Der Fall
von teargarden
Kurzbeschreibung
AU - Ray erinnerte sich, als er früher hier war. Es sah anders aus, definitiv. Der Weg war noch mehr belaufen, überall hingen Touristen mit ihren Kameras herum. Sie starrten dumm in der Gegend herum und schossen Fotos. Ray war einer von ihnen.
OneshotÜbernatürlich, Tragödie / P16 / Mix
Emma
Norman
Ray
15.01.2021
15.01.2021
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15.01.2021
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Ray war alleine.
Die frische Morgenluft drang durch seine gesunden Lungen, erfüllte seinen Körper mit Leben und Energie. Am Horizont erstreckten sich die Gipfel zweier Berge, auf denen Schnee lag. Rays Atem kräuselte sich sichtbar in der Kälte, wie Dampf, wie der Qualm, den man beim Rauchen ausstößt. Er hielt die Zügel stramm, weil er Angst hatte, in Gefahr zu stolpern, wenn er nicht langsam und vorsichtig den Trampelpfad hinter sich ließ. Das Pferd, welches ihn und den Wagon hinter ihm herzog, schnaufte mühselig und wurde langsamer. Ray ließ es ruhen. Er hatte es nicht eilig, im Gegenteil, er hoffte, dass das Pferd so lange wie möglich erschöpft blieb, um Zeit zu schinden.
Mit kreideweißem, ausdruckslosem Gesicht starrte Ray auf die Zügel in seinen Händen. Er musste bestimmt wie leichte Beute wirken, so ganz alleine, auf sich gestellt, mit einem müden Pferd und dann auch noch so abgelenkt.
Scheiß drauf. Er war auf sich gestellt, sein Pferd war müde, doch seine Ohren waren gespitzt und hörten wahrscheinlich besser als die eines Kaninchens. Oh, Kaninchen. Wie gerne würde er jetzt jagen gehen.
Der Wagon hinter ihm war überdacht. Wie ein Zelt ragte es über ihm, mit schmutzigen, weißen Laken und Holzpfählen, die es aufrechterhielten. Hinter Ray stöhnte es protestierend, als die Räder des Wagons über Geröll holperten. Es ging nun steiler als vorher, also konnte es nicht mehr weit sein.
Ray erinnerte sich, als er früher hier war. Es sah anders aus, definitiv. Der Weg war noch mehr belaufen, überall hingen Touristen mit ihren Kameras herum. Sie starrten dumm in der Gegend herum und schossen Fotos. Ray war einer von ihnen. Er hatte seine Kamera zwischen seinem Kinn und seiner Brust eingeklemmt, während er aus seiner Tasche seine Sonnenbrille zu fischen versuchte. Es war heiß und die hellen Farben, in denen die Berge getunkt waren, schmerzten in seinen Augen. Schwarz, dachte Ray, warum kann nicht alles schwarz sein? Warum gab es keinen Nachtmodus für seine Augen?
Die Wiese, auf der er stand, erstreckte sich, bis die dunklen Bäume den Anfang des Waldes markierten. Die Berge waren auf der anderen Seite. Sie sahen auf dem ersten Blick recht gewöhnlich aus, doch Ray faszinierte, wie unglaublich identisch sie zueinander waren. Wie ein Spiegelbild, als hätte sich Gott gedacht: „Hey, warum nicht nochmal?“
Ray zog sich seine Sonnenbrille an und konnte direkt feststellen, dass seine Sicht klarer wurde. Dann richtete er seine Kamera ein und schoss einige Fotos, die er daraufhin seiner Mutter schickte. Isabella reagierte mit einem seltsamen Emoji, der die Zähne zusammenbiss. Vielleicht soll das ein Lächeln sein?, fragte sich Ray mit hochgezogener Augenbraue. Oder Isabella hatte Angst, dass Ray vorhatte, den Berg zu besteigen. Nur ein Vollidiot würde das ohne Ausrüstung probieren.
Wie sich später herausstellte, gab es anscheinend Vollidioten auf dieser Welt. Ray begegnete einem Mädchen in seinem Alter, das versuchte, den Berg ohne Ausrüstung zu besteigen. Ray war gerade dabei, einen näheren Blick auf die Beschaffung der Steinstruktur zu werfen, als ihm einige Kieselsteine auf den Kopf fielen. Er reckte seinen Kopf unangenehm dem Himmel und somit auch der Sonne entgegen und traf dabei den Blick des Rotschopfs, der gerade über ihm baumelte. Sie trug ein Sommerkleid, Flip-Flops und einen Hut.
Und sie kletterte einen Berg hinauf, sogar beachtlich weit für ihr Alter (Wenn sie in Rays Alter war, musste sie mindestens vierzehn sein. Und er vermutete, dass ihr Alter in etwa gleich sein sollte).
„Schwachkopf“, sagte Ray laut.
„Was?!“, rief der Rotschopf zurück.
„Du bist ein Schwachkopf“, sagte Ray, der seine Stimme nicht besonders hob, doch laut genug hielt, um seine Worte dem Mädchen an den Kopf zu werfen. Sein Nacken tat inzwischen vom Hochschauen weh und er fragte sich bereits, wieso er sich die Mühe überhaupt machte.
„Wieso das denn??“, schnaubte das Mädchen und sah nach unten zu Ray. Das mussten mindestens schon zehn oder fünfzehn Meter sein.
„Du trägst Flip-Flops und hast keine Kletterausrüstung an dir. Du wirst höchstwahrscheinlich fallen und dir deine Wirbelsäule brechen“, zählte Ray unbeeindruckt auf, „Hast du den Verstand verloren?“
„Ich habe einfach keine Angst, das ist alles“, das Mädchen zuckte mit den Schultern, bevor es wieder anfing, zu grinsen. „Ich will nicht warten, bis mein Papa mir so etwas kauft, also beweise ich ihm einfach, dass ich auch ohne das ganze Geld einen Berg besteigen kann!“, sie holte tief Luft und setzte zu einem weiteren Griff an, um sich an einem Vorsprung hochzuziehen, „Selbst mit Flip-Flops!“
Ray hörte, wie sie vor Freude lachte und er musste seinen Kopf wegdrehen, um die Röte in seinem Gesicht zu verbergen. „Du trägst ein Kleid“, fuhr er ein wenig neben sich fort, „Und du kletterst einen Berg hoch. Wenn hier Pedos ihr Unwesen treiben, bist du geliefert“
Das Mädchen verharrte ein wenig. „Ohmeingott“, sagte sie alarmiert, „Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich dachte die Menschen kommen hier nur her, um die Aussicht zu genießen!“
„Das tun Pedos dann auch, wenn sie sowas sehen“, murmelte Ray, doch er sagte es nicht laut. Die Situation war auch schon so seltsam genug.
„Okay“, sagte das Mädchen langsam, „Vielleicht sollte ich es erst nochmal probieren, wenn ich gute Hosen trage“
„Gute Idee“, pflichtete ihr Ray bei, der sich inzwischen langsam umgedreht hatte und weiterging.
Wenig später traf er erneut auf das Mädchen, diesmal in Begleitung eines Jungen. Ray wollte nicht hinsehen. Es war ihm aus irgendeinem Grund peinlich. Also versuchte er einfach, die beiden zu ignorieren und einen abgelegenen Pfad zu nehmen, um sich von der Gruppe der Touristen zu distanzieren.
„Hey“, sagte auf einmal jemand neben ihm. Ray blieb stehen und starrte in die Augen irgendeines Touristen. Er war groß und alt.
Oh Gott. War das irgendeine kranke Idee von Gott? Wollte er Ray damit sagen, dass man kein Kleid tragen musste, um von Pedos geschnappt zu werden? Wieso ging ihm dieser Mist durch den Kopf??
Bevor der Mann noch mehr sagen konnte, sprang der Junge, den Ray neben dem Rotschopf gesehen hatte, dazwischen. Nicht wortwörtlich, aber ungefähr so war es. „Entschuldigen Sie!“, sagte er mit einem zuckersüßen Lächeln, „Mein kleiner Bruder verläuft sich ständig und kommt auf dumme Ideen, ich hoffe doch, er hat Sie nicht belästigt?“
Ray starrte das Lächeln des Jungen an und fragte sich, wie er das schaffte, ohne einen Krampf zu bekommen. Sein Körper glänze im Sonnenlicht und er roch nach Kokosnuss. Dafür musste wohl die Sonnencreme verantwortlich gewesen sein, die er sich auf seinen Körper geschmiert hatte. Er trug auch eine Sonnenbrille, nur war sie größer und dunkler als die von Ray. Seine Klamotten waren hell und fröhlich, wie die des Mädchens, doch in weniger knalligen und in eher blassen Farben. Ray trug meistens schwarz, außer an heißen und sonnigen Tagen, wegen offensichtlichen Gründen.
Der Tourist öffnete seinen Mund, doch der Junge zog Ray einfach fort.
(Er wollte nur nach der nächsten Tankstelle fragen…)
Kurz gesagt, der gesamte Tag lief für Ray beschissen. Er wollte die Aussicht der Zwillingsberge genießen, doch er verbrachte seine kostbare Zeit damit, sich vor dem rothaarigen Mädchen und ihrer seltsamen Begleitung, einem Jungen mit schneeweißen Haaren, zu verstecken, nur um letzten Endes von irgendeinem Typen angesprochen zu werden, der eventuell mehr als nur einen Austausch von Wörtern wollte. Und dann wurde er noch auf die unnötigste Weise ‚gerettet‘.
„Wofür war das denn?“, zischte Ray den Jungen an. Er sollte vielleicht dankbar sein, doch es war peinlich und ziemlich riskant gewesen. Das Lächeln des Jungen schwächte direkt ab und er starrte Ray mit einem ernsten, tadelnden Blick an.
„Wenn man hier draußen ohne Aufsichtsperson ist, sollte man immer in Gruppen zusammenbleiben. Besonders in so einer abgelegenen Gegend“, erklärte er und Ray musste erst einmal verarbeiten, dass er bemuttert wurde. Isabella bemutterte ihn nie. Und sie war buchstäblich seine Mutter. „Ich bin vierzehn“, sagte Ray. Er wusste nicht, wieso er das sagte, aber es schien wie eine korrekte Rechtfertigung. Der Junge starrte ihn mehrere Sekunden an, bevor er langsam zu grinsen begann und sagte: „Hallo Vierzehn, ich bin Norman“
Das war der geschmackloseste Dad-Joke, den Ray je gehört hatte. Norman schlug sich eine Hand vor den Mund, um sein Kichern zu ersticken, während Rays Seele temporär seinen Körper verlassen hatte.
„Nicht unbedingt einer meiner stolzesten Momente“, sagte Norman und lächelte wie ein Honigkuchenpferd.
„Hey!“, hörte Ray entfernt die Stimme des Rotschopfs. Sie rannte zu den beiden hinunter. Anscheinend hatte sie ganz alleine am Hügel auf ihre Begleitung gewartet. Ohne Aufsichtsperson und Gruppe. Rays Augen wurden zu Schlitzen und er versuchte, eine Reaktion des Jungen vor ihm zu erhaschen, doch dieser schien vollkommen auszublenden, dass seine Begleitung auf sie zustürmte – in beängstigender Geschwindigkeit.
„Wieso kann man mich nicht alleine lassen, aber sie schon?“, fragte Ray genervt. Sie schien mehr Ärger zu machen als er immerhin. Norman hob eine Augenbraue. „Oh, du meinst Emma?“
„Hey!“, wiederholte Emma, die langsamer wurde und sich zwischen Norman und Ray stellte, „Ich will mich selbst vorstellen“
Ray seufzte.
„Also“, begann sie, „Ich bin Emma, freut mich, dich kennenzulernen!“
„Hi, Emma“, sagte Ray, nicht enthusiastisch genug, um richtige Emotionen durch seine Stimme fluten zu lassen.
„Danke, dass du mir vorhin geholfen hast“, fuhr Emma fort, „So weit habe ich gar nicht gedacht“
„Kein Problem“, Ray starrte auf seine Schnürsenkel. Er konnte nicht gut mit Menschen reden. Es machte ihn nervös. Nein, nicht nervös, das war vielleicht nicht das richtige Wort. Er fühlte sich einfach unwohl. Am liebsten würde er die ganze Zeit alleine verbringen. Kontakte oder gar Freundschaften knüpfen war nie seine größte Stärke und er musste sich oft zusammenreißen, freundlich zu bleiben, da er meist zu ehrlich mit seinen Worten umging.
„Emma lernt eine Kampfkunst“, verkündete Norman nun, „Sie kann sich also selbst verteidigen“
Ray starrte beide abwechselnd an. „Und ihr seid immer auf der Hut nach irgendwelchen Kinderschändern oder was?“
„Eigentlich nicht“, Emma zuckte mit den Schultern, „Ich denke fast gar nicht an sowas, aber Norman hat mir letztens erzählt, dass hier besonders viele Entführungen in den letzten Jahren stattfanden“
Ihr Blick war ernst. Und irgendwie traurig. „Ich hoffe, dass es den Vermissten gut geht“
Ray sagte nichts. Er wusste, dass es eine Statistik gab, die besagte, dass die meisten Opfer von Entführungen innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden nach ihres Verschwindens vermutlich tot waren. Norman schien ähnliche Gedanken zu haben, denn sein Blick glich dem eines müden, hoffnungslosen Kriegsveteran.
„Ich bin hierhergekommen, um Fotos von einer inspirierenden Landschaft zu schießen und ihr erzählt mir solche dummen Geschichten“, murmelte Ray nun. Er wusste nichts von der Entführungsrate hier. Er kam von weiter weg, ungefähr zwei Stunden mit dem Fahrrad. Isabella hatte erzählt, dass sie hier seinen Vater kennengelernt hatte und Ray hatte genug Interesse, um sich selbst ein Bild von der Ortschaft zu machen – im wahrsten Sinne des Wortes. Nun bereute er es, hierhergekommen zu sein, da es offensichtlich Zeitverschwendung war und inzwischen gefährlich wirkte.
„Bist du mit dem Fahrrad hierher?“, erkundigte sich Norman neugierig. Er schirmte seine Augen vor der Sonne, um nicht geblendet zu werden. Ray zog seine Augenbrauen zusammen. „Ja, woher weißt du das?“
„Ich habe dich hier anhalten gesehen“, Norman zuckte mit seinen Schultern, „Die meisten kommen hier nicht einfach alleine her, deswegen ist es mir ziemlich schnell aufgefallen“
„Was Norman sagen will“, warf Emma nun ein, „Findest du es nicht ein wenig riskant, hier alleine durch die Gegend zu laufen?“
„Nö“, antwortete Ray trocken, „Mir macht so schnell nichts Angst“
Norman und Emma warfen sich einen Blick zu.
„Ich bin nicht sonderlich übervorsichtig, das verlangsamt doch nur den ganzen Prozess des Lebens“
Norman runzelte seine Stirn. „Wie meinst du das?“, fragte er.
„Wenn man die ganze Zeit vorsichtig ist, kann man die aufregenden Momente im Leben nicht genießen“
„Aber es könnte dein Leben kosten“, Emma schüttelte ihren Kopf, „Das ist einfach dumm“
„Ha?“, Ray bäumte sich vor dem Rotschopf auf, „Das sagt die, die mit Flip-Flops einen Berg besteigen wollte!“
„Ich hab dir doch gesagt, warum ich das gemacht habe!“, schnaubte Emma zurück, „Außerdem klettere ich ganz hervorragend, vielen Dank auch!“
„Du kannst nicht mehr hervorragend klettern, wenn du gelähmt bist, du-“
Die Standpauke der beiden wurde von Normans plötzlichem Lachanfall unterbrochen. Er hatte sein Gesicht vergraben und schien es nicht mehr länger einhalten zu können. Ray starrte verblüfft auf das Szenario, während auch Emma anfing zu lachen. Das alles wurde mit jeder Sekunde immer surrealer. Mit Sicherheit befand er sich gerade in einem Komatraum.
„Ihr seid doch beide durchgeknallt!“, blaffte Ray verständnislos, während er sein Handy aus seiner Tasche zog, „Hier ist meine Nummer“
Beide hörten ruckartig auf, zu lachen und starrten ihn verwirrt an, während sich ein Grinsen auf Rays Gesicht bildete. Das Lachen ging von neuem los.
Ray hatte kein Interesse, sich sonderlich wichtig in Norman und Emmas Leben zu machen, doch anscheinend ist es schon so passiert. Obwohl er die beiden danach eine lange Zeit nicht mehr gesehen hatte, hielten sie stark an dem telefonischen Kontakt.
Die nächsten Jahre verbrachte Ray damit, für seine Zukunft hart zu ackern. Er lernte jeden Tag und jede Nacht. Jedes Jahr war eine neue Hürde für ihn, aber durch sein scharfes Allgemeinwissen fiel es ihm deutlich leichter als den meisten, an dem Schulstoff dran zu bleiben.
Nach der Schule ging Ray studieren. Er wusste immer noch nicht, was für ein Beruf zu ihm passte, also ging er mehr oder weniger mit der Menge.
Auf dem Campus begegnete er Norman persönlich, der jedoch eine Stufe über ihm war und Psychologie studierte. Er saß bei den ziemlich beliebten und reichen Studenten, die er wie ein Magnet anzuziehen schien. Es erinnerte Ray bizarr an den Tag, an dem er Norman und Emma das erste Mal getroffen hatte, da er sich erneut vor dem Blick seines Freundes zu verstecken versuchte. Denn wo auch immer Norman hinsah, so schien seine Gruppe an Freunden auch hinzusehen.
Die Monate während des Studiums waren hart. Ray kam nur schwer mit dem Stoff mit und plötzliche Migräne-Anfälle machten es nicht besonders besser für ihn. Ab und zu bekam er sogar Sodbrennen, welches er aber schon seit Kindheitstagen hatte. Eine Chance, mit Norman zu sprechen, schien inzwischen unmöglich. Der Kontakt, der mit dem Handy versucht wurde, aufrechtzuerhalten, war bereits seit über einem Jahr gebrochen. Vermutlich war es Rays Schuld. Es war immer seine Schuld, er war einfach nicht gut genug für die beiden.
Als das Jahr fast vorbei war, konnte er es nicht einmal mehr ertragen, von Norman gesehen zu werden. Wieso starrt er mich an?, ging ihm durch den Kopf, Wieso hörst du nicht einfach auf mit dieser scheiße? Ich weiß, dass du mich nicht ausstehen kannst. Ich habe unsere Freundschaft kaputt gemacht.
Es war nicht einmal eine richtige Freundschaft, redete sich Ray weiter ein, Wir waren nur zum selben Zeitpunkt am selben Ort und sind ins Gespräch gekommen. Der Nummernaustausch war eine dumme Idee und ich wünschte das wäre nicht passiert. Der aufgebaute Kontakt über die Jahre bestand aus oberflächlichen Unterhaltungen und Memes. Die beiden kannten mich kaum. Wenn sie wüssten, was für ein Loser ich bin, hätten sie nie mit mir gesprochen. Norman hat das inzwischen sicher schon bemerkt und deswegen starrt er mich immer noch an, oh Gott ich glaube er starrt immer noch hör auf zu starren-
Ray hielt verkrampft seinen Ordner in den Händen und blätterte durch vollskizzierte Blätter. Er saß in der Cafeteria und tat so, als würde er lernen, dabei hing sein Blick mehr oder weniger an Norman fest, der mit mehreren Leuten zusammensaß und zu essen schien. Und dann bemerkte Ray, dass er mindestens genauso oft zu Norman starrte so wie Norman zu Ray. Vorsichtig glitt sein Blick zu seinen Unterlagen hinunter und er konzentrierte sich auf einen bestimmten Fleck auf dem Blatt. Ja, dachte Ray, der Kaffeefleck. Interessanter Kaffeefleck. Ich bekomme nichts mehr in meinen Kopf.
Müde fuhr er sich durch sein Haar. Schlaf schien unmöglich, es war viel zu heiß und sein Zimmergenosse schnarchte. Außerdem; Migräne. Migräne und Sodbrennen. Lag wahrscheinlich an der Milch im Kaffee, so muss es sein.
Aber Ray mochte Milch. Auch wenn sie ihn wahrscheinlich gerade am umbringen war.
Dachte er gerade überhaupt an die Milch, oder war es Norman? Normans Haare haben dieselbe Farbe wie Milch.
Schweißperlen bildeten sich auf Rays Stirn und seine Sicht verschwamm für einen Moment. Oh nein, das war gar nicht gut.
„Alles in Ordnung?“
Nein.
Ray sah langsam auf. Und nur sehr widerspenstig starrte er in Normans große, blaue Augen.
Nein, dachte Ray, ich bin definitiv nicht schwul. „Mir geht es-“, begann Ray, doch ihm wurde schwarz vor Augen.
Ray war eingeschlafen. Die Sonne stand inzwischen am Horizont, ihre Strahlen fielen in sein Gesicht und wärmten es angenehm. Vorsichtig richtete er sich auf und sah zum Wagon hinter sich. Es war noch ruhig. Das Pferd vor ihm hatte eine passable Pause eingelegt und Ray war gewillt, weiterzureiten.
Vorsichtig ging es also weiter, den holprigen, steilen Pfad. Es wurde wieder heiß. Und Ray war nicht gesund genug, um eine Hitzeschlag zu überleben. Doch in den Wagon zu gehen stand für ihn außer Frage. Also setzte er sich aufrecht, nahm die Zügel fester in die Hand und ließ die unbarmherzige Lichtquelle auf sich hinabscheinen.
Es war bald Zeit, dachte er erschöpft, bald.
„Was macht ein Bursche wie du hier so weit draußen?“, hörte er jemanden sprechen und Ray drehte sich zur Seite, um in die Augen eines Jägers zu blicken. Er trug eine Schrotflinte am Rücken und hatte eine seltsame Strähne vor seinen Augen hängen. Sein Blick war müde, seine schwarzen Haare lagen unordentlich vor seinem Gesicht und leichte Falten zierten bereits seine Haut.
„Ich schaue mir die Landschaft an“, sagte Ray, „Ich war schon lange nicht mehr hier“
„Das ist alles?“, fragte der Mann. Ray nickte. „Huh“, der Mann trat einen Schritt nach vorne und begann zu grinsen. „Nenn mich Yuugo, Freundchen. Wie lautet dein Name?“
„Ray“
„Nur Ray?“
Ray zögerte. „Ray Grace“
„Der Ray Grace aus dem Fernsehen?“
Ray schüttelte seinen Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wen du meinst“
„Ja, dachte ich mir“, Yuugo hustete, „Der Wissenschaftler Ray Grace. Er sieht auch viel älter aus als du, dumme Frage“
Ray starrte Yuugo einige Sekunden an, bevor er mit seinen Schultern zuckte und sprach: „Mir egal, wer der Typ ist“
Es war Ray nicht egal. Hinter ihm stöhnte es protestierend.
„Der Mann ist ein Held“, fuhr Yuugo unbeeindruckt fort, „Er hat uns alle gerettet“
Ray antwortete nicht. Yuugos Blick hing nun an dem Wagon fest. „Was schleppst du da mit dir rum, Kleiner?“
„Gepäck“, sagte Ray und es war eine Lüge, „Ich habe viel Zeug auf der Straße liegen gesehen und es mitgenommen. Keiner schien es mehr zu gebrauchen“
„So schien es, huh?“
„Ja“, Rays Stimme wurde schärfer als vorher. Er hatte das Gefühl, verhört zu werden. Wer weiß, vielleicht war der Typ ja doch ein Cop.
„Ein Glück, dass das alles vorbei ist, huh?“, Yuugo trat näher, „Das hätten wohl viele nicht erwartet“
„Es war nicht ohne Opfer“, Rays Stimme blieb schwankend teilnahmelos, „Was glaubst du, warum so viele Menschen entführt wurden? Sicher nicht einfach so. Bestimmt, um sie als Testobjekte zu verwenden. Und es scheint geklappt zu haben“
„Was für ein pessimistischer Bursche“, Yuugo sprang auf den Wagon und zog das Laken beiseite. Ray stolperte nach vorne. „Nein, nicht – !“
Ray wachte von einem Albtraum auf. Er träumte von seiner Mutter. Sie hielt ihn fest, während er weinend sein Körpergefühl verlor. Mehrere Spritzen stachen in seinen Hals und Blut sickerte aus seinem Mund, während Lichter ein- und aus flackerten. Isabella trug einen Arztkittel, genau wie der Mann neben ihr. Beide starrten Ray traurig an, als sei er eine Art Fehler.
Nein, das war kein Traum. War das eine Erinnerung? War das möglich? Hypermnesia, vielleicht?
Warte, wo war Ray überhaupt?
„Ray?“
Langsam drehte Ray seinen Kopf zur Seite und starrte Norman an.
Norman starrte zurück.
Dann fokussierte sich Ray auf die Umgebung und nahm wahr, dass er in einem Krankenzimmer lag. Und Norman saß neben ihm.
„Was ist passiert?“, fragte Ray. Norman schüttelte seinen Kopf. „Ich glaube, du hattest einen Nervenzusammenbruch“
„Bescheuert“, kommentierte Ray nur, „Mir geht es gut, ich mache mir nur unnötige Gedanken“
„Ray“, Norman sah traurig auf den Boden, doch er versuchte zu Lächeln, „Ich wollte die ganze Zeit mit dir sprechen, doch ich hatte Angst, dass du vielleicht nichts mit mir zu tun haben willst“
„Ha?!“, Ray glaubte, sich verhört zu haben, „Du spinnst doch, oder? Warum sollte ich nichts mit dir zu tun haben wollen-“
„Bitte rege dich doch nicht direkt wieder so auf“, Norman schmunzelte, doch er sah immer noch traurig drein, „Ich bin nicht stolz auf die Freunde, die ich hier habe, deswegen“
Ray sagte nichts. Normans Freundkreis hier war durchaus peinlich.
„Ich habe sie mir gemacht, damit ich es hier durchschaffe“, vorsichtig sah er zur Seite, „Ich habe eine seltene Knochenkrankheit, deswegen darf ich keine anstrengenden Bewegungen machen. Sie tragen oft Sachen für mich und helfen mir, wenn sich jemand versucht, über mich lustig zu machen“
Es war sicher peinlich für ihn, das zuzugeben, aber das einzige, was Ray durch den Kopf ging, war: Wow, ich könnte diesen ganzen Mist auch für dich erledigen, Idiot.
Als Ray genau das sagte, lachte Norman wieder und stellte klar, wie schlecht es doch inzwischen Ray ginge.
„Ich will nach dem Studium unbedingt mit dir und Emma wieder etwas unternehmen“, fuhr Norman fort, „Aber ich glaube, du solltest nicht weitermachen“
Ray bekam das in den falschen Hals. „Warum? Denkst du, ich bin blöd?“, keifte er empört, „Ich schreibe passable Noten! Dieser eine Aussetzer-“
„Dein Gesicht, Ray“
„Was soll das denn bedeuten? ‚Mein Gesicht‘?!“
„Du hast Augenringe, du bist blass, du hast abgenommen“, Norman zählte die Fakten einzeln an den Fingern auf, „Ich will, dass es dir gut geht, nicht, dass du dich überarbeitest. Das bedeutet nicht, dass du dumm bist, Ray“
Ray schnaubte, doch er sagte nichts weiter.
Norman stand auf. „Ich melde mich bei euch, sobald ich hier fertig bin“
Während er das sagte, lächelte er.
Er sagte die Wahrheit. Nachdem Ray das Studium abgebrochen hatte, kehrte er zurück nach Hause. Isabella schien erwartet zu haben, dass er ein Nichtskönner war.
„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass du dich überarbeiten wirst“, sagte sie streng, als sie ihm die Tür öffnete.
„Einen Versuch war es doch immerhin wert“, murmelte Ray. Isabella hob eine Augenbraue. „Ich hab in der Werkstatt angerufen. Du hattest schon immer ein Händchen für Technik, vielleicht solltest du da mal anfangen“
Ray tat dies. Er arbeitete in einer Autowerkstatt. Fast zwei Jahre vergingen und er hörte nichts von Emma und Norman. Die Hitze draußen schien bis aufs Äußere anzuschwellen und Moskitos infiltrierten sein gesamtes Dorf. Es war eine grauenhafte Zeit, viele Menschen wurden krank und nicht mehr richtig gesund.
Ray blieb gesund. Er wusste nicht wieso, aber er blieb es. Und das, obwohl er einige Male von den Mistviechern gestochen wurde.
Dann kam die Nachricht von Norman. Er entschuldigte sich für die lange Wartezeit und offenbarte Ray, dass er vorhatte, Psychologe zu werden. Er hätte auch den Kontakt mit Emma verloren und versuchte sie sobald es ginge zu erreichen. Aus irgendeinem Grund machte das Ray extrem glücklich. Er packte also seine Arbeitssachen zusammen und machte sich auf den Weg zur Autowerkstatt. Vor der Tür verabschiedete er sich laut von Isabella, die außer Sicht war. Ray sah ihre Leiche erst, als er von der Arbeit wiederkam.
Das Dorf war schockiert. Man sprach von der Krankheit, die die Moskitos übertrugen. Dann sprach man von Mord, warum auch immer. Ray sprach von nichts. Er war nicht einmal traurig. Das einzige, was passierte, war die große Erschöpfung, die sich über ihn legte. Depressionen, vielleicht. Er war sich nicht sicher. Nachts konnte er nicht schlafen, tagsüber war er müde. Er zog so schnell wie es geht aus, er floh von diesem hässlichen Dorf, rüber in die Stadt, wo er hoffte, Norman und Emma anzutreffen. Er arbeitete, aß, brach, ging ins Bett, lag im Bett, stand auf, aß, brach, arbeitete. Es war ein endloser Kreislauf und Ray kam auf den lächerlichen Gedanken, einen Psychologen zu sehen. Was für ein Zufall, dass Norman danach strebte, Psychologe zu werden.
Ja, es war vermutlich nur eine faule Ausrede, Norman wiederzusehen. Würde ihm das überhaupt helfen? Nein. Norman hatte ihn sicherlich bereits vergessen, redete sich Ray ein, während er die verpassten Nachrichten auf seinem Handy ignorierte.
Sein Leben ging weiter. Er war es nicht wert.
Sein Leben ging weiter.
Dann klingelte die Tür und
„Emma…“
Ray war auf den Boden gestürzt. Er starrte entsetzt auf Yuugo. Er lag schreiend unter Emma, die ihr Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben hatte. Ihr Körper war gelblich und zerfressen, ihre Haare waren nur noch büschelweise auf ihrem Kopf und ihre Augen waren geschwollen. Emmas Fingernägel waren lang und spitz und ihre Zähne schienen ebenso schärfer geworden zu sein, denn sie riss augenblicklich ein Stück Fleisch von Yuugos Hals ab und spuckte es achtlos wieder aus, während ihre Fingernägel durch seine Brust schnitten. Und Yuugo verblutete und starb wenige Sekunden später einfach so.
Ray starrte Emma an. Sie schien ihn nicht zu bemerken. „Emma“, wiederholte er nochmals. Dieses Mal riss sie ihren Kopf zu ihm hinüber. Es war, als würde sie durch ihn hindurchschauen. Dann stand sie auf und taumelte zu Ray, der langsam seine Hände hob und sagte: „Ich bin es“
Emma stand still. Sie stöhnte protestierend. Dann drehte sie sich um und kroch langsam wieder in den dunklen Wagon. Ray verharrte und starrte dumpf auf Yuugos Leichnam.
„Ray, ich bin so froh, dich wiederzusehen!“, rief Emma, während sie ihre Arme um Ray schlang. Ihre Haare waren noch kurz und sonst schien sie sich kaum verändert zu haben. Ray hielt die Tür offen. Hinter Emma stand Norman. Er lächelte, doch sah irgendwie kränklich aus.
„Was ist los?“, fragte Ray langsam.
„Wir haben von deiner Mutter gehört, Ray“, begann Emma, „Es steht in den ganzen Nachrichten“
„Wieso steht es in den Nachrichten?“, Ray war verwirrt.
Norman sah zur Seite. „Sie war anscheinend eine Wissenschaftlerin, die gegen die Seuche geforscht hatte“
Blödsinn, dachte Ray, doch inzwischen zog er in Betracht, dass sein Leben sowieso eine Lüge war.
„Wir wollen aus der Stadt, am besten irgendwo ins Kalte“, erklärte Emma wenig später im Wohnzimmer, „Da, wo die Moskitos nicht hinkommen. Das macht doch Sinn, oder?“
„Ja“, Norman nickte, „Die Krankheit scheint sich nur über die Moskitos zu übertragen. Üblicherweise halten sie sich in heißen Gebieten auf, also sollten kühlere Länder vor ihnen geschützt sein“
„Aber inzwischen ist alles unglaublich heiß“, fuhr Ray fort, „Die Erderwärmung ist wirklich gestiegen“
„Also sollen wir es gar nicht versuchen?“, Emma schüttelte ihren Kopf, „Niemals!“
„Wir wollen, dass du mit uns kommst, Ray“, fügte Norman hinzu, „Du bist unser Freund“
Freund?
Ray sah auf. „Bist du dir sicher, dass du dir das aufbürden willst?“
Norman nickte. „Natürlich“
Norman ist nicht einmal wenige Tage später gestorben. Er wurde schon vorher gestochen und schien seine restliche, kostbare Zeit damit verschwendet zu haben, Ray zu suchen. Ray wollte sich einfach von einen der Kranken aufritzen lassen, doch Emma hielt ihn fest, zog ihn in Sicherheit und gab ihm eine feste Ohrfeige. „Norman kommt nicht mehr wieder“, sagte sie, doch es klang, als würde sie es zu sich selbst sagen, „Er ist tot und er kommt nicht mehr wieder. Aber er würde wollen, dass wir weitermachen. Für ihn“
Ray lachte. Sie hatte leicht reden. Schließlich war Emma diejenige, die Normans toten Körper mit sich schleppte.
Nicht viel später wurde sie auch irgendwann gestochen. Anstelle eines einfachen Todes erwartete sie jedoch ein seltsames Stadium dazwischen, welches die meisten Kranken erreichten. Beinahe schon wie Zombies, könnte man sagen. Doch der Biss eines Kranken macht dich nicht zu einem von ihnen, nur der einfach Stich eines Insekts, welches Ray während seiner Kindheit schon mit Fliegenklatschen eliminierte.
Ray ritt weiter. Er war fast bei den Zwillingsbergen. Nur noch wenige Minuten und die Reise hätte endlich ihr Ende. Erschöpft von der Hitze, ließ er langsam seinen Kopf hängen und schnaufte. Hinter ihm stöhnte es wieder protestierend, doch Ray ignorierte es.
Er stieg von seinem Sitz hinunter und öffnete den Wagon. Emma taumelte hinaus, als wäre sie blind, klammerte sie sich an Ray. Sie schrie, seltsame, eitrige Tränen liefen ihre Augen hinunter und Ray wusste nicht, was er tun sollte, als sie so vor ihm stand und schrie.
„Emma“, sagte er und deutete auf den Berg, „Schau doch“
Emma schrie.
„Erinnerst du dich als wir uns hier begegnet sind?“, fragte er, „Du bist mit Flip-Flops bereit gewesen, einen verdammten Berg zu besteigen. Ich dachte, du bist wahnsinnig, aber du warst einfach nur verdammt dumm und mutig. Du wolltest nur das Leben in vollen Zügen genießen, habe ich Recht?“
Keine Antwort. Ray suchte verzweifelt nach einem Zeichen, irgendetwas, doch Emma schrie weiter und sie weinte und Ray hatte die Hoffnung aufgegeben. „Warum habt ihr mich nicht einfach aufgegeben?“, flüsterte Ray, während er auf die Knie fiel, „Warum? Ich bin nur ein Fremder in eurem Leben gewesen. Und trotzdem habt ihr mich in der Stadt gesucht. Obwohl ich ein schlechter Freund war. Kein richtiger Freund. Ich hätte ein besserer Freund sein sollen“
Emma stand vor ihm, sie schrie weiter, doch es war so schrill, dass ihre Stimme bereits versagte. Das Gegenmittel befand sich schließlich weit oben in der Luft, es wirkte besonders stark auf den Hügeln, doch es rettete nicht Emma. Es brachte sie um. Also kollabierte sie vor Ray, atmete tief aus und verblieb so reglos.
Und Rays Knie zitterten, als er Normans verwesten Körper in der Hitze aus dem Wagon zog und eine Schaufel zu sich nahm. Er grub mehrere Stunden vor dem Berg in der Erde, bevor er die beiden beerdigte. Er fragte sich, warum? Warum haben die beiden alles für Ray getan?
Und Ray war klar, dass er solch liebenswürdige Menschen nie wieder treffen würde. Eine Welle der Leere überkam ihn, als er an Ray Grace dachte, der Wissenschaftler, der das Gegenmittel erstellt hatte, der Mann, der die Welt gerettet hatte, nachdem sein erster Versuch, schon so viele Jahre zuvor sie vor einer möglichen Epidemie zu schützen, mit Ray gescheitert war. Die Moskitostiche auf seinem Körper waren unzählig, doch ihm ging es gut. Er war immun, doch nicht möglich, andere immun zu machen.
Ray erinnerte sich, wie Emma und Norman ihm erzählten, dass hier, bei den Zwillingsbergen, Menschen verschwanden. Nicht viel weiter gab es wohl ein Labor der Wissenschaftler, doch Ray dachte nicht an die Möglichkeit, dass sie es gewesen sein könnten, nein. Er stand vor dem Berg, starrte auf die mit schneebedeckte Spitze und dachte daran, dass manche Menschen einfach verschwanden. Und so begann Ray zu klettern. Und nein, es war nicht schlimm, es war nicht traurig. Das war es wert. Denn sein Ziel war es, zu fallen.
Ein Fall aus der Höhe? Emma wird Augen machen, wenn sie davon hört.
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Die frische Morgenluft drang durch seine gesunden Lungen, erfüllte seinen Körper mit Leben und Energie. Am Horizont erstreckten sich die Gipfel zweier Berge, auf denen Schnee lag. Rays Atem kräuselte sich sichtbar in der Kälte, wie Dampf, wie der Qualm, den man beim Rauchen ausstößt. Er hielt die Zügel stramm, weil er Angst hatte, in Gefahr zu stolpern, wenn er nicht langsam und vorsichtig den Trampelpfad hinter sich ließ. Das Pferd, welches ihn und den Wagon hinter ihm herzog, schnaufte mühselig und wurde langsamer. Ray ließ es ruhen. Er hatte es nicht eilig, im Gegenteil, er hoffte, dass das Pferd so lange wie möglich erschöpft blieb, um Zeit zu schinden.
Mit kreideweißem, ausdruckslosem Gesicht starrte Ray auf die Zügel in seinen Händen. Er musste bestimmt wie leichte Beute wirken, so ganz alleine, auf sich gestellt, mit einem müden Pferd und dann auch noch so abgelenkt.
Scheiß drauf. Er war auf sich gestellt, sein Pferd war müde, doch seine Ohren waren gespitzt und hörten wahrscheinlich besser als die eines Kaninchens. Oh, Kaninchen. Wie gerne würde er jetzt jagen gehen.
Der Wagon hinter ihm war überdacht. Wie ein Zelt ragte es über ihm, mit schmutzigen, weißen Laken und Holzpfählen, die es aufrechterhielten. Hinter Ray stöhnte es protestierend, als die Räder des Wagons über Geröll holperten. Es ging nun steiler als vorher, also konnte es nicht mehr weit sein.
Ray erinnerte sich, als er früher hier war. Es sah anders aus, definitiv. Der Weg war noch mehr belaufen, überall hingen Touristen mit ihren Kameras herum. Sie starrten dumm in der Gegend herum und schossen Fotos. Ray war einer von ihnen. Er hatte seine Kamera zwischen seinem Kinn und seiner Brust eingeklemmt, während er aus seiner Tasche seine Sonnenbrille zu fischen versuchte. Es war heiß und die hellen Farben, in denen die Berge getunkt waren, schmerzten in seinen Augen. Schwarz, dachte Ray, warum kann nicht alles schwarz sein? Warum gab es keinen Nachtmodus für seine Augen?
Die Wiese, auf der er stand, erstreckte sich, bis die dunklen Bäume den Anfang des Waldes markierten. Die Berge waren auf der anderen Seite. Sie sahen auf dem ersten Blick recht gewöhnlich aus, doch Ray faszinierte, wie unglaublich identisch sie zueinander waren. Wie ein Spiegelbild, als hätte sich Gott gedacht: „Hey, warum nicht nochmal?“
Ray zog sich seine Sonnenbrille an und konnte direkt feststellen, dass seine Sicht klarer wurde. Dann richtete er seine Kamera ein und schoss einige Fotos, die er daraufhin seiner Mutter schickte. Isabella reagierte mit einem seltsamen Emoji, der die Zähne zusammenbiss. Vielleicht soll das ein Lächeln sein?, fragte sich Ray mit hochgezogener Augenbraue. Oder Isabella hatte Angst, dass Ray vorhatte, den Berg zu besteigen. Nur ein Vollidiot würde das ohne Ausrüstung probieren.
Wie sich später herausstellte, gab es anscheinend Vollidioten auf dieser Welt. Ray begegnete einem Mädchen in seinem Alter, das versuchte, den Berg ohne Ausrüstung zu besteigen. Ray war gerade dabei, einen näheren Blick auf die Beschaffung der Steinstruktur zu werfen, als ihm einige Kieselsteine auf den Kopf fielen. Er reckte seinen Kopf unangenehm dem Himmel und somit auch der Sonne entgegen und traf dabei den Blick des Rotschopfs, der gerade über ihm baumelte. Sie trug ein Sommerkleid, Flip-Flops und einen Hut.
Und sie kletterte einen Berg hinauf, sogar beachtlich weit für ihr Alter (Wenn sie in Rays Alter war, musste sie mindestens vierzehn sein. Und er vermutete, dass ihr Alter in etwa gleich sein sollte).
„Schwachkopf“, sagte Ray laut.
„Was?!“, rief der Rotschopf zurück.
„Du bist ein Schwachkopf“, sagte Ray, der seine Stimme nicht besonders hob, doch laut genug hielt, um seine Worte dem Mädchen an den Kopf zu werfen. Sein Nacken tat inzwischen vom Hochschauen weh und er fragte sich bereits, wieso er sich die Mühe überhaupt machte.
„Wieso das denn??“, schnaubte das Mädchen und sah nach unten zu Ray. Das mussten mindestens schon zehn oder fünfzehn Meter sein.
„Du trägst Flip-Flops und hast keine Kletterausrüstung an dir. Du wirst höchstwahrscheinlich fallen und dir deine Wirbelsäule brechen“, zählte Ray unbeeindruckt auf, „Hast du den Verstand verloren?“
„Ich habe einfach keine Angst, das ist alles“, das Mädchen zuckte mit den Schultern, bevor es wieder anfing, zu grinsen. „Ich will nicht warten, bis mein Papa mir so etwas kauft, also beweise ich ihm einfach, dass ich auch ohne das ganze Geld einen Berg besteigen kann!“, sie holte tief Luft und setzte zu einem weiteren Griff an, um sich an einem Vorsprung hochzuziehen, „Selbst mit Flip-Flops!“
Ray hörte, wie sie vor Freude lachte und er musste seinen Kopf wegdrehen, um die Röte in seinem Gesicht zu verbergen. „Du trägst ein Kleid“, fuhr er ein wenig neben sich fort, „Und du kletterst einen Berg hoch. Wenn hier Pedos ihr Unwesen treiben, bist du geliefert“
Das Mädchen verharrte ein wenig. „Ohmeingott“, sagte sie alarmiert, „Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich dachte die Menschen kommen hier nur her, um die Aussicht zu genießen!“
„Das tun Pedos dann auch, wenn sie sowas sehen“, murmelte Ray, doch er sagte es nicht laut. Die Situation war auch schon so seltsam genug.
„Okay“, sagte das Mädchen langsam, „Vielleicht sollte ich es erst nochmal probieren, wenn ich gute Hosen trage“
„Gute Idee“, pflichtete ihr Ray bei, der sich inzwischen langsam umgedreht hatte und weiterging.
Wenig später traf er erneut auf das Mädchen, diesmal in Begleitung eines Jungen. Ray wollte nicht hinsehen. Es war ihm aus irgendeinem Grund peinlich. Also versuchte er einfach, die beiden zu ignorieren und einen abgelegenen Pfad zu nehmen, um sich von der Gruppe der Touristen zu distanzieren.
„Hey“, sagte auf einmal jemand neben ihm. Ray blieb stehen und starrte in die Augen irgendeines Touristen. Er war groß und alt.
Oh Gott. War das irgendeine kranke Idee von Gott? Wollte er Ray damit sagen, dass man kein Kleid tragen musste, um von Pedos geschnappt zu werden? Wieso ging ihm dieser Mist durch den Kopf??
Bevor der Mann noch mehr sagen konnte, sprang der Junge, den Ray neben dem Rotschopf gesehen hatte, dazwischen. Nicht wortwörtlich, aber ungefähr so war es. „Entschuldigen Sie!“, sagte er mit einem zuckersüßen Lächeln, „Mein kleiner Bruder verläuft sich ständig und kommt auf dumme Ideen, ich hoffe doch, er hat Sie nicht belästigt?“
Ray starrte das Lächeln des Jungen an und fragte sich, wie er das schaffte, ohne einen Krampf zu bekommen. Sein Körper glänze im Sonnenlicht und er roch nach Kokosnuss. Dafür musste wohl die Sonnencreme verantwortlich gewesen sein, die er sich auf seinen Körper geschmiert hatte. Er trug auch eine Sonnenbrille, nur war sie größer und dunkler als die von Ray. Seine Klamotten waren hell und fröhlich, wie die des Mädchens, doch in weniger knalligen und in eher blassen Farben. Ray trug meistens schwarz, außer an heißen und sonnigen Tagen, wegen offensichtlichen Gründen.
Der Tourist öffnete seinen Mund, doch der Junge zog Ray einfach fort.
(Er wollte nur nach der nächsten Tankstelle fragen…)
Kurz gesagt, der gesamte Tag lief für Ray beschissen. Er wollte die Aussicht der Zwillingsberge genießen, doch er verbrachte seine kostbare Zeit damit, sich vor dem rothaarigen Mädchen und ihrer seltsamen Begleitung, einem Jungen mit schneeweißen Haaren, zu verstecken, nur um letzten Endes von irgendeinem Typen angesprochen zu werden, der eventuell mehr als nur einen Austausch von Wörtern wollte. Und dann wurde er noch auf die unnötigste Weise ‚gerettet‘.
„Wofür war das denn?“, zischte Ray den Jungen an. Er sollte vielleicht dankbar sein, doch es war peinlich und ziemlich riskant gewesen. Das Lächeln des Jungen schwächte direkt ab und er starrte Ray mit einem ernsten, tadelnden Blick an.
„Wenn man hier draußen ohne Aufsichtsperson ist, sollte man immer in Gruppen zusammenbleiben. Besonders in so einer abgelegenen Gegend“, erklärte er und Ray musste erst einmal verarbeiten, dass er bemuttert wurde. Isabella bemutterte ihn nie. Und sie war buchstäblich seine Mutter. „Ich bin vierzehn“, sagte Ray. Er wusste nicht, wieso er das sagte, aber es schien wie eine korrekte Rechtfertigung. Der Junge starrte ihn mehrere Sekunden an, bevor er langsam zu grinsen begann und sagte: „Hallo Vierzehn, ich bin Norman“
Das war der geschmackloseste Dad-Joke, den Ray je gehört hatte. Norman schlug sich eine Hand vor den Mund, um sein Kichern zu ersticken, während Rays Seele temporär seinen Körper verlassen hatte.
„Nicht unbedingt einer meiner stolzesten Momente“, sagte Norman und lächelte wie ein Honigkuchenpferd.
„Hey!“, hörte Ray entfernt die Stimme des Rotschopfs. Sie rannte zu den beiden hinunter. Anscheinend hatte sie ganz alleine am Hügel auf ihre Begleitung gewartet. Ohne Aufsichtsperson und Gruppe. Rays Augen wurden zu Schlitzen und er versuchte, eine Reaktion des Jungen vor ihm zu erhaschen, doch dieser schien vollkommen auszublenden, dass seine Begleitung auf sie zustürmte – in beängstigender Geschwindigkeit.
„Wieso kann man mich nicht alleine lassen, aber sie schon?“, fragte Ray genervt. Sie schien mehr Ärger zu machen als er immerhin. Norman hob eine Augenbraue. „Oh, du meinst Emma?“
„Hey!“, wiederholte Emma, die langsamer wurde und sich zwischen Norman und Ray stellte, „Ich will mich selbst vorstellen“
Ray seufzte.
„Also“, begann sie, „Ich bin Emma, freut mich, dich kennenzulernen!“
„Hi, Emma“, sagte Ray, nicht enthusiastisch genug, um richtige Emotionen durch seine Stimme fluten zu lassen.
„Danke, dass du mir vorhin geholfen hast“, fuhr Emma fort, „So weit habe ich gar nicht gedacht“
„Kein Problem“, Ray starrte auf seine Schnürsenkel. Er konnte nicht gut mit Menschen reden. Es machte ihn nervös. Nein, nicht nervös, das war vielleicht nicht das richtige Wort. Er fühlte sich einfach unwohl. Am liebsten würde er die ganze Zeit alleine verbringen. Kontakte oder gar Freundschaften knüpfen war nie seine größte Stärke und er musste sich oft zusammenreißen, freundlich zu bleiben, da er meist zu ehrlich mit seinen Worten umging.
„Emma lernt eine Kampfkunst“, verkündete Norman nun, „Sie kann sich also selbst verteidigen“
Ray starrte beide abwechselnd an. „Und ihr seid immer auf der Hut nach irgendwelchen Kinderschändern oder was?“
„Eigentlich nicht“, Emma zuckte mit den Schultern, „Ich denke fast gar nicht an sowas, aber Norman hat mir letztens erzählt, dass hier besonders viele Entführungen in den letzten Jahren stattfanden“
Ihr Blick war ernst. Und irgendwie traurig. „Ich hoffe, dass es den Vermissten gut geht“
Ray sagte nichts. Er wusste, dass es eine Statistik gab, die besagte, dass die meisten Opfer von Entführungen innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden nach ihres Verschwindens vermutlich tot waren. Norman schien ähnliche Gedanken zu haben, denn sein Blick glich dem eines müden, hoffnungslosen Kriegsveteran.
„Ich bin hierhergekommen, um Fotos von einer inspirierenden Landschaft zu schießen und ihr erzählt mir solche dummen Geschichten“, murmelte Ray nun. Er wusste nichts von der Entführungsrate hier. Er kam von weiter weg, ungefähr zwei Stunden mit dem Fahrrad. Isabella hatte erzählt, dass sie hier seinen Vater kennengelernt hatte und Ray hatte genug Interesse, um sich selbst ein Bild von der Ortschaft zu machen – im wahrsten Sinne des Wortes. Nun bereute er es, hierhergekommen zu sein, da es offensichtlich Zeitverschwendung war und inzwischen gefährlich wirkte.
„Bist du mit dem Fahrrad hierher?“, erkundigte sich Norman neugierig. Er schirmte seine Augen vor der Sonne, um nicht geblendet zu werden. Ray zog seine Augenbrauen zusammen. „Ja, woher weißt du das?“
„Ich habe dich hier anhalten gesehen“, Norman zuckte mit seinen Schultern, „Die meisten kommen hier nicht einfach alleine her, deswegen ist es mir ziemlich schnell aufgefallen“
„Was Norman sagen will“, warf Emma nun ein, „Findest du es nicht ein wenig riskant, hier alleine durch die Gegend zu laufen?“
„Nö“, antwortete Ray trocken, „Mir macht so schnell nichts Angst“
Norman und Emma warfen sich einen Blick zu.
„Ich bin nicht sonderlich übervorsichtig, das verlangsamt doch nur den ganzen Prozess des Lebens“
Norman runzelte seine Stirn. „Wie meinst du das?“, fragte er.
„Wenn man die ganze Zeit vorsichtig ist, kann man die aufregenden Momente im Leben nicht genießen“
„Aber es könnte dein Leben kosten“, Emma schüttelte ihren Kopf, „Das ist einfach dumm“
„Ha?“, Ray bäumte sich vor dem Rotschopf auf, „Das sagt die, die mit Flip-Flops einen Berg besteigen wollte!“
„Ich hab dir doch gesagt, warum ich das gemacht habe!“, schnaubte Emma zurück, „Außerdem klettere ich ganz hervorragend, vielen Dank auch!“
„Du kannst nicht mehr hervorragend klettern, wenn du gelähmt bist, du-“
Die Standpauke der beiden wurde von Normans plötzlichem Lachanfall unterbrochen. Er hatte sein Gesicht vergraben und schien es nicht mehr länger einhalten zu können. Ray starrte verblüfft auf das Szenario, während auch Emma anfing zu lachen. Das alles wurde mit jeder Sekunde immer surrealer. Mit Sicherheit befand er sich gerade in einem Komatraum.
„Ihr seid doch beide durchgeknallt!“, blaffte Ray verständnislos, während er sein Handy aus seiner Tasche zog, „Hier ist meine Nummer“
Beide hörten ruckartig auf, zu lachen und starrten ihn verwirrt an, während sich ein Grinsen auf Rays Gesicht bildete. Das Lachen ging von neuem los.
Ray hatte kein Interesse, sich sonderlich wichtig in Norman und Emmas Leben zu machen, doch anscheinend ist es schon so passiert. Obwohl er die beiden danach eine lange Zeit nicht mehr gesehen hatte, hielten sie stark an dem telefonischen Kontakt.
Die nächsten Jahre verbrachte Ray damit, für seine Zukunft hart zu ackern. Er lernte jeden Tag und jede Nacht. Jedes Jahr war eine neue Hürde für ihn, aber durch sein scharfes Allgemeinwissen fiel es ihm deutlich leichter als den meisten, an dem Schulstoff dran zu bleiben.
Nach der Schule ging Ray studieren. Er wusste immer noch nicht, was für ein Beruf zu ihm passte, also ging er mehr oder weniger mit der Menge.
Auf dem Campus begegnete er Norman persönlich, der jedoch eine Stufe über ihm war und Psychologie studierte. Er saß bei den ziemlich beliebten und reichen Studenten, die er wie ein Magnet anzuziehen schien. Es erinnerte Ray bizarr an den Tag, an dem er Norman und Emma das erste Mal getroffen hatte, da er sich erneut vor dem Blick seines Freundes zu verstecken versuchte. Denn wo auch immer Norman hinsah, so schien seine Gruppe an Freunden auch hinzusehen.
Die Monate während des Studiums waren hart. Ray kam nur schwer mit dem Stoff mit und plötzliche Migräne-Anfälle machten es nicht besonders besser für ihn. Ab und zu bekam er sogar Sodbrennen, welches er aber schon seit Kindheitstagen hatte. Eine Chance, mit Norman zu sprechen, schien inzwischen unmöglich. Der Kontakt, der mit dem Handy versucht wurde, aufrechtzuerhalten, war bereits seit über einem Jahr gebrochen. Vermutlich war es Rays Schuld. Es war immer seine Schuld, er war einfach nicht gut genug für die beiden.
Als das Jahr fast vorbei war, konnte er es nicht einmal mehr ertragen, von Norman gesehen zu werden. Wieso starrt er mich an?, ging ihm durch den Kopf, Wieso hörst du nicht einfach auf mit dieser scheiße? Ich weiß, dass du mich nicht ausstehen kannst. Ich habe unsere Freundschaft kaputt gemacht.
Es war nicht einmal eine richtige Freundschaft, redete sich Ray weiter ein, Wir waren nur zum selben Zeitpunkt am selben Ort und sind ins Gespräch gekommen. Der Nummernaustausch war eine dumme Idee und ich wünschte das wäre nicht passiert. Der aufgebaute Kontakt über die Jahre bestand aus oberflächlichen Unterhaltungen und Memes. Die beiden kannten mich kaum. Wenn sie wüssten, was für ein Loser ich bin, hätten sie nie mit mir gesprochen. Norman hat das inzwischen sicher schon bemerkt und deswegen starrt er mich immer noch an, oh Gott ich glaube er starrt immer noch hör auf zu starren-
Ray hielt verkrampft seinen Ordner in den Händen und blätterte durch vollskizzierte Blätter. Er saß in der Cafeteria und tat so, als würde er lernen, dabei hing sein Blick mehr oder weniger an Norman fest, der mit mehreren Leuten zusammensaß und zu essen schien. Und dann bemerkte Ray, dass er mindestens genauso oft zu Norman starrte so wie Norman zu Ray. Vorsichtig glitt sein Blick zu seinen Unterlagen hinunter und er konzentrierte sich auf einen bestimmten Fleck auf dem Blatt. Ja, dachte Ray, der Kaffeefleck. Interessanter Kaffeefleck. Ich bekomme nichts mehr in meinen Kopf.
Müde fuhr er sich durch sein Haar. Schlaf schien unmöglich, es war viel zu heiß und sein Zimmergenosse schnarchte. Außerdem; Migräne. Migräne und Sodbrennen. Lag wahrscheinlich an der Milch im Kaffee, so muss es sein.
Aber Ray mochte Milch. Auch wenn sie ihn wahrscheinlich gerade am umbringen war.
Dachte er gerade überhaupt an die Milch, oder war es Norman? Normans Haare haben dieselbe Farbe wie Milch.
Schweißperlen bildeten sich auf Rays Stirn und seine Sicht verschwamm für einen Moment. Oh nein, das war gar nicht gut.
„Alles in Ordnung?“
Nein.
Ray sah langsam auf. Und nur sehr widerspenstig starrte er in Normans große, blaue Augen.
Nein, dachte Ray, ich bin definitiv nicht schwul. „Mir geht es-“, begann Ray, doch ihm wurde schwarz vor Augen.
Ray war eingeschlafen. Die Sonne stand inzwischen am Horizont, ihre Strahlen fielen in sein Gesicht und wärmten es angenehm. Vorsichtig richtete er sich auf und sah zum Wagon hinter sich. Es war noch ruhig. Das Pferd vor ihm hatte eine passable Pause eingelegt und Ray war gewillt, weiterzureiten.
Vorsichtig ging es also weiter, den holprigen, steilen Pfad. Es wurde wieder heiß. Und Ray war nicht gesund genug, um eine Hitzeschlag zu überleben. Doch in den Wagon zu gehen stand für ihn außer Frage. Also setzte er sich aufrecht, nahm die Zügel fester in die Hand und ließ die unbarmherzige Lichtquelle auf sich hinabscheinen.
Es war bald Zeit, dachte er erschöpft, bald.
„Was macht ein Bursche wie du hier so weit draußen?“, hörte er jemanden sprechen und Ray drehte sich zur Seite, um in die Augen eines Jägers zu blicken. Er trug eine Schrotflinte am Rücken und hatte eine seltsame Strähne vor seinen Augen hängen. Sein Blick war müde, seine schwarzen Haare lagen unordentlich vor seinem Gesicht und leichte Falten zierten bereits seine Haut.
„Ich schaue mir die Landschaft an“, sagte Ray, „Ich war schon lange nicht mehr hier“
„Das ist alles?“, fragte der Mann. Ray nickte. „Huh“, der Mann trat einen Schritt nach vorne und begann zu grinsen. „Nenn mich Yuugo, Freundchen. Wie lautet dein Name?“
„Ray“
„Nur Ray?“
Ray zögerte. „Ray Grace“
„Der Ray Grace aus dem Fernsehen?“
Ray schüttelte seinen Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wen du meinst“
„Ja, dachte ich mir“, Yuugo hustete, „Der Wissenschaftler Ray Grace. Er sieht auch viel älter aus als du, dumme Frage“
Ray starrte Yuugo einige Sekunden an, bevor er mit seinen Schultern zuckte und sprach: „Mir egal, wer der Typ ist“
Es war Ray nicht egal. Hinter ihm stöhnte es protestierend.
„Der Mann ist ein Held“, fuhr Yuugo unbeeindruckt fort, „Er hat uns alle gerettet“
Ray antwortete nicht. Yuugos Blick hing nun an dem Wagon fest. „Was schleppst du da mit dir rum, Kleiner?“
„Gepäck“, sagte Ray und es war eine Lüge, „Ich habe viel Zeug auf der Straße liegen gesehen und es mitgenommen. Keiner schien es mehr zu gebrauchen“
„So schien es, huh?“
„Ja“, Rays Stimme wurde schärfer als vorher. Er hatte das Gefühl, verhört zu werden. Wer weiß, vielleicht war der Typ ja doch ein Cop.
„Ein Glück, dass das alles vorbei ist, huh?“, Yuugo trat näher, „Das hätten wohl viele nicht erwartet“
„Es war nicht ohne Opfer“, Rays Stimme blieb schwankend teilnahmelos, „Was glaubst du, warum so viele Menschen entführt wurden? Sicher nicht einfach so. Bestimmt, um sie als Testobjekte zu verwenden. Und es scheint geklappt zu haben“
„Was für ein pessimistischer Bursche“, Yuugo sprang auf den Wagon und zog das Laken beiseite. Ray stolperte nach vorne. „Nein, nicht – !“
Ray wachte von einem Albtraum auf. Er träumte von seiner Mutter. Sie hielt ihn fest, während er weinend sein Körpergefühl verlor. Mehrere Spritzen stachen in seinen Hals und Blut sickerte aus seinem Mund, während Lichter ein- und aus flackerten. Isabella trug einen Arztkittel, genau wie der Mann neben ihr. Beide starrten Ray traurig an, als sei er eine Art Fehler.
Nein, das war kein Traum. War das eine Erinnerung? War das möglich? Hypermnesia, vielleicht?
Warte, wo war Ray überhaupt?
„Ray?“
Langsam drehte Ray seinen Kopf zur Seite und starrte Norman an.
Norman starrte zurück.
Dann fokussierte sich Ray auf die Umgebung und nahm wahr, dass er in einem Krankenzimmer lag. Und Norman saß neben ihm.
„Was ist passiert?“, fragte Ray. Norman schüttelte seinen Kopf. „Ich glaube, du hattest einen Nervenzusammenbruch“
„Bescheuert“, kommentierte Ray nur, „Mir geht es gut, ich mache mir nur unnötige Gedanken“
„Ray“, Norman sah traurig auf den Boden, doch er versuchte zu Lächeln, „Ich wollte die ganze Zeit mit dir sprechen, doch ich hatte Angst, dass du vielleicht nichts mit mir zu tun haben willst“
„Ha?!“, Ray glaubte, sich verhört zu haben, „Du spinnst doch, oder? Warum sollte ich nichts mit dir zu tun haben wollen-“
„Bitte rege dich doch nicht direkt wieder so auf“, Norman schmunzelte, doch er sah immer noch traurig drein, „Ich bin nicht stolz auf die Freunde, die ich hier habe, deswegen“
Ray sagte nichts. Normans Freundkreis hier war durchaus peinlich.
„Ich habe sie mir gemacht, damit ich es hier durchschaffe“, vorsichtig sah er zur Seite, „Ich habe eine seltene Knochenkrankheit, deswegen darf ich keine anstrengenden Bewegungen machen. Sie tragen oft Sachen für mich und helfen mir, wenn sich jemand versucht, über mich lustig zu machen“
Es war sicher peinlich für ihn, das zuzugeben, aber das einzige, was Ray durch den Kopf ging, war: Wow, ich könnte diesen ganzen Mist auch für dich erledigen, Idiot.
Als Ray genau das sagte, lachte Norman wieder und stellte klar, wie schlecht es doch inzwischen Ray ginge.
„Ich will nach dem Studium unbedingt mit dir und Emma wieder etwas unternehmen“, fuhr Norman fort, „Aber ich glaube, du solltest nicht weitermachen“
Ray bekam das in den falschen Hals. „Warum? Denkst du, ich bin blöd?“, keifte er empört, „Ich schreibe passable Noten! Dieser eine Aussetzer-“
„Dein Gesicht, Ray“
„Was soll das denn bedeuten? ‚Mein Gesicht‘?!“
„Du hast Augenringe, du bist blass, du hast abgenommen“, Norman zählte die Fakten einzeln an den Fingern auf, „Ich will, dass es dir gut geht, nicht, dass du dich überarbeitest. Das bedeutet nicht, dass du dumm bist, Ray“
Ray schnaubte, doch er sagte nichts weiter.
Norman stand auf. „Ich melde mich bei euch, sobald ich hier fertig bin“
Während er das sagte, lächelte er.
Er sagte die Wahrheit. Nachdem Ray das Studium abgebrochen hatte, kehrte er zurück nach Hause. Isabella schien erwartet zu haben, dass er ein Nichtskönner war.
„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass du dich überarbeiten wirst“, sagte sie streng, als sie ihm die Tür öffnete.
„Einen Versuch war es doch immerhin wert“, murmelte Ray. Isabella hob eine Augenbraue. „Ich hab in der Werkstatt angerufen. Du hattest schon immer ein Händchen für Technik, vielleicht solltest du da mal anfangen“
Ray tat dies. Er arbeitete in einer Autowerkstatt. Fast zwei Jahre vergingen und er hörte nichts von Emma und Norman. Die Hitze draußen schien bis aufs Äußere anzuschwellen und Moskitos infiltrierten sein gesamtes Dorf. Es war eine grauenhafte Zeit, viele Menschen wurden krank und nicht mehr richtig gesund.
Ray blieb gesund. Er wusste nicht wieso, aber er blieb es. Und das, obwohl er einige Male von den Mistviechern gestochen wurde.
Dann kam die Nachricht von Norman. Er entschuldigte sich für die lange Wartezeit und offenbarte Ray, dass er vorhatte, Psychologe zu werden. Er hätte auch den Kontakt mit Emma verloren und versuchte sie sobald es ginge zu erreichen. Aus irgendeinem Grund machte das Ray extrem glücklich. Er packte also seine Arbeitssachen zusammen und machte sich auf den Weg zur Autowerkstatt. Vor der Tür verabschiedete er sich laut von Isabella, die außer Sicht war. Ray sah ihre Leiche erst, als er von der Arbeit wiederkam.
Das Dorf war schockiert. Man sprach von der Krankheit, die die Moskitos übertrugen. Dann sprach man von Mord, warum auch immer. Ray sprach von nichts. Er war nicht einmal traurig. Das einzige, was passierte, war die große Erschöpfung, die sich über ihn legte. Depressionen, vielleicht. Er war sich nicht sicher. Nachts konnte er nicht schlafen, tagsüber war er müde. Er zog so schnell wie es geht aus, er floh von diesem hässlichen Dorf, rüber in die Stadt, wo er hoffte, Norman und Emma anzutreffen. Er arbeitete, aß, brach, ging ins Bett, lag im Bett, stand auf, aß, brach, arbeitete. Es war ein endloser Kreislauf und Ray kam auf den lächerlichen Gedanken, einen Psychologen zu sehen. Was für ein Zufall, dass Norman danach strebte, Psychologe zu werden.
Ja, es war vermutlich nur eine faule Ausrede, Norman wiederzusehen. Würde ihm das überhaupt helfen? Nein. Norman hatte ihn sicherlich bereits vergessen, redete sich Ray ein, während er die verpassten Nachrichten auf seinem Handy ignorierte.
Sein Leben ging weiter. Er war es nicht wert.
Sein Leben ging weiter.
Dann klingelte die Tür und
„Emma…“
Ray war auf den Boden gestürzt. Er starrte entsetzt auf Yuugo. Er lag schreiend unter Emma, die ihr Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben hatte. Ihr Körper war gelblich und zerfressen, ihre Haare waren nur noch büschelweise auf ihrem Kopf und ihre Augen waren geschwollen. Emmas Fingernägel waren lang und spitz und ihre Zähne schienen ebenso schärfer geworden zu sein, denn sie riss augenblicklich ein Stück Fleisch von Yuugos Hals ab und spuckte es achtlos wieder aus, während ihre Fingernägel durch seine Brust schnitten. Und Yuugo verblutete und starb wenige Sekunden später einfach so.
Ray starrte Emma an. Sie schien ihn nicht zu bemerken. „Emma“, wiederholte er nochmals. Dieses Mal riss sie ihren Kopf zu ihm hinüber. Es war, als würde sie durch ihn hindurchschauen. Dann stand sie auf und taumelte zu Ray, der langsam seine Hände hob und sagte: „Ich bin es“
Emma stand still. Sie stöhnte protestierend. Dann drehte sie sich um und kroch langsam wieder in den dunklen Wagon. Ray verharrte und starrte dumpf auf Yuugos Leichnam.
„Ray, ich bin so froh, dich wiederzusehen!“, rief Emma, während sie ihre Arme um Ray schlang. Ihre Haare waren noch kurz und sonst schien sie sich kaum verändert zu haben. Ray hielt die Tür offen. Hinter Emma stand Norman. Er lächelte, doch sah irgendwie kränklich aus.
„Was ist los?“, fragte Ray langsam.
„Wir haben von deiner Mutter gehört, Ray“, begann Emma, „Es steht in den ganzen Nachrichten“
„Wieso steht es in den Nachrichten?“, Ray war verwirrt.
Norman sah zur Seite. „Sie war anscheinend eine Wissenschaftlerin, die gegen die Seuche geforscht hatte“
Blödsinn, dachte Ray, doch inzwischen zog er in Betracht, dass sein Leben sowieso eine Lüge war.
„Wir wollen aus der Stadt, am besten irgendwo ins Kalte“, erklärte Emma wenig später im Wohnzimmer, „Da, wo die Moskitos nicht hinkommen. Das macht doch Sinn, oder?“
„Ja“, Norman nickte, „Die Krankheit scheint sich nur über die Moskitos zu übertragen. Üblicherweise halten sie sich in heißen Gebieten auf, also sollten kühlere Länder vor ihnen geschützt sein“
„Aber inzwischen ist alles unglaublich heiß“, fuhr Ray fort, „Die Erderwärmung ist wirklich gestiegen“
„Also sollen wir es gar nicht versuchen?“, Emma schüttelte ihren Kopf, „Niemals!“
„Wir wollen, dass du mit uns kommst, Ray“, fügte Norman hinzu, „Du bist unser Freund“
Freund?
Ray sah auf. „Bist du dir sicher, dass du dir das aufbürden willst?“
Norman nickte. „Natürlich“
Norman ist nicht einmal wenige Tage später gestorben. Er wurde schon vorher gestochen und schien seine restliche, kostbare Zeit damit verschwendet zu haben, Ray zu suchen. Ray wollte sich einfach von einen der Kranken aufritzen lassen, doch Emma hielt ihn fest, zog ihn in Sicherheit und gab ihm eine feste Ohrfeige. „Norman kommt nicht mehr wieder“, sagte sie, doch es klang, als würde sie es zu sich selbst sagen, „Er ist tot und er kommt nicht mehr wieder. Aber er würde wollen, dass wir weitermachen. Für ihn“
Ray lachte. Sie hatte leicht reden. Schließlich war Emma diejenige, die Normans toten Körper mit sich schleppte.
Nicht viel später wurde sie auch irgendwann gestochen. Anstelle eines einfachen Todes erwartete sie jedoch ein seltsames Stadium dazwischen, welches die meisten Kranken erreichten. Beinahe schon wie Zombies, könnte man sagen. Doch der Biss eines Kranken macht dich nicht zu einem von ihnen, nur der einfach Stich eines Insekts, welches Ray während seiner Kindheit schon mit Fliegenklatschen eliminierte.
Ray ritt weiter. Er war fast bei den Zwillingsbergen. Nur noch wenige Minuten und die Reise hätte endlich ihr Ende. Erschöpft von der Hitze, ließ er langsam seinen Kopf hängen und schnaufte. Hinter ihm stöhnte es wieder protestierend, doch Ray ignorierte es.
Er stieg von seinem Sitz hinunter und öffnete den Wagon. Emma taumelte hinaus, als wäre sie blind, klammerte sie sich an Ray. Sie schrie, seltsame, eitrige Tränen liefen ihre Augen hinunter und Ray wusste nicht, was er tun sollte, als sie so vor ihm stand und schrie.
„Emma“, sagte er und deutete auf den Berg, „Schau doch“
Emma schrie.
„Erinnerst du dich als wir uns hier begegnet sind?“, fragte er, „Du bist mit Flip-Flops bereit gewesen, einen verdammten Berg zu besteigen. Ich dachte, du bist wahnsinnig, aber du warst einfach nur verdammt dumm und mutig. Du wolltest nur das Leben in vollen Zügen genießen, habe ich Recht?“
Keine Antwort. Ray suchte verzweifelt nach einem Zeichen, irgendetwas, doch Emma schrie weiter und sie weinte und Ray hatte die Hoffnung aufgegeben. „Warum habt ihr mich nicht einfach aufgegeben?“, flüsterte Ray, während er auf die Knie fiel, „Warum? Ich bin nur ein Fremder in eurem Leben gewesen. Und trotzdem habt ihr mich in der Stadt gesucht. Obwohl ich ein schlechter Freund war. Kein richtiger Freund. Ich hätte ein besserer Freund sein sollen“
Emma stand vor ihm, sie schrie weiter, doch es war so schrill, dass ihre Stimme bereits versagte. Das Gegenmittel befand sich schließlich weit oben in der Luft, es wirkte besonders stark auf den Hügeln, doch es rettete nicht Emma. Es brachte sie um. Also kollabierte sie vor Ray, atmete tief aus und verblieb so reglos.
Und Rays Knie zitterten, als er Normans verwesten Körper in der Hitze aus dem Wagon zog und eine Schaufel zu sich nahm. Er grub mehrere Stunden vor dem Berg in der Erde, bevor er die beiden beerdigte. Er fragte sich, warum? Warum haben die beiden alles für Ray getan?
Und Ray war klar, dass er solch liebenswürdige Menschen nie wieder treffen würde. Eine Welle der Leere überkam ihn, als er an Ray Grace dachte, der Wissenschaftler, der das Gegenmittel erstellt hatte, der Mann, der die Welt gerettet hatte, nachdem sein erster Versuch, schon so viele Jahre zuvor sie vor einer möglichen Epidemie zu schützen, mit Ray gescheitert war. Die Moskitostiche auf seinem Körper waren unzählig, doch ihm ging es gut. Er war immun, doch nicht möglich, andere immun zu machen.
Ray erinnerte sich, wie Emma und Norman ihm erzählten, dass hier, bei den Zwillingsbergen, Menschen verschwanden. Nicht viel weiter gab es wohl ein Labor der Wissenschaftler, doch Ray dachte nicht an die Möglichkeit, dass sie es gewesen sein könnten, nein. Er stand vor dem Berg, starrte auf die mit schneebedeckte Spitze und dachte daran, dass manche Menschen einfach verschwanden. Und so begann Ray zu klettern. Und nein, es war nicht schlimm, es war nicht traurig. Das war es wert. Denn sein Ziel war es, zu fallen.
Ein Fall aus der Höhe? Emma wird Augen machen, wenn sie davon hört.
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„And so the universe will end not with a bang, but the whimper.
And not in fire,
But in ice“
And not in fire,
But in ice“