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Die Melodie des Meeres

Kurzbeschreibung
GeschichteRomance, Fantasy / P18 / Het
Fabeltiere & mythologische Geschöpfe
16.12.2020
24.11.2022
52
287.571
27
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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07.10.2022 6.083
 
Kapitel 45
Echsenmenschen regieren die Welt
༄ ♫ ༄

Als ich das Wohnhaus verlasse, muss ich nicht lange nach Ian suchen. Seine auffälligen, roten Haare helfen mir immer wieder dabei, ihn schnell ausfindig zu machen. Man kann ihn nicht übersehen. Er ist an sein Auto gelehnt und winkt mir zu, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Freudig erwidere ich sein Winken und eile auf ihn zu. Zur Begrüßung falle ich ihm in die Arme und drücke ihn fest.

„Was für 'ne stürmische Begrüßung“, bemerkt er, doch auch er legt seine Arme um mich, um mich zu drücken. „Du hast mir schon gefehlt, Süße.“
„Du mir auch. Wir sollten öfter etwas zusammen unternehmen.“
„Wenn das Leben nur nicht immer dazwischenkommen würde, hm?“ Er lässt von mir ab und mustert mich. „Du siehst heute umwerfend aus. Ich liebe dein Outfit.“ Ian lächelt breit, als er meine Haare betrachtet. „Eine wahre Schönheit. Los, ab ins Auto. Ich bin bereit, dich zu entführ'n.“
Ich kichere, gehe dann einmal um das Auto herum und nehme vorne Platz.

Wie ich es gelernt habe, lege ich den Sicherheitsgurt an, dann stelle ich meine Tasche auf den Boden zwischen meine Füße. Auch Ian macht es sich neben mir bequem. „Wie geht’s dir? Erzähl“, bittet Ian mich, dann startet er das Auto und fährt los.
„Ach, ich weiß nicht, aktuell ist alles ein wenig verwirrend, aber Killian und ich waren gestern am Meer und ich konnte den ganzen Tag schwimmen. Das hat gutgetan.“
„Freut mich zu hör'n, dass du 'nen schönen Tag hattest. Ich hoffe, dass wir uns heute auch gut beschäftigen können. Du erinnerst dich bestimmt noch daran, dass ich dir angeboten habe, dass wir zusammen Muffins backen.“
„Ja, ich erinnere mich.“
„Tut mir echt leid, dass zu sagen, aber das muss heute ausfall'n. Ich war heute in fünf Geschäften, aber es war unmöglich, alles zu bekommen, was wir brauch'n. Tut mir echt leid, Süße.“
Ich winke ab. „Ach, das macht mir nichts aus. Killian hat dasselbe Problem. Es liegt wohl daran, dass die Menschen Angst haben, sie müssten verhungern.“
Ian schüttelt den Kopf. „Zu verhungern ist wahrscheinlich das letzte Problem, das wir bekommen.“
„Was meinst du?“
„Ich weiß ja nich', wie viel du aus unserer Welt mitbekommst, aber alles wird immer schlimmer.“
„Was meinst du damit?“, frage ich nach.
„Gestern ist in New York 'ne Demo außer Kontrolle geraten. Leute hab'n Autos angezündet, Fenster von Geschäften eingeschlagen, Dutzende Menschen sind verletzt worden. Die Unruhen konnten zwar eingedämmt werden, aber es ist trotzdem beunruhigend, solche Bilder zu sehen. Die Menschen sind verzweifelt. Irgendwo in Texas hat ein Kerl sich in einem Laden verschanzt und gedroht alle zu erschieß'n. Der Kerl ist zum Glück festgenommen worden, aber Verzweiflung treibt die Menschen zu furchtbaren Dingen.“
Ich wende meinen Blick von Ian auf die Straße vor uns. „Das tut mir leid. Die Magie macht euch Menschen das Leben schwer.“
„Ja, aber nein. Es ist nicht nur das. Die Politiker sind inkompetent und schaffen es nich', die Massen zu beruhig'n. Widersprüchliche Aussagen und Versprechen, dass es besser wird, helfen nich', wenn man hungrig im Laden steht und nichts zu essen bekommt.“ Er wiegt den Kopf hin und her. „Aber vielleicht wird es in den nächsten Tag'n besser, immerhin verlassen viele Leute die Stadt.“
„Sie verlassen die Stadt? Wieso das denn?“
Ian räuspert sich. „Nun ja, die Erdbeben machen den Leuten Angst. Viele Menschen packen aktuell ihre Sachen und verlassen San Francisco, weil sie Angst haben, dass das Big One auf uns zukommt.“ Geschockt sehe ich Ian an. „Äh, das Big One ist ein großes Erdbeben. Das letzte hat 1906 die gesamte Stadt zerstört.“
„Ja, ich, ähm, Killian hat das erwähnt.“ Ich spüre, dass mich ein beengendes Gefühl überkommt. „Denkst du, dass wir sterben werden?“
„Irgendwann bestimmt, jeder muss sterben, aber die Stadt wurde immer wieder erdbebensicher gemacht. Wir wissen ja, dass wir in einem gefährdeten Gebiet leben. Es wird sozusagen seit 100 Jahren daran gearbeitet, dass die Stadt nie wieder so zerstört wird, wie es damals passiert ist. Darauf muss man irgendwie bis zu einem gewissen Grad vertrau'n.“
„Dann machst du dir gar keine Sorgen?“
„Um ehrlich zu sein schon, aber wenn doch ein großes Erdbeben kommt, können wir es auch nicht verhindern.“
„Und was, wenn es kommt?“
„Dann werden wir alles, was kaputt gegangen is' wieder neu aufbau'n. So wie wir es schon mal gemacht haben.“ Ian tätschelt meinen Arm. „Darüber solltest du dir aber keine Gedanken mach'n. Wenn wir nur darüber nachdenken, was alles passier'n kann, dann werden wir alle vollkommen verrückt. Dann sollte man gar nicht mehr das Haus verlassen und selbst zu Hause zu bleiben wär' voll gefährlich, immerhin passier'n die meisten Unfälle zu Hause.“
„Es ist trotzdem sehr beunruhigend.“ Ich sehe aus dem Fenster. „Bei all den verrückten Dingen, die in euer Welt passieren, bin ich mir gar nicht sicher, ob es noch jemanden gibt, der nicht vollkommen verrückt ist.“
Ian seufzt. „Es braucht Zeit, aber alles wird sich wieder einpendeln. Wir bräuchten nur 'n paar Pläne, die auch wirklich funktionier'n und Politiker, die nicht irgend 'nen Scheiß twittern, sondern sich um die Probleme in ihrem Land kümmern.“

Ian hält an. Ich erinnere mich daran, dass er hier in der Gegend wohnt. Er löst seinen Gurt und dreht sich in meine Richtung. Ian greift nach meiner Hand und sieht mich an. Ich blicke auf seine Hand, dann aber in seine grünen Augen. Mein Freund strahlt Selbstsicherheit aus, doch der Funken von Traurigkeit ist auch heute wieder deutlich zu sehen.

„Lass dir von den vielen, negativen Berichten nicht die Freude an deinem Leben verderben, okay? In deiner Welt läuft das wahrscheinlich ganz anders, aber bei uns wird man ja ständig mit den News aus aller Welt zugedröhnt, bis einem die Ohren wegfliegen.“ Ian drückt meine Hand, dann lächelt er leicht. „Nimm dir Zeit, dich daran zu gewöhnen und schalt' einfach den Fernseher aus, wenn's zu viel wird. Man muss echt nich' alles wissen. Die negativen Nachrichten von heute werden morgen wieder durch andere negative Nachrichten abgelöst. Das kann viel sein, wenn man es nicht gewohnt is'. Es is' wirklich wichtig, dass du da Abstand nimmst.“
„Ja, da hast du wahrscheinlich Recht. Ich versuche auch, davon Abstand zu nehmen. Diese Negativität ist so anstrengend.“ Ich seufze. „Manchmal fühle ich mich wie ein kleiner Meerschwamm, der kein salziges Wasser, sondern schlechte Schwingungen aufsaugt. Das ist hart.“
„Ja, das kann ich mir gut vorstellen.“ Ian streichelt aufmunternd über meinen Oberarm. „Heute mach'n wir uns aber 'nen netten Tag und vergessen den Stress der Welt. Das wird dir guttun.“
„Danke, Ian. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, einen Freund wie dich zu haben.“
„Nichts zu danken. Los, steig aus, wir haben heute ein bisschen was vor.“
„Oh, dann hast du schon eine Idee, was wir machen, anstatt zu backen?“, erkundige ich mich.
„Nicht direkt, aber uns wird schon was einfallen.“

Wir steigen aus dem Auto und begeben uns in Ians Wohnung. Schon als ich aus meinen Schuhen steige, bin ich wieder fasziniert von den vielen Fotos an Ians Wänden. In seiner Wohnung duftet es ausgesprochen gut. Im Eingangsbereich stehen zwei große Koffer. Sie lehnen zwar an der Wand, doch durch den schmalen Gang wirken sie dennoch wie ein Hindernis.

„Verreist du?“, frage ich interessiert nach.
„Ja, ich fahre nach L.A., um meinen Freund zu besuchen. Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen und da die Welt aktuell chaotisch ist, habe ich endlich wieder Zeit dafür.“
„Und wieso seht ihr euch nicht so oft?“
„Weil er in Los Angeles wohnt und ich hier in San Francisco mein Leben habe. Das sind ein paar Stunden Fahrt. Gerade das Fliegen klappt ja aktuell nicht, also ist man einen Tag unterwegs, wenn man einander sehen will“, erklärt Ian. „Wir haben schon oft darüber gesprochen, ob einer von uns umzieht, aber ich kann meine Bands nicht im Stich lassen und Michael ist Cop und er hat am LAPD richtig gute Chancen, aufzusteigen, also kann auch er nicht seine Zelte abbrechen. Manchmal ist es komplizierter, als es sein sollte.“
Ich sehe von den Bildern an der Wand zu Ian hinüber. „Cop? Was bedeutet das?“
„Polizist. Er sorgt für Ordnung und sperrt die bösen Jungs und Mädels weg.“
„Oh, dann ist er einer der Stadtwächter?“, frage ich nach.
Ian wiegt den Kopf hin und her. „Jup, kann man so sag'n.“ Mein Freund lächelt mich an und ich erwidere dieses Lächeln. „Sieh dir die Bilder ruhig genauer an. Ich mach uns 'ne Tasse Tee. Also dir Tee und mir Kaffee, außer du willst auch Kaffee?“
„Tee klingt gut, vielen Dank.“
„Perfekt. Ich hab' Kamillentee gekauft. Den magst du ja so gerne.“
„Das ist wirklich sehr aufmerksam von dir.“
„Kein Ding, mach' ich gern'.“

Ian macht sich daran den Tee vorzubereiten, während ich mir die Bilder an den Wänden ansehe. Ich erkenne nicht nur Killians schlankes Selbst, sondern entdecke auch ein Foto von Ian, Jean und Luna. Sie sind bunt gekleidet und haben bunte Farben auf ihren Wangen. Die Streifen erinnern mich an die Regenbogenflaggen, die wir bei unserem letzten gemeinsamen Tag gesehen haben. Viele der Fotos sind wohl auf Partys oder Festen aufgenommen worden. Es steht außer Frage, dass Ian viel Zeit mit Jean und Luna verbringt. Und sie scheinen immer großen Spaß zu haben. Zwischen all den Fotos auf Partys, entdecke ich auch Bilder aus der Wildnis oder einem Park. Ich bin mehr als überrascht, als ich auch ein Foto von uns beiden sehe, doch dann lächle ich breit. Es fühlt sich an, als wäre ich jetzt ganz offiziell in den Kreis seiner Freunde aufgenommen worden. Gerührt berühre ich das Glas und streiche darüber. Ich habe einen Platz in Ians Herz gefunden.

Ich erschrecke mich, als ich etwas Flauschiges durch meine Strumpfhose spüre. Als ich an mir hinunterblicke, schmiegt sich eine von Ians Katzen gegen mein Bein. Es ist die dunkelgraue Katze, die uns auch beim letzten Mal begrüßt hat. Ihr Name ist Milli, wenn ich mich recht erinnere.

„Hallo, kleine Katze. Kannst du dich noch an mich erinnern? Ich bin Ilaria“, frage ich die Katze und gehe in die Knie, um sie zu streicheln. Sanft fahre ich mit meinen Fingern durch das kuschelige Fell. „So weich.“ Die Katze schnurrt genüsslich, als sie ihr Köpfchen gegen meine Hand schmiegt. Vorsichtig hebe ich die Katze hoch und streichle sie, während ich durch die Wohnung gehe. All die schöne Dekoration an den Wänden und den Regalen lassen Ians Wohnung lebendig und farbenfroh wirken. Man fühlt sich sofort wohl. Die Katze auf meinem Arm beginnt zu schnurren, als ich mich an ihr weiches Fell kuschle.

„Oh, da hat jemand eine neue Freundin gefunden.“
Ich drehe mich zu Ian, als ich angesprochen werde. „Es ist doch in Ordnung, wenn ich sie trage, oder?“
„Klar, solange sie Lust darauf hat. Wenn Milli unruhig wird oder anfängt zu strampeln, lass sie einfach aus deinen Armen springen, die landet eh auf ihren Füßen. Wenn du versuchst, sie abzusetzen, wird sie meistens ungeduldig, kann sein, dass sie dich dann kratzt.“
„Oh, danke für den Hinweis.“

Mit der Katze auf dem Arm sehe ich mich weiterhin um. Ich entdecke ein weiteres Foto auf einer Kommode. Ian ist darauf mit einem Jungen zu sehen. Der Junge wirkt anders, als die Menschen, die mir bis jetzt über den Weg gelaufen sind. Sein Gesicht wirkt ein wenig seltsam, doch sein breites, freudiges Lachen wirkt ansteckend. Ich kann nicht anders, als selbst zu lächeln.

„Wer ist das?“, frage ich und deute auf das Foto. Ian kommt gerade mit zwei Tassen in der Hand aus der Küche. Er stellt sie auf den Couchtisch und sieht mir dann über die Schulter.
„Das ist Daniel, mein kleiner Bruder.“
„Er hat ein wunderbares Lachen. Ich glaube, dass ich noch nie so viel Freude in einem Gesicht gesehen habe“, meine ich, während ich wieder das Foto betrachte.
Ian schnaubt. „Ja, das ist wahr. Weißt du, er hat es nicht so leicht. Er hat eine Krankheit, die Downsyndrom heißt. Das tägliche Leben ist nicht ganz einfach für ihn, aber er macht das Beste daraus.“
„Und dafür gibt es keine Heilung?“, frage ich nach, worauf Ian den Kopf schüttelt.
„Nein, Leute, die diese Krankheit haben, sind anders, als andere Menschen, aber mit viel Unterstützung und den passenden Therapien finden die meisten sich doch irgendwie zurecht. Er wohnt jetzt in einer Wohngemeinschaft mit anderen Menschen, die auch Downsyndrom haben.“ Ian deutet auf das Bild. „Das Foto hab'n wir bei meinem letzt'n Besuch gemacht. Das war 'n toller Tag. Ich hab' mit den Jungs der WG Musik gemacht und auch wenn es nich' unbedingt nach Musik klang, hatten wir alle unseren Spaß.“
„Du machst wohl ziemlich viele Dinge, hm? Auf den Fotos an den Wänden bist du an vielen verschiedenen Orten zu sehen.“
Er zuckt mit den Schultern. „Mal so, mal so. Es gibt auch Tage, an denen ich nur auf der Couch liege, Chips futtere und mit meinen Katzen kuschle, davon gibt es aber seltener Fotos. Aber es stimmt schon, ich bin echt gern' unterwegs. Je mehr Menschen, desto spaßiger is' es für mich.“
„Klingt, als wärst du das Gegenteil von Killian“, stelle ich fest.
Ian lacht, doch dann nickt er. „Kann gut hinkommen, ja. Er ist ein grummeliger, alter Mann und ich ein ewiger Teenager. Komm, setz dich.“

Nach einem letzten Blick auf ein großes, gerahmtes Foto eines Sonnenuntergangs an der Wand, mache ich es mir auf der Couch bequem. Die Katze klettert von mir und lässt sich auf den Rücken fallen. Sanft streichle ich über ihren Bauch, doch dann lege ich meine Hände in meinen Schoß. Ian setzt sich schräg gegenüber auf einen Sessel, dann nimmt er eine der Tassen in seine Hände. Ich kann den Duft von Kaffee wahrnehmen.

Milli lenkt schnell wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie schnurrt, als ihren Kopf an einem der Kissen und auch meinem Oberschenkel reibt. Vorsichtig streichle ich über ihren Bauch, den sie mir bereitwillig präsentiert. Während ich sie streichle, kann ich beobachten, wie ihr Schwanz sich langsam hin und her bewegt. Sie scheint die Aufmerksamkeit zu genießen. Als ich mich wieder umsehe, entdecke ich auf dem Kissen neben mir einen kleinen, durchsichtigen Ball. Ich nehme ihn zur Hand und schüttle ihn. Die Glocke im Inneren klingelt leise.

„Wirf' ihn.“
„Hm?“, frage ich und sehe zu Ian auf.
„Den Ball. Wirf ihn durch die Wohnung.“
„Warum?“, frage ich und sehe den Ball an. Im Augenwinkel sehe ich, dass Milli auf das Klingeln aufmerksam wird.
„Stell nich' so viele Fragen und tu es einfach“, antwortet Ian amüsiert. Er grinst mich an. „Na los, mach schon.“
„In Ordnung.“ Ich schüttle den Ball noch einmal und werfe ihn dann durch das Wohnzimmer. Die Katze neben mir springt auf und macht sich sofort auf die Suche. Als sie das kleine Spielzeug findet, tippt sie mit ihrer weichen Pfote dagegen. Sie scheint vollkommen fasziniert zu sein. Das Klingeln ist immer wieder zu hören, als die graue Katze sich enthusiastisch auf den Ball stürzt.
„Oh, ich verstehe. So beschäftigst du deine Katzen“, stelle ich fest.
„Genau.“ Ian trinkt einen Schluck von seinem Kaffee und stellt ihn dann wieder ab. Sein Blick ruht auf mir. „Sag mal, darf ich dich etwas fragen? Über deine Welt, meine ich.“
„Natürlich.“
„Eigentlich geht es bei meiner Frage um dich und deinen Körper, aber ich will dich nicht beleidigen und irgendwie fühl ich mich auch voll scheiße, wenn ich daran denke.“ Ian verzieht das Gesicht. „Es könnte dir unangenehm sein und ich will nicht, dass du dich in meiner Gegenwart unwohl fühlst.“
Ich schweige einen Moment, doch dann antworte ich ihm: „Stell mir deine Frage. Ich kann mir schwer vorstellen, dass du mir mit deiner Frage wehtun möchtest.“
„Will ich auch nich'. Käme mir nie in den Sinn.“ Ian druckst ein wenig herum, doch dann spricht er: „Ich hab' zwar schon die Fotos geseh'n, aber ich würd' dich gern' so als Meerjungfrau seh'n und vielleicht deine Flosse anfassen.“ Die letzten Worte klingen mehr nach einer Frage, als nach einer Bitte. „Wär' aber voll okay, wenn du dein Meerjungfrau-Selbst für Killian aufhebst. Das muss ja doch sehr privat sein, immerhin zeigst du sozusagen dein wahres Ich.“
„Hast du eine Badewanne?“, antworte ich mit einer Gegenfrage.
„Ja.“ Er beugt sich in meine Richtung. „Aber echt, wenn du das nicht willst, dann wär’s voll okay, wenn du nein sagst.“
„Um ehrlich zu sein wäre es eine Erleichterung“, antworte ich ihm. „Gestern am Strand hat es auch niemanden gestört. Du hattest schon recht mit dem, was du gesagt hast. Niemand würde auf die Idee kommen, dass ich eine echte Meerjungfrau bin. Eure Menschenfrauen haben mir da einen großen Gefallen getan mit ihren falschen Flossen.“
Ein Schmunzeln breitet sich auf Ians unsicherem Gesicht aus. „Gut, dann lasse ich dir ein Bad ein, hm?“
„Oh ja, gegen ein Bad, habe ich nie etwas einzuwenden.“

༄ ♫ ༄

Ians Badewanne ist ein klein wenig größer als die von Killian. Zwar ragt auch hier meine Flosse aus dem Wasser, dennoch ist die zusätzliche Freiheit an den Seiten doch sehr angenehm. Ian faltet ein Handtuch zusammen, sodass ich meinen Kopf darauf betten kann. Er ist sehr bedacht darauf, dass ich es bequem habe. Auch mein Tee findet an dem breiten Rand der Wanne genug Platz. Ich fühle mich schnell wohl.

„Brauchst du noch irgendetwas?“, fragt er mich, als er zu mir nach unten sieht. Sein Blick wandert jedoch schnell zu meiner Flosse. Auch in Ians Augen kann ich deutliche Faszination erkennen. Die Menschen sind beeindruckt davon, eine echte Meerjungfrau in ihrer Welt zu sehen.
„Nein, vielen Dank, Ian.“
„Darf ich deine Flosse anfassen? Das ist so cool, is' echt schwer, sich zurückzuhalt'n“, meint er mit einem frechen Grinsen.
„Nur zu“, antworte ich sanft und wackle im Anschluss mit meiner Flosse. Ähnlich wie Killian, setzt auch er sich neben mich. Erst sind seine Berührungen zaghaft, doch dann streicht er über meine Flosse.
„Is' gar nich' so glitschig wie bei einem Fisch. Die hab'n ja immer so 'ne glitschige Schicht auf den Schuppen. Fühlt sich echt abgefahr'n an.“
Kichernd lasse ich meinen Oberkörper tiefer ins Wasser sinken. „Ich bin ja auch kein Fisch, Ian. Und auch kein Fischmensch, auch wenn mich die Feen immer so nennen.“
„Die Feen, was?“, meint er, ehe er für einen kurzen Moment aufsieht, doch dann streicht er wieder über meine Flosse. „Sorry, wenn ich dich zu sehr antatsche, aber das is' echt faszinierend und so schnell bekomm' ich die Chance wahrscheinlich nich' mehr, dich als Meerjungfrau zu sehen.“ Er macht eine ausladende Handgeste. „Also, du kannst keine Feen in den Raum werfen, ohne darüber zu sprech'n. Am Strand hatte ich noch nich' so den Kopf dafür nachzufragen, aber heute hätte ich gerne Antworten. Wo findet man die? Wie sind die so drauf? Ich bin so gespannt, auf all diese Fantasy-Dinge in unserer Welt. Das Leben ist crazy, seit diese grüne Magie den Nachthimmel leuchten lässt.“ Ian macht es sich bequem und sieht gespannt zu mir.
„Die Feen wohnen in euren Wäldern. Es scheint, als ob sie schon immer dagewesen wären. Zumindest hat die erste Fee, die ich in eurer Welt entdeckt habe, so etwas angedeutet.“
„Und?“, hakt er weiter nach. „Erzähl.“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, antworte ich ihm ein wenig überfordert. Es wäre einfacher, wenn ich irgendetwas über diese Begegnungen mit Sicherheit wissen würde, doch jede Information, die ich bekomme, wird kurz darauf widerlegt. „Ich konnte sie sehen und Killian auch. Aber eine der Feen war davon sehr aufgebracht. Vielleicht hängt das mit der Magie zusammen, die eure Welt nun umhüllt.“ Ich lasse einen Seufzer los. „Sicher bin ich mir da allerdings nicht. Wir haben die erste Fee getroffen, bevor das grüne Schimmern am Himmel aufgetaucht ist.“
„Verstehe. Wieder etwas, worauf wir keine Antwort haben. Und die Feen? Wie sind die so? Da kannst du mir bestimmt mehr erzählen.“
„Die Feen sind sehr scheu. Sie zeigen sich wohl nicht besonders gerne. Vielleicht entdeckst du welche, wenn du die Augen offenhältst. Versprechen kann ich nichts.“
„Und wenn ich eine sehe? Muss ich etwas beachten?“, hakt Ian interessiert nach.
„Am besten hältst du Abstand von ihnen. Ich glaube, dass sie Menschen nicht besonders gern mögen.“
„Schade. Wie sehen die aus? Eher wie so kleine Irrlichter? Oder vielleicht eher wie Tinkerbell? Eine eigene Tinkerbell zu haben, wäre bestimmt interessant. Es wär' ziemlich cool, wenn der Feenstaub uns fliegen lassen könnte.“
„Tinkerbell?“, frage ich nach.
„Oh.“ Ian zeigt mir mit seinen Händen einen kleinen Abstand. „Ungefähr so groß, ziemlich menschlich, aber doch eher zierlich und sie glitzern. Warte, ich zeige dir ein Foto.“ Ian greift sich sein Smartphone und tippt auf seinen Bildschirm. „Durch Tinkerbells Feenstaub kann Peter Pan fliegen. Das ist eine ziemlich coole Geschichte. Vielleicht solltet ihr euch einen Peter Pan Film ansehen. Davon gibt’s ja mittlerweile einige. Ich bin ziemlich sicher, dass die dir gefallen könnten.“
Ich nicke, während ich auf das Bild warte. „Hier, das ist Tinkerbell.“
Überrascht sehe ich das Foto an. „Ja, so ähnlich sehen sie tatsächlich aus. Ihre Augen sind allerdings weniger menschlich. Iris und Pupillen sind viel größer.“
„Und die Flügel?“, fragt er neugierig nach.
„Die sind unterschiedlich. Die Feenflügel in eurer Welt ähneln von der Form her Schmetterlingen oder Libellen. Die Flügel sind durchsichtig, wie bei Tinkerbell. Auch ihre Haut ähnelt denen der Menschen. In meiner Welt gibt es in einigen Wäldern auch grüne Feen, sie werden Dunkelblatt-Feen genannt. Deren Flügel sind meistens bunt und sie haben verschiedene Muster wie bei Schmetterlingen. Vielleicht gibt es bei euch auch Dunkelblatt-Feen, doch ich bin mir nicht sicher, gesehen habe ich noch keine.“
„Oh, nice. Das kann ich mir richtig gut vorstellen. Ist aber bestimmt nich' so einfach, grüne Feen zwischen den Bäumen zu entdeck'n.“ Ian lehnt sich gegen die Wanne. Er wirkt nachdenklich, als er das Bild auf seinem Display betrachtet. „Vielleicht hab' ich ja irgendwann die Möglichkeit, eine Fee zu entdecken. Ich werd' auf jeden Fall die Augen offen halt'n.“
„Falls du irgendwann mit einer Fee sprechen solltest, solltest du dich darauf gefasst machen, dass sie dir nicht die Wahrheit sagen wird. Sie sind bekannt dafür, sehr frech zu sein. Und sie spielen anderen Wesen gerne Streiche. Es ist also besser, wenn man vorsichtig ist, vor allem, wenn man mit mehreren Feen zu tun hat. Eine könnte dich ablenken, während andere sich einen Scherz mit dir erlauben.“
Ian nickt. „Danke für die Warnung. Bei fremden Tieren muss man schon vorsichtig sein, aber bei magischen Wesen ist das wahrscheinlich noch wichtiger.“ Er fährt sich durch sein rotes Haar. „Immer, wenn wir zusammen sind, fühlt sich die Welt spannend und magisch an. Das is' so 'n cooles Gefühl. Ich liebe es, Zeit mit dir zu verbringen. Da fühlt man sich irgendwie besonders.“
Ich kichere. „Eure Welt fühlt sich auch spannend an. In den ersten Tagen hätte ich am liebsten alles angefasst. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, mich doch ein wenig zurückzuhalten.“
„Ist wahrscheinlich besser so. Hey, ich wollte dir noch etwas erzählen. Ich hab' in den letzten Wochen immer wieder recherchiert, was diese übernatürlichen Phänomene angeht und ich hab' letzte Nacht was ziemlich Cooles im Internet gefunden. Das ist eine Webseite, auf der sich ein Typ aus Mexiko mit den Fantasy-Phänomenen unserer Welt beschäftigt. Er hat 'n paar Artikel gesammelt. Sichtungen von Seemonstern, dem Bigfoot, Artikel über die Analysen dieses grünen Magie-Zeugs am Himmel und vieles mehr.“
„Hast du Killian davon erzählt?“, frage ich nach. „Ihm würde das bestimmt auch gefallen.“
„Klar, hab’s ihm vorhin geschickt. Letzte Nacht war ich so vertieft, dass ich glatt vergess'n hatte, dass das für euch auch interessant sein könnte. Jedenfalls schreibt der Typ auch ziemlich viel Unsinn über Area 51, Aliens, den Weltuntergang und auch darüber, dass die Welt heimlich von Echsenmenschen regiert wird.“
„Echsenmenschen?“
Ian lacht. „Die sollen wohl Reptilien-Augen haben. Mit einem Schlitz als Pupille und vielleicht auch Schuppen? Ich weiß es nicht genau.“
Ich schmunzle. „Wenn ich dem ein Foto von meinen Beinen zeigen würde, dann würde er wahrscheinlich verrückt werden.“
Amüsiert nickt Ian mir zu. „Das würde sein Hirn zum Schmelzen bringen.“ Mein Freund wiegt seinen Kopf hin und her. „Moment. Worauf wollte ich eigentlich hinaus?“
„Ich weiß es nicht“, antworte ich belustigt über seine Frage.
„Oh, genau. Tschuldige. Was ich sagen wollte ist, dass zwischen all dem Unsinn doch ein paar nützliche Infos sein könnten. Mit dem Wissen über deine Welt kannst du da vielleicht etwas herausfiltern, das dir helfen kann.“
„Wenn die Echsenmenschen kein Portal in meine Welt öffnen können, wird mir das wahrscheinlich nicht helfen.“ Ich sehe an die Decke über mir. „Es ist auch für mich schwer, Informationen zuzuordnen. Jedes Mal, wenn ich das Gefühl habe, dass ich der Lösung einen Schritt näherkomme, dann zerfließt sie in meinen Fingern wie der weiße Sand meiner Heimat.“
„Muss frustrierend sein“, gibt Ian einfühlsam von sich.
„Das ist es. Immer wieder, wenn ich darüber nachdenke, höre ich Elias’ Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, dass ich mein neues Leben genießen soll. Ich soll mich mit dem zufrieden geben, was ich habe.“
„Einfacher gesagt, als getan, hm?“
„Ja“, stimme ich Ian zu. „Ich glaube auch, dass Elias das Leben nicht genießen kann. Es kann ein Zufall gewesen sein, aber ich denke, dass er sehr viel trinkt. Vielleicht versucht auch er, den Schmerz zu vergessen. Vielleicht will er deswegen nicht mit mir sprechen. Auf meine Nachricht hat er nicht mehr geantwortet.“
„Könnte sein, dass du ihn an seine Heimat erinnerst und er das Thema deswegen vermeiden möchte.“
„Das denke ich auch.“ Ich streiche durch mein Haar. „Aber ich verstehe das. Manchmal schmerzt jeder Gedanke an meine Heimat so sehr, dass ich alles vergessen möchte und an anderen Tagen fällt es mir leichter, darüber zu reden. Der Schmerz ist allerdings immer da. Jeden Tag. Ich muss abschließen, aber ich werde wohl noch Zeit brauchen.“
„Ich bin für dich da, wenn du jemanden brauchst, dem du dein Herz ausschütten kannst“, versichert Ian mir. Er fasst in das Wasser und drückt meine Hand. „Dafür sind Freunde da.“
„Danke, Ian. Das weiß ich sehr zu schätzen.“
„Oh, dabei fällt mir was ein. Ich hab' was für dich.“ Er lächelt mich breit an, drückt meine Hand noch einmal und steht dann auf. Seine nasse Hand wischt er an einem Handtuch ab, das an einem Haken an der Wand hängt.
„Was ist es denn?“, frage ich neugierig.
„Ich dachte, dass es gut wäre, wenn du in der Badewanne nicht alleine wärst. Du brauchst einen Freund.“ Er öffnet einen Schrank, um etwas darin zu suchen.
„Einen Freund?“
„Jup. Bereit?“
„Ja, schätze schon“, antworte ich etwas verwirrt.

Ian setzt sich zu mir auf den Boden. Ich achte genau auf seine Hände, als er sich ein wenig über die Wanne beugt. „Ta-da. Diese kleine Ente wird dir von nun an immer Gesellschaft leisten.“
Etwas verdutzt blicke ich auf das schwimmende, gelbe Ding, das Ian zu mir ins Wasser gesetzt hat, doch dann kichere ich. „Was ist das denn?“ Neugierig nehme ich es zur Hand und betrachte es von allen Seiten. Es fühlt sich nach weichem Plastik an.
„Das ist ein Quietscheentchen. Ein Spielzeug für die Badewanne. Drück sie.“
Ich tue, was Ian von mir verlangt und drücke die Ente ganz vorsichtig. Als sie quietscht, muss ich lächeln. „Die gefällt mir, danke Ian.“
„Ich musste an dich denken, als ich sie im Laden gesehen habe.“
Während ich Ian für einen Moment betrachte, setze ich ein verschwörerisches Grinsen auf. „Dieses Mal bin ich darauf vorbereitet. Wie der Zufall es so will, habe ich auch ein Geschenk für dich.“

༄ ♫ ༄

Ian und ich liegen zusammen in seinem Bett. Ich bin in einen weichen Bademantel gekuschelt, damit mir nach meinem Bad nicht kalt wird. Ian betrachtet das neue Armband an seinem Handgelenk. Mein Geschenk scheint ihm zu gefallen.

„Und das hast du echt selbst gemacht?“
„Ja“, antworte ich stolz. „Dann gefällt es dir?“
„Und wie“, meint Ian mit einem breiten Lächeln. „Es ist perfekt. Danke, Süße.“
„Gern geschehen. Du hast so viel für mich getan. Es ist das Mindeste, mich mit einem kleinen Geschenk zu bedanken.“
„Ach was, das is' ja kein Wettbewerb.“ Ian dreht sich in meine Richtung, um mich ansehen zu können. „Dabei fällt mir ein, dass ich noch was für euren Campingausflug hab'. Als ich meine Koffer gesucht hab', is' mir ein Karton wortwörtlich in die Arme gefallen. Da is' ein Campingkocher drin, den ich vorher nie benutzt hab'. Ich glaub', dass der in einem größeren Set dabei war, kann mich aber nicht mehr wirklich erinnern ob das jetzt der oder ein anderer war. Is' aber auch egal, darum geht’s ja nich'. Ihr könnt den mitnehmen, dann könnt ihr ganz problemlos eine Dose warm machen oder Wasser für einen Tee kochen.“
„Oh, das ist nett“, antworte ich ihm. „Danke.“
„Killian kennt sich damit bestimmt aus. Ich weiß nich', ob eine Gaskartusche dabei is', das müsste man sich noch mal anseh'n, aber das wird dein bärtiger Brummbär schon hinbekommen.“
„Bist du oft in der Wildnis unterwegs?“, frage ich neugierig nach. „Einige deiner Fotos sind draußen gemacht worden.“
Ian nickt eifrig. „Oh ja, ich liebe Camping. Wenn man weit genug rausfährt und die Lichtverschmutzung hinter sich lässt, kann man die ganze Nacht den Sternenhimmel betracht'n. An einem See kann man Fische fangen und sie über dem Feuer grillen. Dann die endlosen Unterhaltungen, während man zusammen am Feuer sitzt.“ In Ians Augen keimt immer mehr Freude auf. „Wenn einem das Leben in der Zivilisation zu viel wird, kann die Natur dazu beitrag'n, dass man wieder zu seinen Wurzeln findet.“
Ich nicke. „Darauf freue ich mich schon.“ Ich lege meine Hand an Ians Arm. „Wenn du wieder nach Hause kommst, dann müssen wir unbedingt zusammen campen gehen. Das wird bestimmt lustig. Du könntest deinen Freund mitnehmen, dann kann ich ihn kennenlernen.“
„Klingt nach einer guten Idee“, stimmt Ian mir zu. „Er ist in der Arbeit aber ziemlich eingespannt, könnte sein, dass wir bei unserem ersten Ausflug ins Grüne auf ihn verzicht'n müss'n.“
„Schade.“
„Ja, das kann man leider nich' ändern, aber ich bin sicher, dass wir auch zu dritt viel Spaß haben können. Vielleicht könnten wir ja Jean und Luna mitnehmen.“
Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus. „Oh ja, das würde mir gefallen. Ich mag die beiden wirklich sehr gerne.“
„Vielleicht können wir ja auch ein paar Feen entdecken!“, gibt Ian aufgeregt von sich. Er blickt wieder auf das regenbogenfarbene Armband, das ich für ihn geknüpft habe. „Am liebsten würde ich sofort mitkommen. Wisst ihr schon, wann eure kleine Reise startet?“
„Ich schätze, dass wir nächste Woche aufbrechen werden“, antworte ich nach einem kurzen Moment.
Ian nickt. „Ich auch. Ab Montag bin ich in Los Angeles. Für den nächsten Campingtrip müss'n wir uns aber unbedingt etwas ausmachen. Oh, hey, kommst du morgen mit zur Bandprobe? In den letzten Wochen kam immer mal wieder was dazwischen, aber morgen haben endlich wieder alle Zeit.“
„Ihr habt morgen wieder Bandprobe? Killian hat mir gar nichts erzählt.“ Ich sehe an die weiße Decke über mich und spiele nachdenklich mit einer meiner Haarsträhnen. „Wenn er mich dabeihaben will, dann gerne.“
„Ach, ich bin sicher, dass er das will. Jetzt ist dein Geheimnis ja längst kein Geheimnis mehr und du musst dich nicht vor uns versteck'n. Ich werd' mit Killian red'n, dann wird er dich bestimmt mitnehm'n. Wird ja auch Zeit, dass du mal siehst, wie das so abläuft. Die meisten Frauen sind sehr begeistert und beeindruckt davon, wenn man sie zu einer Bandprobe einlädt.“
Ich richte meinen Blick wieder zu Ian. „Vielleicht nimmt Killian mich deswegen nicht mit. Ich bin ja schon beeindruckt worden.“
Ian lacht, dann schüttelt er den Kopf. „Wer weiß, könnte stimmen. Ist leider nicht so einfach, in seinen Sturkopf reinzuschau'n.“ Er macht eine ausladende Handgeste. „Vielleicht solltest du ihn einfach mal fragen, ob er dich morgen mitnimmt. Sag' ihm, dass du mich vermissen wirst, wenn ich so lange weg bin. Wenn du ihn mit deinen großen Augen anblinzelst, kann er ganz bestimmt nicht nein sagen.“ Ian grinst, dann greift er nach meiner Hand.
„Ja, das ist wahr. Ich versuche es. Vielleicht fragt er mich ja sogar von sich aus.“
„Wenn du nich' mitkommst, dann sehen wir uns eben wieder, wenn ich zurück bin. Ich schreibe dir und du schickst mir Bilder von deinem ersten Campingausflug in unserer Welt, okay?“
Ich drücke Ians Hand. „Ja, das mache ich. Versprochen.“

༄ ♫ ༄

Vollkommen vertieft in die Webseite sitzt Killian an seinem unordentlichen Tisch. Er nimmt einen Schluck von seinem Kaffee, dann winkt er in meine Richtung.

„Prinzessin. Komm, sieh dir das an. Schnell.“ An einem Keks kauend trete ich auf Killian zu. Er deutet auf den Bildschirm, während ich meine Hände an meinem Shirt abwische, um meine Finger von den Krümeln zu befreien. „Sieh dir das an.“
Ich bemerke schnell, worauf er hinaus möchte. Auf dem Bildschirm ist eine Zeichnung zu sehen, die ich sofort erkenne.
„Das ist doch die Rune!“, bemerke ich schnell, worauf Killian nickt.
„Der Post ist ungefähr zur selben Zeit entstanden, als wir uns begegnet sind“, erklärt er. „Hier steht zwar nirgends, dass auch dieser Typ einem Wesen aus deiner Welt begegnet ist, aber vielleicht postet er nichts darüber, um das Wesen zu schützen.“ Ich nicke. „Er schreibt jedenfalls eine Menge Scheiße, aber die Geschichte mit der Rune ist wahr. Es ist dasselbe, was uns passiert ist. Er hat versucht, sie zu fotografieren und sie hat geleuchtet, ist aber dann wieder verblasst.“
„Und was bedeutet das für uns?“, frage ich unsicher nach. Neue Informationen sind das immerhin nicht.
„Das bedeutet, dass es da draußen noch mehr von euch gibt und dass es vielleicht die Chance gibt, jemanden zu finden, der mehr weiß, als wir. Vielleicht hat es auch den einen oder anderen Magier in unsere Welt verschlagen und es gibt doch eine Möglichkeit, ein Portal zu öffnen.“ Killian sieht mir genau in die Augen. „Wenn das funktioniert, sind unsere Welten verbunden und wir könnten vielleicht zusammen in deine Welt reisen.“
„Das wäre wunderbar“, antworte ich, ehe ich mich auf Killians Schoß setzen möchte. Er rutscht ein wenig nach hinten, um mir Platz zu machen. Sobald ich sitze, schlingt er beschützend seinen Arm um meine Taille. Killian küsst meine Wange und schmiegt seinen Kopf gegen meinen.
„Vielleicht dreht mein Kopf im Moment ein wenig durch, aber deine Welt zu sehen, wäre einer meiner größten Träume“, erklärt er.
„Und, wenn meine Welt tatsächlich zerstört wurde und wir deswegen gar kein Portal öffnen können, vollkommen egal, wie viel Magie wir aufbringen können?“, frage ich leise nach.
„Dann haben wir es wenigstens versucht“, meint Killian, ehe er mich ein weiteres Mal küsst. „Ich denke, dass ich ihm schreiben werde. Was hältst du davon?“ Ich nicke. „Irgendwie habe ich mehr Begeisterung erwartet.“
„Es macht mir Angst.“
„Angst?“, erkundigt er sich fragend.
„Ich will nicht, dass es real wird. Natürlich will ich wissen, was passiert ist, aber ich will es auch nicht wissen. Es macht mir Angst. Im Moment könnten alle, die ich liebe, noch am Leben sein. Ich will nicht mit Sicherheit wissen, dass sie es nicht sind.“ Nervös spiele ich mit einem meiner Zöpfe. „Ich will nicht, dass sie weg sind.“
„Ich verstehe, was du meinst.“ Killian drückt mich sanft an sich. „Wäre es okay für dich, wenn ich ihm trotzdem eine Nachricht schicke?“
„Ja, ich schätze schon.“
„Wenn du willst, dann sage ich dir auch nicht, was ich herausfinde.“
Ich drehe meinen Kopf, da treffen sich unsere Blicke. „Doch, erzähl mir davon.“
„Bist du dir sicher?“, fragt Killian nach, worauf ich unentschlossen mit den Schultern zucke.
„Ich weiß es nicht.“
Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Du hast noch genug Zeit, dich zu entscheiden. Vielleicht schreibt er auch gar nicht zurück.“ Mein Liebster tätschelt meinen Schenkel. „Na komm, steh auf, ich mache uns etwas zu essen. Mit vollem Magen kann man viel besser denken.“
„Ja, das klingt gut.“
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