Dunkle Jahre
von eve001
Kurzbeschreibung
Severus Snape – Todesser, Doppelspion, Kriegsheld. Jeder HP-Fan kennt dessen Geschichte. Diese FF erzählt von den Jahren, über die nur wenig bekannt ist. Sie beginnt 1979, als Snape eine Ausbildung zum Meister der Zaubertränke macht und darauf wartet, in die Reihen der Todesser aufgenommen zu werden. Eines Tages erhält er endlich die Chance, seine Treue zu beweisen und zögert nicht, sie zu ergreifen. Schon bald muss Snape jedoch erkennen, welch hohen Preis er für die Erfüllung seines Wunsches zahlen muss…
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Het
Avery
Evan Rosier
Mulciber
OC (Own Character)
Severus Snape
31.01.2021
05.09.2021
52
244.382
33
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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31.01.2021
2.002
Kapitel 1:
(K)ein guter Tag zum Sterben (Herbst 1979)
Ein weiterer Tentakel schlang sich um seinen Hals und drückte gnadenlos zu.
Severus Snape hatte sich seinen Tod immer weitaus spektakulärer vorgestellt. Von einer fleischfressenden Pflanze in einem stickigen Gewächshaus mit einer fetten Fliege verwechselt zu werden, war nicht die Art, wie er sterben wollte. Ganz abgesehen davon, dass er überhaupt nicht sterben wollte. Zumindest noch nicht. Und schon gar nicht heute.
Panisch tastete Severus nach dem Zauberstab in seiner Hosentasche. Luft. Er brauchte Luft. Seine schwitzigen Fingerspitzen berührten das Holz, rutschten aber immer wieder ab, denn zeitgleich musste er den nächsten dornigen Fangarm abwehren, der sich um seine Brust wickeln und ihn zerquetschen wollte.
Ein Ruck ging durch die Teufelsschlinge und Severus kippte um. Das Gewächs machte seinem Namen alle Ehre und hatte sich unbemerkt um seine Fersen geschlungen. Hilflos zappelte er wie ein Fisch, während ihn die teuflische Pflanze näher zu sich zog.
Das war es also. Das Ende.
Hier ruht Severus Snape, erwürgt von einer Blume.
Er konnte sich die Gesichter der wenigen Trauergäste vor seinem Grab bildlich vorstellen: Avery und Mulciber, die sich wie immer köstlich auf seine Kosten amüsierten, und seine Mutter, die aus ihrer Enttäuschung darüber, dass er so dumm gewesen war, sich von einer Pflanze erwürgen zu lassen, keinen Hehl machte.
Der Sauerstoffmangel machte sich langsam bemerkbar, denn ein wahrlich verrückter Gedanke ließ ihn unwillkürlich lächeln. Vor seinem geistigen Auge sah er Lily, die sich schluchzend auf seinen Sarg warf und ihm ihre Liebe gestand… Nur, dass es dann zu spät wäre.
Mit letzter Kraft zog Severus den Zauberstab aus seiner Hosentasche, richtete ihn auf die Teufelsschlinge und krächzte: „L-lumos Solem!“
Sofort ließen ihn die Tentakel frei und zogen sich in die Schatten des Gewächshauses zurück. Am ganzen Leib zitternd kämpfte sich Severus wieder auf die Beine und brachte rasch etwas Abstand zwischen sich und die Teufelsschlinge.
Außerhalb des Gewächshauses lehnte er sich gegen die Tür und holte tief Luft. Das war verdammt knapp gewesen. Abgesehen von diesem Zwischenfall war seine Ausbildung zum Meister der Zaubertränke bei Mr Ferrers bisher sehr ruhig, fast schon langweilig verlaufen. Er hätte nichts dagegen, wenn es auch in Zukunft so bleiben würde.
Missmutig blickte Severus an sich hinab. An einer seinem weißen Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte, war die Auseinandersetzung mit der Pflanze nicht spurlos vorbeigegangen. Severus machte sich zwar nichts aus Äußerlichkeiten, aber in diesem Zustand wollte er Mrs Ferrers, der Frau seines Lehrmeisters, nicht unter die Augen treten. Deshalb stopfte er sein weißes Hemd zurück in den Hosenbund und zog sich die schwarze Weste, die er darüber trug, wieder zurecht. So gut es ging, klopfte Severus sich noch die Erde von seiner schwarzen Hose und begutachtete die blutigen Kratzer auf seinem Arm. Dafür würde er wohl ein paar Tropfen Diptamessenz brauchen, aber zumindest hatte er es geschafft, die Pflanze zu düngen, wie Mrs Ferrers ihm aufgetragen hatte, obwohl es das mörderische Grünzeug eher verdient hätte, mit einem gut gezielten Bombarda in die Luft gesprengt zu werden.
Als Severus wenige Minuten später ins unterirdische Labor im Anwesen der Ferrers zurückkehrte, um Mrs Ferrers von der erledigten Aufgabe zu berichten, fand er sie nicht alleine vor. Sie war in ein Gespräch mit einer jungen Frau vertieft, die unentwegt lächelte und dabei immer wieder nickte. Mit einer eleganten Handbewegung warf sie ihr langes, honigblondes Haar über die Schulter zurück. Dass ihr dabei der pflaumenblaue Hexenhut, der sehr schief auf ihrem Kopf saß, nicht herunterrutschte, hatte sie bestimmt einen Klebefluch zu verdanken.
Auf den ersten Blick erinnerte sie Severus an eine dieser hübschen Frauen, die immer das Cover der Hexenwoche zierten. Nicht, dass er solche Schundblätter las, doch seine Mutter ließ hin und wieder eines der Magazine auf dem Wohnzimmertisch liegen, daher kannte er sie.
Andere Männer hätten die junge Frau sicherlich attraktiv gefunden, Severus Freunde Alvin Avery und Duncan Mulciber ganz bestimmt sogar, doch Severus interessierte sich nicht für sie. Alles an ihr, angefangen von ihrem breiten, strahlend weißen Lächeln bis zu den verzauberten Sternen auf ihrem Kleid, wirkten übertrieben auf ihn. Er mochte natürliche Schönheiten, bodenständige Frauen wie … Nein, er würde nicht schon wieder an sie denken. Severus hatte sich vor einiger Zeit vorgenommen, nicht mehr an dieses eine bestimmte Mädchen zu denken, trotzdem fragte er sich immer wieder, was geschehen wäre, wenn er damals, im fünften Schuljahr, nicht den schlimmsten Fehler seines Lebens begangen hätte…
Als die junge Hexe über einen Witz von Mrs Ferrers lachte, wurde Severus jäh aus seinen trüben Gedanken gerissen. Er räusperte sich vernehmlich. Sofort blickten beide Hexen zu ihm. Nun konnte er das Gesicht der jungen Hexe erkennen und sie kam ihm vage bekannt vor.
„Severus! Da bist du ja, wir haben gerade über dich- … Bei Merlin! Wie siehst du denn aus?“, fragte Mrs Ferrers lachend, was ihre dunklen Augen in ihrem alten, faltigen Gesicht zum Strahlen brachte. Sie zog ihren Zauberstab aus der Tasche ihrer weißen Schürze und beschwor eine Kleiderbürste herauf, die sich sofort auf Severus stürzte, um die restliche Erde von seiner Kleidung zu entfernen.
„Die Teufelsschlinge war nicht sonderlich kooperativ“, sagte Severus und versuchte dabei der Kleiderbürste auszuweichen, die soeben seinen Hintern saubermachen wollte. „Aber ich habe es geschafft, sie zu düngen.“
„Das ist ja wunderbar!“ Mrs Ferrers strahlte und wandte sich wieder der Hexe zu, die Severus‘ Ausweichmanöver mit einem amüsierten Schmunzeln beobachtete. Mit ihren blaugrauen Augen hatte sie ihn genauestens gemustert. Severus mochte es nicht, so taxiert zu werden. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, dass sie jedes noch so kleine Krümelchen Erde auf seiner Kleidung entdeckt hatte und sich deshalb insgeheim über ihn lustig machte. Er konnte die Frau mit jeder Sekunde weniger leiden.
„Severus, darf ich dir Miss Fiona Hardwood vorstellen? Oder vielleicht kennt ihr euch ja sogar bereits? Miss Hardwood hat diesen Juni ihren Abschluss gemacht.“
Severus wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Er begrüßte die Frau mit einem einfachen „Hallo“.
„Hallo“, sagte sie ebenfalls.
Er betrachtete die junge Hexe nachdenklich, ignorierte dabei die nervige Tatsache, dass sie noch immer lächelte, und versuchte sich zu erinnern, ob er ihr schon einmal in Hogwarts über den Weg gelaufen war. Er konnte mit Sicherheit sagen, dass sie weder in Slytherin noch in Gryffindor gewesen war. Dem dümmlichen Grinsen auf ihrem Gesicht nach zu urteilen, würde sie gut nach Hufflepuff passen.
„Welches Haus?“, fragte er schließlich.
„Ravenclaw“, antwortete Fiona mit einem Hauch von Stolz in der Stimme.
Überrascht zog Severus eine Augenbraue nach oben. Da hatte er sich wohl geirrt. Oder der Sprechende Hut vor sieben Jahren.
„Nun“, meinte Mrs Ferrers und blickte zwischen den beiden hin und her, „ich lasse euch kurz alleine, um zu schauen, wo Mr Ferrers so lange bleibt. Er wollte noch mit dir sprechen, Severus.“
Und Severus mit ihm, denn heute war ihm der Durchbruch bei seinem Heiltrank gelungen und er brannte darauf, die Meinung seines Lehrmeisters zu erfahren. Noch ehe er etwas erwidern konnte, war Mrs Ferrers jedoch bereits verschwunden und hatte ihn mit Fiona allein gelassen.
Die junge Frau sah sich interessiert im Labor um. Ihr Blick schweifte über die Regale, in denen die Zutaten fein säuberlich geordnet waren, und blieb schließlich an jenem Teil des Labors hängen, wo sich ein Zaubertrankbuch an das andere reihte. Neugierig ging sie auf die Bücher zu. Ihre Finger fuhren über die Buchrücken, scheinbar wahllos zog sie Werke heraus und blätterte darin.
Severus folgte ihren Bewegungen mit seinem Blicken. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand ungefragt fremdes Eigentum berührte. Am liebsten hätte er sie ermahnt, ihre Finger von den Büchern zu lassen, doch er wusste nicht, ob sie eine Kundin von Mr Ferrers war und deshalb wollte er nicht unhöflich sein. Stattdessen beobachtete er sie weiter und überlegte, wie er ein Gespräch beginnen sollte. Er war nicht gut in solchen Dingen.
Fiona ließ blieb schließlich vor dem Tisch stehen, an dem er vor seinem Kampf gegen das mörderische Grünzeug an einem Heiltrank gearbeitet hatte. Als sie ihre Hand nach den Phiolen mit dem ausgekühlten Trank ausstreckte, reichte es Severus endgültig.
„Fass das nicht an.“
Überraschte drehte sie sich zu ihm um.
„Ich glaube nicht, dass wir einander schon mal in Hogwarts begegnet sind“, meinte Severus und beantwortete damit die Frage, die Mrs Ferrers vor wenigen Minuten den beiden gestellt hatte.
Fiona wandte ihre Aufmerksamkeit nun Severus zu und ließ sein Experiment in Ruhe. „Doch, sind wir“, widersprach Fiona grinsend.
„Tatsächlich?“ Er konnte sich beim besten Willen nicht an sie erinnern.
„Ja, auf einer von Professor Slughorns Partys. Ich habe dich gefragt, ob der Platz neben dir noch frei ist und du bist einfach aufgestanden und weggegangen. Das fand ich damals sehr unhöflich, aber wahrscheinlich hast du mich gar nicht bemerkt. Du hast immer nur zu einer Gruppe Gryffindors geschaut…“
Und plötzlich erinnerte sich Severus wieder. Nicht an Fiona, aber an die Abschlussparty seines Jahrganges, die Slughorn veranstaltet hatte. Oft war er zu solchen Feiern nicht eingeladen gewesen, dafür war Severus zu unbedeutend, aber bei dieser Feier waren alle Slytherins seines Jahrganges dabei gewesen und Severus hatte den ganzen Abend auf die passende Gelegenheit gewartet, um unbemerkt mit … ihr sprechen zu können. Ein letztes Mal hatte er versuchen wollen, zwischen ihnen beiden alles wieder in Ordnung zu bringen, doch es hatte sich keine Gelegenheit ergeben. Entweder war Potter ständig in ihrer Nähe gewesen oder Severus‘ Freunde hätten es bemerkt, wenn er zu ihr gegangen wäre. Rückblickend ärgerte sich Severus über diese vergebene Chance. Vielleicht hätte es doch irgendetwas zwischen ihnen verändert.
„Ist Mr Ferrers ein guter Lehrmeister?“, fragte Fiona und riss Severus aus seinen Erinnerungen.
„Der beste Lehrmeister, den man sich wünschen kann.“ Severus verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen einen der vier Arbeitstische im Labor.
Fiona lächelte. „Das ist gut.“
Sie setzte ihre Erkundung des Labors fort. Bei jedem Schritt klapperten die Absätze ihrer pflaumenblauen Schuhe auf dem Steinboden. Sie waren derart hoch und spitz, dass Severus schon beim Hinsehen die Füße schmerzten. Er wünschte sich Mrs Ferrers zurück, denn er wusste wirklich nicht, worüber er mit der aufgetakelten Hexe sprechen sollte.
„Hast du schon alle Einzelheiten mit Mr Ferrers geklärt?“, fragte er, weil er annahm, dass sie einen speziellen Zaubertrank in Auftrag gegeben hatte. Warum sonst sollte sie hier sein?
„Ja, das Wichtigste haben wir besprochen.“
„Gut.“ Severus fragte nicht weiter nach, Mr Ferrers würde ihm ohnehin alles erzählen, was er wissen musste.
„Wo ist denn eigentlich der Lehrling, von dem Mrs Ferrers so geschwärmt hat? Ich würde ihn gerne kennen lernen.“
Severus wusste nicht so recht, ob sie ihm auf den Arm nahm oder es tatsächlich ernst meinte. „Nun, er steht-“
„Sieht er gut aus? Erzähl mir was von ihm. Hat er eine Freundin? Falls er mit dir über solche Dinge spricht.“
„Mit mir?“
„Du bist doch nur der Hilfsgärtner, oder?“ Wieder taxierte sie ihn mit ihrem Blick.
Für einen Moment war Severus so verärgert, dass es ihm die Sprache verschlug. Er musste seine Meinung über Fiona revidieren. Vor wenigen Minuten dachte er noch, er könne sie nicht leiden. Nun wusste er mit Sicherheit, dass er sie nicht ausstehen konnte.
„Du kannst versichert sein, dass dein bestellter Trank von höchster Qualität sein wird. Egal, ob ihn Mr Ferrers gebraut hat oder ich, sein Lehrling und Assistent“, sagte er kühl.
Ihre blaugrauen Augen weiteten sich vor Schreck. „Du?“
Er nickte und versuchte sich nicht allzu sehr daran zu stören, wie abfällig und ungläubig ihre Stimme geklungen hatte.
„Ich dachte … weil du die Pflanze–", setzte sie zu einer Erklärung an, doch genau in dem Moment kam Mrs Ferrers zurück.
Sie lächelte die beiden warmherzig an. „Ich hoffe, ihr habt euch gut unterhalten, ja? Severus, Mr Ferrers erwartet dich in seinem Büro, wenn du Zeit hast.“
Sogleich griff Severus nach seinem Notizbuch und nahm eine Probe des Heiltranks mit. Ohne Fiona eines Blickes zu würdigen, verließ er das Labor. Er freute sich darauf, Mr Ferrers endlich von seinem gelungenen Experiment erzählen zu können, das ihm seinen Ziel, ein Meister der Zaubertränke zu werden, einen Schritt näher gebracht hatte.
(K)ein guter Tag zum Sterben (Herbst 1979)
Ein weiterer Tentakel schlang sich um seinen Hals und drückte gnadenlos zu.
Severus Snape hatte sich seinen Tod immer weitaus spektakulärer vorgestellt. Von einer fleischfressenden Pflanze in einem stickigen Gewächshaus mit einer fetten Fliege verwechselt zu werden, war nicht die Art, wie er sterben wollte. Ganz abgesehen davon, dass er überhaupt nicht sterben wollte. Zumindest noch nicht. Und schon gar nicht heute.
Panisch tastete Severus nach dem Zauberstab in seiner Hosentasche. Luft. Er brauchte Luft. Seine schwitzigen Fingerspitzen berührten das Holz, rutschten aber immer wieder ab, denn zeitgleich musste er den nächsten dornigen Fangarm abwehren, der sich um seine Brust wickeln und ihn zerquetschen wollte.
Ein Ruck ging durch die Teufelsschlinge und Severus kippte um. Das Gewächs machte seinem Namen alle Ehre und hatte sich unbemerkt um seine Fersen geschlungen. Hilflos zappelte er wie ein Fisch, während ihn die teuflische Pflanze näher zu sich zog.
Das war es also. Das Ende.
Hier ruht Severus Snape, erwürgt von einer Blume.
Er konnte sich die Gesichter der wenigen Trauergäste vor seinem Grab bildlich vorstellen: Avery und Mulciber, die sich wie immer köstlich auf seine Kosten amüsierten, und seine Mutter, die aus ihrer Enttäuschung darüber, dass er so dumm gewesen war, sich von einer Pflanze erwürgen zu lassen, keinen Hehl machte.
Der Sauerstoffmangel machte sich langsam bemerkbar, denn ein wahrlich verrückter Gedanke ließ ihn unwillkürlich lächeln. Vor seinem geistigen Auge sah er Lily, die sich schluchzend auf seinen Sarg warf und ihm ihre Liebe gestand… Nur, dass es dann zu spät wäre.
Mit letzter Kraft zog Severus den Zauberstab aus seiner Hosentasche, richtete ihn auf die Teufelsschlinge und krächzte: „L-lumos Solem!“
Sofort ließen ihn die Tentakel frei und zogen sich in die Schatten des Gewächshauses zurück. Am ganzen Leib zitternd kämpfte sich Severus wieder auf die Beine und brachte rasch etwas Abstand zwischen sich und die Teufelsschlinge.
Außerhalb des Gewächshauses lehnte er sich gegen die Tür und holte tief Luft. Das war verdammt knapp gewesen. Abgesehen von diesem Zwischenfall war seine Ausbildung zum Meister der Zaubertränke bei Mr Ferrers bisher sehr ruhig, fast schon langweilig verlaufen. Er hätte nichts dagegen, wenn es auch in Zukunft so bleiben würde.
Missmutig blickte Severus an sich hinab. An einer seinem weißen Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte, war die Auseinandersetzung mit der Pflanze nicht spurlos vorbeigegangen. Severus machte sich zwar nichts aus Äußerlichkeiten, aber in diesem Zustand wollte er Mrs Ferrers, der Frau seines Lehrmeisters, nicht unter die Augen treten. Deshalb stopfte er sein weißes Hemd zurück in den Hosenbund und zog sich die schwarze Weste, die er darüber trug, wieder zurecht. So gut es ging, klopfte Severus sich noch die Erde von seiner schwarzen Hose und begutachtete die blutigen Kratzer auf seinem Arm. Dafür würde er wohl ein paar Tropfen Diptamessenz brauchen, aber zumindest hatte er es geschafft, die Pflanze zu düngen, wie Mrs Ferrers ihm aufgetragen hatte, obwohl es das mörderische Grünzeug eher verdient hätte, mit einem gut gezielten Bombarda in die Luft gesprengt zu werden.
Als Severus wenige Minuten später ins unterirdische Labor im Anwesen der Ferrers zurückkehrte, um Mrs Ferrers von der erledigten Aufgabe zu berichten, fand er sie nicht alleine vor. Sie war in ein Gespräch mit einer jungen Frau vertieft, die unentwegt lächelte und dabei immer wieder nickte. Mit einer eleganten Handbewegung warf sie ihr langes, honigblondes Haar über die Schulter zurück. Dass ihr dabei der pflaumenblaue Hexenhut, der sehr schief auf ihrem Kopf saß, nicht herunterrutschte, hatte sie bestimmt einen Klebefluch zu verdanken.
Auf den ersten Blick erinnerte sie Severus an eine dieser hübschen Frauen, die immer das Cover der Hexenwoche zierten. Nicht, dass er solche Schundblätter las, doch seine Mutter ließ hin und wieder eines der Magazine auf dem Wohnzimmertisch liegen, daher kannte er sie.
Andere Männer hätten die junge Frau sicherlich attraktiv gefunden, Severus Freunde Alvin Avery und Duncan Mulciber ganz bestimmt sogar, doch Severus interessierte sich nicht für sie. Alles an ihr, angefangen von ihrem breiten, strahlend weißen Lächeln bis zu den verzauberten Sternen auf ihrem Kleid, wirkten übertrieben auf ihn. Er mochte natürliche Schönheiten, bodenständige Frauen wie … Nein, er würde nicht schon wieder an sie denken. Severus hatte sich vor einiger Zeit vorgenommen, nicht mehr an dieses eine bestimmte Mädchen zu denken, trotzdem fragte er sich immer wieder, was geschehen wäre, wenn er damals, im fünften Schuljahr, nicht den schlimmsten Fehler seines Lebens begangen hätte…
Als die junge Hexe über einen Witz von Mrs Ferrers lachte, wurde Severus jäh aus seinen trüben Gedanken gerissen. Er räusperte sich vernehmlich. Sofort blickten beide Hexen zu ihm. Nun konnte er das Gesicht der jungen Hexe erkennen und sie kam ihm vage bekannt vor.
„Severus! Da bist du ja, wir haben gerade über dich- … Bei Merlin! Wie siehst du denn aus?“, fragte Mrs Ferrers lachend, was ihre dunklen Augen in ihrem alten, faltigen Gesicht zum Strahlen brachte. Sie zog ihren Zauberstab aus der Tasche ihrer weißen Schürze und beschwor eine Kleiderbürste herauf, die sich sofort auf Severus stürzte, um die restliche Erde von seiner Kleidung zu entfernen.
„Die Teufelsschlinge war nicht sonderlich kooperativ“, sagte Severus und versuchte dabei der Kleiderbürste auszuweichen, die soeben seinen Hintern saubermachen wollte. „Aber ich habe es geschafft, sie zu düngen.“
„Das ist ja wunderbar!“ Mrs Ferrers strahlte und wandte sich wieder der Hexe zu, die Severus‘ Ausweichmanöver mit einem amüsierten Schmunzeln beobachtete. Mit ihren blaugrauen Augen hatte sie ihn genauestens gemustert. Severus mochte es nicht, so taxiert zu werden. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, dass sie jedes noch so kleine Krümelchen Erde auf seiner Kleidung entdeckt hatte und sich deshalb insgeheim über ihn lustig machte. Er konnte die Frau mit jeder Sekunde weniger leiden.
„Severus, darf ich dir Miss Fiona Hardwood vorstellen? Oder vielleicht kennt ihr euch ja sogar bereits? Miss Hardwood hat diesen Juni ihren Abschluss gemacht.“
Severus wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Er begrüßte die Frau mit einem einfachen „Hallo“.
„Hallo“, sagte sie ebenfalls.
Er betrachtete die junge Hexe nachdenklich, ignorierte dabei die nervige Tatsache, dass sie noch immer lächelte, und versuchte sich zu erinnern, ob er ihr schon einmal in Hogwarts über den Weg gelaufen war. Er konnte mit Sicherheit sagen, dass sie weder in Slytherin noch in Gryffindor gewesen war. Dem dümmlichen Grinsen auf ihrem Gesicht nach zu urteilen, würde sie gut nach Hufflepuff passen.
„Welches Haus?“, fragte er schließlich.
„Ravenclaw“, antwortete Fiona mit einem Hauch von Stolz in der Stimme.
Überrascht zog Severus eine Augenbraue nach oben. Da hatte er sich wohl geirrt. Oder der Sprechende Hut vor sieben Jahren.
„Nun“, meinte Mrs Ferrers und blickte zwischen den beiden hin und her, „ich lasse euch kurz alleine, um zu schauen, wo Mr Ferrers so lange bleibt. Er wollte noch mit dir sprechen, Severus.“
Und Severus mit ihm, denn heute war ihm der Durchbruch bei seinem Heiltrank gelungen und er brannte darauf, die Meinung seines Lehrmeisters zu erfahren. Noch ehe er etwas erwidern konnte, war Mrs Ferrers jedoch bereits verschwunden und hatte ihn mit Fiona allein gelassen.
Die junge Frau sah sich interessiert im Labor um. Ihr Blick schweifte über die Regale, in denen die Zutaten fein säuberlich geordnet waren, und blieb schließlich an jenem Teil des Labors hängen, wo sich ein Zaubertrankbuch an das andere reihte. Neugierig ging sie auf die Bücher zu. Ihre Finger fuhren über die Buchrücken, scheinbar wahllos zog sie Werke heraus und blätterte darin.
Severus folgte ihren Bewegungen mit seinem Blicken. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand ungefragt fremdes Eigentum berührte. Am liebsten hätte er sie ermahnt, ihre Finger von den Büchern zu lassen, doch er wusste nicht, ob sie eine Kundin von Mr Ferrers war und deshalb wollte er nicht unhöflich sein. Stattdessen beobachtete er sie weiter und überlegte, wie er ein Gespräch beginnen sollte. Er war nicht gut in solchen Dingen.
Fiona ließ blieb schließlich vor dem Tisch stehen, an dem er vor seinem Kampf gegen das mörderische Grünzeug an einem Heiltrank gearbeitet hatte. Als sie ihre Hand nach den Phiolen mit dem ausgekühlten Trank ausstreckte, reichte es Severus endgültig.
„Fass das nicht an.“
Überraschte drehte sie sich zu ihm um.
„Ich glaube nicht, dass wir einander schon mal in Hogwarts begegnet sind“, meinte Severus und beantwortete damit die Frage, die Mrs Ferrers vor wenigen Minuten den beiden gestellt hatte.
Fiona wandte ihre Aufmerksamkeit nun Severus zu und ließ sein Experiment in Ruhe. „Doch, sind wir“, widersprach Fiona grinsend.
„Tatsächlich?“ Er konnte sich beim besten Willen nicht an sie erinnern.
„Ja, auf einer von Professor Slughorns Partys. Ich habe dich gefragt, ob der Platz neben dir noch frei ist und du bist einfach aufgestanden und weggegangen. Das fand ich damals sehr unhöflich, aber wahrscheinlich hast du mich gar nicht bemerkt. Du hast immer nur zu einer Gruppe Gryffindors geschaut…“
Und plötzlich erinnerte sich Severus wieder. Nicht an Fiona, aber an die Abschlussparty seines Jahrganges, die Slughorn veranstaltet hatte. Oft war er zu solchen Feiern nicht eingeladen gewesen, dafür war Severus zu unbedeutend, aber bei dieser Feier waren alle Slytherins seines Jahrganges dabei gewesen und Severus hatte den ganzen Abend auf die passende Gelegenheit gewartet, um unbemerkt mit … ihr sprechen zu können. Ein letztes Mal hatte er versuchen wollen, zwischen ihnen beiden alles wieder in Ordnung zu bringen, doch es hatte sich keine Gelegenheit ergeben. Entweder war Potter ständig in ihrer Nähe gewesen oder Severus‘ Freunde hätten es bemerkt, wenn er zu ihr gegangen wäre. Rückblickend ärgerte sich Severus über diese vergebene Chance. Vielleicht hätte es doch irgendetwas zwischen ihnen verändert.
„Ist Mr Ferrers ein guter Lehrmeister?“, fragte Fiona und riss Severus aus seinen Erinnerungen.
„Der beste Lehrmeister, den man sich wünschen kann.“ Severus verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen einen der vier Arbeitstische im Labor.
Fiona lächelte. „Das ist gut.“
Sie setzte ihre Erkundung des Labors fort. Bei jedem Schritt klapperten die Absätze ihrer pflaumenblauen Schuhe auf dem Steinboden. Sie waren derart hoch und spitz, dass Severus schon beim Hinsehen die Füße schmerzten. Er wünschte sich Mrs Ferrers zurück, denn er wusste wirklich nicht, worüber er mit der aufgetakelten Hexe sprechen sollte.
„Hast du schon alle Einzelheiten mit Mr Ferrers geklärt?“, fragte er, weil er annahm, dass sie einen speziellen Zaubertrank in Auftrag gegeben hatte. Warum sonst sollte sie hier sein?
„Ja, das Wichtigste haben wir besprochen.“
„Gut.“ Severus fragte nicht weiter nach, Mr Ferrers würde ihm ohnehin alles erzählen, was er wissen musste.
„Wo ist denn eigentlich der Lehrling, von dem Mrs Ferrers so geschwärmt hat? Ich würde ihn gerne kennen lernen.“
Severus wusste nicht so recht, ob sie ihm auf den Arm nahm oder es tatsächlich ernst meinte. „Nun, er steht-“
„Sieht er gut aus? Erzähl mir was von ihm. Hat er eine Freundin? Falls er mit dir über solche Dinge spricht.“
„Mit mir?“
„Du bist doch nur der Hilfsgärtner, oder?“ Wieder taxierte sie ihn mit ihrem Blick.
Für einen Moment war Severus so verärgert, dass es ihm die Sprache verschlug. Er musste seine Meinung über Fiona revidieren. Vor wenigen Minuten dachte er noch, er könne sie nicht leiden. Nun wusste er mit Sicherheit, dass er sie nicht ausstehen konnte.
„Du kannst versichert sein, dass dein bestellter Trank von höchster Qualität sein wird. Egal, ob ihn Mr Ferrers gebraut hat oder ich, sein Lehrling und Assistent“, sagte er kühl.
Ihre blaugrauen Augen weiteten sich vor Schreck. „Du?“
Er nickte und versuchte sich nicht allzu sehr daran zu stören, wie abfällig und ungläubig ihre Stimme geklungen hatte.
„Ich dachte … weil du die Pflanze–", setzte sie zu einer Erklärung an, doch genau in dem Moment kam Mrs Ferrers zurück.
Sie lächelte die beiden warmherzig an. „Ich hoffe, ihr habt euch gut unterhalten, ja? Severus, Mr Ferrers erwartet dich in seinem Büro, wenn du Zeit hast.“
Sogleich griff Severus nach seinem Notizbuch und nahm eine Probe des Heiltranks mit. Ohne Fiona eines Blickes zu würdigen, verließ er das Labor. Er freute sich darauf, Mr Ferrers endlich von seinem gelungenen Experiment erzählen zu können, das ihm seinen Ziel, ein Meister der Zaubertränke zu werden, einen Schritt näher gebracht hatte.