Crimson Silk And Vanity
von Ari Fey
Kurzbeschreibung
Akira Kurusu hat ein perfektes, einfaches Leben. Als Kunst-Student auf Basis eines Stipendiums und mit einer wundervollen Freundin an seiner Seite gibt es nichts, dass er sich noch wünschen könnte. Bis sein langjähriger, einseitiger Schwarm und Inhalt seiner Teenager-Fantasien zustimmt, sein Aktmodell für ein ganzes Semester zu sein. [Painter-/University-AU / No Powers / Off-Canon / ShuAke / Nude Paintings/ Mutual Pining/ Akechi actually wearing Fashion /in later Chapters: Shibari]
GeschichteRomance / P18 / MaleSlash
Ann Takamaki
Goro Akechi
Protagonist
Ryuji Sakamoto
14.04.2021
27.06.2021
5
23.080
3
27.05.2021
4.070
Akechi lehnte neben dem Haupteingang, ein Bein leicht angewinkelt und den Blick auf das Smartphone in seiner Hand gerichtet. Er trug einen schwarzen Kapuzenpullover, der ihm zwar ein wenig zu groß war, aber seine schlanke, athletische Figur umso mehr betonte. Akira schluckte die aufkommende Nervosität runter, die sich in seiner Kehle sammelte, wie saure Limonade. Um diese Zeit hatten gerade die Nachmittags-Kurse begonnen, weshalb der Campus angenehm leer und ruhig war.
“Hey,” sagte Akira, um Akechis Aufmerksamkeit auf sich zu richten. Er blinzelte vom Bildschirm seines Smartphones zu Akira und schenkte ihm ein leichtes Lächeln. “Hi, Akira,” erwiderte er und steckte das Handy in eine Hosentasche. Akira schluckte, als er seinen Namen hörte, von dieser süßen, warmen Stimme.
“Ich halte dich nicht von irgendeinem Seminar ab, oder?” fragte Akechi, leise kichernd. Akira schüttelte den Kopf, während er eine Hand in den Nacken hob. “Nein, keine Sorge. Also, wollen wir?” entgegnete Akira und Akechi nickte zustimmend, stieß sich von der Wand ab und zog die Kapuze des Pullovers über den Kopf.
Akira führte Akechi durch das große, offene Foyer der Universität. Das Hauptgebäude war alt, sehr alt und hatte sich seit der Gründung nicht verändert. Die gewölbten Decken im Inneren waren untypisch für japanische Architektur und angelehnt an westliche Bauwerke. Der Boden war eine kunstvolle Anordnung aus glatt-geschliffenen, glänzenden Mosaik-Fliesen, die sich bis zur Treppe und den Gängen erstreckten. Obwohl das Gebäude alt war, befanden sich moderne Fahrstühle links und rechts neben den Treppenaufgängen, die mit ihren metallischen Türen einen starken Kontrast zum Rest des Foyers bildeten. Akira erklärte den groben Grundriss, die Lage der Fakultäten und einige Abkürzungen über Verbindungsstücke zwischen den Gebäuden und dem kleinen Park in der Mitte des Campus.
Akechi hörte ihm aufmerksam zu, während Akira ihn den Treppenaufgang in den ersten Stock nach oben führte.
“An meinem ersten Tag — oder besser gesagt, an allen Tagen in den ersten Wochen — habe ich mich auch verlaufen. Also mach dir nichts draus,” sagte er und schenkte Akechi ein aufmunterndes Lächeln. “Du bist nicht allein, was das angeht.”
Akechis Mundwinkel zuckten ein wenig bei den Worten, bevor sie sich zu einem einseitigen Lächeln verzogen. In seinen Augen spiegelte sich ein Anflug von etwas, dass Akira nicht deuten konnte, das allerdings verschwand, als Akechi blinzelte und das Thema wechselte. Akira führte ihn durch einen verglasten Gang, der als Verbindungsstück zwischen dem Hauptgebäude und der Fakultät für Kunst und Kultur fungierte. “Unsere Fakultät ist hier. Wir, also — Studenten für Freie Künste — sind hier in diesem Gang,” erklärte Akira, während er Akechi durch einen breiten Gang mit den Seminar-Räumen führte. Es roch nach altem Papier und getrockneter Farbe, vermischt mit dem leichten, bitteren Hauch vom Bodenwachs, dass für die alten, verblichenen Parkettboden genutzt wurde. “Im zweiten Stock finden die Theorie-Kurse statt,” erklärte Akira, als sie am Treppenaufstieg am Ende des Ganges angekommen waren. “Und im dritten Stock sind die Seminar-Räume für Schauspiel und Theater. Beide Studiengänge sind gering besetzt, deswegen teilt ihr euch die Räume.” Akechi nickte und sah sich um, während Akira ihn mit weiteren, mehr oder weniger interessanten Fakten über die Fakultät bereicherte, um die Stille zwischen ihnen zu überbrücken. Akechi antwortete hin und wieder mit einsilbligen, nonchalanten Antworten oder warf Akira fragende Blicke zu. Akiras Herz flatterte, wann immer sich ihre Blicke trafen, und als Akechi immer näher neben ihm zu laufen schien, überkam Akira eine neue Welle an Nervosität.
Sie liefen nebeneinander, mittlerweile im dritten Stock angelangt, als Akira etwas am Handrücken streifte. Vertieft in eine Erklärung über die ungerechten und viel zu kurzen Pausenzeiten, realisierte er es erst nicht. Erst, als sich das Gefühl wiederholte, ein leichtes, kaum bemerkbares Streifen von Haut an Haut, bemerkte er, dass es Akechis Fingerknöchel waren. Von einem plötzlichen Anflug von Mut — oder Unvernunft — traf Akira eine Entscheidung. Er hakte seinen kleinen Finger in Akechis. Seine Wangen erhitzten sich schlagartig, als Akechi die Geste erwiderte. Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, Akechis Gesicht zu sehen, und dem Verbergen seiner eigenen Gefühle, die sich ganz sicher hinter den Gläsern seiner Brille spiegeln würden, sah Akira geradeaus und hoffte, dass Akechi den roten Schimmer auf seinen Wangen nicht bemerken würde.
Am Ende des Ganges löste sich Akechi von ihm, aber ein warmes Gefühl und ein Kribbeln in Akiras Fingerspitzen blieb zurück. “Ein Park, sagtest du, ja? Führst du mich hin?” fragte Akechi. Akira nickte zustimmend und führte Akechi durch das Treppenhaus nach unten, durch einen der Hinterausgänge.
Die Parkanlage in der Mitte des Campus, umringt von allen Gebäuden, war eine saubere, gepflegte Grünanlage. Der Frühling ließ bereits die ersten Blühten zwischen dem kurzen Rasen wachsen und die kunstvoll angerichteten Blumenbeete erstrahlten in gelb, blau- und violetten Tönen. Akira führte Akechi zu einer der Parkbänke unter einem Laubbaum. Das helle Kies knirschte unter ihren Sneakern und verstummte, als sie sich auf die Sitzfläche sinken ließen.
“Danke für die Tour,” sagte Akechi sanft. “Du bist schon eine Weile hier, oder?”
Akira nickte, während er sich mit dem Rücken gegen das harte Holz lehnte. “Drittes Semester, also etwas über ein Jahr.”
“Ich hoffe, ich bin nicht zu persönlich, aber… wieso studierst du Freie Künste?”
Überrascht von Akechis ehrlichem Interesse, dauerte es einen Moment, bis Akira sich wieder gesammelt hatte. Während er sprach, spielte er an einem Splitter herum, der aus der Bank hervorragte. “Ich habe keine besonders noble Erklärung, um ehrlich zu sein,” begann er. “Ich studiere es nicht, in der Hoffnung, irgendwann vielleicht als großer Künstler entdeckt zu werden. So naiv bin ich nicht. Ich… ich male aus Leidenschaft. Auch wenn ich kein Geld damit verdienen würde, würde ich trotzdem Malen. Eigentlich —” ein leises, bitteres Kichern entwich ihm. “— eigentlich würde ich auch für den Rest meines Lebens im Leblanc arbeiten und nebenbei Malen, selbst wenn niemand meine Bilder kaufen würde.”
“Ist das so?” entgegnete Akechi nachdenklich. “Hm, ich würde deine Bilder kaufen, wenn sie mir gefallen,” fügte er mit einem leichten Lächeln hinzu. “Apropos, was genau passiert mit den Bildern von mir?”
“Wenn mein Professor die Bilder gut findet, werden sie ausgestellt. Hier, in der Universität und vielleicht auch in seiner Galerie,” erklärte Akira, dann wendete er sich Akechi direkt zu. Akechi hatte die Beine überschlagen und lehnte so nah an Akira, dass sich ihre Schultern beinahe berührten. “Ist das okay für dich?” fragte er und räusperte sich. “Ist es okay, dass dich jeder auf den Bildern erkennen könnte?”
Akechi blinzelte verlegen, bevor er nachdenklich einen Finger an sein Kinn lehnte. “Hm… darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht,” sagte er und biss sich leicht auf die Unterlippe. “Was wäre denn die Alternative? Du kannst ja nicht mein Gesicht weglassen, oder?”
Akira schüttelte den Kopf. “Nein, aber es gibt Alternativen. Ich könnte dich nur von der Seite malen, oder die Posen so wählen, dass du dein Gesicht nicht zeigen musst. Eine andere Möglichkeit wäre, dass wir — ich meine — dass du dein Gesicht verdeckst.”
Nachdenklich sah Akechi an Akira vorbei, seine Augen waren unfokussiert auf einen Fleck in der Ferne gerichtet. “Ich denke darüber nach, ja?”
“Natürlich,” sagte Akira verständnisvoll. “Wäre es okay, wenn ich meinen Freunden von dir erzähle?” Nachdem er die Formulierung ausgesprochen hatte, stieg die Hitze schlagartig in seine Wangen.
Akechi richtete seinen Fokus wieder auf Akira und blinzelte sanft. Er lächelte leicht, bevor er antwortete. “Das hast du noch nicht?” entgegnete Akechi mit einem schiefen Grinsen. “Die meisten Menschen hätten schon längst damit geprahlt, mich zu kennen —” Akechis weinrote Augen fixierten Akira, während sein Ausdruck ernster wurde. “Bin ich dein Geheimnis, Akira?” fragte er und legte den Kopf schief.
“N-Nein, ich wollte nur sicher gehen — du bist immerhin berühmt, und —”
Akechis Kichern unterbrach Akiras nervöses Stottern. “Keine Sorge, Kurusu. Ich spiele nur mit dir,” sagte er grinsend. “Aber nein, erst einmal nicht. Ich will nicht, dass sich unnötige Gerüchte verbreiten. Also —” er lehnte sich näher an Akira, so nah, dass Akira seinen warmen Atem an seiner Ohrmuschel fühlte. “— lass mich dein Geheimnis sein.” Seine Stimme war sanft und hatte gleichzeitig etwas verführerisches an sich. Akira zuckte unwillkürlich zusammen und versuchte, etwas Abstand zwischen sich und Akechi zu bringen.
Was… Was sollte das …?
Akira sah Akechi verwirrt an, die Hitze in seinen Wangen konnte er unmöglich ignorieren. Akechi grinste allerdings nur und lehnte sich wieder zurück; gab Akira etwas Luft zum Atmen. “Entschuldige, ich kann nicht anders —” kicherte er hinter vorgehaltener Hand. “Du bist so nervös. Ich kann nicht anders, als dich zu ärgern.” Akira zog skeptisch die Augenbrauen zusammen und warf Akechi einen vorwurfsvollen Blick zu, den Akechi mit einem noch breiteren Grinsen erwiderte. “Verzeih mir, ich —” begann Akechi, aber der laute Nachrichtenton seines Smartphones unterbrach ihn. Akechi entsperrte den Bildschirm und las die Nachricht, während sich sein Gesicht von belustigt zu genervt wandelte.
“Mein Foto-Shooting wurde verlegt,” seufzte Akechi. “Sie wollen bereits in einer Stunde anfangen,” sagte er, den Blick immer noch auf sein Smartphone gerichtet. “Entschuldige, Akira, ich muss los, —” er steckte das Smartphone zurück in seine Hosentasche und wendete sich Akira zu. “— außer… du willst mich begleiten?”
Wie hätte er ablehnen können? Akira begleitete Akechi nach Asakusa. Auf dem Weg zum Sky Tower schrieb er Sojiro eine kurze Nachricht, dass er es heute nicht mehr schaffen würde, ihm auszuhelfen, danach richtete er seine gesamte Aufmerksamkeit auf Akechi. Im Zug verfielen sie in oberflächliche Konversationen über alles Mögliche. Akira lernte, dass Akechi eine Vorliebe für Videospiele und Mystery-Romane hat, was Akira ziemlich charmant fand. Er hatte sich seinen Schwarm bisher… anders vorgestellt. Akechi war höflich und zuvorkommend, aber je länger die Konversation dauerte, desto mehr fiel Akira auf, dass Akechi anfing, ihn durch schnippische oder sarkastische Kommentare zu sticheln. Wenn immer Akira einen kritischen Kommentar abgab, leuchteten Akechis Augen aufgeregt und schon bald versuchte Akira, dieses Leuchten öfter zu sehen.
Es war beinahe wie ein Schlag ins Gesicht, als sie am Bahnhof in Asakusa ankamen und die angenehme Zweisamkeit aufgeben mussten.
Der oberste Bereich des Sky Tower war für das Shooting gemietet und Akira seufzte erleichtert aus, als er sich umsah, und außer dem Team aus Fotografen und deren Assistenten keine weitere Menschenseele (Ann) zu sehen war.
Akechi stellte Akira als seine Begleitung aus dem Studium vor und antwortete nur mit einem Augenrollen auf die kritischen Blicke des Hauptfotografen. Ein schwarzhaariger, nervöser Assistent reichte Akechi einen kleinen Stapel zusammengefalteter Kleidung und führte ihn zu einer provisorischen Umkleidekabine; vier Teleskop-Stangen, die durch einen blickdichten Stoff umhüllt waren. Akechi verschwand dahinter, doch bevor der Stoff Akiras Sicht auf ihn verdeckte, warf Akechi einen Blick über seine Schulter und zwinkerte Akira zu.
Akira blieb für einen Moment die Luft im Hals stecken und er musste ein paar Mal husten, bis seine Lungen sich wieder daran erinnerten, wie Atmen funktionierte. Er fühlte die skeptischen Blicke der Crew-Mitglieder auf ihm wie Dolche. Um sich den Blicken zu entziehen, versuchte er den anderen nicht zu sehr im Weg zu stehen. Schließlich ließ er sich auf einem Klappstuhl neben einem winzigen Buffet aus Sandwiches, Muffins und Kaffee sinken. Hätte er sein Skizzenbuch dabei, hätte er die Skyline zeichnen können, aber so, ohne etwas, mit dem er seine Hände beschäftigen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit seinem Smartphone zu beschäftigen.
Der Instagram-Feed auf seinem Handy aktualisierte sich bereits zum dritten Mal, als der nervöse, schwarzhaarige Assistent plötzlich neben ihm aufgetaucht war. Leise seufzend ließ er sich neben Akira sinken und kabberte an einem Blaubeer-Muffin herum. Als er Akiras Blick auf sich spürte, drehte er langsam den Kopf zu ihm und lächelte leicht, nervös. Er schluckte, bevor er sagte: “Du bist Akechi-sans Freund?”
Akira blinzelte ein paar Mal, bevor die vertraute Hitze in seine Wangen schoss. “N-Nein,” entgegnete er. “Wir studieren zusammen, mehr nicht.”
“Oh,” sagte der andere. “Ich hätte schwören können —” er verlor sich kurz in dem Gedanken, brachte ihn aber nicht zu Ende. Akira hob skeptisch eine Augenbraue. “Auf der anderen Seite — das hätte mich auch gewundert. Akechi-san ist nicht so offen, was das betrifft.” Als er Akiras skeptischen Blick bemerkte, wurde er noch nervöser. “A-Also nicht, dass es mich etwas angeht — nur — Akechi-san wirkt immer so — unnahbar? Und jeder Frage zu Beziehungen weicht er aus — i-ich bin mir nicht einmal sicher, ob er sowas wie Freunde hat — a-also, nicht dass daran etwas schlimm ist, nur —” er schüttelte den Kopf und stoppte sich selbst. “Sorry. Das sollte ich nicht sagen.”
“Schon gut,” entgegnete Akira locker. “Aber wir sind nur —” ja, was eigentlich? “— Kommilitonen.” Ja, das klingt safe. Kommilitonen, die zusammen an einem Projekt arbeiten.
“Bitte erzähl’ ihm nicht, was ich gerade gesagt habe —” sagte der Andere nervös. “— ich brauche diesen Job.”
Akira verkniff sich ein belustigtes Kichern beim Anblick der großen, glänzenden Hundeaugen, die der Andere machte. “Keine Sorge,” sagte Akira grinsend. “Ich sage nichts.”
“Puh, danke,” seufzte der Schwarzhaarige erleichtert. “Oh, außerdem — ich bin Mishima.” Er wischte sich die Krümel vom Muffin an seinen Fingern an einem Hosenbein ab und reichte Akira seine (mehr oder weniger) saubere Hand. “Schön dich kennenzulernen!”
“Akira Kurusu,” entgegnete Akira und schüttelte seine Hand, die viel weniger klebte, als Akira es erwartet hatte.
“Schön dich kennenzulerne — Oh! Da ist sie ja!” Mishimas Blick wanderte über Akiras Schulter und plötzlich wurden seine Augen noch größer, ein Ausdruck von purer Bewunderung spiegelte sich darin. “Miwa-chan —” flüsterte er, als sei er vollkommen in Trance.
Akira warf einen Blick über seine Schulter in die Richtung, in die Mishima starrte. Eine brünette Frau kam auf hohen Absätzen aus dem Fahrstuhl stolziert. In einer Hand hielt sie einen Coffee-To-Go-Becher, in der anderen ihre Autoschlüssel. In ihrer angewinkelten Ellenbeuge balancierte sie eine weiße Designer-Handtasche, passend zu ihrer ebenso rein-weißen Lederjacke, die sie über einem tiefblauen, eng-anliegenden Bodycon-Kleid trug. Der kurze Saum endete gerade einmal auf der Mitte ihrer Oberschenkel, welche durch schwarze, engmaschige Fischnetz-Strumpfhosen betont wurden. Akira schluckte, als Miwa-chan die riesige Sonnenbrille von ihrem Gesicht nahm. Sie war schön, mit weichen, weiblichen Zügen, geschürzten, glänzenden Lippen und großen, braunen Augen.
“Sie ist perfekt —” murmelte Mishima.
Ein weiterer, unscheinbarer Assistent lief zu Miwa-chan und nahm ihr die Tasche und Schlüssel ab, während sie mit einem überfreundlichen Lächeln das Team begrüßte. Der Fotograf (Akira vermutete, dass es der Fotograf war, denn er trug eine Kamera um den Hals) unterhielt sich länger mit ihr, während sie hin und wieder an ihrem Kaffeebecher nippte. Selbst aus der Entfernung sah Akira den roten Abdruck, den ihr Lippenstift auf dem weißen Plastik des Deckels hinterließ. Der Fotograf führte Miwa zu der Brüstung vor den gigantischen Fenstern, welche einen atemberaubenden Blick über die Skyline boten. Sie lehnte sich elegant gegen das Metall, während die anderen Team-Mitglieder um sie herumschwirrten wie Bienen und das Set für das Shooting vorbereiteten. Schwarze Softboxen warfen ein weißes Licht auf ihre perfekte Figur und das Kleid leuchtete mit jeder ihrer Bewegungen.
Akira wollte gerade den Blick abwenden, als Akechi endlich aus der Umkleide kam.
Miwa-chan war nichts, im Gegensatz zu dem Anblick, den Akechi bot, wenn es nach Akira ging. Fasziniert ließ er seine Augen über Akechis perfekte Form wandern. Er trug ein paar enge, schwarze Jeans die an den Knien aufgeschnitten waren; weiße Fäden blitzten zwischen den Schlitzen hervor. Darüber trug er ein reinweißes, enges Shirt, komplementiert mit schwarzen Hosenträgern, die lässig an seinen Oberschenkeln herunter hingen. Er zog sich gerade einen modernen Oversize-Kimono über, als er Akira einen Blick zuwarf. Akira vergaß nicht nur zu Atmen, er vergaß, dass er umringt war von fremden Menschen, die ihn vermutlich gerade anstarrten —
Kopfschüttelnd wendete er sich von Akechi ab.
“Akechi-san, perfekt. Ihr beide, kommt hier her, genau —” hörte Akira den Fotografen sagen. “Miwa-chan, du siehst bezaubernd aus! Stell dich neben Akechi-san, näher — perfekt —” sagte eine andere Stimme und dann hörte Akira das Klicken des Auslösers der Kamera. Das helle Blitzlicht drängte sich in den Rand seines Blickfelds. “Ausgezeichnet, das sieht großartig aus — okay, und jetzt — Miwa-chan, lehn dich an Akechi-san,” kommandierte der Fotograf.
Akira wagte einen Blick auf das Bild vor sich; Vor der Skyline Tokyos posierte Akechi mit dieser wunderschönen Frau, als würde es ihm im Blut liegen. Das Paar komplementierte sich perfekt. Während Akechi ernst und irgendwie verführerisch in die Kamera sah, war Miwa-chan wesentlich verspielter und offener. Sie lehnte sich an Akechis Seite, während er einen Arm um sie geschlungen hatte, seine Hand ruhte auf ihrer mittlerweile nackten Schulter. Die Lederjacke hatte sie bereits abgelegt und der viereckige Ausschnitt ihres Kleids war trägerlos. Akechi schien sie zu sich zu ziehen, ihr Schopf lehnte an seiner Schulter.
Akiras Herz zog sich leicht zusammen, als er sie beobachtete. Wenn Miwa-chan nicht wäre — wenn er und Akechi allein wären — würde Akechi ihm erlauben, sich an ihn zu lehnen, wie Miwa-chan? Akechis Arme würden sich um Akira schlingen, ihn nah bei sich halten, so nah, dass er Akechis Herzschlag an seiner Brust fühlen könnte. Akira würde seine Nase an Akechis Halsbeuge vergraben, seinen Duft einatmen. Vielleicht würde Akechi schaudern, wenn Akiras Lippen über die warme, empfindliche Haut an Akechis Hals wandern lassen würde, oder — vielleicht wäre er fordernder; vielleicht würde Akira ein Bein zwischen Akechis Oberschenkel schieben, seine Lippen am Kiefer entlang zu seinem Kinn wandern lassen. Akechis Atem würde sich beschleunigen, und —
“Kurusu-san?” Mishimas Hand legte sich auf seine Schulter. Blinzelnd kam Akira in die Realität zurück, während ihm eine Hitze in die Wangen stieg. “J-ja? Was ist?” krächzte er hervor. Mishima ließ seine Hand sinken und musterte ihn stattdessen fragend. “Das Shooting ist vorbei. Akechi-san und Miwa-chan ziehen sich gerade um. Ich wollte wissen, ob du mir beim Abbauen helfen könntest?”
Akira blinzelte erneut, bevor sein Gehirn Mishimas Frage verarbeitet hatte und er zustimmend nickte. Mishima lächelte dankbar.
Nachdem das Meiste des Equipments verstaut und transportierfähig zusammengepackt worden war, entließ Akira sich selbst als Mishimas Helfer. Akechi unterhielt sich gerade mit dem Fotografen, als sein suchender Blick Akira fand. Er warf ihm ein entschuldigendes Lächeln zu, bevor er das Gespräch mit dem Fotografen beendete und sich höflich vom Rest des Teams verabschiedete.
Akira wartete neben dem Fahrstuhl, als Akechi zu ihm kam. Er trug wieder die normalen, weniger eng-anliegenden Klamotten von vorher. Sein Haar hing locker um seine Schultern und das Meiste des Make-Up war abgewaschen; er sah… normal aus. Immer noch attraktiv, aber natürlicher, nahbarer.
“Entschuldige, Kurusu. Es war nicht meine Absicht, dass Mishima dich zum Arbeiten zwingt — ” sagte er mit gerunzelter Stirn.
“Ach, kein Problem,” entgegnete Akira und winkte ab. “Du warst wirklich —”
“Steif? Unkonzentriert?”
“— atemberaubend.”
Akechi blinzelte und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als sich die Türen des Fahrstuhls mit einem lauten Ping öffneten. Akira meinte, den leisesten Hauch von Rot auf Akechis Wangen zu sehen, als sie gemeinsam die Kabine betraten. Akechi wählte den untersten Stock aus, doch bevor sich die Türen schlossen, drängte sich Miwa zwischen sie.
“Akechi-san,” schnurrte sie, ignorierte Akira und stellte sich zwischen Akechi und Akira. So nah, dass Akira der aufdringliche Geruch ihres süßen Parfums in die Nase stieg. “Du warst wirklich großartig heute, gute Arbeit! Weißt du, wenn du nichts dagegen hast, sollten wir öfter zusammen shooten —”
“Du schmeichelst mir, Miwa-chan,” entgegnete Akechi höflich. “Du kannst deine Nummer meinem Management zukommen lassen, wie klingt das?”
Akiras Magen drehte sich um und das erstickende Gefühl von Eifersucht kehrte zurück; stieg sauer in einer Kehle auf. Neben ihm lehnte sich Miwa noch näher zu Akechi, so nah, dass sich ihre Schultern und Arme berührten. “Oh, danke! Aber viel lieber würde ich dir meine Nummer geben. Du kannst dich auch außerhalb von der Arbeit bei mir melden, hm? Für dich würde ich mir immer Zeit nehmen —”
Widerwillig zog Akechi sein Smartphone hervor, doch bevor er es Miwa reichen konnte, damit sie ihre Nummer darin eintippen konnte, öffneten sich die Türen des Fahrstuhls wieder mit einem lauten Ping. Akira meinte, Akechi erleichtert ausatmen zu hören, als er sich an Miwa vorbei nach draußen drängte. “Sorry, aber ich muss los. Danke für alles heute, Miwa-chan!” sagte er höflich. Eine Hand legte sich um Akiras Handgelenk, und bevor Akira protestieren konnte, zog Akechi ihn bereits zum Ausgang und weit weg von Miwa, welche verdutzt zurückblieb.
Es dämmerte bereits, als sie den Skytree verließen. Akechi ließ Akiras Handgelenk los und Akira erwischte sich dabei, stattdessen nach Akechis Hand zu greifen zu wollen und seine Finger mit Akechis zu verschlingen.
“Kein Interesse an Miwa-chan?” fragte Akira stattdessen.
“Erspar mir das, bitte —” erwiderte Akechi mit einem Kopfschütteln. Akira wendete den Blick auf den Bürgersteig vor sich, als sie gemeinsam zurück zum Bahnhof liefen, nebeneinander, ihre Schritte beinahe synchron.
“Oh, Akechi-san,” imitierte Akira ihr Schnurren. “Für dich würde ich mir immer Zeit nehmen, ganz ohne Hintergedanken — ”
Akechi kicherte, hell und klar, hinter vorgehaltener Hand. “Das hoffe ich doch, Akira —” erwiderte er. “— allerdings hast du meine Nummer schon; du musst nicht danach betteln,” fügte er mit einem Zwinkern hinzu.
“Was für eine Ehre,” sagte Akira, ein Grinsen breitete sich gegen seinen Willen auf seinen Lippen aus. “Ich hoffe, du bereust es nicht.”
“Nein,” Akechi wurde ernster, das Kichern verebbte und wurde durch einen ernsteren Ausdruck ersetzt. “Nein, ich — im Gegenteil, ich —” er stoppte sich selbst und räusperte sich. “Entschuldige. Du musst müde sein, oder nicht? Wir sollten —”
Wieso wurde es plötzlich so unangenehm? Akira warf Akechi einen skeptischen Blick zu, und der Ausdruck von Erschöpfung auf Akechis Gesicht überraschte ihn. “Uhm — ja, ein bisschen. Ist alles in Ordnung?”
Akechi zwang sich zu einem Lächeln. Eines, dass seine Augen nicht erreichte. “Mir geht es gut, danke,” sagte Akechi und Akira biss sich auf die Zunge, um sich davon abzuhalten, weiter nachzuhaken. Den Rest des Weges schwieg Akechi und bevor Akira den Mut fassen konnte, ihn zu fragen, ob er etwas falsch gemacht hatte, erreichten sie bereits den Bahnhof.
“Danke, dass du mich begleitet hast,” sagte Akechi mit einem höflichen Lächeln. “Unsere nächste Session ist am Sonntag, ja?”
Akira blinzelte ein paar Mal, bevor er zustimmend nickte. “Sonntag, ja,” bestätigte er und bevor er die Worte herunter schlucken konnte, stolperten sie bereits über seine Lippen: “Schreib mir, wenn du zuhause bist, okay?”
“Oh — uhm —” Akechis Wangen färbten sich in zartem Rot. Akira konnte nicht genug davon bekommen, ihn so zu sehen. “— ja, sicher. Bis dann, Akira —” er machte auf dem Absatz kehrt, bevor Akira etwas entgegnen konnte.
Auf dem Weg zurück nach Yongen-Jaya, verharrte Akira über dem Chat mit Kasumi. Nachdem das warme Gefühl und das Kribbeln in seinen Fingerspitzen verebbt war, flutete ihn eine Welle aus Schuld.
[Chat-Thread started, Mittwoch, 17.04.20XX]
[16:48]
Kasumi: Akira!! Ich hab gute Neuigkeiten :))
Kasumi: Ich wurde für das Training-Camp angenommen
Kasumi: Sumire und ich fahren schon nächstes Wochenende nach Osaka!
Kasumi: Das ist so aufregend
[20:16]
Kasumi: Akira?
Kasumi: Bist du wieder am Malen? :)
Kasumi: Ruf mich an, wenn du kannst ♥
[20:57]
Akira: Hey
Akira: Sorry, ich war beschäftigt
Akira: Ich freu mich riesig für dich! ♥♥
Akira: Lass uns morgen reden, ich bin ziemlich müde :) Hast du Lust ins Leblanc zu kommen?
Kasumi: Ja sicher!
Kasumi: Bleib nicht wieder zu lange wach. ♥
Kasumi: Bis morgen ♥♥
[Chat-Thread ended]
Akira atmete erleichtert aus und lehnte sich gegen die kalte Scheibe des Zugfensters. Das Rauschen des Zugs war ein angenehmes Hintergrundgeräusch und ließ seine Augen schwer werden. Müdigkeit vernebelte seine Gedanken, aber bevor er sich darauf einlassen konnte, die Augen zu schließen, vibrierte das Smartphone in seiner Hand mit einer neuen Nachricht. Akira rieb sich mit dem Handrücken den Schlaf aus den Augen und öffnete die Chat-App.
[Chat-Thread started, Mittwoch, 17.04.20XX]
[21:03]
Crow: Ich bin zuhause.
Crow: Danke nochmal, für heute.
Crow: Du hättest nicht mitkommen müssen.
Akira: Das ist gut :)
Akira: Wolltest du mich nicht dabei haben? :P
Crow: Nein, schon.
Crow: Ich meine
Crow: Ich wollte dich dabei haben.
Oh. Akira schluckte.
Akira: Was für ein Zufall, denn ich wollte wirklich gerne da sein :)
Crow: Okay.
Crow: Gute Nacht, Akira.
[Chat-Thread ended]
Akira sperrte den Bildschirm des Smartphones und ließ sich tiefer in den Sitz sinken. Er starrte aus dem Fenster, aber nahm die vorbeirauschende Stadt kaum wahr. Sein Spiegelbild starrte ihm entgegen, müde, erschöpft, aber… glücklich. Akira seufzte und schloss die Augen.
Er und… Akechi.
Wie sollte er seine Avancen deuten? Er… flirtete doch mit ihm, oder nicht?
Und… er wusste nichts von Kasumi. Und Kasumi wusste nichts von ihm.
Ein dumpfer Stich bohrte sich in Akiras Magen.
“Hey,” sagte Akira, um Akechis Aufmerksamkeit auf sich zu richten. Er blinzelte vom Bildschirm seines Smartphones zu Akira und schenkte ihm ein leichtes Lächeln. “Hi, Akira,” erwiderte er und steckte das Handy in eine Hosentasche. Akira schluckte, als er seinen Namen hörte, von dieser süßen, warmen Stimme.
“Ich halte dich nicht von irgendeinem Seminar ab, oder?” fragte Akechi, leise kichernd. Akira schüttelte den Kopf, während er eine Hand in den Nacken hob. “Nein, keine Sorge. Also, wollen wir?” entgegnete Akira und Akechi nickte zustimmend, stieß sich von der Wand ab und zog die Kapuze des Pullovers über den Kopf.
Akira führte Akechi durch das große, offene Foyer der Universität. Das Hauptgebäude war alt, sehr alt und hatte sich seit der Gründung nicht verändert. Die gewölbten Decken im Inneren waren untypisch für japanische Architektur und angelehnt an westliche Bauwerke. Der Boden war eine kunstvolle Anordnung aus glatt-geschliffenen, glänzenden Mosaik-Fliesen, die sich bis zur Treppe und den Gängen erstreckten. Obwohl das Gebäude alt war, befanden sich moderne Fahrstühle links und rechts neben den Treppenaufgängen, die mit ihren metallischen Türen einen starken Kontrast zum Rest des Foyers bildeten. Akira erklärte den groben Grundriss, die Lage der Fakultäten und einige Abkürzungen über Verbindungsstücke zwischen den Gebäuden und dem kleinen Park in der Mitte des Campus.
Akechi hörte ihm aufmerksam zu, während Akira ihn den Treppenaufgang in den ersten Stock nach oben führte.
“An meinem ersten Tag — oder besser gesagt, an allen Tagen in den ersten Wochen — habe ich mich auch verlaufen. Also mach dir nichts draus,” sagte er und schenkte Akechi ein aufmunterndes Lächeln. “Du bist nicht allein, was das angeht.”
Akechis Mundwinkel zuckten ein wenig bei den Worten, bevor sie sich zu einem einseitigen Lächeln verzogen. In seinen Augen spiegelte sich ein Anflug von etwas, dass Akira nicht deuten konnte, das allerdings verschwand, als Akechi blinzelte und das Thema wechselte. Akira führte ihn durch einen verglasten Gang, der als Verbindungsstück zwischen dem Hauptgebäude und der Fakultät für Kunst und Kultur fungierte. “Unsere Fakultät ist hier. Wir, also — Studenten für Freie Künste — sind hier in diesem Gang,” erklärte Akira, während er Akechi durch einen breiten Gang mit den Seminar-Räumen führte. Es roch nach altem Papier und getrockneter Farbe, vermischt mit dem leichten, bitteren Hauch vom Bodenwachs, dass für die alten, verblichenen Parkettboden genutzt wurde. “Im zweiten Stock finden die Theorie-Kurse statt,” erklärte Akira, als sie am Treppenaufstieg am Ende des Ganges angekommen waren. “Und im dritten Stock sind die Seminar-Räume für Schauspiel und Theater. Beide Studiengänge sind gering besetzt, deswegen teilt ihr euch die Räume.” Akechi nickte und sah sich um, während Akira ihn mit weiteren, mehr oder weniger interessanten Fakten über die Fakultät bereicherte, um die Stille zwischen ihnen zu überbrücken. Akechi antwortete hin und wieder mit einsilbligen, nonchalanten Antworten oder warf Akira fragende Blicke zu. Akiras Herz flatterte, wann immer sich ihre Blicke trafen, und als Akechi immer näher neben ihm zu laufen schien, überkam Akira eine neue Welle an Nervosität.
Sie liefen nebeneinander, mittlerweile im dritten Stock angelangt, als Akira etwas am Handrücken streifte. Vertieft in eine Erklärung über die ungerechten und viel zu kurzen Pausenzeiten, realisierte er es erst nicht. Erst, als sich das Gefühl wiederholte, ein leichtes, kaum bemerkbares Streifen von Haut an Haut, bemerkte er, dass es Akechis Fingerknöchel waren. Von einem plötzlichen Anflug von Mut — oder Unvernunft — traf Akira eine Entscheidung. Er hakte seinen kleinen Finger in Akechis. Seine Wangen erhitzten sich schlagartig, als Akechi die Geste erwiderte. Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, Akechis Gesicht zu sehen, und dem Verbergen seiner eigenen Gefühle, die sich ganz sicher hinter den Gläsern seiner Brille spiegeln würden, sah Akira geradeaus und hoffte, dass Akechi den roten Schimmer auf seinen Wangen nicht bemerken würde.
Am Ende des Ganges löste sich Akechi von ihm, aber ein warmes Gefühl und ein Kribbeln in Akiras Fingerspitzen blieb zurück. “Ein Park, sagtest du, ja? Führst du mich hin?” fragte Akechi. Akira nickte zustimmend und führte Akechi durch das Treppenhaus nach unten, durch einen der Hinterausgänge.
*
Die Parkanlage in der Mitte des Campus, umringt von allen Gebäuden, war eine saubere, gepflegte Grünanlage. Der Frühling ließ bereits die ersten Blühten zwischen dem kurzen Rasen wachsen und die kunstvoll angerichteten Blumenbeete erstrahlten in gelb, blau- und violetten Tönen. Akira führte Akechi zu einer der Parkbänke unter einem Laubbaum. Das helle Kies knirschte unter ihren Sneakern und verstummte, als sie sich auf die Sitzfläche sinken ließen.
“Danke für die Tour,” sagte Akechi sanft. “Du bist schon eine Weile hier, oder?”
Akira nickte, während er sich mit dem Rücken gegen das harte Holz lehnte. “Drittes Semester, also etwas über ein Jahr.”
“Ich hoffe, ich bin nicht zu persönlich, aber… wieso studierst du Freie Künste?”
Überrascht von Akechis ehrlichem Interesse, dauerte es einen Moment, bis Akira sich wieder gesammelt hatte. Während er sprach, spielte er an einem Splitter herum, der aus der Bank hervorragte. “Ich habe keine besonders noble Erklärung, um ehrlich zu sein,” begann er. “Ich studiere es nicht, in der Hoffnung, irgendwann vielleicht als großer Künstler entdeckt zu werden. So naiv bin ich nicht. Ich… ich male aus Leidenschaft. Auch wenn ich kein Geld damit verdienen würde, würde ich trotzdem Malen. Eigentlich —” ein leises, bitteres Kichern entwich ihm. “— eigentlich würde ich auch für den Rest meines Lebens im Leblanc arbeiten und nebenbei Malen, selbst wenn niemand meine Bilder kaufen würde.”
“Ist das so?” entgegnete Akechi nachdenklich. “Hm, ich würde deine Bilder kaufen, wenn sie mir gefallen,” fügte er mit einem leichten Lächeln hinzu. “Apropos, was genau passiert mit den Bildern von mir?”
“Wenn mein Professor die Bilder gut findet, werden sie ausgestellt. Hier, in der Universität und vielleicht auch in seiner Galerie,” erklärte Akira, dann wendete er sich Akechi direkt zu. Akechi hatte die Beine überschlagen und lehnte so nah an Akira, dass sich ihre Schultern beinahe berührten. “Ist das okay für dich?” fragte er und räusperte sich. “Ist es okay, dass dich jeder auf den Bildern erkennen könnte?”
Akechi blinzelte verlegen, bevor er nachdenklich einen Finger an sein Kinn lehnte. “Hm… darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht,” sagte er und biss sich leicht auf die Unterlippe. “Was wäre denn die Alternative? Du kannst ja nicht mein Gesicht weglassen, oder?”
Akira schüttelte den Kopf. “Nein, aber es gibt Alternativen. Ich könnte dich nur von der Seite malen, oder die Posen so wählen, dass du dein Gesicht nicht zeigen musst. Eine andere Möglichkeit wäre, dass wir — ich meine — dass du dein Gesicht verdeckst.”
Nachdenklich sah Akechi an Akira vorbei, seine Augen waren unfokussiert auf einen Fleck in der Ferne gerichtet. “Ich denke darüber nach, ja?”
“Natürlich,” sagte Akira verständnisvoll. “Wäre es okay, wenn ich meinen Freunden von dir erzähle?” Nachdem er die Formulierung ausgesprochen hatte, stieg die Hitze schlagartig in seine Wangen.
Akechi richtete seinen Fokus wieder auf Akira und blinzelte sanft. Er lächelte leicht, bevor er antwortete. “Das hast du noch nicht?” entgegnete Akechi mit einem schiefen Grinsen. “Die meisten Menschen hätten schon längst damit geprahlt, mich zu kennen —” Akechis weinrote Augen fixierten Akira, während sein Ausdruck ernster wurde. “Bin ich dein Geheimnis, Akira?” fragte er und legte den Kopf schief.
“N-Nein, ich wollte nur sicher gehen — du bist immerhin berühmt, und —”
Akechis Kichern unterbrach Akiras nervöses Stottern. “Keine Sorge, Kurusu. Ich spiele nur mit dir,” sagte er grinsend. “Aber nein, erst einmal nicht. Ich will nicht, dass sich unnötige Gerüchte verbreiten. Also —” er lehnte sich näher an Akira, so nah, dass Akira seinen warmen Atem an seiner Ohrmuschel fühlte. “— lass mich dein Geheimnis sein.” Seine Stimme war sanft und hatte gleichzeitig etwas verführerisches an sich. Akira zuckte unwillkürlich zusammen und versuchte, etwas Abstand zwischen sich und Akechi zu bringen.
Was… Was sollte das …?
Akira sah Akechi verwirrt an, die Hitze in seinen Wangen konnte er unmöglich ignorieren. Akechi grinste allerdings nur und lehnte sich wieder zurück; gab Akira etwas Luft zum Atmen. “Entschuldige, ich kann nicht anders —” kicherte er hinter vorgehaltener Hand. “Du bist so nervös. Ich kann nicht anders, als dich zu ärgern.” Akira zog skeptisch die Augenbrauen zusammen und warf Akechi einen vorwurfsvollen Blick zu, den Akechi mit einem noch breiteren Grinsen erwiderte. “Verzeih mir, ich —” begann Akechi, aber der laute Nachrichtenton seines Smartphones unterbrach ihn. Akechi entsperrte den Bildschirm und las die Nachricht, während sich sein Gesicht von belustigt zu genervt wandelte.
“Mein Foto-Shooting wurde verlegt,” seufzte Akechi. “Sie wollen bereits in einer Stunde anfangen,” sagte er, den Blick immer noch auf sein Smartphone gerichtet. “Entschuldige, Akira, ich muss los, —” er steckte das Smartphone zurück in seine Hosentasche und wendete sich Akira zu. “— außer… du willst mich begleiten?”
*
Wie hätte er ablehnen können? Akira begleitete Akechi nach Asakusa. Auf dem Weg zum Sky Tower schrieb er Sojiro eine kurze Nachricht, dass er es heute nicht mehr schaffen würde, ihm auszuhelfen, danach richtete er seine gesamte Aufmerksamkeit auf Akechi. Im Zug verfielen sie in oberflächliche Konversationen über alles Mögliche. Akira lernte, dass Akechi eine Vorliebe für Videospiele und Mystery-Romane hat, was Akira ziemlich charmant fand. Er hatte sich seinen Schwarm bisher… anders vorgestellt. Akechi war höflich und zuvorkommend, aber je länger die Konversation dauerte, desto mehr fiel Akira auf, dass Akechi anfing, ihn durch schnippische oder sarkastische Kommentare zu sticheln. Wenn immer Akira einen kritischen Kommentar abgab, leuchteten Akechis Augen aufgeregt und schon bald versuchte Akira, dieses Leuchten öfter zu sehen.
Es war beinahe wie ein Schlag ins Gesicht, als sie am Bahnhof in Asakusa ankamen und die angenehme Zweisamkeit aufgeben mussten.
Der oberste Bereich des Sky Tower war für das Shooting gemietet und Akira seufzte erleichtert aus, als er sich umsah, und außer dem Team aus Fotografen und deren Assistenten keine weitere Menschenseele (Ann) zu sehen war.
Akechi stellte Akira als seine Begleitung aus dem Studium vor und antwortete nur mit einem Augenrollen auf die kritischen Blicke des Hauptfotografen. Ein schwarzhaariger, nervöser Assistent reichte Akechi einen kleinen Stapel zusammengefalteter Kleidung und führte ihn zu einer provisorischen Umkleidekabine; vier Teleskop-Stangen, die durch einen blickdichten Stoff umhüllt waren. Akechi verschwand dahinter, doch bevor der Stoff Akiras Sicht auf ihn verdeckte, warf Akechi einen Blick über seine Schulter und zwinkerte Akira zu.
Akira blieb für einen Moment die Luft im Hals stecken und er musste ein paar Mal husten, bis seine Lungen sich wieder daran erinnerten, wie Atmen funktionierte. Er fühlte die skeptischen Blicke der Crew-Mitglieder auf ihm wie Dolche. Um sich den Blicken zu entziehen, versuchte er den anderen nicht zu sehr im Weg zu stehen. Schließlich ließ er sich auf einem Klappstuhl neben einem winzigen Buffet aus Sandwiches, Muffins und Kaffee sinken. Hätte er sein Skizzenbuch dabei, hätte er die Skyline zeichnen können, aber so, ohne etwas, mit dem er seine Hände beschäftigen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit seinem Smartphone zu beschäftigen.
Der Instagram-Feed auf seinem Handy aktualisierte sich bereits zum dritten Mal, als der nervöse, schwarzhaarige Assistent plötzlich neben ihm aufgetaucht war. Leise seufzend ließ er sich neben Akira sinken und kabberte an einem Blaubeer-Muffin herum. Als er Akiras Blick auf sich spürte, drehte er langsam den Kopf zu ihm und lächelte leicht, nervös. Er schluckte, bevor er sagte: “Du bist Akechi-sans Freund?”
Akira blinzelte ein paar Mal, bevor die vertraute Hitze in seine Wangen schoss. “N-Nein,” entgegnete er. “Wir studieren zusammen, mehr nicht.”
“Oh,” sagte der andere. “Ich hätte schwören können —” er verlor sich kurz in dem Gedanken, brachte ihn aber nicht zu Ende. Akira hob skeptisch eine Augenbraue. “Auf der anderen Seite — das hätte mich auch gewundert. Akechi-san ist nicht so offen, was das betrifft.” Als er Akiras skeptischen Blick bemerkte, wurde er noch nervöser. “A-Also nicht, dass es mich etwas angeht — nur — Akechi-san wirkt immer so — unnahbar? Und jeder Frage zu Beziehungen weicht er aus — i-ich bin mir nicht einmal sicher, ob er sowas wie Freunde hat — a-also, nicht dass daran etwas schlimm ist, nur —” er schüttelte den Kopf und stoppte sich selbst. “Sorry. Das sollte ich nicht sagen.”
“Schon gut,” entgegnete Akira locker. “Aber wir sind nur —” ja, was eigentlich? “— Kommilitonen.” Ja, das klingt safe. Kommilitonen, die zusammen an einem Projekt arbeiten.
“Bitte erzähl’ ihm nicht, was ich gerade gesagt habe —” sagte der Andere nervös. “— ich brauche diesen Job.”
Akira verkniff sich ein belustigtes Kichern beim Anblick der großen, glänzenden Hundeaugen, die der Andere machte. “Keine Sorge,” sagte Akira grinsend. “Ich sage nichts.”
“Puh, danke,” seufzte der Schwarzhaarige erleichtert. “Oh, außerdem — ich bin Mishima.” Er wischte sich die Krümel vom Muffin an seinen Fingern an einem Hosenbein ab und reichte Akira seine (mehr oder weniger) saubere Hand. “Schön dich kennenzulernen!”
“Akira Kurusu,” entgegnete Akira und schüttelte seine Hand, die viel weniger klebte, als Akira es erwartet hatte.
“Schön dich kennenzulerne — Oh! Da ist sie ja!” Mishimas Blick wanderte über Akiras Schulter und plötzlich wurden seine Augen noch größer, ein Ausdruck von purer Bewunderung spiegelte sich darin. “Miwa-chan —” flüsterte er, als sei er vollkommen in Trance.
Akira warf einen Blick über seine Schulter in die Richtung, in die Mishima starrte. Eine brünette Frau kam auf hohen Absätzen aus dem Fahrstuhl stolziert. In einer Hand hielt sie einen Coffee-To-Go-Becher, in der anderen ihre Autoschlüssel. In ihrer angewinkelten Ellenbeuge balancierte sie eine weiße Designer-Handtasche, passend zu ihrer ebenso rein-weißen Lederjacke, die sie über einem tiefblauen, eng-anliegenden Bodycon-Kleid trug. Der kurze Saum endete gerade einmal auf der Mitte ihrer Oberschenkel, welche durch schwarze, engmaschige Fischnetz-Strumpfhosen betont wurden. Akira schluckte, als Miwa-chan die riesige Sonnenbrille von ihrem Gesicht nahm. Sie war schön, mit weichen, weiblichen Zügen, geschürzten, glänzenden Lippen und großen, braunen Augen.
“Sie ist perfekt —” murmelte Mishima.
Ein weiterer, unscheinbarer Assistent lief zu Miwa-chan und nahm ihr die Tasche und Schlüssel ab, während sie mit einem überfreundlichen Lächeln das Team begrüßte. Der Fotograf (Akira vermutete, dass es der Fotograf war, denn er trug eine Kamera um den Hals) unterhielt sich länger mit ihr, während sie hin und wieder an ihrem Kaffeebecher nippte. Selbst aus der Entfernung sah Akira den roten Abdruck, den ihr Lippenstift auf dem weißen Plastik des Deckels hinterließ. Der Fotograf führte Miwa zu der Brüstung vor den gigantischen Fenstern, welche einen atemberaubenden Blick über die Skyline boten. Sie lehnte sich elegant gegen das Metall, während die anderen Team-Mitglieder um sie herumschwirrten wie Bienen und das Set für das Shooting vorbereiteten. Schwarze Softboxen warfen ein weißes Licht auf ihre perfekte Figur und das Kleid leuchtete mit jeder ihrer Bewegungen.
Akira wollte gerade den Blick abwenden, als Akechi endlich aus der Umkleide kam.
Miwa-chan war nichts, im Gegensatz zu dem Anblick, den Akechi bot, wenn es nach Akira ging. Fasziniert ließ er seine Augen über Akechis perfekte Form wandern. Er trug ein paar enge, schwarze Jeans die an den Knien aufgeschnitten waren; weiße Fäden blitzten zwischen den Schlitzen hervor. Darüber trug er ein reinweißes, enges Shirt, komplementiert mit schwarzen Hosenträgern, die lässig an seinen Oberschenkeln herunter hingen. Er zog sich gerade einen modernen Oversize-Kimono über, als er Akira einen Blick zuwarf. Akira vergaß nicht nur zu Atmen, er vergaß, dass er umringt war von fremden Menschen, die ihn vermutlich gerade anstarrten —
Kopfschüttelnd wendete er sich von Akechi ab.
“Akechi-san, perfekt. Ihr beide, kommt hier her, genau —” hörte Akira den Fotografen sagen. “Miwa-chan, du siehst bezaubernd aus! Stell dich neben Akechi-san, näher — perfekt —” sagte eine andere Stimme und dann hörte Akira das Klicken des Auslösers der Kamera. Das helle Blitzlicht drängte sich in den Rand seines Blickfelds. “Ausgezeichnet, das sieht großartig aus — okay, und jetzt — Miwa-chan, lehn dich an Akechi-san,” kommandierte der Fotograf.
Akira wagte einen Blick auf das Bild vor sich; Vor der Skyline Tokyos posierte Akechi mit dieser wunderschönen Frau, als würde es ihm im Blut liegen. Das Paar komplementierte sich perfekt. Während Akechi ernst und irgendwie verführerisch in die Kamera sah, war Miwa-chan wesentlich verspielter und offener. Sie lehnte sich an Akechis Seite, während er einen Arm um sie geschlungen hatte, seine Hand ruhte auf ihrer mittlerweile nackten Schulter. Die Lederjacke hatte sie bereits abgelegt und der viereckige Ausschnitt ihres Kleids war trägerlos. Akechi schien sie zu sich zu ziehen, ihr Schopf lehnte an seiner Schulter.
Akiras Herz zog sich leicht zusammen, als er sie beobachtete. Wenn Miwa-chan nicht wäre — wenn er und Akechi allein wären — würde Akechi ihm erlauben, sich an ihn zu lehnen, wie Miwa-chan? Akechis Arme würden sich um Akira schlingen, ihn nah bei sich halten, so nah, dass er Akechis Herzschlag an seiner Brust fühlen könnte. Akira würde seine Nase an Akechis Halsbeuge vergraben, seinen Duft einatmen. Vielleicht würde Akechi schaudern, wenn Akiras Lippen über die warme, empfindliche Haut an Akechis Hals wandern lassen würde, oder — vielleicht wäre er fordernder; vielleicht würde Akira ein Bein zwischen Akechis Oberschenkel schieben, seine Lippen am Kiefer entlang zu seinem Kinn wandern lassen. Akechis Atem würde sich beschleunigen, und —
“Kurusu-san?” Mishimas Hand legte sich auf seine Schulter. Blinzelnd kam Akira in die Realität zurück, während ihm eine Hitze in die Wangen stieg. “J-ja? Was ist?” krächzte er hervor. Mishima ließ seine Hand sinken und musterte ihn stattdessen fragend. “Das Shooting ist vorbei. Akechi-san und Miwa-chan ziehen sich gerade um. Ich wollte wissen, ob du mir beim Abbauen helfen könntest?”
Akira blinzelte erneut, bevor sein Gehirn Mishimas Frage verarbeitet hatte und er zustimmend nickte. Mishima lächelte dankbar.
*
Nachdem das Meiste des Equipments verstaut und transportierfähig zusammengepackt worden war, entließ Akira sich selbst als Mishimas Helfer. Akechi unterhielt sich gerade mit dem Fotografen, als sein suchender Blick Akira fand. Er warf ihm ein entschuldigendes Lächeln zu, bevor er das Gespräch mit dem Fotografen beendete und sich höflich vom Rest des Teams verabschiedete.
Akira wartete neben dem Fahrstuhl, als Akechi zu ihm kam. Er trug wieder die normalen, weniger eng-anliegenden Klamotten von vorher. Sein Haar hing locker um seine Schultern und das Meiste des Make-Up war abgewaschen; er sah… normal aus. Immer noch attraktiv, aber natürlicher, nahbarer.
“Entschuldige, Kurusu. Es war nicht meine Absicht, dass Mishima dich zum Arbeiten zwingt — ” sagte er mit gerunzelter Stirn.
“Ach, kein Problem,” entgegnete Akira und winkte ab. “Du warst wirklich —”
“Steif? Unkonzentriert?”
“— atemberaubend.”
Akechi blinzelte und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als sich die Türen des Fahrstuhls mit einem lauten Ping öffneten. Akira meinte, den leisesten Hauch von Rot auf Akechis Wangen zu sehen, als sie gemeinsam die Kabine betraten. Akechi wählte den untersten Stock aus, doch bevor sich die Türen schlossen, drängte sich Miwa zwischen sie.
“Akechi-san,” schnurrte sie, ignorierte Akira und stellte sich zwischen Akechi und Akira. So nah, dass Akira der aufdringliche Geruch ihres süßen Parfums in die Nase stieg. “Du warst wirklich großartig heute, gute Arbeit! Weißt du, wenn du nichts dagegen hast, sollten wir öfter zusammen shooten —”
“Du schmeichelst mir, Miwa-chan,” entgegnete Akechi höflich. “Du kannst deine Nummer meinem Management zukommen lassen, wie klingt das?”
Akiras Magen drehte sich um und das erstickende Gefühl von Eifersucht kehrte zurück; stieg sauer in einer Kehle auf. Neben ihm lehnte sich Miwa noch näher zu Akechi, so nah, dass sich ihre Schultern und Arme berührten. “Oh, danke! Aber viel lieber würde ich dir meine Nummer geben. Du kannst dich auch außerhalb von der Arbeit bei mir melden, hm? Für dich würde ich mir immer Zeit nehmen —”
Widerwillig zog Akechi sein Smartphone hervor, doch bevor er es Miwa reichen konnte, damit sie ihre Nummer darin eintippen konnte, öffneten sich die Türen des Fahrstuhls wieder mit einem lauten Ping. Akira meinte, Akechi erleichtert ausatmen zu hören, als er sich an Miwa vorbei nach draußen drängte. “Sorry, aber ich muss los. Danke für alles heute, Miwa-chan!” sagte er höflich. Eine Hand legte sich um Akiras Handgelenk, und bevor Akira protestieren konnte, zog Akechi ihn bereits zum Ausgang und weit weg von Miwa, welche verdutzt zurückblieb.
Es dämmerte bereits, als sie den Skytree verließen. Akechi ließ Akiras Handgelenk los und Akira erwischte sich dabei, stattdessen nach Akechis Hand zu greifen zu wollen und seine Finger mit Akechis zu verschlingen.
“Kein Interesse an Miwa-chan?” fragte Akira stattdessen.
“Erspar mir das, bitte —” erwiderte Akechi mit einem Kopfschütteln. Akira wendete den Blick auf den Bürgersteig vor sich, als sie gemeinsam zurück zum Bahnhof liefen, nebeneinander, ihre Schritte beinahe synchron.
“Oh, Akechi-san,” imitierte Akira ihr Schnurren. “Für dich würde ich mir immer Zeit nehmen, ganz ohne Hintergedanken — ”
Akechi kicherte, hell und klar, hinter vorgehaltener Hand. “Das hoffe ich doch, Akira —” erwiderte er. “— allerdings hast du meine Nummer schon; du musst nicht danach betteln,” fügte er mit einem Zwinkern hinzu.
“Was für eine Ehre,” sagte Akira, ein Grinsen breitete sich gegen seinen Willen auf seinen Lippen aus. “Ich hoffe, du bereust es nicht.”
“Nein,” Akechi wurde ernster, das Kichern verebbte und wurde durch einen ernsteren Ausdruck ersetzt. “Nein, ich — im Gegenteil, ich —” er stoppte sich selbst und räusperte sich. “Entschuldige. Du musst müde sein, oder nicht? Wir sollten —”
Wieso wurde es plötzlich so unangenehm? Akira warf Akechi einen skeptischen Blick zu, und der Ausdruck von Erschöpfung auf Akechis Gesicht überraschte ihn. “Uhm — ja, ein bisschen. Ist alles in Ordnung?”
Akechi zwang sich zu einem Lächeln. Eines, dass seine Augen nicht erreichte. “Mir geht es gut, danke,” sagte Akechi und Akira biss sich auf die Zunge, um sich davon abzuhalten, weiter nachzuhaken. Den Rest des Weges schwieg Akechi und bevor Akira den Mut fassen konnte, ihn zu fragen, ob er etwas falsch gemacht hatte, erreichten sie bereits den Bahnhof.
“Danke, dass du mich begleitet hast,” sagte Akechi mit einem höflichen Lächeln. “Unsere nächste Session ist am Sonntag, ja?”
Akira blinzelte ein paar Mal, bevor er zustimmend nickte. “Sonntag, ja,” bestätigte er und bevor er die Worte herunter schlucken konnte, stolperten sie bereits über seine Lippen: “Schreib mir, wenn du zuhause bist, okay?”
“Oh — uhm —” Akechis Wangen färbten sich in zartem Rot. Akira konnte nicht genug davon bekommen, ihn so zu sehen. “— ja, sicher. Bis dann, Akira —” er machte auf dem Absatz kehrt, bevor Akira etwas entgegnen konnte.
*
Auf dem Weg zurück nach Yongen-Jaya, verharrte Akira über dem Chat mit Kasumi. Nachdem das warme Gefühl und das Kribbeln in seinen Fingerspitzen verebbt war, flutete ihn eine Welle aus Schuld.
[Chat-Thread started, Mittwoch, 17.04.20XX]
[16:48]
Kasumi: Akira!! Ich hab gute Neuigkeiten :))
Kasumi: Ich wurde für das Training-Camp angenommen
Kasumi: Sumire und ich fahren schon nächstes Wochenende nach Osaka!
Kasumi: Das ist so aufregend
[20:16]
Kasumi: Akira?
Kasumi: Bist du wieder am Malen? :)
Kasumi: Ruf mich an, wenn du kannst ♥
[20:57]
Akira: Hey
Akira: Sorry, ich war beschäftigt
Akira: Ich freu mich riesig für dich! ♥♥
Akira: Lass uns morgen reden, ich bin ziemlich müde :) Hast du Lust ins Leblanc zu kommen?
Kasumi: Ja sicher!
Kasumi: Bleib nicht wieder zu lange wach. ♥
Kasumi: Bis morgen ♥♥
[Chat-Thread ended]
Akira atmete erleichtert aus und lehnte sich gegen die kalte Scheibe des Zugfensters. Das Rauschen des Zugs war ein angenehmes Hintergrundgeräusch und ließ seine Augen schwer werden. Müdigkeit vernebelte seine Gedanken, aber bevor er sich darauf einlassen konnte, die Augen zu schließen, vibrierte das Smartphone in seiner Hand mit einer neuen Nachricht. Akira rieb sich mit dem Handrücken den Schlaf aus den Augen und öffnete die Chat-App.
[Chat-Thread started, Mittwoch, 17.04.20XX]
[21:03]
Crow: Ich bin zuhause.
Crow: Danke nochmal, für heute.
Crow: Du hättest nicht mitkommen müssen.
Akira: Das ist gut :)
Akira: Wolltest du mich nicht dabei haben? :P
Crow: Nein, schon.
Crow: Ich meine
Crow: Ich wollte dich dabei haben.
Oh. Akira schluckte.
Akira: Was für ein Zufall, denn ich wollte wirklich gerne da sein :)
Crow: Okay.
Crow: Gute Nacht, Akira.
[Chat-Thread ended]
Akira sperrte den Bildschirm des Smartphones und ließ sich tiefer in den Sitz sinken. Er starrte aus dem Fenster, aber nahm die vorbeirauschende Stadt kaum wahr. Sein Spiegelbild starrte ihm entgegen, müde, erschöpft, aber… glücklich. Akira seufzte und schloss die Augen.
Er und… Akechi.
Wie sollte er seine Avancen deuten? Er… flirtete doch mit ihm, oder nicht?
Und… er wusste nichts von Kasumi. Und Kasumi wusste nichts von ihm.
Ein dumpfer Stich bohrte sich in Akiras Magen.