Double Trouble
von Kuerbiskatze
Kurzbeschreibung
| Akiyama Shun x Tanimura Masayoshi / AkiTani | Valentinstags-OS | Da Tanimura am Valentinstag arbeiten muss - und an besagtem Tag ganz Kamurocho stets komplett durchdreht - beschließt Akiyama kurzerhand, seinem Freund bei dessen Streife durch das Vergnügungsviertel zu begleiten.
GeschichteHumor, Romance / P12 / MaleSlash
Masayoshi Tanimura
Shun Akiyama
12.02.2021
12.02.2021
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8.384
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12.02.2021
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Double Trouble
Mit verschwitzten Händen griff Shun Akiyama nach seinem Handy, das vor ihm auf dem Kaffeetisch lag. Kurz bevor seine Fingerspitzen das kleine Gerät berühren konnten, verharrten sie jedoch unverrichteter Dinge in der Luft, zitternd und unschlüssig angesichts dessen, was vor ihm lag.
Seit einer geschlagenen halben Stunde versuchte er sich selbst Mut zuzusprechen, aber irgendwie machte dieses Vorhaben die ganze Angelegenheit nur noch viel schlimmer, denn je länger er abwartete, desto deutlicher legte sich ein grauer Schatten der Unsicherheit über seine Gedanken.
Er räusperte sich lautstark und atmete tief durch. So beschlagen wie seine Stimme klang, würde er vermutlich zunächst sowieso kein Wort herausbringen …
„Sei doch nicht kindisch, Shun“, murmelte er an sich selbst gewandt und griff dann endlich beherzt nach dem Handy. „Du hast doch schon hunderte Male mit ihm gesprochen ...“
Allerdings hatte er ihn auch schon die letzten zwei Wochen gefühlte hunderte Male versetzt und so langsam war dies zu viel für seine Nerven. Bitte, bitte nicht heute schon wieder.
Also schnell zur Kurzwahltaste.
Er wählte. Lauschte dem Tuten, bevor abgehoben wurde.
Tut …. Tut …. Tuuuuuut …. Klick.
„Ja? Tanimura hier?“
Akiyamas Herz machte einen Hüpfer, doch zu seinem Missfallen erkannte er einen Augenblick später, wie aus seiner Kehle ein lächerlich klingendes Quieken entwichen war, als er die Stimme seines Freundes vernommen hatte. Spontan musste er an das Quietschspielzeug eines hyperaktiven Hundes denken und hätte sich dafür am liebsten selbst einen Klaps auf den Hinterkopf gegeben.
Erneut räusperte er sich gekünstelt und versuchte dann so locker wie möglich zu klingen. „Hey, hey, hübscher Junge, ich bin‘s!“
Er konnte ein amüsiertes Schnauben durch das Handy vernehmen. „Ich weiß. Brauchst du was?“
Ja. Ihn. Aber er konnte ja nicht so salopp mit der Tür ins Haus fallen, oder? Sonst würde es sicher wieder nur eine Absage hageln ...
„Nun“, begann er und spielte mit der freien Hand nervös an seinem Goldkettchen herum, „ich hab mich gefragt, ob du heute eventuell ...“ Der Mut verließ ihn.
„ … Ja?“, hakte Tanimura leise nach.
„Äh, nun … Ich dachte mir, hey, vielleicht hast du ja Lust, was zu unternehmen? Nichts Großes! Nur … mal sehen.“
Kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung und Akiyama sank das Herz in die Hose.
„Tut mir leid. Du weißt doch, dass ich arbeiten muss. Die haben mich wirklich am Wickel. Ich glaube, dieses Mal fliege ich tatsächlich, wenn ich nicht ein paar Pluspunkte abstauben kann. Es... tut mir leid.“ Wenigstens lag ehrliches Bedauern in seiner Stimme.
„Oh, ja klar, sorry. Ich hab nicht mitgedacht, ich Trottel“, gab Akiyama zurück und versuchte dabei betont locker zu klingen. War ja nichts dabei. Gar nicht. Total in Ordnung – mal wieder.
Tanimura zögerte mit einer Antwort, stattdessen vernahm Akiyama nur ein langgezogenes Brummen, wie er es so oft von sich gab, wenn ihm etwas nicht passte. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht bei der Vorstellung, wie ernsthaft hin- und hergerissen sein Freund gerade wohl war …
„Ähm, ich weiß nicht, ob das für dich eine Option ist“, begann er dann einen Moment später und klang dabei tatsächlich ein wenig unsicher, „aber wenn es dich nicht stört, dass ich jederzeit spontan zu einem Einsatz muss ...“
„Nein! Stört mich nicht!“, platzte es erfreut aus Akiyama heraus, als er bemerkte, in welche Richtung sich das Gespräch jetzt letzten Endes doch noch entwickelt hatte. „Und wenn wir uns nur fünf Minuten sehen, ist das auch okay!“
Ein ehrliches Lachen drang durch den Hörer. „Gut! Ich bin sowieso gerade in der Nähe. Treffen wir uns vor der Eisdiele?“
„Ich bin sofort da!“ Er wartete gar keine Antwort mehr ab. Keine Zeit zu verlieren!
Schließlich war heute … Valentinstag.
Es war sicher nicht so, dass Akiyama dies irgendwie gekünstelt aufbauschen wollte. Sie waren beide erwachsene Männer und ganz sicher weit davon entfernt, sich nervös stotternd Schokolade zu überreichen. (Schon allein die Vorstellung ließ ihn vor Scham den Mund verziehen und bereitete ihm fast schon körperlichen Schmerz.)
Obwohl er eigentlich durchaus dazu neigte, Feiertage in etwas wirklich Großes zu verwandeln, wenn sie für seine bessere Hälfte wichtig erschienen, war ihm klar, dass es darauf heute nicht ankam. Aber die allgemeine Grundstimmung …
Die war durchaus ansteckend. Jeder schien heute ausschließlich mit ausgeprägtem Turteln beschäftigt zu sein.
Doch es gab noch einen weiteren Auslöser dafür, wieso er diesem Treffen so entgegenfieberte.
Leider hatten die Personen, in die er sich verliebte, die hässliche Tendenz auf wundersame Weise aus seinem Leben spontan zu ‚verschwinden‘.
Akiyama war ganz sicher kein von Selbstzweifeln geplagtes nervöses Wrack - und er tendierte auch nicht zur Eifersucht. Ganz im Gegenteil, er war eher zu gutmütig, immerzu verzeihend und sah schon mal gern etwas durch die rosarote Brille. Aber irgendwie hatte er wohl in Liebesangelegenheiten kein Glück verdient … Und so langsam zerrte diese ständige Abweisung der letzten Wochen an seinen Nerven und hatte ihn nachdenklich werden lassen, ob es dieses Mal auch so enden würde wie die Male zuvor ...
Irgendwie hatte er sich in den Kopf gesetzt, dass dies ein unausgesprochener Test an sich selbst war: Würde er es wenigstens heute schaffen, Tanimura dazu zu bringen, ihn seiner Arbeit vorzuziehen?
Womöglich war das auch ein etwas unfairer Gedanke; ihm war ja klar, dass sein Freund wirklich alles in letzter Zeit hatte schleifen lassen (Woran er selbst auch nicht ganz unschuldig war) und ein paar wohlwollende Klapse auf den Rücken aus der obersten Polizeietage ganz sicher nicht schaden würden.
Aber wie er es auch drehte und wendete: Akiyama vermisste ihn einfach schrecklich.
Daher wollte er diesen Tag nun einmal nicht verstreichen lassen, ohne Tanimura wenigstens einmal gezeigt zu haben, wie wichtig er ihm war....
… Leider äußerte sich das wohl bereits zu Beginn ihres Treffens nicht gerade grandios.
Als Akiyama seinen Freund erblickte, war er spontan derart aus dem Häuschen, dass er ihn fast von den Füßen riss.
Aber hey, es war nicht seine Schuld gewesen; was konnte er denn dafür, dass Tanimura so unverschämt gut aussah, wie er so ganz locker mit dem Rücken lässig gegen die Scheibe gelehnt dort stand und mit seinen schönen, dunklen Augen gedankenversunken in die Ferne blickte …? Nicht mal der lächerliche, übergroße Eisbecher aus Kunststoff konnte diesen zauberhaften Anblick trüben.
Leider hatte er wohl Akiyamas spontanen Anfall von Begeisterung nicht kommen sehen und ging beinahe stolpernd zu Boden, als dieser sich ihm um den Hals warf.
„Akiyama, spinnst du?“ Er schob ihn von sich, als sei er ein giftiges Insekt, doch sein verlegener Blick machte das alles mehr als wett.
„Hey, Baby!“ Er legte sein breitestes Grinsen auf, erntete aber nur wütendes Schnauben.
So war er eben.
Akiyama wusste ja, wie schnell Tanimura nervös wurde, wenn er ihm in der Öffentlichkeit Liebesbekundungen ins Ohr flüsterte oder ihn in eine Umarmung zog. Er war eben nicht der Typ dafür, seine Gefühle so offen auszuleben und hatte die etwas konservative Anschauung, dass man mit dem, was man so vor anderen Leuten miteinander machte, ein wenig vorsichtiger sein musste.
Ihn selbst störte das alles gar nicht. Weder die Blicke, noch die Tatsache, dass er sich vermutlich ziemlich zum Affen machte und wirkte, als sei er ein dämlicher, frisch verliebter Teenager und nicht ein erwachsener Mann über 30.
Manchmal machte er all das mit purer Absicht um ihn zu necken, aber gerade war seine Freude durch und durch echt.
„Warn mich bitte das nächste Mal, wenn du so etwas machst“, murmelte Tanimura säuerlich und zupfte hektisch an seiner Krawatte herum.
„Wieso, damit du abwehren kannst?“, entgegnete er vergnügt.
„Oder mir wahlweise überlegen, wie hart der Kinnhaken ausfallen wird, den ich dir im Anschluss verpassen werde.“ Er bedachte Akiyama mit einem letzten, mahnenden Blick und wechselte dann dezent das Thema: „Also, an was hast du denn gedacht?“
Tja. Gute Frage. So weit hatte er nicht vorausplant. Er war eher ein Improvisationstalent, immer schon gewesen. „Äh, um ehrlich zu sein …“ Nervös kratzte er sich am Hinterkopf. „Ich wollte dich einfach nur sehen, und wenn es nur für fünf Minuten ist. Es kam … ein wenig kurz in letzter Zeit.“
„Oh, Akiyama, ich …“ Tanimura schnalzte mit der Zunge und blickte kurz schuldbewusst zur Seite. „Na gut, wie wäre es mit -“
Seinen Satz vollendete er nicht, denn etwas schien spontan seine volle Aufmerksamkeit zu fordern.
Irritiert hob Akiyama die Brauen und beobachtete seinen Freund, wie er konzentriert ins Leere starrte und sich dabei kurz ans rechte Ohr griff.
Oh nein … Er ahnte, was jetzt kommen würde …
Nach einem kurzem Moment warf er dann mit einem Seufzen den Kopf in den Nacken und murrte: „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht.“ Er blickte zu ihm und in seinen Augen lag ehrliches Bedauern. „Tut mir leid. Eine Meldung ist eingegangen. Ich bin leider praktisch direkt in der Nähe, muss also annehmen …“
„Schon in Ordnung.“ Vielleicht hätte er das mit den nur für fünf Minuten nicht sagen sollen …
Andererseits hatte das womöglich auch etwas Gutes? Akiyama war immer schon perfekt darin gewesen, aus den gegebenen Umständen das Beste zu machen. Wenn das Leben einem Zitronen gab, musste man eben einfach nur Limonade daraus machen!
Tanimura wandte sich zum Gehen. „Also dann …“
„Hey, und wenn ich mitkomme?“
„ … Bitte was?“
„Na ja“, begann Akiyama und verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere, „ich habe dich schon ewig nicht mehr in Aktion erlebt, Officer. Also ich meine … im Dienst.“
„Und das willst du jetzt ändern?“
„Ist doch nichts dabei! Ich könnte theoretisch auch einfach nur ein Passant sein, der zufällig in der Nähe herumlungert, oder?“
Nachdenklich fasste Tanimura sich kurz ans Kinn, während er mit in Falten gelegter Stirn abzuwägen schien. „Okay“, kam es einen Moment später ein wenig zögerlich aus seinem Mund, „Aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich spannend für dich ist?“
„Machst du Witze?“ Er rüttelte ihn an den Schultern, was Tanimura erneut ein Brummen entlockte – dieses Mal ein wenig warnend.
„Ich sage ja nur, dass das nicht unbedingt das ist, was man sich vielleicht als Laie darunter vorstellt.“
„Davon will ich mich selbst überzeugen!“
„Und so nebenbei sind die Leute am Valentinstag in ganz Kamurocho total durchgeknallt.“
„Ach, wie viel schlimmer kann es denn sein als der normale, wahnsinnige Alltag hier?“ Akiyama ließ nicht locker.
„Meinetwegen“, gab Tanimura letztendlich nach, wirkte aber nach wie vor noch nicht ganz überzeugt von der Idee. „Aber halt dich bitte zurück, ja?“
Akiyama salutierte spielerisch. „Jawohl, wird gemacht!“ Freudig folgte er Tanimura auf dem Fuße.
Nach ein paar Metern allerdings packte ihn die Neugierde. „Und? Was machen wir jetzt?“
„Wir? Akiyama, wir machen gar nichts. Ich kümmere mich um einen Mann, der vor einem Laden Richtung Shichifuku Street Ärger macht und die Verkäuferin belästigt. Und du wartest artig in gebührendem Abstand.“
„Ha ha, okay, okay …“
Besagten Unmut verbreitenden Mann konnte man schon aus weiter Ferne lautstark und durchaus nicht komplett nüchtern wirkend krakeelen hören: „Aber ich liebe dich doch!“
„Hören Sie auf damit!“ Die Stimme war die einer jungen Frau, die sichtlich nervös und aufgebracht vor dem Mann stand und hilfesuchend in alle Himmelsrichtungen blickte.
„Hn, sieht eindeutig nach Drama aus“, murmelte Akiyama schlussfolgernd, während Tanimura ihm streng mit dem rechten Zeigefinger bedeutete, an Ort und Stelle zu verharren und sich dann anschickte, den Mann zur Rede zu stellen.
„Was ist denn hier los?“, richtete er sogleich an den Unruhestifter und verschränkte die Arme vor der Brust. „Gibt es Ärger?“
„Und ob!“, lallte der korpulente Mann und blickte zu der jungen Frau. „Sie sagt, sie liebt mich nicht mehr!“
„Nicht mehr?!“, war ihre Antwort. „Ich kenne Sie nicht mal!“ Pikiert wandte sie sich an Tanimura. „Officer, verhaften Sie ihn?“
„Nun, so leicht ist das nicht …“
„Aiko-chan, ich liebe dich!“
„Mein Name ist nicht Aiko, Sie Wahnsinniger!“
Akiyama verzog die Mundwinkel und war sich nicht so ganz sicher, ob sich dieses Kasperletheater vor ihm gerade wirklich abspielte oder er einen ziemlich merkwürdigen Tagtraum erlebte. Ganz egal was zutraf, er amüsierte sich dennoch prächtig.
„Aiko, wir wollten doch eine Familie gründen!“
„Ich habe einen Freund!“
„Aber erkennst du mich nicht? Ich bin dein Freund!“
„Schluss jetzt!“, ging Tanimura resolut zwischen die beiden Streithähne und seufzte resigniert. „Also jetzt ganz langsam. Sie sagen, Sie kennen ihn nicht“, meinte er an die Frau gewandt, blickte dann anschließend zu dem Mann und fragte: „Und Sie sagen stattdessen, sie liebt Sie nicht mehr?“
„Ich weiß doch nicht mal, wer dieser betrunkene Verrückte sein soll, habe ich doch gerade schon erklärt!“, keifte die junge Verkäuferin erneut und stampfte auf.
„Richtig, richtig“, brummte Tanimura und schien gerade sämtliche Geduld in sich zu sammeln, die er aufbringen konnte. „Hören Sie“, richtete er dann einen Augenblick später an den Mann: „Ich glaube, Sie haben hier die falsche Dame vor sich. Was halten Sie davon, wenn Sie mal kurz durchatmen, dann nach Hause gehen, ein paar Stunden schlafen und Aiko anschließend anrufen?“
„Gute Idee!“, keifte Nicht-Aiko neben ihm und schien vor Wut fast Funken zu sprühen.
In den Augen des Mannes bildeten sich Tränen und mit einem schiefen Winseln schrie er: „Habe ich versucht! Sie hat meine Nummer gesperrt!“
„Dann würde ich sagen, Sie sollten sich wie ein Mann verhalten und akzeptieren, dass Aiko Sie nicht mehr sehen möchte“, konnte Akiyama seinen Freund überzeugt sagen hören.
„Nein! Aiko-chan!“ Mit einem Schrei der Verzweiflung brüllte der Mann gen Himmel – und versuchte im nächsten Moment, sich liebestoll auf die junge Frau zu stürzen, was Tanimura aber in letzter Sekunde zu verhindern wusste, indem er ihn kurzerhand mit auf dem Rücken verdrehten Armen bäuchlings auf den Boden beförderte.
„Sorry, aber das geht zu weit“, drohte er und griff nach seinen Handschellen.
… Ehe er plötzlich wie vom Schlag getroffen innehielt und zusammen mit dem Unruhestifter sowie Nicht-Aiko in ein und dieselbe Richtung starrte.
Irritiert tat Akiyama es ihnen gleich – und er verstand plötzlich, warum sie so schockiert waren.
„Woah, man sagt zwar, jeder hat ‘nen Doppelgänger, aber das ...“, raunte Akiyama zu sich selbst, als er die junge Frau musterte, die sich gerade daran machte, sich an den Arm eines Mannes zu klammern, der wohl doppelt so alt, doppelt so dick und vermutlich ebenfalls doppelt so reich war wie der Durchschnittsbürger Tokyos.
Doch der Mann war nicht das Entscheidende hier … Die Frau glich der armen Verkäuferin wie ein Ei dem anderen.
„Aiko-chan!“, brüllte der Mann schockiert, den Tanimura noch immer am Boden festhielt.
„Hä?“, gab dieser nur gedehnt zurück und schien die Welt nicht mehr zu verstehen.
„Sie sieht ja aus wie … ich“, nuschelte zum Abschluss die junge Frau vor dem Laden.
Akiyama steckte sich eine Zigarette an und hatte den Spaß seines Lebens.
Mit einem koketten Augenaufschlag blickte die richtige Aiko in die Richtung, aus der sie ihren Namen vernommen hatte. „Oh, Takeshi, hallo!“, rief sie unverblümt und winkte kurz.
„Wer … ist das …?“, gab der Mann unter Tanimura, der nun eindeutig als Takeshi identifiziert war, gebrochen von sich und wirkte so gar nicht mehr betrunken. Das war wohl ein Fall von spontaner Schock-Ausnüchterung, befand Akiyama.
Kichernd hielt sich Aiko die Hand vor den Mund und meinte vergnügt: „Mein neuer Freund. Viel Spaß noch, bye-bye!“ Mit diesen Worten wackelten sie und der dreckig grinsende Kerl an ihrer Seite Richtung Hotel District davon. Zumindest für die beiden schien das heute noch ein Happy End zu geben …
„Wie … grausam ...“, murmelte die junge Verkäuferin und blickte ihnen nach.
Tanimura seufzte, löste die Handschellen und zog den Mann auf die Beine. „Da haben wir wohl die Lösung, auch wenn das wirklich … überraschend kam.“
„Aiko-chan!“, rief Takeshi gebrochen hinterher, erhielt aber keine Antwort.
„Herr Polizist …?“, murmelte Nicht-Aiko.
„Ja...?“
„ … Lassen Sie Takeshi bitte gehen?“
„Wie jetzt?“
Nun ebenfalls mit Tränen in den Augen griff Nicht-Aiko nach den Händen des gehörnten Mannes und meinte: „Niemand sollte am Valentinstag so etwas erleben!“
Tanimura blickte voll Schock zwischen die beiden. „Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie …“
„Ich bin jetzt zukünftig deine Freundin, Takeshi-kun! Mein Name ist Ayame!“
Mit offenem Mund starrte Takeshi sie zunächst an, bevor sein Gesicht sich aufhellte und er voll Glück und Stolz krakeelte: „Ayame-chan!“
„Takeshi-kun!“
„Ayame-chan!“
„Takeshi-kun!“
Akiyama brach in schallendes Gelächter aus.
„Das … ähm. …. Alles Gute“, nuschelte Tanimura, doch die beiden ‚frisch Verliebten‘ würdigten ihn keines Blick mehr.
„Das war eine der skurrilsten Situationen, die ich je erlebt habe!“, gab Akiyama prustend von sich, als sein Freund kopfschüttelnd an seine Seite zurückgeeilt war.
„Nicht nur du …“, murmelte dieser und steckte mit einem Ausdruck puren Unglaubens die Hände in seine Jackentaschen. „Und das will in Kamurocho was heißen.“
„Aber sag mal“, fiel es Akiyama plötzlich ein, „meinte Ayame-chan nicht, sie hätte bereits einen Freund?“
„ … Japp. Meinte sie.“
Das war jetzt aber nun wirklich nicht mehr das Problem der beiden, und so machten sie sich erneut daran, gemeinsam ein wenig Zeit zu verbringen.
… Oder zumindest … versuchten sie es.
„Willst du essen gehen?“, fragte Akiyama behutsam.
„Bei meinem Glück muss ich mich gleich vor Ort um einen Zechpreller kümmern“, war die geseufzte Antwort.
„Äh … und wie wäre es dann stattdessen mit Yunosono?“ Verschwörerisch hielt er die Hand vor den Mund und flüsterte ihm ins Ohr: „Du, ich und das Ônsen, was sollte da schon schief gehen?“
Zwar war der beschämte Ausdruck auf seinem Gesicht auch Gold wert, aber leider lehnte Tanimura räuspernd ab. „Wetten dass sich ein Spanner vor dem Gebäude herumtreibt, dem ich quer durch den Bezirk nachhetzen muss?“
Er machte es einem aber auch schwer, ihn zum Entspannen zu bringen!
„Wie wäre es dann mit Karaoke?“
„Dafür bin ich definitiv nicht betrunken genug.“
„Dann ändern wir das!“
„Später vielleicht, aber nicht, wenn ich noch den gesamten Arbeitstag vor mir habe.“
„Hm … was hältst du dann stattdessen von Kino? Oder Bowling?“
„Ich meide den Bereich um den Theatre Square wo ich kann. Dort sind so viele Yakuza-Büros versammelt wie nirgendwo sonst. Da gibt es immer Ärger.“
„Ach komm schon, ist ja nicht so, als würde gleich eine Zombieapokalypse ausbrechen, nur weil wir dort ein wenig herum flanieren!“ Unschlüssig kratzte er sich am Kopf.
„Am Valentinstag würde ich nichts ausschließen, Akiyama.“
„Mann, das Leben als Polizist ist hart, oder?“
„ … Jetzt weißt du also, warum ich lieber Mahjong spiele.“
Unschlüssig schlenderten sie also durch die Straßen, aber auch das war irgendwie … in Ordnung. Schließlich konnte Akiyama seine Nähe genießen und ihn ein wenig ablenken.
Zumindest, bis Tanimura schlagartig stehen blieb und erneut in die vermeintliche Stille zu lauschen begann.
Neugierig beugte sich Akiyama nach links, ob er nicht vielleicht ein paar Worte aufschnappen konnte.
„ - … gesichtet. Ich wiederhole: Mann mit suizidaler Absicht auf den östlichen Dächern gesichtet. Alle in der Nähe befindlichen Einheiten, melden Sie sich am Einsatzort.“
„Uh, harter Scheiß“, raunte Akiyama.
„Du weißt aber schon, dass es strafbar ist, den Polizeifunk abzuhören? Ich könnte dich jetzt verhaften“, murrte sein Freund und warf ihm einen scheltenden Blick zu, während er seinen Kopf zur Seite neigte, um aus Akiyamas Hörradius zu gelangen.
„Verzeihung, Officer.“ Mit gespielter Demut verbeugte er sich, fügte dann aber einen Moment später mit einem Blick nach oben hinzu: „Ich meine, das klingt schon ernst. Wir sind in der Nähe, also ...“
„ … Werde ich tun, was ich muss.“
„Den Typen davon abhalten, sich herunterzustürzen?“
„Oder ihm eine gehörige Tracht Prügel verpassen.“
„...Macht man das so, wenn ein Mann derart verzweifelt ist?“, fragte Akiyama skeptisch.
Mit einem Schulterzucken erwiderte sein Freund merkwürdig abgeklärt: „Hätte er es wirklich vor, wäre er wohl schon gesprungen.“
„Na, ich weiß ja nicht ...“
Tanimuras Augen wanderten kurz zu Boden. „Halt mich bitte nicht für unsensibel … Aber ich musste mich schon diverse Male mit solchen Kerlen befassen. Und jedes Mal lief es darauf hinaus, dass am Ende ich derjenige war, der sich zur Wehr setzen musste, weil sie nicht mit sich reden ließen.“
„Ich sage ja gar nichts....“
Tanimura grummelte unzufrieden und setzte sich in Bewegung. „Also, kommst du jetzt oder nicht?“
„Schon dabei!“
...
„Haut alle ab!“, tönte es schon von weitem bis hinunter in die Pink Alley, über der ein Mann sich schwankend über das Geländer lehnte. „Oder ich springe! Ich mach das wirklich! Ganz im Ernst!“
„Woah“, Akiyama wich leicht zurück bei diesem Anblick. „Sieht übel aus.“
Mit skeptisch zusammengezogenen Augenbrauen starrte Tanimura nur nach oben, näherte sich einem der Polizisten, welche die Menge auf Abstand hielten und erkundigte sich nach dem Stand der Lage.
Akiyama lauschte, um die Antwort zu vernehmen: „Tanimura, gut, dass Sie da sind. Immer wenn wir versuchen, den Mann zur Besinnung zu bringen, dann …“ Er brach ab.
„Ja?“, hakte Tanimura nach und wirkte immer ungeduldiger.
„Nun. Er verprügelt uns und wirft dann einem nach dem anderen die Feuertreppe hinab. Wir haben jetzt schon insgesamt drei gebrochene Arme, fünf gebrochene Beine und sogar zehn gebrochene kleine Zehen zu beklagen!“
„Ich würde mal sagen, die kleinen Zehen sind das geringste Problem ...“, murmelte Tanimura und ließ resigniert den Kopf hängen. „Aber gut, ich gehe das Risiko ein, dass meine dasselbe Schicksal ereilt.“
„Seien Sie vorsichtig!“, rief der Polizist ihm hinterher und blickte sorgenvoll nach oben.
Ohne lange Umschweife folgte Akiyama seinem Freund, der allerdings so hastig eine Vollbremsung machte, dass er ihm gegen den Rücken stieß.
„Akiyama, was wird das?“
„Ich begleite dich?“
„Sorry, aber das wird nicht gehen.“
„Und wieso?“
„Du bist für so etwas nicht geschult. Das könnte den Kerl nur noch mehr in Rage versetzen.“
Akiyama suchte kurz nach den passenden Worten und als er sie letztendlich gefunden hatte, meinte er mit einem ernsten Ausdruck in den Augen: „Hör mal; ich mag zwar nicht ‚geschult‘ sein in solchen Dingen, aber der Kerl da oben ist am Limit. Total am Ende. Verzweifelt und aufgebracht. Wer weiß schon, was ihn dazu gebracht hat, so etwas Drastisches zu tun.“ Er machte eine kurze Pause, ehe er weitersprach. „Und weißt du was? Ich kann verstehen, wie er sich fühlt. Ich war selbst mal am Bodensatz der Gesellschaft angelangt und ohne Arai-san? Da würde ich sicher nicht mit dir hier stehen.“
Tanimura blickte voll Reue weg, als er diese Worte vernahm. „Okay … aber sag bitte nichts, was ihn dazu bringt, etwas Unüberlegtes zu tun.“
„Du kennst mich doch!“
„Ja, gerade deshalb erwähne ich es ja.“ Er setzte sich wieder in Bewegung, um die Treppe zu erklimmen, gefolgt von Akiyama, der die Stirn in tiefe Falten legte.
…
„Hä? Wie viele von euch Bullen kommen noch hier hoch?! Lasst mich in Ruhe! Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr!“
„Heilige Scheiße, der Kerl ist ja ein Hüne!“, gab Akiyama anerkennend von sich, als er den um sich brüllenden Mann näher musterte. Neben dem würde selbst Kiryu wie ein Knäblein wirken …
„Ganz richtig, Polizei“, knurrte Tanimura hingegen völlig unbeeindruckt. „Sie kommen jetzt ganz langsam vom Rand weg und wir unterhalten uns mal darüber, wieso man Polizisten nicht irgendwelche Treppen hinunterwirft.“
„Das verstehst du unter Deeskalation?!“ Akiyama glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können.
Der Mann vor ihnen atmete so heftig, dass seine Nasenflügel sich gefährlich weiteten. „Dann lasst mich gefälligst endlich alle in Ruhe!“ Mit der Faust drohend kam er ein paar Schritte in ihre Richtung.
„Siehst du? Bringt nichts, mit denen zu reden“, dröhnte Tanimura und erwiderte die Drohung, indem er mit den Handknöcheln zu knacken begann.
„Woah, woah, woah, stopp!“, rief Akiyama, der schon ahnte, wie sich die Situation gleich anspannen würde und sprang kurzerhand zwischen die beiden Streithähne. Die Hände hielt er dabei weit auf beide Seiten von sich gestreckt und blickte abwechselnd nach links, dann nach rechts. „Jetzt reden wir erst mal, okay? Wir sind doch alles erwachsene Männer, hier.“
„Ich will nicht mehr!“, jaulte der Hüne plötzlich, brach dramatisch die Hände in die Luft werfend zusammen und schlug mit den Fäusten um sich wie ein trotziges Kind. „Nichts hat mehr Sinn.“
Tanimura holte gerade Luft um etwas vermutlich weniger Einfühlsames zu äußern – Akiyama bedeutete ihm mit der Hand, still zu sein. Dann steckte er locker die Hände in die Hosentaschen, schritt zu dem sich am Boden windenden Mann und ging neben ihm in die Hocke.
„Ey, Kumpel. Willst du eine rauchen?“
Schlagartig hielt der Verzweifelte inne. Auf dem Rücken liegend blickte er auf und war vollkommen irritiert von dem warmherzigen Ton. „Was? Rauchen?“
„Yup.“ Er griff in sein Jackett und hielt ihm eine Zigarette entgegen. „Beruhigt das Gemüt, oder?“ Dann steckte er sich selbst einen Glimmstängel an und ließ sich auf den Hintern fallen. Er sagte sonst nichts, saß einfach nur neben dem unglaublich verwirrten Mann und lächelte.
„Akiyama...?“, murmelte Tanimura, wurde aber ignoriert.
Der Mann hatte sich indessen leise aufgerappelt und im Schneidersitz zu Akiyama gesellt. „Wer bist du …?“
„Stimmt ja, ich hab mich nicht vorgestellt. Akiyama Shun, hi.“ Er hob locker die Hand zum Gruß und zog dann wieder nur an seiner Zigarette.
„... Und du willst nicht versuchen, mich vom Dach zu zerren?“
„Nö.“
„Warum nicht?“
„Ich bin kein Polizist. Ich mach hier nur eine Raucherpause.“
„.... Aha.“
Betretenes Schweigen setzte ein, doch Akiyama verlor wie immer nicht seine Lockerheit. Nach ein paar weiteren Zügen blickte er dann aber doch ernst zu dem Mann und meinte: „Sag mal, was soll das Chaos hier eigentlich, Kumpel? Hast wohl keinen guten Tag, was?“
Erneut ging ein Zittern durch den Mann. „Meine Freundin … sie ...“
„Shit, hat sie dich abserviert? Und das heute?“
„Ja … für einen anderen …“
„So ein Dreck“, meinte Akiyama und fühlte seinen Schmerz. „Kenne ich. Ging mir vor ein paar Jahren ebenso. Meine Verlobte hat mich für einen Arbeitskollegen verlassen.“
„Wirklich?“
„Jo. Aber weißt du was? Das Leben geht weiter.“ Er machte eine kurze Pause und blickte zum Geländer. „Nur eben nicht, wenn du jetzt da herunterspringst. Dann war‘s das. Und glaub mir, das würdest du bereuen. Also vermutlich nicht, weil du‘s nicht mehr mitbekommen würdest, aber du weißt schon, was ich meine.“
„Aber ich liebe sie ...“
„Ich hab eine Idee. Ich lad‘ dich ein. Wir gehen jetzt da runter, geben uns so richtig die Kante und du wirst sehen, danach hast du ganz andere Probleme als Liebeskummer. Ich weiß, wo du dir den mächtigsten Kater ansaufen kannst seit Menschengedenken.“ Verschwörerisch grinsend blies er Rauch in die Luft.
Die ganze Zeit über konnte Tanimura wohl nicht so richtig glauben, was da vor ihm geschah, denn Akiyama bemerkte ganz genau aus den Augenwinkeln, wie er ohne Pause den Kopf schüttelte.
Der Hüne begann, mit seiner Unterlippe zu beben. „Ich … ich …“
„Hm?“, meinte Akiyama so locker und gut gelaunt wie immer.
„Ja … Bitte …“
Und zu dritt schritten sie die Treppe hinab, komplett ohne gebrochene Arme, Beine oder kleine Zehen.
...
Wenig später hatte Akiyama sein Versprechen eingelöst. Im Shellac saßen sie zu dritt an der Bar. Noch immer schien Tanimura nicht so wirklich nachvollziehen zu können, wie das alles vonstatten gegangen war, denn er wirkte ungewöhnlich kleinlaut, rührte sein Getränk nicht an und blickte immer wieder nur verstohlen zu seinem Freund.
Der Hüne hatte sich indessen als Tadashi vorgestellt und begann seine Geschichte zu erzählen.
„Wisst ihr, alles war gut. Alles war wunderbar – bis vor einer Stunde.“
„Was ist passiert?“, hakte Akiyama nach und nippte an seinem Whiskey.
„Sie hat angerufen und gesagt, sie hätte da jemanden kennengelernt, mit dem sie jetzt zusammen sein wollte. Sie hat es nicht mal erklärt! Ich verstehe es nicht!“ Wieder hob er seine Stimme und schluchzte lautstark in sein Getränk. „Wir waren so glücklich!“
„Tja, Frauen sind wankelmütige Geschöpfe“, murmelte Akiyama und ließ den Kopf hängen.
Tanimura wirkte indessen extrem angespannt. Er tippte nervös mit den Fingerspitzen über die Theke und meinte dann plötzlich mit beschlagener Stimme: „Tadashi? Sag mal … wie heißt deine Freundin eigentlich?“
Und im nächsten Moment dämmerte es plötzlich auch Akiyama …
„Sie heißt Ayame … Oh, meine wundervolle Ayame-chan …“
Während Tanimura erschrocken aufkeuchte, verschluckte Akiyama sich an seinem Getränk und schlug sich hustend mehrfach auf den Brustkorb.
„Was?!“, kam es anschließend wie aus einem Munde aus den beiden und sie wussten sofort, wo die Zusammenhänge lagen.
Tadashi war jedoch so mit sich und seinem Kummer beschäftigt, dass ihm all dies nicht aufzufallen schien. „Hey … Akiyama-san, du hast vorhin gesagt, dass das Leben weitergeht …“ Schniefend sah er von seinem Glas auf. „Was genau meinst du damit?“
Zunächst war er ein wenig unschlüssig. Was sollte er ihm antworten? Akiyama war klar, dass er selbst im Grunde einfach nur pures Glück im Unglück gehabt hatte. Na gut … wenn man daran glaubte, konnte man auch sagen, dass die Schicksalsgöttin wohl einen kleinen Narren an ihm gefressen hatte, so oft wie sie ihm in letzter Zeit unter die Arme gegriffen hatte …
„Weißt du“, begann er und wusste eigentlich noch gar nicht so recht, worauf er hinauswollte, „jeder Fehlschlag ist womöglich einfach nur eine Chance für dich, dass etwas Besseres daraus wird.“
„Aber wie sollte es ohne Ayame-chan jemals besser werden?“ Er schniefte so laut, dass der Barkeeper ihm von sich aus noch einmal das Glas nachschüttete.
„Äh, na ja, wer weiß, vielleicht triffst du schon in ein paar Stunden genau deine Traumfrau. Wäre doch schade, wenn du da noch nicht Single wärst.“ Mit einem Augenzwinkern wollte Akiyama mit ihm anstoßen, doch mit Schrecken wurde ihm bewusst, dass sein Scherz wohl nicht so richtig bei Tadashi angekommen war, denn seine Augen füllten sich erneut mit Tränen.
„Akiyama“, murmelte Tanimura indessen und warf ihm einen scheltenden Blick zu. Ausgerechnet er, der vorhin nicht unbedingt die Empathiefähigkeit erfunden hatte, wies ihn jetzt zurecht?
„Ayame!“, dröhnte es dann jedoch lautstark durch das Shellac und es war wirklich erstaunlich, dass ein Mann mit diesem Aussehen derart jämmerlich in sich zusammensinken konnte.
„Whoops, sorry, Kumpel.“ Kleinlaut ließ Akiyama den Kopf hängen.
„Tadashi?“ Tanimuras weiche Stimme unterbrach tatsächlich den Schniefanfall des Hünen und mit bebender Unterlippe blickte dieser fragend auf.
„Ja?“
„Auf die eine oder andere Art haben wir alle schon mal jemanden verloren.“ Tanimura machte eine kurze Pause, in der er die Hände vor der Stirn faltete und dabei nachdenklich die Augen schloss. „Und so sehr das auch schmerzt, kommen irgendwann Menschen in unser Leben, die es wieder sinnvoll erscheinen lassen.“
„Ist das bei euch auch so gewesen? Habt ihr denn wieder jemanden gefunden, den ihr liebt?“
„Oh, ich, äh … nun, weißt du …“ Die Frage hatte Tanimura wohl eiskalt erwischt, denn hilfesuchend sah er in jeden Winkel des kleinen Lokals, und schaffte es dabei geschickt, Akiyamas Blick auszuweichen …
Da brauchte er wohl ein wenig Hilfe …
„Ah, ich denke, was er sagen will, ist, dass es Liebe doch auch in ganz unterschiedlichen Facetten gibt. Das klingt jetzt vielleicht wie ein schlechter Spruch aus einem abgelaufenen Glückskeks, aber du brauchst nicht unbedingt ein Mädchen an deiner Seite, um zufrieden zu sein. Freunde und Familie zählen ebenfalls.“ Akiyama warf einen warmen Blick zu seinem Freund, der beschämt ein Loch in den Boden starrte.
„Also seid sogar ihr Single? Dann werde ich ja nie wieder jemanden finden, oh, Ayame!“
Irgendwie schienen sie es gerade eher schlimmer zu machen, als wirklich zu helfen...
Der Barkeeper stellte den beiden, die unendlich schuldbewusst auf ihren Stühlen zusammensackten, jeweils ein weiteres Glas mit einem seiner stärksten Getränke hin. „Geht aufs Haus, Jungs.“
...
Entgegen des ersten Anscheins hatte Tadashi sich eine Stunde später jedoch tatsächlich beruhigt.
Zu dritt standen sie vor dem Shellac und waren dabei, sich voneinander zu verabschieden.
Akiyama griff in sein Jackett und zog eine seiner Visitenkarten hervor. „Wenn du mal was brauchen solltest, komm vorbei.“
Tadashi hielt das Kärtchen vor sein Gesicht, kniff die Augen zusammen und murmelte: „Sky Finance?“
„Japp. Und auf der Rückseite ist die Adresse meines Clubs.“ Er grinste vielsagend. „Sag das nächste Mal einfach, dass der Boss dich schickt und dein erster Besuch ist kostenlos. Vielleicht ist ja eines meiner Mädchen was für dich? Die stehen auf Muskeln.“
Tanimura neben ihm verdrehte kurz schmunzelnd die Augen, sagte aber nichts.
Tadashi jedoch schien schon wieder viel zuversichtlicher zu sein. Nacheinander griff er mit seinen riesigen Pranken nach ihren Händen und schüttelte sie derart heftig, dass Akiyama fürchtete, er würde ihm die Schulter dabei ausrenken.
„Ich danke euch beiden so sehr. Ihr habt mich wirklich vor einem großen Fehler bewahrt.“ Er verbeugte sich anschließend tief und fügte hinzu: „Und ihr habt recht. Ich werde schon ohne Ayame klarkommen. Schließlich“, er beugte sich zu ihnen und meinte todernst, „war ich ja bis gestern noch Single. Ich werde mich sicher gleich wieder daran gewöhnt haben!“
Mit offenen Mündern starrten sie ihm nach, während er mit neu gefasstem Mut munter von dannen zog.
„Ernsthaft? So viel Drama – und dann das?“ Tanimura war baff.
„Tja.“ Akiyama hingegen zuckte einfach nur mit den Schultern – und akzeptierte.
...
„Ich bin vollkommen erledigt“, stöhnte Tanimura und streckte sich mit einem Knacken des Rückens.
„Ich bin ja immer noch für das Ônsen“, murmelte Akiyama schelmisch, bereute aber bei dem Blick, den er kassierte, sogleich diese Aussage.
„Mein einziger Trost ist es, dass ich in vier Stunden Feierabend habe …“
„Vier Stunden können verdammt lange sein.“
„Willst du mich nicht lieber aufmuntern?“ , kam es gedehnt zurück. „Wenn sie mich nächstes Jahr wieder einteilen, stelle ich mich einfach tot.“
„Hm. Du willst also aufgemuntert werden?“ Er begann zu grinsen. „Wenn meine Wenigkeit das nicht schafft – was so nebenbei gesagt schon ein wenig an meinem männlichen Stolz kratzt – dann vielleicht die Mädls im Elise.“ Kurzerhand hakte er sich bei ihm ein – was lautstarken Protest zur Folge hatte – und zog ihn weiter. „Du wirst sehen, dort vergeht die Zeit wie im Flug.“
„Würdest du das bitte lassen?“, fauchte Tanimura wie eine wütende Katze und schlängelte sich geschickt in seiner üblichen Manier aus der Umklammerung.
„Dann ist es beschlossene Sache!“ Er schritt enthusiastisch voraus, gefolgt von seinem weniger begeisterten Freund. „Und soll ich dir noch was verraten? Wir haben heute Cosplay-Tag! Da ist für jeden etwas dabei!“
„ … Yay.“
„Yay!“
Wenig später standen die beiden auch vor dem Club, wurden sofort von einem der Kellner empfangen und natürlich – wie für den Besitzer des Etablissements und dessen Freund würdig – zum besten Tisch gebracht.
„Chef, es tut mir außerordentlich leid“, begann der Kellner und verbeugte sich derart beachtlich, dass Akiyama ziemlich beeindruckt von seiner Biegsamkeit war, „Aber gerade im Moment ist noch keines der Mädchen frei.“ Angstschweiß trat auf seine Stirn. Als hätte Akiyama jemals einen harschen Ton ihm gegenüber angeschlagen … ! Ganz im Gegenteil, er war ja glücklich, wenn sein Laden gut lief.
„Kein Problem, bring uns einfach eine Flasche Gold Champagner sowie etwas zu essen und wir sind erst mal zufrieden.“
„Es tut mir außerordentlich leid, Chef“, wiederholte er seine Worte von zuvor und dackelte betreten davon.
Mit übereinandergeschlagenen Beinen rutschte Akiyama tiefer in das bequeme Polster, platzierte seinen linken Arm über der Rückenlehne (und somit ganz rein ‚zufällig‘ hinter seinem Freund) und warf einen kurzen Blick durch den Club. Ja, er hörte die Kasse klingeln, so voll war der Laden.
„Sag mal“, begann Tanimura und in seiner Stimme lag eindeutiges Missfallen, „Müssen die Mädchen in diesen Kostümen rumlaufen?“
„Wieso denn nicht?“
„Es erweckt einen seltsamen … Eindruck.“
„Ich dachte immer, du fährst zweigleisig und magst süße Mädchen! Bist du meinetwegen jetzt spontan komplett auf die andere Fahrbahn gewechselt?“ Akiyama grinste frech.
„Quatsch, als könne man sich das aussuchen.“
„Und wo ist dann das Problem?“ Akiyama zuckte mit den Schultern. „Mir persönlich gefallen die chinesischen Kleider ja hervorragend.“
„Um die geht es nicht, die sind auch … äh … recht hübsch.“ Er räusperte sich verlegen. „Ich denke eher an die Schuluniformen.“
„Aber alle meine Angestellten sind volljährig!“
„Es wirkt dennoch problematisch auf mich.“
„Man sieht darin nur etwas Schmutziges, wenn man schmutzige Gedanken hat.“
„Wofür hältst du mich?! Du weißt genau, was ich meine!“
„Komm schon, lass mich ein wenig Spaß haben!“
„Nicht auf meine Kosten, Akiyama-san.“
Bevor dieser allerdings antworten konnte, war der Kellner mit Flasche und Tablett zurück und schien ein kleines bisschen lockerer. Nachdem er eingeschenkt hatte, meinte er an Akiyama gewandt: „Chef, in den nächsten fünf Minuten wird das neue Mädchen frei. Sie wissen schon, die, die vor ein paar Tagen angefangen hat! Die Kunden sind absolut begeistert von ihr!“
„Stimmt“, murmelte er nachdenklich und nippte an seinem Glas, „ich hab sie noch gar nicht kennengelernt.“
„Wie, du siehst dir deine Angestellten nicht mal an, bevor du sie einstellst?“, kam es skeptisch von Tanimura, der sein Glas verweigerte.
„Lass mich doch, ich vertraue dem Manager eben.“
„Du meinst, du bist einfach nur zu faul gewesen.“ Auch wenn Tanimura ihn damit mehr oder weniger vorführte, war Akiyama dennoch froh, als er endlich einen Anflug von einem Lächeln auf seinen Lippen wahrnahm.
„Hey, ich bin ein viel beschäftigter Geschäftsmann!“
Doch ihrer beider Amüsement verflog im nächsten Augenblick vollends, als besagte neue Hostess ausgerechnet in einer Schuluniform vor ihren Tisch trat und mit einem zuckersüßen Lächeln rief: „Freut mich sehr, mein Name ist Azami!“ Sie verbeugte sich tief.
… Und während Tanimura letztendlich mit den Worten „nicht schon wieder“ seufzend nach seinem Glas griff und in einem Zug leerte, murmelte Akiyama verdattert: „Ich weiß, ich wiederhole mich damit, und man sagt, jeder hat ‘nen Doppelgänger, aber das ...“
...
„Azami-chan, du bist dir sicher, dass du nicht doch ein paar lang verschollene Schwestern in Kamurocho hast?“, fragte Akiyama wenig später, als sie sich zu ihnen gesellt hatte und er ihr im Schnelldurchlauf von ihrem ersten Erlebnis berichtete, um die Situation aufzuklären.
„Hi hi, das wüsste ich doch, Chef!“ Mit einem koketten Augenaufschlag blickte sie zwischen den beiden hin und her. „Aber Ihre Geschichte ist so unglaublich einfallsreich. Die zwei sahen so aus wie ich? Unfassbar! Sie wissen wirklich, wie man jemanden unterhält! Kein Wunder, dass alle Mädchen im Club so von Ihnen schwärmen!“ Wie besessen tätschelte sie auf seiner rechten Hand herum.
„Ähem, danke für das Kompliment.“ Vorsichtig blickte er nach links zu Tanimura, dessen Miene aber wie aus Stein gemeißelt wirkte. Nur seine Augen huschten kurz nach unten. Dann wieder nach oben.
Akiyama zog daher lieber seine Hand aus dem Klammergriff seiner Hostess; sicher war sicher.
Unbeirrt davon kokettierte sie weiter herum und zupfte auffallend an ihrem kurzen Röckchen. Ganz beiläufig wirkend meinte sie dann an Akiyama gewandt mit einem lasziven Lächeln und dem Blick auf Tanimura gerichtet: „Aber sagen Sie mal, Chef, warum ist unser gutaussehender Begleiter hier denn so schweigsam?“
„Äh, er ist im Dienst. Volle Konzentration“, murmelte Akiyama betreten.
„Oh? Im Dienst? Etwa ein Polizist? Wie spannend!“ Mit diesen Worten sprang sie auf und wackelte schnurstracks auf die andere Seite zu Tanimura, der gar nicht schnell genug protestieren konnte, als sie sich bei ihm einhakte und ziemlich eindeutige Blicke aussendete. „Darf ich die Marke sehen?“
„Ich gehe damit nicht gerne hausieren. Normalerweise kriegt man sie nur zu Gesicht, wenn man etwas angestellt hat.“
„Und wenn ich unartig war?“, flötete sie in eindeutig zweideutigem Tonfall.
Akiyama bereute schlagartig, sie nicht zuvor zum Gespräch gebeten zu haben … Das würde er nachholen müssen.
„Übrigens hat der Club ein Berührungsverbot“, kam es trocken von Tanimura, der ihr Flirten eiskalt überging. „Wir wollen doch nicht, dass der Besitzer einschreiten muss, nicht wahr?“
„Aber bei so gut gebauten Männern werde ich immer ein wenig schwach!“, erklärte sie grinsend und änderte so gar nichts an ihrem Verhalten.
Akiyama öffnete den Mund und holte tief Luft, um seinen Unmut zu äußern – doch er kam nicht dazu, denn ein lautes Poltern, gefolgt von ängstlichem Keuchen umliegender Gäste unterbrach ihn.
An der Eingangstür zum Club, die wild aufgeschlagen worden war, stand ein Mann.
Nicht irgendein Mann.
„Tadashi?!“, riefen Akiyama und Tanimura wie aus einem Mund.
„Hä?“, grunzte Vielleicht-Tadashi irritiert in ihre Richtung. Dann jedoch fiel sein Blick auf die junge Hostess, die noch immer seinen Arm umklammernd Tanimura auf die Pelle rückte.
Vielleicht-Tadashis Gesicht wechselte von rot zu aschfahl, von aschfahl zu blau, bis es schließlich wieder von blau in dunkles Rot überging. Fast schon fürchtete Akiyama bei dem Anblick, dass gleich Dampf aus seinen Ohren dringen würde, so wütend wirkte er.
„Azami!“, schrie er und baute sich auf.
„Oh, hallo Taichi“, gab die junge Frau gelangweilt von sich. „Was machst du denn hier?“
Vielleicht-Tadashi, der nun also doch eher Taichi hieß, lief erneut rot an. „Ich hab dich gesucht! Bist ja nur abgehauen und hast mir nicht gesagt, in welchem dieser scheiß Läden du ‚ab sofort arbeiten‘ willst! Aber so nicht; nicht mit mir, hörst du? Wir gehen wieder nach Hause!“ An Tanimura gewandt knurrte er darauf folgend gefährlich: „Und du, du verdammtes Milchgesicht, was fummelst du da währenddessen an meiner Frau herum?“
Zeitgleich schien Tanimura eine Meldung über den Polizeifunk zu erhalten. Er fasste sich kurz ans Ohr und lauschte wie so oft auf die Durchsage.
„Ey, ich rede mit dir!“ grunzte der Eindringling und warf eine der teuren und extrem alten Vasen zu Boden, was Akiyama in der Seele schmerzte.
Unbeeindruckt von diesen Drohgebärden stand der Angesprochene ganz langsam auf. „Scheinbar gibt es jemanden, der durch verschiedene Clubs zieht und dort Ärger verbreitet. Und ich verwette alles darauf, dass du dieser Unruhestifter bist.“
„Und was, wenn ich das bin, hä?!“
„Dann ersparst du mir die Mühe, nach dir zu suchen.“ Er zog seine Marke hervor. „Klären wir das draußen.“
„Mit Freude, Bullenschwein!“
„Meine Güte, streiten die Herren jetzt um mich? Wie entzückend“, quiekte Azami erfreut und schien die Situation gehörig falsch zu deuten.
Akiyama lehnte sich kopfschüttelnd zurück. Der Tag war eindeutig verrückt … Aber zumindest schienen seine Kunden das eher für eine Cosplay-Einlage zu halten, wenn er so in ihre begeisterten Gesichter blickte.
„Oh, ich hoffe Taichi lässt wenigstens sein hübsches Gesicht ganz“, meinte Azami nachdenklich und zeigte somit eindeutig erneut, wo ihre Prioritäten lagen. Japp, vermutlich sollte Akiyama in Zukunft nicht blind seinem Manager vertrauen … Mit einem Seufzen stand er auf und schritt lässig ebenfalls nach draußen.
….
Ein paar Minuten verfolgte er locker den Machtkampf, den sein Freund und der aggressive Hüne sich lieferten und steckte sich irgendwann währenddessen gähnend eine Zigarette an. Er blies eine kleine Rauchwolke in die Luft und lies den Blick über den Schauplatz des Geschehens gleiten. Ja, er war tief beeindruckt von dem Chaos, das sie in dieser kurzen Zeit verursacht hatten. Unter anderem waren bereits die Eingangsschilder zu Elise, zwei Fährräder, drei Verkehrshütchen und selbst ein Motorrad zu Bruch gegangen.
Um die beiden hatte sich eine laut krakeelende Gruppe von Umstehenden gebildet, die mal den einen, dann den anderen anzufeuern schienen und jeglichen Schlagabtausch mit diversen Rufen durchaus zu begleiten wussten.
Normalerweise war Tanimura grundsätzlich schnell, wenn es darum ging, sein Gegenüber niederzuringen; aber dieser Mann wog wohl bald das dreifache von ihm und war mindestens doppelt so breit …
„Du sagst dann einfach Bescheid, wenn du Hilfe brauchst, Officer!“, rief Akiyama gut gelaunt zu seinem Freund, der gerade damit beschäftigt war, Taichis Arm zu packen zu bekommen – allerdings vergeblich. Ein weiteres Mal landete Tanimura mit dem Rücken auf dem Asphalt.
„Mir geht es gut, vielen Dank“, rief er leicht säuerlich während er sich aufrappelte und gerade so einen Angriff parieren konnte.
„Sicher?“, neckte Akiyama gut gelaunt und mimte den Unschuldigen.
Er erntete nur einen angefressenen Blick, dann wagte Tanimura erneut einen Versuch, den Mann zu Boden zu bringen, wurde aber nur einen Meter zurück geschleudert. „Vielleicht“, zischte er dann allerdings schwer atmend, „könnte ich vermutlich tatsächlich ein klein wenig Unterstützung vertragen, Akiyama-san.“ Schnell rollte er zur Seite, bevor er von den nieder donnernden Fäusten Taichis erwischt wurde.
„Das ist wohl mein Stichwort.“ Mit einem Grinsen schnippte er in hohem Bogen die Zigarette weg und lockerte lässig die Beine. „Na dann …“
…
Und durch kombinierte Schnelligkeit und Technik klickten wenige Minuten später die Handschellen.
Während Tanimura schwer keuchend neben ihm saß, warf sich Akiyama mit dem Rücken auf den Boden und meinte: „Puh! Ich denke, ich bin ein wenig außer Übung!“
„Vielleicht nicht nur du ...“
Als sie dann beide allerdings vernahmen, wie begeistert ihnen applaudiert wurde, blickten sie kurz zueinander und mussten letztendlich grinsend zugeben, dass sie wohl wirklich ein verdammt gutes Team abgaben. In allen Lebenslagen.
...
Theoretisch hatte es an diesem Tag eigentlich genug Irrsinn für sie gegeben.
Scheinbar schien das die höhere Macht, die heute ihren Spaß mit ihnen gehabt hatte, ebenfalls so zu sehen, denn gnädigerweise waren die nächsten Stunden nur von minimalen Vorkommnissen unterbrochen worden, die bei weitem nicht an das heranreichten, was sie schon hatten ertragen müssen und noch absolut im Rahmen normaler Polizeiarbeit lagen.
Doch trotz allem …
„Irgendwie vertraue ich dem Frieden nicht“, nuschelte Tanimura und stapfte mit finsterer Miene neben Akiyama die Nakamichi Street hinab.
„Ich bitte dich“, erwiderte Akiyama lachend und winkte ab, „was sollte denn heute noch -“
Doch er hielt mitten im Satz inne, blieb augenblicklich stehen und starrte wie entgeistert durch das Ladenfenster ins Café Alps. „Heilige Scheiße.“
„Ich hab es gesagt.“ Tanimura stemmte die Hände in die Hüften und musterte die beiden Personen, die innerhalb des Cafés an einem kleinen Tisch saßen – und sich eindeutige Blicke zuwarfen.
„Ist das -“ Akiyama stockte der Atem.
„Ich würde mich nicht darauf verlassen.“
„Aber er könnte es sein.“
„Oder auch nicht.“
Dort drinnen saß ein weiterer Vielleicht-Tadashi. Und an seiner Seite?
Takeshi. Der Mann von heute morgen. Wobei man sich da natürlich auch nicht so ganz sicher sein konnte. Schließlich hatte jeder einen Doppelgänger … Nicht wahr?
Des Rätsels Lösung rückte dann aber ein paar Augenblicke später in greifbare Nähe, als Vielleicht-Tadashi mit verklärtem Blick aus dem Fenster sah – und er Tanimura sowie Akiyama anstarrte.
Sofort schlich sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht und er sprang so hastig auf, dass sein Stuhl nach hinten umkippte. Er rief seinem Begleiter etwas zu und huschte sofort vor die Eingangstür.
„Akiyama-san! Tanimura-san!“ Er winkte mit seiner riesigen Hand so hektisch auf und ab, dass einige Passanten hastig ausweichen mussten, um nicht gegen die nächste Mauer gedonnert zu werden.
„Tadashi....?“, fragte Tanimura vorsichtig nach.
„Sicher, wer denn sonst?“, antwortete er vergnügt. „Was macht ihr beide denn hier?“
„Gegenfrage: Was machst du hier?“, murmelte Akiyama betreten und deutete durch die Scheibe auf Vielleicht-Takeshi.
„Oh.“ Als wäre sein Verhalten nicht bisher schon irritierend genug gewesen, konnten die beiden beobachten, wie der Hüne verlegen von einem Bein aufs andere sprang und mit einem beschämten Kichern antwortete: „Nun, es hat sich wohl ergeben, dass ich auf dein nettes Angebot mit dem Club nicht eingehen muss, Akiyama-san.“
„Sag nicht, du und er -“
„Doch!“
Tanimura stellte den Kragen seiner Jacke hoch und wirkte so, als wäre er gerade am liebsten woanders. Ganz egal wo, Hauptsache nicht hier in diesem Irrsinn.
Akiyama hingegen konnte nur ungläubig glucksen und meinte: „Okay. Ähem, herzlichen Glückwunsch.“
„Danke!“ Seine Augen funkelten regelrecht.
„Könnte es sein“, begann Tanimura, „dass er rein zufällig Takeshi heißt?“
Vollkommen baff wechselte Tadashi mit ihnen beiden Blicke. „Woher wisst ihr das?“
„Lange Geschichte“, murmelte Akiyama und kratzte sich unschlüssig am Kopf.
„Ihr glaubt nicht, was er und ich erlebt haben!“, begann Tadashi und breitete seine Arme so hektisch vor ihnen aus, dass sie beide einen Schritt zurückspringen mussten. „Stellt euch vor, es hat sich herausgestellt dass er der Mann war, für den mich Ayame verlassen hat!“
„Und warum genau seid jetzt ihr beide hier und turtelt, was das Zeug hält?“, fragte Akiyama behutsam nach. „Ich meine, ich richte nicht, aber … sollten eigentlich nicht er und Ayame ...“
„Sie hat ihn für einen anderen abserviert!“
Tanimura konnte nur noch mit dem Kopf schütteln, während Akiyama ein weiteres Mal einfach zu akzeptieren versuchte. „Ach, was du nicht sagst …“
„Ja! Und auf dem Weg ins Elise sind wir uns zufällig begegnet. Und“, er wurde ein wenig rot, „es hat sofort gefunkt. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich so empfinde!“
„Das ist ja echt ‘ne Geschichte“, gab Akiyama zum Besten.
„Ohne dich hätte ich nie die Liebe meines Lebens getroffen“, meinte Tadashi aus tiefstem Dank. „Und wisst ihr was?“ Er blinzelte verschwörerisch von einem zum anderen. „Ich bin mir sicher, ihr findet auch noch eure große Liebe! Schließlich ist heute Valentinstag!“
Sie wechselten einen vielsagenden Blick, sagten aber nichts weiter dazu.
Tadashi, der noch immer auf Wolke 7 zu schweben schien, seufzte verzückt und meinte dann abschließend: „So, ich muss jetzt aber wieder zu Ta-chan! Macht es gut – und danke. Für alles.“
Er machte tänzelnd kehrt und die beiden konnten sehen, wie die Turtelei von neuem losging.
„Akiyama?“
„Ja...?“
„Lass uns von hier einfach nur verschwinden, okay?“
„Musst du mir nicht zweimal sagen. Bevor wir dem armen Schlucker begegnen, den Ayame jetzt geschnappt hat.“
„Oder vermutlich schon wieder abgeschossen“, fügte Tanimura mit einem tiefen Seufzer hinzu.
...
Wenig später, sie hatten sich ein Taxi zum Hafen genommen, saßen sie am Rand der Anlegestelle und ließen die Beine über die Kante nach unten baumeln.
„Hey“, begann Tanimura leise und kräuselte unzufrieden die Nase, „Tut mir wirklich leid, dass dieser Tag so aus dem Ruder gelaufen ist. Du hast dir das sicher anders vorgestellt.“
„Ach was, das war mal was Neues! Mach dir keinen Kopf!“, gab Akiyama lächelnd zurück.
„Sicher?“
„Ganz sicher.“
Tanimura wirkte ein wenig beruhigter und nickte kurz. „Dann ist‘s ja gut.“
„Um ehrlich zu sein war ich sogar schwer begeistert! So durchgeknallte Dinge erlebt man schließlich nicht ständig!“
„Willkommen in meinem Alltag!“, witzelte der junge Polizist und warf ihm einen liebevollen Blick zu. Nach einer kleinen Pause meinte er dann ein wenig überraschend: „Sag mal, willst du nicht umschulen?“
„Hä? Wie jetzt? Zur Polizei?“
„Tja, warum nicht? Du warst echt eine große Hilfe heute. Wer weiß, du könntest vielleicht sogar mein Partner sein. Wäre sicher spannend!“ Er lachte dabei so herzlich, dass Akiyama ein Kribbeln die Wirbelsäule hinabgleiten spürte.
„Nun … Das ist schon irgendwie reizvoll! Nur du und ich gegen den Rest der Welt.“ Er griff schmunzelnd nach seinen Zigaretten, bot schweigend seinem Freund eine an und entzündete sie letztendlich für sie beide.
Nachdem sie ein paar Züge getätigt hatten und einfach nur leise zusammen in den Sonnenuntergang starrten, kam es plötzlich kaum vernehmbar von Tanimura: „ … Danke.“
„Hm? Wofür?“
„Dass du da warst. Irgendwie hast du den Wahnsinn heute leichter gemacht.“ Er blickte nicht zu ihm, sondern nach wie vor nur stur geradeaus und zog ein weiteres Mal an der Zigarette, als würde ihn das alles gar nicht betreffen.
„Tja, du solltest eben mehr Zeit mit mir verbringen. Ist besser für deine Nerven.“ Liebevoll lehnte Akiyama sich zu ihm und rempelte spielerisch mit der Schulter gegen die seines Freundes.
Dieser erwiderte die Geste mit einem sanften Lächeln. „Ja. … Sollte ich wirklich.“ Dann jedoch zeigte er ihm in einem seltenen Anflug von Zuneigung, wie wichtig er ihm war, indem er sich mit dem Kopf an ihn schmiegte und zufrieden die Augen schloss.
Und das, obwohl eine Gruppe Hafenarbeiter hinter ihnen stand. Eine große Gruppe Hafenarbeiter.
Ein wenig überfordert mit dieser so unerwarteten Anhänglichkeit warf Akiyama irritiert einen Blick über die Schulter. Japp. Die Männer dort hinten tuschelten. Ihm selbst war das ja egal, aber …
„Äh … Ma-chan ...“
„Lass sie einfach. Nicht wichtig. Mir jedenfalls nicht.“
Akiyama kräuselte verzückt die Lippen und legte einen Arm um seinen Freund. Mit einem amüsierten Prusten meinte er dann: „Ist wohl wie du gesagt hast: Am Valentinstag spielen wirklich alle verrückt.“