Tibarn hatte noch nie grünes Feuer gesehen. Jetzt sah er es zum ersten Mal; grünes Feuer in den Augen der Person, von der er es am wenigsten erwartet hätte. Er sah grünes Feuer in Reysons Augen.

„Ich hasse ihn. Sein Herz ist genauso schwarz wie seine Schwingen“, spie der Reiher gehässig aus. Seine Stimme triefte vor Verachtung und es schwang zweifellos der Klang einer von Verrat Schmerzen leidende Seele mit. Wüsste Tibarn es nicht besser, hätte er nicht gedacht, dass die gleiche, giftige Stimme zu anderer Zeit, unter anderen Umständen zu heiligen Gesang und Wundenheilung fähig war.

Es erschreckte Tibarn immer wieder, wie viel Zorn und Trauer in Reysons zierlichen Körper Platz fanden. Und es missfiel ihm sehr. Zum einen sollte die Reinheit eines weißen Reihers wie ihm nicht durch solche negativen Gefühle befleckt werden. Und zum anderen ließ der Anblick des leidenden Prinzen auch Tibarn selbst leiden.

„Wenn ich könnte, würde ich dieser verlogene Krähe am liebsten den Hals umdrehen“, zischte Reyson mit bebenden Schultern.

Tibarn verspürte das gleiche Bedürfnis. Wie konnte Naesala nur so leichtfertig mit dem Herzen des Reiherprinzen spielen, wohl wissend, wie fragil er doch war?
Aber Tibarn wusste es besser.
Leider.

Tröstend legte er eine Hand auf Reysons Rücken. „Ich glaube nicht, dass du das wirklich willst“, erwiderte er auf Reysons grimmigen Wunsch.

Der Reiher schoss ihm einen verbitterten Blick zu, aber er antwortete nicht.

Und wirklich, das war Tibarn bereits Antwort genug. Wenn Reyson den Rabenkönig wirklich hätte tot sehen wollen, dann hätte er Tibarns Worten sofort widersprochen, kein Zweifel.

„...Woher willst du das wissen?“, fragte Reyson nun doch, in einem niedergeschlagenen Ton.

„Das ist einfach. Du kennst ihn seit Jahren. Ihr habt viel Zeit verbracht, als du klein warst. Ein von Kindesbeinen an geschmiedetes Band reißt nicht so einfach. Ein solches Band ist stark.“

Zumindest stärker als das Band zwischen ihm und Reyson, so schien es Tibarn. Und das, obwohl er den Serenes ohne zu zögern Zuflucht in seinem Reich geboten hatte, als sie es am nötigsten hatten, und sich zudem höchstpersönlich Reysons Schutz verschrieben hatte.

Irgendwie, irgendwo fand Tibarn das ein bisschen ungerecht.

„Ich will dieses Band aber nicht“, weigerte Reyson sich verzweifelt, heiser. „Ich will ihn hassen. Nichts anderes hat er verdient.“

Er hatte Recht. Naesala verdiente es gehasst zu werden. Aber die Realität sah anders aus, und sie war noch nie für ihre Gerechtigkeit bekannt gewesen.

„Lausche erst deinem Herzen, bevor du solche Worte sprichst, und lausche sorgfältig. Dann wirst du erkennen, was du wirklich willst“, riet Tibarn ihm leise und erstickte damit eigenhändig im Stillen den kleinen Funken Hoffnung, der nur kurz zuvor auf ihn übergesprungen war, bevor eine ganze ganze Feuersbrunst sein Herz mit grünen Flammen versengte.