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"Tanz der Amphisbaena"

von Die Linda
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
Anthony J. Crowley Erziraphael
10.08.2020
15.05.2023
17
67.542
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2 Reviews
 
16.10.2020 4.133
 
Hallöchen und einen guten frühen Abend wünsche ich euch! ^-^

Der Anfang dürfte den Lesern meiner AiK-Geschichte wohl bekannt vorkommen. Und hier erfahrt ihr wie es wirklich abgelaufen ist.
Die beiden sind die Meister des Missverständnisses. Aber was soll man auch erwarten, wenn man doch eigentlich der Feind sein müsste? Mhh...

Meine Buchladeneröffnung ist natürlich anders, als die von Neil Gaiman (logisch), deswegen: verzieht mir ja keine Augenbraue nach oben. XD

Ich wünsche euch viel Spaß und eine tadellose Gesundheit. Und besonders ein herrliches Wochenende. (Ich selbst muss arbeiten.)  

Bis zum nächsten Mal, eure Linda ^-^

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Vorab war es nur ein großes Holzschild über dem zweitürigen Eingang. Vielleicht war es zu unbedeutend für einen sehnsüchtigen Traum, doch es musste herhalten bis der Steinmetz den Namen sorgfältig und für alle Ewigkeit in den hellen Granit eingravierte. Die Luft war etwas feucht und die Sonne zu müde um es als herrlichen Tag bezeichnen zu können. Und doch war dies solch ein lang erwarteter unbeschreiblicher Augenblick wie er ihn sich kaum in seiner Existenz hätte vorstellen können. Stolz und glückselig stand Erziraphael auf dem Bürgersteig und drückte die Brust durch, während er mit tiefen Lächeln auf die Eröffnung seines Buchladens schaute. An diesem trägen Apriltag waren kaum Menschen auf der Straße, vielleicht lag es an der frühabendlichen Stunde oder aber einfach nur an der Empfindlichkeit der Bürger. Der Engel streckte den kurzen Hals gen Himmel, um sich das frisch angebrachte Schild langanhaltend bestaunen zu können. Nun war es endlich soweit. Sein eigener kleiner gemütlicher Buchladen.
„Seltsame Gegend hast du dir dafür ausgesucht, Engel.“
Die klaren Augen begannen zu leuchten bei dieser vertrauten Stimme und er strahlte über das ganze ovale Gesicht, welches dadurch nur noch rundlicher und noch glücklicher wirkte. Er drehte sich zur Seite und blickte auf eine dunkle Gestalt mit hohen schwarzen Zylinder und kaum bemerkbaren Krawattenknoten.
„Crowley! Wie schön, du bist hier.“
Der Dämon hatte die Arme hinter dem Rücken versteckt und ließ über eine kleine schwarze Brille die Schlangenaugen lethargisch auf dem Engel ruhen.
„Scheinst es nun doch geschafft zu haben mit deinem Geschäft. Ich hatte schon Zweifel.“
Immer noch eifrig lächelnd, blickte Erziraphael ihm entgegen, während dieser zu ihm hin schlenderte. Der Engel nickte aufgeregt, als er sich auch schon über den hellen Zweireiher strich.
„Ja, ist das nicht fabelhaft? Endlich kann ich damit arbeiten was auf meiner >Liste der Verehrung< den zweiten Platz bestreitet: Bücher.“
„Was soll denn dann die Nummer Eins sein, etwa dein Engelszeug?“
Rotwerdend fuchtelte das blonde Wesen mit einer Hand in der Luft herum und konnte den Dämon plötzlich nicht mehr anschauen.
„Nein, nicht ganz. Aber...Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Meine ganze Aufmerksamkeit gilt jetzt nur noch dem sammeln von seltenen Büchern.“
Crowley kam dicht an ihn heran und trug die Hände immer noch ganz steif verdeckt.  
„Weißt du eigentlich dass dein Schild schief hängt?“
Schockiert wendete sich der Engel rasch wieder seinem Geschäft zu und suchte fieberhaft nach der Fehlstellung.
„Nicht doch. Dabei habe ich ihnen doch ganz genaue Anweisungen gegeben. Aber wo soll es denn ungerade wirken? Ich kann es nicht erkennen.“
Während der arme Erziraphael mit engen Augen den inkorrekten Winkel entlarven wollte, stellte sich Crowley direkt hinter ihm auf  und streckte sein Kinn über dessen Schulter hinweg.
„Doch, schau, dort links.“
Frustriert dadurch den Fehler nicht zu finden, achtete Erziraphael gar nicht darauf, wie sich sein dämonischer Freund hinter ihm zu schaffen machte. Sogar das der schwarze Zwirn mit dem beigefarbenen Stoff kollidierte bemerkte er gar nicht. Erst als Crowley ausschweifende Armbewegungen um den Oberkörper seines Engels veranstaltete, blinzelte dieser erstaunt auf. Und plötzlich streckten sich zwei hübsche Dinge vor Erziraphaels Nase aus. Ein mächtig duftender Strauß roter Rosen und eine üppig verzierte Pralinenpackung.
„Zur Erfüllung deiner Sehnsucht.“
Nuschelte der Dämon verlegen in sich hinein, als er auch schon bemerkte wie Erziraphaels Gesicht vor Freude glühte.
„Oh, Crowley! Du...“
„JaJaJa, hier nimm es einfach.“
Rasch drückte das dunkle Wesen seinem Freund die Geschenke in beide Hände und stellte sich wie unbeteiligt an dessen Seite. Überglücklich und voller Hingabe roch der Engel an den Rosen und schlug die Augen vor Verschüchterung halb nieder.
„Ich hatte gehofft du würdest erscheinen.“
Mit unbewegter Miene verschränkte der Dämon nur die Arme vor die Brust und blickte die Fassade des Eckhauses entlang. Er tat so als würde er irgendetwas mit den Augen überprüfen wollen.
„Ist nur eine kleine Aufmerksamkeit, nichts weiter. Mach es erst auf, wenn ich weg bin.“
„Oh doch, natürlich ist es was Besonderes. Es erfreut mein Herz, ich danke dir.“
Crowley räusperte sich und rückte seinen düsteren Samtzylinder zurecht.
„Ach, red nicht so. Du weißt ganz genau das ich es nie vergessen hätte.“
Immer mehr in sich hinein kichernd deutete der Engel mit den vollgepackten Armen zum frischgestrichenen Portal hin.
„Möchtest du mit hineinkommen?“

Währenddessen der frischgebackene Geschäftsinhaber den Blütenreichen Strauß in eine venezianische Vase zur Geltung brachte, schaute sich Crowley aufrichtig beeindruckt um. Doch vor einem bestimmten Holzregal blieb er dann wirklich verblüfft stehen.
„Wo zum Henker hast du denn all die Jahrtausende die Schriftrollen von Alexandria untergebracht?“
Kichernd roch Erziraphael noch einmal an den Rosen und nahm die Schokolade zur Hand.
„Wo ein Wille ist da ist auch ein Weg. Klitzekleine Geheimnisse musst du mir schon gestatten. Sag mal, das ist ja exquisites Konfekt. Es duftet herrlich.“
Erneut versuchte Crowley gleichmütig zu wirken und federte auffällig lässig zu ihm hinüber.
„Ach naja, die sind mir zufällig in die Hände gefallen als ich jemand ins Unglück gestürzt habe. Die lagen da so herum.“
„Die stammen aus Belgien, mein Lieber. Und außerdem steht mein Name auf dem kleinen Kärtchen. Oh, du hast sogar einen kleinen Text für mich verfasst.“
„Ich hab doch gesagt, dass du es später aufmachen sollst!“
Abrupt nahm Crowley ihm die kantige Packung aus der Hand, verschloss diese übereilig wieder und schob sie weit über den noch freien Beistelltisch hinweg.
Erziraphael indes trat mit einem warmen Lächeln an ihn heran und kicherte über dessen Unbeholfenheit.
„Ich bin froh, dass du hier bist.“
Crowley entspannte sich wieder, gleichwohl es mit verzogener Mimik geschah, worin der Engel aber nur eine ausgebreitete Verlegenheit erkannte.
Nachdem ihn Erziraphael anbot Platz zunehmen, breitete sich der rothaarige Dämon mit seinem hohen Körper bequem auf dem Diwan aus und warf den Zylinder irgendwo neben sich nieder. Während sein Gefährte ein Gläschen Port für ihn zurecht machte, blickte sich Crowley um und entdeckte zahllosen Tinnef und Feinheiten, die er sich selbst niemals in eine seiner Unterkünfte stellen würde. Wozu auch? So ein Quartier soll doch nur zum Faulenzen dienen, mehr nicht. Aber hier findet man ja wirklich jeglichen Schnickschnack. Angefangen bei kleinen Bronzefiguren bis hin zu versilberten Tabakdosen, Brieföffnern (überhaupt jedwede Art von Schreibutensilien), einer Standuhr, eine Puderquaste, Pfeifenständer,...Moment! Puderquaste? Die bräuchte er durch nur als Menschenfrau! Aber Crowley hatte doch dafür gesorgt, dass er so etwas nie wieder tun konnte. Er straffte sich aus seiner Lungerstellung heraus und äugte angestrengt auf dieses leicht gewölbte Fellteil, welches brav und ruhig in der kurzen, aber dickbäuchigen Porzellanschale wartete. Gerade als Erziraphael mit einem geschliffenen Glas zum ihm kam, nickte Crowley mit einer unterdrückten Erregung auf das kosmetische Accessoire.
„Wieso...hast du das da?“
Mit einem fragenden Lächeln folgte der Engel dessen Bewandtnis und sein Gesicht gewann etwas rote Farbe.
„Oh, ähm, ich...das ist für mich.“
„Das habe ich mir schon gedacht, aber warum?“
„Das Puder macht die Haut wunderbar geschmeidig, das kannst du dir nicht vorstellen. Außerdem habe ich dieses Döschen aus einem Gentleman Club. Es handelt sich um echte Schwanenhaut. Ich trage es jeden Abend auf, es fühlt sich so angenehm an.“
Satan. Sei. Dank. Innerlich ließ der jubelnde Tanz der burmesischen Eingeborenen Crowleys Hüften schwingen, aber äußerlich zuckte er nur mit den Schultern, brummte ein „Achso“ und nahm einen großen Schluck des Rotweins und lehnte sich wieder selbstgefällig und nun friedlich in das Polster zurück. Da der Engel nichts von dem zur Ruhe senkenden Krieg in ihm mitbekam, führte auch er nun sein Glas an die Lippen und blieb dabei noch ein bisschen stehen. Erziraphael musste sich arg zusammen nehmen um nicht wieder zu dem schokoladigen Geschenk zu gehen, um nachzulesen was der Dämon wohl für ihn geschrieben hatte. Apropos, Schokolade!
Urplötzlich erschien die pure Sonne in des Engels Gesicht. Eilig stellte er sein Glas neben das Schachbrett, klatschte in die Hände und brachte den eierfarbenen Rock zum wippen.
„Stell dir vor, ich habe vor wenigen Tagen eine höchst befriedigende körperliche Erfahrung gemacht!“
Ruckartig prustete Crowley den Port im Mund wieder hinaus und verteilte ihn großzügig auf dem Teppich. Er hustete heftig und klopfte sich gegen die Brust.
„Du..(hust)..hast..was?!“
Nun blickte der Engel nicht mehr ganz so erfrischt, sondern zeigte angehoben empört auf den Boden.
„Hast du soeben durch meinen neu eröffneten Laden gespuckt, direkt auf meinen neu gekauften Perserteppich?“
Mit einer unbedeutenden Bewegung verschwand jeder Fleck mit einem Schlag und Crowley kniff ein Auge vor Tränen zusammen, der Krampf im Hals ließ allmählich nach.
„Sag das noch mal. Du hast was gemacht?“
Und schon wieder wog sich Erziraphael bei jener Erinnerung in großer Freude und Liebreiz.
„Oh, Crowley, so etwas habe ich noch nie erlebt. In all den Jahrtausenden habe ich noch nie solch ein Kribbeln gespürt. So tief in mir drin und gleichzeitig auf der Haut.“
Starr und mit offenem Mund blinzelte Crowley wie unter Strom auf dieses selige Wesen vor sich und konnte es einfach nicht fassen. Nicht glauben, nicht begreifen. Erziraphael hatte Sex? Plötzlich bildeten sich Schweißperlen auf der dämonischen Stirn und er riss sich die Brille herunter. Nein, nein, nein, nein, das durfte nicht wahr sein!
„Du...Du hast...hast es wirklich...? Ich meine...Aber das passt nicht zu dir. Du bist ein Engel! Du bist der Engel schlechthin! Ihr seid dafür doch gar nicht gemacht, du schon gar nicht! Nie und nimmer!“
Er ließ die Hände sinken und betrachtete mit Skepsis in den Augen den aufgebrachten Dämonen eindringlich.
„Mag schon sein, aber dennoch habe ich es gewagt. Es schadet mir schon nicht, hoffe ich. Eine kleine Sünde darf selbst ich mir erlauben. Außerdem habe ich noch nie gehört, das jemand von uns deswegen bestraft worden wäre. Ich kann dich dennoch verstehen, wenn du mich in Frage stellst, schließlich weiß man nie was es mit uns Engeln anrichtet, sobald es in uns drin ist. Dennoch, du sagst doch selbst immer, ich solle ab und zu etwas neues wagen.“
„Na, so neu ist das nun auch nicht mehr. Das existiert bereits seit Anbeginn der Zeit. Erinnerst du dich an Eden? Da wurde es doch faktisch erfunden. Und außerdem tun das auch sämtliche Tiere, also Affen, Fische, ähm...Hunde und so was.“
Verdutzt sanken Erziraphaels Schulter ein und er blickte aufrichtig überrascht.
„Tatsächlich? Oh, das war mir nicht bewusst. Naja, aber für mich ist es neu. Und ich hätte niemals gedacht, dass es mir so eine Verzückung bescheren würde. Oh, ich konnte es noch den ganzen Tag nachspüren. Es brachte meine Seele regelrecht in Wallung. Zu Anfangs glaubte ich nicht, dass es mir gefallen würde. Wie gesagt, du weißt ja wie ich im Umgang mit neuen Erfahrungen bin, aber Cedrik meinte -“ Crowley spitzte die Ohren.
„Cedrik? Wer zum Kuckuck ist Cedrik?“
Irgendetwas brodelte in dem Dämon und es ließ ihn sehr sehr warm werden. Stimmt ja, da musste es ja noch jemand anderen geben. Wer war wohl der zukünftige Verdammte, dessen Seele Crowley bis in alle Ewigkeit höchstpersönlich quälen durfte? Erziraphael machte eine lapidare Handbewegung.
„Oh, er ist ein Landjunker, der in London hin und wieder kleine Gesellschaften gibt. Unsere Bekanntschaft zieht sich seit über ein Jahr hinweg, er ist wirklich ein wunderbarer Knabe. Nur leider viel zu launig, aber das bin ich ja gewohnt. Nichtsdestotrotz habe ich ihm dieses Erlebnis zu verdanken. Immer wieder und immer wieder versuchte er mich dazu zu überreden, nur wollte ich nie. Irgendwann führte er mich aber in einen ganz besonderen, hinreißenden Raum, wo wir beide allein sein konnten. Und dann tat ich es doch. Und oh, es war das Paradies auf Erden.“
Crowleys Oberlippe zuckte nach Oben und er spreizte die Beine wie für einen Angriff.
„Ach, ist das so, ja? Hat er dir vielleicht noch das Blaue vom Himmel versprochen? Dir teure Geschenke gemacht oder dich mit übelschmeckenden Komplimenten süß umwickelt?“
Er wusste schließlich wie solche Maschen funktionierten, er war ja einer von diesen Umwicklern. Der Dämon knurrte auf und das Feuer in ihm stellte sich soeben auf die höchste Stufe ein. Während der Engel immer nur verwirrter wurde und ungelenke Geste vollführte.
„Nun, nein, eigentlich nicht. Wieso sollte er auch? Es war doch mein freier Wille. Gut, ich gebe es zu, das Zimmer verführte mich dazu, es war der blaue Salon. Er wusste das ich mich in diesem Raum am wohlsten fühle.“
Dazu fiel dem blonden Buchhändler gleich noch etwas ein.
„Ach ja, er hat mich gleich danach für morgen eingeladen. Er will mir noch eine Kostprobe geben.“
Da platzte Crowley der Kragen und er sprang vom Sofa auf. Erziraphael erschrak und der Dämon grapschte nach dessen Manschette.
„Du wirst da nicht hingehen! Nie wieder! Verdammt, ich hätte besser auf dich aufpassen sollen und jetzt haben wir den Salat! Wo lebt dieser elende Lustknabe?“
Erst auf sein Gelenk, doch dann zurück in Crowleys aufgewühltes Gesicht blickend, hüpfte Erziraphaels steifer Kragen vor Empörung auf.
„Ich glaube nicht, dass man ihn so nennen kann. Er ist wirklich ein feiner Mensch, ein ausgesprochener Charmeur.“
„Klar, das bin ich auch, wenn ich das haben will.“
„Wie? Du hast es auch einmal erfahren?“
„Oh, Engel, ich bin ein Dämon. Ich praktiziere es quasi regelmäßig. In vielen lustigen Posen. Also wo finde ich ihn?“
„Er...seine Stadtwohnung liegt in Convent Garden.“
„Wo auch sonst. Du bleibst hier, ich komm bald wieder.“
Crowleys Stimmlage lag irgendwo zwischen schrill und bärbeißig. Aber auf jeden Fall war sie laut. Und er gestikulierte ebenso leidenschaftlich wie er aussah. Weil es ihn noch mehr anstachelte, da er versuchte an dem Engel vorbeizukommen, jener aber ständig dessen Durchlass verhinderte.
„Moment mal, warum willst du zu ihm?“
„Na, weshalb wohl? Ich werde diesem dreimal verdammten Hurenbock den Hals umdrehen und dann seine Seele nach unten in den Scheol schicken! Ich werde ihm persönlich die Foltergrube zeigen und bis in all Ewigkeiten dort schmoren lassen. Ich kenne sogar die richtigen sadistischen Leute dafür. Ha!“
Gleichwohl der arme Engel keinen Grund darin sah wieso der Dämon so zornig war, war er es dieses Mal der nach dessen Ärmel griff und ihn zurückhielt. Er klammerte sich regelrecht an den schwarzen Arm.
„Nein, lass ihn in Ruhe! Er hat doch nicht schlimmes getan!“
Der rote Kopf bellte herum und die gelbe Iris umfasste nun die komplette Augenpartie. Crowley begann zu zischen.
„Er tat das unehrenhafteste überhaupt! Niemand hat das Recht so etwas mit dir zu tun. Und wenn, dann bin ich der einzige in diesem ganzen verfluchten Kosmos der das darf! Ich hätte derjenige sein müssen und nicht so ein Gottverfluchter Mensch!“
Beinahe schon völlig überfordert, zog Erziraphael den dämonischen Körper immer wieder nach hinten zurück und schüttelte stets voller Verzweiflung mit dem Kopf.
„Hätte ich auch nur geahnt welchen Wert du plötzlich auf solche Köstlichkeiten legst, dann hätte ich seine Einladung dazu doch abgelehnt und hätte sie mit dir geteilt. Wieso hast du auch nie gesagt, dass du mit mir Kakao trinken möchtest? Du hättest mich doch bloß fragen brauchen.“
Kakao? Kakao?! Kakao!
Wie von einem Eiszapfen gerammt erschlaffte jeder Muskel im dämonischen Körper. Sein kantiges Gesicht schlief ein und er drehte sich wie hypnotisiert zum Engel herum.
„Kakao? Ich meine, natürlich, Kakao, ähm...wie..wieso hast du bloß mit dem Kerl Kakao getrunken? Ich wollte so gerne diese Erfahrung mit dir teilen.“
Als hätte man einen Welpen im Regen stehengelassen, wölbten sich Erziraphaels Augenbrauen zum Schuldbewussten hin und er ließ von Crowley ab.
„Ich hatte doch keine Ahnung, dass du es auch so gerne trinkst, das musst du mir glauben.“
„Ja, ja, schon gut.“, sprach er rasch und wandte sich wieder in das Innere des Ladens. Mit nervös massierenden Fingern blickte der Blonde dessen Schritten nach.
„Dann...Dann willst du also nicht mehr zu ihm?“
„Wie? Oh, nein. Ich denke, dass ich ihn dieses eine Mal verschone, aber wehe er zeigt dir wieder etwas neues. Wenn das der Fall ist, dann komm vorher zu mir und dann zeig ich es dir, klar?“
Lächelnd nickte der Engel und sah freudig dabei zu wie sich Crowley wieder in die Couch plumpsen ließ. Auch wenn ihm diese plötzliche Wendung sonderbar vorkam, wollte er nicht darüber nachdenken. Wer wusste schon, was wirklich alles in diesem dämonischen Kopf vor sich ging?
„Aber ich wusste gar nicht, dass Affen oder Hunde Kakao essen, geschweige denn trinken.“
Innerlich auf das höchste blamiert, räusperte sich Crowley nur und blickte wie desinteressiert in sein leeres Glas hinein.
„Da kannst du mal sehen wie du durch die Welt gehst, Engel.“
Nachdem Erziraphael ihm nachgegossen hatte, war der Rothaarige einfach nur erleichtert, dass der Gefährte gar nicht begriffen hatte, in welches Schmalzartige Fettnäpfchen der Dämon soeben mit beiden Füßen getreten war. Allmählich hatte er sich aber wieder entspannt und war dankbar und fröhlich darüber, dass sein Engel noch immer das liebreizende Unschuldslamm erster Hand war. Satan sei Dank, danke, wirklich.
Draußen beschloss der Tag sich dem Abend gänzlich hinzugeben und Erziraphael zündete einige hohe Kerzen an, ihr Licht flimmerte natürlich heller als das normaler Kerzen. Sie hielten auch länger.
„Was tust du eigentlich hier in London?“
Nun saß er endlich mit schottischem Whiskey neben Crowley und blickte ihn interessiert an. Der Dämon blieb beim Port.
„Das weißt du doch, um deine Buchladeneröffnung zu feiern. Cheers.“
Daraufhin stieß er den Glasrand an den des Engels und trank es mit einem Schluck aus. Eine winzige andere Wahrheit versteckte sich schon hinter dieser Aussage. Denn Crowley war wirklich wegen Erziraphael hier, aber auch weil er sich eine Bleibe hier in London suchte. Und zwar für immer. Schließlich war London nun des Engels neue Heimat, also....
„Nur deswegen? Oh, wie liebenswürdig von dir.“
„Pff, Quatsch. Ich habe zur Zeit bloß keine Aufträge. Gibt´s bei dir was neues?“
Auf diese Frage hin, offenbarte sich das runde Gesicht zu einer erkenntnisreichen Miene.
„Da fällt mir ein, ich hingegen habe etwas neues für dich!“
Der Dämon beäugte argwöhnisch was wohl der Blonde für ihn haben würde. Etwa ein Buch? Teufel bewahre.
„Es ist ein Buch.“
Wer hätte es geahnt?! Crowley seufzte und rutschte tiefer in den Sitz, zauberte sich noch mehr Rotwein ins Glas und trank beinahe alles aus. Dabei beobachtete er Erziraphael dabei, wie dieser ganz enthusiastisch jedes Regal nach dem gesuchten Druckwerk abwickelte. Es war schon recht drollig und irgendwie auch niedlich, gluckste Crowley in sich hinein und trank einen weiteren großen Schluck. Aha, er schien es gefunden zu haben. Denn der Engel machte eine erkenntnisreiche Geste und griff nach der Regalleiter und stieg empor. Natürlich befand sich das Büchlein in der obersten Reihe.
„Es ist ein wissenschaftliches Werk, weißt du? Von Pierre-Simon Laplace, Die Himmelsmechanik. Es geht um das Drei-Körper-Problem; Schwarze Löcher und um das Sonnensystem allgemein. Bestimmt wird es dir gefallen. Ich habe es von einem anderen Geschäftsinhaber bekommen. Allerdings bereits letzte Woche weggeräumt.“
Nach einem tiefen Seufzer, aber durchaus nicht ganz dem Thema abgeneigt, sah er nur zu, wie Erziraphael frustriert die Arme sinken ließ. Dann hörte sein feines Dämonengehör:
„Ach, das ist ja doch ein anderes. Wo habe ich es denn bloß abgeschoben? Ach da.“
Gerade als sich Crowley einen weiteren Schluck genehmigen wollte, dehnte sich der Engel weit über den Rand der Leiter hinweg. Streckte sich radikal nach links aus und musste sogar das Bein nach hinten wegstrecken um die Balance halten zu können.
„Ich hab´s gleich.“
Oje, das wird nix, dachte sich der Dämon bloß, bugsierte das Glas rasch gegen das einzige Sofakissen und eilte auf die Leiter zu. Doch in dem Augenblick als Crowley in der Nähe der dunkel gefärbten Holzsprossen war, erreichte Erziraphael das Buch und verlor dabei das Gleichgewicht. Ein kurzlebiger Schrei und ein Dämon der plötzlich nach vorne hechtete. Als wäre er das wichtigste und einzige in der Welt, presste Crowley den abgefangenen Körper fest an sich und schirmte jede Aufprallgefahr mit seinem eigenen Leib für ihn ab. Es krachte fürchterlich und der Boden hieß ihn mit all seiner stolzen Härte willkommen.
Staub konnte nicht aufwirbeln, es war ja noch keiner vorhanden. Erziraphael stöhnte kläglich auf und öffnete nach dem Schreck beide Augen. Kaum, dass er Crowleys verkrampftes Gesicht erblickte, spürte er auch gleich wie die dämonischen Finger ihn umklammerten. Er lag halbwegs auf dem anderen Wesen und berührte mit der Nasenspitze beinahe die des anderen. Eigentlich hätte er fragen sollen wie es ihm geht. Eigentlich hätte er sofort von ihm herunterklettern sollen. Und eigentlich müsste sich seine Natur sträuben und wehren, da diese teuflische Gestalt so dicht an ihm dran war, ihn berührte und ihn an sich presste. Doch in Wahrheit konnte er nur im Hier und Jetzt sein. Er schaute in diese wunderhübschen Augen und fing es auf, wenn sie ihn zurück anfunkelten. Crowleys feiner Atem landete auf seiner Haut und sein Körper fühlte sich wohl unter diesen Händen. Unwillkürlich lächelte Erziraphael ganz sanft und der Dämon erwiderte es.
„Geht´s dir gut, Erzi?“
„Ja. Und dir?“
„Fein.“
Ihre Stimmen klangen zärtlich und leise, beinahe so, als fürchteten sie, dass durch die falschen Worte oder gar durch den lauten Ton etwas zerstört werden könnte. Denn dann schwiegen sie, blickten sich einfach nur in die Augen und schwiegen weiter. Das Wachs der Kerzen floss zeitlos fort und der Abend senkte sich immer weiter. Crowleys Hände strichen ihm über den Rücken und blieben bei den Schulterblättern liegen. Seine Augen wanderten über dieses weiche Gesicht und hingen an den himmlischen Lippen fest. Dieser Körper fühlte sich so süß schwer auf ihm an und eine Stimme sprach ihm Mut zu, bettete seine Seele zur Ruhe. Erziraphaels Herz pochte wie ein Orchester in der Brust und auch er starrte auf diesen geschwungenen Mund. Er sah das Crowley das Gesicht vorsichtig nach ihm reckte.
>Blim Blim.<
Das Türglöckchen! Schoss es dem Engel durch den Kopf und er preschte von Crowley herunter.
„Mister Fell? Verzeihen Sie, Sir, dass ich eintrete. Hier ist Mr. Snuggles. Sie fragten doch wegen eines Exemplars von Herschel. Mister Fell, sind Sie da?“
Das darf doch nicht wahr sein, stöhnte Crowley und ließ den Kopf unnachgiebig auf dem Parkett landen. Übernervös kniete Erziraphael nun neben dem Dämon und hielt das astronomische Buch fest an sich.
„Bleiben Sie bitte im Eingangsbereich, Mr. Snuggles! Ich komme sofort!“
Als sie sich wieder ansahen, lächelte der Engel nur verlegen und gab Crowley das Buch.
„Wartest du, bis er wieder gegangen ist?“
Erstaunt blinzelte der Rothaarige ihn an und schaute kurz auf das Geschenk. Er dachte an das beinah-geschehene-Szenario und dann grinste er schief.
„Klar, wenn du das möchtest.“
Fröhlich darüber seufzte Erziraphael aus und erhob sich.
„Wie schön, denn ich möchte mit dir etwas bestimmtes besprechen. Es hat ein wenig mit Rom zu tun. Also als wir uns 41 dort getroffen haben. Aber ich erkläre es dann genauer, ich bin gleich wieder da.“
Kaum das der helle Gehrock zwischen den Regalen verschwunden war, schien es totenstill um ihn herum geworden zu sein. Er hockte da, mit trockener Kehle und einem leergefegten Kopf. Rom! >Erzi wollte mich etwas von unserem Treffen aus Rom fragen? Oh nein, nein. Bitte nicht. Was ist wenn etwas durch meine Sperre gesickert ist und er sich nun doch an gewisse Fetzen erinnert? Vielleicht an das, was ich ihm damals antun wollte?<
Aschfahl und schon panisch rappelte sich Crowley auf und hielt sich kurz am Holz fest.
>Wenn der Engel das alles erfährt, dann...dann ist es doch aus! Vorbei mit ihm und....mir! Er würde mich verfluchen, verteufeln und zum Henker wünschen. Nein, nein, nein!<
So wie er war, ohne Zylinder und Brille, stieß er sich ab und donnerte durch den Laden. Rempelte fast noch gegen Erziraphael, der soeben mit diesem Mr. Snuggels sprach und Crowley erschrocken anstarrte.
„Aber, Crowley, wo willst du denn hin?“
Ohne anzuhalten schlängelte er sich zum Ausgang hindurch und blickte den himmlischen Gefährten noch nicht einmal an.
„Ja, tut mir leid, aber..aber..mir ist doch noch eine Sache eingefallen die ich eigentlich nicht hätte vergessen dürfen. Wie sehen uns schon irgendwann. Mach´s gut.“
Das Glöckchen bimmelte, das Holz fiel ins Schloss und Erziraphael fühlte sich verlassen. Er sah auf die übereilt geschlossene Tür und begriff plötzlich nichts mehr. Außer, dass Crowley wohl doch besseres zu tun hatte. Eine bestimmte Traurigkeit ließ den Engel für einen Moment alles betäuben. Er wollte ihn doch noch fragen, ob ihm die Austern damals in Rom wirklich geschmeckt haben oder ob es nur eine Floskel war. Denn Erziraphael hatte ein italienisches Essen geplant, selbst gekocht und nur für sie beide.
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