Dead men talking
von Forbidden to Fly
Kurzbeschreibung
[„Dunkirk“ (2017)] Zwölf Stunden Ausgang, Pints im Pub und Zeit für die Wahrheit, zumindest für einen ganz kleinen Teil davon. Alles andere ginge auch zu weit, findet Collins. [Collins, Farrier; mentions of: Fortis Leader, Mr. Dawson, Peter Dawson, George Mills][#pneumonia]
OneshotFreundschaft, Schmerz/Trost / P16 / Gen
Collins
Farrier
07.12.2020
07.12.2020
1
2.060
2
07.12.2020
2.060
Disclaimer: Ich kenne keinen der vorkommenden Prominenten persönlich, habe keinerlei Rechte an ihnen oder an sonst irgendwas, das mit ihnen zusammenhängt, und selbstverständlich verdiene ich mit dieser Geschichte kein Geld. Was es hier zu lesen gibt, ist Fiktion und basiert demzufolge auch nicht auf irgendwelchen realen Ereignissen.
English Version: I do not own anyone, this is purely fictional. If you got here by googling yourself please I urge you go back now!
A/N: Hier kommt nun die fünfundzwanzigste Kurzgeschichte in meiner kleinen, mehr oder weniger unzusammenhängenden Kurzgeschichten-und-Drabble-Reihe zu Christopher Nolans Film Dunkirk, gleichzeitig ist es der siebte Teil der #pneumonia-Reihe.
Die vierundzwanzigste Kurzgeschichte findet ihr hier: Awaiting fate, den sechsten Teil der #pneumonia-Reihe hier: Conversation at midnight
Das Prequel zur #pneumonia-Reihe ist folgende Geschichte: Highway to war
Ihr wisst ja, Reviews und Sternchen sind das Brot des Fanfictionautors – lasst mich bitte nicht hungern!
Am besten bei einem Pint im Pub…
Sie hatten nur zwölf Stunden Ausgang, wie Farrier es angekündigt hatte, und deswegen war es eigentlich helllichter Tag, als sie in den Dämmer des Gastraumes eintauchten. Sobald die Tür hinter ihnen geschlossen war, sperrte sie auch den gleißenden Frühsommersonnenschein und einen Teil seiner Wärme rigoros aus. Innerlich schauderte er. Es hatte gut getan, dass der Stoff der Uniform die Wärme rasch aufgenommen hatte, es hatte wirklich gut getan.
Sie zogen sich in eine der Nischen zurück, eine ohne Fenster, bestellten jeweils ein Pint und Mittagessen, ein wenig Abwechslung vom Angebot in der mess hall. Hin und wieder war das eine Wohltat, auch wenn sie weiterhin schwiegen. Eigentlich hatten sie sogar kaum ein Wort miteinander gewechselt, seit sie den Stützpunkt hinter sich gelassen hatten, doch er konnte mitnichten behaupten, es hätte ihn gestört. Im Gegenteil! Denn so hatte er zumindest schweigend die Wärme genießen können, die ihn vergessen ließ, wie wenig genesen er sich weiterhin fühlte.
Auf das Bier mussten sie nicht lange warten. Um diese Zeit waren kaum Menschen hier, das würde sich erst am späten Nachmittag und in den frühen Abendstunden ändern, wenn andere ihr Tagwerk ruhen ließen und Zeit hatten, zusammenzukommen. Also dann, wenn sie zum Stützpunkt zurückkehren mussten. Doch vielleicht war das besser so, weil es bedeutete, dass umso weniger fremde Ohren hören konnten, was sie zu besprechen hatten.
Er beobachtete Farrier dabei, wie er sich eine Zigarette anzündete, erinnerte sich unwillkürlich daran, wie Flying Officer Kerry Pilot Officer Reeves lachend auf die Schulter geklopft und ihm erklärt hatte, er solle nicht so ein Gesicht ziehen. Es sei schließlich kein Weltuntergang, dass er keinen Ausgang bekommen habe, sondern stattdessen Bericht über den Verlust seiner Spitfire erstatten sollte. Immerhin wolle er doch nicht schon wieder die Geschichten hören, die er, Collins, und Farrier sich nun erzählen würden und die alle außer ihnen beiden auf dem Stützpunkt in beiden Versionen längst auswendig kannten.
Ein bisschen übertrieben war das schon, befand er, im Grundsatz stimmte es jedoch. Das ließ sich keinesfalls leugnen.
Farrier lehnte sich zurück, blies den Rauch aus und sah ihm für eine Sekunde oder zwei auf seinem Weg gen Decke nach. Noch konnte man das dunkle Holz klar und deutlich ausmachen. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass gut durchgelüftet worden war, denn sonst…
„Ich hatte nicht erwartet, Sie nicht anzutreffen, wenn ich zurückkomme“, bemerkte sein Gegenüber leise.
Collins stutzte. Das war auch nicht das, was er zur Eröffnung erwartet hatte, schoss es ihm durch den Kopf. Vielleicht war es der fehlende Vorwurf in Farriers Stimme, vielleicht dieser Hauch von Amüsement, vielleicht… Instinktiv zuckte er vage die Schultern, erwiderte: „Ich hatte nicht erwartet, mir um diese Jahreszeit noch eine Lungenentzündung im Kanal zu holen.“
„Hm…“ Farrier nickte.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass die Höhe nicht mehr ausreichen würde“, erläuterte er, „damit der geöffnete Schirm Wirkung entfalten könnte, hatte ich für größer gehalten.“ Ebenso wie die, einfach unter dem offenen Schirm zu ertrinken oder sich darin zu verfangen und dasselbe nasse Ende zu finden, aber so etwas sagte man ja nicht laut.
„Durchaus möglich.“
„Ja…“ Er griff nach seinem eigenen Zigarettenetui, um die Finger zu beschäftigen. „Eines der zivilen Boote hat mich aufgelesen.“ Das war die beste Formulierung für das, was geschehen war. „Glücklicherweise, denn…“ Zögernd brach er ab. Das… Nein, das ging wirklich zu weit! Darüber sollte er nicht sprechen, doch andererseits… andererseits… War er Farrier diese Wahrheit nicht schuldig? Der Mann würde auch weiterhin Spitfires fliegen, über dem Land genauso wie über der See und es konnte ihn schon beim nächsten Einsatz dasselbe Schicksal ereilen, das ihn über dem Kanal erfasst hatte. Unschlüssig und rasch sah er sich um. Sie waren noch immer allein in der Nische, die sie aufgesucht hatten. Andere Gäste hielten sich an der Bar auf, waren in ein Gespräch mit dem Besitzer des Pubs vertieft und in einer anderen Ecke las ein alter Mann die Zeitung und paffte Pfeife. Eigentlich konnte er es wagen, beschloss er stumm und fuhr fort: „Beim Wassern hat sich die Kanzel verzogen, Sir. Von innen ließ sie sich nicht mehr öffnen.“
„Pardon?!“
Farrier beugte sich vor, stützte sich mit den Unterarmen auf der Tischplatte auf und sah ihm in die Augen.
Collins seufzte lautlos, legte sein Zigarettenetui auf den Tisch, anstatt eine der Zigaretten herauszunehmen. „Der Sohn des Skippers hat die Kanzel mit einem Bootshaken aufgeschlagen“, setzte er erklärend nach. Was anderenfalls passiert wäre, bedurfte wohl keiner weiteren Erläuterung. Anderenfalls würde er hier nun wohl kaum sitzen, mit einem Pint auf der einen und dem Zigarettenetui zu seiner anderen Seite. Dann würde er allenfalls noch mit den Fischen anstoßen. Wenn überhaupt.
„Gut zu wissen.“
„Wie man’s nimmt…“, murmelte er kaum hörbar. Er hätte auf diese Erfahrung gut und gerne verzichten können und der Fakt allein, dass er nun zumindest mit Gewissheit wusste, dass er in der Lage war, eine Spitfire zu wassern, machte es kein Stück besser oder gar erstrebenswerter. Beim nächsten Mal konnte es schließlich ganz anders ausgehen. Dann bekamen die Fische vielleicht eine zweite Chance… „Jedenfalls stammte dieses zivile Boot aus Weymouth, Dorset und dort bin ich wieder an Land gegangen, genau wie die anderen Soldaten an Bord.“
„Ja, ich hab schon gehört, dass diese Operation Dynamo äußerst erfolgreich verlaufen ist“, warf Farrier ein. „Erfolgreicher als angedacht zumindest.“
„Nicht, dass das schlecht wäre, Sir.“
„In Anbetracht der Umstände wahrscheinlich nicht“, räumte Farrier ein und verstummte, weil man ihnen das Essen brachte. Ihre Ansichten zum Krieg behielten sie lieber so gut wie irgend möglich für sich. Es würde nicht unproblematisch werden, gerieten sie in falsche Ohren und könnten ihnen im Nachhinein zugeordnet werden. Sie waren letztendlich nichts anderes als Soldaten und als solche sollten sie Befehlen Folge leisten. Dass sie sie hinterfragten, war unerwünscht, und Farrier fuhr erst fort, nachdem sie am Tisch wieder allein waren: „Ich fürchte, die Deutschen haben werden nicht ruhen, bevor sie sich alles einverleibt haben, wonach Hitler der Sinn steht.“„Wenn man den Zeitungen glauben mag, dann ist das wohl so, Sir, und-“ Er brach ab, als Farrier verhalten ächzte:
„Lassen Sie das, Collins.“
Und er hatte sich insgeheim schon gefragt, wie lange es wohl bis zu diesem Punkt dauern würde, bis Farrier sich wieder daran stieß, dass er „Sir“ sagte – obwohl der Mann zweifellos wissen musste, dass er das absichtlich tat, um eben genau diese Reaktion zu provozieren. Es war dasselbe Spiel wie mit dem Bedanken, eigentlich eine kindische Neckerei, doch trotzdem, trotzdem behielt er es bei, denn er hatte gleichzeitig nicht den Eindruck, es würde Farrier sonderlich stören.
Für einen Moment versanken sie in Schweigen, widmeten sich beide ihrem Mittagessen. Es unterhielt sich ohnehin angenehmer, wenn man ein paar Bissen im Magen hatte. In der mess hall bekam man die Gelegenheit, ohne ein Wort zu essen, nur selten. Eigentlich gab es immer jemanden, der plötzlich irgendetwas wissen oder einfach eine weitere Meinung haben wollte und sei es auch bloß zum Wetter. An manchen Tagen waren die Verhältnisse zwar nicht störend, doch hin und wieder… Hin und wieder wünschte zumindest er sich, für die Dauer einer Mahlzeit in Frieden gelassen zu werden, den eigenen Gedanken nachhängen zu können oder schlicht gar nicht erst über irgendetwas nachdenken zu müssen. Zum letzten Mal war genau das der Fall gewesen, als die Lungenentzündung sich mit dem ersten Fieber ankündigte und danach… An die Fahrt nach Uxbridge erinnerte er sich eigentlich gar nicht mehr. Tatsächlich wurde seine Erinnerung erst ab einem Zeitpunkt wieder klarer, zu dem er schon ein paar Tage im Krankenhaus zugebracht hatte. Nicht, dass er das je laut sagen würde, aber es war nun einmal so.
„Aber wie dem auch sei“, setzte Farrier nach einigen Minuten wieder an, „die Deutschen waren sich ihrer Sache dort drüben sehr sicher – nicht zu Unrecht, wie ich fürchte.“
Skeptisch runzelte er die Stirn, sah gleichzeitig von seinem Mittagessen auf und sein Gegenüber an. Der Ernst auf Farriers Zügen ließ ihn aber davon Abstand nehmen, es erneut mit einem „Sir“ zu versuchen, obwohl es ihm schon so gut wie auf der Zunge gelegen hatte.
„Das ist kein normaler Vorstoß gewesen und auch nicht der ungeplante Versuch einer Eroberung“, fuhr der Ältere so leise fort, dass nur er ihn noch verstehen konnte. „Die Lage ist ernst, womöglich noch ernster, als man uns bisher glauben machen wollte. Hitler unterwirft Europa, ein Land nach dem anderen – und unseres soll nicht nur das nächste sein, es wird es sein.“
„Die Luftangriffe auf unsere Konvois im Kanal machen genau das auch nicht unwahrscheinlicher?“, erkundigte er sich in derselben Lautstärke.
Farrier nickte. „Das sind mehr als nur Vergeltungsschläge für unsere Luftangriffe auf das Deutsche Reich.“
„Hm…“
Dass es sich so verhielt, war im Grunde genommen ein offenes Geheimnis, doch man sprach nicht darüber, auf dem Stützpunkt nicht und in der mess hall erst recht nicht. Es fühlte sich allerdings sehr viel realer und auch bedrohlicher an, wenn man dann plötzlich darüber sprach, wenn man an mehr als Blicken und Fingerzeigen merkte, dass andere die Lage genauso einschätzten wie man selbst es stillschweigend tat.
„Um der Wahrheit die Ehre zu geben, Collins, ich wäre den Deutschen nicht so rasch, vielleicht auch gar nicht entkommen, wenn ihr Weg nicht rein zufällig den dieser französischen Soldaten gekreuzt hätte. Ohne die Franzosen säße ich längst in einem dieser deutschen Lager, zusammen mit anderen Offizieren unserer Truppen. Ich bin ein toter Mann.“
Er wollte protestieren, vehement und… Farriers leichtes Kopfschütteln ließ ihn verstummen.
„Und Sie sind es auch, Collins“, stellte Farrier nahtlos fest. „Die Lungenentzündung ist nicht so gut ausgeheilt, wie Sie die anderen glauben machen wollen. Sie sollten genauso wenig wieder zurück sein wie ich. Die Operation Dynamo hätte uns alle drei in das eine oder andere Grab bringen sollen und nicht bloß Squadron Leader Avery.“
„Woher -“
„Ist nicht wichtig, Collins. Meine Lippen sind versiegelt und sonst wird niemand einen Gedanken an diese Möglichkeit verschwendet haben.“
Er schnappte nach Luft. „Aber -“
„Nichts aber. Die allermeisten haben vermeintlich wichtigeres, auf das sie ihr Augenmerk legen, besonders in Zeiten wie diesen“, wiegelte Farrier seine Bedenken ab. Er klang nicht einmal leichtfertig dabei! Vielmehr so, als sei das alles schlicht und ergreifend ein Fakt, den man so hinnehmen musste, ob man nun wollte oder nicht. „Am Ende aller Dinge will jeder nur überleben und das schließt Sie und mich ein, Collins.“
Langsam nickte er, erinnerte sich unwillkürlich an den Luftkampf über dem Kanal, daran, wie ihm die Erkenntnis, die 109 nicht aus eigener Kraft abschütteln zu können, nicht nur für Sekunden die Luft abgeschnürt hatte, sondern auch an das Gefühl, als würde sich im selben Augenblick jeder Muskel seines Körpers panisch zusammenkrampfen. Nur mit Mühe hatte er überhaupt die Kraft für drei Worte – für jenes „He’s on me“* – zusammenkratzen können und Worte, um die Erleichterung über Farriers durch und durch entschlossenes und zuversichtliches „I’m on him“* auszudrücken. Doch es gab andere Worte, andere Worte, die ihm hier und jetzt und unwillkürlich über die Lippen kamen:
„Vielleicht ist das Überleben nicht mehr so wichtig, wenn man eigentlich schon tot sein sollte.“
Zum ersten Mal seit langer Zeit sah er Farrier stutzen, beinahe irritiert die Stirn in Falten ziehen und…
„Vielleicht haben Sie recht“, räumte der Ältere dann zu seiner Überraschung schmunzelnd ein. „Aber solange meine Uhr es übersteht, kann ich damit leben.“
Und als sei das ein Signal gewesen, fingen sie beide an zu lachen.
Wenn es um diese Armbanduhr ging, das ließ sich wohl kaum leugnen, war Farrier durchaus sonderbar.
Warum auch immer…
* Zitat aus dem Film
English Version: I do not own anyone, this is purely fictional. If you got here by googling yourself please I urge you go back now!
A/N: Hier kommt nun die fünfundzwanzigste Kurzgeschichte in meiner kleinen, mehr oder weniger unzusammenhängenden Kurzgeschichten-und-Drabble-Reihe zu Christopher Nolans Film Dunkirk, gleichzeitig ist es der siebte Teil der #pneumonia-Reihe.
Die vierundzwanzigste Kurzgeschichte findet ihr hier: Awaiting fate, den sechsten Teil der #pneumonia-Reihe hier: Conversation at midnight
Das Prequel zur #pneumonia-Reihe ist folgende Geschichte: Highway to war
Ihr wisst ja, Reviews und Sternchen sind das Brot des Fanfictionautors – lasst mich bitte nicht hungern!
Dead men talking
Am besten bei einem Pint im Pub…
Sie hatten nur zwölf Stunden Ausgang, wie Farrier es angekündigt hatte, und deswegen war es eigentlich helllichter Tag, als sie in den Dämmer des Gastraumes eintauchten. Sobald die Tür hinter ihnen geschlossen war, sperrte sie auch den gleißenden Frühsommersonnenschein und einen Teil seiner Wärme rigoros aus. Innerlich schauderte er. Es hatte gut getan, dass der Stoff der Uniform die Wärme rasch aufgenommen hatte, es hatte wirklich gut getan.
Sie zogen sich in eine der Nischen zurück, eine ohne Fenster, bestellten jeweils ein Pint und Mittagessen, ein wenig Abwechslung vom Angebot in der mess hall. Hin und wieder war das eine Wohltat, auch wenn sie weiterhin schwiegen. Eigentlich hatten sie sogar kaum ein Wort miteinander gewechselt, seit sie den Stützpunkt hinter sich gelassen hatten, doch er konnte mitnichten behaupten, es hätte ihn gestört. Im Gegenteil! Denn so hatte er zumindest schweigend die Wärme genießen können, die ihn vergessen ließ, wie wenig genesen er sich weiterhin fühlte.
Auf das Bier mussten sie nicht lange warten. Um diese Zeit waren kaum Menschen hier, das würde sich erst am späten Nachmittag und in den frühen Abendstunden ändern, wenn andere ihr Tagwerk ruhen ließen und Zeit hatten, zusammenzukommen. Also dann, wenn sie zum Stützpunkt zurückkehren mussten. Doch vielleicht war das besser so, weil es bedeutete, dass umso weniger fremde Ohren hören konnten, was sie zu besprechen hatten.
Er beobachtete Farrier dabei, wie er sich eine Zigarette anzündete, erinnerte sich unwillkürlich daran, wie Flying Officer Kerry Pilot Officer Reeves lachend auf die Schulter geklopft und ihm erklärt hatte, er solle nicht so ein Gesicht ziehen. Es sei schließlich kein Weltuntergang, dass er keinen Ausgang bekommen habe, sondern stattdessen Bericht über den Verlust seiner Spitfire erstatten sollte. Immerhin wolle er doch nicht schon wieder die Geschichten hören, die er, Collins, und Farrier sich nun erzählen würden und die alle außer ihnen beiden auf dem Stützpunkt in beiden Versionen längst auswendig kannten.
Ein bisschen übertrieben war das schon, befand er, im Grundsatz stimmte es jedoch. Das ließ sich keinesfalls leugnen.
Farrier lehnte sich zurück, blies den Rauch aus und sah ihm für eine Sekunde oder zwei auf seinem Weg gen Decke nach. Noch konnte man das dunkle Holz klar und deutlich ausmachen. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass gut durchgelüftet worden war, denn sonst…
„Ich hatte nicht erwartet, Sie nicht anzutreffen, wenn ich zurückkomme“, bemerkte sein Gegenüber leise.
Collins stutzte. Das war auch nicht das, was er zur Eröffnung erwartet hatte, schoss es ihm durch den Kopf. Vielleicht war es der fehlende Vorwurf in Farriers Stimme, vielleicht dieser Hauch von Amüsement, vielleicht… Instinktiv zuckte er vage die Schultern, erwiderte: „Ich hatte nicht erwartet, mir um diese Jahreszeit noch eine Lungenentzündung im Kanal zu holen.“
„Hm…“ Farrier nickte.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass die Höhe nicht mehr ausreichen würde“, erläuterte er, „damit der geöffnete Schirm Wirkung entfalten könnte, hatte ich für größer gehalten.“ Ebenso wie die, einfach unter dem offenen Schirm zu ertrinken oder sich darin zu verfangen und dasselbe nasse Ende zu finden, aber so etwas sagte man ja nicht laut.
„Durchaus möglich.“
„Ja…“ Er griff nach seinem eigenen Zigarettenetui, um die Finger zu beschäftigen. „Eines der zivilen Boote hat mich aufgelesen.“ Das war die beste Formulierung für das, was geschehen war. „Glücklicherweise, denn…“ Zögernd brach er ab. Das… Nein, das ging wirklich zu weit! Darüber sollte er nicht sprechen, doch andererseits… andererseits… War er Farrier diese Wahrheit nicht schuldig? Der Mann würde auch weiterhin Spitfires fliegen, über dem Land genauso wie über der See und es konnte ihn schon beim nächsten Einsatz dasselbe Schicksal ereilen, das ihn über dem Kanal erfasst hatte. Unschlüssig und rasch sah er sich um. Sie waren noch immer allein in der Nische, die sie aufgesucht hatten. Andere Gäste hielten sich an der Bar auf, waren in ein Gespräch mit dem Besitzer des Pubs vertieft und in einer anderen Ecke las ein alter Mann die Zeitung und paffte Pfeife. Eigentlich konnte er es wagen, beschloss er stumm und fuhr fort: „Beim Wassern hat sich die Kanzel verzogen, Sir. Von innen ließ sie sich nicht mehr öffnen.“
„Pardon?!“
Farrier beugte sich vor, stützte sich mit den Unterarmen auf der Tischplatte auf und sah ihm in die Augen.
Collins seufzte lautlos, legte sein Zigarettenetui auf den Tisch, anstatt eine der Zigaretten herauszunehmen. „Der Sohn des Skippers hat die Kanzel mit einem Bootshaken aufgeschlagen“, setzte er erklärend nach. Was anderenfalls passiert wäre, bedurfte wohl keiner weiteren Erläuterung. Anderenfalls würde er hier nun wohl kaum sitzen, mit einem Pint auf der einen und dem Zigarettenetui zu seiner anderen Seite. Dann würde er allenfalls noch mit den Fischen anstoßen. Wenn überhaupt.
„Gut zu wissen.“
„Wie man’s nimmt…“, murmelte er kaum hörbar. Er hätte auf diese Erfahrung gut und gerne verzichten können und der Fakt allein, dass er nun zumindest mit Gewissheit wusste, dass er in der Lage war, eine Spitfire zu wassern, machte es kein Stück besser oder gar erstrebenswerter. Beim nächsten Mal konnte es schließlich ganz anders ausgehen. Dann bekamen die Fische vielleicht eine zweite Chance… „Jedenfalls stammte dieses zivile Boot aus Weymouth, Dorset und dort bin ich wieder an Land gegangen, genau wie die anderen Soldaten an Bord.“
„Ja, ich hab schon gehört, dass diese Operation Dynamo äußerst erfolgreich verlaufen ist“, warf Farrier ein. „Erfolgreicher als angedacht zumindest.“
„Nicht, dass das schlecht wäre, Sir.“
„In Anbetracht der Umstände wahrscheinlich nicht“, räumte Farrier ein und verstummte, weil man ihnen das Essen brachte. Ihre Ansichten zum Krieg behielten sie lieber so gut wie irgend möglich für sich. Es würde nicht unproblematisch werden, gerieten sie in falsche Ohren und könnten ihnen im Nachhinein zugeordnet werden. Sie waren letztendlich nichts anderes als Soldaten und als solche sollten sie Befehlen Folge leisten. Dass sie sie hinterfragten, war unerwünscht, und Farrier fuhr erst fort, nachdem sie am Tisch wieder allein waren: „Ich fürchte, die Deutschen haben werden nicht ruhen, bevor sie sich alles einverleibt haben, wonach Hitler der Sinn steht.“„Wenn man den Zeitungen glauben mag, dann ist das wohl so, Sir, und-“ Er brach ab, als Farrier verhalten ächzte:
„Lassen Sie das, Collins.“
Und er hatte sich insgeheim schon gefragt, wie lange es wohl bis zu diesem Punkt dauern würde, bis Farrier sich wieder daran stieß, dass er „Sir“ sagte – obwohl der Mann zweifellos wissen musste, dass er das absichtlich tat, um eben genau diese Reaktion zu provozieren. Es war dasselbe Spiel wie mit dem Bedanken, eigentlich eine kindische Neckerei, doch trotzdem, trotzdem behielt er es bei, denn er hatte gleichzeitig nicht den Eindruck, es würde Farrier sonderlich stören.
Für einen Moment versanken sie in Schweigen, widmeten sich beide ihrem Mittagessen. Es unterhielt sich ohnehin angenehmer, wenn man ein paar Bissen im Magen hatte. In der mess hall bekam man die Gelegenheit, ohne ein Wort zu essen, nur selten. Eigentlich gab es immer jemanden, der plötzlich irgendetwas wissen oder einfach eine weitere Meinung haben wollte und sei es auch bloß zum Wetter. An manchen Tagen waren die Verhältnisse zwar nicht störend, doch hin und wieder… Hin und wieder wünschte zumindest er sich, für die Dauer einer Mahlzeit in Frieden gelassen zu werden, den eigenen Gedanken nachhängen zu können oder schlicht gar nicht erst über irgendetwas nachdenken zu müssen. Zum letzten Mal war genau das der Fall gewesen, als die Lungenentzündung sich mit dem ersten Fieber ankündigte und danach… An die Fahrt nach Uxbridge erinnerte er sich eigentlich gar nicht mehr. Tatsächlich wurde seine Erinnerung erst ab einem Zeitpunkt wieder klarer, zu dem er schon ein paar Tage im Krankenhaus zugebracht hatte. Nicht, dass er das je laut sagen würde, aber es war nun einmal so.
„Aber wie dem auch sei“, setzte Farrier nach einigen Minuten wieder an, „die Deutschen waren sich ihrer Sache dort drüben sehr sicher – nicht zu Unrecht, wie ich fürchte.“
Skeptisch runzelte er die Stirn, sah gleichzeitig von seinem Mittagessen auf und sein Gegenüber an. Der Ernst auf Farriers Zügen ließ ihn aber davon Abstand nehmen, es erneut mit einem „Sir“ zu versuchen, obwohl es ihm schon so gut wie auf der Zunge gelegen hatte.
„Das ist kein normaler Vorstoß gewesen und auch nicht der ungeplante Versuch einer Eroberung“, fuhr der Ältere so leise fort, dass nur er ihn noch verstehen konnte. „Die Lage ist ernst, womöglich noch ernster, als man uns bisher glauben machen wollte. Hitler unterwirft Europa, ein Land nach dem anderen – und unseres soll nicht nur das nächste sein, es wird es sein.“
„Die Luftangriffe auf unsere Konvois im Kanal machen genau das auch nicht unwahrscheinlicher?“, erkundigte er sich in derselben Lautstärke.
Farrier nickte. „Das sind mehr als nur Vergeltungsschläge für unsere Luftangriffe auf das Deutsche Reich.“
„Hm…“
Dass es sich so verhielt, war im Grunde genommen ein offenes Geheimnis, doch man sprach nicht darüber, auf dem Stützpunkt nicht und in der mess hall erst recht nicht. Es fühlte sich allerdings sehr viel realer und auch bedrohlicher an, wenn man dann plötzlich darüber sprach, wenn man an mehr als Blicken und Fingerzeigen merkte, dass andere die Lage genauso einschätzten wie man selbst es stillschweigend tat.
„Um der Wahrheit die Ehre zu geben, Collins, ich wäre den Deutschen nicht so rasch, vielleicht auch gar nicht entkommen, wenn ihr Weg nicht rein zufällig den dieser französischen Soldaten gekreuzt hätte. Ohne die Franzosen säße ich längst in einem dieser deutschen Lager, zusammen mit anderen Offizieren unserer Truppen. Ich bin ein toter Mann.“
Er wollte protestieren, vehement und… Farriers leichtes Kopfschütteln ließ ihn verstummen.
„Und Sie sind es auch, Collins“, stellte Farrier nahtlos fest. „Die Lungenentzündung ist nicht so gut ausgeheilt, wie Sie die anderen glauben machen wollen. Sie sollten genauso wenig wieder zurück sein wie ich. Die Operation Dynamo hätte uns alle drei in das eine oder andere Grab bringen sollen und nicht bloß Squadron Leader Avery.“
„Woher -“
„Ist nicht wichtig, Collins. Meine Lippen sind versiegelt und sonst wird niemand einen Gedanken an diese Möglichkeit verschwendet haben.“
Er schnappte nach Luft. „Aber -“
„Nichts aber. Die allermeisten haben vermeintlich wichtigeres, auf das sie ihr Augenmerk legen, besonders in Zeiten wie diesen“, wiegelte Farrier seine Bedenken ab. Er klang nicht einmal leichtfertig dabei! Vielmehr so, als sei das alles schlicht und ergreifend ein Fakt, den man so hinnehmen musste, ob man nun wollte oder nicht. „Am Ende aller Dinge will jeder nur überleben und das schließt Sie und mich ein, Collins.“
Langsam nickte er, erinnerte sich unwillkürlich an den Luftkampf über dem Kanal, daran, wie ihm die Erkenntnis, die 109 nicht aus eigener Kraft abschütteln zu können, nicht nur für Sekunden die Luft abgeschnürt hatte, sondern auch an das Gefühl, als würde sich im selben Augenblick jeder Muskel seines Körpers panisch zusammenkrampfen. Nur mit Mühe hatte er überhaupt die Kraft für drei Worte – für jenes „He’s on me“* – zusammenkratzen können und Worte, um die Erleichterung über Farriers durch und durch entschlossenes und zuversichtliches „I’m on him“* auszudrücken. Doch es gab andere Worte, andere Worte, die ihm hier und jetzt und unwillkürlich über die Lippen kamen:
„Vielleicht ist das Überleben nicht mehr so wichtig, wenn man eigentlich schon tot sein sollte.“
Zum ersten Mal seit langer Zeit sah er Farrier stutzen, beinahe irritiert die Stirn in Falten ziehen und…
„Vielleicht haben Sie recht“, räumte der Ältere dann zu seiner Überraschung schmunzelnd ein. „Aber solange meine Uhr es übersteht, kann ich damit leben.“
Und als sei das ein Signal gewesen, fingen sie beide an zu lachen.
Wenn es um diese Armbanduhr ging, das ließ sich wohl kaum leugnen, war Farrier durchaus sonderbar.
Warum auch immer…
[1900 Wörter]
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* Zitat aus dem Film