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Dass die Sonne wieder schiene

von Tarvian
Kurzbeschreibung
GeschichteFantasy / P16 / Gen
09.09.2020
07.07.2021
4
6.644
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09.09.2020 1.663
 
Wasser. Überall Wasser. In welche Richtung sie auch blickte; nirgends ließ sich auch nur die Silhouette eines Eilands oder gar eines Küstenstreifens ausmachen. Die Sonne schien mit einer Intensität vom wolkenlosen Himmel herab, dass die vom Bug aufspritzenden Wassertropfen beinahe erfrischend wirkten. Gedankenverloren wischte sich die Frau, deren blonde Haare fest zurückgebunden waren, einige Tropfen vom Handrücken. Ihr war bewusst, dass dies das allgegenwärtige Salz nicht davon abhalten konnte sich überall an ihr abzusetzen. Seit Tagen waren sie schon unterwegs und Wind, Wetter und Wellen hatten ihr übriges getan die Haut rau und das Haar strähnig werden zu lassen. Sie blickte auf und fasste den vor ihr liegenden Horizont ins Auge. Es war noch nicht spät, doch hatte die Sonne die Luft bereits mit einer Wärme aufgeladen, die auch der stetige Wind nicht gänzlich hinfort blasen konnte. Sie hob die rechte Hand und strich sich einige Male über den linken Arm. Nicht, dass ihr etwas geschmerzt hätte oder ihr kalt gewesen wäre. Die Gedanken an die vergangenen Wochen ließen ihr einige Schweißperlen den Rücken hinab laufen. Das Bild abgetrennter Körperteile, entstellter Gesichter und seltsam verdrehter Körper, sowie die Schreie der Versehrten ließen ihr die Haare an ihren Armen in Höhe stehen. Sie schluckte, schloss die Augen und versuchte sich um eine ruhige Atmung zu bemühen. Langsam schob sie die Szenerie weit von sich weg bis sie neben dem steten Wellenrauschen Schritte hörte, die sich ihr näherten. Sie öffnete die Augen und neigte den Kopf etwas nach rechts.
"Das Lager?"
"Nein, das Schlachtfeld."
Verstehend legte der groß gewachsene Mann, der die Frau um gut zwei Köpfe überragte, seine Arme um ihre Schultern und drückte sie an sich. Sich auf ihren Atem besinnend schloss sie erneut die Augen und legte die Fingern ihrer rechten Hand auf seinen Unterarm. Die Nägel waren kurz, rissig und einer eingesprungen. Der Wind bauschte auf und ließ ihre weißen Leinenrobe flattern. Die langen schwarzen Haare des Mannes, die er nur lose und wie nebenbei zurückgebunden hatte, wehten über seine Schulter und strichen leicht über ihre Wange. Sie atmete hörbar aus und drehte sich um.
"Danke, Fiyeran." Er lächelte nur.
"Da nicht für. Wenn es hilft, stehen meine Arme dir stets zur Verfügung."
Sie erwiderte das Lächeln. Es stahl sich sogar in ihre Augen.
"Sag das nicht zu laut, sonst kommt am Ende die gesamte Mannschaft noch zu dir."
"Meine Dienste stehen nur meinen engsten Freunden offen."
Beide lachten. Es war ein kurzes Lachen, doch hatte es fürs Erste die entstellten Erinnerungen vertrieben. Sie legte beide Hände auf seine Brust.
"Hat man dir für heute Vormittag gar keinen Dienst aufgedrückt?"
Ein Schmunzeln überzog Fiyerans Lippen. "Es ist grad keine Not am Mann und die Schiffsbesatzung freut sich, wenn ihnen niemand dazwischen stümpert."
"Da wirst du wohl Recht haben." Sie sah zu ihm hoch. Sein sonst penibel gepflegter Kinnbart wuchs frei in alle Richtungen.
"Bevor wir in Silbermond anlegen, wirst du dich noch einmal hübsch machen müssen." Neckisch ließ sie die Barthaare durch ihre Finger gleiten.
"Na, darüber mache ich mir keine Sorgen. Eher darüber, mir beim Schneiden mit Wellengang die Kehle durchzuschneiden. Tante Ela hat mich schon schlimmer, dreckiger und stinkender nach Hause kommen sehen." Er hob belustigt die Augenbrauen.
"Wann kommen wir denn an? Wir sind schon tagelang unterwegs." Sie ließ von seinem Bart ab.
"Noch heute sollte Lordaerons Küste auftauchen. Oder wie man das sagt."
"Bald wieder daheim."
"Ja."
Sie strich sich einige Haare, die sich aus dem Knoten gelöst hatten, zurück hinter die spitzen Ohren. "Ela und Tianesa werden uns wohl erwarten. Oder eher dich und Varendil."
"Nun mach dich mal nicht klein, Linduria. Beide werden sich freuen auch dich gesund und wohlbehalten wiederzusehen. Erwartest du sonst niemanden morgen?"
Linduria überlegte kurz. "Eigentlich nicht. Vielleicht wird jemand von den Sonnenpriestern da sein. Ansonsten erwarte ich eigentlich nur deine und Varendils Familie."
"Zu der du auch gehörst. Bei den Leyklinges und Wolkensangs sind weder Blut noch Heirat wichtig. Familie ist bei uns mehr."
Sie nickte und hielt den Blick auf die Planken gesenkt. Liebevoll legte Fiyeran seinen Zeigefinger unter Lindurias Kinn und hob es an.
"Sieh mich an, Linduria." Sie schlug die Augen auf. "Wir standen vor diesem Krieg als Einheit. Wir taten es da draußen. Und das wird sich auch jetzt nicht ändern. Es geht uns allen gut und wir sind noch immer alle zusammen." Einige Tränen hatten sich aus Lindurias Augen gestohlen. Mit einem versuchten Lächeln wischte sie sie weg. Als sie wieder hoch schaute lag wieder mehr Zuversicht in ihrem Blick.
"Danke Fiyeran. Die letzten Tage stehe ich so oft neben mir. Und meine Gedanken führen mich in dunkle Zeiten. Nicht nur in diesen Krieg, sondern zu all den anderen davor."
"Das ist nicht ungewöhnlich, dass-"
"Ungewöhnlich daran ist,", fiel Linduria ihm ins Wort, "dass ich nie mit dieser Kraft in die Erinnerungen gezogen wurde. Sie sind so intensiv, so echt, so-", sie rang um das letzte Wort, "real."
"Wie könnten unsere Erinnerungen nicht intensiv sein. Noch vor zwei Wochen waren wir den Dämonen jeden Tag ausgesetzt. Es haben keine Regeln mehr gegolten, die wir als gesetzt angenommen hatten. Gib dir Zeit und sei nicht zu streng mit dir selbst."
Bevor Linduria etwas erwidern konnte, legte er die Arme um sie und drückte sie an seine Brust. "Die Sonne leitet uns und scheine uns den Pfad voraus." Er entließ sie aus der zweiten Umarmung.
"Sie weise uns die Wege und stärke unseren Geist zur Tat.", führte sie die Segensworte fort. "Seit wann rezitierst du Gebete?"
"Seit ich mich täglich mit einer Sonnenpriesterin umgebe. Komm, lass uns nach unten gehen und eine Partie Doppelass spielen." Er drehte sich um und überquerte das Deck. Gemeinsam steuerten sie die Treppe an, die unter Deck führte.
"Ich wusste gar nicht, dass du ein Kartenspiel hast." Er grinste.
"Habe ich auch nicht. Aber ich bin mir sicher, dass einer der Matrosen mit denen ich gestern Abend noch lange zusammengesessen habe uns eines leihen kann."
Lachend verließen sie beide das Oberdeck.

"Was meinst du Varendil, wie geht es ihnen?"
Varendil, der mit hinter dem Rücken verschränkten Armen am Fenster gestanden und von der Kapitänskajüte auf das Oberdeck geschaut hatte, trat zurück und wandte sich um. Ihm gegenüber saß eine in reich verzierte Roben gekleidete Frau mit nussbraunem Haar. Ihre wachen Augen ruhten auf ihm. Alles an ihr schien Eleganz auszustrahlen. Sie hatte die Beine überschlagen und die Finger auf dem Tisch zur ihrer Linken ineinander gelegt. Neben ihren Händen waren Seekarten auf dem Tisch ausgerollt und mit verschiedenen Gegenständen an den Ecken beschwert. Die Öllampen an den Wänden brannten derzeit nicht; war der gesamte Raum von Sonnenlicht durchflutet.
"Ich denke, dass es beiden gut geht, Alsharin. Wir alle gehen unterschiedlich mit diesen Dingen um." Er schaute sie direkt an. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich für einen kurzen Moment, ehe sie ihre äußere Fassung wieder erlangte. "Alles in Ordnung?"
"Ja, ja. Alles bestens." Sie streckte ihren Rücken noch etwas weiter durch. Kurz überlegte Varendil weiter nachzufragen. Doch verwarf er den Gedanken schnell. Sie würde nicht über das reden, was in ihr vorging. Dafür hatte die strenge Erziehung ihrer Eltern gesorgt. Niemals würde sie sich die Blöße geben, jemanden an ihren wahren Gefühlen teilhaben zu lassen. Das jähe Aufstoßen der Kajütentür riss ihn aus seinen Gedanken. Varendil und Alsharin schauten beide auf die schwarzgelockte Schiffskapitänin und Admiralin der thalassischen Flotte.
"Admiralin Silbersturm", begrüßte Varendil sie und neigte höflich den Kopf.
"Lord Leyklinge, Lady Himmelsflamme", erwiderte sie knapp die Begrüßung. "Wir werden heute noch die Westküste von Lordaeron erreichen. Bei gutem Wetter laufen wir morgen in Silbermond ein."
"Das Wetter scheint uns gewogen", sagte Varendil mit einem Lächeln. Selbst hier, mitten auf dem Ozean schien er dieses nicht enden wollende Spiel aus Höflichkeit und Etikette spielen zu müssen. Hätte er doch auch nur so leicht auf diese Umgangsformen verzichten können, wie Fiyeran es konnte. Schon als Jungelf war es ihm viel leichter gefallen sich von den Konventionen des Adels loszulösen und einfach er selbst zu sein. Varendil riss sich aus seinen Gedanken.
"Wird es einen Empfang geben?"
"Ganz bestimmt. Musik, Familien und Freunde. Keine Ansprachen. Ein einfaches Heimkehren", antwortete die Admiralin. Sie sprach klar und kurz angebunden.
"Der Lordregent wird bestimmt später zu einem Festakt laden", ließ Alsharin einfließen. Die Admiralin zuckte nur kurz mit den Schultern und beugte sich über die Karten auf dem Tisch.
"Wir werden mit Sicherheit bald davon erfahren", versuchte Varendil eine peinliche Stille zu verhindern. Dies war nur hohle Konversation. Er wusste, dass Alsharin derzeit nichts anderes konnte. Doch zerrte es an seinen Nerven. Er musste raus. Waren Fiyeran und Linduria nicht eben unter Deck gegangen?
"Wenn die Damen mich entschuldigen würden." Ohne eine weitere Erklärung hinzuzufügen verneigte er sich knapp und höflich und verließ die Kapitänskajüte. Admiralin Silbersturm hatte nicht einmal von der Karte hochgeschaut. Mit wenigen großen Schritten hatte Varendil die Tür erreicht, die ihn vom Flur aufs Deck brachte. Eine starke Böe ließ sein rückenlanges blondes Haar wild umher wehen. Genervt versuchte er es im Zaum zu halten. Die Matrosen und anderen Passagiere, die sich auf dem Deck verteilten, aufs Wasser starrten, am Mast lehnten oder mit dem Rücken an der Reling saßen beachteten ihn überhaupt nicht. Er schritt die Treppe hinab und erreichte das Deck von welchem er unter Deck gelangte. Dieser Morgen war sinnentleert und schleppend verlaufen. Hoffentlich hatte Fiyeran da unten einen Wein aufgetan, der ihm nicht sofort Kopfschmerzen bereiten würde. Er öffnete die Tür und ließ die höher steigende Sonne draußen.
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