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Kabale, Mord und Diebe

von Bibi77
Kurzbeschreibung
GeschichteKrimi, Familie / P12 / Het
Dr. Leo Graf Ernst "Stocki" Stockinger OC (Own Character) Peter Höllerer Rex Richard "Richie" Moser
12.02.2021
31.03.2021
14
29.038
7
Alle Kapitel
27 Reviews
Dieses Kapitel
2 Reviews
 
 
12.02.2021 1.522
 
Willkommen und vielen Dank für’s Hereinschauen!
Folgendes noch vorweg: Bitte nur lesen, wenn Ihr bereit seid, euch auf eine kleine, von der Serie abweichende Modifikation im Beziehungsverlauf von Moser und Sonja einzulassen. Ansonsten gilt: Alle Personen, über die bekannten Serien-Figuren hinaus, sind von mir erfunden; einige Orte sind frei nach Schauplätzen in Wien gestaltet. Updates 1 bis max. 2x wöchentlich. Und nun viel Spaß bei den Ermittlungen ;)!
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Langsam versinken die letzten Strahlen der zaghaften Wintersonne hinter den Dächern der Wiener Altstadt und werfen ihre Schattenspiele an die Fassaden der klassizistischen Gebäude. Der Feierabendverkehr flutet über die Ringstraße. Wochenendstimmung vor dem Hauptgebäude der Universität.

Studentin Nadine Jannich steht im Kopierraum des germanistischen Instituts am Fenster und beobachtet, wie sich die Kommilitonen da unten eilig ihren Weg durch den kalten Januartag bahnen und in Richtung Straßenbahnhaltestelle an der Schottengasse verschwinden.
Im Hintergrund rattert der Kopierer und spuckt eine Unmenge an Papier aus – Textgrundlagen für die letzte Seminarsitzung des aktuellen Wintersemesters bei Professor Klinger, für den Nadine seit einem knappen Jahr als studentische Hilfskraft arbeitet. Er hat zwar gesagt, das mit den Kopiervorlagen eile nicht, aber sie will ihm nachher vor der Theatervorstellung unbedingt sagen, dass sie schon alles fertig hat und sein verblüfftes Gesicht sehen, weil sie den Auftrag diesmal überpünktlich erledigt hat. Denn bald sind Ferien und die nächsten Hausarbeiten zu schreiben. Die letzte hat Herrn Klinger nicht überzeugt: zu viele Grammatikfehler, zu wenig Bezug zur aktuellen Forschung, nur eine 2,7. Und zum Ende des Semesters läuft auch noch ihr Vertrag aus. Heute Abend muss sie sich also anstrengen, um ihn davon zu überzeugen, sie als Hilfskraft zu behalten – und vielleicht auch mit der nächsten Seminararbeit ein Auge zuzudrücken. Denn eigentlich will sie in den Ferien zurück nach Deutschland, feiern, alte Freunde treffen, einfach mal nichts tun. Keine Zeit also für Literatur und Wissenschaft.

Der Kopierer stoppt und sie nimmt den Stapel Papier aus dem Fach, um ihn zu lochen und alphabetisch abzuheften. Das mit dem Alphabet hat Herr Klinger zwar nicht explizit verlangt, aber es wird ihn sicher freuen, wenn sie darauf achtet – auf das Mitdenken legt er schließlich immer großen Wert.
Während der Kopierer den nächsten Aufsatz dupliziert, zückt Nadine ihren Taschenspiegel und frischt schon einmal Lippenstift und Make-up für den Abend auf. Die Theatervorstellung hätte Klinger sich ja ruhig sparen können. Wer will schon Freitagabend ins Theater? Und dann noch so ein uralter Liebes-Schinken! Aber der versprochene Kneipenausflug ist ganz nach ihrem Geschmack und sie ist gespannt, ob es stimmt, was alle über die Privatausflüge mit dem Klinger reden, von wegen Drinks ausgeben und Bombenstimmung und so weiter.
Aber was mit den langen blonden Haaren machen? Offen tragen oder doch lieber Zopf? Wobei er sie mit einer lockeren Hochsteckfrisur ja irgendwie immer besonders verträumt anguckt…

Es klopft an der Tür. Nadines Haare fallen ihr wieder über die Schulter. Der Spiegel verschwindet in ihrer Handtasche. Fast zeitgleich steckt Marie ihren Kopf durch den Türspalt.

Marie Seidl ist ebenfalls Hilfskraft bei Herrn Klinger, aber schon viel länger als Nadine, deshalb darf sie sich auch wissenschaftliche Hilfskraft nennen und bekommt mehr Geld. Außerdem – hat Marie Nadine mal erzählt – hat Herr Klinger damals die Marie von sich aus angesprochen und gefragt, ob sie für ihn arbeiten will, während er Nadine nur eingestellt hat, weil sie sich hartnäckig beworben und er zufällig noch Institutsgelder übriggehabt hat.

„Na du, noch bei der Arbeit?“, fragt die wie immer dunkel gekleidete Marie und kommt einfach herein. Heute, bemerkt Nadine, sieht sie beinahe hübsch aus mit der figurbetonten Hose und der Spitzenbluse. Sogar geschminkt hat sie sich ein wenig und die langen blonden Haare offengelassen. Dabei kommt sie sonst nur mit schlichtem Zopf, abgetragenen Jeans und verwaschenen Pullovern zur Uni – wie ein Kerl. Es ist Nadine unbegreiflich, warum Herr Klinger trotzdem so vernarrt in diese stille graue Maus ist.
„Muss nur noch ein paar Kopiervorlagen für den Chef fertig machen“, antwortet sie beiläufig und beobachtet aus den Augenwinkeln genau, wie Marie sich auf das kleine Regal an der Wand setzt, als würde sie auf sie warten wollen.
„Was is’n das für an Seminar?“, fragt Marie.
„Großstadtromane der Neuen Sachlichkeit“, sagt Nadine knapp.
„Großstadtromane? Das is bestimmt toll“, meint Marie mit einem träumerischen Blick. „Schad, dass i nun schon so gut wie fertig bin mit‘m Studium.“
Nadine sagt nichts und kopiert weiter.

„I hoff nur, der Klinger gibt mer bald wegen der Magisterarbeit Bescheid“, sagt Marie nach einer Weile. „Er hat‘s nun schon seit zwei Monaten auf‘m Tisch liegen. Eigentlich wollt‘ i bis Semesterende verteidigt ham, aber nu scheint’s doch ins Sommersemester zu gehn. Meins‘d, i kann ihn nachher amal danach fragen?“
Nadine sieht von ihren Sortierarbeiten auf. „Wieso nachher?“
„Na, wir gehn doch ins Theater, oder komms‘d net mit?“
„Doch“, sagt Nadine vorsichtig. Sie runzelt die Stirn. „Aber ich wusste ja gar nicht, dass du auch mitkommst? Eigentlich geht doch nur Klingers Schiller-Seminar hin und da du das ja gar nicht mitmachst, da dachte ich – “ Sie bricht ab und prügelt plötzlich fluchend auf den Locher ein, der sich mit dem Umfang der Kopien schwertut.
Marie zuckt derweil mit den Schultern. „Er hat mi halt eing‘laden. Stört‘s dich etwa, dass i mitkomm?“
„Nee“, sagt Nadine schnell und widmet sich wieder dem Abheften. „Nee, so'n Quatsch! Ich wundere mich nur, weil – “ Ihr Blick bleibt kurz auf einen Taschenbuch-Roman haften, der neben ihr auf dem Tisch liegt.
„Weil?“, hakt Marie nach.
Nadine hadert noch mit sich, kaut nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Soll sie oder soll sie nicht? Ja, es wäre echt fies, es ihr jetzt zu sagen, aber Marie und der Klinger heute Abend, das geht einfach nicht. Das kann sie nicht zulassen. „Okay, irgendwann wirst du es ja doch erfahrn.“ Sie atmet tief ein. „Ich halte es einfach für keine gute Idee, wenn du mit ins Theater gehst, Marie. Ich hab heut zufällig ein Gespräch zwischen Klinger und der ollen Sommerfeldt mitbekommen.“ Sie schließt den Ordner und stellt ihn ins Regal, wobei sie erklärt: „Es is in dem Gespräch um deine Magisterarbeit gegangen.“  

***
Fünf Minuten später stürzt Marie Seidl schluchzend aus dem Kopierraum.
Auf dem Korridor stößt sie mit der Schulter gegen Thomas Kilian. Der Dozent, der gerade sein Postfach geleert hat, sieht der davonrennenden Studentin stirnrunzelnd nach.
„Frau Seidl?“
Die Tür zum Treppenhaus schlägt zu und die Studentin ist verschwunden.
Thomas Kilian wundert sich. Aber nun ja, eigentlich kennt er sie auch kaum persönlich und wenn er jeden Studenten ansprechen würde, der hier verzweifelt oder wütend herumläuft, könnte er sein Fachgebiet ja gleich in die Psychologie verlagern.

Auf dem Rückweg in sein Büro vernimmt er eine lautstarke Diskussion hinter einer geschlossenen Tür mit der Aufschrift „Prof. Dr. Andreas Klinger“.
„Aber das geht einfach nicht, dass Sie die Studenten durch die Prüfungen mogeln!“, krächzt eine dünne Altweiberstimme.
Interessiert bleibt Thomas Kilian stehen.
„Was heißt hier ‚mogeln‘, Frau Sommerfeldt?“, entgegnet Professor Klinger mit seiner tiefen, schnarrenden Stimme, die wie gemacht ist für einen durchdringenden Vortrag in einem vollbesetzten Hörsaal. „Ich habe nur diejenigen von der Klausur befreit, die im Seminar immer engagiert mitgearbeitet und mir damit gezeigt haben, dass sie den Stoff draufhaben. Warum soll ich diesen Studenten – und mir – nicht ein wenig Zeit und Arbeit ersparen?“
„Weil die Prüfungsordnung was anderes vorschreibt, Herr Klinger!“, sagt Frau Sommerfeldt streng. „Vorschriften sind Vorschriften, auch wenn Sie zehnmal keine Lust haben, die Klausuren auch gründlich nachzusehen!“
„Was wollen Sie damit sagen?“, fragt Klinger nach einer kurzen Pause.
Wieder Stille.
„Nun, nichts“, antwortet Frau Sommerfeldt schließlich. „Aber ich werde diese zunehmende Noteninflation an diesem Institut nicht länger hinnehmen!“

Thomas Kilian hält die Luft an und schüttelt den Kopf. Das bedeutet Krieg. Und dabei hat er Andreas erst gestern noch gebeten, den Streit mit der Sommerfeldt bloß nicht eskalieren zu lassen.
„Nur zu.“ Man hört deutlich heraus, wie der Kollege sich bemüht, nicht die Fassung zu verlieren. Es gelingt ihm jedoch nicht sonderlich gut. „Gehen Sie nur und beschweren Sie sich! Und führen Sie ruhig Ihren festgefahrenen Stil fort und atmen Sie weiter den Staub und Mief der Kaiserzeit! Aber dann brauchen Sie mir gegenüber auch nicht mehr über die sinkenden Teilnehmerzahlen in Ihren Seminaren zu lamentieren, Frau Sommerfeldt. Servus und auf Wiederschaun, da ist die Tür!“

Jetzt braust der Sturm erst so richtig auf, denn es wird fachlich. Begriffe wie „Scheiß-Feministin“, „Wissenschafts-Dilettantismus“ und „Vettern-Wirtschaft“ fallen.
Thomas Kilian sieht schnell zu, dass er weiterkommt. Die Tür kann jeden Moment auffliegen und er möchte lieber nicht derjenige sein, dem die hysterische Kollegin nach dieser Auseinandersetzung mit dem Professor zuerst in die Arme läuft.

Kaum hat er seine Bürotür aufgeschlossen, tritt Frau Sommerfeldt auch schon zeternd in den Flur.
„Das wird noch Konsequenzen für Sie haben, Herr Klinger! So ein Verhalten lasse ich mir nicht bieten!“
Eine Tür knallt zu.
Energisches Klackern hoher Absätze hallt durch den Korridor, wird leiser. Dann schlägt erneut eine Tür und es ist wieder still im Gebäude.

***

Unten rennt Marie Seidl hinaus in den Winterabend in Richtung Volksgarten. Oben steht Nadine Jannich am Fenster und sieht ihr nach. Über ihre vollen, rot geschminkten Lippen huscht der zarte Ansatz eines Lächelns.
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