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Was wäre, wenn...

von heufchen
Kurzbeschreibung
GeschichteSchmerz/Trost, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
HandOfBlood
17.03.2021
31.05.2023
30
88.307
7
Alle Kapitel
42 Reviews
Dieses Kapitel
3 Reviews
 
09.10.2022 4.620
 
Jeden Tag. An jedem weiteren Tag hatte Sebastian mit sich zu kämpfen.
Die Tage vor ihrer letzten Kollision waren friedlich gewesen. Es herrschte Einigkeit und Frieden. Doch seit Freitag herrschte Krieg und ein ständiges Gefecht. Jedes Gleichgewicht schien verloren.


Dieses Mal sollte es kein Krieg zwischen Sebastian und Maximilian sein. Vielmehr war es der Krieg der beiden Männer um die Liebe. Das Ziel des Krieges war klar und die Lösung einfach: Die Eroberung der Herzen durch Selbstbeherrschung, Geduld und Vertrauen. Doch der Weg dorthin bestand aus Kompromissen – wie bereits Jim Hopper definierte: ‚Half Happy‘. Diese Kompromisse gelten als Kompensationsstrategie bis die Lösung verwirklicht und das Ziel erreicht werden kann.

Der erste Kompromiss testet die Selbstbeherrschung der Männer: Bei gemeinsamen Momenten muss stets eine gesunde Distanz zueinander bewahrt werden. Sowohl in Meetings als auch in der Teeküche oder in Aufnahmen.

Der zweite Kompromiss testet ihre Geduld und zugleich ihr Denkvermögen: Bei jeder Interaktion wird nicht impulsiv gehandelt, sondern zuerst nachgedacht. Das Herz ist als zweitrangig anzusehen und nur der Kopf ist das ausschlaggebende Glied.

Der letzte Kompromiss testet ihr Vertrauen zueinander: Maximilian holt sein Leben wieder ein, während Sebastian sein Versprechen einhält.

Diese Kompromisse gelten als Strategie, um ihr alltägliches Leben zu strukturieren. Würden die Männer ihre Herzen und Hormone sprechen lassen, könnte ein Chaos in allen Bereichen ihrer Leben wüten. Daraus resultierende Konsequenzen bräuchten mehr Klärungsbedarf, mehr Arbeit und mehr Zeit. Und um dies zu verhindern, ist die Vorbereitung die halbe Miete. Die andere Hälfte der Miete müssten sie zwar auch begleichen, doch das sollte ein Problem für später sein. Denn was du heute kannst besorgen, schiebe stets auf morgen.

Die Einführung dieser Kompromisse basierten auf den vorherigen Vorkommnissen sowie der letzten Kollision am Freitag als auch auf dem aktuellsten Vorfall am Montag. Niemals hätte Sebastian gedacht, dass dieser Freitag eine Lawine von Ereignissen auslösen würde, die ihn sein Versprechen brechen ließe. Monatelang erbauten die Männer ein stabiles Fundament, eine neue Basis und ihre Grundlage. Erst danach hätten sie Wände und Dächer konstruiert. Kapital war, durch ihr Vertrauen ineinander, durchaus vorhanden. Sie waren zwar noch nicht zum eigentlichen Hausbau vorangeschritten, doch schafften Platz im Keller für ihre Vergangenheit. Ihre Zukunft müsste noch warten, um Risse in der Fassade zu verhindern. Man fängt immerhin nicht mit der Wandfarbe an, wenn der Putz noch nicht fertig ist.

Doch Sebastian sollte dringend mit den Redewendungen und Metaphern aufhören. Denn er schien alles durcheinander gebaut zu haben als er am Dienstag nackt in seinem Bett erwachte und in Maximilians Gesicht blickte.

-


Für Sebastian stellte sich das Wochenende als Tortur heraus. Bereits am Freitagabend vermisste er den Älteren unfassbar. Nicht nur das sexuelle Verlangen holte ihn ein, auch der Herzschmerz war deutlich spürbar. In den vergangenen Monaten waren die Männer auf Abstand gegangen, doch in dem Moment als sie sich gegenüberstanden sprang Sebastians Herz vor Freude. Dopamin überströmte ihn mit Glücksgefühlen. Gefühle, die ihn sofort wieder abhängig machten.

Vergleichbar mit einem Opioid, seiner Droge – Max. Bereits  nach dem ersten Probieren war er abhängig geworden und erst die Distanz von dieser Droge konnte ihn aus seiner Abhängigkeit befreien. Doch nun durfte er wieder von ihr probieren. Seine Erinnerung, sein Suchtgedächtnis, seine Abhängigkeit kickte sofort. Er wollte mehr.

Keine Ablenkung konnte das Verlangen zügeln. Kein Schmerzmittel hätte den Herzschmerz behandeln können. Sogar mit weiteren körperlichen Beschwerden hatte der Jüngere zu kämpfen. Er litt unter Müdigkeit, Unwohlsein und Kopfschmerzen. Auch ein leichtes Kratzen im Hals plagte den Ärmsten.

Nur die Vorfreude auf Montag ließ ihn dieses lange Wochenende überstehen…

-


Nach vielen qualvollen Stunden trafen sich die Männer also endlich wieder zu ihrer Morgenroutine. Für gewöhnlich waren die ersten Kontakte am Tag etwas unbeholfen und zögerlich. Allerdings lösten sich diese Anspannungen mit etwas Zeit und Koffein. Immerhin schwiegen die Männer über ihre Kollision am Freitag – als sei sie nie passiert. Die Copingstrategien Schweigen und Verdrängen waren den Männern immerhin geläufig.

Stets distanziert ließen sie sich nichts anmerken, begrüßten einander und partizipierten im Laufe des Tages an Meetings. Zur Mittagszeit trafen sich die Männer in der Teeküche – allein. Ahnungslos füllte Sebastian die Kaffeemaschine mit Wasser und Kaffeebohnen auf. Die Packung, die er als Weihnachtsgeschenk verschenkte, war längst aufgebraucht. Maximilian lehnte gegen die Küchentheke und tippte auf seinem Smartphone. Gelegentlich zuckte seine Augenbraue vor Frustration. Scheinbar erledigte er eine unbefriedigende Angelegenheit. Dennoch pendelte sich glücklicherweise der entspannte Anblick der beiden Männer in den vergangenen Wochen ein. Sie konnten mittlerweile für längere Zeit, in einem Raum, gemeinsam die Geräusche der Kaffeemaschine und der Smartphonetöne genießen. Zunächst schien alles harmonisch, wie ein Tagtraum. Die Kollision von Freitag war längst verdrängt.

Als Sebastian sich einen Kaffee in seiner Enderman-Tasse rausließ, bereitete er auch Max‘ TNT-Tasse vor. Der frisch gemahlene Kaffeegeruch füllte den kleinen Raum. Beinahe vergaß er die Müdigkeit und das ungute Gefühl im Bauch. Sebastian nahm daraufhin einen großen Schluck und stellte schließlich seine Tasse beiseite. Gerade wollte er Maximilian Platz machen damit er sich seine Tasse kochen konnte: „Hier, bitte.“

„Aha, Danke“, starrte Max weiterhin apathisch auf den kleinen Bildschirm in seiner Hand und ging einen Schritt vor. Dilettantisch betrat er Sebastians unmittelbaren Raum, nahm seine Enderman-Tasse in die freie Hand und brachte seine Lippen an den Kunststoff. Der Ältere dachte wohl, dass ihm eine Tasse Kaffee gekocht wurde. Sebastian versuchte schnell einzugreifen, um den Älteren daran zu hindern aus seiner Tasse zu trinken. „Halt-“ Doch stattdessen blieb er an der unhandlichen Tasse hängen, schüttete eine große Menge Kaffee auf Maximilians Pullover, die Theke sowie den Boden. Ein lautes „Platsch“ ertönte. Zunächst blickte Maximilian genervt zu dem Jüngeren, bevor er dann die heiße Flüssigkeit auf seiner Haut spürte. „Ah scheiße! Ist das heiß!“

Panik brach unter den Männern aus als Sebastian mit Verbrennungen zweiten Grades rechnete und schrie „Zieh‘ dich aus! Schnell“, gefolgt von mehreren „Oh mein Gott!“ und „Scheiße!“

Ohne weiter darüber nachzudenken, agierte der Ältere sofort; klatschte die halbgefüllte Tasse auf die Theke, packte den Bund seines Pullovers und zog ihn in einer Bewegung über die Schultern. Am monströsen Kiefer stockte der Vorgang aufgrund des engen Kragens.

Doch das könnte den Jüngeren nicht weniger interessieren.

Der Anblick.

Er war wundervoll.

Sebastian konnte den gesamten Oberkörper in voller Pracht erblicken. Der freie Hals wurde von starken Venen durchzogen, der Brustkorb hob sich ab, sodass die Rippen besonders hervorstachen und durch die dünne Taille präsentierten sich die Beckenknochen in voller Prominenz. Auch sah er zum ersten Mal das Muttermal oberhalb seines Bauchnabels. Darunter wiederum zogen dunkle Haare eine dünne Linie bis in den verdeckten Bereich. Bis zur Unterwäsche und dem Hosenbund konnte er alles sehen. Während der ansehnliche Torso sich immer wieder bewegte, da Maximilian versuchte den Pullover auszuziehen, vergaß Sebastian beinahe weshalb er sich überhaupt auszog.

Erst als der Ältere den Pullover über den Kopf zog und schließlich in der Hand hielt, erwachte Sebastian aus seinen Gedanken. Maximilian sah derweil an sich herunter und fragte: „Und, habe ich Verbrennungen?“

„W-was? Nein… Alles in Ordnung“, antwortete Sebastian sofort, schaute weg und blinzelte mehrmals, um den Körper gedanklich nochmals nachzubilden. Mit seiner freien Hand packte Sebastian seinen eigenen Kragen und fächerte sich Luft zu. Seine Körpertemperatur schien plötzlich rasant angestiegen zu sein. Auch der Schweiß tropfte ihm bei dem Vorgang von der Stirn. Je länger er dem nackten Oberkörper nachtrauerte, desto heißer wurde ihm. In Animes, Mangas, Manhwas oder Comics würde eine Blutfontäne aus der Nase spritzen. Doch Sebastian spürte regelrecht, wie sich stattdessen sein Blut aus Kopf, Rumpf und Gliedmaßen an einem anderen Glied sammelte. Mit seiner fehlerhaften Temperaturregulierung abgefunden, musste er sich mit der anderen Hand an der Theke abstützen. Seine Beine schienen jede Sekunde einzuklappen, wie sie es in diesen Situationen gerne taten. Zugleich war er in einem Dilemma gefangen: Würde er sich jetzt weiterhin den wundervollen Körper gedanklich vorstellen, könnte er sich alle kleinen Details merken und nie wieder vergessen. Doch zugleich müsste er sich stark darauf konzentrieren nicht sofort einen Ständer zu bekommen. Und wie sollte Sebastian dies Max und seinem Team erklären… Andererseits wollte er unbedingt weiter mit dem Älteren interagieren und ihre Pause, trotz des Vorfalls, gemeinsam genießen. Doch dann müsste er den wundervollen Körper vorerst verdrängen und die wertvollen Details vergessen…

„Puh, das war eine knappe Kiste“, blubberte der Ältere und schien dankbar über seine Unversehrtheit. „Ich hatte schon Angst, dass…“, elaborierte er weiter, doch der Jüngere hörte überhaupt nicht mehr zu. Abgewandt von dem oberkörperfreien Mann, versuchte Sebastian die Kontrolle über seinen Körper wiederzuerlangen. Vergebens presste er die Augen zusammen und schirmte jegliche Geräusche ab. Schließlich traf er eine Entscheidung. So gern er auch in der Nähe von Maximilian sein wollte, musste er aus dieser Situation fliehen. Ihm war eine Erinnerung bis an sein Lebensende wichtiger als die restlichen zwei Minuten Kaffeepause. Sebastian atmete tief ein, drehte sich zu dem Älteren und öffnete den Mund: „Max, ich muss-“

Ein abruptes Betätigen der Türklinke und ein hastiges Öffnen der Tür überraschte die Männer. Beide hatten die nahenden Schritte überhört. Erschrocken hob Max seinen ausgekühlten, nassen Pullover vor den entblößten Oberkörper während Sebastian sich aufrichten wollte. Die, an der Theke stützende, Hand traf bei dem Versuch erneut die rote TNT-Tasse. Er schepperte die Tasse in Max‘ Richtung und kippte den restlichen Inhalt auf die Hose des Älteren. Als das Kunststoff schließlich den Boden traf und sich zu der vorherigen Pfütze gesellte, schrie Maximilian erneut „Scheiße!“

Überfordert mit der Gesamtsituation, konnte Sebastian nur zusehen wie der Ältere den Pullover auf den Boden pfefferte, seinen Hosenbund packte und über die dünnen Oberschenkel herunterzog. Der Jüngere erhaschte nur einen kurzen Blick auf die schwarze Unterwäsche, die locker unter seinen Beckenknochen und eng an seinen Gliedern saß, ehe er sich der Person im Türrahmen zuwandte. Es war seine Managerin, die mit weit geöffnetem Mund literweise Sauerstoff einatmete, um dann schließlich laut zu lachen. Gelockt von Nadines gottesgleichen Lachen, stürmten weitere I3-Mitglieder in die Teeküche. Maximilians Cutter schlossen sich dem Gelächter an. Nicki rannte derweil zu dem leicht bekleideten YouTuber, um sich nach seinem Wohl zu erkunden. Sebastian sah hierbei seine Chance aus der Situation zu flüchten. Er ließ das Chaos und Max hinter sich, streifte im Vorbeirennen Nadine und stürmte ins Studio 2.

Doch auch dort kam er nicht zur Ruhe. Abermals zuckte Sebastian zusammen, als sich die Tür unerwartet öffnete und Nadines Augen in den Raum spähten. Er starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an und drohte ihr mit seinem Blick. Sebastian musste sehr einschüchternd aussehen, da die junge Managerin zögerte. „Sag‘ nichts-“, begann er und wurde zeitgleich von ihr unterbrochen: „Sex am Arbeitsplatz ist verboten-“
Doch auch er gab ihr keine Zeit auszusprechen und warf den erstbesten Gegenstand in die Richtung der Tür. Eine Rolle Toilettenpapier traf die Aluminiumtür und entrollte sich auf dem Boden als Nadine sie schnell zustieß.

Glücklicherweise kam die junge Frau nicht erneut in das Studio und Sebastian blieb ein wenig Zeit zur Erholung. Mit den Ellenbogen auf der klebrigen Unterlage gestützt, versuchte Sebastian seinen Körper erneut zu kontrollieren. Er zog immer wieder an widerspenstigen Strähnen, um sich von verwegenen Gedanken zu lösen. Doch seine Gedanken waren durcheinander. Jeder Versuch rational zu denken scheiterte durch zusammenhangslose Gedanken oder Erinnerungen. In einem Moment sah er Max‘ Oberkörper und im nächsten plötzlich einen ehemaligen Klienten der Versicherung. Daraufhin fragte er sich, wieso er sich eigentlich kein Haustier zulegte. Sebastians Kopf schmerzte. Keine Schläfenmassage und auch kein Augenreiben erleichterten den Druck auf sein Hirn.

Lediglich ein Benachrichtigungston riss ihn aus seinem Leid.

Er blickte in die untere Ecke seines Bildschirms. Sein Kalender erinnerte ihn daran, dass er in 15 Minuten einen einstündigen Aufnahmeslot hatte. Mit Max.

Er erinnerte sich schmerzgeplagt an die Kaffeepause mit der besagten Person. Sie wollten ursprünglich bei einer Tasse Kaffee ihr Vorgehen bei der anstehenden Aufnahme besprechen. Sebastians Gesicht fiel in seine Hände und in dieser Position verblieb er für weitere zehn Minuten. Als er eins und eins zusammenzählte und in der elften Minute realisierte, dass seine Kopfschmerzen in den nächsten vier Minuten nicht vergehen würden, wollte er sein Hirn in tausend Stücke reißen. Unmöglich konnte er mit so vielen Rechenfehlern und Kopfschmerzen in die Aufnahme gehen. Eigentlich würde sich Sebastian niemals die Chance, mit HandOfBlood aufzunehmen, entgehen lassen. Es sei denn, es gehe ihm wirklich schlecht – so wie jetzt…

Seine Hand umfasste die Maus. Seine Augen schmerzten als er in die vielen Lichter und die strahlenden Bildschirme blickte. Der Cursor fand Outlook und die Schaltfläche, um eine neue Mail zu schreiben. Gerade als er lässig begann zu tippen ‚Moin Hänno, ich mache heute früher Feierabend‘, konnte er nicht einmal einen Punkt dahinter setzen als die adressierte Person ihn in Discord einlud. Nach mehreren Minuten und innerlichen Debatten, setzte er sich seine Kopfhörer auf und nahm die dritte Einladung des YouTubers an. Die erste Einladung ignorierte er, die Zweite löschte er und erst die Letzte nahm er an.

Wortlos bereitete Sebastian die Aufnahmeprogramme vor. Immer wieder hörte er Maximilian mit der Maus klicken. Auch er sprach zunächst nicht. Darüber war der Jüngere durchaus erleichtert, denn seine Kopfschmerzen plagten ihn auch weiterhin. Er genoss die Hintergrundgeräusche und plante gedanklich seine Anmoderation. Der Jüngere müsste heute wieder mehr überspielen, wie in den letzten Wochen. Er seufzte bei diesem Gedanken.

Auch der Ältere seufzte hörbar. Sofort überkam Sebastian ein schlechtes Gewissen. Denn er rechnete damit, dass diese Aufnahme nicht zufriedenstellend für den erfahrenen YouTuber sein könnte. Maximilian brachte für gewöhnlich high quality content und der Jüngere war sich unsicher, ob diese Aufnahme überhaupt etwas taugen würde.

Doch Sebastian wollte sich diese Chance nicht entgehen lassen. Er musste dringend seine Stimmung heben!

Daher fragte er monoton und offensichtlich rhetorisch „Hey Max, was hast du an?“

In ernster Tonlage antwortete der Ältere: „Ich habe noch einen Pullover bei den Requisiten gefunden.“

„Keine Hose?“, fragte er weiter.
„Nope.“

Sebastian nickte verständnisvoll, obwohl der Ältere ihn nicht sehen konnte.

Stille erfüllte ihr Gespräch. Sebastian war von Max‘ ehrlicher Antwort durchaus überrascht. Er konnte in seinem aktuellen Zustand zwar hören, aber nicht mehr verstehen. Er selbst redete nur noch Unsinn und der Ältere machte offenbar mit.

Weiterhin mit monotoner Stimme und einem leichten Slang am Ende, unterbrach Maximilian die Stille mit: „Aber ich bin der Hexenking.

Mehrere Sekunden vergingen ehe der Jüngere die Worte aufnehmen konnte. Er vergaß das Motto der Aufnahme vorzubereiten. ‚Mist‘, dachte Sebastian.

Schnell kramte er neben sich im Kleiderständer und suchte nach der Perücke. Als sich seine Finger in mehreren weiß-gelblichen Strähnen verfingen, wusste er, dass er sie gefunden hatte. Ohne großen Aufwand oder Blick in den Spiegel, setzte er sich die Perücke auf den Kopf, zog die Kopfhörer darüber und sprach als Gandalf in sein Mikrofon: „McGanD ist am Start!“

Mit einem Klick startete er die Aufnahme und entschied sich dazu, sich seiner Rolle hinzugeben und das Beste daraus zu machen. Gemeinsam mit FreshHaex würde er die Meute bespaßen und hoffentlich einen ansehnlichen Content produzieren. Denn die Geschichten um Mittelerde mussten erneut erzählt werden. Der Bildungsauftrag musste durch die Helden der ‚Herrenringe‘ fortgeführt werden. Nach ihrem Start mit ‚Der Herr der Ringe: Die Schlacht um Mittelerde 2‘ folgte nach einer langen Pause, bedingt durch den Abbruch und den daraus resultierenden Konsequenzen von ‚Haart aber Härzik‘, nun ‚Der Herr der Ringe: Die Eroberung‘. Ausgestattet mit seinem low effort Costume, begann Sebastian die Aufnahme und ließ die Worte aus seinem Mund sprudeln. Der Ältere sprang zügig auf diesen Zug auf. Doch dieser Zug führte sie nicht in die Schlacht von Helms Klamm, sondern nach Hogwarts. Die Männer erzählten überzeugt und stolz völligen Müll. Sie redeten durcheinander in abstrusen Phrasen mit furchtbarem Satzbau und wechselten zwischen Fiktion und Realität.

Als Bogenschützen, Krieger und Gandalf kämpften sie sich durch das Schlachtfeld. Sie erzählten, lachten und töteten. McGanD war positiv darüber überrascht, dass die Aufnahme so reibungslos ablief. Für kurze Zeit vergaß er seine Schmerzen. Erst der Kampf mit Saruman sollte den Jüngeren wieder aus seiner Euphorie reißen. Er konnte sich selbst nicht erklären, wie es soweit kommen konnte…

Saruman feuerte eine heftige Attacke auf FreshHaex ab. Geplagt und äußerst authentisch lautierte er „Aua!“ und verlor Leben. Sein Begleiter kam ihm sofort zur Seite und sagte: „Warte, ich heil‘ dich, Schatz!“

‚Schatz?‘

Sebastian konnte sich nicht erklären, wie er dazu kam den Älteren so zu nennen. Auch das anschließende „Äh…“ besserte die Situation nicht. Ein kurzer Realitätscheck katapultierte den Jüngeren aus dem Spiel. Plötzlich war er einfach nur noch ein Dümmling mit einer Perücke auf dem Kopf. ‚Was habe ich da gesagt? Das müssen wir unbedingt rausschneiden!‘, dachte er sich. Nur Max behielt seine Rolle bei und brüllte „Jetzt gibt’s auf die Fresse!“

Offenbar ignorierte er den Kosenamen. Und auch Sebastian fasste seinen Mut, verdrängte die unangenehme Situation und brüllte: „Komm‘ her hier!“

Die Männer prügelten und traten weiterhin auf den Zauberer ein, bis er schließlich seinen Verletzungen erlag und die Schlacht gewonnen war. Eine Cutscene und weitere verwirrende Sätze lockerten zum Schluss der Aufnahme noch die Stimmung. Sebastian quälte noch einige Aussagen für eine ordentliche Abmoderation aus sich heraus, doch war längst nicht mehr McGanD. Der Jüngere war bereits in der Realität angekommen und einfach nur Sebastian.

Maximilian übernahm die Oberhand, deutete noch auf eine Fortsetzung hin und beendete dann offiziell ihren Bildungsauftrag. Sebastian stoppte mit einem Klick die Aufnahme.

Und lauschte dann durch seine Kopfhörer.

Es raschelte bei Maximilian. Vermutlich setzte der Ältere seinen Helm ab.

Daraufhin wartete Sebastian weiter. Er wusste nicht worauf er wartete, doch er wollte die Stille nicht unterbrechen. Stattdessen musste er feststellen, dass ein bekannter Schmerz wieder sein Hirn quälte. Langsam wanderte es in Sebastians Bewusstsein zurück. Auch seine Sicht wurde zunehmend verschwommener. Die Buchstaben auf den Bildschirmen tanzten. Die Bilder verdoppelten sich. Seine Ohren rauschten. Der Druck in seinem Kopf pulsierte.

„Sterzik? Hallo?“, fragte die Person im anderen Studio. „Bist du noch da?“

„Äh, ja“, stotterte Sebastian. Das Sausen in den Ohren schien lauter als Max‘ Stimme. Angestrengt versuchte er der Person auf der anderen Seite zu zuhören.

„Ob alles OK ist, habe ich gefragt“, stellte dieser fest.

„J-ja, klar. Bei dir?“
„… Weiß nicht. Frag‘ doch Nadine…“

Sebastian dachte, er hatte ihn nicht richtig verstanden und fragte daher nach: „W-wie bitte?“
„Du sollst Nadine fragen!“, brüllte Max und ergänzte kurz darauf noch kleinlaut: „… Ich hab‘ gesehen, dass sie dir gefolgt ist…“

War das die eifersüchtige Seite von Maximilian? War die Managerin tatsächlich die Schwachstelle des Älteren-

Ein stechender Schmerz an der Schädeldecke ließ den jungen Mann aufschrecken.

So gern Sebastian ihn hätte weiter aufziehen oder triezen können, fühlte sich der Jüngere immer schlechter je mehr Zeit verging. Er müsste sich dringend hinlegen und ausruhen. Daher konnte er nicht in einem Maße auf den Älteren eingehen, wie er es gern getan hätte. Stattdessen antwortete er nur: „Max, sie hat nur einen Witz gemacht und ist dann gegangen-“
„Das war nur ein Witz! Beruhig‘ dich!“, rechtfertigte sich der YouTuber. Das daran anknüpfende verlegene Lachen verstärkte Sebastians Annahme, dass ‚Nadine‘ ein schwieriges Thema für den Älteren darstellte.

„Bei mir ist alles OK. Die Aufnahme war top. Am besten fand ich…“, sprach Max und erläuterte seine Eindrücke. Doch Sebastian schien dem Monolog erneut nur halbherzig zu folgen. Sein Kopf dröhnte wie eine ‚5000 Watt Bass Machine‘. Auch als er sich vorbeugte, sodass seine Stirn die Tischunterlage berührte und er sämtliche Düfte inhalieren konnte, schien sich sein Zustand nicht zu bessern. Ihn überkam ein Wechsel von Schwitzen und Frieren. Er begann zu zittern. Zugleich war er kraftlos und müde.

Sebastian wollte den Älteren in seinem Rededrang nicht unterbrechen. Zumal dieser selten so frei von der Seele sprechen konnte, außer es handle sich um Spiele. Doch der Jüngere hielt es nicht mehr aus. „Max… Max!“, aus dem Flüstern wurde ein Auffordern.
„Was?“

Eine kurze Pause füllte mehrere Sekunden ehe Sebastian wieder flüsterte: „… Kannst du herkommen?“

Auch darauf folgte zunächst nichts. Die Stille kehrte wieder ein. Sebastian schloss die Augen und wartete.

Dann hörte er durch das Headset mehrere Geräusche. Ein dumpfes Aufkommen eines Gegenstandes auf dem Tisch, gefolgt von einem Schieben auf dem Boden und mehreren Schritten, die bald verschwanden.

Ein Klopfen sowie ein anschließendes Türöffnen erweckten den Jüngeren aus seinem Sekundenschlaf. „Sebastian?“

Als er seine Augen öffnete, wurde eine Silhouette im Türrahmen erkennbar. Diese schien keine Hose zu tragen, nur Unterwäsche. Max sagte, dass er sich einen Pullover aus den Regalen mit den Requisiten geholt hatte. Doch er sprach nicht von einer Hose. War das real? Halluzinierte er?

Der Jüngere erwachte erneut aus dem kurzen Schlaf. Bei jedem Lidschlag schien Sebastian einzuschlafen. Eine Hand auf der Schulter ließ ihn zusammenzucken.
„Hey! Was ist los?“, fragte Max besorgt.

„… Müde“, punktierte Sebastian kraftlos.

Eine Rückhand schmieg sich an die Stirn. „Scheiße, du hast Fieber!“

‚Und Kopfschmerzen habe ich auch‘, ergänzte er gedanklich. Doch der Jüngere war nicht mehr in der Lage zu sprechen. Er müsste seine letzte Energie für seine Körperspannung aufbrauchen, ansonsten würde er aus dem Stuhl gleiten. Zwischen mehreren Lidschlägen hörte Sebastian rascheln, dumpfes Sprechen oder gar nichts. Als nächstes weckten ihn klirrende Schlüssel, die an Maximilians Zeigefinger hingen. Plötzlich hauchte Max dem Jüngeren ins Ohr: „Hey, du musst jetzt aufstehen. Ich bring‘ dich nachhause.“

Eine kräftige Hand platzierte sich um Sebastians rechte Schulter. Die Kälte dieser Hand spürte er durch den dicken Pullover. Doch innerhalb weniger Sekunden heizte sein Körper die kalten Glieder auf. Durch mehrere Impulse von Max schaffte es Sebastian aufzustehen. Durch seine fast vollständig geschlossenen Augen erkannte er den Raum nur flüchtig. Doch er konnte erkennen, dass Maximilian eine Hose trug. War das vorhin tatsächlich eine Halluzination? Ein Fiebertraum?

„Laufen, Sebastian Sterzik. Du musst laufen“, forderte Maximilian den jungen Mann bei seinem vollständigen Namen auf und drückte von hinten mit seinem gesamten Körpergewicht gegen ihn. Vorsichtig stolperte dieser in die Richtung der Tür. Mit jedem weiteren Schritt schien er besser voranzukommen. Seine Muskeln brachten ihn autonom auf den Weg. Mehrere Teammitglieder erkundigten sich nach seinem Wohlergehen und wünschten ihm Genesung. Doch der Jüngere konnte seine Energie nicht in Danksagungen investieren. Er musste immerhin ‚Laufen, Sebastian Sterzik‘.

Der restliche Weg verlief durch Max‘ Unterstützung komplikationslos und zügig. Der Körpergeruch des Älteren spielte dabei eine sehr wichtige Rolle. Sebastians gesamte Konzentration galt diesem Odor. Immerhin konnte er nur selten in den Genuss dessen kommen. Er sah seine Chance und nahm sie! Egal in welchem Zustand!

In den weißen Smart konnte der junge Mann selbständig einsteigen. Und ehe er seine Augen das nächste Mal öffnete, waren die beiden Männer bereits an seiner Wohnung angekommen. Zur Haustür fand Sebastian schließlich allein. Zumal er aus dem Fahrzeug ausstieg und nicht mal auf den Älteren wartete. Er konnte sein Bett nach ihm Schreien hören und sehnte sich ebenso nach diesem. Vor der Haustür kam er zum Stehen und wartete. Hastige Schritte nahten.

„Ich… Ich bringe dich noch nach oben“, zögerte Maximilian. Sebastian schluckte. Der Ältere war sehr lange nicht mehr bei ihm gewesen. In der Wohnung hatte sich einiges geändert. Es waren deutlich weniger Möbel vorhanden, da seine Mitbewohnerin und Freundin vieles mitnahm. Gerne würde er Max seine Wohnung zeigen. Ihm eine Führung geben. Ihm seine Lieblingspflanze zeigen. Und mit ihm neue Erinnerungen machen.

„OK“, sagte er und schaute dem Älteren in die Augen. Sie begannen sofort zu tränen.

Maximilian nickte und fragte daraufhin „Schlüssel?“, und streckte ihm die flache Hand entgegen. Doch Sebastian zuckte mit den Schultern. Die Männer schauten sich erneut in die Augen. Sebastian spürte eine Träne auf der Wange. Auch schmeckte er das Salz auf seiner Oberlippe als der Rotz ihm aus der Nase lief.

Eine Hand berührte Sebastians Hüfte. Er schreckte zusammen. Offensichtlich suchte Max den Hausschlüssel. Daher wanderte die Hand weiter in Richtung Schritt. Über der Jeans tastete der Ältere Sebastians Oberschenkel ab. Als er nichts in der linken Hosentasche fand, suchte auch Max‘ linke Hand zuerst den rechten Beckenknochen und dann den Oberschenkel ab. Sebastian sah seinen heißen Atem in der kalten Februarluft. Als auch dort nichts zu finden war, wanderten die Hände an Sebastians hinteren Hosentaschen. Doch diese Berührungen waren nur ganz leicht. Der Ältere versuchte einen Abstand zwischen den Männern zu gewährleisten und kam daher nicht an die gewünschten Taschen. Gedankenlos ließ Sebastian sich auf den Älteren fallen.

„H-hey, was machst du?“, fragte dieser panisch und packte den Jüngeren an den Schultern. Doch es folgte keine Antwort. Nur Sebastians heißer Atem auf Maximilians Hals brachte ihn wieder in Bewegung. „S-schlüssel, Sterzik…“, erinnerte dieser. „… In meinem… Rucksack…“, kämpfte der Kraftlose die Worte heraus.

Vorsichtig lehnte Max ihn gegen die Haustür und sprang zum Auto. Wieder einmal schloss und öffnete Sebastian seine Augen einmal und sah den Älteren mit seinem Rucksack auf ihn zukommen. Er hörte (vermutlich) Sebastians Schlüsselbund schellen, während er lief.

‚Das ist ja super‘, dachte er und schloss seine Augen erneut. Erleichtert darüber, dass sie nun in die Wohnung könnten, schlief er erneut ein. Langsam verließ ihn seine Körperspannung und er rutschte an der Tür zur Seite.

Hände packten den Jüngeren an den Schultern und versuchten ihn aufrecht zu halten. „Uff“, hörte er Maximilian ausdrücken. Die plötzliche Berührung erweckte Sebastian. Vor sich sah er den wunderschönen Mann, nur wenige Zentimeter von sich entfernt. Jegliche Distanz zwischen ihnen war verloren. Max sah in der Dunkelheit besorgt und zugleich angestrengt aus. Das sagten ihm die zusammengepressten Lippen und die gerunzelte Stirn. Kurz schauten die Männer sich in die Augen, doch schon bald äußerte sich der Ältere erneut: „Lass. Uns. Reingehen!“

Maximilian hatte völlig recht.

Mit viel Kraft hob Sebastian seine Arme an und schlang sie um Maximilians Körper. Er wollte sich an ihm festhalten und griff daher in den Stoff seiner Jacke. Das führte wiederrum dazu, dass ihre Körper enger aufeinandergedrückt wurden. Sebastian spürte Maximilians Oberkörper an seinem. Sein Herz übersprang einen Schlag oder zwei. Auch als die Nase auf seinen Hals traf und er tief einatmen konnte, vernahm er einen schweißigen Geruch, den er gerne probieren wollte. Der Muskel in seiner Brust schlug nun dauerhaft in höherer Frequenz.

„Se-Sebastian, komm‘ schon…“, appellierte der überfallene Mann an den Jüngeren.

Erneut hatte dieser recht. Gerne würde Sebastian kommen.

‚Reiß‘ dich zusammen, verdammt!‘, appellierte dieser an sich selbst.

Mit letzter Kraft drückten sich die Männer von der Tür und lösten sich schließlich voneinander. Zügig öffnete sich die Tür. Das Licht des Treppenaufganges blendete sie. Trotzdem betraten sie das Haus. Die Wärme klatschte dem Jüngeren um die Ohren. Der Unterschied zwischen der Außen- und Innentemperatur machte ihm zu schaffen. Doch er war zuversichtlich, dass die Beiden mit Maximilians Hilfe in der Wohnung ankommen würden.

Mit einem lauten Knall fiel die schwere Haustür ins Schloss. Mit einem klaren Ziel vor Augen kämpfte Maximilian den Jüngeren zur Wohnungstür. Schwer atmend probierte Max sich durch die Schlüssel des Bundes ehe er den Passenden fand. Es klickte. Die Tür öffnete sich und Sebastian stolperte in die erwärmte Wohnung. Der heimische Geruch entspannte ihn sofort. Sie gab ihm neue Kraft.

Ehe Sebastian sich entkleiden konnte, glitt sein Rucksack hörbar auf den Boden und die Haustür wurde leise geschlossen. Verängstigt darüber, dass Max einfach gegangen sein könnte ohne sich zu verabschieden, drehte er sich sofort zur Tür, rutschte bei der Bewegung auf dem Boden aus und stolperte auf Maximilian. Er war offensichtlich nicht gegangen. Abermals prallten die Männer gegen die Tür. Dieses Mal jedoch andersherum. Sebastian presste den Älteren mit seinem Gewicht gegen die Tür. Die rechte Hand fühlte Max‘ kalte Finger. Sie glitten während dem Sturz automatisch ineinander.

Die linke Hand traf neben dem Gesicht des Älteren auf die kalte Tür.

Sebastian sperrte ihn mit seinem Körper ein. Und Max ließ sich einsperren. Er zeigte keinerlei Ablehnung, sprach auch kein Wort. Er verweilte einfach nur in der Präsenz des Jüngeren. In der Wohnung des Jüngeren. Allein mit dem Jüngeren.

Sebastian schluckte laut.

Sein Herz schlug wild.

Sein Atem war schnell-

„Ich- geh‘ d-dann wie-“, stotterte sein Gegenüber.

„Nein“, sagte Sebastian und schloss die Lücke zwischen ihnen.

AN: Voll vergessen: Ich habe natürlich, wie immer, Proof (35:31) und habe das nicht völlig erfunden.
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