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Wir sind diese seltenen Momente

von Ilea
Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P12 / Gen
Charlotte Slättberg /Sprotte Frieda Goldmann Wilhelm Blödorn / Willi
23.09.2020
23.09.2020
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23.09.2020 2.344
 
„Es tut mir so leid“, hauchte Frieda in ihr Handy. Leise genug, um Luki nicht zu wecken und Titus nicht auf sie aufmerksam zu machen, der in seinem Zimmer vertieft in ein Computerspiel war. Frieda hockte in der Küche und beobachtete die kleine Minipizzen, die sie noch im Tiefkühlfach gefunden hatte. Ihre Mutter hatte Nachtschicht, ihr Vater war angeblich auf Geschäftsreise. Frieda war sich nicht sicher, ob er wirklich an der Nordsee war oder doch irgendwo bei seiner Freundin.
„Nein“, sagte Sprotte am anderen Ende der Leitung. Frieda seufzte innerlich und entspannte sich. Sie wünschte, sie könnte die Probleme zwischen Fred und ihrer besten Freundin klären. „Du kannst nichts dafür, aber es tut mehr weh als ich dachte.“
„Ist es nur das oder noch mehr? Deine Mama und wir wilden Hühner?“, fragte Frieda. Sie kannte Sprotte, sie wusste, dass wenn Sprotte sie wirklich anrief, dann war es ernst. Dann wuchs es ihr über den Kopf hinaus.

„Es ist alles“, sagte Sprotte leise. „Es ist mein kleines Geschwisterchen und irgendwie auch das Gefühl, erwachsen zu werden.“
Frieda schaltete den Ofen aus, sie hörte Titus wild rufen und verdrehte die Augen. Sie schaltete Sprotte auf Lautsprecher und zog einen übergroßen Backhandschuh über die Hand. Sie fluchte, als ein Pizzastück auf den Boden fiel und dann leise fluchte.
„Was ist los?“, fragte Sprotte, ihre Stimme klang überrascht.
Frieda hob die die Pizza auf und warf sie auf die Küchentheke. „Nichts, mir ist nur meine Pizza runtergefallen.“
„Oh“, machte Sprotte, während Frieda den Backhandschuh in den Abwasch feuerte.
Frieda suchte nach einem Teller in einem der Küchenschränke, es polterte, dann riss sie die Spülmaschine auf und fischte einen Teller heraus. Haarsträhnen aus ihrem geflochtenen Zopf hingen vor ihren Augen und klemmten sich ein, als sie die Maschine wieder zuschlug. Dann platzierte sie die Pizza darauf und horchte, ob Titus etwas von sich gab. Es kamen Geräusche aus seinem Zimmer, Frieda atmete auf. Auf ihren älteren Bruder war sie nicht gut zu sprechen, in letzter Zeit noch weniger als sonst. Er versteckte sich neuerdings in seinen Videospielen.
„Wie geht es dir?“, fragte Sprotte. „Ich meine, wie ist es bei dir zuhause?“

Frieda nahm ihr Handy wieder in die Hand während sie das Abendessen von Luki wegräumte. Er hatte seine Pizza nicht einmal aufgegessen.
„Es ist okay“, sagte Frieda und schaute auf den Wäschestapel, den sie von der Klassenfahrt mitgebracht hatte. Es war Samstag und Frieda wusste, dass ihre Mutter erst gegen Mittag wieder da sein würde. Sie schob Sonderschichten und bei den Gedanken, morgen wieder mit ihrem Bruder alleine zu sein ließ sie seufzen.
„Wirst du mit deiner Mutter reden?“, fragte Sprotte vorsichtig. Frieda biss sich auf die Lippen.
„Ich weiß noch nicht“, sagte Frieda. Sie spielte mit ihrer Kette, die sie irgendwo aus einer alten Schmuckkiste herausgekramt hatte, bei Nervosität hatte sie sonst immer mit ihren Hühnerfedern gespielt – aber diese lagen nun in den Händen nervigen Küken.
Sprotte und Frieda schwiegen sich eine ganze Weile an. Frieda aß ihre Pizza und horchte den Rufen von Titus.
„Weißt du wie es Melli geht?“, fragte Frieda. Sie wusste, dass Melli zuhause Schwierigkeiten hatte und seit der Klassenfahrt der Wurm drin war. Ihr Herz zog sich zusammen, genauso wie ihre Haut, die sich zusammen zog und ihr dann ein kalter Schauer über die Schulter jagte. Sie schaute hoch, sah sich in den Fenster der Küche in dem dunklen Pullover und den zerzausten Haaren.

„Ihre Schwester will ausziehen“, sagte Sprotte gedehnt. „Mache dir keine Sorgen um sie, Frieda. Melli ist Melli, gib ihr etwas Zeit.“
Frieda schluckte das Stück Pizza herunter. Sie wünschte, sie könnte Melli einfach Zeit geben, aber sie hatte auch versucht sich selbst Zeit zu geben, aber wirklich funktioniert hatte es nicht.
„Wollen wir uns morgen treffen?“, fragte Sprotte. Sie schien zu spüren, dass Gesprächsbedarf bestand.
„Meine Mutter ist arbeiten“, sagte Frieda. „Würde es dir etwas ausmachen …“
„Zu dir zu kommen?“, vervollständigte Sprotte ihren Satz. „Kein Problem. Ich muss mich ja eh dran gewöhnen, bald große Schwester zu sein.“
„Ob ich da das richtige Vorbild bin?“
„Vielleicht“, antwortete Sprotte. Nach einer Weile fügte sie hinzu: „Was ist das eigentlich mit dir und … und Willi?“
Frieda biss sich auf die Innenseiten ihrer Wangen. Kurz atmete sie tief ein und aus, während ihr Herz heftig schlug, als es auf der anderen Seite der Leitung knisterte und klackte. Sprotte sagte etwas, doch dann gab ihr Handy ein Piepen von sich und Frieda starrte auf den Bildschirm.
Aufgelegt.

Frieda ging durch ihre Nachrichten und fand eine von ihren Vater, der ihr geschrieben hatte, dass er am Donnerstag wiederkommen würde und ob er ihr etwas von der Nordsee mitbringen sollte. Sie schaltete den Display aus als Sprotte ihr schrieb, dass ihre Mutter mit ihr reden wollte und, dass sie am Morgen gerne vorbei kommen würde, auch wenn es hieß, dass sie sowohl Titus als auch Luki ertragen musste.
„Hast du die Fanta ausgetrunken?“ Frieda drehte sich um und starrte Titus an, der nur in Unterhose vor ihr stand mit einem Glas in der Hand, einem Headset um den Hals und sie anschaute.
„Luki hat sie getrunken, wir haben noch Saft da“, erwiderte sie genervt.
„Mann ey“, warf Titus genervt ein, verdrehte die Augen und stellte sein Glas einfach auf den Küchentisch. Frieda wollte anmerken, dass er doch sein Glas abwaschen könnte, aber da verschwand der auch schon wieder in seinem Zimmer und blaues Licht drang heraus. Frieda ließ ihren Kopf auf den Küchentisch sinken.

Es war eine gute Frage, was sie und Willi waren. Oder was das zwischen ihnen war. Frieda hatte sich vor Wochen bereits eingestanden, dass sie etwas für ihn empfand, dass ihr bekannt vorkam. Es war etwas vertrautes, dass ihr Herz höher schlugen ließ, jedes Mal, wenn sie ihn anschaute und sein Lächeln sah. Es war so seltsam gewesen, aber je mehr Frieda es ignoriert hatte, desto öfter hatte sie es gespürt. Dieses Gefühl von erster Liebe, von den ersten Funken – den ersten Schmetterlingen. Ausgerechnet in den Freund einer ihrer besten Freundinnen.
Hitze schoss in ihren Kopf und sie schüttelte ihn, setzte sich auf und warf ihr Besteck in den Abwasch, so, wie es Titus getan hatte. Sie strich über den Familienkalender am Kühlschrank, neben den seltsamen Kunstwerken von Luki und einem Familienbild. Ihre Mutter hatte lediglich ihre eigenen und Lukis Termine eingetragen, Friedas und Titus‘ Namen standen lediglich als Dekoration dort. Der Name ihres Vaters tauchte nicht einmal auf. Sie sah auf das Bild, das bei der Hochzeit ihrer Tante entstanden war, wo Luki noch jung genug war um an ihren Armen zu klammern. Ihre Mutter hatte den Kopf gegen den ihres Vaters gelehnt, sie stand neben Titus, der gelangweilt in die Kamera schaute. Frieda seufzte und fühlte neben dem seltsamen Verhältnis zu Willi auch die Schwere ihrer Familie in ihrem Magen. Was würde passieren, wenn herauskam, dass ihr Vater eine andere Frau liebte? Sie hatte die Beziehung ihrer Mutter zu ihrem Vater nie wirklich Beachtung geschenkt, sie waren miteinander ausgekommen, haben abends miteinander gelacht und manchmal ein Glas Wein getrunken.

Auf einmal klingelte es. Frieda warf sich um und schaute zu Titus. Erwartete er eine Freundin? Er hatte die Angewohnheit Besuch nicht anzukündigen. Und seine Freundinnen ständig zu wechseln.
Frieda wartete nur kurz ab, dann stolperte sie die Treppe herunter, um die Tür aufzureißen. Ihre Mutter hatte immer gesagt, sie solle es lassen, denn sie wusste nie wer vor der Tür stand. Oder er sie erwartete.
Und Frieda hatte Willi, der vor ihr stand, nicht gerechnet. Er sah sie an, öffnete den Mund, als Titus, der sonst taub für die Klingel war, im Rahmen erschien und Frieda anschrie. „Für mich? Ist das Eva?“
„Ich bin nicht Eva“, erwiderte Willi und schielte zu Friedas älteren Bruder, der ihn anschaute und dann das Gesicht verzog.
„Wer is’n das?“ Titus schluckte etwas herunter.
„Nicht Eva“, sagte Frieda und sah ihn so an, dass Titus nur die Arme hob und sich von der Tür entfernte.
„Ich wollte nur fragen was deine Pläne aktuell sind“, sagte Willi direkt zu Frieda. Er sah sie im Schein des gelblichen Hauslichtes über ihr nur etwas müde an.
„Ähm“, sagte Frieda. „Es ist kurz nach acht, ich wollte lesen oder vielleicht die neue Lektüre für den Theater Kurs lesen.“
Willi verschränkte die Arme, dann sah er kurz nach hinten, wo sein Fahrrad neben dem von Frieda stand. Frieda hatte sofort erkannt, dass es seins war. Darauf hatte sie von Anfang an des neuen Halbjahres irgendwie geachtet.

„Du kannst reinkommen wenn du magst“, sagte Frieda. „Fahrräder klaut hier eigentlich niemand.“
Willi nickte, er schien ein wenig aufgeregt, als er einen Schritt auf Frieda zumachte, die zurück wich um ihm Platz zu machen, als seine Finger kurz ihre Wange streiften und sie unwillkürlich lächeln musste bei dieser doch sehr süßen Geste.
„Mein Zimmer ist oben“, sagte sie schnell und deutete auf die Tür. Sie war sich sicher, dass Titus noch in der Nähe sein mochte. Sie wollte nicht, dass Willi und Titus in diesem Zusammenhang aufeinander trafen. Sie betrachtete Willi in seinen ausgewaschenen Jeans und dem Jeanshemd, dass locker über seiner Schulter hang genauso wie sein Rucksack. Ihr Herz schlug seltsam, das Gefühl auf ihrer Haut war auch etwas seltsam. Im obersten Stockwerk des Stadthauses lag Friedas Zimmer, neben dem ihrer Eltern und dem von Luki, nur Titus hatte sein im unteren Geschoss. Frieda stolperte an Willi vorbei und öffnete die Tür. Sie atmete auf, denn es sah zum Glück noch etwas ordentlich auf.
„Willst du ‘was trinken?“, fragte Frieda, aber Willi schüttelte nur den Kopf und gähnte. Er ließ sich auf den Sitzsack vor Friedas Bett sinken und gähnte erneut, während er interessiert nach dem Skript griff, dass sie im Theater-Kurs lasen. Es war eher hohe Sprache, aber Frieda gefielen der Anfang und der dunkle Humor darin trotzdem.

Seine Augen suchten ihren Blick, während Frieda sich neben ihn auf den Boden setzte und ihm das Skript aus der Hand nahm. Sie blätterte eine Seite nach hinten und deutete auf einen Absatz, den sie markiert hatte. Willis Augen wanderten von ihr zu dem Buch, dann lächelte er kurz.
„Den soll Fred aufsagen“, erklärte Frieda und lächelte schief. Beim Namen Fred war ihr nicht wirklich nach Lächeln zumute, nach all dem, was er zu ihr gesagt hatte.
„Wie geht es Sprotte?“, wechselte Willi. „Ich war heute eigentlich mit Fred verabredet, er wollte mal weg von zuhause wegen seinem Opa … er meinte, er hätte Sprotte suchen wollen, aber nur, dass er es weiß, ihr geht es gut?“
Frieda musterte Willi. „Gut, ja. Gut in Bezug auf ihn, weiß ich nicht.“
Willi nickte, zum Glück stellte er keine Fragen, sondern streckte seine Hände aus und griff nach ihren Handgelenken. Frieda ließ sich näher zu ihm ziehen, lächelte als sein Atem ihren Hals kitzelte und genoss das Gefühl von seinen Lippen auf ihren. Es war kein wirklicher Kuss, nur ein Hauch. Er zog sie näher zu sich, der Sitzsack gab nur etwas nach und knirschte, während Frieda an seinen Oberkörper gelehnt sich in Willis Haaren festkrallte. Es war nicht wirklich gemütlich, aber es war genug, dass Frieda wieder hinterfragte, was nur zwischen ihnen war. Sie war dabei sich um Willi zu sorgen, aber sie wusste nicht, was er in ihren Augen war.

„Willi?“, flüsterte sie. Er hatte seinen Kopf in ihren Haaren vergraben, die schon lange nicht mehr in einem Zopf zusammengebunden waren.
„Was?“, fragte er.
„Du bist hier“, sagte Frieda. Sie schloss die Augen, am liebsten hätte sie etwas anderes gesagt. Etwas gefragt, aber doch traute sie sich absolut nicht. Langsam hob sie den Kopf, das Licht in ihrem Zimmer flackerte und war gedimmt. Sie richtete sich auf, sodass sie auf Willis Schoß saß und ihre Nasenspitze die seine berührte. Er hatte die Augen geschlossen.
„Ich bin gerne hier“, sagte er nach einer Weile, die Augen noch immer geschlossen. „Bei dir meine ich.“
Frieda richtete sich weiter auf, Willi folgte ihr und ehe sie sich versah, küssten sie sich. Nicht so, wie ihr erster Kuss gewesen war, ein wenig verlangender und ein wenig zuversichtlicher, als würden beide nur darauf warten. Friedas Hände lagen auf seinen Schultern, Willis Arme lagen auf ihren Hüften. Er zog sie näher zu sich, während sie sich küssten. Intensiver als Frieda es erwartet hatte, tief in ihr zog sich etwas zusammen als sie fast keuchen musste und sich von Willi löste.
Er öffnete die Augen und blinzelte mehrmals. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Frieda.“
Frieda nickte nur so, als würde sie es verstehen. „Sage irgendetwas. Keine Ahnung, irgendwo musst du anfangen.“
„Magst du Eis? Oder lieber Pizza? Ich weiß kaum etwas über dich“, erwiderte er. „Aber ich will gerne mehr wissen.“
„Zitroneneis und ich mag lieber Burger“, erwiderte Frieda.

„Also gehen wir einmal Burger essen du danach gibt es Zitroneneis?“, fragte Willi und schien ein wenig angespannt. Frieda konnte spüren, warum, aber sie blieb weiter entspannt sitzen und nahm in sich auf, was Willi ihr gab. Seinen konzentrierten Blick und seine zerzausten Haare. Er sah ziemlich gut aus und Friedas Herz schlug schneller, der Gedanke, dass sie zusammen sein könnten. Sie vergaß die Welt um sich herum und betrachtete den Jungen, der vor ihr saß. Mit seinen Macken und seiner Art, die sie versuchte zu lesen.
„Fangen wir doch mit einem von beidem an“, raunte Frieda und lächelte. Mehr gesprochen wurde nicht, es war nur noch Haut auf Haut und Lippen auf Lippen. Es war warm und kalt, irgendetwas, das Frieda nicht beschreiben konnte. Sie wusste noch immer nicht, was sie wirklich waren, aber es war ein Anfang.
Willi war da. In der Welt, in der sie gerade waren, zusammengekuschelt auf ihrem viel zu knarrende Bett und in der Welt, in der ihre Familie zerbrach.
„Ich bin da“, flüsterte er in der Ferne. Frieda griff nach seiner Hand.
„Ich auch.“ Körper an Körper war es ein ganz anders, intensives Gefühl von Liebe. Frieda glaubte, es war Liebe, so wie sie sich wünschte Willi würde einfach neben ihr bleiben. Sie schloss die Augen.
Frieda wachte erst wieder in der Realität auf als Sprotte lachend vor ihr stand und Willi ein Kissen nach ihr warf.
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