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Dear Livia...

Kurzbeschreibung
GeschichteRomance, Fantasy / P16 / Gen
Draco Malfoy Fred Weasley George Weasley OC (Own Character)
06.01.2021
24.02.2023
14
192.829
8
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Dieses Kapitel
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06.01.2021 4.652
 
September 1990

„Wie ist es auf Hogwarts?“ Ich schaute hinauf in das schlanke Gesicht meiner Mutter, die das kleine Kind auf ihrem Arm hin und her wog. Ihre rehbraunen Augen wandten ihren Blick von meiner kleinen Schwester ab und fanden ihren Weg zu mir. „Es ist ein toller Ort.“ Die rotgeschminkten Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. „Dort lernst du Freunde fürs Leben kennen.“ Sie ließ ihren Blick über den Bahnsteig schweifen und versank in Erinnerungen. Die große Anzahl an Schülern und Familien schafften es, dass der Abstand zwischen den Waggons des Zuges und den Ziegelsäulen kleiner wurde. Neben ihnen reihten sich unzählige Koffer, Käfige mit Tieren und Pakete auf. Ich erkannte die unterschiedliche Mimik in jeden ihrer Gesichter. Einige besuchten die Schule sicherlich schon einige Jahre und hatten sich öfters von ihren Familien verabschieden müssen, andere wiederum umarmten sich herzlich und versuchten nicht zu weinen, obwohl es meist die Mütter waren, die ihre Tränen zurückhalten mussten. Gleichzeitig wusste ich, dass der Abschied meiner Eltern kein Emotionsausbruch werden würde. „Und in welches Haus werde ich kommen?“, fragte ich, als ich meine Hände in die Taschen meiner dünnen Jacke steckte. Bevor sie überhaupt hätte antworten können, spürte ich eine Hand an meiner Schulter. Mein Blick wandte sich von den Waggons ab und traf die grauen Augen meines Vaters, die ich von ihm geerbt hatte. „Natürlich nach Slytherin, so wie jeder in deiner Familie.“ Er zeigte mir seine weißen Zähne, die in einem Kontrast zu seinen braunen Haaren standen. Eine Strähne hatte sich aus der perfekten Frisur gelöst und fiel ihm über die Stirn. Er passte nicht an diesen Ort. Obwohl er ebenfalls ein Zauberer und ehemaliger Schüler von Hogwarts war, wusste ich, dass er nur zähneknirschend hierhergekommen war. Während meine Mutter an die Vergangenheit dachte, zählte er die Minuten, bis er den Bahnsteig wieder verlassen konnte. „Und wenn der Hut etwas anderes sagt? Wenn ich ein Hufflepuff werde? Oder sogar ein Gryffindor?“, fragte ich mit neugieriger Stimme, obwohl ich meinen Vater nur damit ärgern wollte. „Das wird nicht passieren, Livia. Der Hut weiß, dass du nach Slytherin gehörst. Du repräsentierst deine Familie.“ Er fuhr sich mit der Hand über seine Frisur und versuchte die lose Strähne an ihren eigentlichen Platz zu rücken. Ich sah den Stolz in seinen Augen, der die Abscheu für einen kurzen Moment zu übertreffen schien. Ich lenkte meinen Blick wieder auf meine Mutter. Was sagte sie dazu? Ihre Lippen formten einen schmalen Strich. Sie war anderer Meinung, dass wusste ich, doch sie wollte das Thema lieber ruhen lassen. „Du erinnerst dich doch an Lucius? Er und ich lernten uns ebenfalls in Hogwarts kennen. Er gehört auch zu dem Hause Slytherin. Das heißt, du besitzt Ehrgeiz und…“ ‚und Zielstrebigkeit‘ – beendete ich die Worte meines Vaters in meinem Kopf und ließ ihn einfach weiterreden. Zu oft hatte ich diesen Vortrag von ihm gehört, sodass ich ihn mittlerweile auswendig kannte und nur noch die Augen darüber rollen konnte. Ja, ich erinnerte mich an Lucius. Dieser Mann war mir unsympathisch, scheinheilig wie er war. Wenn man die beiden zusammen sah und reden hörte, konnte man denken, dass sie Brüder wären. Oder Spiegelbilder des Anderen. Ich hatte mich, so gut es ging, immer von diesem komischen Mann ferngehalten.
„Ich möchte ein Jahr erleben, indem wir nicht zu spät kommen.“ Ich wurde von Frau, die ein paar Jahre älter als meine Mutter war, aus meinen Gedanken gerissen. Das gelbgemusterte Kleid legte sich durch ihren schnellen Gang in Falten, während ihr mehrere Kinder folgten. Vier von den Jungen versuchten ihre Wagen durch das Getümmel zu schieben, den fünften Junge und ein Mädchen zog sie an ihren Händen hinterher. Die Augen des Jüngsten funkelten bei dem Blick der Waggons auf und er schien aus dem Staunen nicht mehr herauszukommen. Man sah sofort, dass sie eine Familie waren, denn alle besaßen die gleichen roten Haare. Während man die beiden Älteren, das kleine Mädchen und den erstaunten Jungen auseinanderhalten konnte, handelte es sich bei den beiden anderen Jungen um Zwillinge. Sie sahen sich so ähnlich, dass ich auf Anhieb keinen Unterschied erkennen konnte. Ob ihre Familie die gleichen Probleme hatte? All ihre Kinder trugen einen einfachen Pullover und machten sich nichts aus der Fahrt nach Hogwarts. Wahrscheinlich würden sie ihre Kleidung erst dort wechseln. Meine Eltern hatten auf die weiße Blus und den Rock bestanden. „Wir kleiden uns nicht wie Hinterwäldler“, klangen die Worte meines Vaters in meinem Kopf. Wie man so einen Aufruhr über Kleidung machen konnte… Zu welchem Haus wohl die Familie gehörte? „Genieß dein letztes Jahr, Charlie.“ Die Frau drückte dem größten Sohn einen kurzen Kuss auf die Wange, der diese Geste mit einem schelmischen Lächeln entgegnete. Der nächste in der Reihenfolge schien nicht so eine Frohnatur wie sein älterer Bruder zu sein. Seine roten Locken waren nach hinten gegelt und er erinnerte mich mit seinem monotonen Blick eher an einen zukünftigen Anzugträger, als an einen Schüler. Widerwillig ließ er die Liebe seiner Mutter über sich ergehen und verschwand danach in einem der Waggons. „Fred, George, baut keinen Mist!“ Ihre Hand ließ den Jüngsten los und richtete sich mahnend erst auf den Einen der Zwillinge, dann auf den Anderen. „Ich bin nicht Fred, sondern George.“, sagte der Erstgenannte und schüttelte seinen Kopf mit einem betroffenen Gesicht. „Und du willst unsere Mutter sein…“, fügte der Andere hinzu. Die Frau seufzte. „Entschuldigung, George.“ Man hörte den Stress in ihrer Stimme und es schien nicht das erste Mal zu sein, dass sie ihre Kinder verwechselte. Die Münder der Zwillinge verzogen sich zu einem Lächeln. „Reingelegt, ich bin doch Fred.“ Ihre Mutter ließ ein zweites Seufzten von sich, ein Lauteres, und verdrehte die Augen. „Werdet ihr jemals aufhören, mich damit zu ärgern?“, fragte sie vorwurfsvoll. „Niemals.“, entgegneten die beiden Jungen gleichzeitig. Mir entfuhr ein kurzes Schmunzeln. Ihr Humor gefiel mir und solche Dreistigkeit kannte ich nur von mir selbst. Fred hatte meine Bemerkung mitbekommen und drehte seinen Kopf in meine Richtung. Mit einem kecken Lächeln zwinkerte er mir zu und schenkte der Predigt seiner Mutter keine Aufmerksamkeit. Ich legte meine Hand auf meinem Mund ab, damit niemand mein lauter werdendes Kichern hören konnte. Vielleicht würde ich den Vorträgen meines Vaters eher zuhören, wenn er solche Freunde hätte. Ich hatte Lucius nicht einmal jemanden so auf den Arm nehmen sehen. „Es wird Zeit mein Schätzchen.“ Meine Mutter beugte sich zu mir herunter, drückte mir einen Kuss auf meine Wange und zog mich in eine kurze Umarmung, die ich nicht recht erwidern konnte, durch meine Schwester auf ihrem Arm. „Nimm deinen Vater nicht immer so ernst. Jedes Haus in Hogwarts ist auf seine eigene Weise gut.“ Leise flüsterte sie diese Worte in mein Ohr, sodass mein Vater sie möglichst nicht hören sollte. Sie erhob sich auf ihre volle Größe und ließ meinem Vater eine Chance des Abschieds. Er strich mir mit seiner großen Hand über meine braunen Locken und zeigte mir sein stolzes Lächeln. Mehr hatte ich von ihm nicht erwartet. Mit einer kurzen Handbewegung wischte ich mir den Abdruck des Lippenstifts von meiner Wange und ging auf die Tür des Waggons zu, in der die anderen Jungen bereits verschwunden waren. Ihre Mutter schaute zu den Fenstern und versuchte sie zu finden. Ihre Tochter versteckte sich hinter ihrem Rock und beobachtete die ganze Sache nur etwas skeptisch. Der Zug stieß eine große Dampfwolke aus – das war mein Zeichen. Nun würde mein erstes Jahr in Hogwarts beginnen. Ich schritt die Treppen in den Waggon hinauf und drehte mich ein letztes Mal zu meiner Familie um. Während mein Vater seine Taschenuhr aus seiner Weste zog und ihr einen kritischen Blick schenkte, lächelte mir meine Mutter zu. Ein Pfiff ging durch die Halle und der Zeitpunkt der Abfahrt war gekommen. Die Flure der Waggons waren mit Schülern übersäht und es war schwer, sich den Weg durch diese zu bahnen. Ich hörte, wie sich die Türen schlossen und der Zug erneut ein dampfendes Geräusch von sich gab. „Setz dich zu deinen Gleichgesinnten.“, hatte mein Vater gesagt. Natürlich hatte er damit das Zugabteil gemeint, in dem sich nur die Slytherinschüler aufhielten. Doch wie sollte ich dahin kommen, wenn ich nicht einmal wusste, ob ich vor oder zurückgehen musste. Danke für den Hinweis. Die Räder des Zugs setzten sich in Bewegung, wodurch ich ins Wackeln geriet. Mit vorsichtigen Schritten versuchte ich mich durch die engen Gänge der Waggons zu zwängen und einen Platz zu finden. Mir war es egal, wo ich saß, Slytherin hin oder her, Hauptsache ein Platz. Der Zug rüttelte in unregelmäßigen Abständen und es war nur eine Frage der Zeit, bis ich dadurch hinfallen würde. Überall plapperten Schüler. Jüngere, wahrscheinlich waren sie in meinem Alter, fragten sich, was sie in Hogwarts wohl alles lernen oder welchem Haus sie zugeteilt werden würden. Die Aufregung war deutlich in der Luft zu spüren, aber mich hatte sie noch nicht eingeholt. Zwar konnte ich mir diesen magischen Ort nur vorstellen, aber meine Eltern waren auf Nummer sicher gegangen und hatten mir erste Kenntnisse vermitteln wollen. Mit einem erneuten Rumpeln verlor ich den Halt auf meinen Füßen und fiel nach vorn. Bevor ich den Boden berühren konnte, presste sich mein Gesicht an einen gestreiften Pullover. Mein Schwung brachte die Person ins Wanken, doch sie konnte sich im Gegensatz zu mir auf den Beinen halten. „Siehst du Fred, so leicht liegen mir die Mädchen zu Füßen.“, gab der Junge prahlend von sich. Ich entfernte mich von ihm und ging einen Schritt zurück, um in die Gesichter der Zwillinge zu schauen. „Wenn ihr die Mädchen so austrickst wie eure Mutter, werdet ihr bestimmt lange drauf warten müssen.“, entgegnete ich ihnen knapp und zog eine meiner Augenbrauen herausfordernd nach oben. Ich ließ mich von so einem Malheur nicht irritieren. Stattdessen konterte ich ebenso ironisch wie mein Gegenüber. Der erste Eindruck auf einer neuen Schule war wichtig. „Oh George, sieh es ein: Du bist eine Niete.“, pustete sein Bruder los. „Dein Pech. Wir haben das gleiche Gesicht.“, entgegnete George mit einer Grimasse. „Da teile ich das Gesicht lieber mit dir, als mit unserem Musterschüler.“ Fred nickte mit dem Kopf in meine Richtung, aber er konnte nicht mich meinen, denn ich befand mich das erste Mal in diesem Zug. „Setzt euch lieber hin, als hier im Weg rumzustehen.“ Oh, ihr Bruder, der spätere Anzugträger, hatte sich zu uns gesellt. Die ersten fünf Minuten meiner Schulzeit gestalteten sich interessanter, als ich gedacht hätte. „Und du?“ Er senkte seine blauen Augen auf meinen braunen Schopf. Seine Mundwinkel schienen so beständig wie Beton zu sein. „Ich werde von einem zu neugierigen Jungen befragt.“ Als ob der Lockenschopf mir Angst einjagen konnte mit seiner fehlenden Sympathie. Hinter mir hörte ich ein leises Lachen. „Ach Percy, kaum sind wir unterwegs, rutschst du in deine alte Rolle.“ Ich wusste nicht, welcher der beiden Zwillinge diese Worte an ihren älteren Bruder richtete. „Einer muss doch die Ordnung bewahren. Also?“ Er schielte mit einer hochgezogenen Augenbraue über mich zu seinen Brüdern, dann wieder zu mir. Er wollte meine vorherige Antwort gekonnt überspielen. „Sie wollte gerade mit uns ein Zugabteil suchen.“, rettete mich ein Zwilling. Ob er zuhause auch so mürrisch drauf war? Ihre Mutter schien so liebevoll zu sein… aber wem erzähle ich das? Ich wollte ebenso wenig wie mein Vater sein. Percy seufzte und drängelte sich anschließend an uns vorbei. Ich würde ihn so schnell nicht vermissen. „Also, was ist?“ Eine Hand wedelte vor meinem Gesicht und riss mich von dem Rücken des späteren Anzugträgers los. „Eigentlich war ich auf der Suche nach…“ Wie sollte ich das ausdrücken? „Nach den Spaßbremsen. Nach Percy, bloß in Grün?“, witzelte Fred. Auch wenn es vielleicht nicht unbedingt nett war, so musste ich ihn in der Tat zustimmen. Das ruhige braun ihrer Augen signalisierte mir, dass die Entscheidung an mir lag. Entweder konnte ich zu meinen „Gleichgesinnten“ gehen, wie mein Vater sie nennen würde, oder ich konnte auch ein bisschen Spaß haben. Ich trat einen Schritt an Fred vorbei und ging zu dem Abteil, in dem sich George schon niedergelassen hatte. Irgendwie faszinierten mich diese beiden Jungen. Sie waren so anders, so ungezwungen. Ich setzte mich George gegenüber, der mich mit einem zufriedenen Lächeln musterte. Es waren kaum zehn Minuten vergangen und ich hatte schon genug Dinge getan, sodass mir mein Vater eine Predigt hätte halten können. Dieser Gedanke gefiel mir.
Nach einer längeren Fahrt mit dem Zug und ein paar Booten kamen wir endlich an unserem Ziel an. Hogwarts thronte über einem See und schien der Mittelpunkt dieser Ländereien zu sein. Ich hatte mir diesen magischen Ort oft genug vorgestellt, doch meine Gedanken wurden übertroffen. Ich wollte mir nicht vorstellen, welche Erlebnisse hier schon stattgefunden hatten und welche Geschichten mir die Mauersteine erzählen könnten. Ich hatte von Fred und George erfahren, dass sie sich bereits im zweiten Jahr befanden. Schade, mit den Beiden auf einer Stufe zu sein, hätte bestimmt Spaß gemacht, aber vielleicht wollte der Hut mir einen anderen Gefallen tun. Die neuen Schüler trennten sich von den Restlichen und schritten in einer formatierten Traube die Steintreppen des Gebäudes hinauf. Die Mauern wurden von Fackeln beleuchtet und man hätte denken können, dass wir uns in einem anderen Jahrhundert befanden. Am Ende der Treppe erwartete uns eine Frau, deren Gesicht von einigen Falten gezeichnet wurde. Die Masse blieb stehen und richtete ihre Blicke auf die Dame. „Willkommen in Hogwarts.“, begrüßte sie uns mit einem zurückhaltenden Lächeln. „Das Bankett zur Eröffnung des Schuljahres beginnt in Kürze, doch bevor Sie ihre Plätze in der großen Halle einnehmen, werden wir feststellen, in welche Häuser sie kommen. Es ist eine sehr wichtige Zeremonie, denn das Haus ist gleichsam Ihre Familie in Hogwarts. Sie haben gemeinsam Unterricht, Sie schlafen im Schlafsaal Ihres Hauses und verbringen Ihre Freizeit im Gemeinschaftsraum. Die vier Häuser heißen Gryffindor, Hufflepuff, Ravenclaw und Slytherin.“ Ich ließ meinen Blick über die Gesichter meiner zukünftigen Mitschüler gleiten. Einigen war direkt ins Gesicht geschrieben, wohin sie gehören würden. „Jedes Haus hat seine eigene, ehrenvolle Geschichte und jedes hat bedeutende Hexen und Zauberer hervorgebracht. Während ihrer Zeit in Hogwarts holen Sie mit Ihren großen Leistungen Punkte für das Haus, doch wenn Sie die Regeln verletzen, werden Ihrem Haus Punkte abgezogen. Am Ende des Jahres erhält das Haus mit den meisten Punkten den Hauspokal, eine große Auszeichnung. Ich hoffe, jeder von Ihnen ist ein Gewinn für das Haus, in welches er kommen wird. Die Einführungsfeier, an der auch die anderen Schüler teilnehmen, beginnt in wenigen Minuten. Ich schlage vor, dass Sie die Zeit nutzen und sich beim Warten so gut wie möglich zurechtmachen.“ Die Frau schaute in die Runde und suchte nach Opfern, den sie ihren letzten Satz gewidmet hatte. „Ich komme zurück, sobald alles vorbereitet ist. Bitte bleiben Sie ruhig, während sie warten.“ Sie verschwand hinter den Türen und ließ uns zurück. Sofort begannen die Ersten zu murmeln und zu mutmaßen. Nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem sich die Zukunft von uns entscheiden würde.
Es sollte nicht lange dauern, bis die Lehrerin zurückkam und uns mit ihrer eher strengen Miene musterte. „Die Einführungsfeier beginnt. Sie stellen sich der Reihe nach auf und folgen mir.“ Mit einem straffen Schritttempo führte uns die Dame in Zweierreihen durch die hohe Doppeltür in die große Halle. Über uns leuchteten unzählige Kerzen und die Decke war die pure Nacht. Vier lange Tische, einer für jedes Haus, gaben den anderen Schülern Platz, die uns Neuankömmlinge neugierig musterten. Das Holz war mit schimmernden Goldtellern und -kelchen bedeckt. Meine grauen Augen huschten über die Schüler und versuchten bekannte Gesichter zu erkennen. Dabei kannte ich bis jetzt nur die Weasley-Kinder. Es dauerte einige Sekunden, bis ich die braunen Augen und roten Haare von George und Fred fand. Mittlerweile hatten sie ihre Roben angelegt, wodurch sie nicht mehr wie einfache Kinder aussahen. Von weitem konnte ich sie nicht unterscheiden, doch ich erkannte zumindest, dass sie mir beide zuzwinkerten. Mein monotoner Gesichtsausdruck verzog sich zu einem Lächeln und ich musste aufpassen, dass ich mich nicht vor der gesamten Menge direkt blamierte.
McGonagall zog einen vierbeinigen Stuhl vor den Tisch der Lehrer, auf dem ein spitzer Hut lag. Er war anderes als der Hut, wie in beispielsweise die Professorin trug. Er war älter, wirkte abgenutzt – ja, er wirkte, als würde er uns alle grimmig anschauen. Ein Riss nahe der Krempe tat sich auf und der alte Hut begann zu sprechen: „Ihr denkt, ich bin ein alter Hut, Mein Aussehen ist auch gar nicht gut.“ Wenigstens besaß er selbst diese Erkenntnis. „Dafür bin ich der schlauste aller Hüte, Und ist’s nicht wahr, so fress ich mich, du meine Güte! Alle Zylinder und schicken Krappen sind gegen mich doch nur Jammerlappen! Ich weiß in Hogwarts am besten Bescheid Und bin für jeden Schädel bereit. Setzt mich nur auf, ich sag euch genau, wohin ihr gehört – denn ich bin schlau. Vielleicht seid ihr Gryffindors, sagt euer alter Hut, denn dort regieren, wie man weiß, Tapferkeit und Mut. In Huffelupff dagegen ist man gerecht und treu, man hilft dem anderen, wo man kann, und hat vor Arbeit keine Scheu. Bist du geschwind im Denken, gelehrsam auch und weise, dann machst du dich nach Ravenclaw, so wett ich, auf die Reise. In Slytherin weiß man noch List und Tücke zu verbinden, doch dafür wirst du hier noch echte Freunde finden. Nun los, so setzt mich auf, nur Mut, habt nur Vertrauen zum sprechenden Hut.“ Der Hut beendete seinen Vortrag und sofort wurde die Halle von Beifall erfüllt. McGonagall trat mit einer langen Liste in den Händen vor und richtete ihre Brille. Bevor ich mir überhaupt allzu viele Gedanken über die bevorstehende Wahl des Hutes machen konnte, wurde bereits mein Name aufgerufen. „Decis, Livia.“, sagte die Frau mit strenger Stimme. Ich trat durch die Menge hindurch und ließ mich auf dem Stuhl sinken. Das Gemurmel verstummte vollkommen und unzählige Augenpaare ruhten auf meiner Wenigkeit. McGonagall setzte mir das alte Leder auf den Kopf und nahm mir dadurch meine Sicht auf die Meute. „Hmm“, begann die piepsige Stimme in meinem Ohr zu überlegen. „Geschickt bist du, mein Kind.“ Ravenclaw? „Aber auch Mut fließt durch deine Adern.“ Oder doch Gryffindor? Das wäre ein Dorn in den Augen meiner Familie. „Deine Entschlossenheit wird jeden erzittern lassen.“ Die leise Stimme wechselte nach außen und verkündete seine Antwort. „Slytherin.“ Der Tisch der Schlange begann laut zu applaudieren. Ich rutschte von dem Holz herunter und ging mit monotoner Miene auf mein neues Haus zu. Der Hut hatte lang genug überlegt und ich wollte mir nun nicht auch noch die Vermutungen meiner neuen Mitschüler anhören, ob die Wahl die Richtige oder Falsche gewesen sei. Wie mein Vater wohl geschaut hätte, wäre ich in ein anderes Haus gezogen? Von diesem Gesichtsausdruck müsste ich ein Foto machen. Auf der Bank tat sich eine Lücke auf und ich setzte mich zwischen einen älteren Jungen und ein Mädchen, das nur wenige Minuten vor mir an diesen Tisch gewählt wurde. Sie empfingen mich alle mit einem Lächeln. Es war stolz – nicht wie ich es von ehemaligen Slytherins, wie Lucius, kannte – viel mehr waren sie neugierig auf ihren Zuwachs. Vielleicht gab es auch in Slytherin Leute, die Spaß verstanden. Es folgte eine schier nicht endende Liste von Namen, die sich alle auf dem Stuhl setzen durften. Mit jeder Entscheidung brach erneut Applaus aus, der von den unterschiedlichen Tischen zu hören war. Meine Augen folgten einem Schüler, der binnen einer Sekunde nach Gryffindor gewählt wurde. Er ließ sich nicht weit von den roten Haaren nieder und sofort sprang meine Aufmerksamkeit auf die Beiden. Vielleicht handelte es sich bei der vorhin empfundenen Sympathie nur um eine flüchtige Bekanntschaft, sodass wir am Ende des Tages nur einfache Mitschüler sein würden, aber sie waren die Ersten seit langen, die meine Aussagen konterten. Es hatte sich angefühlt, als würde man sich gegenseitig das Feuer zuwerfen, während der Gegenüber darauf wartete, dass man sich daran verbrannte. Ich mochte dieses Spiel. Hoffentlich nahmen sie sich die geheime Rivalität von Schlange und Löwen nicht zu sehr zu Herzen und bereiteten sich auf das Spiel mit dem Feuer vor. Bei diesem Gedanken traf ich ein Paar brauner Augen und nun war es George, der mir zuzwinkerte und mich durch den Saal, quer durch die Masse an Schülern, anlächelte. Er konnte mir dadurch kein Schmunzeln entlocken, doch unweigerlich entgegnete ich seine Mimik. Wie das Spiel wohl enden würde?
Obwohl ich mit meiner Wahl des Hauses zufrieden war, fragte ich mich die nächsten Wochen, ob ein Hut bestochen werden konnte.

*


In meiner karierten Pyjamahose schlürfte ich die großen Treppen unserer Eingangshalle hinunter und rieb mir den letzten Schlafsand aus meinen Augen. Mir entfuhr ein lautes Gähnen und meine braunen Locken standen wirr in jede Richtung ab. Das laute Kichern meiner kleinen Schwester hallte an den hohen Decken wider und binnen weniger Sekunden sauste sie an dem Treppenansatz vorbei und rannte in das nächste Zimmer. „Arianna, bleib hier.“ Meine Mutter folgte ihr mit schnellen Schritten und ein paar Schuhen in der Hand. Der Größe nach zu urteilen, floh meine Schwester genau vor diesem paar braunen Leder. „Morgen.“, murmelte ich schlaftrunken. Zeitig aufstehen war noch nie mein Ding gewesen. Meine Mutter antwortet mir nicht, sondern sauste nur dem blonden Schopf hinterher. Heute war Weihnachten, was meiner Mutter einen Grund gab, in den puren Stress zu verfallen. Mittlerweile war es zur Tradition geworden, dass einige Bekannte meines Vaters an diesem Tag zum Essen vorbeikamen. Ganz vorn dabei: Die Malfoys. Wenn ich schon daran dachte, mit Lucius und seiner Familie zu essen, verging mir der Appetit. Ich stieg die letzte Stufe hinab und schaute unweigerlich zu dem riesigen Weihnachtsbaum, der fast bis zur Decke hinaufragte. Es war mit unzähligen Kugeln und Lichtern geschmückt und schien etwas fehl am Platz zu sein, wenn man unsere eher in dunklen Farben gehaltene Einrichtung betrachtete. Unter dessen Zweigen reihte sich ein Geschenk an das Nächste und man hätte eine ganze Schulklasse damit beglücken können. „Liva.“, kicherte meine Schwester und kam auf mich zu gerannt. Als sie gelernt hatte zu sprechen, war das zweite ‚i‘ irgendwie abhandengekommen und seitdem rief sie mich nur mit diesem Namen. Ich breitete meine Arme aus und fing sie auf. „Danke.“ Meine Mutter überbrückte die Distanz und stieß zu uns auf. Sie schob sich eine blonde Strähne aus ihrem Gesicht und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Sie will partout nicht ihre Schuhe anziehen.“, seufzte sie. Ich schaute hinunter in das pausbäckige Gesicht meiner Schwester, die mich mit ihren braunen Augen anfunkelte. „Weißt du Arianna, wenn du dich nicht benimmst, nimmt der Weihnachtsmann deine Geschenke wieder mit.“, sagte ich provokant. Zum Glück war sie noch viel zu jung, um den Trick dahinter zu erkennen. Sie schüttelte den Kopf und schaute mit einem Hundeblick zu den Geschenken unter den Baum. Meine Mutter kniete sich auf den Boden und begab sich auf ihre Höhe. Wenn auch etwas widerwillig streckte Arianna ihr erst das eine Bein, dann das Andere entgegen. Mit zufriedener Miene begab sie sich auf ihre eigentliche Größe und hob meine Schwester hoch. Sie wollte ihr nicht noch einmal die Chance geben, abzuhauen. „Vorhin ist ein Brief für dich angekommen.“ Die kleinen Finger von Arianna spielten mit den Haaren meiner Mutter, die sich mit einer Hand die Bluse richtete. Ein Brief? Für mich? Mit einem verwunderten Blick schaute ich zu dem dunklen Tisch, der neben der Eingangstür stand. Auf ihm thronte eine Blumenvase mit den feinsten Blüten, unter ihnen ein Stapel voller Briefe. Die Absätze meiner Mutter hallten durch die Eingangshalle und sie verschwand mit meiner Schwester in das anliegende Zimmer. Mit neugierigen Schritten ging ich auf das Möbelstück zu und musterte die Umschläge. Ein Großteil der Briefe war an meinen Vater oder an die „Familie Decis“ gerichtet. Wahrscheinlich handelte es sich dabei größtenteils um irgendwelche Weihnachtswünsche von Kollegen aus dem Ministerium. Ich ging die Empfänger durch und stieß nach ein paar Versuchen auf meinem Namen. Es war einfaches Briefpapier, aber der Brief wirkte etwas unförmig. Ich öffnete das Papier und zog einen Zettel heraus. „Warum bist du noch nicht umgezogen?“ Mein Vater kam aus dem anderen Flügel herausgeschritten und musterte mich mit monotoner Miene. Sein Aufzug war ähnlich perfekt wie der meiner Mutter und er machte mir deutlich, dass ich in meiner Pyjamahose deutlich fehl am Platz war. „Bin gerade erst aufgestanden.“, murmelte ich, während ich den eigentlichen Brief auffaltete. „Unsere Gäste kommen bald.“, tadelte er mich. Erst ein paar Minuten wach und ich wollte am liebsten wieder in mein Bett gehen. „Von wem ist der Brief?“, fragte er und hielt in seinem Gang inne. Ich zuckte mit den Schultern und begann zu lesen:

Liebste Livia,
Weihnachtsgrüße von den coolsten Jungs, die du kennst.


Oh-oh, ich ahnte böses. „Liebste Livia“ – Diese Worte klangen unscheinbar, doch ich konnte deutlich spüren, mit welchem frechen Grinsen Fred und George diese Worte aussprachen. Mittlerweile kannte ich sie seit einem knappen halben Jahr und was sollte ich sagen? Seit unserem ersten Treffen waren wir Freunde geworden. Selbst unserer unterschiedlichen Häuser konnten dies nicht verhindern und alle Unsicherheiten, die ich an jenem Tag empfunden hatte, waren verschwunden. Egal, ob wir kleine Streiche ausheckten oder uns gegenseitig Geschichten von lustigen Ereignissen erzählten – es gab immer etwas zu lachen. „Also?“ Mein Vater zog eine seiner Augenbrauen nach oben. „Er ist von Freunden.“, sagte ich knapp. „Ich wusste doch, dass du dich in Slytherin wohlfühlen würdest.“, sagte er zufrieden. Zum Teil hatte er Recht. Ich fühlte mich in Slytherin wohl, denn es gab tatsächlich ein paar sympathische Schüler dort, mit denen ich gern die Zeit verbrachte, wenn ich nicht mit Fred und George unterwegs war. Zwar gab es auch ein paar Dummköpfe, aber alles in Allen hatte sich auch diese Angst gelegt. Dumm nur, dass dieser Brief nicht von Slytherin-Schülern stammte. Was er wohl sagte, wenn er die Absender kennen würde? Mit einem entspannteren Gesicht, mit dem er gerade aus dem Flügel geschritten war, folgte er in das Zimmer meiner Mutter. Meine Lippen verzogen sich unwillkürlich zu einem Lächeln und ich las weiter:

Damit du zu Weihnachten nicht durch Langeweile stirbst, dachten wir uns, dir ein kleines Geschenk zu machen. Viel Spaß mit unserem ersten Prototyp.

Fred und George.



Meine Vorahnung hatte mich nicht enttäuscht und ihre Namen zierten das Ende des Briefes. Auch wenn ich wusste, mit welchem Lachen sie sicherlich diesen Brief geschrieben hatten, freute ich mich. Sie hatten an mich gedacht. Ich ließ das Papier in dem Bund meiner Pyjamahose verschwinden. Ich wollte nicht, dass irgendjemand diesen Brief fand. Er war einzig und allein an mich gerichtet und eine Predigt von meinem Vater wollte ich mir auch ersparen. Sollte er seine zu Unrecht empfundene Zufriedenheit für mich erstmal behalten. Dann ging er mir nicht auf die Nerven. Wo welchem Prototyp sprachen die beiden? Mit einem neugierigen Auge schielte ich den Umschlag und entdeckte an dessen Boden eine kleine Kugel. Deswegen war der Brief so unförmig gewesen. Bevor ich überhaupt danach greifen konnte, begann die kleine Kugel zu wackeln. Es dauerte nur einen Augenblick und sie sauste aus dem Papier hinauf an die Decke der Eingangshalle. Mit einem Knall öffnete sich die Kugel und ihre wahre Bedeutung kam zum Vorschein. Kleine Funken wirbelten umher, tanzten durch die Lüfte und explodierten schließlich. Ein Feuerwerk kam zum Vorschein. Meine Augen folgten den intensiven Farben, die im Sekundentakt hell leuchteten und dann verblassten. Diese Überraschung war ihnen definitiv gelungen. Das Licht der Funken verlieh der fast schon düsteren Einrichtung einen bunten Glanz und für einen Moment schien es so, als ob ich an einem fremden Ort wäre. Ich empfand pures Glück. Nichts hätte dieses trüben können, außer natürlich meine Eltern. Einer der Funken verirrte sich und flog durch den Türbogen, der in das Esszimmer führte. Ich konnte ihm nur noch hinterherschauen, denn eine Sekunde später schien er zu explodieren. Ein blaues Licht leuchtete für einen kurzen Moment auf und verblasste danach. Ich hörte das Kichern meiner Schwester, die diesen Anblick wie ich genossen hatte, doch das war nur die Ruhe vor dem Sturm. „Livia.“, brüllte mein Vater aus dem Zimmer. Zwar war seine zufriedene Stimmung dahingerafft, aber meine Freude blieb mir selbst nach seiner ellenlangen Predigt noch erhalten.
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