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Fiktionstaucher

Kurzbeschreibung
OneshotÜbernatürlich / P6 / Gen
26.08.2020
26.08.2020
1
2.074
5
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3 Reviews
Dieses Kapitel
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26.08.2020 2.074
 
Dies ist mein zweiter Beitrag zur Challenge Superkräfte von Nymphen.
Meine Superkraft war die Nummer 71: Fiktionstauchen (die Kraft in ein fiktionales Werk (Buch, Videospiel, Film, usw.) eintauchen zu können; sprich ein Teil dieses Werkes zu werden und mit den Figuren interagieren zu können).

***

Die meisten glaubten, seine Fähigkeit bestünde darin, sich in Luft aufzulösen. In gewisser Weise stimmte das auch. Aber es war nicht die ganze Wahrheit.
Denn in Wirklichkeit war Nathan weitaus mächtiger. Er konnte in Geschichten eintauchen und dort so lange bleiben, wie er wollte. In jede beliebige Geschichte, egal ob Comic, Buch oder Film.
Entdeckt hatte er die Fähigkeit, als er sich als Kind gewünscht hatte, in seinem Lieblingsbuch leben zu können, und plötzlich war er dort gewesen. Das Ganze hatte unerfreuliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, da seine Eltern geglaubt hatten, er sei entführt worden.
Denn im Gegensatz zu vielen Erzählungen, in denen Menschen andere Welten betraten, verging während seines Aufenthalts in den Geschichten die Zeit genau wie in der realen Welt. Als Kind hatte er das natürlich nicht gewusst und ungefähr eine Woche in seinem Lieblingsbuch verbracht, bevor er zurückgekehrt war.
Und er war naiv genug gewesen, um seinen Eltern zu erzählen, was geschehen war. Ein Artikel über sein seltsames Verschwinden und die unerwartete Rückkehr war in der Zeitung gelandet, woraufhin die ASüF auf ihn aufmerksam geworden war - die „Akademie für Superkräfte und übermenschliche Fähigkeiten“. Nun verbrachte er bereits die meiste Zeit seines Lebens hier. Natürlich gab es auch an der Akademie so etwas wie Ferien, denn sie funktionierte grundsätzlich so wie ein Internat, sodass er seine Eltern immer wieder besuchen konnte. Doch sein eigentliches Zuhause war hier.
Und eigentlich gefiel es ihm auch wirklich gut. Hier wurde er wegen seiner Fähigkeit nicht als unnormal betrachtet, sie war ein Teil von ihm und niemand wunderte sich darüber. Gleichzeitig war ihm aber auch oft langweilig. Jeder Schüler der Akademie besaß einen individuellen Stundenplan. Das war notwendig, weil es so unglaublich viele verschiedene Superkräfte gab. Man konnte die Schüler nicht gemeinsam unterrichten, da jeder in unterschiedlichen Bereichen trainiert werden musste.
Bei Nathan war es allerdings ein wenig anders, da er seine Fähigkeit bereits als Kind sehr gut beherrscht hatte. Es gab für ihn in dieser Hinsicht nicht viel zu trainieren. Deshalb bestand der Großteil seines Unterrichts aus Einheiten der Kategorie „Verantwortung“. Denn der Leiter der Akademie war sich der Tatsache bewusst, dass all diese Superkräfte Macht verliehen, über welche gewöhnliche Menschen nicht verfügten.
Würde an der Akademie einfach nur gelehrt werden, wie man seine Kräfte am effektivsten einsetzte, dann würden wahrscheinlich viele diese Fähigkeiten missbrauchen. Und er wollte sich eigentlich nicht ausmalen, was dann geschehen könnte.
Gleichzeitig konnte es Nathan beinahe egal sein, denn wenn es zum Äußersten kam, könnte er einfach abtauchen. In einer anderen Welt weiterleben und nicht wieder zurückkehren. Der Gedanke war ihm schön öfter gekommen, und er gestand sich ein, dass die Möglichkeit verlockend war. Natürlich würde er die Geschichte sorgsam auswählen müssen. Was er nämlich nicht kontrollieren konnte, war der Ort, an dem er in der Geschichte ankam. Es konnte also beispielsweise geschehen, dass er mitten in einer Schlacht landete. Das war ihm vor kurzem einmal passiert und er erinnerte sich nur äußerst ungern daran zurück, denn es hätte ihn fast das Leben gekostet.
Sein Mentor Mr. Johnson hatte ihn allerdings auf einen Vorteil hingewiesen, den dieses Erlebnis mit sich gebracht hatte: Er ging nun ganz von selbst sehr viel vorsichtiger mit seiner Fähigkeit um.
Als Nathan darüber nachdachte, fiel ihm auf einmal wieder ein, dass sein Mentor ihn ja zu einem Gespräch gebeten hatte. Eilig machte er sich auf den Weg. Er war ausgesprochen neugierig, was das wohl bedeuten mochte, denn Mr. Johnson hatte sehr ernst gewirkt und ein außerplanmäßiges Mentorengespräch war eher ungewöhnlich.
Jeder Schüler der Akademie bekam einen solchen Mentor zugewiesen, dessen Fähigkeit der seines Schülers in den meisten Fällen recht ähnlich war. Die ASüF verfügte über genug Lehrkräfte, um dies gewährleisten zu können, denn viele Schüler blieben nach abgeschlossener Ausbildung an der Akademie und wurden selbst zu Ausbildern oder Mentoren.
Mr. Johnson erwartete ihn bereits, und er kam gleich zum Punkt - eine Fähigkeit, die Nathan an ihm sehr schätzte.
„Ich habe dich hierher gebeten, weil ich denke, dass du für die nächste Stufe deiner Ausbildung bereit bist.“
„Nächste Stufe?“, fragte Nathan irritiert. Er hatte keine Ahnung, was sein Mentor damit meinte. Dieser lächelte bloß.
„Ich habe dein Verhalten in den letzten Tagen sehr erfreut zur Kenntnis genommen. Dein Missgeschick neulich hat dir etwas gezeigt, das all meine Worte dir nicht hätten erklären können: Deine Gabe ist mächtig, aber auch gefährlich. Du musst verantwortlich damit umgehen. Ich denke, dass du das nun verstanden hast.“
Nathan nickte bloß, neugierig, was nun folgen würde. Mr. Johnson holte tief Luft und setzte zu einer längeren Erklärung an.
„Wie du weißt, ist es uns an der Akademie sehr wichtig, euer Verantwortungsbewusstsein zu schulen, damit ihr mit euren Fähigkeiten möglichst wenig Schaden anrichtet. Deshalb entscheiden wir uns oft dafür, euch über gewisse Aspekte eurer Fähigkeiten erst dann aufzuklären, wenn wir uns sicher sind, dass ihr die charakterliche Reife besitzt, um damit umzugehen. Für dich ist nun ein solcher Moment gekommen. Erinnerst du dich an die Frau, die neulich mit bei dir im Unterricht saß?“
Wieder nickte er nur, während er sich fragte, worauf sein Mentor denn nun hinauswollte.
„Wir nennen sie Miss Watcher. Eigentlich heißt sie anders, aber dieser Name beschreibt ihre Fähigkeit sehr gut. Sie kann die Superkräfte anderer Menschen erkennen, und zwar in ihrem vollen Ausmaß. Sie hat mir noch einmal versichert, dass deine Fähigkeit etwas mit einschließt, von dem du bis jetzt nicht weißt. Du bist in der Lage, andere Menschen mitzunehmen, wenn du in eine Geschichte eintauchst.“
Nathan starrte seinen Mentor ungläubig an, während sein Gehirn verzweifelt versuchte, diese Information zu verarbeiten. Das bedeutete ... das bedeutete ...
„Tatsächlich?“, fragte er fassunglos.
„Ja, es ist möglich“, bestätigte sein Mentor lächelnd, „und ich möchte, dass du die Tragweite dessen begreifst, was ich dir gerade offenbart habe. Diese Gabe verleiht dir sehr viel Macht. Du könntest zum Beispiel später dein Geld damit verdienen, Leuten eine Reise in ihr Lieblingsbuch zu ermöglichen. Aber du hättest die Verantwortung dafür, was während dieser "Reise" geschieht. Glaubst du, dass du für ihre Sicherheit garantieren könntest, wenn sie eine Geschichte wählen, in der es militärische Auseinandersetzungen gibt?“
Er schüttelte entschieden den Kopf.
„Es muss nicht einmal so weit kommen, dass man mitten in einer Schlacht landet. Es reicht schon, wenn eine Geschichte von übermenschlichen Wesen bevölkert wird oder irgendwelche dunklen Mächte dort herrschen ... gerade Fantasy ist ein gefährliches Gebiet. Man kann ja nicht mit völliger Sicherheit wissen, was einen erwartet.“ Gerade dieser Nervenkitzel war eines der Dinge, die Nathan an seiner eigenen Fähigkeit so reizten. Wenn er allerdings die Verantwortung für die Sicherheit einer anderen Person übernehmen müsste, wäre das etwas ganz anderes ...
Sein Mentor nickte zufrieden.
„Genau das meine ich. Und da du das begreifst, sehe ich, dass ich dich richtig eingeschätzt habe. Die Sache hat allerdings noch eine Kehrseite. Du könntest auch Personen aus anderen Welten hierher bringen. Aber ich will dich warnen. Niemand kann absehen, was geschehen würde, wenn du das tust, also erzähle am besten niemandem davon und setze diese Fähigkeit vorerst nicht ein. Das Wichtigste im Moment ist ohnehin die Tatsache, dass du diese Fähigkeit noch nicht beherrschst - du musst es lernen. Dies wird die nächste Stufe deiner Ausbildung sein.“
Für eine Weile fühlte Nathan sich völlig erschlagen von den Informationen, die er gerade vernommen hatte. Er war froh darüber, dass sein Mentor ihn zu Beginn des Gespräches gebeten hatte, Platz zu nehmen, denn im Moment war er sich nicht sicher, ob seine Knie ihn tragen würden. Stattdessen versuchte er zu ergründen, was er nun fühlte. Im ersten Moment war es Verwirrung und Überraschung gewesen - und Zorn. Darüber, dass man ihm eine so wichtige Information vorenthalten hatte. Doch der Zorn war schnell verraucht.
„Ich verstehe, warum ihr mir das erst jetzt erzählt. Ich ... ich hätte nie für möglich gehalten, dass meine Gabe solche Ausmaße besitzt ... ich war immer zufrieden mit dem, was ich konnte.“
Er schwieg einen Moment lang, doch plötzlich ergriffen Aufregung und Neugier von ihm Besitz. Mit leuchtenden Augen erkundigte er sich:
„Ich muss zugeben, etwas langweilig fand ich es schon, immer wieder nur Verantwortungsunterricht zu haben ... wann geht das neue Training los?“
Sein Mentor lächelte mild ob seiner Begeisterung. Vielleicht erinnerte er sich daran zurück, wie er einst gelernt hatte, mit seiner Fähigkeit umzugehen.
„Bis morgen wirst du dich noch gedulden müssen. Die genaue Zeit wirst du noch erfahren. Für den Rest des Tages hast du übrigens frei!“ Er zwinkerte ihm zu, wurde aber noch ein letztes Mal ernst und blickte Nathan eindringlich an.
„Und damit wir uns verstehen: Keine leichtsinnigen Experimente bis dahin!“
„Versteht sich“, erwiderte Nathan beflissen, hörte jedoch bereits gar nicht mehr richtig zu, so sehr hatte ihn nun die Euphorie gepackt. Eilig erhob er sich, murmelte ein Dankeschön und einen Abschiedsgruß und verließ das Zimmer. Draußen auf dem Gang verfiel er in einen eiligen Sprint. Er wusste zwar nicht wirklich, weshalb er so rannte, denn der morgige Tag würde auf diese Weise nicht schneller kommen, doch irgendwie musste er den Tatendrang umsetzen, der sich nun in seinem Inneren ausbreitete.
Dabei schenkte er allerdings seiner Umgebung zu wenig Aufmerksamkeit, was sich sofort rächte. Er stieß gegen ein Hindernis und fiel zu Boden. Ein Schrei ertönte, gefolgt von einem dumpfen Poltern.

Sein Kopf schmerzte ein wenig, doch ansonsten schien ihm nichts passiert zu sein. Langsam rappelte er sich auf und versuchte zu ergründen, wer oder was den Zusammenprall verursacht hatte.
Auf dem Boden lag ein Mädchen, welches wohl im gleichen Alter sein musste wie er selbst. Um sie herum lagen mehrere Bücher verstreut, die sie offensichtlich bei dem Zusammenstoß verloren hatte.
„Oh, tut mir furchtbar Leid, ich war so in Gedanken ...“, murmelte er peinlich berührt vor sich hin und bückte sich zu ihr herunter. „Ist alles in Ordnung?“
Das Mädchen wirkte ein wenig irritiert, nickte aber zögerlich.
„Ja, ich denke schon.“ Nun erst schien sie das Chaos um sie herum zu bemerken. „Oh nein, die Bücher... hoffentlich sind sie nicht beschädigt! Ich habe sie aus der Bibliothek ausgeliehen ...“
Ihre Augen begannen verdächtig zu glänzen.
Sein schlechtes Gewissen wuchs. Er hatte ganz sicher nicht beabsichtigt, das Mädchen umzurennen, und die Beschädigung der Bücher verursachte ihm beinahe körperliche Schmerzen. So viele kostbare Geschichten ...
Eilig half er ihr, das Verlorene wieder aufzusammeln. Dabei kam er nicht umhin, zu bemerken, dass sie seinen Lesegeschmack offenbar zu teilen schien.
„Das sind gute Bücher. Ich kann sie dir wärmstens empfehlen!“ Er reichte ihr die letzten beiden und blickte sie dabei aufmunternd an. Sie bemühte sich um ein Lächeln, doch es erreichte nicht ihre Augen. Diese schimmerten noch immer so seltsam ...
„Oh, bitte weine nicht. Es war ja keine Absicht!“, fügte er deshalb eilig hinzu, während sich erneut das schlechte Gewissen meldete. Er hoffte nur, dass sie sich wieder beruhigen würde, denn er war einfach schlecht darin, andere zu trösten.
Zu seinem Erstaunen lächelte sie nun richtig und kicherte sogar ein bisschen.
„Keine Sorge, ich werde nicht weinen. Zumindest nicht so, wie andere Menschen das tun ...“
Ohne Vorwarnung schossen plötzlich silbrige Fäden aus ihren Augen und landeten in seinen Haaren.
„Oh, entschuldige!“, rief sie aus. "Ich fürchte, ich hab das immer noch nicht so richtig unter Kontrolle ..." Vorsichtig wuschelte sie durch seine Haare. „Keine Sorge, es ist nichts Schlimmes, nur Spinnnenseide... das ist meine Fähigkeit. Ich heiße übrigens Carla.“
„Spinnenseide?“, wiederholte er ungläubig.
„Ja“, bestätigte Carla. „Bitte sag nicht, du findest das eklig.“
„Naja, in meinen Haaren muss ich das Zeug nicht unbedingt haben, aber ansonsten ist es in Ordnung. Ich finde Spinnen eigentlich total faszinierend - solange es keine Riesenspinnen wie in diversen Fantasyromanen sind“, meinte er und fügte hinzu: „Ach, bevor du fragst, mein Name ist Nathan.“
„Schön, dich kennenzulernen. Auch hier an der Akademie ist es gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der nicht gleich das Weite sucht, wenn er von meiner Fähigkeit erfährt. Du bist also schon mal besonders ... und du liest auch gerne? Immerhin meintest du, du könntest mir diese Bücher empfehlen“, sagte sie.
„Oh ja, ich lese sehr gern. Aber das ist noch nicht alles ...“, meinte er verschwörerisch und begann Carla von seiner Fähigkeit zu erzählen.

Und diese Begegnung war erst der Anfang.
Der Beginn einer tiefen Freundschaft und zahlreicher Abenteuer.

***

Für diejenigen, die es interessiert: Carla entstammt meinem ersten Beitrag zu dieser Challenge, welcher hier zu finden ist.
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