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I am thou, thou art mine

Kurzbeschreibung
GeschichteSchmerz/Trost, Übernatürlich / P16 / Gen
Goro Akechi Morgana Protagonist
01.03.2021
02.02.2023
9
34.263
3
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01.03.2021 1.571
 
„Reeeeen…“ Das, was vermutlich eine Mahnung sein sollte, verlor durch Morganas gelangweilten Tonfall einen großen Teil seiner Wirkung und klang mehr nach einer klagenden Beschwerde. Unterstützt wurde die ursprüngliche Intention seiner Worte durch ein wiederholtes Streifen seiner Pfote am Arm des Angesprochenen- ohne, dass es irgendeine Art von Erfolg gezeigt hätte. Statt einer Antwort, oder einer anderen Reaktion, strich Ren ihm mit einer Hand abwesend über den Kopf, ohne von seinem Handy aufzusehen.

Morgana schien sich damit jedoch auch nicht zufriedengeben zu wollen, denn er sprang von der Lehne des Sofas hinunter und drückte seinen Kopf gegen Rens Hand. „Es ist spät“, beschwerte er sich. „Nur, weil deine Eltern nicht zuhause sind, müssen wir nicht die ganze Nacht wach bleiben.“

Seine Bemühungen schienen tatsächlich Früchte zu tragen, denn diesmal hob Ren den Kopf und lächelte schwach. „Dann warte nicht auf mich“, schlug er vor, wobei in seiner Stimme jedoch immer noch die gleiche Abwesenheit lag.

Morgana schüttelte den Kopf. „Ich habe gesagt, dass ich auf dich aufpasse“, stellte er klar. „Und ich halte mein Wort.“ Er hielt kurz inne, als würde er darauf warten, dass Ren reagierte. Als nach einigen Sekunden nichts geschah, legte er die Ohren zur Seite und schlüpfte unter Rens Arm durch, sodass er sehen konnte, was auf dem Handy dessen Aufmerksamkeit so stark beanspruchte. „Ren…“ Er drehte sich zu Ren um, in seinem Blick eine Mischung aus Mahnung und einer Spur Besorgnis. „Schon wieder?“

Ren drehte den Kopf zur Seite und schloss den Gruppenchat der Phantomdiebe, doch ansonsten fiel seine Verteidigung etwas halbherzig aus. „Ich habe nur auf eine Nachricht gewartet“, murmelte er, doch sein Tonfall, kombiniert mit der Tatsache, dass er Morgana nicht ansah, nahmen ihm etwas an Glaubwürdigkeit.

Und Morgana blieb dementsprechend unbeeindruckt. „Es ist mitten in der Nacht.“ Es gab noch eine Pause, nur, dass Morgana augenscheinlich diesmal nicht auf eine Reaktion wartete. Stattdessen schien er einen Moment lang nachzudenken, denn jeder Vorwurf war aus seiner Stimme verschwunden, als er wieder zu sprechen begann. „Mir fehlen sie auch, ja? Irgendwie, jedenfalls.“ Er leckte sich kurz über die Brust. „Aber ich habe dich, und du hast mich.“ Als Ren immer noch nicht reagierte, kletterte Morgana ganz auf seinen Schoß und sah ihn fordernd an. „Oder reiche ich dir nicht?“

Ren lachte leise auf. „Doch, keine Sorge.“ Er hielt inne, das Lachen verschwand langsam wieder aus seinem Gesicht, als er den Blick von dem Kater auf seinem Schoß auf sein Handy senkte. „Ich dachte nur, wir würden uns treffen können, sobald wir keine Schule mehr haben…“

„Noch sind ja nicht die ganzen Ferien verplant“, erinnerte Morgana, wobei er jedoch auch nicht ganz überzeugt klang. „Wir haben noch genug Zeit.“

Wieder reagierte Ren nicht weiter. Auch sein Handy schien jetzt weniger interessant zu werden, denn er lockerte seinen Griff, lehnte sich einfach zurück und schloss die Augen.

Einige Sekunden lang schien Morgana nicht ganz zu wissen, was er mit dieser Entwicklung anfangen sollte, dann kletterte er von Rens Schoß herunter und sprang wieder auf die Lehne. „Vielleicht hättest du doch mit deinen Eltern mitfahren sollen“, meinte er.

„Ich wollte nicht“, antwortete Ren, ohne die Augen zu öffnen. „Außerdem hätte ich dich nicht ins Hotel mitnehmen können.“

Morgana zuckte mit einem Ohr, jedoch schien ihn dieses Argument überzeugt zu haben, denn er sagte nichts mehr dazu. Nur diese Spur Besorgnis, die schon die ganze Zeit über in seinen Augen gelegen hatte, blieb; wie eine Erinnerung daran, dass etwas nicht in Ordnung war.

Es waren ein paar Monate vergangen, seit er mit Ren Tokio verlassen hatte. Morgana selbst gefiel es in Inaba ganz gut, und eigentlich hatte er den Eindruck gehabt, dass auch Ren relativ optimistisch in die Zukunft blickte. Wann genau er begonnen hatte, sein Verhalten zu hinterfragen, wusste Morgana nicht mehr.

Es hatte klein begonnen; Ren schien seinen Eltern gegenüber stiller zu werden. Es war eine schleichende Entwicklung gewesen, sodass Morgana sich lange nicht einmal sicher war, dass er sich das alles nicht nur einbildete, vielleicht auch nur seine eigenen Gefühle auf Ren projizierte, aber spätestens, als er begann, sich ihm gegenüber ähnlich zu verhalten, war Morgana sich sicher, dass irgendetwas nicht stimmte.

Was genau das war, konnte er nicht sagen. Und damit wusste er auch nicht ganz, was er tun sollte. Ren wirklich darauf anzusprechen, hatte er zwar vielleicht in Erwägung gezogen, aber selbst, wenn es ihm in den Sinn gekommen war, hatte er es direkt wieder verworfen. Irgendetwas sagte ihm, dass Ren sowieso auf keinen seiner Versuche reagieren würde, so, wie es auch bei seinen subtileren Anläufen der Fall war.

Morgana hatte lange Zeit über sein bestes versucht, dieses Gefühl der Hilflosigkeit zu verdrängen, was nur dazu geführt hatte, dass es zu einem ständigen Begleiter geworden war. Und damit musste er sowieso…

Das Geräusch der Türklingel, das Morgana aus seinen Gedanken riss, war nicht laut, aber durch die Stille, die um sie herum geherrscht hatte, hallte es in seinen Ohren nach und lenkte ihn für einen Moment davon ab, dass sein Herz viel zu schnell schlug. Ein Teil von ihm wusste, dass es lächerlich war, sich nach allem, was ihm im Metaverse- und zugegebenermaßen, auch in der realen Welt- passiert war, noch von so einer Kleinigkeit erschrecken zu lassen. Oder eigentlich, sich überhaupt von so einer Kleinigkeit erschrecken zu lassen, unabhängig von seiner Vorgeschichte.

Ren schien es jedoch nicht anders zu gehen- was die Sache eher unangenehmer als besser machte- denn er zuckte zusammen und ließ dabei das Handy fallen, ansonsten reagierte er jedoch nicht. Zwar wirkte er etwas aufmerksamer als zuvor, machte aber keine Anstalten, aufzustehen und nachzusehen, was Morganas schlechtes Gefühl nicht unbedingt minderte. „Wer ist das noch, so spät?“ Er blinzelte und drehte den Kopf zu Ren; in seinem Blick lag eine weitaus deutlichere Botschaft als in seiner Stimme.

Das wiederum hatte eine gewisse Wirkung auf Ren. Er schloss die Augen und überlegte kurz, ohne wirklich zu erwarten, dass er tatsächlich zu einem Ergebnis kommen würde. Genau genommen stellte er sich die gleiche Frage wie Morgana; nicht, dass er überhaupt Besuch erwartet hatte, aber zu diesem- wie spät war es überhaupt? Er hob sein Handy wieder auf. Die Anzeige auf dem Display zeigte kurz nach elf Uhr.

Wirklich, wer zur Hölle sollte das jetzt noch sein?

Morgana legte die Ohren zur Seite. „Du solltest nachsehen“, schlug er vor, wenngleich er ein wenig verunsichert klang. Zwar war sich Ren nicht sicher, ob er sich diese Emotionen in der Stimme des stolzen Katers nicht nur einbildete, aber so oder so könnte er es ihm nicht verdenken.

Ohne einen weiteren Kommentar legte Ren sein Handy auf den Tisch und stand auf. Einen Moment lang verblieb er in dieser Position und überlegte. Es war doch ungefährlich, wirklich zu reagieren, richtig? Immerhin wäre es schon eigenartig genug gewesen, wäre tagsüber irgendjemand vorbei gekommen.

Die letzten Male, in denen ihn jemand so spät noch kontaktiert hatte…

Dieser Gedanke war es, der Ren schlussendlich dazu bewegte, eine Entscheidung zu treffen. Seine Freunde hatten ihm in Tokio immer nur geschrieben, wenn sie am nächsten Tag etwas unternehmen wollten, und natürlich war ihm vollkommen bewusst, dass es keiner von ihnen sein würde, der- aus welchem Grund auch immer- vor seiner Tür stand.

Vermutlich hatte er jetzt einfach nur erreicht, dass er tatsächlich enttäuscht sein würde, wenn sich nun herausstellte, dass sich irgendein Betrunkener an der Tür geirrt hatte. Es stimmte, Ren wusste, dass es keiner von seinen Freunden war, wenn auch ein Teil von ihm darauf hoffte. Er konnte es nicht ändern, auch, wenn er es versuchte.

Seufzend verdrängte Ren diese Gedanken irgendwo in seinen Hinterkopf, wo sie hergekommen waren, und löste sich aus seiner Starre. Wenn er schon mit dieser Enttäuschung konfrontiert werden würde, war es vermutlich am besten, die Sache schnell hinter sich zu bringen. Er spürte Morganas Blick, als er zur Tür ging, aber der Kater folgte ihm nicht und für einen Moment war Ren ihm ehrlich dankbar dafür. Irgendwie war der Gedanke daran, allein zu sein, sei es auch nur für einen kurzen Moment, ironisch tröstlich.

Vielleicht war es auch dieses Gefühl, das ihn dazu veranlasste, noch einige Sekunden zu warten, bevor er schließlich die Tür öffnete. Vielleicht wollte er auch nur etwas länger an diesen lächerlichen Vorstellungen festhalten. Wer auch immer das war, wäre wohl sowieso schon längst wieder verschwunden, sollte er es eilig gehabt haben.

Das alles war wenigstens das, was Ren gedacht hatte.

Er hatte gedacht, ein Teil von ihm würde wirklich daran glauben, dass einer seiner Freunde hierher gekommen war. Dass es eine gute Entscheidung war, das Klingeln nicht einfach zu ignorieren. Dass in dieser Sache… wirklich so etwas wie Bedeutung steckte.

Doch in dem Moment, in dem er die Tür öffnete, wurde Ren mit einem Schlag bewusst, dass er- obwohl er offensichtlich so sehr darauf gehofft hatte- auf keines dieser Ereignisse vorbereitet gewesen war. Und dass er nicht wusste, was er tun sollte, sollten sie tatsächlich eintreten.

Und so kam es, dass er in den ersten Sekunden überhaupt nicht reagierte. Er starrte sein Gegenüber einfach nur an, ohne, dass einer von ihnen irgendetwas sagte, und versuchte irgendwie, das Bild zu verarbeiten, dass sich ihm gerade bot. Ren wusste, dass er sich eigentlich schon längst an solche absurden Ereignisse gewöhnt haben sollte, nach allem, was im letzten Jahr geschehen war.

Nein, das war eindeutig nicht das Seltsamste, was ihm bereits passiert war. Und trotzdem brauchte er einige Sekunden, bis er die Situation genug erfasst hatte, um wenigstens ein Wort hervorzubringen.

„Akechi?“
 
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