I am thou, thou art mine
von Silver Silence
Kurzbeschreibung
Einige Monate sind vergangen, seit Ren nach Inaba zurückgekehrt ist, und mit Tokio scheint er auch seine Freunde verlassen zu haben. Der einzige, der ihm geblieben ist, ist Morgana- wenigstens, bis sein Rivale eines nachts vor seiner Tür auftaucht. Bevor er sich versieht, findet Ren sich plötzlich in einem Netz aus Geheimnissen wieder, denn Goro scheint seine eigenen Ziele zu verfolgen, und Ren muss schnell feststellen, dass er tiefer in diese Geschichte verwickelt ist, als er zunächst gedacht hatte. [Post-Royal | enthält Spoiler | leichtes Akeshu | AU]
GeschichteSchmerz/Trost, Übernatürlich / P16 / Gen
Goro Akechi
Morgana
Protagonist
01.03.2021
02.02.2023
9
34.263
3
01.10.2021
4.071
Um ihn herum war alles dunkel.
Egal, wie weit er die Augen aufriss, er konnte nichts sehen- seine Augen hätten genauso gut geschlossen sein können, es hätte keinen Unterschied gemacht, nicht nur, weil da sowieso nur die gleiche Dunkelheit auf ihn wartete. Nein, in Wahrheit brauchte er seine Augen überhaupt nicht, er musste nichts sehen, um zu wissen, wo er sich gerade befand. Es waren die Geräusche, die ihm alles darüber erzählten.
Schritte, die aus allen Richtungen kamen, in alle Richtungen gingen, und ineinander verschmolzen, bis es unmöglich war, einen einzelnen Feind auszumachen.
Namenlose Stimmen, die irgendetwas riefen, das er nicht verstand.
Lachen.
Schreien.
Ketten, die über den Boden schleiften.
Sirenen.
Das Schlagen von Flügeln, viel zu groß für einen Vogel.
Alles Geräusche, die ihm so vertraut waren, dass er seine Augen nicht brauchte, um die damit assoziierten Bilder zu erkennen, aber irgendetwas stimmte nicht. Er kannte sie alle, und er wusste, in welchen Situationen sie auftraten, aber sie gehörten nicht zusammen. Die Blitze von Erinnerungen, die sie in seinem Kopf auslösten, passten nicht zueinander. Zwar wusste er, wo er sich gerade befinden musste, aber da waren genug Geräusche, die ihm sagten, dass er falsch lag. Die Atmosphäre, an die er sich im Laufe der letzten zwei Jahre so sehr gewöhnt hatte, dass er sie überall anhand des kleinsten Hinweises wieder erkennen würde, war befleckt, verzerrt, falsch- irgendetwas stimmte hier nicht, aber er konnte nicht herausfinden, was es war.
Ren fuhr hoch. Im ersten Moment stach das plötzlich helle Licht so stark in seinen Augen, dass er sie sofort wieder schloss, ohne irgendetwas von seiner Situation zu verstehen. Erst, als er sie blinzelnd wieder öffnete, realisierte er, dass es um ihn herum plötzlich still war. Die Dunkelheit war verschwunden, all diese Geräusche waren verschwunden, er war bei sich zuhause, wie immer. Es war alles gut, es war alles normal-
Mit diesem Gedanken kehrten auf einen Schlag alle seine Erinnerungen an den letzten Tag zurück, und er schreckte ein zweites Mal hoch. Aus all dem Weiß, das die Dunkelheit seines Traums aus dem Licht im Raum gemacht hatte, bildeten sich langsam vertraute Formen und Konturen heraus. Dennoch dauerte es einige Sekunden, bis die Informationen um ihn herum seinen Verstand erreichten, und bis es ihm einfiel, sich zum Bett neben ihm zu drehen. Sein Herz setzte einen Schlag aus, noch bevor er irgendetwas an der Situation erfassen konnte.
Goro war hier, und das war zunächst jede Bestätigung, die er brauchte. Die Ereignisse dieser Nacht waren wirklich passiert, und Goro- er war am Leben. Er hatte sich ein Stück aufgesetzt; seine Haut war blass und wirkte im hellen Licht fast weiß, seine Augen waren nicht ganz geöffnet, doch verglichen mit dem, woran Ren sich erinnern konnte, schien es ihm ein ganzes Stück besser zu gehen.
Er hatte den Kopf zwar in Rens Richtung gewandt gehabt, als hätte er ihn eben noch angesehen, doch seine Augen waren auf irgendeinen Punkt im Zimmer gerichtet. Als hätte er jedoch bemerkt, dass Ren ihn ansah, wandte er sich ihm jetzt aber wieder zu. Seine Augen schimmerten schwach.
Eine Weile verging, in der keiner der beiden zu wissen schien, was er jetzt sagen oder tun sollte. Mit einem stetig wachsenden unguten Gefühl, von dem Ren selbst nicht ganz wusste, woher es kam, sah er Goro nur weiter an, als würde irgendetwas schlimmes passieren, sollte er den Augenkontakt brechen.
Alle Gedanken von gestern Nacht kreisten durch seinen Kopf. Und sie alle verschwanden mit einem Schlag, wenn er versuchte, sie in Worte zu fassen, um sie auszusprechen, und kehrten sofort zurück, sobald er es aufgegeben hatte. Es gab viel zu viele Dinge, die er in diesem Moment sagen wollte, sodass das, womit es endete, nur Stille war.
Anscheinend schien sein innerer Zustand Goro aufgefallen zu sein, denn er war es schließlich, der den Augenkontakt unterbrach. Er richtete sich ein Stück auf und schüttelte langsam den Kopf, bevor er sich wieder Ren zuwandte. Über seinen Augen lag ein schwacher Schleier, der zuvor noch nicht da gewesen war. „Warum kürzen wir die Sache nicht ab“, murmelte er kühl, und Ren spürte, wie sein Herz ein Stück sank. Es war kein unangenehmes Gefühl, Goros Stimme vermittelte ihm nur den Eindruck, als sei… absolut nichts passiert, seitdem er ihn zum letzten Mal so gehört hatte. Vor Monaten, in Marukis Palast. „Sag einfach, was du sagen willst. Ich werde dir auch antworten.“
Irgendetwas an der Art, wie er den letzten Satz ausgesprochen hatte, schien Rens Bewusstsein aus seinem tranceartigen Zustand zu reißen. Er hob den Kopf ebenfalls etwas höher, trotz allem brauchte er noch einige Sekunden, bis er es über sich brachte, etwas zu sagen. „Na gut.“ Er schluckte. „Dann versteh das nicht falsch, aber… ich dachte, du bist tot.“
Goro zog die Augenbrauen hoch. „Offensichtlich nicht“, entgegnete er trocken.
Nun gut, er hatte nicht gesagt, dass seine Antworten hilfreich sein würden. In einer anderen Situation wäre Ren darauf eingegangen, aber in diesem Moment gab es immer noch viel zu viel anderes, das ihm durch den Kopf ging. „Und warum?“ Ihm war vollkommen bewusst, wie lächerlich sich diese Wortwahl für Goro anhören musste, aber er hatte keine Kapazitäten, sich etwas anderes zu überlegen.
Und anscheinend galt etwas ähnliches für Goro. Er lachte knapp auf, doch das Geräusch wurde fast in der gleichen Sekunde zu einem schmerzverzerrten Zischen. „Ich bin mir nicht sicher“, antwortete er, ohne Ren dabei anzusehen. „Ich bin nach dem Kampf mit Maruki… beim Stadion aufgewacht.“ Er schüttelte langsam den Kopf, zögerte kurz, bevor er leiser hinzufügte: „Ich habe eine Theorie, aber…“ Er beendete den Satz nicht.
In einer anderen Situation hätte Ren weiter nachgefragt. In einer anderen Situation, in der es nicht… so viele andere Fragen gab, die immer wieder durch seinen Kopf kreisten. „Und…“ Er schluckte. „Was ist passiert?“ Er deutete mit dem Kopf knapp zu Goro hin. „Wer hat dir das angetan?“
Ren wusste nicht, ob er wirklich eine Antwort erwartet hatte, doch diese Frage schien in Goro einen Schalter umzulegen. Seine Augen blitzten schwach auf, er zog die Mundwinkel zur Seite. Seine Hände schlossen sich zu Fäusten. „Gut, dass du es ansprichst.“ Irgendwo in seiner Stimme lag die Andeutung eines Lachens, das jedoch, kombiniert mit dem Rest seines Ausdrucks, schmerzhaft gequält klang. „Das ist mein Stichwort.“ Er richtete sich höher auf und machte Anstalten, aufzustehen, zuckte jedoch fast im gleichen Moment zusammen, Schmerz spiegelte sich in seinem Gesicht. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, es ein zweites Mal zu versuchen, und veranlasste Ren dazu, einen Schritt zu ihm zu machen.
„Goro-“ Er hielt inne. Um zu wissen, was er jetzt sagen sollte, hätte die Situation nur ein wenig besser verstehen müssen, aber nach wie vor ergab keines von den Ereignissen der letzten Stunden irgendwie Sinn. „Bleib hier“, beendete er den Satz stattdessen kühl, und anscheinend so ernst, dass Goro sich tatsächlich wieder ein Stück entspannte und den Kopf zu Ren drehte. Seine rotbraunen Augen glänzten schwach. „Ich glaube, ich habe ein Recht auf ein paar Antworten.“
Goro lachte erneut auf, kalt, und ohne jegliche aufrichtige Emotion dahinter. „Vertrau mir, Joker, es gibt Dinge, die willst du nicht wissen, und das hier ist eines davon.“
„Diese Entscheidung kannst du mir überlassen“, antwortete Ren leise, im gleichen Tonfall wie zuvor.
Langsam schüttelte Goro den Kopf und drehte sich schließlich von Ren weg. Seine Augen waren geschlossen, er hatte die Arme verschränkt, doch die Kälte von eben war aus seiner Stimme verschwunden. Zurück blieb nur eine tonlose Leere, die sich für Ren noch viel schlimmer anhörte. „Du änderst dich nie, oder?“ Er zog die Lippen zurück. Für einen Moment hörte es sich an, als wolle er noch etwas sagen, doch er öffnete nur die Augen. Sein Blick war abwesend, und vor einigen Stunden hätte Ren dieses untypische Verhalten noch alarmiert, doch jetzt gab es ihm nur weiter das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.
Sicher, auf einem normalen Weg wären solche Verletzungen nicht entstanden. Auch, dass Goro ein Geheimnis daraus machte, hätte er sich eigentlich denken können, aber irgendetwas an seinem Rivalen machte auf Ren den Eindruck, als gäbe es hinter dieser Sache noch weit mehr. Und als dürfte jemand anderer unter keinen Umständen davon erfahren.
„Ren“, begann Goro wieder, den Blick immer noch gesenkt und von ihm abgewandt. In seine Stimme war der Anflug einer Emotion zurückgekehrt, die Ren nicht benennen konnte. „Es ist mir egal, was du darüber denkst. Vielleicht vertraust du mir, vielleicht-“ Er hielt inne, schien einen Augenblick lang über seine Worte nachzudenken, bevor er sich scheinbar umentschied, denn er schloss angespannt die Augen und schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe keine Ahnung, warum du glaubst, es hilft dir, irgendetwas davon zu wissen, aber ich kann dir sagen, dass es das nicht tut.“ Jetzt sah er Ren an, seine Augen glänzten kalt. „Dieses Abenteuer endet hier für dich, Amamiya, und es wird sich auch nicht wiederholen.“
„Meine Eltern sind nicht zuhause“, meinte Ren trocken. „Du kannst also bleiben.“ Es war unmöglich, dass Goro die stumme Forderung in seinem Tonfall nicht bemerkte. Bleib hier. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber wenn du in Gefahr bist, kann ich-
„Ich schätze das Angebot“, murmelte Goro und richtete sich weiter auf; nur, um fast im gleichen Moment mitten in der Bewegung innezuhalten. Er zischte leise, die Augen unter dem Schmerz wieder geschlossen, jedoch gelang es ihm, sich wieder zu fangen, bevor Ren reagieren konnte. „Aber ich verzichte.“ Er drehte den Kopf zur Seite.
„Goro-“ Ren brach ab. Lass mich nicht allein, war es, was er fast gesagt hatte. „Ich weiß nicht, wohin du zurückgehen willst, aber in deinem Zustand ist das viel zu gefährlich“, fuhr er stattdessen fort, mit einem Mal ein ganzes Stück leiser. Ich will dich nicht ein drittes Mal verlieren. „Ich kann dir helfen.“
Goro seufzte. „Ich weiß nicht, welchen Teil unserer letzten Begegnung du schon vergessen hast“, begann er scharf. „Ich brauche deine Hilfe nicht, abgesehen davon, dass ich sie gar nicht will.“
Ren versuchte, die Stiche, die bei diesen Worten durch seine Brust schossen, zu ignorieren. „Gestern hat das noch anders geklungen“, meinte er nur.
„Hör zu…“ Goro zögerte kurz, er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, Rens Blick ein Stück zu offensichtlich ausweichend. „Ich habe gestern einen Fehler gemacht.“ Er schloss kurz die Augen und seufzte ein zweites Mal; Ren konnte sehen, dass er zitterte, als er die Hand wieder sinken ließ. „Ich will nicht genauer darauf eingehen, aber ich war wirklich in keinem Zustand, in dem ich vernünftige Entscheidungen hätte treffen können.“
„Du wärst gestorben“, kommentierte Ren trocken.
„Unterschätze mich nicht“, knurrte Goro und drehte sich wieder von Ren weg. „Ich habe schon schlimmeres überlebt, ohne deine Hilfe.“
Ren sagte nichts darauf. Das war wirklich keine Konversation, die er in diesem Moment führen wollte; in diesem Moment oder irgendwann anders. Es brachte zu viele schlechte Erinnerungen zurück.
Goro selbst jedoch schien dieses Gefühl nicht zu teilen. „Wenn du beim letzten Mal nicht auf mich gehört hättest, was wäre dann passiert?“ Seine Stimme klang überraschend, schmerzhaft scharf, mehr, als Ren ihm in seinem Zustand zugetraut hätte. Nur über seinen Augen lag ein Schatten, der zuvor noch nicht da gewesen war.
Dann wäre alles gut gewesen. Der Gedanke schoss durch Rens Kopf, bevor er es verhindern konnte. So funktionierte diese Welt nicht, und das wusste er. Nichts von Marukis Realität war echt gewesen, und damit hatte es auch keinen Sinn, sich vorzustellen, was wäre, wenn. Und wahrscheinlich wäre er jetzt sowieso in der gleichen Situation.
Anscheinend hatte er jedoch zu lange gezögert, oder es ließ sich an seinem Gesicht ablesen, was er dachte, denn Goros Blick wurde düster, und der scharfe Unterton in seiner Stimme zu einer kalten Härte. „Siehst du?“, murrte er leise. „Genau deswegen brauchst du mich. Und genau deswegen solltest du mir vertrauen.“
„Genau.“ Ren konnte hören, dass seine Stimme zitterte, und ihm war vollkommen bewusst, dass Goro aufgefallen sein musste, wie schnell er sprach. Zwar erwartete er nicht, dass es ihm zeigen würde, wie ernst es ihm in dieser Sache war, aber gleichzeitig wusste er, dass er es ohnehin nicht verhindern könnte. „Ich brauche dich, und-“ Er brach ab.
Jetzt, wo er diesen Gedanken ausgesprochen hatte, schien er mit einem Mal jede Bedeutung verloren zu haben. Wem versuchte er hier noch etwas vorzumachen? Goro wäre sowieso nur einer seiner Freunde, die alle… nichts mehr mit ihm zu tun hatten. Wahrscheinlich war es für sie beide das beste, wenn er auf Goro hörte. Wenn er ihn einfach gehen ließ, und ihre Wege sich nie wieder kreuzten. Es war immerhin nicht einmal so, als wäre das noch nie passiert.
Ren öffnete den Mund, doch aus irgendeinem Grund brachte er es nicht über sich, diese Worte auszusprechen. Vielleicht war es das beste so, vielleicht hatte es keinen Sinn, dagegen zu kämpfen, aber das bedeutete nicht, dass er es einfach so hinnehmen konnte. Dass er es einfach akzeptieren würde.
Mit diesen Gedanken schien er jedoch auch allein gelassen geworden zu sein. Goro musterte ihn nur weiterhin, der gleiche dunkle, kalte Schleier wie zuvor über seinen Augen. Er sagte nichts mehr, aber etwas an seinem Ausdruck gab Ren das Gefühl, dass das nicht bedeutete, die Diskussion wäre beendet- im Gegenteil.
Das einzige, was sein Schweigen bedeutete, war es, dass es jetzt an Ren lag, die Sache zu beenden- und, dass es einen richtigen Ausgang der Situation gab.
„Ich will, dass du es aussprichst.“ Ren schluckte. Fast erwartete er, Goro diese Worte aussprechen zu hören, wie ein letzter Hinweis. Als wären ihm die Parallelen zu damals nicht längst bewusst. „Was wirst du jetzt tun?“ Nein, Goro musste nichts davon laut sagen. Sein Blick reichte aus, ihn diese Fragen abermals stellen zu lassen.
Aber die Situation von damals konnte er nicht hiermit vergleichen. Dafür war in der Zwischenzeit viel zu viel passiert. Und dieser Gedanke war es schlussendlich auch, der Ren davon abhielt, Goro zuzustimmen. „Bleib wenigstens…“ Ren brach ab und zögerte für einen Moment. Ein Teil von ihm hatte das Gefühl… nein, ein Teil von ihm wusste, dass dieser Kompromiss nicht gut enden würde. Wenn Goro- und das war die nächste Schwierigkeit- überhaupt darauf einging, denn nach diesem Gespräch hatte Ren doch Zweifel daran. „Wenigstens bis zum Essen. Oder so.“ Er zögerte. „Bitte.“
Einige Sekunden gingen, in denen Goro nicht reagierte. Sekunden, in denen er zu überlegen schien, und die Ren wie eine Ewigkeit vorkamen. Sekunden, in denen er bereits damit rechnete, dass Goro wieder ablehnen würde, und so alles von vorne beginnen würde, bis Ren schlussendlich aufgab.
Er war so sehr in diese Gedanken vertieft, dass er die Antwort seines Gegenübers beinahe überhört hätte.
Goro seufzte und wandte den Kopf zur Tür. „Unter der Bedingung, dass du jetzt damit anfängst“, meinte er kühl. „Lass uns das wenigstens schnell hinter uns bringen.“
In diesem Moment kam Ren gar nicht dazu, die Implikation, die in seinem letzten Satz lag, zu realisieren, geschweige denn, ihr Aufmerksamkeit zu schenken. „Danke“, murmelte er, den Kopf gesenkt; auch, wenn er wusste, dass Goro immer noch von ihm abgewandt war, stellte sich irgendetwas in ihm dagegen, ihm ins Gesicht zu sehen.
Irgendwo war es lächerlich, nach allem, was passiert war, und was auch sie beide miteinander erlebt hatten. Es gab etwas, das sie miteinander verband, auch, wenn Ren selbst nicht in Worte fassen konnte, was es war. Vielleicht- nein, wahrscheinlich stand er mit seinen Gefühlen allein da. Wahrscheinlich war er jetzt, wo es das Metaverse und die Phantomdiebe nicht mehr gab, nicht mehr als ein weiteres Gesicht für ihn.
Vielleicht fiel jetzt ja einfach alles an seinen Platz zurück, wie es eigentlich längst hätte sein sollen. Und vielleicht war Rens Platz in diesem System abseits der anderen, egal, was er versuchen sollte.
Langsam stand Ren auf, weniger, weil er es selbst wollte, als weil irgendeine namen- und formlose Stimme in seinem Kopf ihn dazu anwies. Er spürte, wie Goro sich wieder ein Stück näher zu ihm drehte, und diesmal musste er sich zwingen, seinen Blick nicht zu erwidern.
Ren wandte sich ab und entfernte sich einige Schritte, blieb jedoch stehen, bevor er die Tür öffnete. „Goro?“ Er drehte sich bewusst nicht um, wartete bewusst nicht auf eine Antwort, bevor er fortfuhr. „Versprich mir, dass du hier bleibst.“
Hinter ihm machte Goro ein undefinierbares Geräusch. „Komm schon, Amamiya.“ In seiner Stimme lag ein unruhiger Unterton. „Wo sollte ich jetzt denn hingehen?“
Es war nicht so, dass Ren den Sarkasmus in seiner Stimme nicht gehört hätte. Es war auch nicht so, dass er kein schlechtes Gefühl hatte, als er aus dem Zimmer trat und die Tür bewusst einen Spalt offen stehen ließ, aber gleichzeitig war es die Logik, die ihn Goro vertrauen ließ. Immerhin war er immer noch verletzt, und selbst, wenn er das Zimmer verlassen sollte, müsste er ihn hören.
Ganz abschütteln konnte er den drückenden Schmerz in seiner Brust trotzdem nicht, als er langsam durch das Haus ging.
Morgana, der auf dem Sofa zusammengerollt gelegen hatte, richtete sich sofort auf und trabte zu Ren hinüber, als er den Raum betrat. „Und?“ Er zuckte mit einem Ohr. „Was ist passiert?“ Obwohl ein skeptischer Unterton in seiner Stimme lag, gelang es ihm doch nicht so ganz, die Neugier darin zu verbergen.
Ren seufzte. „Nichts, was mich überraschen hätte dürfen.“ Je mehr er darüber nachdachte, desto lächerlicher kam es ihm vor, wirklich erwartet zu haben, dass Goro… nun ja, sich ansatzweise kooperativ zeigen würde.
Morgana schüttelte den Kopf. Seine Krallen machten ein klackendes Geräusch auf dem Boden, als er Ren in die Küche folgte. „Ich hatte gleich kein gutes Gefühl dabei“, meinte er ernst und sprang auf die Theke. „Ich dachte nicht, dass es gut gewesen wäre, gestern etwas zu sagen, aber…“ Er legte die Ohren zur Seite.
Etwas halbherzig zog Ren die Mundwinkel nach oben und fuhr dem Kater mit seiner freien Hand über den Kopf. „Ganz so stimmt das ja nicht“, murmelte er, bevor er sich dem Tablett in seiner anderen Hand zuwandte. „Du hättest ihn auch nicht weggeschickt, oder einfach ignoriert.“
„Natürlich nicht.“ Mit einem Miauen richtete sich Morgana ein Stück höher auf und schüttelte den Kopf. „Aber…“ Mit einem Schlag war seine Stimme wieder ernst. Ren, der sich bereits wieder zum Gehen gewandt hatte, hielt inne und drehte sich zu dem Kater um. „Kommt dir nichts an der Sache komisch vor? Ich…“ Sein Schwanz strich über die Theke. Morgana hatte den Blick gesenkt, als würde er selbst noch darüber nachdenken, was er sagte. „Ich weiß nicht, ob wir ihm vertrauen sollten.“
Ren unterdrückte ein Seufzen. Ich auch nicht. Dieser Gedanke kam ihm, bevor er es verhindern konnte, oder darüber nachdenken, ob es wirklich die Wahrheit war. Nach allem, was mit Maruki passiert war, fühlte sich der Gedanke, Goro nicht zu vertrauen… seltsam an. Damals waren sie auf diese Verbindung, sei sie auch nur künstlich und vorübergehend, angewiesen gewesen. Trotz allem, was zuvor passiert war, hätten sie ohne diese Basis nicht Seite an Seite kämpfen können, und…
„Ich will, dass du es aussprichst.“ Goros Stimme schoss durch seinen Kopf, so scharf, beinahe schmerzhaft, dass er kurz die Augen schloss. „Was wirst du jetzt tun?“ Was wäre wohl passiert, hätte er Goro an diesem Abend nicht vertraut?
Aber es war sinnlos, über das alles nachzudenken. Er war nicht mehr in Tokio, und damit fühlte sich alles, was in diesem Jahr passiert war, ewig entfernt an. Die Phantomdiebe gab es nicht mehr, und damit war er auch nicht mehr ihr Anführer. Hier ging es um nichts, außer ihn und Goro.
Nachdem er sich all dem bewusst war, konnte er ihm jetzt vertrauen?
„Es ist alles in Ordnung, Morgana.“ Ren hörte seine eigene Stimme, ohne dass er sich bewusst gewesen wäre, diese Worte ausgesprochen zu haben. Er hatte selbst nicht das Gefühl, als würde seine Stimme auch nur eine Spur überzeugter klingen, als er sich fühlte. „Eines nach dem anderen. Und es wird alles gut werden.“ Er war sich nicht ganz sicher, an wen von ihnen dieser Satz gerichtet war. Vermutlich wussten sie es ohnehin beide besser.
Morgana antwortete nicht mehr, und ein Teil von Ren war ihm fast dankbar dafür. Der zweifelnde, besorgte Blick des Katers, den er auf sich spüren konnte, war mehr, als er wissen musste.
Wissen wollte.
Ein wenig zu schnell, als dass es nicht auffallen würde, machte Ren sich auf den Rückweg. Es war nicht so, als hätte er nicht erwartet, dass sein nächstes Gespräch mit Morgana so laufen würde; nichtsdestotrotz hatte es ihn in einem unguten Gefühl bestätigt, von dem er gewusst hatte, dass es ihn die ganze Zeit über nicht losgelassen hatte, nur, dass er es jetzt nicht mehr ignorieren konnte.
Nein, so würde er nicht denken. Er stand unter keinem Druck mehr, schnelle Entscheidungen zu treffen, und vielleicht war es in dieser Situation richtig, abzuwarten. Er würde Goro dazu bringen, ihm Antworten zu geben, eine Erklärung, oder einfach nur bei ihm zu bleiben. In diesem Moment war das alles, was er tun musste.
Dieser Gedanke hätte Ren beruhigen sollen. Ihn daran erinnern, dass er alles getan hatte, und dass alles gut war, wenigstens für diesen einen Moment. Dass sein schlechtes Gefühl stattdessen nur stärker wurde, hätte ihm, im Nachhinein, vielleicht eine Warnung sein sollen. Eine Erinnerung, dass ein Teil von ihm wusste, was ihn hinter der Tür zu seinem Zimmer erwarten würde, noch bevor er sie öffnete.
Vielleicht hätte er das wissen sollen, vielleicht war ihm auch von Anfang an bewusst gewesen, dass er einen Fehler gemacht hatte. All das war ihm klar, und trotzdem musste er in diesem Augenblick feststellen, dass er nicht darauf vorbereitet gewesen war.
Der Raum war leer.
Langsam, seine eigenen Bewegungen nur ganz am Rand wahrnehmend, stellte Ren das Tablett auf den Boden. In diesem Moment kam es ihm nicht einmal in den Sinn, zu rufen, oder dass Goro immer noch in der Nähe sein könnte- sein müsste, in seinem Zustand war es wenigstens nicht realistisch, dass er in dieser kurzen Zeit weit gekommen war. Aber diese Gedanken erreichten Ren nicht. Alles, was in diesem Moment in seinem Kopf Platz hatte, war eine Stimme, die er nicht zuordnen konnte, und die immer wieder die gleichen Worte wiederholte. Ich habe es doch gewusst.
Was… hatte er sich dabei gedacht?
Es dauerte einige Sekunden, bis die Bedeutung dieser Worte seinen Verstand erreichte, und die Erkenntnisse, die damit einher gingen.
Er hätte nicht gehen dürfen. So gut hätte er Goro schließlich kennen müssen, gerade nach allem, was passiert war, seit er hier aufgetaucht war. Das alles war viel zu schnell gegangen, viel zu surreal, viel zu viel war auf einmal passiert, und eigentlich hätte es genauso gut ein Traum sein können.
Vielleicht war es besser, das ganze als genau das zu behandeln. Er wusste nicht, was passiert war, und Goro war ebenso wenig bereit gewesen, es ihm zu erklären. Vermutlich würde er ihn nie wiedersehen, also…
Egal, wie oft Ren diesen Gedanken wiederholte, etwas in ihm stellte sich dagegen, die Sache so zu akzeptieren. Alles, was er in ihm auslöste, war es, das stumpfe Messer tiefer in seine Brust zu schlagen.
Er wusste, dass Goro am Leben war- noch, wenigstens, ergänzte eine Stimme in seinem Kopf- und das war mehr, als er noch vor ein paar Wochen zu wünschen gewagt hätte. Er hatte ihn wiedergesehen, mit ihm gesprochen, und es wäre nicht das letzte Mal. Goro schuldete ihm noch einige Antworten, und so einfach würde er nicht aufgeben.
Aus irgendeinem Grund konnte er sich auch nicht dazu bringen, an diese Worte zu glauben.
Ren schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zurück in die Gegenwart zu zwingen, und hob das Tablett wieder auf, eine Spur schneller als normal. Eines nach dem anderen. Fürs erste würde er hier aufräumen, und dann könnte er sich immer noch überlegen, was er jetzt tun sollte. Technisch gesehen hatte er schließlich immer noch Goros Nummer, damit ließ sich immerhin ein bisschen etwas anfangen, und…
Alle von Rens Vorsätzen und Gedanken wurden mit einem Schlag unterbrochen, als sein Blick auf ein Stück Papier auf dem Bett fiel, das ihm zuerst nicht aufgefallen war. Ein ganzes Stück vorsichtiger, als er es zuerst aufgehoben hatte, stellte er das Tablett erneut ab und näherte sich langsam. Sein Herz schlug eine Spur zu schnell, er wusste nicht ganz, woher dieses Gefühl kam, aber irgendetwas an der Situation machte ihn nervös.
Zögernd hob Ren den Zettel auf und drehte ihn um. In Goros Handschrift war ein einzelner Satz darauf geschrieben worden, ein Satz, der keinen Sinn in der Situation ergab, und der Ren einen schmerzhaften Stich in der Brust versetzte.
Du wirst mir dafür noch dankbar sein.
Egal, wie weit er die Augen aufriss, er konnte nichts sehen- seine Augen hätten genauso gut geschlossen sein können, es hätte keinen Unterschied gemacht, nicht nur, weil da sowieso nur die gleiche Dunkelheit auf ihn wartete. Nein, in Wahrheit brauchte er seine Augen überhaupt nicht, er musste nichts sehen, um zu wissen, wo er sich gerade befand. Es waren die Geräusche, die ihm alles darüber erzählten.
Schritte, die aus allen Richtungen kamen, in alle Richtungen gingen, und ineinander verschmolzen, bis es unmöglich war, einen einzelnen Feind auszumachen.
Namenlose Stimmen, die irgendetwas riefen, das er nicht verstand.
Lachen.
Schreien.
Ketten, die über den Boden schleiften.
Sirenen.
Das Schlagen von Flügeln, viel zu groß für einen Vogel.
Alles Geräusche, die ihm so vertraut waren, dass er seine Augen nicht brauchte, um die damit assoziierten Bilder zu erkennen, aber irgendetwas stimmte nicht. Er kannte sie alle, und er wusste, in welchen Situationen sie auftraten, aber sie gehörten nicht zusammen. Die Blitze von Erinnerungen, die sie in seinem Kopf auslösten, passten nicht zueinander. Zwar wusste er, wo er sich gerade befinden musste, aber da waren genug Geräusche, die ihm sagten, dass er falsch lag. Die Atmosphäre, an die er sich im Laufe der letzten zwei Jahre so sehr gewöhnt hatte, dass er sie überall anhand des kleinsten Hinweises wieder erkennen würde, war befleckt, verzerrt, falsch- irgendetwas stimmte hier nicht, aber er konnte nicht herausfinden, was es war.
Ren fuhr hoch. Im ersten Moment stach das plötzlich helle Licht so stark in seinen Augen, dass er sie sofort wieder schloss, ohne irgendetwas von seiner Situation zu verstehen. Erst, als er sie blinzelnd wieder öffnete, realisierte er, dass es um ihn herum plötzlich still war. Die Dunkelheit war verschwunden, all diese Geräusche waren verschwunden, er war bei sich zuhause, wie immer. Es war alles gut, es war alles normal-
Mit diesem Gedanken kehrten auf einen Schlag alle seine Erinnerungen an den letzten Tag zurück, und er schreckte ein zweites Mal hoch. Aus all dem Weiß, das die Dunkelheit seines Traums aus dem Licht im Raum gemacht hatte, bildeten sich langsam vertraute Formen und Konturen heraus. Dennoch dauerte es einige Sekunden, bis die Informationen um ihn herum seinen Verstand erreichten, und bis es ihm einfiel, sich zum Bett neben ihm zu drehen. Sein Herz setzte einen Schlag aus, noch bevor er irgendetwas an der Situation erfassen konnte.
Goro war hier, und das war zunächst jede Bestätigung, die er brauchte. Die Ereignisse dieser Nacht waren wirklich passiert, und Goro- er war am Leben. Er hatte sich ein Stück aufgesetzt; seine Haut war blass und wirkte im hellen Licht fast weiß, seine Augen waren nicht ganz geöffnet, doch verglichen mit dem, woran Ren sich erinnern konnte, schien es ihm ein ganzes Stück besser zu gehen.
Er hatte den Kopf zwar in Rens Richtung gewandt gehabt, als hätte er ihn eben noch angesehen, doch seine Augen waren auf irgendeinen Punkt im Zimmer gerichtet. Als hätte er jedoch bemerkt, dass Ren ihn ansah, wandte er sich ihm jetzt aber wieder zu. Seine Augen schimmerten schwach.
Eine Weile verging, in der keiner der beiden zu wissen schien, was er jetzt sagen oder tun sollte. Mit einem stetig wachsenden unguten Gefühl, von dem Ren selbst nicht ganz wusste, woher es kam, sah er Goro nur weiter an, als würde irgendetwas schlimmes passieren, sollte er den Augenkontakt brechen.
Alle Gedanken von gestern Nacht kreisten durch seinen Kopf. Und sie alle verschwanden mit einem Schlag, wenn er versuchte, sie in Worte zu fassen, um sie auszusprechen, und kehrten sofort zurück, sobald er es aufgegeben hatte. Es gab viel zu viele Dinge, die er in diesem Moment sagen wollte, sodass das, womit es endete, nur Stille war.
Anscheinend schien sein innerer Zustand Goro aufgefallen zu sein, denn er war es schließlich, der den Augenkontakt unterbrach. Er richtete sich ein Stück auf und schüttelte langsam den Kopf, bevor er sich wieder Ren zuwandte. Über seinen Augen lag ein schwacher Schleier, der zuvor noch nicht da gewesen war. „Warum kürzen wir die Sache nicht ab“, murmelte er kühl, und Ren spürte, wie sein Herz ein Stück sank. Es war kein unangenehmes Gefühl, Goros Stimme vermittelte ihm nur den Eindruck, als sei… absolut nichts passiert, seitdem er ihn zum letzten Mal so gehört hatte. Vor Monaten, in Marukis Palast. „Sag einfach, was du sagen willst. Ich werde dir auch antworten.“
Irgendetwas an der Art, wie er den letzten Satz ausgesprochen hatte, schien Rens Bewusstsein aus seinem tranceartigen Zustand zu reißen. Er hob den Kopf ebenfalls etwas höher, trotz allem brauchte er noch einige Sekunden, bis er es über sich brachte, etwas zu sagen. „Na gut.“ Er schluckte. „Dann versteh das nicht falsch, aber… ich dachte, du bist tot.“
Goro zog die Augenbrauen hoch. „Offensichtlich nicht“, entgegnete er trocken.
Nun gut, er hatte nicht gesagt, dass seine Antworten hilfreich sein würden. In einer anderen Situation wäre Ren darauf eingegangen, aber in diesem Moment gab es immer noch viel zu viel anderes, das ihm durch den Kopf ging. „Und warum?“ Ihm war vollkommen bewusst, wie lächerlich sich diese Wortwahl für Goro anhören musste, aber er hatte keine Kapazitäten, sich etwas anderes zu überlegen.
Und anscheinend galt etwas ähnliches für Goro. Er lachte knapp auf, doch das Geräusch wurde fast in der gleichen Sekunde zu einem schmerzverzerrten Zischen. „Ich bin mir nicht sicher“, antwortete er, ohne Ren dabei anzusehen. „Ich bin nach dem Kampf mit Maruki… beim Stadion aufgewacht.“ Er schüttelte langsam den Kopf, zögerte kurz, bevor er leiser hinzufügte: „Ich habe eine Theorie, aber…“ Er beendete den Satz nicht.
In einer anderen Situation hätte Ren weiter nachgefragt. In einer anderen Situation, in der es nicht… so viele andere Fragen gab, die immer wieder durch seinen Kopf kreisten. „Und…“ Er schluckte. „Was ist passiert?“ Er deutete mit dem Kopf knapp zu Goro hin. „Wer hat dir das angetan?“
Ren wusste nicht, ob er wirklich eine Antwort erwartet hatte, doch diese Frage schien in Goro einen Schalter umzulegen. Seine Augen blitzten schwach auf, er zog die Mundwinkel zur Seite. Seine Hände schlossen sich zu Fäusten. „Gut, dass du es ansprichst.“ Irgendwo in seiner Stimme lag die Andeutung eines Lachens, das jedoch, kombiniert mit dem Rest seines Ausdrucks, schmerzhaft gequält klang. „Das ist mein Stichwort.“ Er richtete sich höher auf und machte Anstalten, aufzustehen, zuckte jedoch fast im gleichen Moment zusammen, Schmerz spiegelte sich in seinem Gesicht. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, es ein zweites Mal zu versuchen, und veranlasste Ren dazu, einen Schritt zu ihm zu machen.
„Goro-“ Er hielt inne. Um zu wissen, was er jetzt sagen sollte, hätte die Situation nur ein wenig besser verstehen müssen, aber nach wie vor ergab keines von den Ereignissen der letzten Stunden irgendwie Sinn. „Bleib hier“, beendete er den Satz stattdessen kühl, und anscheinend so ernst, dass Goro sich tatsächlich wieder ein Stück entspannte und den Kopf zu Ren drehte. Seine rotbraunen Augen glänzten schwach. „Ich glaube, ich habe ein Recht auf ein paar Antworten.“
Goro lachte erneut auf, kalt, und ohne jegliche aufrichtige Emotion dahinter. „Vertrau mir, Joker, es gibt Dinge, die willst du nicht wissen, und das hier ist eines davon.“
„Diese Entscheidung kannst du mir überlassen“, antwortete Ren leise, im gleichen Tonfall wie zuvor.
Langsam schüttelte Goro den Kopf und drehte sich schließlich von Ren weg. Seine Augen waren geschlossen, er hatte die Arme verschränkt, doch die Kälte von eben war aus seiner Stimme verschwunden. Zurück blieb nur eine tonlose Leere, die sich für Ren noch viel schlimmer anhörte. „Du änderst dich nie, oder?“ Er zog die Lippen zurück. Für einen Moment hörte es sich an, als wolle er noch etwas sagen, doch er öffnete nur die Augen. Sein Blick war abwesend, und vor einigen Stunden hätte Ren dieses untypische Verhalten noch alarmiert, doch jetzt gab es ihm nur weiter das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.
Sicher, auf einem normalen Weg wären solche Verletzungen nicht entstanden. Auch, dass Goro ein Geheimnis daraus machte, hätte er sich eigentlich denken können, aber irgendetwas an seinem Rivalen machte auf Ren den Eindruck, als gäbe es hinter dieser Sache noch weit mehr. Und als dürfte jemand anderer unter keinen Umständen davon erfahren.
„Ren“, begann Goro wieder, den Blick immer noch gesenkt und von ihm abgewandt. In seine Stimme war der Anflug einer Emotion zurückgekehrt, die Ren nicht benennen konnte. „Es ist mir egal, was du darüber denkst. Vielleicht vertraust du mir, vielleicht-“ Er hielt inne, schien einen Augenblick lang über seine Worte nachzudenken, bevor er sich scheinbar umentschied, denn er schloss angespannt die Augen und schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe keine Ahnung, warum du glaubst, es hilft dir, irgendetwas davon zu wissen, aber ich kann dir sagen, dass es das nicht tut.“ Jetzt sah er Ren an, seine Augen glänzten kalt. „Dieses Abenteuer endet hier für dich, Amamiya, und es wird sich auch nicht wiederholen.“
„Meine Eltern sind nicht zuhause“, meinte Ren trocken. „Du kannst also bleiben.“ Es war unmöglich, dass Goro die stumme Forderung in seinem Tonfall nicht bemerkte. Bleib hier. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber wenn du in Gefahr bist, kann ich-
„Ich schätze das Angebot“, murmelte Goro und richtete sich weiter auf; nur, um fast im gleichen Moment mitten in der Bewegung innezuhalten. Er zischte leise, die Augen unter dem Schmerz wieder geschlossen, jedoch gelang es ihm, sich wieder zu fangen, bevor Ren reagieren konnte. „Aber ich verzichte.“ Er drehte den Kopf zur Seite.
„Goro-“ Ren brach ab. Lass mich nicht allein, war es, was er fast gesagt hatte. „Ich weiß nicht, wohin du zurückgehen willst, aber in deinem Zustand ist das viel zu gefährlich“, fuhr er stattdessen fort, mit einem Mal ein ganzes Stück leiser. Ich will dich nicht ein drittes Mal verlieren. „Ich kann dir helfen.“
Goro seufzte. „Ich weiß nicht, welchen Teil unserer letzten Begegnung du schon vergessen hast“, begann er scharf. „Ich brauche deine Hilfe nicht, abgesehen davon, dass ich sie gar nicht will.“
Ren versuchte, die Stiche, die bei diesen Worten durch seine Brust schossen, zu ignorieren. „Gestern hat das noch anders geklungen“, meinte er nur.
„Hör zu…“ Goro zögerte kurz, er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, Rens Blick ein Stück zu offensichtlich ausweichend. „Ich habe gestern einen Fehler gemacht.“ Er schloss kurz die Augen und seufzte ein zweites Mal; Ren konnte sehen, dass er zitterte, als er die Hand wieder sinken ließ. „Ich will nicht genauer darauf eingehen, aber ich war wirklich in keinem Zustand, in dem ich vernünftige Entscheidungen hätte treffen können.“
„Du wärst gestorben“, kommentierte Ren trocken.
„Unterschätze mich nicht“, knurrte Goro und drehte sich wieder von Ren weg. „Ich habe schon schlimmeres überlebt, ohne deine Hilfe.“
Ren sagte nichts darauf. Das war wirklich keine Konversation, die er in diesem Moment führen wollte; in diesem Moment oder irgendwann anders. Es brachte zu viele schlechte Erinnerungen zurück.
Goro selbst jedoch schien dieses Gefühl nicht zu teilen. „Wenn du beim letzten Mal nicht auf mich gehört hättest, was wäre dann passiert?“ Seine Stimme klang überraschend, schmerzhaft scharf, mehr, als Ren ihm in seinem Zustand zugetraut hätte. Nur über seinen Augen lag ein Schatten, der zuvor noch nicht da gewesen war.
Dann wäre alles gut gewesen. Der Gedanke schoss durch Rens Kopf, bevor er es verhindern konnte. So funktionierte diese Welt nicht, und das wusste er. Nichts von Marukis Realität war echt gewesen, und damit hatte es auch keinen Sinn, sich vorzustellen, was wäre, wenn. Und wahrscheinlich wäre er jetzt sowieso in der gleichen Situation.
Anscheinend hatte er jedoch zu lange gezögert, oder es ließ sich an seinem Gesicht ablesen, was er dachte, denn Goros Blick wurde düster, und der scharfe Unterton in seiner Stimme zu einer kalten Härte. „Siehst du?“, murrte er leise. „Genau deswegen brauchst du mich. Und genau deswegen solltest du mir vertrauen.“
„Genau.“ Ren konnte hören, dass seine Stimme zitterte, und ihm war vollkommen bewusst, dass Goro aufgefallen sein musste, wie schnell er sprach. Zwar erwartete er nicht, dass es ihm zeigen würde, wie ernst es ihm in dieser Sache war, aber gleichzeitig wusste er, dass er es ohnehin nicht verhindern könnte. „Ich brauche dich, und-“ Er brach ab.
Jetzt, wo er diesen Gedanken ausgesprochen hatte, schien er mit einem Mal jede Bedeutung verloren zu haben. Wem versuchte er hier noch etwas vorzumachen? Goro wäre sowieso nur einer seiner Freunde, die alle… nichts mehr mit ihm zu tun hatten. Wahrscheinlich war es für sie beide das beste, wenn er auf Goro hörte. Wenn er ihn einfach gehen ließ, und ihre Wege sich nie wieder kreuzten. Es war immerhin nicht einmal so, als wäre das noch nie passiert.
Ren öffnete den Mund, doch aus irgendeinem Grund brachte er es nicht über sich, diese Worte auszusprechen. Vielleicht war es das beste so, vielleicht hatte es keinen Sinn, dagegen zu kämpfen, aber das bedeutete nicht, dass er es einfach so hinnehmen konnte. Dass er es einfach akzeptieren würde.
Mit diesen Gedanken schien er jedoch auch allein gelassen geworden zu sein. Goro musterte ihn nur weiterhin, der gleiche dunkle, kalte Schleier wie zuvor über seinen Augen. Er sagte nichts mehr, aber etwas an seinem Ausdruck gab Ren das Gefühl, dass das nicht bedeutete, die Diskussion wäre beendet- im Gegenteil.
Das einzige, was sein Schweigen bedeutete, war es, dass es jetzt an Ren lag, die Sache zu beenden- und, dass es einen richtigen Ausgang der Situation gab.
„Ich will, dass du es aussprichst.“ Ren schluckte. Fast erwartete er, Goro diese Worte aussprechen zu hören, wie ein letzter Hinweis. Als wären ihm die Parallelen zu damals nicht längst bewusst. „Was wirst du jetzt tun?“ Nein, Goro musste nichts davon laut sagen. Sein Blick reichte aus, ihn diese Fragen abermals stellen zu lassen.
Aber die Situation von damals konnte er nicht hiermit vergleichen. Dafür war in der Zwischenzeit viel zu viel passiert. Und dieser Gedanke war es schlussendlich auch, der Ren davon abhielt, Goro zuzustimmen. „Bleib wenigstens…“ Ren brach ab und zögerte für einen Moment. Ein Teil von ihm hatte das Gefühl… nein, ein Teil von ihm wusste, dass dieser Kompromiss nicht gut enden würde. Wenn Goro- und das war die nächste Schwierigkeit- überhaupt darauf einging, denn nach diesem Gespräch hatte Ren doch Zweifel daran. „Wenigstens bis zum Essen. Oder so.“ Er zögerte. „Bitte.“
Einige Sekunden gingen, in denen Goro nicht reagierte. Sekunden, in denen er zu überlegen schien, und die Ren wie eine Ewigkeit vorkamen. Sekunden, in denen er bereits damit rechnete, dass Goro wieder ablehnen würde, und so alles von vorne beginnen würde, bis Ren schlussendlich aufgab.
Er war so sehr in diese Gedanken vertieft, dass er die Antwort seines Gegenübers beinahe überhört hätte.
Goro seufzte und wandte den Kopf zur Tür. „Unter der Bedingung, dass du jetzt damit anfängst“, meinte er kühl. „Lass uns das wenigstens schnell hinter uns bringen.“
In diesem Moment kam Ren gar nicht dazu, die Implikation, die in seinem letzten Satz lag, zu realisieren, geschweige denn, ihr Aufmerksamkeit zu schenken. „Danke“, murmelte er, den Kopf gesenkt; auch, wenn er wusste, dass Goro immer noch von ihm abgewandt war, stellte sich irgendetwas in ihm dagegen, ihm ins Gesicht zu sehen.
Irgendwo war es lächerlich, nach allem, was passiert war, und was auch sie beide miteinander erlebt hatten. Es gab etwas, das sie miteinander verband, auch, wenn Ren selbst nicht in Worte fassen konnte, was es war. Vielleicht- nein, wahrscheinlich stand er mit seinen Gefühlen allein da. Wahrscheinlich war er jetzt, wo es das Metaverse und die Phantomdiebe nicht mehr gab, nicht mehr als ein weiteres Gesicht für ihn.
Vielleicht fiel jetzt ja einfach alles an seinen Platz zurück, wie es eigentlich längst hätte sein sollen. Und vielleicht war Rens Platz in diesem System abseits der anderen, egal, was er versuchen sollte.
Langsam stand Ren auf, weniger, weil er es selbst wollte, als weil irgendeine namen- und formlose Stimme in seinem Kopf ihn dazu anwies. Er spürte, wie Goro sich wieder ein Stück näher zu ihm drehte, und diesmal musste er sich zwingen, seinen Blick nicht zu erwidern.
Ren wandte sich ab und entfernte sich einige Schritte, blieb jedoch stehen, bevor er die Tür öffnete. „Goro?“ Er drehte sich bewusst nicht um, wartete bewusst nicht auf eine Antwort, bevor er fortfuhr. „Versprich mir, dass du hier bleibst.“
Hinter ihm machte Goro ein undefinierbares Geräusch. „Komm schon, Amamiya.“ In seiner Stimme lag ein unruhiger Unterton. „Wo sollte ich jetzt denn hingehen?“
Es war nicht so, dass Ren den Sarkasmus in seiner Stimme nicht gehört hätte. Es war auch nicht so, dass er kein schlechtes Gefühl hatte, als er aus dem Zimmer trat und die Tür bewusst einen Spalt offen stehen ließ, aber gleichzeitig war es die Logik, die ihn Goro vertrauen ließ. Immerhin war er immer noch verletzt, und selbst, wenn er das Zimmer verlassen sollte, müsste er ihn hören.
Ganz abschütteln konnte er den drückenden Schmerz in seiner Brust trotzdem nicht, als er langsam durch das Haus ging.
Morgana, der auf dem Sofa zusammengerollt gelegen hatte, richtete sich sofort auf und trabte zu Ren hinüber, als er den Raum betrat. „Und?“ Er zuckte mit einem Ohr. „Was ist passiert?“ Obwohl ein skeptischer Unterton in seiner Stimme lag, gelang es ihm doch nicht so ganz, die Neugier darin zu verbergen.
Ren seufzte. „Nichts, was mich überraschen hätte dürfen.“ Je mehr er darüber nachdachte, desto lächerlicher kam es ihm vor, wirklich erwartet zu haben, dass Goro… nun ja, sich ansatzweise kooperativ zeigen würde.
Morgana schüttelte den Kopf. Seine Krallen machten ein klackendes Geräusch auf dem Boden, als er Ren in die Küche folgte. „Ich hatte gleich kein gutes Gefühl dabei“, meinte er ernst und sprang auf die Theke. „Ich dachte nicht, dass es gut gewesen wäre, gestern etwas zu sagen, aber…“ Er legte die Ohren zur Seite.
Etwas halbherzig zog Ren die Mundwinkel nach oben und fuhr dem Kater mit seiner freien Hand über den Kopf. „Ganz so stimmt das ja nicht“, murmelte er, bevor er sich dem Tablett in seiner anderen Hand zuwandte. „Du hättest ihn auch nicht weggeschickt, oder einfach ignoriert.“
„Natürlich nicht.“ Mit einem Miauen richtete sich Morgana ein Stück höher auf und schüttelte den Kopf. „Aber…“ Mit einem Schlag war seine Stimme wieder ernst. Ren, der sich bereits wieder zum Gehen gewandt hatte, hielt inne und drehte sich zu dem Kater um. „Kommt dir nichts an der Sache komisch vor? Ich…“ Sein Schwanz strich über die Theke. Morgana hatte den Blick gesenkt, als würde er selbst noch darüber nachdenken, was er sagte. „Ich weiß nicht, ob wir ihm vertrauen sollten.“
Ren unterdrückte ein Seufzen. Ich auch nicht. Dieser Gedanke kam ihm, bevor er es verhindern konnte, oder darüber nachdenken, ob es wirklich die Wahrheit war. Nach allem, was mit Maruki passiert war, fühlte sich der Gedanke, Goro nicht zu vertrauen… seltsam an. Damals waren sie auf diese Verbindung, sei sie auch nur künstlich und vorübergehend, angewiesen gewesen. Trotz allem, was zuvor passiert war, hätten sie ohne diese Basis nicht Seite an Seite kämpfen können, und…
„Ich will, dass du es aussprichst.“ Goros Stimme schoss durch seinen Kopf, so scharf, beinahe schmerzhaft, dass er kurz die Augen schloss. „Was wirst du jetzt tun?“ Was wäre wohl passiert, hätte er Goro an diesem Abend nicht vertraut?
Aber es war sinnlos, über das alles nachzudenken. Er war nicht mehr in Tokio, und damit fühlte sich alles, was in diesem Jahr passiert war, ewig entfernt an. Die Phantomdiebe gab es nicht mehr, und damit war er auch nicht mehr ihr Anführer. Hier ging es um nichts, außer ihn und Goro.
Nachdem er sich all dem bewusst war, konnte er ihm jetzt vertrauen?
„Es ist alles in Ordnung, Morgana.“ Ren hörte seine eigene Stimme, ohne dass er sich bewusst gewesen wäre, diese Worte ausgesprochen zu haben. Er hatte selbst nicht das Gefühl, als würde seine Stimme auch nur eine Spur überzeugter klingen, als er sich fühlte. „Eines nach dem anderen. Und es wird alles gut werden.“ Er war sich nicht ganz sicher, an wen von ihnen dieser Satz gerichtet war. Vermutlich wussten sie es ohnehin beide besser.
Morgana antwortete nicht mehr, und ein Teil von Ren war ihm fast dankbar dafür. Der zweifelnde, besorgte Blick des Katers, den er auf sich spüren konnte, war mehr, als er wissen musste.
Wissen wollte.
Ein wenig zu schnell, als dass es nicht auffallen würde, machte Ren sich auf den Rückweg. Es war nicht so, als hätte er nicht erwartet, dass sein nächstes Gespräch mit Morgana so laufen würde; nichtsdestotrotz hatte es ihn in einem unguten Gefühl bestätigt, von dem er gewusst hatte, dass es ihn die ganze Zeit über nicht losgelassen hatte, nur, dass er es jetzt nicht mehr ignorieren konnte.
Nein, so würde er nicht denken. Er stand unter keinem Druck mehr, schnelle Entscheidungen zu treffen, und vielleicht war es in dieser Situation richtig, abzuwarten. Er würde Goro dazu bringen, ihm Antworten zu geben, eine Erklärung, oder einfach nur bei ihm zu bleiben. In diesem Moment war das alles, was er tun musste.
Dieser Gedanke hätte Ren beruhigen sollen. Ihn daran erinnern, dass er alles getan hatte, und dass alles gut war, wenigstens für diesen einen Moment. Dass sein schlechtes Gefühl stattdessen nur stärker wurde, hätte ihm, im Nachhinein, vielleicht eine Warnung sein sollen. Eine Erinnerung, dass ein Teil von ihm wusste, was ihn hinter der Tür zu seinem Zimmer erwarten würde, noch bevor er sie öffnete.
Vielleicht hätte er das wissen sollen, vielleicht war ihm auch von Anfang an bewusst gewesen, dass er einen Fehler gemacht hatte. All das war ihm klar, und trotzdem musste er in diesem Augenblick feststellen, dass er nicht darauf vorbereitet gewesen war.
Der Raum war leer.
Langsam, seine eigenen Bewegungen nur ganz am Rand wahrnehmend, stellte Ren das Tablett auf den Boden. In diesem Moment kam es ihm nicht einmal in den Sinn, zu rufen, oder dass Goro immer noch in der Nähe sein könnte- sein müsste, in seinem Zustand war es wenigstens nicht realistisch, dass er in dieser kurzen Zeit weit gekommen war. Aber diese Gedanken erreichten Ren nicht. Alles, was in diesem Moment in seinem Kopf Platz hatte, war eine Stimme, die er nicht zuordnen konnte, und die immer wieder die gleichen Worte wiederholte. Ich habe es doch gewusst.
Was… hatte er sich dabei gedacht?
Es dauerte einige Sekunden, bis die Bedeutung dieser Worte seinen Verstand erreichte, und die Erkenntnisse, die damit einher gingen.
Er hätte nicht gehen dürfen. So gut hätte er Goro schließlich kennen müssen, gerade nach allem, was passiert war, seit er hier aufgetaucht war. Das alles war viel zu schnell gegangen, viel zu surreal, viel zu viel war auf einmal passiert, und eigentlich hätte es genauso gut ein Traum sein können.
Vielleicht war es besser, das ganze als genau das zu behandeln. Er wusste nicht, was passiert war, und Goro war ebenso wenig bereit gewesen, es ihm zu erklären. Vermutlich würde er ihn nie wiedersehen, also…
Egal, wie oft Ren diesen Gedanken wiederholte, etwas in ihm stellte sich dagegen, die Sache so zu akzeptieren. Alles, was er in ihm auslöste, war es, das stumpfe Messer tiefer in seine Brust zu schlagen.
Er wusste, dass Goro am Leben war- noch, wenigstens, ergänzte eine Stimme in seinem Kopf- und das war mehr, als er noch vor ein paar Wochen zu wünschen gewagt hätte. Er hatte ihn wiedergesehen, mit ihm gesprochen, und es wäre nicht das letzte Mal. Goro schuldete ihm noch einige Antworten, und so einfach würde er nicht aufgeben.
Aus irgendeinem Grund konnte er sich auch nicht dazu bringen, an diese Worte zu glauben.
Ren schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zurück in die Gegenwart zu zwingen, und hob das Tablett wieder auf, eine Spur schneller als normal. Eines nach dem anderen. Fürs erste würde er hier aufräumen, und dann könnte er sich immer noch überlegen, was er jetzt tun sollte. Technisch gesehen hatte er schließlich immer noch Goros Nummer, damit ließ sich immerhin ein bisschen etwas anfangen, und…
Alle von Rens Vorsätzen und Gedanken wurden mit einem Schlag unterbrochen, als sein Blick auf ein Stück Papier auf dem Bett fiel, das ihm zuerst nicht aufgefallen war. Ein ganzes Stück vorsichtiger, als er es zuerst aufgehoben hatte, stellte er das Tablett erneut ab und näherte sich langsam. Sein Herz schlug eine Spur zu schnell, er wusste nicht ganz, woher dieses Gefühl kam, aber irgendetwas an der Situation machte ihn nervös.
Zögernd hob Ren den Zettel auf und drehte ihn um. In Goros Handschrift war ein einzelner Satz darauf geschrieben worden, ein Satz, der keinen Sinn in der Situation ergab, und der Ren einen schmerzhaften Stich in der Brust versetzte.
Du wirst mir dafür noch dankbar sein.
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