"Tanz der Amphisbaena"
von Die Linda
Kurzbeschreibung
Dies hier ist eine Chronik. Angefangen in Babylon bis hin zum Zeitalter meiner anderen Geschichte "Apfel im Kelch" und darüber hinaus. Zusammengestellt aus OneShots und Zweit/Dreiteilern. Erziraphael und Crowley wirken so unterschiedlich, bis jeder von ihnen auf seine Art spürt, dass sie doch nur das Gleiche, sogar das Selbe wollen. Den Schutz, die Freude, das Glück des anderen. Und dessen Liebe...
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
Anthony J. Crowley
Erziraphael
10.08.2020
15.05.2023
17
67.542
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27.09.2020
4.481
Hallöchen, da bin ich wieder. ^-^
Ich hoffe euch geht es allen gut und ihr genießt das Leben?
Hier kommt nun der erste Teil des ersten Dreiteilers in der Chronik.
Ich weiß nicht ob ich es direkt als Wendepunkt bei den beiden bezeichnen kann, da es zwischen ihnen immer ein schleichender Prozess ist.
Aber auf jeden Fall ist dieses Ereignis wichtig.
Vielleicht habt ihr es bereits vergessen, aber diese Stadt und das Jahr wurden bereits in "Apfel im Kelch" erwähnt. Das Jahr einmal von Crowley und die Stadt von Erzi. Und nun lest selbst, was die beiden damit verbinden.
Nun ja, hoffentlich gefällt es euch. Seid vorsichtig und denkt viel nach.
Bis bald, eure Linda ^-^
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Eines der dickbäuchigen Fässer aus Kastanienholz stieß ihm unangenehm an die ganze Seite. Unterdrückt aufstöhnend hetzte er beide Hände an das geschlagene Holz und hielt es so zurück. Es rumpelte ein weiteres Mal und etwas Stroh kitzelte ihn durch die schwarze Kutte hindurch.
„Verzeiht mir, Bruder Erziraphael, aber diese Straße führt am kürzesten zurück nach Prag. Wir haben es nicht mehr weit. Vor dem Einbruch der Nacht werdet Ihr die Lichter meines Hauses sehen.“
„Ich danke Euch, guter Mann. Aber lasset mich der Höflichkeit halber doch am Markt abspringen und Ihr dürft Eures Weges ziehen.“
Der beleibte Mensch lachte herzhaft auf und peitschte sein Pferd, das den Karren zog.
„Nicht doch. Der erste Benediktiner, der eine tüchtige Hand und einen noch freundlicheren Geist besitzt, kreuzt nicht all Abend meinen Weg. Und hilft meinem gebrochenem Rad, wie durch die Hand Gottes, wieder tauglich zu werden. Meine Dankbarkeit erlaubt es mir nicht, Euch ohne einen vollen Magen mit Braten und Wein gehen gelassen zu haben.“
Durch diese köstliche Verkündung setzte sich Erziraphael dann doch angenehmer in das Stroh zurück und genoss, trotz der poltrigen Fahrt, die weiten Stoppelfelder und Wiesen, vor der Stadtmauer zu Prag. Er saß auf der offenen Fläche des Karrens und ließ die Beine in dem dunklen Habit selig baumeln. Erziraphael lebte zu jener Zeit in einem Benediktinerkloster, welches allerdings etwas außerhalb und am Ufer der Moldau seine Steinmauern beherbergte. Dennoch führte ihn eine unbestimmtes Gefühl in das Herz von Prag hinein.
Der Mensch, welcher sich als Schankwirt kundgab, war breitschultrig und besaß Körperhaar wie ein altertümlicher Bär. Seine Mitte wies ihn tatsächlich als einen Wirt aus und die Nase zeugte von einem gut gedeihenden Geschäft. Als sie die Stadtmauer passierten, sang jener unversehens ein heimatliches Lied und grüßte nebenher Feldscher, Lederer, Handwerker, Kaufleute und Schmiede auf den Straßen. Jeder von allen. Ein Wirt war eben der Freund eines jeden Bürgers. Der Abend dämmerte und die Straßen wurden zu Gassen. Zünfte gebaren ihre eigenen Geräusche und Gerüche. Es entstanden Lücken zwischen den Menschen und die Kerzen wurden allmählich entzündet. Der Weg begann immer unmanierlicher zu riechen und der Boden bewirtete ausschließlich Dreck und Unrat.
„Nun kann ich es mein Heim nennen, Bruder Erziraphael. Ah, wie treu doch das Weibe sein kann. Steht vor der Tür und winkt mit der strammen Hand, das teure Ding.“
Noch während der Wirt mit einem „Brrr, Marek, brrr.“ das Pferd zum halten brachte, zog es die Hände der Matrone an den Kutschbock. Ihr hochgestecktes dunkles Haar wippte gescheucht herum und ihre Schürze zeigte abgeschmierte Flecken.
„Bedrich, eile dich, sie toben. Sie hausen und mehr. Bedrich, sie schimpfen. Ich kann bereits den Boden der Fässer sehen. Eile herein!“
Da hörte man das Lachen, Poltern und Krachen. Bleich wie das Stroh auf seinem Karren, jagte auch der Wirt herunter.
„Oh, Weib, was hast du getan?“
„Ich weniger als die da.“
Die nervösen Eheleute stürmte in das Wirtshaus. Und ist nicht der Schaden anderer, der beste den es gab? Wenige Bürger tummelten sich vor jenen Fenstern und schwatzten unrühmlich, während sie ihre Köpfe schüttelten vor lauter Tugendhaftigkeit. Erziraphael brachte die Sandalen auf den unebenen Boden und verzog das Gesicht vor Ekel. Als es im Inneren des Hauses erneut johlte und schepperte, erreichte ihm auch schon die stachelige Aura. Der blonde Kopf huschte auf und stierte zur geöffneten Wirtstür herum. Er hörte ein Lachen. Ein lautes, rauchiges Lachen. Die Lider um die blauen Augen weiteten sich, als er nach zwei eiligen Schritten unter dem Türsturz stand.
„Oh, Allmächtiger. Das darf doch nicht wahr sein.“
Fassungslos entdeckte Erziraphael fünf Männer auf unwirsch stehenden Tischen. Sie hatten sich ineinander gehakt und sangen ein schreckliches Trinklied. Laut und verdorben. Der Wirt und seine Frau sausten um die Trunksüchtigen herum und drohten mit dem Brechen einiger Knochen. Doch die Männer lachten mit ihren roten Gesichtern und schwenkenden Krügen. Und in der Mitte dieser Leute krümmte sich Crowley vor Lust und Trank. Er tanzte zusammen mit ihnen auf dem Holz und stieß alles herunter, was die ungehobelten Füße erreichen konnten. Auch er schien volltrunken zu sein, was sein wankendes Hüpfen versiegelte. Sie schrien und spukten nach dem Schankwirt, als sich Erziraphael ins Innere traute. Crowley hing mit jeweils einem Arm, über den Schultern zwei männlichen Menschen und dehnte sich weit nach vorn. Es sah so aus, als wollte er dem Wirt in die Nase beißen.
„Verkrümel dich, du....du Schalk oder...oder ich werde eine Armee heraufbeschwör-“
„Crowley hör auf damit und komm da herunter!“
Der kräftige Herr der Schänke wandte mit voller Überraschung sein Gesicht zu Erziraphael herum.
„Aber, Bruder, Ihr kennt diesen Trunkenbold?“
„Nun, dies könnte man so sagen, ja. Er ist...ist einer unserer Pilger aus dem Kloster.“
Gerade als der Wirt etwas erwidern wollte rülpste der Dämon laut aus und lachte hintendrein. Seine Saufkumpanen stimmten natürlich frohen Gemüts mit ein. Erziraphael gebar eine Ekelmiene und wedelte sich diese stinkenden Atemfahnen aus der Luft. Als Crowley sich noch tiefer neigte und mit berauschten Wangen dicht vor das Engelhafte Gesicht kam.
„Na, wen haben wir denn da? Gott hat einen Laufburschen geschickt, um uns zu bekehren. Los, zeig mir deine Flügelchen, du kleiner Engel.“
Noch während Erziraphael den Mund voller lauter Empörung geöffnet hatte, trat der Wirt an seine Seite und deutete drohend auf Crowley.
„Wie kannst du es wagen, du magerer Tölpel? Zeig Benehmen einen Mann Gottes gegenüber oder ich werfe dich in den Dreck vor meiner Tür!“
Mit einem herausfordernden Lächeln leckte sich der Dämon über die Lippen.
„Versuch es doch, du schwabeliges Menschlein. Komm heran und ich zeige dir, was ein Diener des Teu..“
Ruckartig bedeckte Erziraphael Crowleys Mund mit einem Ärmel. Doch sein Blick voller Hast und Unsicherheit galt dem Menschen.
„Hört nicht auf ihn. Der Wein spricht aus seiner Kehle und nicht sein geklärter Geist. So lasst diese Sorge mit mir ziehen.“
„Aber dies Bürde ist zu gewaltig für Euch.“
Liebevoll lächelte der Engel den Schankwirt entgegen und versuchte nebenher den Dämon zurück auf den Boden zu bringen.
„Oh, sorgt Euch doch nicht. Die Gewohnheit solcher Männer ist mein ständiger Begleiter.“
Und an Crowley gewandt, zischte er leise und eindringlich.
„Hör endlich mit diesem Unfug auf und lass uns gehen.“
Noch bevor der Rothaarige ausweichen konnte, da zerrte ihn bereits Erziraphael von der Tischplatte auf einen Stuhl herunter. Erstaunlicherweise gelang es ihm ohne auf der spitzen Nase zu landen. Crowley lachte seinen Trinkbrüdern zu und hob den Arm zum Abschied. Augenrollend wollte Erziraphael soeben erneut nach dessen blutroter Tuche greifen, als ihn der Wirt eine neue Warnung mit auf dem Weg gab.
„Überlegt recht gut. Er scheint ein übler Kerl zu sein. Mein Stallbursche würde Euch begleiten, Bruder Erziraphael.“
Mitten im Satz, als der Engel dankend ablehnte, rülpste Crowley aus und beugte sich ungerade zwischen die beiden.
„Bruder? Ihr sieht euch gar nicht ähnlich.“
Seufzend trieb Erziraphael seinen betrunkenen Gefährten vor die Tür und verabschiedete sich übertrieben von den gaffenden Menschen, welche einen aufkeimenden Argwohn nicht verbergen konnten.
Mehr torkelnd als gemäß laufend wirbelte der Dämon den roten Schopf in jegliche Richtungen und flötete ein ungehöriges Lied nach dem anderen. Mit einem tiefrotem Gesicht gestikulierte der Engel dessen Lautstärke auf ein niedrigeres Niveau. Sonderbarerweise gelang dies ihm auch und Crowley schaukelte nun nur noch summend neben ihm her. Erziraphael fragte sich warum sich ihre Treffen eigentlich immer als Zufall erwiesen. Wie konnte es sein, dass sie sich ausgerechnet hier wiedersahen? Tja, es würde nichts nutzen mit dem Dämon jetzt solch eine Debatte anzufangen, denn dessen Schlagseite war einen Seemann würdig. Der Abend wurde stets kräftiger und die Menschen verdingten sich mehr an dem Treiben im Hause. Vereinzelte Karren und Händler kreuzten ihren Weg, als sie auf Gutdünken an einer neuen Schankstube vorbei kamen. Die bernsteinfarbenen Augen funkelten abnorm.
„Oh, schau was die Hölle mir beschert! Sie liebt mich!“
Ein Heimwärts ziehender Weber richtete die Ohren auf und starrte in ihre Richtung, als er jedoch Erziraphael erblickte, wandte er sich gänzlich um.
„Braucht Ihr Hilfe, Bruder?“
Crowley grunzte aus und fuchtelte wie toll zu ihm hin.
„Noch ein Bruder? Allmählich glaube ich, dass mir hier was verheimlicht wird.“
Die schwarze Kutte des Engels drängte sich vor den Dämon auf und lächelte beruhigend auf den Menschen ein, welcher von unzähligen Flusen seiner Arbeit behangen war.
„Nein, mein Sohn. Er ist nur ein verirrter Pilger, der das Heimweh mit dem Weine tünchte. Gott zum Gruße.“
„Gott zum Gruße.“ kam es ungläubig auf Crowley gerichtet, aber doch bestimmt von dem Gesellen und ging danach seines Weges. Als Erziraphael hinter sich bereits einen angewiderten Laut vernahm.
„Bäh. Schmeckt das ekelhaft auf der Zunge und meine Ohren fangen auch gleich an mit bluten. >Gott zum Gruße<, so was albernes, als würde er diese Dumpfnasen hier grüßen wollen.“
Zischelnd wirbelte der Engel wieder zu ihm herum.
„Shht, sag nicht solche Sachen.“
„Ich kann machen was ich will. Immerhin bin ich ein...“
„Nein, sei ruhig. Die Menschen in diesen Tagen sind mehr als nur Gottgefällig. Sie beugen sich dem Willen der kirchlichen Vorschriften und das ist lebensgefährlich. Jedes kleine Wort von der falschen Seite, könnte fatale Folgen bewirken. Selbst für dich.“
„Pff, ist mir herzlich Wurst.“
„Mir aber nicht!“
Verblüfft starrte Crowley ihn an und hielt auf einmal inne. Wieso war der Engel nur so aufgeregt und warum war er eigentlich so plötzlich hier in der Stadt? Der rote Kopf war leicht vernebelt und irgendwie schien ihm alles gleich, außer dieses Wesen vor ihm. Erziraphael übte schon wieder eine dieser intensiven Eindrücke auf ihn aus. Wie aus dem Nichts. Kopfschüttelnd wandte sich der Rothaarige um und torkelte weiter auf den Wall zu. Nicht darüber nachdenken, lass dir nicht einfallen dafür auch nur eine Sekunde zu verschwenden. Doch als er die tapsigen Schritte hinter sich hörte und genau wusste, dass nur ein Kerlchen des ganzen Komos´ diese Gangart beherrschte, spürte er den Grund einer Unzufriedenheit. Die Frachtbauhäuser standen hoch und schmal um sie herum, als wären sie die eigentlichen Bewohner und Dulder jener Stadt. Crowley fühlte sich plötzlich beobachtet und gaffte zu den einfachen Steinhütten empor.
„Hast du...hier einen Auftrag, Crowley? Wenn ich dich bei irgendetwas gestört haben mag, tut es mir natürlich leid. Aber du kannst nicht in dieser Zeit die Parolen deiner Leute so herum posaunen, als wärst du ein Barde auf einem Fest. Ich meine....“
„Wo sollte denn dieser Auftrag herkommen? Wem sollte das etwas nutzen? Sieh dich doch mal um! Es ist doch schon alles getan. Hunger; Pest, irgendwo herrscht Krieg, das tut er ja immer; Ängste, Tod. Punkt und aus! Und was hab ich zu tun? Nämlich nichts. Rein gar nichts. Ich hasse diese Zeit. Ich hasse dieses Jahrhundert und all diese Menschengemachten Probleme! Bin ich jetzt arbeitslos, oder was?“
Der Wächter des Tores begann soeben mit der Sperrstunde, als er auf das lautstarke Gewese aufmerksam geworden war. Wiederum bemerkte Erziraphael dessen Neugierde und ermahnte Crowley erneut zur Ruhe, doch der Dämon fuchtelte ihn nur von sich und gebärdete sich weiter.
„Es ist alles so beschissen! Es ist eine Gott verdammte Zeit!“
„Shht, nicht!“
Durch einige Eisenbestände der Uniform hörte Erziraphael zuerst die strengen Schritte eines Wächters, ehe er ein ernstes Gesicht in ihrer Nähe wahrnahm. Der Mensch trug einen mittellangen Bart und umgriff den Schaft seines Schwertes.
„Was war soeben sein gesprochenes Wort?“
Beinahe unter Panik schloss sich Erziraphael zu Crowley auf, stellte sich vor dem Wächter und brachte eine entschuldigende Miene ins Spiel.
„Es kam kein blasphemischer Gedanke von ihm, guter Mann. Er ist nur ein Betrunkener auf dem Weg zu seinem Stroh.“
Nicht eine Überzeugung eroberte die Züge des Menschen, auch weil er sein Schwert immerfort griffbereit hielt.
„Verzeiht, wenn ich nicht einverstanden bin, Bruder. Seine Zunge scheint zweischneidig. Er ist des öfteren schon aufgefallen und verzog das Wort Gottes in etwas fauliges.“
„Ein neuer Bruder? Wie viele verfluchte Geschwister hast du denn?“
Die volltrunkene Stimme Crowleys quetschte sich durch die Luft, wie der Gestank eines faulen Apfels. Oder waren das nur die Färber am Wall? Der Wächter ließ das geschmiedete Eisen aus seiner Scheide und stierte zornig auf den Dämon.
„Du Frevler! Du wagst es, Gotteslästerei zu betreiben?!“
Raschen Fußes tat sich Erziraphael erneut vor ihm auf und faltete die Hände zusammen.
„Nein, nein, es kam nicht vom Herzen. Seine Zeiten waren hart und sie bürden schwer in seinem Kopfe. Alles was aus ihm spricht ist der Wein. Bitte, vergibt ihm. Gott würde es.“
Durch des Engels reine und überzeugende Ausstrahlung versank die Klingenwaffe wieder im Leder und der Mensch schnaufte unentschlossen aus. Beruhigt griff Erziraphael nach Crowleys Handgelenk.
„Das Kloster heißt ihn Willkommen und dies soll noch am heutigen Abend geschehen. Gott wird Euch schützen, junger Mann. Gott zum Gruße.“
Mit einem widerspenstigen Blick auf Crowley, erwiderte er den Abschied an den Engel und ließ sie durch das Stadttor passieren.
Das Herz pochte aufgeregt, als er den betrunken Dämon hinter sich herzog und an der Moldau entlang bereits die Mauer des Klosters erblickte. Doch da riss sich Crowley mit einem Schlag los.
„Was soll der Pferdemist? Meine Unterkunft ist in der Stadt und nicht davor. Oder willst du mich gleich zum Scharfrichter bringen? Lass das lieber bleiben, den habe ich gestern nämlich beim Kartenspiel betrogen, ich glaub der hat´s mittlerweile rausgekriegt.“
Obwohl der Abend noch nicht so vollwertig begonnen hatte, erkannte man den Mond und wie er sich seinen Platz erringen wollte. Erziraphael drehte sich zu Crowley zurück und konnte nicht verhindern, wie der Habit dabei flattrig wurde. Doch genau dieser Aufwind ließ den Dämon zum ersten Mal den Engel genauer betrachten. Was? Plötzlich schrie Crowley auf und sprang eine Elle nach hinten weg. Zeigte mit ausgestrecktem Finger auf den himmlischen Gefährten und ward schlagartig nüchtern.
„Was soll denn diese Phase?“
Verwirrt was Crowley damit ansprechen wollte, folgte er der Geste und sah an sich herab. Plötzlich aber, stöhnte Erziraphael aus und blickte vorwurfsvoll zurück.
„Du siehst erst jetzt was ich trage?“
„Ich war immerhin betrunken.“
„Ja, aber nicht blind.“
In völligem Argwohn, welcher leicht in Besorgnis gekleidet war, zog sich der Dämonenkopf zurück und spielte mit der Mimik ein hässliches Stück.
„Also, was zur Hölle, ist bloß los mit dir?“
Erziraphael strich sich sanft über den rauen Stoff und schaute ihn beinahe schon lieblich entgegen.
„Nichts, nur....weißt du was es umwerfendes im Kloster gibt? Bücher! Ich arbeite im Skriptorium und darf mich den ganzen, lieben langen Tag um diese kostbaren Schätze kümmern.“
Ach so, pustete Crowley innerlich erleichtert aus. Na, wenn das alles war. Schon sichtlich entkrampfter ließ der Rothaarige den ganzen Körper hängen und schritt auf den Engel zu. Erziraphael schien in höchster Seligkeit zu schwelgen, während Crowley begann ihn zu umkreisen. Betrachtete sich diese schwarze Kutte von oben nach unten und musste feststellen, dass auch dieser Schnitt dem Engel stand.
„Kratzt dieses Ding nicht schrecklich? Also mich würde es besonders am Hintern...“
Mit einem Mal preschte Erziraphael vor und rückte mit dem Gesicht ungewohnt dicht an das des Dämons. Er hatte die Hände gefaltet und leuchtete Crowley mit einem leuchtenden blau entgegen.
„Oh, du kannst dir nicht vorstellen, wie unglaublich glücklich ich dort bin. Überall dieser Geruch von frischer Tinte, verstaubten Regalen und das kaum hörbare Klirren des Federkiels, wenn er am Fässchen abgestreift wird. So viel Schönheit in einem Gedanken, in einer Kleinigkeit.“
Sein Körper konnte sich dem nicht entziehen, sein Geist hatte sich fixiert. Ein süßer Duft drang auf ihn ein und er starrte in dieses funkelnde Augenpaar vor sich.
„Was riecht hier denn so zuckrig?“
Mit einem Griff in die weite Kuttentasche gab sich der Engel erst leicht überrascht, zwecks dieser Frage, und holte einen mageren, kleinen Beutel hervor.
„Ach, das sind nur meine Obstknödel. Eine Landesspezialität. Sie sind so deliziös, möchtest du einen?“
Mit einen noch breiteren Strahlen kam der Engel noch näher heran.
Crowley vereinte nur mit dem Kopf, doch weiteres sagen konnte er nicht. Dieses Lächeln, so frei und unverfälscht. Crowley stierte in dieses Gesicht und spürte nur seine starre und vertrocknete Kehle.
„Ich...ähm...ich...“
Doch anstatt sich über dessen Gestammel zu wundern, wandte sich Erziraphael nur kichernd ab und seufzte erneut voller Wohlwollen.
„Ach, diese Bücher, Crowley. Zum ersten Mal auf dieser Welt habe ich etwas gefunden, was mein Herz zum schmelzen bringt. Nie wieder möchte ich diese Objekte missen. Nie wieder. Ich glaube, dass ist es was die Menschen wohl Liebe nennen.“
Auch wenn er diese engelhafte Energie spüren konnte, diese himmlische Präsenz in seiner Seele stichelte, konnte er sich gerade nicht sattsehen. Crowley wurde ruhig, kehrte in sich. Die Welt im Dämmerzustand schien ein Traum geworden zu sein. Wolkenweich und glasklar. Wie verloren blickte er auf diese Erscheinung vor sich und sah nur eine unverdorbene Freundlichkeit. Eine, die soeben von Liebe sprach. Der Wind säuselte ein wenig auf und Crowley erkannte etwas sonderbares. Und dieses Sonderbare erstreckt sich über ein weites Feld. Denn auch dieses brachte etwas neues mit. Fortan hasste er diese Bücher.
„Ja....das ist wohl... Liebe.“
Murmelte der Dämon, ohne das es Erziraphael hörte. Doch plötzlich besann er sich und zuckte mit dem Kopf so ruckartig fort, als hätte er an Essig gerochen.
„Ich meine, nein, keine Ahnung, was Liebe bedeuten soll. Ich bin ein Dämon, ich habe keine Vorstellung wie sich so etwas anfühlen könnte. Pff, geh bloß weg damit. Wir sind schließlich hier um diese von der Erde auszumerzen.“
Die Vögel stimmten den heranrückenden Abend ein und der Himmel ließ Sterne erblicken. Erziraphael trat wieder zu Crowley heran. Dieses Mal jedoch etwas ernüchternder und etwas versteckt lächelnd.
„Du bist zwar ein vollwertiger Dämon, aber zu höheren Dingen fähig. Irgendwann wirst du auch etwas vor dir sehen, was du niemals wieder verlieren willst. Und es wird alles für dich bedeuten.“
In Crowley schlich sich eine Antwort von hinten heran, sie tat ihm weh und er wollte sie nicht wissen. Deswegen wedelte er nur gleichgültig herum und kratzte sich den Hinterkopf.
„Red nicht so´nen Ulk, sonst glaubt dir das am Ende noch jemand. Verschenke deine Predigten doch an Leute die mit solchen Unfug auch etwas anfangen können, ja? So, wenn du also nichts weiteres von mir willst, dann kann ich ja zurück in die Stadt gehen.“
Überrumpelt fanden Erziraphaels Hände zueinander, nachdem er die Leckereien wieder verstaut hatte.
„Hältst du das tatsächlich für eine gute Idee? Die Menschen haben dich vorhin allesamt seltsam beäugt und wie ich bereits sagte, dieses Jahrhundert ist nicht gerade Meinungsfreundlich.“
Wie stets bekannt, gab sich der Dämon in seinen schwarzen Schulterkragen der Apathie hin und schien beinahe zu tänzeln.
„Oh, was hab ich Angst vor den schwachen Sklaven dieser Schicht. Buhu, hörst du schon meine Zähne klappern? Nein, was soll ich nur tun? Engel hilf mir. Hilfe.“
Seufzend presste Erziraphael die Lippen aufeinander und raufte all seine Geduld zusammen. Er konnte es nicht ausstehen, wenn der Dämon seinen ganzen Spott über ihn verteilte.
„Ich meine es Ernst, Crowley. Es könnte gefährlich für dich werden. Wenn du keinen Auftrag hast, dann hält dich wohl nichts mehr hier. Oder übernachte doch wenigstens in einer der verlassenen Rußbrennerhütten im Wald.“
„Sicher doch, wie der schwarze Mann.“ verhöhnte Crowley ihn und brachte seine seitliche Tasche am Gürtel zum wippen. Sie trug einen unauffälligen Schlangenkopf als Schnalle.
„Lies nicht mehr so lange, Engel, es ist immerhin schon dunkel. Komm morgen mal auf einen Trunk vorbei, wenn deine Pfaffen dich lassen. Mach´s gut.“
Der Engel setzte einen Schritt auf ihn zu, doch ermahnte er sich selbst zur Besinnung. >Nein, halt, lauf ihm nicht nach. Er ist ein Dämon, vergiss nicht wer und was du bist.< Traurig blickte Erziraphael dem nach, was aus ihnen hätte werden können, wenn Crowley nicht so geringschätzig wäre. Dieser drehte sich noch nicht einmal nach ihm um und doch wollte Erziraphael ihm hinter eilen. Wenn es nach seinem Herzen ginge, dann würde er über ihn wachen. Doch was wäre er dann in den Augen des Dämons? Der schwarze dürre Rücken entfernte sich immer mehr und Erziraphael seufzte zu Erden. Hoffentlich passte er auf sich und sein Mundwerk auf.
Was hatte dieser Engel nur an sich, dass er so willensschwach wurde? Crowley knirschte mit den Zähnen und spürte eine geneigte Wut in sich aufsteigen. Er durfte nichts fühlen, in keiner Art und weise. Eigentlich konnte er sowas doch gar nicht. Er. War. Ein. Dämon. Verflixt und verteufelt. Dennoch flüsterte ihm eine kleine unsichere Stimme ein einziges Wörtchen zu: Rom?
Ein einziges Mal in seinem Leben hatte er sich den Gefühlen hingegeben und wo hatte es ihn hingebracht? In eine verfluchte selbst verachtende Situation. Und genau diese tat keinen von ihnen gut. Nein, nein, denk nicht an diese Schmach. Außerdem...ja, außerdem war das damals etwas vollkommen anderes. Erziraphael war schließlich als Frau verkleidet und nicht er selbst. Genau, so passte alles viel besser ins Bild. Kopfschüttelnd gelangte der Rothaarige an das Stadttor zurück und pfiff dem Wächter entgegen, der in seiner Tätigkeit inne hielt, jenes für die Nacht zu schließen. Crowley befahl ihm ihn einzulassen, doch der Mensch weigerte sich, wegen der späten Stunde. Wer zu viel vom Leben fordert müsse immerfort mit den Enden zufrieden sein. Außer natürlich ein Dämon. Er forderte ein weiteres Mal den Einlass, dieses Mal jedoch mit einer drohenden Gebärde.
„Ich hab´s dir gesagt, Kerl, niemand kommt zu dieser Stunde in die Stadt. Pack dich.“
Oh, das war nicht gut und Crowley wollte seine letzte Energie für den Tag eigentlich nicht an diesem Tollpatsch verbraten. Seufzend schnippte er einmal und der Mensch stand stocksteif da. Die Arme wie ein gefrorener Fisch an den Seiten und die Augen aufgerissen gafften geradeaus. Teuflisch grinsend sorgte Crowley dafür, das der Wächter wie ein Frosch durch die Gegend hüpfte und hinter ihm das Tor wieder verriegelte. Dann kam er quakend zu Crowley zurück und wartete hockend auf einen neuen Befehl. Abfällig patschte der Dämon dem Menschen ins Gesicht.
„Braves kleines Amphibchen.“
Schlenderte an jenen vorbei, während er ein weiteres mal einen Laut mit den Fingern erzeugte. Woraufhin der Mann verkrampft auf die gepflasterte Straße fiel. Lachend zog Crowley seines Weges, weil er es liebte, wenn sich alles seinem Willen unterordnete. Doch als er ein Trinklied anstimmte und in all seiner Selbstüberschätzung badete, hätte er ruhig bemerken können, wie ihn zwei argwöhnische und unheilbringende Augen aus einem finsteren Versteck hinterher starrten.
Es sah ebenso dürr wie sein Besitzer aus. Das hohe Häuschen befand sich in der Reihe des Färberviertels und trug bereits selbst diesen eingemachten Geruch. Crowley gefiel dieser Gestank von altem Blut und Urin. Es erinnerte ihn jedes Mal an die Hölle, wie schick. Kaum, dass er die klägliche Tür in den Rahmen stieß, fuchtelte er sich gänzlich leger zwei Flaschen Wein heran und warf sich auf das einzige Möbelstück im ganzen Haus: ein Bett. Sämtliche Kerzen flackerten plötzlich wie von Zauberhand gleichzeitig und ließen ihren Herrn gnädig in Frieden. Stöhnend und streckend ließ er alles störende von sich gleiten und spürte bereits hartnäckige Halme des Strohs im Nacken. Er hasste diese Zeit wirklich, alles in ihr war so ungemütlich und schwach. Gähnend gaffte er an die hellbraune Decke und entkorkte die erste Flasche mit den Zähnen. Wie der Engel ihn angeschaut hatte. Diese Augen sandten stets eine Botschaft. Eine recht undurchsichtige, zugegeben. Denn immer wenn Crowley glaubte, etwas wahrhaftiges darin lesen zu können, erklomm ein anderes kleines Fünkchen darin hervor. Und dieses kleine Bisschen zerriss ihn, weil er es einfach nicht lesen konnte. Er verstand es nicht. Noch weniger aber verstand er, was diese Blicke in ihm auslösten. Außerdem, was sollte dieser schmachtende Blick für diese Bücher? Waren diese gedruckten Blätter etwas um einiges besser als er? Tss. Lautstark stöhnend schlug Crowley den Kopf in sein Kissen zwei, dreimal nach und nuckelte gierig am Wein. Und warum in drei Teufelsnamen wollte Erziraphael ihn retten? Wovor denn? Hält er ihn für ein Häufchen Elend, das sich selbst nicht helfen kann, oder wie? Diese Aussicht war ja noch schlimmer als Weihwasser auf Ex zu trinken. Und doch waren dort diese Augen.
Drei Flaschen Wein später schlummerte Crowley in seiner ungemütlichen Kiste und spürte nicht, wie die Nacht über ihn vorüber zog. Der Morgen dämmerte schwach und das Haus lag Totengleich. Tagein Tagaus der selbe Trott vor seiner Tür. Die unfreiwillig Tüchtigen, mit der gleichen Kraft, ungewollt zielgenau. Doch in jenen viel zu frühen Morgengrauen schlugen die Gedanken um. Plötzlich wusste ein jeder was er wollte. Auf dem Bauch liegend und querfeldein hatte Crowley alle vorhandenen Gliedmaßen von sich gestreckt, die Brille irgendwo auf dem Boden. Der Traum zeugte von unschönen Taten und Selbstgefälligkeiten. Es war so still, vielleicht knarzte das Holz. Eine Maus piepste irgendwo und doch wurden Schritte laut. Immer derber wurde ihr Auftreten, gepaart mit unzerbrechlichen Stimmen. Stimmen, die etwas verlangten. Nichts Gutes. In dem Moment wo Crowley die schlafende Seite anders betten wollte, passierte es! Ein mächtiges Donnern schmetterte seine Tür ein und ließ das Holz in etliche Teile zerbarsten. Schreckgeweitet zuckte der Dämon aus dem Schlaf. Noch ehe sein Geist etwas erfassen konnte, packten ihn unzählige Hände und zerrten ihn zu Boden. Gepolter, Schimpf und Wut. Alles davon brach über ihm zusammen, bevor er begriff, dass es eigentlich nur Menschen waren. Harter, dreckiger Boden schmerzte auf ihn ein, während zwei kräftige Männer ihm die Arme nach hinten wegdrehten.
„Da haben wir dich, du Ketzer!“
Obwohl das Hirn noch nicht begriff, fletschte Crowley die Zähne und stierte zornig auf die Sterblichen über sich.
„Nein! Seht doch, diese Augen! Der Teufel muss sein Vater sein! Gott steh uns bei!“
Die Leute zuckten zurück, als Crowley zu zischen begann und es so aussah, als würden die gelben Schlangenaugen jeden Moment die Flammen der Hölle speien.
„Ihr dummen Menschen wagt es mich anzurühren?! Oh, das werdet ihr bereuen, ihr verdammten...Ahhh!“
Mit dem Atemzug wollte Crowley etwas unheilvolles über sie einstürzen lassen, doch wie von einem Blitzschlag getroffen, stach etwas unvorstellbar grausames in seinen Körper. Unter Schmerzensschreie und Schweiß blickte er an sich und entdeckte ein silbernes Kreuz. Es war geweiht. Jemand presste es ihm an Hals und Brust. Es brannte barbarisch und dennoch beäugte er zu seinem Peiniger empor. Ein korpulenter dunkel gekleideter Mensch mit weißem Kragen. Ein Priester!
Aber zum Verfluchen kam Crowley nicht mehr, denn plötzlich schien etwas in seinem Kopf zu explodieren und alles wurde plötzlich wie in der Nacht um ihn. Und ein langer elender Schmerz, der nicht zu enden schien.
Ich hoffe euch geht es allen gut und ihr genießt das Leben?
Hier kommt nun der erste Teil des ersten Dreiteilers in der Chronik.
Ich weiß nicht ob ich es direkt als Wendepunkt bei den beiden bezeichnen kann, da es zwischen ihnen immer ein schleichender Prozess ist.
Aber auf jeden Fall ist dieses Ereignis wichtig.
Vielleicht habt ihr es bereits vergessen, aber diese Stadt und das Jahr wurden bereits in "Apfel im Kelch" erwähnt. Das Jahr einmal von Crowley und die Stadt von Erzi. Und nun lest selbst, was die beiden damit verbinden.
Nun ja, hoffentlich gefällt es euch. Seid vorsichtig und denkt viel nach.
Bis bald, eure Linda ^-^
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Eines der dickbäuchigen Fässer aus Kastanienholz stieß ihm unangenehm an die ganze Seite. Unterdrückt aufstöhnend hetzte er beide Hände an das geschlagene Holz und hielt es so zurück. Es rumpelte ein weiteres Mal und etwas Stroh kitzelte ihn durch die schwarze Kutte hindurch.
„Verzeiht mir, Bruder Erziraphael, aber diese Straße führt am kürzesten zurück nach Prag. Wir haben es nicht mehr weit. Vor dem Einbruch der Nacht werdet Ihr die Lichter meines Hauses sehen.“
„Ich danke Euch, guter Mann. Aber lasset mich der Höflichkeit halber doch am Markt abspringen und Ihr dürft Eures Weges ziehen.“
Der beleibte Mensch lachte herzhaft auf und peitschte sein Pferd, das den Karren zog.
„Nicht doch. Der erste Benediktiner, der eine tüchtige Hand und einen noch freundlicheren Geist besitzt, kreuzt nicht all Abend meinen Weg. Und hilft meinem gebrochenem Rad, wie durch die Hand Gottes, wieder tauglich zu werden. Meine Dankbarkeit erlaubt es mir nicht, Euch ohne einen vollen Magen mit Braten und Wein gehen gelassen zu haben.“
Durch diese köstliche Verkündung setzte sich Erziraphael dann doch angenehmer in das Stroh zurück und genoss, trotz der poltrigen Fahrt, die weiten Stoppelfelder und Wiesen, vor der Stadtmauer zu Prag. Er saß auf der offenen Fläche des Karrens und ließ die Beine in dem dunklen Habit selig baumeln. Erziraphael lebte zu jener Zeit in einem Benediktinerkloster, welches allerdings etwas außerhalb und am Ufer der Moldau seine Steinmauern beherbergte. Dennoch führte ihn eine unbestimmtes Gefühl in das Herz von Prag hinein.
Der Mensch, welcher sich als Schankwirt kundgab, war breitschultrig und besaß Körperhaar wie ein altertümlicher Bär. Seine Mitte wies ihn tatsächlich als einen Wirt aus und die Nase zeugte von einem gut gedeihenden Geschäft. Als sie die Stadtmauer passierten, sang jener unversehens ein heimatliches Lied und grüßte nebenher Feldscher, Lederer, Handwerker, Kaufleute und Schmiede auf den Straßen. Jeder von allen. Ein Wirt war eben der Freund eines jeden Bürgers. Der Abend dämmerte und die Straßen wurden zu Gassen. Zünfte gebaren ihre eigenen Geräusche und Gerüche. Es entstanden Lücken zwischen den Menschen und die Kerzen wurden allmählich entzündet. Der Weg begann immer unmanierlicher zu riechen und der Boden bewirtete ausschließlich Dreck und Unrat.
„Nun kann ich es mein Heim nennen, Bruder Erziraphael. Ah, wie treu doch das Weibe sein kann. Steht vor der Tür und winkt mit der strammen Hand, das teure Ding.“
Noch während der Wirt mit einem „Brrr, Marek, brrr.“ das Pferd zum halten brachte, zog es die Hände der Matrone an den Kutschbock. Ihr hochgestecktes dunkles Haar wippte gescheucht herum und ihre Schürze zeigte abgeschmierte Flecken.
„Bedrich, eile dich, sie toben. Sie hausen und mehr. Bedrich, sie schimpfen. Ich kann bereits den Boden der Fässer sehen. Eile herein!“
Da hörte man das Lachen, Poltern und Krachen. Bleich wie das Stroh auf seinem Karren, jagte auch der Wirt herunter.
„Oh, Weib, was hast du getan?“
„Ich weniger als die da.“
Die nervösen Eheleute stürmte in das Wirtshaus. Und ist nicht der Schaden anderer, der beste den es gab? Wenige Bürger tummelten sich vor jenen Fenstern und schwatzten unrühmlich, während sie ihre Köpfe schüttelten vor lauter Tugendhaftigkeit. Erziraphael brachte die Sandalen auf den unebenen Boden und verzog das Gesicht vor Ekel. Als es im Inneren des Hauses erneut johlte und schepperte, erreichte ihm auch schon die stachelige Aura. Der blonde Kopf huschte auf und stierte zur geöffneten Wirtstür herum. Er hörte ein Lachen. Ein lautes, rauchiges Lachen. Die Lider um die blauen Augen weiteten sich, als er nach zwei eiligen Schritten unter dem Türsturz stand.
„Oh, Allmächtiger. Das darf doch nicht wahr sein.“
Fassungslos entdeckte Erziraphael fünf Männer auf unwirsch stehenden Tischen. Sie hatten sich ineinander gehakt und sangen ein schreckliches Trinklied. Laut und verdorben. Der Wirt und seine Frau sausten um die Trunksüchtigen herum und drohten mit dem Brechen einiger Knochen. Doch die Männer lachten mit ihren roten Gesichtern und schwenkenden Krügen. Und in der Mitte dieser Leute krümmte sich Crowley vor Lust und Trank. Er tanzte zusammen mit ihnen auf dem Holz und stieß alles herunter, was die ungehobelten Füße erreichen konnten. Auch er schien volltrunken zu sein, was sein wankendes Hüpfen versiegelte. Sie schrien und spukten nach dem Schankwirt, als sich Erziraphael ins Innere traute. Crowley hing mit jeweils einem Arm, über den Schultern zwei männlichen Menschen und dehnte sich weit nach vorn. Es sah so aus, als wollte er dem Wirt in die Nase beißen.
„Verkrümel dich, du....du Schalk oder...oder ich werde eine Armee heraufbeschwör-“
„Crowley hör auf damit und komm da herunter!“
Der kräftige Herr der Schänke wandte mit voller Überraschung sein Gesicht zu Erziraphael herum.
„Aber, Bruder, Ihr kennt diesen Trunkenbold?“
„Nun, dies könnte man so sagen, ja. Er ist...ist einer unserer Pilger aus dem Kloster.“
Gerade als der Wirt etwas erwidern wollte rülpste der Dämon laut aus und lachte hintendrein. Seine Saufkumpanen stimmten natürlich frohen Gemüts mit ein. Erziraphael gebar eine Ekelmiene und wedelte sich diese stinkenden Atemfahnen aus der Luft. Als Crowley sich noch tiefer neigte und mit berauschten Wangen dicht vor das Engelhafte Gesicht kam.
„Na, wen haben wir denn da? Gott hat einen Laufburschen geschickt, um uns zu bekehren. Los, zeig mir deine Flügelchen, du kleiner Engel.“
Noch während Erziraphael den Mund voller lauter Empörung geöffnet hatte, trat der Wirt an seine Seite und deutete drohend auf Crowley.
„Wie kannst du es wagen, du magerer Tölpel? Zeig Benehmen einen Mann Gottes gegenüber oder ich werfe dich in den Dreck vor meiner Tür!“
Mit einem herausfordernden Lächeln leckte sich der Dämon über die Lippen.
„Versuch es doch, du schwabeliges Menschlein. Komm heran und ich zeige dir, was ein Diener des Teu..“
Ruckartig bedeckte Erziraphael Crowleys Mund mit einem Ärmel. Doch sein Blick voller Hast und Unsicherheit galt dem Menschen.
„Hört nicht auf ihn. Der Wein spricht aus seiner Kehle und nicht sein geklärter Geist. So lasst diese Sorge mit mir ziehen.“
„Aber dies Bürde ist zu gewaltig für Euch.“
Liebevoll lächelte der Engel den Schankwirt entgegen und versuchte nebenher den Dämon zurück auf den Boden zu bringen.
„Oh, sorgt Euch doch nicht. Die Gewohnheit solcher Männer ist mein ständiger Begleiter.“
Und an Crowley gewandt, zischte er leise und eindringlich.
„Hör endlich mit diesem Unfug auf und lass uns gehen.“
Noch bevor der Rothaarige ausweichen konnte, da zerrte ihn bereits Erziraphael von der Tischplatte auf einen Stuhl herunter. Erstaunlicherweise gelang es ihm ohne auf der spitzen Nase zu landen. Crowley lachte seinen Trinkbrüdern zu und hob den Arm zum Abschied. Augenrollend wollte Erziraphael soeben erneut nach dessen blutroter Tuche greifen, als ihn der Wirt eine neue Warnung mit auf dem Weg gab.
„Überlegt recht gut. Er scheint ein übler Kerl zu sein. Mein Stallbursche würde Euch begleiten, Bruder Erziraphael.“
Mitten im Satz, als der Engel dankend ablehnte, rülpste Crowley aus und beugte sich ungerade zwischen die beiden.
„Bruder? Ihr sieht euch gar nicht ähnlich.“
Seufzend trieb Erziraphael seinen betrunkenen Gefährten vor die Tür und verabschiedete sich übertrieben von den gaffenden Menschen, welche einen aufkeimenden Argwohn nicht verbergen konnten.
Mehr torkelnd als gemäß laufend wirbelte der Dämon den roten Schopf in jegliche Richtungen und flötete ein ungehöriges Lied nach dem anderen. Mit einem tiefrotem Gesicht gestikulierte der Engel dessen Lautstärke auf ein niedrigeres Niveau. Sonderbarerweise gelang dies ihm auch und Crowley schaukelte nun nur noch summend neben ihm her. Erziraphael fragte sich warum sich ihre Treffen eigentlich immer als Zufall erwiesen. Wie konnte es sein, dass sie sich ausgerechnet hier wiedersahen? Tja, es würde nichts nutzen mit dem Dämon jetzt solch eine Debatte anzufangen, denn dessen Schlagseite war einen Seemann würdig. Der Abend wurde stets kräftiger und die Menschen verdingten sich mehr an dem Treiben im Hause. Vereinzelte Karren und Händler kreuzten ihren Weg, als sie auf Gutdünken an einer neuen Schankstube vorbei kamen. Die bernsteinfarbenen Augen funkelten abnorm.
„Oh, schau was die Hölle mir beschert! Sie liebt mich!“
Ein Heimwärts ziehender Weber richtete die Ohren auf und starrte in ihre Richtung, als er jedoch Erziraphael erblickte, wandte er sich gänzlich um.
„Braucht Ihr Hilfe, Bruder?“
Crowley grunzte aus und fuchtelte wie toll zu ihm hin.
„Noch ein Bruder? Allmählich glaube ich, dass mir hier was verheimlicht wird.“
Die schwarze Kutte des Engels drängte sich vor den Dämon auf und lächelte beruhigend auf den Menschen ein, welcher von unzähligen Flusen seiner Arbeit behangen war.
„Nein, mein Sohn. Er ist nur ein verirrter Pilger, der das Heimweh mit dem Weine tünchte. Gott zum Gruße.“
„Gott zum Gruße.“ kam es ungläubig auf Crowley gerichtet, aber doch bestimmt von dem Gesellen und ging danach seines Weges. Als Erziraphael hinter sich bereits einen angewiderten Laut vernahm.
„Bäh. Schmeckt das ekelhaft auf der Zunge und meine Ohren fangen auch gleich an mit bluten. >Gott zum Gruße<, so was albernes, als würde er diese Dumpfnasen hier grüßen wollen.“
Zischelnd wirbelte der Engel wieder zu ihm herum.
„Shht, sag nicht solche Sachen.“
„Ich kann machen was ich will. Immerhin bin ich ein...“
„Nein, sei ruhig. Die Menschen in diesen Tagen sind mehr als nur Gottgefällig. Sie beugen sich dem Willen der kirchlichen Vorschriften und das ist lebensgefährlich. Jedes kleine Wort von der falschen Seite, könnte fatale Folgen bewirken. Selbst für dich.“
„Pff, ist mir herzlich Wurst.“
„Mir aber nicht!“
Verblüfft starrte Crowley ihn an und hielt auf einmal inne. Wieso war der Engel nur so aufgeregt und warum war er eigentlich so plötzlich hier in der Stadt? Der rote Kopf war leicht vernebelt und irgendwie schien ihm alles gleich, außer dieses Wesen vor ihm. Erziraphael übte schon wieder eine dieser intensiven Eindrücke auf ihn aus. Wie aus dem Nichts. Kopfschüttelnd wandte sich der Rothaarige um und torkelte weiter auf den Wall zu. Nicht darüber nachdenken, lass dir nicht einfallen dafür auch nur eine Sekunde zu verschwenden. Doch als er die tapsigen Schritte hinter sich hörte und genau wusste, dass nur ein Kerlchen des ganzen Komos´ diese Gangart beherrschte, spürte er den Grund einer Unzufriedenheit. Die Frachtbauhäuser standen hoch und schmal um sie herum, als wären sie die eigentlichen Bewohner und Dulder jener Stadt. Crowley fühlte sich plötzlich beobachtet und gaffte zu den einfachen Steinhütten empor.
„Hast du...hier einen Auftrag, Crowley? Wenn ich dich bei irgendetwas gestört haben mag, tut es mir natürlich leid. Aber du kannst nicht in dieser Zeit die Parolen deiner Leute so herum posaunen, als wärst du ein Barde auf einem Fest. Ich meine....“
„Wo sollte denn dieser Auftrag herkommen? Wem sollte das etwas nutzen? Sieh dich doch mal um! Es ist doch schon alles getan. Hunger; Pest, irgendwo herrscht Krieg, das tut er ja immer; Ängste, Tod. Punkt und aus! Und was hab ich zu tun? Nämlich nichts. Rein gar nichts. Ich hasse diese Zeit. Ich hasse dieses Jahrhundert und all diese Menschengemachten Probleme! Bin ich jetzt arbeitslos, oder was?“
Der Wächter des Tores begann soeben mit der Sperrstunde, als er auf das lautstarke Gewese aufmerksam geworden war. Wiederum bemerkte Erziraphael dessen Neugierde und ermahnte Crowley erneut zur Ruhe, doch der Dämon fuchtelte ihn nur von sich und gebärdete sich weiter.
„Es ist alles so beschissen! Es ist eine Gott verdammte Zeit!“
„Shht, nicht!“
Durch einige Eisenbestände der Uniform hörte Erziraphael zuerst die strengen Schritte eines Wächters, ehe er ein ernstes Gesicht in ihrer Nähe wahrnahm. Der Mensch trug einen mittellangen Bart und umgriff den Schaft seines Schwertes.
„Was war soeben sein gesprochenes Wort?“
Beinahe unter Panik schloss sich Erziraphael zu Crowley auf, stellte sich vor dem Wächter und brachte eine entschuldigende Miene ins Spiel.
„Es kam kein blasphemischer Gedanke von ihm, guter Mann. Er ist nur ein Betrunkener auf dem Weg zu seinem Stroh.“
Nicht eine Überzeugung eroberte die Züge des Menschen, auch weil er sein Schwert immerfort griffbereit hielt.
„Verzeiht, wenn ich nicht einverstanden bin, Bruder. Seine Zunge scheint zweischneidig. Er ist des öfteren schon aufgefallen und verzog das Wort Gottes in etwas fauliges.“
„Ein neuer Bruder? Wie viele verfluchte Geschwister hast du denn?“
Die volltrunkene Stimme Crowleys quetschte sich durch die Luft, wie der Gestank eines faulen Apfels. Oder waren das nur die Färber am Wall? Der Wächter ließ das geschmiedete Eisen aus seiner Scheide und stierte zornig auf den Dämon.
„Du Frevler! Du wagst es, Gotteslästerei zu betreiben?!“
Raschen Fußes tat sich Erziraphael erneut vor ihm auf und faltete die Hände zusammen.
„Nein, nein, es kam nicht vom Herzen. Seine Zeiten waren hart und sie bürden schwer in seinem Kopfe. Alles was aus ihm spricht ist der Wein. Bitte, vergibt ihm. Gott würde es.“
Durch des Engels reine und überzeugende Ausstrahlung versank die Klingenwaffe wieder im Leder und der Mensch schnaufte unentschlossen aus. Beruhigt griff Erziraphael nach Crowleys Handgelenk.
„Das Kloster heißt ihn Willkommen und dies soll noch am heutigen Abend geschehen. Gott wird Euch schützen, junger Mann. Gott zum Gruße.“
Mit einem widerspenstigen Blick auf Crowley, erwiderte er den Abschied an den Engel und ließ sie durch das Stadttor passieren.
Das Herz pochte aufgeregt, als er den betrunken Dämon hinter sich herzog und an der Moldau entlang bereits die Mauer des Klosters erblickte. Doch da riss sich Crowley mit einem Schlag los.
„Was soll der Pferdemist? Meine Unterkunft ist in der Stadt und nicht davor. Oder willst du mich gleich zum Scharfrichter bringen? Lass das lieber bleiben, den habe ich gestern nämlich beim Kartenspiel betrogen, ich glaub der hat´s mittlerweile rausgekriegt.“
Obwohl der Abend noch nicht so vollwertig begonnen hatte, erkannte man den Mond und wie er sich seinen Platz erringen wollte. Erziraphael drehte sich zu Crowley zurück und konnte nicht verhindern, wie der Habit dabei flattrig wurde. Doch genau dieser Aufwind ließ den Dämon zum ersten Mal den Engel genauer betrachten. Was? Plötzlich schrie Crowley auf und sprang eine Elle nach hinten weg. Zeigte mit ausgestrecktem Finger auf den himmlischen Gefährten und ward schlagartig nüchtern.
„Was soll denn diese Phase?“
Verwirrt was Crowley damit ansprechen wollte, folgte er der Geste und sah an sich herab. Plötzlich aber, stöhnte Erziraphael aus und blickte vorwurfsvoll zurück.
„Du siehst erst jetzt was ich trage?“
„Ich war immerhin betrunken.“
„Ja, aber nicht blind.“
In völligem Argwohn, welcher leicht in Besorgnis gekleidet war, zog sich der Dämonenkopf zurück und spielte mit der Mimik ein hässliches Stück.
„Also, was zur Hölle, ist bloß los mit dir?“
Erziraphael strich sich sanft über den rauen Stoff und schaute ihn beinahe schon lieblich entgegen.
„Nichts, nur....weißt du was es umwerfendes im Kloster gibt? Bücher! Ich arbeite im Skriptorium und darf mich den ganzen, lieben langen Tag um diese kostbaren Schätze kümmern.“
Ach so, pustete Crowley innerlich erleichtert aus. Na, wenn das alles war. Schon sichtlich entkrampfter ließ der Rothaarige den ganzen Körper hängen und schritt auf den Engel zu. Erziraphael schien in höchster Seligkeit zu schwelgen, während Crowley begann ihn zu umkreisen. Betrachtete sich diese schwarze Kutte von oben nach unten und musste feststellen, dass auch dieser Schnitt dem Engel stand.
„Kratzt dieses Ding nicht schrecklich? Also mich würde es besonders am Hintern...“
Mit einem Mal preschte Erziraphael vor und rückte mit dem Gesicht ungewohnt dicht an das des Dämons. Er hatte die Hände gefaltet und leuchtete Crowley mit einem leuchtenden blau entgegen.
„Oh, du kannst dir nicht vorstellen, wie unglaublich glücklich ich dort bin. Überall dieser Geruch von frischer Tinte, verstaubten Regalen und das kaum hörbare Klirren des Federkiels, wenn er am Fässchen abgestreift wird. So viel Schönheit in einem Gedanken, in einer Kleinigkeit.“
Sein Körper konnte sich dem nicht entziehen, sein Geist hatte sich fixiert. Ein süßer Duft drang auf ihn ein und er starrte in dieses funkelnde Augenpaar vor sich.
„Was riecht hier denn so zuckrig?“
Mit einem Griff in die weite Kuttentasche gab sich der Engel erst leicht überrascht, zwecks dieser Frage, und holte einen mageren, kleinen Beutel hervor.
„Ach, das sind nur meine Obstknödel. Eine Landesspezialität. Sie sind so deliziös, möchtest du einen?“
Mit einen noch breiteren Strahlen kam der Engel noch näher heran.
Crowley vereinte nur mit dem Kopf, doch weiteres sagen konnte er nicht. Dieses Lächeln, so frei und unverfälscht. Crowley stierte in dieses Gesicht und spürte nur seine starre und vertrocknete Kehle.
„Ich...ähm...ich...“
Doch anstatt sich über dessen Gestammel zu wundern, wandte sich Erziraphael nur kichernd ab und seufzte erneut voller Wohlwollen.
„Ach, diese Bücher, Crowley. Zum ersten Mal auf dieser Welt habe ich etwas gefunden, was mein Herz zum schmelzen bringt. Nie wieder möchte ich diese Objekte missen. Nie wieder. Ich glaube, dass ist es was die Menschen wohl Liebe nennen.“
Auch wenn er diese engelhafte Energie spüren konnte, diese himmlische Präsenz in seiner Seele stichelte, konnte er sich gerade nicht sattsehen. Crowley wurde ruhig, kehrte in sich. Die Welt im Dämmerzustand schien ein Traum geworden zu sein. Wolkenweich und glasklar. Wie verloren blickte er auf diese Erscheinung vor sich und sah nur eine unverdorbene Freundlichkeit. Eine, die soeben von Liebe sprach. Der Wind säuselte ein wenig auf und Crowley erkannte etwas sonderbares. Und dieses Sonderbare erstreckt sich über ein weites Feld. Denn auch dieses brachte etwas neues mit. Fortan hasste er diese Bücher.
„Ja....das ist wohl... Liebe.“
Murmelte der Dämon, ohne das es Erziraphael hörte. Doch plötzlich besann er sich und zuckte mit dem Kopf so ruckartig fort, als hätte er an Essig gerochen.
„Ich meine, nein, keine Ahnung, was Liebe bedeuten soll. Ich bin ein Dämon, ich habe keine Vorstellung wie sich so etwas anfühlen könnte. Pff, geh bloß weg damit. Wir sind schließlich hier um diese von der Erde auszumerzen.“
Die Vögel stimmten den heranrückenden Abend ein und der Himmel ließ Sterne erblicken. Erziraphael trat wieder zu Crowley heran. Dieses Mal jedoch etwas ernüchternder und etwas versteckt lächelnd.
„Du bist zwar ein vollwertiger Dämon, aber zu höheren Dingen fähig. Irgendwann wirst du auch etwas vor dir sehen, was du niemals wieder verlieren willst. Und es wird alles für dich bedeuten.“
In Crowley schlich sich eine Antwort von hinten heran, sie tat ihm weh und er wollte sie nicht wissen. Deswegen wedelte er nur gleichgültig herum und kratzte sich den Hinterkopf.
„Red nicht so´nen Ulk, sonst glaubt dir das am Ende noch jemand. Verschenke deine Predigten doch an Leute die mit solchen Unfug auch etwas anfangen können, ja? So, wenn du also nichts weiteres von mir willst, dann kann ich ja zurück in die Stadt gehen.“
Überrumpelt fanden Erziraphaels Hände zueinander, nachdem er die Leckereien wieder verstaut hatte.
„Hältst du das tatsächlich für eine gute Idee? Die Menschen haben dich vorhin allesamt seltsam beäugt und wie ich bereits sagte, dieses Jahrhundert ist nicht gerade Meinungsfreundlich.“
Wie stets bekannt, gab sich der Dämon in seinen schwarzen Schulterkragen der Apathie hin und schien beinahe zu tänzeln.
„Oh, was hab ich Angst vor den schwachen Sklaven dieser Schicht. Buhu, hörst du schon meine Zähne klappern? Nein, was soll ich nur tun? Engel hilf mir. Hilfe.“
Seufzend presste Erziraphael die Lippen aufeinander und raufte all seine Geduld zusammen. Er konnte es nicht ausstehen, wenn der Dämon seinen ganzen Spott über ihn verteilte.
„Ich meine es Ernst, Crowley. Es könnte gefährlich für dich werden. Wenn du keinen Auftrag hast, dann hält dich wohl nichts mehr hier. Oder übernachte doch wenigstens in einer der verlassenen Rußbrennerhütten im Wald.“
„Sicher doch, wie der schwarze Mann.“ verhöhnte Crowley ihn und brachte seine seitliche Tasche am Gürtel zum wippen. Sie trug einen unauffälligen Schlangenkopf als Schnalle.
„Lies nicht mehr so lange, Engel, es ist immerhin schon dunkel. Komm morgen mal auf einen Trunk vorbei, wenn deine Pfaffen dich lassen. Mach´s gut.“
Der Engel setzte einen Schritt auf ihn zu, doch ermahnte er sich selbst zur Besinnung. >Nein, halt, lauf ihm nicht nach. Er ist ein Dämon, vergiss nicht wer und was du bist.< Traurig blickte Erziraphael dem nach, was aus ihnen hätte werden können, wenn Crowley nicht so geringschätzig wäre. Dieser drehte sich noch nicht einmal nach ihm um und doch wollte Erziraphael ihm hinter eilen. Wenn es nach seinem Herzen ginge, dann würde er über ihn wachen. Doch was wäre er dann in den Augen des Dämons? Der schwarze dürre Rücken entfernte sich immer mehr und Erziraphael seufzte zu Erden. Hoffentlich passte er auf sich und sein Mundwerk auf.
Was hatte dieser Engel nur an sich, dass er so willensschwach wurde? Crowley knirschte mit den Zähnen und spürte eine geneigte Wut in sich aufsteigen. Er durfte nichts fühlen, in keiner Art und weise. Eigentlich konnte er sowas doch gar nicht. Er. War. Ein. Dämon. Verflixt und verteufelt. Dennoch flüsterte ihm eine kleine unsichere Stimme ein einziges Wörtchen zu: Rom?
Ein einziges Mal in seinem Leben hatte er sich den Gefühlen hingegeben und wo hatte es ihn hingebracht? In eine verfluchte selbst verachtende Situation. Und genau diese tat keinen von ihnen gut. Nein, nein, denk nicht an diese Schmach. Außerdem...ja, außerdem war das damals etwas vollkommen anderes. Erziraphael war schließlich als Frau verkleidet und nicht er selbst. Genau, so passte alles viel besser ins Bild. Kopfschüttelnd gelangte der Rothaarige an das Stadttor zurück und pfiff dem Wächter entgegen, der in seiner Tätigkeit inne hielt, jenes für die Nacht zu schließen. Crowley befahl ihm ihn einzulassen, doch der Mensch weigerte sich, wegen der späten Stunde. Wer zu viel vom Leben fordert müsse immerfort mit den Enden zufrieden sein. Außer natürlich ein Dämon. Er forderte ein weiteres Mal den Einlass, dieses Mal jedoch mit einer drohenden Gebärde.
„Ich hab´s dir gesagt, Kerl, niemand kommt zu dieser Stunde in die Stadt. Pack dich.“
Oh, das war nicht gut und Crowley wollte seine letzte Energie für den Tag eigentlich nicht an diesem Tollpatsch verbraten. Seufzend schnippte er einmal und der Mensch stand stocksteif da. Die Arme wie ein gefrorener Fisch an den Seiten und die Augen aufgerissen gafften geradeaus. Teuflisch grinsend sorgte Crowley dafür, das der Wächter wie ein Frosch durch die Gegend hüpfte und hinter ihm das Tor wieder verriegelte. Dann kam er quakend zu Crowley zurück und wartete hockend auf einen neuen Befehl. Abfällig patschte der Dämon dem Menschen ins Gesicht.
„Braves kleines Amphibchen.“
Schlenderte an jenen vorbei, während er ein weiteres mal einen Laut mit den Fingern erzeugte. Woraufhin der Mann verkrampft auf die gepflasterte Straße fiel. Lachend zog Crowley seines Weges, weil er es liebte, wenn sich alles seinem Willen unterordnete. Doch als er ein Trinklied anstimmte und in all seiner Selbstüberschätzung badete, hätte er ruhig bemerken können, wie ihn zwei argwöhnische und unheilbringende Augen aus einem finsteren Versteck hinterher starrten.
Es sah ebenso dürr wie sein Besitzer aus. Das hohe Häuschen befand sich in der Reihe des Färberviertels und trug bereits selbst diesen eingemachten Geruch. Crowley gefiel dieser Gestank von altem Blut und Urin. Es erinnerte ihn jedes Mal an die Hölle, wie schick. Kaum, dass er die klägliche Tür in den Rahmen stieß, fuchtelte er sich gänzlich leger zwei Flaschen Wein heran und warf sich auf das einzige Möbelstück im ganzen Haus: ein Bett. Sämtliche Kerzen flackerten plötzlich wie von Zauberhand gleichzeitig und ließen ihren Herrn gnädig in Frieden. Stöhnend und streckend ließ er alles störende von sich gleiten und spürte bereits hartnäckige Halme des Strohs im Nacken. Er hasste diese Zeit wirklich, alles in ihr war so ungemütlich und schwach. Gähnend gaffte er an die hellbraune Decke und entkorkte die erste Flasche mit den Zähnen. Wie der Engel ihn angeschaut hatte. Diese Augen sandten stets eine Botschaft. Eine recht undurchsichtige, zugegeben. Denn immer wenn Crowley glaubte, etwas wahrhaftiges darin lesen zu können, erklomm ein anderes kleines Fünkchen darin hervor. Und dieses kleine Bisschen zerriss ihn, weil er es einfach nicht lesen konnte. Er verstand es nicht. Noch weniger aber verstand er, was diese Blicke in ihm auslösten. Außerdem, was sollte dieser schmachtende Blick für diese Bücher? Waren diese gedruckten Blätter etwas um einiges besser als er? Tss. Lautstark stöhnend schlug Crowley den Kopf in sein Kissen zwei, dreimal nach und nuckelte gierig am Wein. Und warum in drei Teufelsnamen wollte Erziraphael ihn retten? Wovor denn? Hält er ihn für ein Häufchen Elend, das sich selbst nicht helfen kann, oder wie? Diese Aussicht war ja noch schlimmer als Weihwasser auf Ex zu trinken. Und doch waren dort diese Augen.
Drei Flaschen Wein später schlummerte Crowley in seiner ungemütlichen Kiste und spürte nicht, wie die Nacht über ihn vorüber zog. Der Morgen dämmerte schwach und das Haus lag Totengleich. Tagein Tagaus der selbe Trott vor seiner Tür. Die unfreiwillig Tüchtigen, mit der gleichen Kraft, ungewollt zielgenau. Doch in jenen viel zu frühen Morgengrauen schlugen die Gedanken um. Plötzlich wusste ein jeder was er wollte. Auf dem Bauch liegend und querfeldein hatte Crowley alle vorhandenen Gliedmaßen von sich gestreckt, die Brille irgendwo auf dem Boden. Der Traum zeugte von unschönen Taten und Selbstgefälligkeiten. Es war so still, vielleicht knarzte das Holz. Eine Maus piepste irgendwo und doch wurden Schritte laut. Immer derber wurde ihr Auftreten, gepaart mit unzerbrechlichen Stimmen. Stimmen, die etwas verlangten. Nichts Gutes. In dem Moment wo Crowley die schlafende Seite anders betten wollte, passierte es! Ein mächtiges Donnern schmetterte seine Tür ein und ließ das Holz in etliche Teile zerbarsten. Schreckgeweitet zuckte der Dämon aus dem Schlaf. Noch ehe sein Geist etwas erfassen konnte, packten ihn unzählige Hände und zerrten ihn zu Boden. Gepolter, Schimpf und Wut. Alles davon brach über ihm zusammen, bevor er begriff, dass es eigentlich nur Menschen waren. Harter, dreckiger Boden schmerzte auf ihn ein, während zwei kräftige Männer ihm die Arme nach hinten wegdrehten.
„Da haben wir dich, du Ketzer!“
Obwohl das Hirn noch nicht begriff, fletschte Crowley die Zähne und stierte zornig auf die Sterblichen über sich.
„Nein! Seht doch, diese Augen! Der Teufel muss sein Vater sein! Gott steh uns bei!“
Die Leute zuckten zurück, als Crowley zu zischen begann und es so aussah, als würden die gelben Schlangenaugen jeden Moment die Flammen der Hölle speien.
„Ihr dummen Menschen wagt es mich anzurühren?! Oh, das werdet ihr bereuen, ihr verdammten...Ahhh!“
Mit dem Atemzug wollte Crowley etwas unheilvolles über sie einstürzen lassen, doch wie von einem Blitzschlag getroffen, stach etwas unvorstellbar grausames in seinen Körper. Unter Schmerzensschreie und Schweiß blickte er an sich und entdeckte ein silbernes Kreuz. Es war geweiht. Jemand presste es ihm an Hals und Brust. Es brannte barbarisch und dennoch beäugte er zu seinem Peiniger empor. Ein korpulenter dunkel gekleideter Mensch mit weißem Kragen. Ein Priester!
Aber zum Verfluchen kam Crowley nicht mehr, denn plötzlich schien etwas in seinem Kopf zu explodieren und alles wurde plötzlich wie in der Nacht um ihn. Und ein langer elender Schmerz, der nicht zu enden schien.