Sugar honey ice & tea
von Shirokura
Kurzbeschreibung
(Fortsetzung zu "Best of me") [Oli Sykes (BMTH) x Jeremy McKinnon (A day to remember)] Was auch immer sie verband, es liegt in Trümmern, begraben unter dem Sand der Zeit. Doch die Metal-Welt ist ein Dorf uns so treffen sie wieder aufeinander. Und dieses Mal steht mehr zwischen ihnen, als nur die Entfernung und die Angst geoutet zu werden. (Trigger: Drogenkonsum, Angststörungen, Gewalt und Depressionen)
GeschichteDrama, Romance / P18 / MaleSlash
Oliver Sykes
16.05.2021
21.06.2022
5
10.927
6
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Dieses Kapitel
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16.05.2021
2.439
Genervt beantwortete ich eine Nachricht meines Bruders. Es gab Probleme mit der neuen Kollektion von Dropdead. Bekamen die denn nichts allein auf die Reihe? Ich war in den USA, verdammt. Während ich mit links tippte, schüttelte ich mit rechts die Hände von irgendwelchen Musikern auf irgendeiner Party. Ich sah nicht einmal auf. Warum auch? Ich würde nichts verpassen. Die wollten ja unbedingt mich kennenlernen und nicht ich sie.
Eine weitere Hand ergriff die meine.
"Hi, ich bin Jeremy", hallte es durch meinen Kopf und löschte jeden Gedanken aus. Mir wäre fast das Handy aus der Hand geglitten, so überrascht war ich darüber, wie diese Stimme auf mich wirkte.
Reflexartig sah ich auf und braune Augen fingen meinen Blick gnadenlos ein.
"Hi... Ich bin... Oli", kam es stockend über meine Lippen. Er lächelte mich offen an. Wann hatte mich das letzte Mal jemand so angestrahlt? Seine Augen sprühten regelrecht Funken. Wusste er denn nicht, wer ich war? Wie ich war? Ich konnte nicht wegsehen, obwohl mein Telefon vibrierte.
"Oliver Sykes! Fuck! Euer neues Album ist geil!"
Er wusste also, wer ich war. Seine Stimme und das Kompliment kribbelten wohlig in meinen Ohren. Merkwürdig. Irgendwie schien mich seine Meinung zu interessieren. Wirklich ungewöhnlich. Irritiert versank ich in der Betrachtung des seltsamen Typen. Er hatte ein ausgesprochen mittelmäßiges Gesicht, einen entsetzlichen Klamottengeschmack und ich hatte keine Ahnung, wer er war.
"Ummm... Danke..." Trotzdem brachte er mich völlig aus dem Konzept. Lächelnd blickte er auf meine Hand, die seine noch immer festhielt. Erschrocken ließ ich sie sofort los. Verdammte Scheiße, was war denn los mit mir?
Als ich aufsah, war er immer noch da. Und seine Augen funkelten.
"Du redest nicht viel, huh?", meinte er vergnügt.
"Nein."
Er lachte.
Laut.
Schön.
Ich bekam eine Gänsehaut an den Unterarmen.
Er bemerkte es. "Ist dir kalt?"
Warum bemerkte er sowas?
"Ja", log ich, um nicht erklären zu müssen, warum ich sonst eine Gänsehaut bekam. Ich würde ihm garantiert nicht von meinen permanent vollkommen überreizten Nerven erzählen.
Warum verschwand er nicht endlich?
"Hätte nicht gedacht, dass du so verdammt groß bist", versuchte der ominöse Jeremy weiter, mir ein Gespräch aufzuzwingen.
Ich zuckte nur mit den Schultern, wollte, dass er endlich ging, doch ich konnte nicht aufhören, ihn anzusehen. Das nervte mich. Sehr.
Er zog eine Schnute und stupste mich an. Es fühlte sich an, als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen. Aber irgendwie auf eine gute Art. Der Punkt, an dem er mich berührt hatte, war das glühende Epizentrum und ich konnte das Netz meiner Nerven, das sich über meinen ganzen Körper spannte, beinahe sehen, als es den unerwarteten Reiz weitergab, bis auch die letzte meiner Nervenzellen erfahren hatte, dass Jeremy gerade seinen Finger in meine Rippen gebohrt hatte.
Irgendwie skandalös.
Viel zu intensiv.
Aufgewühlt legte ich schützend meine Hand auf die Stelle, an der mich sein Finger gepikst hatte und sah ihn vorwurfsvoll an.
"Wollte nur sehen, ob du ein Roboter oder so bist", kicherte er mit funkelnden, tiefbraunen Augen, "Du antwortest binär, rührst dich nicht und starrst die ganze Zeit nur. Total unheimlich."
Was zur Hölle?! "Hau einfach ab, wenn es dir nicht passt, wie ich mich benehme", empfahl ich so kühl, ich konnte.
Es blieb ohne Wirkung. "Geht nicht. Du bist das Interessanteste im Raum."
"Ich... Was?"
"Ich mag eure Musik lieber als die von allen anderen hier. Sie ist genial. Und du bist auch Sänger. Das hier könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden."
Fassungslos starrte ich ihn an, konnte mich aber nicht konzentrieren.
Diese Augen.
Diese Stimme.
Ich musste ihn loswerden. "Ich habe keine Ahnung, wer du bist", meinte ich also arrogant. Sowas zog eigentlich immer, aber er sah mich unverändert freundlich an. Nicht der kleinste Funken Ärger durchzuckte seinen wachen Blick. Hatte er mich vielleicht nicht verstanden?
In dem Moment legte ihm ein Rothaariger einen Arm um die Schulter und lärmte: "McKinnon! Was machst du denn in der Emoecke? Matt ist endlich da! Die Party kann losgehen!"
"Ich bin Jeremy McKinnon, Sänger bei A day to Remember. Vergiss das nicht! Wir sehen uns!", meinte er noch zu mir und wurde von dem Rothaarigen unter lautem Gelächter davon gezogen.
Ohne es zu wollen, sah ich ihm nach.
Ohne es zu wollen, merkte ich mir seinen Namen.
Noch am selben Tag hörte ich das erste Mal einen Song von ihm und ein paar Monate später überredete ich unser Management, eine gemeinsame Tour zu organisieren. Denn die verdammte Stimme von Jeremy McKinnon wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.
Das war jetzt viele, viele Jahre her und fuck, ich wünschte, ich hätte ihn nie kennengelernt. Aus ganzem Herzen. Es wäre für uns beide besser gewesen. Vielleicht könnte ich mir dann wenigstens vormachen, dass ich glücklich war. Denn was man nicht kannte, konnte man nicht vermissen, oder? Dann wäre alles leichter.
Doch ich hatte ihn kennengelernt. Und der verdammte Idiot fehlte mir immer noch so sehr, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich sein Leben für immer verlassen hatte. Ich wusste nicht einmal mehr, wie lange die Scheiße jetzt her war. Fünf Jahre? Sieben? Neun?
Aber wen interessierte das?
Fakt war, es ging ihm prima. Der Beweis dafür war das Bild von ihm auf meinen Display. Freudestrahlend grinste er in die Kamera. Sein Bart war länger. Sah scheiße aus. Und doch hatte ich vor 10 Minuten auf das Bild gewichst, während ich an all die geilen Sachen gedacht hatte, die wir miteinander gemacht hatten. Ich sollte ihn anrufen... Ich wollte seine Stimme hören.
In den letzten Jahren hatte ich das unzählige Male gemacht. Routiniert unterdrückte ich meine Rufnummer und berührte den Namen, den ich ihm damals gegeben hatte. "Honey". Ich hatte es nie geändert, stand auf den süßen Schmerz, der mich jedes Mal durchzuckte, wenn ich es las. Auch das Bild war immer noch das selbe. Wir beide vor dem Graffiti, das aussah wie sein Tattoo. Wehmut befiel mich, als ich es betrachtete. Er war so unsicher gewesen an diesem Tag. Wie er sich ganz vorsichtig an mich angelehnt hatte. Ich werde nie verstehen, warum er so lange gebraucht hatte, um zu begreifen, wie er mich ansah und warum. Für mich war es offensichtlich gewesen. Aber Honey war immer ein wenig anders. Wo er andere mit offenen Armen so akzeptierte, wie sie waren, war er sich selbst gegenüber unsagbar blind.
Manchmal fragte ich mich, ob er das mit uns bereute. Wahrscheinlich schon. Nach dem Abgang, den ich hingelegt hatte... Ich hatte heute noch gelegentlich Alpträume von diesem Tag. Wie er zu seiner Mutter all diese Sachen gesagt hatte. Ich hatte mich vorher noch nie so wertlos gefühlt. Klar hatten wir die ganze Scheiße geheim halten müssen. Klar hätte ich mich eher mit den Füßen voran in einen Fleischwolf geworfen, als seine dämliche Familie kennenzulernen. Trotzdem hatte es mich so unerträglich verletzt all diese Worte aus seinem Mund zu hören. Die gleiche Stimme hatte mir nur ein paar Stunden zuvor beteuert, dass er mich liebte. Ich hätte es ihm fast geglaubt, hatte mir nichts mehr gewünscht, als dass er es wirklich so meinte, wie er es gesagt hatte. Und jetzt, viele Jahre später, war ich mir nur zu bewusst über ein verhängnisvolles Detail das ich an diesem grauenhaften Morgen vor all den Jahren nicht hatte wahrhaben wollen: Ich liebte ihn. Damals wie heute.
Deswegen rief ich ihn immer an. Deswegen konnte ich einfach nicht mit der Sache abschließen. Ich wollte es nicht, weil ich ihn immer noch liebte und mich an dieser kranken, dummen Liebe festhielt wie ein Ertrinkender. In machen Momenten war sie alles, was ich hatte.
Ob er wohl rangehen würde, wenn er wüsste, dass ich es war? Wahrscheinlich nicht. Und welcher normale Mensch hatte eigentlich über so viele Jahre hinweg die gleiche Telefonnummer?
Es tutete ewig, aber das war kein Wunder. Dank der Zeitverschiebung war es bei Honey mitten in der Nacht. Doch ich wusste, er würde rangehen. Er tat es immer. Obwohl die Nummer unterdrückt war. Obwohl ich nie etwas sagte.
"Ja?", krächzte es müde aus meinem Telefon.
Mein Herz setzte einen Schlag aus und ich schluckte mit fest geschlossenen Augen. Seine Stimme war so schön... Wie Honig. Sanft. Nur sie konnte meinen Schmerz stillen. Mich zur Ruhe kommen lassen.
"Ah, du bist es wieder." Die Wärme aus seiner Stimme sickerte in meinen Verstand, ließ mich tiefer und gleichmäßiger atmen.
"Ich frage mich, ob du immer die selbe Person bist oder ob meine Nummer auf irgendeiner Klowand steht und mich viele verschiedene Leute anrufen?"
Er sprach. Das war selten. Meistens legte er schnell auf, weil er dachte, es gäbe ein Problem mit der Verbindung.
"Sag was. Ich weiß, dass da jemand ist. Ich kann dich atmen hören."
Erschrocken legte ich meine Hand auf das Mikrofon, was ihn lachen ließ. Tausend Schauer perlten über meinen Rücken. Wie lange hatte sein Lachen nicht mehr mir gegolten?
"Du musst das nicht machen. Ich höre dir gern beim Atmen zu. Dann fühl ich mich nicht so allein", murmelte er und ich hörte seine Bettwäsche rascheln. Mehr schöne Erinnerungen kamen in mir hoch und wie von selbst glitt mein Daumen wieder vom Mikro. Ich wollte ihm auch etwas geben, selbst wenn es nur das Geräusch meines Atems war.
"Hey. Du machst ja, was ich sage. Ich war mir bis heute nicht einmal sicher, ob du mich verstehst." Seine typische, zum Kotzen nette Art ließ seine Stimme noch wärmer klingen. Ich hörte sein Lächeln. "Rufst du mich oft an? Einmal aufs Mikro klopfen heißt ja, zweimal nein."
Das war doch nicht sein ernst! Wer sprach mitten in der Nacht mit schweigenden Fremden, die mit unterdrückter Nummer anriefen? Fast hätte ich ihn ausgelacht, doch nach einigem Zögern tippte ich einmal.
Wieder kicherte er verschlafen. "War das etwa ein ja?"
Verärgert tippte ich einmal. Nach all der Zeit konnte er mich immer noch so leicht kontrollieren.
"Du machst das schon ziemlich lange, oder? Also mich anrufen?"
Vorsichtig tippte ich einmal. Man konnte nach all den Jahren durchaus von einer langen Zeit sprechen.
"Du hast mich auch an jedem meiner Geburtstage angerufen oder?"
Wahrscheinlich. Er hatte relativ kurz nach mir und da ich in den letzten Jahren die Gewohnheit pflegte, mich rund um meinen Geburtstag für mehrere Wochen brutal abzuschließen, verschwamm dieser Teil des Jahres oft zu einem unscharfen Brei aus Erinnerungsfetzen. Ich tippte einmal.
"Dieses Jahr hast du mich verdammt lang warten lassen", scherzte er und ich hörte wieder seine Bettwäsche rascheln. Er fehlte mir so. Ich setzte mich auf mein Sofa und hüllte mich in eine Decke. An dieses Jahr konnte ich mich tatsächlich noch vage erinnern. Ich hatte ihn sehr kurz vor 00:00 Uhr seiner Zeit angerufen, weil mein Flug unglaublich Verspätung gehabt hatte. Das er sich daran erinnerte, wunderte mich trotzdem. Mochte er die Anrufe etwa? Inzwischen hatte er mit der ganzen Bandbreite der menschlichen Gefühle auf sie reagiert. Er hatte einfach aufgelegt, hatte mich angeschrien, bedroht, ausgelacht, mir verschlafen irgendwelches unverständliches Zeug ins Ohr genuschelt, aber dieses Mal war es das erste Mal, dass er derart sanft war. Wahrscheinlich, weil er müde und allein war. Früher, als wir noch miteinander gesprochen hatten, hatte ich in solchen Nächten immer mit ihm telefoniert, bis er eingeschlafen war. Es zerriss mein Herz in 1000 Stücke und doch machte es mich so glücklich, ihn jetzt so zu hören.
"Wie wäre es mit dreimal klopfen für eine Entschuldigung?"
Ohne zu zögern klopfte ich zweimal. Ich würde mich nicht entschuldigen. Niemals.
Er lachte nur mit seiner vom Schlaf rauen Stimme. "Warum rufst du mich wohl immer an?", sinnierte er. "Willst du mich ärgern?"
Wollte ich das? Eigentlich nicht. Ich klopfte also zweimal.
"Das ist gut... Ich hoffe, du bist nicht irgendein verrückter Fan, der mich stalkt..."
Erneut hätte ich fast über ihn gelacht. Wer würde das schon zugeben? "Manchmal wünsche ich mir sogar, dass du anrufst... Auch wenn du wahrscheinlich nie etwas zu mir sagen wirst... Ist ja schon irgendwie nett, einen stummen, treuen Geist zu haben, der sich für einen interessiert, ohne eine Gegenleistung zu erwarten..." Er klang dabei so müde, dass ich mich am Liebsten zu ihm ins Bett gekuschelt hätte, doch zwischen uns lag ein ganzer verdammter Ozean, die unüberwindbare Hürde meines verletzten Stolzes und nicht zuletzt das, was ich getan hatte. Er würde mir nicht verzeihen. Nie im Leben. Nicht einmal dann, wenn ich es ihm erklären würde.
"Aber ich kann dir ja nur ja-nein-Fragen stellen..." Jeremy gähnte herzhaft und vor meinem geistigen Auge sah ich, wie er sich dabei räkelte. Das machte er immer... "Also... Geht es dir gut?"
Ohne nachzudenken klopfte ich zweimal, denn es ging mir beschissen.
"Oh." Er klang ehrlich betroffen. "Das tut mir leid... Da haben wir wohl etwas gemeinsam. Ich bin auch verdammt fertig... Die Tour war geil, aber auch sehr anstrengend... Ist irgendwie so ein Tick von mir, nach Touren abzukacken... Warum bist du schlecht drauf? War jemand Scheiße zu dir?"
Ich tippte zweimal.
"Vielleicht was Schlechtes gegessen?"
Ein belustigtes Schnaufen konnte ich nicht unterdrücken, bevor ich zweimal tippte. Auch nach all den Jahren brachte er mich mit seiner offenen Art zum Lachen. Das war vielleicht sogar der Hauptgrund, warum meine Gefühle für ihn so außer Kontrolle geraten waren. Er verbog sich nicht bis zur Unkenntlichkeit, nur um gewisse Dinge nicht sagen zu müssen, sprach immer einfach alles so aus, wie es war.
Niemand tat das bei mir, weil alle Angst vor meiner Reaktion hatten. Oder vielmehr davor, dass sie ihr nicht gewachsen waren. Honey dagegen hatte mit allem umgehen können, was ich ihm entgegen geschleudert hatte. Ich hatte nie wieder jemanden kennengelernt, der das konnte. Hatte alle nach ihm zerbrochen oder vergrätzt.
"Bist du einsam?"
Er traf mich eiskalt mit dieser Frage. Alles in mir brach schlagartig zusammen. Zum Glück verließ kein verräterisches Geräusch meine Lippen, als ich die Augen schloss und kraftlos auf der Couch zusammen sank. Ein paar Sekunden später legte ich auf, weil ich Angst hatte, ich könnte ihm antworten.
+++++++
Der Kapiteltitel ist ein Fragment aus dem Song "If looks could kill" von A day to remember https://www.youtube.com/watch?v=4i3aTxlcc7Q
Und hier noch die traditionellen Bilder:
Hi Oli: https://i.gifer.com/D4lF.gif
Hi Jeremy: https://i.gifer.com/61Xo.gif
Eine weitere Hand ergriff die meine.
"Hi, ich bin Jeremy", hallte es durch meinen Kopf und löschte jeden Gedanken aus. Mir wäre fast das Handy aus der Hand geglitten, so überrascht war ich darüber, wie diese Stimme auf mich wirkte.
Reflexartig sah ich auf und braune Augen fingen meinen Blick gnadenlos ein.
"Hi... Ich bin... Oli", kam es stockend über meine Lippen. Er lächelte mich offen an. Wann hatte mich das letzte Mal jemand so angestrahlt? Seine Augen sprühten regelrecht Funken. Wusste er denn nicht, wer ich war? Wie ich war? Ich konnte nicht wegsehen, obwohl mein Telefon vibrierte.
"Oliver Sykes! Fuck! Euer neues Album ist geil!"
Er wusste also, wer ich war. Seine Stimme und das Kompliment kribbelten wohlig in meinen Ohren. Merkwürdig. Irgendwie schien mich seine Meinung zu interessieren. Wirklich ungewöhnlich. Irritiert versank ich in der Betrachtung des seltsamen Typen. Er hatte ein ausgesprochen mittelmäßiges Gesicht, einen entsetzlichen Klamottengeschmack und ich hatte keine Ahnung, wer er war.
"Ummm... Danke..." Trotzdem brachte er mich völlig aus dem Konzept. Lächelnd blickte er auf meine Hand, die seine noch immer festhielt. Erschrocken ließ ich sie sofort los. Verdammte Scheiße, was war denn los mit mir?
Als ich aufsah, war er immer noch da. Und seine Augen funkelten.
"Du redest nicht viel, huh?", meinte er vergnügt.
"Nein."
Er lachte.
Laut.
Schön.
Ich bekam eine Gänsehaut an den Unterarmen.
Er bemerkte es. "Ist dir kalt?"
Warum bemerkte er sowas?
"Ja", log ich, um nicht erklären zu müssen, warum ich sonst eine Gänsehaut bekam. Ich würde ihm garantiert nicht von meinen permanent vollkommen überreizten Nerven erzählen.
Warum verschwand er nicht endlich?
"Hätte nicht gedacht, dass du so verdammt groß bist", versuchte der ominöse Jeremy weiter, mir ein Gespräch aufzuzwingen.
Ich zuckte nur mit den Schultern, wollte, dass er endlich ging, doch ich konnte nicht aufhören, ihn anzusehen. Das nervte mich. Sehr.
Er zog eine Schnute und stupste mich an. Es fühlte sich an, als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen. Aber irgendwie auf eine gute Art. Der Punkt, an dem er mich berührt hatte, war das glühende Epizentrum und ich konnte das Netz meiner Nerven, das sich über meinen ganzen Körper spannte, beinahe sehen, als es den unerwarteten Reiz weitergab, bis auch die letzte meiner Nervenzellen erfahren hatte, dass Jeremy gerade seinen Finger in meine Rippen gebohrt hatte.
Irgendwie skandalös.
Viel zu intensiv.
Aufgewühlt legte ich schützend meine Hand auf die Stelle, an der mich sein Finger gepikst hatte und sah ihn vorwurfsvoll an.
"Wollte nur sehen, ob du ein Roboter oder so bist", kicherte er mit funkelnden, tiefbraunen Augen, "Du antwortest binär, rührst dich nicht und starrst die ganze Zeit nur. Total unheimlich."
Was zur Hölle?! "Hau einfach ab, wenn es dir nicht passt, wie ich mich benehme", empfahl ich so kühl, ich konnte.
Es blieb ohne Wirkung. "Geht nicht. Du bist das Interessanteste im Raum."
"Ich... Was?"
"Ich mag eure Musik lieber als die von allen anderen hier. Sie ist genial. Und du bist auch Sänger. Das hier könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden."
Fassungslos starrte ich ihn an, konnte mich aber nicht konzentrieren.
Diese Augen.
Diese Stimme.
Ich musste ihn loswerden. "Ich habe keine Ahnung, wer du bist", meinte ich also arrogant. Sowas zog eigentlich immer, aber er sah mich unverändert freundlich an. Nicht der kleinste Funken Ärger durchzuckte seinen wachen Blick. Hatte er mich vielleicht nicht verstanden?
In dem Moment legte ihm ein Rothaariger einen Arm um die Schulter und lärmte: "McKinnon! Was machst du denn in der Emoecke? Matt ist endlich da! Die Party kann losgehen!"
"Ich bin Jeremy McKinnon, Sänger bei A day to Remember. Vergiss das nicht! Wir sehen uns!", meinte er noch zu mir und wurde von dem Rothaarigen unter lautem Gelächter davon gezogen.
Ohne es zu wollen, sah ich ihm nach.
Ohne es zu wollen, merkte ich mir seinen Namen.
Noch am selben Tag hörte ich das erste Mal einen Song von ihm und ein paar Monate später überredete ich unser Management, eine gemeinsame Tour zu organisieren. Denn die verdammte Stimme von Jeremy McKinnon wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.
Das war jetzt viele, viele Jahre her und fuck, ich wünschte, ich hätte ihn nie kennengelernt. Aus ganzem Herzen. Es wäre für uns beide besser gewesen. Vielleicht könnte ich mir dann wenigstens vormachen, dass ich glücklich war. Denn was man nicht kannte, konnte man nicht vermissen, oder? Dann wäre alles leichter.
Doch ich hatte ihn kennengelernt. Und der verdammte Idiot fehlte mir immer noch so sehr, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich sein Leben für immer verlassen hatte. Ich wusste nicht einmal mehr, wie lange die Scheiße jetzt her war. Fünf Jahre? Sieben? Neun?
Aber wen interessierte das?
Fakt war, es ging ihm prima. Der Beweis dafür war das Bild von ihm auf meinen Display. Freudestrahlend grinste er in die Kamera. Sein Bart war länger. Sah scheiße aus. Und doch hatte ich vor 10 Minuten auf das Bild gewichst, während ich an all die geilen Sachen gedacht hatte, die wir miteinander gemacht hatten. Ich sollte ihn anrufen... Ich wollte seine Stimme hören.
In den letzten Jahren hatte ich das unzählige Male gemacht. Routiniert unterdrückte ich meine Rufnummer und berührte den Namen, den ich ihm damals gegeben hatte. "Honey". Ich hatte es nie geändert, stand auf den süßen Schmerz, der mich jedes Mal durchzuckte, wenn ich es las. Auch das Bild war immer noch das selbe. Wir beide vor dem Graffiti, das aussah wie sein Tattoo. Wehmut befiel mich, als ich es betrachtete. Er war so unsicher gewesen an diesem Tag. Wie er sich ganz vorsichtig an mich angelehnt hatte. Ich werde nie verstehen, warum er so lange gebraucht hatte, um zu begreifen, wie er mich ansah und warum. Für mich war es offensichtlich gewesen. Aber Honey war immer ein wenig anders. Wo er andere mit offenen Armen so akzeptierte, wie sie waren, war er sich selbst gegenüber unsagbar blind.
Manchmal fragte ich mich, ob er das mit uns bereute. Wahrscheinlich schon. Nach dem Abgang, den ich hingelegt hatte... Ich hatte heute noch gelegentlich Alpträume von diesem Tag. Wie er zu seiner Mutter all diese Sachen gesagt hatte. Ich hatte mich vorher noch nie so wertlos gefühlt. Klar hatten wir die ganze Scheiße geheim halten müssen. Klar hätte ich mich eher mit den Füßen voran in einen Fleischwolf geworfen, als seine dämliche Familie kennenzulernen. Trotzdem hatte es mich so unerträglich verletzt all diese Worte aus seinem Mund zu hören. Die gleiche Stimme hatte mir nur ein paar Stunden zuvor beteuert, dass er mich liebte. Ich hätte es ihm fast geglaubt, hatte mir nichts mehr gewünscht, als dass er es wirklich so meinte, wie er es gesagt hatte. Und jetzt, viele Jahre später, war ich mir nur zu bewusst über ein verhängnisvolles Detail das ich an diesem grauenhaften Morgen vor all den Jahren nicht hatte wahrhaben wollen: Ich liebte ihn. Damals wie heute.
Deswegen rief ich ihn immer an. Deswegen konnte ich einfach nicht mit der Sache abschließen. Ich wollte es nicht, weil ich ihn immer noch liebte und mich an dieser kranken, dummen Liebe festhielt wie ein Ertrinkender. In machen Momenten war sie alles, was ich hatte.
Ob er wohl rangehen würde, wenn er wüsste, dass ich es war? Wahrscheinlich nicht. Und welcher normale Mensch hatte eigentlich über so viele Jahre hinweg die gleiche Telefonnummer?
Es tutete ewig, aber das war kein Wunder. Dank der Zeitverschiebung war es bei Honey mitten in der Nacht. Doch ich wusste, er würde rangehen. Er tat es immer. Obwohl die Nummer unterdrückt war. Obwohl ich nie etwas sagte.
"Ja?", krächzte es müde aus meinem Telefon.
Mein Herz setzte einen Schlag aus und ich schluckte mit fest geschlossenen Augen. Seine Stimme war so schön... Wie Honig. Sanft. Nur sie konnte meinen Schmerz stillen. Mich zur Ruhe kommen lassen.
"Ah, du bist es wieder." Die Wärme aus seiner Stimme sickerte in meinen Verstand, ließ mich tiefer und gleichmäßiger atmen.
"Ich frage mich, ob du immer die selbe Person bist oder ob meine Nummer auf irgendeiner Klowand steht und mich viele verschiedene Leute anrufen?"
Er sprach. Das war selten. Meistens legte er schnell auf, weil er dachte, es gäbe ein Problem mit der Verbindung.
"Sag was. Ich weiß, dass da jemand ist. Ich kann dich atmen hören."
Erschrocken legte ich meine Hand auf das Mikrofon, was ihn lachen ließ. Tausend Schauer perlten über meinen Rücken. Wie lange hatte sein Lachen nicht mehr mir gegolten?
"Du musst das nicht machen. Ich höre dir gern beim Atmen zu. Dann fühl ich mich nicht so allein", murmelte er und ich hörte seine Bettwäsche rascheln. Mehr schöne Erinnerungen kamen in mir hoch und wie von selbst glitt mein Daumen wieder vom Mikro. Ich wollte ihm auch etwas geben, selbst wenn es nur das Geräusch meines Atems war.
"Hey. Du machst ja, was ich sage. Ich war mir bis heute nicht einmal sicher, ob du mich verstehst." Seine typische, zum Kotzen nette Art ließ seine Stimme noch wärmer klingen. Ich hörte sein Lächeln. "Rufst du mich oft an? Einmal aufs Mikro klopfen heißt ja, zweimal nein."
Das war doch nicht sein ernst! Wer sprach mitten in der Nacht mit schweigenden Fremden, die mit unterdrückter Nummer anriefen? Fast hätte ich ihn ausgelacht, doch nach einigem Zögern tippte ich einmal.
Wieder kicherte er verschlafen. "War das etwa ein ja?"
Verärgert tippte ich einmal. Nach all der Zeit konnte er mich immer noch so leicht kontrollieren.
"Du machst das schon ziemlich lange, oder? Also mich anrufen?"
Vorsichtig tippte ich einmal. Man konnte nach all den Jahren durchaus von einer langen Zeit sprechen.
"Du hast mich auch an jedem meiner Geburtstage angerufen oder?"
Wahrscheinlich. Er hatte relativ kurz nach mir und da ich in den letzten Jahren die Gewohnheit pflegte, mich rund um meinen Geburtstag für mehrere Wochen brutal abzuschließen, verschwamm dieser Teil des Jahres oft zu einem unscharfen Brei aus Erinnerungsfetzen. Ich tippte einmal.
"Dieses Jahr hast du mich verdammt lang warten lassen", scherzte er und ich hörte wieder seine Bettwäsche rascheln. Er fehlte mir so. Ich setzte mich auf mein Sofa und hüllte mich in eine Decke. An dieses Jahr konnte ich mich tatsächlich noch vage erinnern. Ich hatte ihn sehr kurz vor 00:00 Uhr seiner Zeit angerufen, weil mein Flug unglaublich Verspätung gehabt hatte. Das er sich daran erinnerte, wunderte mich trotzdem. Mochte er die Anrufe etwa? Inzwischen hatte er mit der ganzen Bandbreite der menschlichen Gefühle auf sie reagiert. Er hatte einfach aufgelegt, hatte mich angeschrien, bedroht, ausgelacht, mir verschlafen irgendwelches unverständliches Zeug ins Ohr genuschelt, aber dieses Mal war es das erste Mal, dass er derart sanft war. Wahrscheinlich, weil er müde und allein war. Früher, als wir noch miteinander gesprochen hatten, hatte ich in solchen Nächten immer mit ihm telefoniert, bis er eingeschlafen war. Es zerriss mein Herz in 1000 Stücke und doch machte es mich so glücklich, ihn jetzt so zu hören.
"Wie wäre es mit dreimal klopfen für eine Entschuldigung?"
Ohne zu zögern klopfte ich zweimal. Ich würde mich nicht entschuldigen. Niemals.
Er lachte nur mit seiner vom Schlaf rauen Stimme. "Warum rufst du mich wohl immer an?", sinnierte er. "Willst du mich ärgern?"
Wollte ich das? Eigentlich nicht. Ich klopfte also zweimal.
"Das ist gut... Ich hoffe, du bist nicht irgendein verrückter Fan, der mich stalkt..."
Erneut hätte ich fast über ihn gelacht. Wer würde das schon zugeben? "Manchmal wünsche ich mir sogar, dass du anrufst... Auch wenn du wahrscheinlich nie etwas zu mir sagen wirst... Ist ja schon irgendwie nett, einen stummen, treuen Geist zu haben, der sich für einen interessiert, ohne eine Gegenleistung zu erwarten..." Er klang dabei so müde, dass ich mich am Liebsten zu ihm ins Bett gekuschelt hätte, doch zwischen uns lag ein ganzer verdammter Ozean, die unüberwindbare Hürde meines verletzten Stolzes und nicht zuletzt das, was ich getan hatte. Er würde mir nicht verzeihen. Nie im Leben. Nicht einmal dann, wenn ich es ihm erklären würde.
"Aber ich kann dir ja nur ja-nein-Fragen stellen..." Jeremy gähnte herzhaft und vor meinem geistigen Auge sah ich, wie er sich dabei räkelte. Das machte er immer... "Also... Geht es dir gut?"
Ohne nachzudenken klopfte ich zweimal, denn es ging mir beschissen.
"Oh." Er klang ehrlich betroffen. "Das tut mir leid... Da haben wir wohl etwas gemeinsam. Ich bin auch verdammt fertig... Die Tour war geil, aber auch sehr anstrengend... Ist irgendwie so ein Tick von mir, nach Touren abzukacken... Warum bist du schlecht drauf? War jemand Scheiße zu dir?"
Ich tippte zweimal.
"Vielleicht was Schlechtes gegessen?"
Ein belustigtes Schnaufen konnte ich nicht unterdrücken, bevor ich zweimal tippte. Auch nach all den Jahren brachte er mich mit seiner offenen Art zum Lachen. Das war vielleicht sogar der Hauptgrund, warum meine Gefühle für ihn so außer Kontrolle geraten waren. Er verbog sich nicht bis zur Unkenntlichkeit, nur um gewisse Dinge nicht sagen zu müssen, sprach immer einfach alles so aus, wie es war.
Niemand tat das bei mir, weil alle Angst vor meiner Reaktion hatten. Oder vielmehr davor, dass sie ihr nicht gewachsen waren. Honey dagegen hatte mit allem umgehen können, was ich ihm entgegen geschleudert hatte. Ich hatte nie wieder jemanden kennengelernt, der das konnte. Hatte alle nach ihm zerbrochen oder vergrätzt.
"Bist du einsam?"
Er traf mich eiskalt mit dieser Frage. Alles in mir brach schlagartig zusammen. Zum Glück verließ kein verräterisches Geräusch meine Lippen, als ich die Augen schloss und kraftlos auf der Couch zusammen sank. Ein paar Sekunden später legte ich auf, weil ich Angst hatte, ich könnte ihm antworten.
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Der Kapiteltitel ist ein Fragment aus dem Song "If looks could kill" von A day to remember https://www.youtube.com/watch?v=4i3aTxlcc7Q
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