Still Here
von EinWeitesFeld
Kurzbeschreibung
Vierzehn Jahre sind vergangen seitdem sich Lynn dazu entschieden hat, die Zauberwelt endgültig hinter sich zu lassen. Im Januar 1996 ist sie so glücklich wie nie zuvor - sie ist verheiratet, Mutter von Zwillingen, lebt ein beschauliches Leben ohne Magie. Dann taucht ein seltsamer Fremder in ihrem Leben auf, magische Zeitungen mit unheilvollen Nachrichten liegen plötzlich auf ihrer Fußmatte und Lynn muss erkennen dass sie selbst zwar mit der Zauberwelt abgeschlossen haben mag - diese aber noch lange nicht mit ihr...
GeschichteAngst, Schmerz/Trost / P16 / Het
Bellatrix Lestrange
OC (Own Character)
Remus "Moony" Lupin
Sirius "Tatze" Black
03.06.2021
12.04.2023
30
151.860
15
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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03.06.2021
1.729
August 1981
Es gab nur wenige Bilder, die Severus Snape in seinem Leben nie wieder würde vergessen können.
Eines davon zeigte Lily. Nicht die Lily, die James Potter heiratete und mit ihm einen Sohn bekam, sondern die andere Lily. Die Lily, wie er sie als Kind kennengelernt hatte. Die strahlend grünen Augen, das wehende rote Haar und ganz besonders dieses einzigartige Lächeln, bei dem sich kleine Grübchen um ihren Mund bildeten und die Sommersprossen auf ihrer hellen Haut zu leuchten schienen. Ein Lächeln, welches lange Zeit nur ihm gegolten hatte, bis sie es ein für alle Mal an einen anderen, an diesen unausstehlichen Potter verschenkt hatte. Dieses Bild von Lily dominierte lange Zeit sein Denken, doch es blieb nie das einzige Bild, welches sich in seinen Gedanken festsetzte und nicht mehr vergessen werden konnte.
(Ein weiteres Bild von Lily war das ihrer Leiche. Ihr in sich verdrehter Körper vor dem zerstörten Bett ihres plärrenden Sohnes, der noch Weinen konnte, während seine Mutter unwiderruflich ihres jungen Lebens beraubt worden war. Dass er einmal ein solches Bild in Realität erblicken müsste, konnte er zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht wissen.)
Ein weiteres, weitaus schrecklicheres Bild als das oben Beschriebene, an welches er sich viel weniger gerne erinnerte, bot sich ihm an jenem Tag im Sommer 1981, im Haus der Malfoys, wo der Dunkle Lord seit einigen Monaten seine regelmäßigen Versammlungen im engsten Kreis abhielt, zu dem Snape nun auch zu gehören schien. Es schmerzte ihn sich daran zu erinnern, mit welcher Art von Information er sich diesen Platz erkauft hatte. Noch mehr schmerzte ihn jedoch der Gedanke daran, der Dunkle Lord könnte erfahren, dass er doch tatsächlich mit Dumbledore gesprochen hatte…über Lily…
Die Furcht um sie half Snape einen klaren Kopf zu behalten. Insbesondere wenn sich der Dunkle Lord Zugang dazu beschaffte, so wie er es eben noch vor wenigen Minuten getan hatte. Er hatte gerade den Salon hinter sich verlassen, in welchem der Dunkle Lord noch weitere Anweisungen verteilte an Lucius Malfoy, als dessen Frau, Narzissa Malfoy, plötzlich zu Snapes Rechten auftauchte. Sie taumelte leicht, rempelte ihn von der Seite an, ob absichtlich oder ausversehen wurde unerheblich, als Snape ihr Gesicht sah.
Es war noch blasser als gewöhnlich; ihre Haut war ein beinahe durchsichtiges Tuch, unter dem sich die Adern deutlich abzeichneten. Sie zitterte, an ihren Händen klebte Blut. Sobald sie ihn wirklich zu sehen schien, gruben sich ihre Finger in seinen Ärmel, Nägel piksten in die Haut darunter, sodass er sich unwirsch ihrem unangemessenen Griff entziehen wollte, bis sie ihn anflehte, sie vorher anzuhören.
Das hatte er dann auch getan, aber keines ihrer Worte wollte wirklich Sinn ergeben. Sie redete wirres Zeug, irgendwas von einem Mädchen und einem Baby; er verstand nicht, was sie von ihm wollen könnte, bis sie ihn, der sich nur widerwillig einfach so mitziehen ließ, denn er hatte weitaus Wichtigeres zu tun. Aber Narzissa zwang ihn mit erstaunlicher Kraft, die er ihrer zarten Statur überhaupt nicht zugetraut hatte, ihr eine Treppe hinauf zu folgen, einen Flur hinab, bis in eine kleine Kammer am Ende des Ganges, deren Tür offenstand.
Das war also das berühmt-berüchtigte Bild, welches er nie wieder so ganz aus dem Kopf bekommen würde.
Es war ein einziges Schlachtfeld. Hätte er es nicht besser gewusst (und das tat er eben nicht), hätte er geglaubt, dass ein Werwolf hier eingefallen und das arme Mädchen im Wahn zerfleischt hatte. Sie lag in der Mitte des Bettes, auf der nackten Matratze, Arme und Beine weit von sich gespreizt. Er konnte nicht mal sagen, ob sie nackt war oder etwas trug – rotes, dickflüssiges Blut war zu ihrer zweiten Haut geworden. Es war überall; sickerte in das ehemals helle Laken, überzog sogar ihr Gesicht mit winzigen Spritzern.
„Sie müssen ihr helfen, Severus, Sie müssen ihr helfen…“, wiederholte Narzissa neben ihm immerzu mit gepresster Stimme. Es klang beinahe so, als sei sie kurz davor sich zu übergeben. Bitte nicht, betete Severus, ohne je gläubig gewesen zu sein. Ihre Hände umklammerten noch immer seinen nagelneuen Umhang.
Snape war sich nicht sicher, ob es da überhaupt noch etwas zum Helfen gab. Das Mädchen war dort, wo das Blut sie noch nicht bedeckt hatte, leichenblass. Ihre Augen waren geschlossen, doch als er sich vorsichtig näherte, sah er, dass ihre Lider unablässig zuckten, jedoch nie genug Kraft hatten ganz aufzuspringen. Auch ihre Brust senkte sich ganz behutsam, ganz so als nähme sie ihre letzten Atemzüge. Unwahrscheinlich war das nicht. Bei ihrem Zustand. Er wagte zu behaupten, dass es ein Wunder war, dass sie überhaupt noch atmete.
„Severus, bitte…“
Er ignorierte Narzissas Flehen und ließ sich neben dem Mädchen nieder. Es konnte nicht alt sein, vielleicht sechzehn, siebzehn Jahre. Manchmal vergaß er beinahe, dass er selbst noch nicht viel älter als 21 war; in Zeiten wie diesen fühlte er sich einfach uralt – genau genommen hatte er sich selten überhaupt jung gefühlt. Wirklich jung war er eh nur mit Lily gewesen. Snape schloss kurz die Augen, atmete durch den Mund einmal ein und aus und zog dann seinen Zauberstab aus der Tasche. Er wusste, warum Narzissa gerade ihn aufgesucht hatte; es hatte sie immer beeindruckt, wie gut er mit Heilzaubern und Tränken umgehen konnte. Er war kein ausgebildeter Heiler, doch er wusste genug. Jetzt, wo er direkt neben dem sterbenden Mädchen kniete, konnte er den Ursprung des Blutflusses erkennen. Es war ein langer Schnitt, der sich quer über ihre Bauchdecke zog. Das Messer, mit dem der Schnitt durchgeführt worden war, konnte nicht besonders scharf gewesen sein – dafür war die Spur auf ihrer Haut zu abgehackt und ungerade.
Äußerst verwunderlich war die Tatsache, dass man ihren Bauch nicht nur aufgeschnitten hatte, sondern auch darin gewühlt zu haben schien. Snape hinterfragte es nicht; das hatte er in den letzten Jahren gelernt - manchmal war es besser, nicht alles zu wissen. Besonders wenn es einen eigentlich nichts anging.
Er murmelte die wenigen Sprüche, die ihm einfielen, um einen so immensen Blutfluss stoppen zu können. Der Zeitpunkt, an dem man ihr diese Verletzung zugefügt hatte, konnte noch nicht lange her sein. Das Blut sprudelte nur so hervor, sie wäre schon längst verblutet gewesen. Kurz hielt er den Atem an und befürchtete, dass seine Bemühungen umsonst gewesen waren, dass er zu spät gekommen und dass das Mädchen schon längst verstorben war, da…schlug sein Zauber an und der Schnitt schloss sich Zentimeter für Zentimeter, bis Snape schließlich auf eine rötlich verfärbte Narbe hinabblickte. Ihm war als würde die Brust des Mädchens genau in diesem Moment beginnen sich kräftiger zu heben, während das Leben langsam zurück in ihren Körper floss.
Und dennoch, sie hatte so viel Blut verloren, dass er auf Nummer sicher gehen musste. Er war kurz davor, sich zu Narzissa umzudrehen und sie zu fragen, ob sie nicht zufällig einen blutbildenden Trank irgendwo zur Verfügung habe, als etwas nach seiner Hand fasste. Das Mädchen hatte die Augen aufgeschlagen; sie schimmerten in einem matten Dunkelgrün, dass ihn unweigerlich an Lily erinnerte, obwohl ihre viel heller waren. Jeder Mensch mit grünen Augen löste derzeit diese Sensation in ihm aus. Ihre Hand umfasste seine Hand mit erstaunlicher Kraft für jemanden, der gerade beinahe vor seinen Augen verblutet war. Snape war zu verwundert, um sich sofort von ihr loszureißen.
„Bitte…“, murmelte sie mit schwacher Stimme. Ihre Augen schimmerten glasig, auf ihren Wangen bildeten sich rote Flecken, unter welchen die unregelmäßigen Blutspritzer schrumpften. Ihre Lippen teilten sich erneut, um zu sprechen, doch es kam nur ein rasselnder Atemzug…bis: „B- Bitte…mein Kind…“, sie schluchzte, „Sie hat mir mein…wo ist es…wo ist…mein Kind…“
Snape war für einen Moment sprachlos und das war er wirklich sehr selten. Stets entschied er sich dafür zu schweigen; er tat es nicht, weil ihm nichts eingefallen wäre – aber jetzt? Ihm blieb keine Zeit, etwas zu erwidern oder irgendwie auf die unaussprechliche Hilflosigkeit, die sich in den Augen des Mädchens spiegelte, zu reagieren, als Narzissa ihn schon beiseiteschob. Die Hand des Mädchens löste sich aus seiner, so stark war sie dann doch wieder nicht; er sah sie schlaff von der Bettkante gleiten.
Narzissa setzte sich auf den Teil des Lakens, der nicht von Blut durchtränkt worden war, zog den Kopf des schluchzenden Mädchens behutsam auf ihren Schoß und begann damit, ihr routiniert durchs verklebte Haar zu streichen, wie um sie beruhigen zu wollen. Das Mädchen aber schien sie gar nicht wahrzunehmen; ihre Hände hatten sich zu kleinen Fäusten geballt, die hilflos zuckten, aber nichts unternehmen konnten. Sie zitterte und schluchzte und schnappte immer wieder nach Luft wie jemand, dem nach und nach die Luft ausging, dabei war sich Snape sicher, dass sie genug Luft bekam; sie hyperventilierte.
„Scht, scht…“, flüsterte Narzissa und redete ihr gut zu, während ihre Finger immerzu ihren Kopf streichelten. „Alles wird gut. Alles wird…“ Sie sah auf und erblickte Snape, wie er noch immer hilflos mitten im Raum stand, den Zauberstab in der herabhängenden Hand. Kurz verharrten ihre Finger regungslos dort wo sie waren, dann setzten sie sich erneut in Bewegung. Ihre Lippen formten ein freundliches Danke, aber alles andere an ihr sah eher so aus als betrachte sie ihn urplötzlich als Eindringling, als jemanden den sie lieber nicht länger um sich haben wollte. Den sie nicht noch Minuten zuvor angefleht hatte, das Leben des Mädchens zu retten, welches sie jetzt auf ihren Knien schaukelte wie ein Kleinkind.
Die Augen des Mädchens aber klebten unerschütterlich an ihm, an seinem Gesicht, so als könne sein bloßer Anblick ihr helfen. Und vielleicht war es so, vielleicht hätte er etwas tun können, um nicht nur ihre körperlichen Schmerzen sondern auch ihr seelisches Leiden zu lindern. Und vielleicht hätte er das sogar getan, wenn da nicht Lily gewesen wäre. Seit Tagen – ach was! Seit Wochen schon! - konnte er an nichts anderes mehr denken als an die Tatsache, dass Lily - seine Lily - die Mutter des Kindes sein sollte, dass den Dunklen Lord der Prophezeiung zufolge besiegen könnte. Und das bedeutete, dass man nicht nur das Kind töten würde, sondern sicherlich auch dessem Mutter…er musste sie retten…er musste einfach einen Weg finden…Dumbledore hatte versprochen für ihren Schutz zu sorgen, aber konnte man ihm wirklich trauen?
Und wäre er nicht so sehr in seinen eigenen Problemen gefangen gewesen, dann hätte er dem Mädchen, welches ihn da so flehend ansah, vielleicht helfen können. Aber so drehte er sich auf dem Absatz um und ging, das Mädchen seinem Schicksal überlassend. So grausam das auch sein mochte.
Es gab nur wenige Bilder, die Severus Snape in seinem Leben nie wieder würde vergessen können.
Eines davon zeigte Lily. Nicht die Lily, die James Potter heiratete und mit ihm einen Sohn bekam, sondern die andere Lily. Die Lily, wie er sie als Kind kennengelernt hatte. Die strahlend grünen Augen, das wehende rote Haar und ganz besonders dieses einzigartige Lächeln, bei dem sich kleine Grübchen um ihren Mund bildeten und die Sommersprossen auf ihrer hellen Haut zu leuchten schienen. Ein Lächeln, welches lange Zeit nur ihm gegolten hatte, bis sie es ein für alle Mal an einen anderen, an diesen unausstehlichen Potter verschenkt hatte. Dieses Bild von Lily dominierte lange Zeit sein Denken, doch es blieb nie das einzige Bild, welches sich in seinen Gedanken festsetzte und nicht mehr vergessen werden konnte.
(Ein weiteres Bild von Lily war das ihrer Leiche. Ihr in sich verdrehter Körper vor dem zerstörten Bett ihres plärrenden Sohnes, der noch Weinen konnte, während seine Mutter unwiderruflich ihres jungen Lebens beraubt worden war. Dass er einmal ein solches Bild in Realität erblicken müsste, konnte er zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht wissen.)
Ein weiteres, weitaus schrecklicheres Bild als das oben Beschriebene, an welches er sich viel weniger gerne erinnerte, bot sich ihm an jenem Tag im Sommer 1981, im Haus der Malfoys, wo der Dunkle Lord seit einigen Monaten seine regelmäßigen Versammlungen im engsten Kreis abhielt, zu dem Snape nun auch zu gehören schien. Es schmerzte ihn sich daran zu erinnern, mit welcher Art von Information er sich diesen Platz erkauft hatte. Noch mehr schmerzte ihn jedoch der Gedanke daran, der Dunkle Lord könnte erfahren, dass er doch tatsächlich mit Dumbledore gesprochen hatte…über Lily…
Die Furcht um sie half Snape einen klaren Kopf zu behalten. Insbesondere wenn sich der Dunkle Lord Zugang dazu beschaffte, so wie er es eben noch vor wenigen Minuten getan hatte. Er hatte gerade den Salon hinter sich verlassen, in welchem der Dunkle Lord noch weitere Anweisungen verteilte an Lucius Malfoy, als dessen Frau, Narzissa Malfoy, plötzlich zu Snapes Rechten auftauchte. Sie taumelte leicht, rempelte ihn von der Seite an, ob absichtlich oder ausversehen wurde unerheblich, als Snape ihr Gesicht sah.
Es war noch blasser als gewöhnlich; ihre Haut war ein beinahe durchsichtiges Tuch, unter dem sich die Adern deutlich abzeichneten. Sie zitterte, an ihren Händen klebte Blut. Sobald sie ihn wirklich zu sehen schien, gruben sich ihre Finger in seinen Ärmel, Nägel piksten in die Haut darunter, sodass er sich unwirsch ihrem unangemessenen Griff entziehen wollte, bis sie ihn anflehte, sie vorher anzuhören.
Das hatte er dann auch getan, aber keines ihrer Worte wollte wirklich Sinn ergeben. Sie redete wirres Zeug, irgendwas von einem Mädchen und einem Baby; er verstand nicht, was sie von ihm wollen könnte, bis sie ihn, der sich nur widerwillig einfach so mitziehen ließ, denn er hatte weitaus Wichtigeres zu tun. Aber Narzissa zwang ihn mit erstaunlicher Kraft, die er ihrer zarten Statur überhaupt nicht zugetraut hatte, ihr eine Treppe hinauf zu folgen, einen Flur hinab, bis in eine kleine Kammer am Ende des Ganges, deren Tür offenstand.
Das war also das berühmt-berüchtigte Bild, welches er nie wieder so ganz aus dem Kopf bekommen würde.
Es war ein einziges Schlachtfeld. Hätte er es nicht besser gewusst (und das tat er eben nicht), hätte er geglaubt, dass ein Werwolf hier eingefallen und das arme Mädchen im Wahn zerfleischt hatte. Sie lag in der Mitte des Bettes, auf der nackten Matratze, Arme und Beine weit von sich gespreizt. Er konnte nicht mal sagen, ob sie nackt war oder etwas trug – rotes, dickflüssiges Blut war zu ihrer zweiten Haut geworden. Es war überall; sickerte in das ehemals helle Laken, überzog sogar ihr Gesicht mit winzigen Spritzern.
„Sie müssen ihr helfen, Severus, Sie müssen ihr helfen…“, wiederholte Narzissa neben ihm immerzu mit gepresster Stimme. Es klang beinahe so, als sei sie kurz davor sich zu übergeben. Bitte nicht, betete Severus, ohne je gläubig gewesen zu sein. Ihre Hände umklammerten noch immer seinen nagelneuen Umhang.
Snape war sich nicht sicher, ob es da überhaupt noch etwas zum Helfen gab. Das Mädchen war dort, wo das Blut sie noch nicht bedeckt hatte, leichenblass. Ihre Augen waren geschlossen, doch als er sich vorsichtig näherte, sah er, dass ihre Lider unablässig zuckten, jedoch nie genug Kraft hatten ganz aufzuspringen. Auch ihre Brust senkte sich ganz behutsam, ganz so als nähme sie ihre letzten Atemzüge. Unwahrscheinlich war das nicht. Bei ihrem Zustand. Er wagte zu behaupten, dass es ein Wunder war, dass sie überhaupt noch atmete.
„Severus, bitte…“
Er ignorierte Narzissas Flehen und ließ sich neben dem Mädchen nieder. Es konnte nicht alt sein, vielleicht sechzehn, siebzehn Jahre. Manchmal vergaß er beinahe, dass er selbst noch nicht viel älter als 21 war; in Zeiten wie diesen fühlte er sich einfach uralt – genau genommen hatte er sich selten überhaupt jung gefühlt. Wirklich jung war er eh nur mit Lily gewesen. Snape schloss kurz die Augen, atmete durch den Mund einmal ein und aus und zog dann seinen Zauberstab aus der Tasche. Er wusste, warum Narzissa gerade ihn aufgesucht hatte; es hatte sie immer beeindruckt, wie gut er mit Heilzaubern und Tränken umgehen konnte. Er war kein ausgebildeter Heiler, doch er wusste genug. Jetzt, wo er direkt neben dem sterbenden Mädchen kniete, konnte er den Ursprung des Blutflusses erkennen. Es war ein langer Schnitt, der sich quer über ihre Bauchdecke zog. Das Messer, mit dem der Schnitt durchgeführt worden war, konnte nicht besonders scharf gewesen sein – dafür war die Spur auf ihrer Haut zu abgehackt und ungerade.
Äußerst verwunderlich war die Tatsache, dass man ihren Bauch nicht nur aufgeschnitten hatte, sondern auch darin gewühlt zu haben schien. Snape hinterfragte es nicht; das hatte er in den letzten Jahren gelernt - manchmal war es besser, nicht alles zu wissen. Besonders wenn es einen eigentlich nichts anging.
Er murmelte die wenigen Sprüche, die ihm einfielen, um einen so immensen Blutfluss stoppen zu können. Der Zeitpunkt, an dem man ihr diese Verletzung zugefügt hatte, konnte noch nicht lange her sein. Das Blut sprudelte nur so hervor, sie wäre schon längst verblutet gewesen. Kurz hielt er den Atem an und befürchtete, dass seine Bemühungen umsonst gewesen waren, dass er zu spät gekommen und dass das Mädchen schon längst verstorben war, da…schlug sein Zauber an und der Schnitt schloss sich Zentimeter für Zentimeter, bis Snape schließlich auf eine rötlich verfärbte Narbe hinabblickte. Ihm war als würde die Brust des Mädchens genau in diesem Moment beginnen sich kräftiger zu heben, während das Leben langsam zurück in ihren Körper floss.
Und dennoch, sie hatte so viel Blut verloren, dass er auf Nummer sicher gehen musste. Er war kurz davor, sich zu Narzissa umzudrehen und sie zu fragen, ob sie nicht zufällig einen blutbildenden Trank irgendwo zur Verfügung habe, als etwas nach seiner Hand fasste. Das Mädchen hatte die Augen aufgeschlagen; sie schimmerten in einem matten Dunkelgrün, dass ihn unweigerlich an Lily erinnerte, obwohl ihre viel heller waren. Jeder Mensch mit grünen Augen löste derzeit diese Sensation in ihm aus. Ihre Hand umfasste seine Hand mit erstaunlicher Kraft für jemanden, der gerade beinahe vor seinen Augen verblutet war. Snape war zu verwundert, um sich sofort von ihr loszureißen.
„Bitte…“, murmelte sie mit schwacher Stimme. Ihre Augen schimmerten glasig, auf ihren Wangen bildeten sich rote Flecken, unter welchen die unregelmäßigen Blutspritzer schrumpften. Ihre Lippen teilten sich erneut, um zu sprechen, doch es kam nur ein rasselnder Atemzug…bis: „B- Bitte…mein Kind…“, sie schluchzte, „Sie hat mir mein…wo ist es…wo ist…mein Kind…“
Snape war für einen Moment sprachlos und das war er wirklich sehr selten. Stets entschied er sich dafür zu schweigen; er tat es nicht, weil ihm nichts eingefallen wäre – aber jetzt? Ihm blieb keine Zeit, etwas zu erwidern oder irgendwie auf die unaussprechliche Hilflosigkeit, die sich in den Augen des Mädchens spiegelte, zu reagieren, als Narzissa ihn schon beiseiteschob. Die Hand des Mädchens löste sich aus seiner, so stark war sie dann doch wieder nicht; er sah sie schlaff von der Bettkante gleiten.
Narzissa setzte sich auf den Teil des Lakens, der nicht von Blut durchtränkt worden war, zog den Kopf des schluchzenden Mädchens behutsam auf ihren Schoß und begann damit, ihr routiniert durchs verklebte Haar zu streichen, wie um sie beruhigen zu wollen. Das Mädchen aber schien sie gar nicht wahrzunehmen; ihre Hände hatten sich zu kleinen Fäusten geballt, die hilflos zuckten, aber nichts unternehmen konnten. Sie zitterte und schluchzte und schnappte immer wieder nach Luft wie jemand, dem nach und nach die Luft ausging, dabei war sich Snape sicher, dass sie genug Luft bekam; sie hyperventilierte.
„Scht, scht…“, flüsterte Narzissa und redete ihr gut zu, während ihre Finger immerzu ihren Kopf streichelten. „Alles wird gut. Alles wird…“ Sie sah auf und erblickte Snape, wie er noch immer hilflos mitten im Raum stand, den Zauberstab in der herabhängenden Hand. Kurz verharrten ihre Finger regungslos dort wo sie waren, dann setzten sie sich erneut in Bewegung. Ihre Lippen formten ein freundliches Danke, aber alles andere an ihr sah eher so aus als betrachte sie ihn urplötzlich als Eindringling, als jemanden den sie lieber nicht länger um sich haben wollte. Den sie nicht noch Minuten zuvor angefleht hatte, das Leben des Mädchens zu retten, welches sie jetzt auf ihren Knien schaukelte wie ein Kleinkind.
Die Augen des Mädchens aber klebten unerschütterlich an ihm, an seinem Gesicht, so als könne sein bloßer Anblick ihr helfen. Und vielleicht war es so, vielleicht hätte er etwas tun können, um nicht nur ihre körperlichen Schmerzen sondern auch ihr seelisches Leiden zu lindern. Und vielleicht hätte er das sogar getan, wenn da nicht Lily gewesen wäre. Seit Tagen – ach was! Seit Wochen schon! - konnte er an nichts anderes mehr denken als an die Tatsache, dass Lily - seine Lily - die Mutter des Kindes sein sollte, dass den Dunklen Lord der Prophezeiung zufolge besiegen könnte. Und das bedeutete, dass man nicht nur das Kind töten würde, sondern sicherlich auch dessem Mutter…er musste sie retten…er musste einfach einen Weg finden…Dumbledore hatte versprochen für ihren Schutz zu sorgen, aber konnte man ihm wirklich trauen?
Und wäre er nicht so sehr in seinen eigenen Problemen gefangen gewesen, dann hätte er dem Mädchen, welches ihn da so flehend ansah, vielleicht helfen können. Aber so drehte er sich auf dem Absatz um und ging, das Mädchen seinem Schicksal überlassend. So grausam das auch sein mochte.