Annie Amseltod
von Bartifer
Kurzbeschreibung
Die kleine Annie tötet aus Versehen eine Amsel. Bevor die wütenden Gartenvögel sie dafür zur Rechenschaft ziehen können, taucht ein Mann mit Vogelkopf bei ihr auf. Er nennt sich „der Wanderfalke“ und nimmt Annie auf seinem fliegenden Fahrrad mit in die Welt der Vogelmenschen, wo er ihr offenbart, dass er hinter dem Amseltod ein großes Verbrechen vermutet. Und Annie soll ihm dabei helfen, es aufzudecken.
GeschichteKrimi, Fantasy / P12 / Gen
Fabeltiere & mythologische Geschöpfe
23.04.2021
26.11.2021
21
62.040
5
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08.05.2021
1.220
Das Fahrrad holpert schon lang nicht mehr so stark wie beim Start. Es surrt so gleichmäßig wie der laue Nachtwind heult, und weil Annie sich keinen Mantel mitgenommen hat, ist ihr sehr kalt. Es sitzt sich nicht gemütlich auf dem Maskenberg; die Fratzen und Gesichter sind uneben, eckig und kantig. Ihre Ohren und Nasen drücken in Annies Beine und die Stellen fühlen sich an wie blaue Flecken.
Annie hat sich noch nicht getraut, den Vogelmann zu fragen, wohin er fährt. Aber was sie sich dafür schon getraut hat, ist, vorsichtig nach unten in die schwarze Tiefe zu linsen. Zuerst war der Erdboden weit unter ihr übersät mit vielen gelben Lichtern der Stadt, in der sie wohnt. Dann wurden es immer weniger. Irgendwann sah das Feuerwerk nur noch aus wie ein trüber Sternenhimmel, und dann wurde es ganz finster. Nur die grüne Lampe des Fahrrads brennt. Aber die Luft um Annie herum ist nebelig, als hätte gerade jemand geduscht, und das trübe Licht stört mehr, als dass es einen Weg leuchtet. Annie spürt die große Höhe unter sich jetzt im Dunkeln viel stärker, obwohl gar keine Stadtlichter mehr da sind, um sie ihr zu zeigen. Aber etwas, das man nur spürt und nicht sieht, ist oft viel bedrohlicher. Monster in Filmen machen Annie selten Angst. Aber Geräusche, Wut, Enttäuschung oder das Gefühl nach einem schlechten Traum, an den man sich nicht erinnert, das schon. Diese Dinge sind wie Höhe im Dunkeln - sie können sehr klein sein, aber man denkt sie sich oft riesig, nur für den Fall.
Und obwohl es um sie so schwarz ist, fliegen Annie und der Vogelmann doch manchmal durch Schatten, die noch dunkler sind als die Nacht. Ganz selten sieht Annie das Licht einiger einsamer Sterne über sich. Weil sie weiß, dass sie das jetzt müsste, sucht sie in sich nach ihrem Bedürfnis, zu sprechen, aber sie kann es nicht finden. Annie glaubt, dass das so ist, weil sie sich gerade sicher fühlt. Und Sicherheit, hat Annie gelernt, ist etwas ganz Unsicheres und kann schnell mit einem falschen Wort zerstört werden. Schweigen hat Annie von ihrer Mama gelernt.
Der Vogelmann spricht auch nicht, aber hin und wieder hört Annie über den Wind in ihren Ohren, dass er ein Lied summt. Das ist mutig, aber die Sicherheit lässt sich davon nicht beeindrucken und bleibt. Sein langer Schal flattert Annie entgegen. Als er ihr erneut mitten ins Gesicht fliegt, schnappt sie ihn und hält ihn fest.
“Du kannst ihn anziehen”, sagt der Vogelmann. “Dir muss ja ganz kalt sein. Nimm ihn bitte ganz vorsichtig ab und lass ihn nicht wegfliegen, dieser Schal ist sehr wertvoll für mich.”
Annie nickt, obwohl sie weiß, dass er sie nicht sehen kann. Zum ersten Mal lässt sie mit beiden Händen gleichzeitig ihren Halt in dem Maskenberg los. Erst hat sie ein wenig Angst, aber sie sitzt sicher und der Vogelmann ist ein sehr guter Fahrradfahrer. Immer, wenn er seinen Schal ein wenig lockert, zieht Annie ihn ein Stück weiter zu sich, bis sie ihn ganz bei sich hat. Er fühlt sich ganz uneben und seltsam an, aber Annie erkennt im Halbdunkel nicht, weshalb. Ihre Hände zittern schon, so kalt ist ihr. Also schlingt sie den Schal einmal, zweimal, dreimal um ihren Hals und wickelt sich den Rest um die kalten Arme. Der Schal ist wirklich sehr lang.
“Wer bist du eigentlich?”, fragt sie.
“Ich habe schon darauf gewartet, dass du fragst”, antwortet der Vogelmann mit einem Lächeln in der Stimme. “Ich bin der Wanderfalke.”
“Ein Wanderfalke?”
“Der Wanderfalke.”
“Aber es gibt doch mehrere Wanderfalken.”
“Nicht da, wo ich herkomme. Da gibt es nur mich, den Wanderfalken. Abenteurer, Vagabund, Händler und Reiseleiter.”
Annie legt den Kopf schief und fragt sich, was ein vager Bund sein soll. Sie kuschelt sich enger in den Schal. “Du tust aber viel. Und dann machst du auch noch Masken!”
Der Falke lacht leise. “Ich mache sie nicht, ich vertreibe sie nur. Viele davon sind sehr selten und preiswert, aber bei kurzen Aufenthalten biete ich Tagesleihen an.”
“Wohin geht man denn dann mit so einer Maske?”, fragt Annie.
“Wohin du willst. Wohin auch immer es dich zieht, kleine Annie, sei dir sicher, ich habe die richtige Maske dafür. Vorausgesetzt, das Urheberrecht spielt mit.”
Annie hat das Gefühl, dass der letzte Satz ein Witz ist, den nur der Vogelmann versteht, also fragt sie nicht nach. Dafür wären ihr auch gar nicht die richtigen Worte, denn sie staunt nicht schlecht. In ihrem Kopf geht sie alle Länder und Städte durch, die sie kennt. Aber ihr fällt kein einziges ein, in dem man eine Maske tragen muss, um es besuchen zu dürfen, außer Venedig und Köln. Aber ihr Papa hat gesagt, dass die Leute da das nur einmal im Jahr machen. Annie inspiziert den Maskenberg genauer. Direkt neben ihrer rechten Hand ist eine helle Maske aus großen Blättern und Zweigen an einer Schnur festgeknotet. Die Blätter formen ein wunderschönes Gesicht mit einer feinen Nase und schmalen Augen, und die Ohren an beiden Seiten sind ganz spitz. Die möchte Annie anprobieren! Sie kämpft ihre Hände frei und rauft ihre Finger in das Gefieder ihrer Maske, um sie sich abzuziehen.
“Halt!”, ruft der Falkenmann.
Er kann sie doch gar nicht sehen, denkt Annie, aber lässt sofort die Hände sinken.
“Wenn du das tust, bist du nicht mehr geschützt! Dann finden dich die Späher oder das Fahrrad wirft dich ab! Du darfst die Maske nicht abnehmen, bis ich es dir sage, ja?”
Annie nickt. Diesmal hat sie nicht daran gedacht, dass der Wanderfalke sie nicht sehen kann, also sagt sie noch einmal laut: “Ja.”
Und dann, weil sie jetzt wieder Angst hat vor dem, was noch auf sie wartet: “Wohin bringst du mich? Muss man an diesem Ort immer eine Vogelmaske tragen?”
“Ja, das musst du.” Der Vogelmann klingt jetzt wieder ruhig und nett. “Damit werden dich alle für eine von ihnen halten, solange es nötig ist. Das verspreche ich.”
“Für einen Vogelmenschen?”
Der Wanderfalke antwortet nicht mehr darauf und Annie versteht das als ein “Ja”. E möchte sie also an einen Ort bringen, an dem viele andere Vogelmenschen sind. Annie weiß noch nicht recht, wie sie sich das vorstellen soll. Es will ihr eigenartig vorkommen und vielleicht sogar bedrohlich, aber eigentlich stellt Annie es sich genauso vor wie als sie nach dem Umzug zum ersten Mal in ihre neuen Schulklasse kam. Da war sie auch an einem neuen Ort voller fremder Wesen, von denen sie viele bis heute nicht verstanden hat. Bei dem Vogelmenschen dagegen fühlt sie sich wohl, also ist eine ganze Stadt voll von ihnen vielleicht sogar ein Ort, auf den sie sich freuen kann.
Trotzdem fragt sich Annie, ob sie vielleicht träumt. Aber sie muss andauernd gähnen, und während man schläft, ist man nicht müde. Trotzdem möchte Annie ganz sicher sein. Also zieht sie den Schal enger, dreht sich auf die Seite und schiebt ihren rechten Arm ganz tief unter die Masken, damit er nicht aus Versehen herausrutschen kann und sie am Ende noch herunterfällt. Vielleicht kann man in einem Traum ja schon müde sein, aber einschlafen kann man ganz sicher kein zweites Mal! Also schließt Annie die Augen. Ihre Lider werden sofort so schwer, dass sie sie nicht mehr öffnen will. Der Schal hält sie jetzt schön warm und das Surren des Fahrrads ist leise und stetig.
Annie schläft ein.
Annie hat sich noch nicht getraut, den Vogelmann zu fragen, wohin er fährt. Aber was sie sich dafür schon getraut hat, ist, vorsichtig nach unten in die schwarze Tiefe zu linsen. Zuerst war der Erdboden weit unter ihr übersät mit vielen gelben Lichtern der Stadt, in der sie wohnt. Dann wurden es immer weniger. Irgendwann sah das Feuerwerk nur noch aus wie ein trüber Sternenhimmel, und dann wurde es ganz finster. Nur die grüne Lampe des Fahrrads brennt. Aber die Luft um Annie herum ist nebelig, als hätte gerade jemand geduscht, und das trübe Licht stört mehr, als dass es einen Weg leuchtet. Annie spürt die große Höhe unter sich jetzt im Dunkeln viel stärker, obwohl gar keine Stadtlichter mehr da sind, um sie ihr zu zeigen. Aber etwas, das man nur spürt und nicht sieht, ist oft viel bedrohlicher. Monster in Filmen machen Annie selten Angst. Aber Geräusche, Wut, Enttäuschung oder das Gefühl nach einem schlechten Traum, an den man sich nicht erinnert, das schon. Diese Dinge sind wie Höhe im Dunkeln - sie können sehr klein sein, aber man denkt sie sich oft riesig, nur für den Fall.
Und obwohl es um sie so schwarz ist, fliegen Annie und der Vogelmann doch manchmal durch Schatten, die noch dunkler sind als die Nacht. Ganz selten sieht Annie das Licht einiger einsamer Sterne über sich. Weil sie weiß, dass sie das jetzt müsste, sucht sie in sich nach ihrem Bedürfnis, zu sprechen, aber sie kann es nicht finden. Annie glaubt, dass das so ist, weil sie sich gerade sicher fühlt. Und Sicherheit, hat Annie gelernt, ist etwas ganz Unsicheres und kann schnell mit einem falschen Wort zerstört werden. Schweigen hat Annie von ihrer Mama gelernt.
Der Vogelmann spricht auch nicht, aber hin und wieder hört Annie über den Wind in ihren Ohren, dass er ein Lied summt. Das ist mutig, aber die Sicherheit lässt sich davon nicht beeindrucken und bleibt. Sein langer Schal flattert Annie entgegen. Als er ihr erneut mitten ins Gesicht fliegt, schnappt sie ihn und hält ihn fest.
“Du kannst ihn anziehen”, sagt der Vogelmann. “Dir muss ja ganz kalt sein. Nimm ihn bitte ganz vorsichtig ab und lass ihn nicht wegfliegen, dieser Schal ist sehr wertvoll für mich.”
Annie nickt, obwohl sie weiß, dass er sie nicht sehen kann. Zum ersten Mal lässt sie mit beiden Händen gleichzeitig ihren Halt in dem Maskenberg los. Erst hat sie ein wenig Angst, aber sie sitzt sicher und der Vogelmann ist ein sehr guter Fahrradfahrer. Immer, wenn er seinen Schal ein wenig lockert, zieht Annie ihn ein Stück weiter zu sich, bis sie ihn ganz bei sich hat. Er fühlt sich ganz uneben und seltsam an, aber Annie erkennt im Halbdunkel nicht, weshalb. Ihre Hände zittern schon, so kalt ist ihr. Also schlingt sie den Schal einmal, zweimal, dreimal um ihren Hals und wickelt sich den Rest um die kalten Arme. Der Schal ist wirklich sehr lang.
“Wer bist du eigentlich?”, fragt sie.
“Ich habe schon darauf gewartet, dass du fragst”, antwortet der Vogelmann mit einem Lächeln in der Stimme. “Ich bin der Wanderfalke.”
“Ein Wanderfalke?”
“Der Wanderfalke.”
“Aber es gibt doch mehrere Wanderfalken.”
“Nicht da, wo ich herkomme. Da gibt es nur mich, den Wanderfalken. Abenteurer, Vagabund, Händler und Reiseleiter.”
Annie legt den Kopf schief und fragt sich, was ein vager Bund sein soll. Sie kuschelt sich enger in den Schal. “Du tust aber viel. Und dann machst du auch noch Masken!”
Der Falke lacht leise. “Ich mache sie nicht, ich vertreibe sie nur. Viele davon sind sehr selten und preiswert, aber bei kurzen Aufenthalten biete ich Tagesleihen an.”
“Wohin geht man denn dann mit so einer Maske?”, fragt Annie.
“Wohin du willst. Wohin auch immer es dich zieht, kleine Annie, sei dir sicher, ich habe die richtige Maske dafür. Vorausgesetzt, das Urheberrecht spielt mit.”
Annie hat das Gefühl, dass der letzte Satz ein Witz ist, den nur der Vogelmann versteht, also fragt sie nicht nach. Dafür wären ihr auch gar nicht die richtigen Worte, denn sie staunt nicht schlecht. In ihrem Kopf geht sie alle Länder und Städte durch, die sie kennt. Aber ihr fällt kein einziges ein, in dem man eine Maske tragen muss, um es besuchen zu dürfen, außer Venedig und Köln. Aber ihr Papa hat gesagt, dass die Leute da das nur einmal im Jahr machen. Annie inspiziert den Maskenberg genauer. Direkt neben ihrer rechten Hand ist eine helle Maske aus großen Blättern und Zweigen an einer Schnur festgeknotet. Die Blätter formen ein wunderschönes Gesicht mit einer feinen Nase und schmalen Augen, und die Ohren an beiden Seiten sind ganz spitz. Die möchte Annie anprobieren! Sie kämpft ihre Hände frei und rauft ihre Finger in das Gefieder ihrer Maske, um sie sich abzuziehen.
“Halt!”, ruft der Falkenmann.
Er kann sie doch gar nicht sehen, denkt Annie, aber lässt sofort die Hände sinken.
“Wenn du das tust, bist du nicht mehr geschützt! Dann finden dich die Späher oder das Fahrrad wirft dich ab! Du darfst die Maske nicht abnehmen, bis ich es dir sage, ja?”
Annie nickt. Diesmal hat sie nicht daran gedacht, dass der Wanderfalke sie nicht sehen kann, also sagt sie noch einmal laut: “Ja.”
Und dann, weil sie jetzt wieder Angst hat vor dem, was noch auf sie wartet: “Wohin bringst du mich? Muss man an diesem Ort immer eine Vogelmaske tragen?”
“Ja, das musst du.” Der Vogelmann klingt jetzt wieder ruhig und nett. “Damit werden dich alle für eine von ihnen halten, solange es nötig ist. Das verspreche ich.”
“Für einen Vogelmenschen?”
Der Wanderfalke antwortet nicht mehr darauf und Annie versteht das als ein “Ja”. E möchte sie also an einen Ort bringen, an dem viele andere Vogelmenschen sind. Annie weiß noch nicht recht, wie sie sich das vorstellen soll. Es will ihr eigenartig vorkommen und vielleicht sogar bedrohlich, aber eigentlich stellt Annie es sich genauso vor wie als sie nach dem Umzug zum ersten Mal in ihre neuen Schulklasse kam. Da war sie auch an einem neuen Ort voller fremder Wesen, von denen sie viele bis heute nicht verstanden hat. Bei dem Vogelmenschen dagegen fühlt sie sich wohl, also ist eine ganze Stadt voll von ihnen vielleicht sogar ein Ort, auf den sie sich freuen kann.
Trotzdem fragt sich Annie, ob sie vielleicht träumt. Aber sie muss andauernd gähnen, und während man schläft, ist man nicht müde. Trotzdem möchte Annie ganz sicher sein. Also zieht sie den Schal enger, dreht sich auf die Seite und schiebt ihren rechten Arm ganz tief unter die Masken, damit er nicht aus Versehen herausrutschen kann und sie am Ende noch herunterfällt. Vielleicht kann man in einem Traum ja schon müde sein, aber einschlafen kann man ganz sicher kein zweites Mal! Also schließt Annie die Augen. Ihre Lider werden sofort so schwer, dass sie sie nicht mehr öffnen will. Der Schal hält sie jetzt schön warm und das Surren des Fahrrads ist leise und stetig.
Annie schläft ein.
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