Ich hab da etwas gehört. Ich hab mich mit einigen Leuten aus der nahen Umgebung unterhalten. Und sie sagten mir, dass…“ Er hielt kurz inne, bevor er leise weitersprach. „…dass Klapperschlangen Jake sich wieder in der Nähe aufhalten sollte.“
Rango zuckte erschrocken zusammen. Wieder ging ihm der Traum an seinen inneren Augen vorbei. Sollte sein Traum doch kein Traum gewesen sein? War es vielleicht sogar eine instinktive Warnung gewesen?
„Bist du ganz sicher?“, fragte Rango forschend, wenn auch mit einem skeptischen Unterton.
„Warum sollten die Leute lügen?“, fragte Löffel.
„Wie ich sehe, hast du es ihm bereits erzählt“, sagte Elgin und betrat nun ebenfalls den Saloon. Sein Handtuch hatte er über die Schultern gelegt und musterte Rango prüfend.
Kurz darauf betrat Waffles, die Wüstenstachelechse, den Saloon. „Hey Leute, wisst ihr was ich gerade gehört habe?“
„Dass Jake wieder in der Umgebung ist“, murmelte Elgin düster.
Waffles sah sprachlos zu ihm hoch. „Ach, das wisst ihr schon?“
Elgin murmelte ein bejahendes „Mmmh“ und warf einen Seitenblick zu Rango rüber.
„Ich könnte mir schon vorstellen, warum er hierherkommen würde“, raunte er Waffles zu.
Nach diesen ersten Schrecksekunden hatte Rango sich einigermaßen wieder gefasst und tat so als ob es ihm nicht interessierten würde.
„Ach, wegen Jake würde ich mir keine Sorgen machen. Ich meine, wir sind zwar keine Blutsverwandten aber immerhin Reptilien. Und Verwandte bringen sich doch nicht gegenseitig um.“
„Sind Sie da ganz sicher, Sheriff?“, fragte Löffel, der nicht so ganz davon überzeugt war. „Jake ist nicht so einer, der gerne jemanden verschont. Schon gar nicht, wenn ihn jemand besiegt hat.“
„Hey!“, unterbrach ihn Rango. „Ich hab ihn ganz fair geschlagen. Okay? So nachtragend wird der schon gar nicht sein. Buford, gib mal eine Runde Kaktussaft aus.“
Stirnrunzelnd griff die Kröte ins Regal und holte eine Kaktussaft-Flasche raus. Offensichtlich fragte er sich gerade, ob der Sheriff wirklich überzeugt von seinen Gedanken war, oder ob er nur wieder etwas vorspielte.
„Und Sie sind sich wirklich ganz sicher, dass Jake sich nicht an Ihnen vergreifen will?“, fragte Buford während er den vieren und sich selber eingeschenkte. „Ich meine, immerhin, Löffel hat gar nicht so Unrecht. Wir kennen Jake viel länger als Sie. Und Klappeschlangen haben ein wilderes, rachsüchtigeres Blut als das eines Mexikaners, oder noch viel wilder als das eines Texaners.“
„Gerüchten zufolge soll Jake sogar aus Texas stammen“, fügte Löffel hinzu und trank sein kleines Glas aus. „Und Leute aus Texas verstehen in der Regel keinen Spaß.“
„Tz.“ Rango rümpfte die Nase und trank ebenfalls sein Glas in einem Zug aus. „Ich mach mir keine Sorgen. Jake hat Respekt vor meiner Kugel.“ Das Chamäleon griff nach seinem Revolver und schwenkte das Magazin demonstrativ raus und rein. „Der wird sich hüten mir zu nahe zu kommen.“
Mit diesen Worten stand er von Stuhl auf und ging zur Tür.
„Aber Sheriff“, rief Löffel ihm hinterher. „Sobald Jake die Möglichkeit hat, tötet er doch jeden, wenn es ihm passt.“
Rango hob die Augenbrauen und warf den Kopf in den Nacken. „Wenn dem so wäre, dann hätte er mich damals schon längst getötet. Aber er hat es nicht getan. Von daher, würde ich mir keine Sorgen machen. Mich bringt nicht so leicht etwas um.“
In diesem Moment schwang die Tür auf. Rango schrie erschrocken auf.
„Hey Leute“, grüßte Elbows, ein alter Wüstenkater, und rauschte in den Raum. „Ihr glaubt gar nicht was ich gerade gehört habe.“
„Was denn?“, fragte Rango schnell, nachdem er sich in dieser Sekunde wieder von seinem Schrecken erholt hatte.
Elbows wollte gerade Luft holen, doch Elgin kam ihm zuvor. „Jake ist wieder in der Nähe.“
Elbows stutzte. „Woher wisst ihr das?“
„Löffel hat es uns bereits gesagt“, sagte Buford und steckte sich eine Zigarre an. „Da warst du gestern Abend nicht dabei gewesen.“
„Oh, echt? Ich war gestern Abend noch auf der Nachbarfarm gewesen, weil es dort Ärger gegeben hatte.“
„Was denn für einen Ärger?“, fragte Rango, der für Verbrechen immer ein offenes Ohr hatte.
Außerdem, wenn Jake wirklich wieder in der Nähe war, dann konnte es doch nur Ärger geben.
„Nichts Besonderes“, berichtete Elbows „Nur wieder Viehdiebe, die die Roadrunners stehlen wollten.“
Rango atmete erleichtert auf. Jake stahl normalerweise keine Roadrunner. Höchstens nur unschuldigen Seelen.
„Na dann werde ich mir das mal ansehen.“
„Trauen Sie sich wirklich so alleine jetzt da raus?“, fragte Löffel unsicher, der immer noch im Hinterkopf hatte, dass Rango nicht aus dem Westen stammte. Viel weniger sogar, er war ein Haustier gewesen.
„Löffel, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Rango zog seine beiden Revolver und zielte damit in sämtliche Richtungen. „Ich bin die Sicherheit in Person von dieser Stadt. Ich habe Jake schon einmal besiegt und ich werde es auch diesmal wieder tun.“
Wieder schwang er die beiden Revolver. Diesmal allerdings zu schnell. Und eh er sich versah, fielen die Kugeln aus den Revolvern auf den Boden.
„Ähm… seht ihr, sogar meine Kugeln selber, können es kaum erwarten sich in den Kampf zu stürzen.“
Schnell sammelte er die Kugeln wieder ein und schlüpfte durch die Tür nach draußen.
Die anderen warfen sich fragende Blicke zu.
Bis zur besagten Nachbarfarm war es nicht weit. Doch während des Ritts mit dem Roadrunner fühlte Rango sich ständig beobachtet. Wieder war da diese Angst. Sein Herz hämmerte wie verrückt. Aber warum? Es war doch niemand hier. Rango hielt sich am Hals. Warum war er so nervös? Das musste doch einen Grund haben.
Nachdem er die Sache auf der Farm untersucht hatte, die lediglich aus einem demolierten Zaun und leergeschossenen Flinten bestand, machte er sich wieder auf den Rückweg zur Stadt. Unterwegs drehte er sich immer wieder um. Seine Augen bewegten sich in sämtliche Richtungen. Folgte ihm irgendetwas? Aber er konnte niemanden sehen.
Er war erleichtert, als er endlich die Stadt erreichte. Kaum war er auf der Straße, fühlte er sich schon fast wieder sicher. Vor dem Sheriff Büro hielt er an und stieg ab.
Er schrie auf, als er eine Hand auf der Schulter spürte und drehte sich um.
„Warum so erschrocken?“, fragte Fresca verwundert, die ihrem Sheriff nur ein Klaps auf die Schulter gegeben hatte. Rangos Herz raste wie wild. Schwer atmend hielt er sich den Brustkorb. „Schleich dich nicht immer so an.“
Die Eichhörnchendame kicherte. „Sind heute etwas gereizt, oder Sheriff?“
Rango nickte hastig. „Ja… war ein anstrengender Tag gewesen.“
Schnell eilte er ins Hotel, wo in der Hotelbar es laut einherging. Doch kaum hatte das Chamäleon einen Fuß über die Türschwelle gesetzt, verstummten mit einem Schlag sämtliche Gespräche. Sogar die Pokerspieler sahen von ihren Karten auf und starrten Rango an, als käme er von einem anderen Planten.
Für gefühlte zehn Sekunden blieb Rango sprachlos zwischen Bürgersteig und Raum stehen. Dann räusperte er sich.
„Ist etwas?“, fragte er verwundert.
Endlich kam wieder Bewegung in den eingefrorenen Raum und alle schüttelten abweisend die Köpfe. „Nein, nein“, beteuerten die Anwesenden und wandten sich wieder ihren Freizeitaktivitäten zu.
Etwas unsicher ging Rango zur Bar rüber, an der Buford wie jeden Abend Dienst hatte, wenn er von der Saloonbar zur Hotelbar wechselte.
Waffles und Elgin saßen zu beiden Seiten von Rango und schielten nur abwechselnd zum Sheriff rüber. Schließlich hielt Waffles es nicht mehr länger aus und stellte eine Frage, die ihm schon die ganze Zeit auf den Lippen brannte wie der Whisky in seinem Glas.
„Und?“, fragte er aufgeregt.
Rango sah ihn überrascht an. „Was und?“
„Na, da draußen, haben Sie ihn gesehen?“
Rango schluckte, tat aber so als wüsste er nicht was er meinte. „Wen denn?“
„Na… Klapperschlangen Jake.“
Alle hoben alarmierend die Köpfe und starrte Rango an. Dieser wiederum lächelte verschmitzt. „Äh… nein, da war absolut niemand außer mir, und ein paar Wüstensteinen und Kakteen. Ansonsten keine Seele.“
„Die hat bestimmt schon Jake zu sich genommen“, murmelte jemand in der Runde.
Rango wollte gerade zu einem Vortrag ansetzen als Elgin ihm zuvorkam. „Der Letzte, an dem Jake sich gerächt hatte, das war vor… wie vielen Jahren? 3 Jahren?“
„Oh, ja“, stimmte Furgus, der alte Wüstenkauz, ihm zu. „Kann mich noch gut an den Typen erinnern. Der hatte nur eine abfällige Bemerkung über ihn geäußert, vor der ganzen Stadt. Und am nächsten Tag hatte man nur noch seine ausgewürgten Eingeweide gefunden.“
Rango schluckte. Ihm wurde übel. Nervös zog er an seinem Halstuch.
„Aber Sie werden ihn bestimmt wieder verscheuchen, oder Sheriff?“, fragte Löffel.
Rango gab sich Mühe die bleiche Farbe aus seinem Gesicht wieder verschwinden zu lassen und hob stolz den Kopf. „Natürlich werde ich das. Das ist doch selbstverständlich. Aber wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet…“
Mit diesen Worten steuerte er auf den Ausgang zu. Er wollte nur so schnell wie möglich raus aus dieser stickigen Bude, unter deren Blicke der Anderen er beinahe erstickte.
„Viel Glück, Sheriff!“, rief Waffles ihm noch begeistert hinterher.
Rango winkte ihm übermütig zu, dann verschwand er hastig durch die Flügeltüren.
Kaum war er verschwunden setzten alle wieder ihre ernsten Gesichter auf. Alle schienen es zu wissen und jeder schien es zu ahnen.
Wieder im Büro fühlte Rango sich wieder etwas sicherer. Kein Bandit würde freiwillig ein Gefängnis stürmen. Zumindest hoffte er das.
„Alles okay“, versuchte er sich zu beruhigen, während er sich seine Kleider auszog. „Alles okay. Nur keine Aufregung.“
Mit zittrigen Händen nahm er die Öllampe vom Tisch und ging zu Bett.
„Es kann nichts passieren solange ich die Ruhe bewahre. Hörst du. Du musst ganz ruhig bleiben.“
Neben seinem Bett stellte er die Öllampe auf die Kommode. Dann schob er die Decke beiseite und schlüpfte ins Bett. Eine Weile saß er noch da und lauschte. Alles schien ruhig. So ruhig wie immer. Seine Augen wanderten in sämtliche Richtungen. Warum hatte er nur so ein merkwürdiges Gefühl, oder bildete er es sich nur ein?
Er atmete tief durch. „Ganz ruhig. Ganz ruhig.“
Mit einem erneuten tiefen Atemzug schloss er die Augen und entspannte seine Gesichtsmuskeln. Langsam wanderte die Entspannung bis in seine Hände und er spürte, wie er wieder ruhiger wurde. Er konzentrierte sich auf seine Atmung.
Rango kniff die Augen zusammen. Er stand auf der Straße mitten in der Stadt. Stand da am Ende der Straße nicht Bohne? Ja, sie war es.
„Bohne! Hallo, Bohne! Bohne!“
Wie wild winkte Rango zu ihr rüber. Doch Bohne schien ihn nicht zu hören. Stattdessen bog sie eilig in eine Seitenstraße. Schnell rannte Rango ihr nach.
„Bohne! Warte!“
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel. Überrascht sah Rango auf. Es war Nacht.
Wie schnell die Zeit vergeht, dachte er. Bohne, wo war Bohne? In der Seitenstraße war es stockfinster. Vielleicht war sie im Saloon. Rango machte kehrt. Doch im Saloon war es ebenfalls dunkel. Rangos Blick wanderte zur Turmuhr. Es war gerade erst 12.00 Mitternacht. Um diese Zeit waren die Leute doch noch im Hotel. Rango fuhr herum. Ein Rasseln hatte ihn aufgeschreckt. Er sah um sich. Aber es war niemand zu sehen. Er war ganz allein auf der Straße. Alle Häuser lagen im Dunkel. Wo waren die ganzen Bewohner?
Da. Eine große Gestalt stand am Eingang der Stadt. War das nicht…? Rango wich zurück.
„Ich hole dich!“ Hörte er eine Stimme. „Ich bringe deine Seele in die Hölle!“
PENG!
Rango schrie auf. Er kippte zur Seite und knallte auf den Boden. In diesem Moment rannte etwas am Fenster des Sheriffbüros vorbei. Die Stadtjungen spielten gerade mit Böllern auf der Straße und hatten den Schrei ihres Sheriffs gar nicht bemerkt.
Doch Rango war alles andere als erleichtert. Sein Herz raste wie ein Dampfhammer. Hastig stand er auf. Noch immer schwer atmend rannte er zu dem Wasserfass, das neben dem Schreibtisch stand und schöpfte sich eine große Kelle Wasser heraus. Hastig trank er die Tasse in einem Zug aus. Unruhig hielt er sich am Kopf und versuchte das gerade geträumte zu verarbeiten.
Als Rango an diesem Morgen in den Saloon kam, wirkte er sehr niedergeschlagen. Er torkelte eher als dass er ging. Müde ließ er sich auf einem freien Barhocker nieder und gähnte.
„Schlaflose Nacht gehabt, Sheriff?“, fragte Löffel heiter und dachte womöglich, dass Rango die ganze Nacht mit Bohne verbracht hätte.
„Nein, ich hab nur die ganze Nacht wach gelegen und die Gegend bewacht. Außer mir, macht das ja sowieso keiner!“
Erst jetzt merkte Rango, dass er fast geschrien hatte. Erschrocken sah er sich um. Alle starrten ihn an. Um jeder weiteren Frage zu entgehen verließ Rango schnell wieder den Saloon.
Als er Wounded Bird auf dem Gehsteig stehen sah, ging er zu ihm hin.
„Ah, mein Hilfssheriff. Gut dass ich dich hier finde. Hör zu. Wenn du irgendetwas sehen solltest, dann sag mir vorher Bescheid. Okay?“
Rango entfernte sich. Wounded Bird sah ihm fragend nach. Er spürte, dass Rango etwas bedrückte. Viel schlimmer. Er hatte Angst. Sogar sehr große Angst.
„Schlange wird kommen“, murmelte er leise. „Sei auf der Hut.“
An diesem Abend traute Rango sich gar nicht erst ins Bett zu gehen. Immer wieder ging er im Sheriffbüro auf und ab. Er kam einfach nicht zur Ruhe. Immer wieder hatte er das Gefühl beobachtet zu werden, was er aber immer wieder auf seine Nervosität zurückführte. Er blieb stehen. Ob er hier überhaupt noch sicher war?
Mit einem mulmigen Gefühl sah er aus dem Fenster raus auf die Straße, die komplett im Dunkeln lag. Rango merkte wie seine Hand zitterte. Immer wieder kam ihm das Bild aus seinem Traum in den Sinn, wo wie aus dem Nichts Jakes feurige Augen ihn anstarrten.
Rango fuhr herum.
Was war das? Irgendwo hatte es leise gescheppert, als ob etwas umgekippt wäre. Kam das Geräusch von drinnen oder von draußen? Er lauschte. Seine Atmung war angespannt und er wagte sich nicht zu bewegen. Nach einer Minute trat er vorsichtig zu seinem Schreibtisch und wollte sich gerade hinsetzten, als ihm wieder ein Geräusch zusammenfahren ließ.
Es kam eindeutig von draußen.
„Nicht rausgehen. Nicht rausgehen“, rief er sich immer wieder zu.
Ein paar Minuten lang blieb alles ruhig. Dann war da auf einmal ein leichtes Kratzen an der Tür. Rangos Herz schlug ihm bis zum Hals. Was war da draußen?
„Ach, bestimmt nur der Wind, der den Sand gegen die Holzwände scheuert“, versuchte er sich zu beruhigen. „Oder nur Kellerasseln, die nach Futter suchten.“
Erschrocken fuhr das Chamäleon hoch. Das Schaben an der Tür wurde lauter. Dann blieb alles wieder still. Rango konnte die Ungewissheit nicht mehr länger ertragen. Das reichte. Er war der Sheriff und kein Feigling mehr. Er stand auf, aber nicht ohne seinen Revolver. Anschließend riss er die Tür auf, den Revolver nach draußen gerichtet. Alles war leer. Niemand war zu sehen.
„Hallo!? Ist da jemand? Zwing mich nicht zu schießen!“
Vorsichtig wagte er einen Schritt nach draußen und sah sich prüfend nach allen Seiten um. Doch die Straße war leer. Total leer.
Ein leises schabendes Geräusch ließ ihn zusammenschrecken. Es kam vom Nachbargebäude.
Jetzt nahm Rango nicht nur einen sondern zwei Revolver zur Hand und trat nach draußen auf den Bürgersteig. Der Mond beleuchtete schwach die Straße. Rangos Blick wanderte zur Turmuhr. Es war kurz vor 2 Uhr morgens.
Mit klopfendem Herzen ging er zur Ecke und richtete die Revolver in die dunkle Gasse.
Plötzlich umschlag ihn etwas. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Röchelnd zappelte er im Würgegriff. Er spürte seinen Körper nicht mehr.
„Schlaf schön“, flüsterte eine dunkle Stimme.
Irgendetwas drückte enger zu. Keuchend rang Rango nach Luft. Dann wurde alles um ihn herum schwarz.