"Tanz der Amphisbaena"
von Die Linda
Kurzbeschreibung
Dies hier ist eine Chronik. Angefangen in Babylon bis hin zum Zeitalter meiner anderen Geschichte "Apfel im Kelch" und darüber hinaus. Zusammengestellt aus OneShots und Zweit/Dreiteilern. Erziraphael und Crowley wirken so unterschiedlich, bis jeder von ihnen auf seine Art spürt, dass sie doch nur das Gleiche, sogar das Selbe wollen. Den Schutz, die Freude, das Glück des anderen. Und dessen Liebe...
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
Anthony J. Crowley
Erziraphael
10.08.2020
30.05.2023
18
68.673
7
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22.01.2021
7.089
Hallöchen! ^o^
Das nun Kommende konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Alles was gesagt wird, egal wie verwirrend oder übertrieben es scheint, ist gewollt. Auch in der Rechtschreibung. Ich habe den zwei Nebencharakteren ein wenig mehr Platz eingerichtet als geplant. Aber als ich es geschrieben hatte, konnte ich mich einfach nicht zusammen reißen. Bei dieser Vorstellung musste ich ständig lachen. Auch, wenn ihr es vermutlich nicht werdet. XD
Ihr werdet schnell herausfinden, warum. :D
So, in der Hoffnung das dieses Kapitel euch nicht zu langweilig erscheint, wünsche ich euch ein wunderbares und herzliches Wochenende.
Lasst es euch gut gehen und bis zum nächsten Mal,
eure Linda ^O^
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The Toucan Bar in der Carlisle Street (Soho)
Allmählich verschwanden die logischen Grenzen zwischen Rauch und halbdunklen Lichtern. Nicht mal die knalligen Reklameschilder von jeweiligen Alkohol- und Zigarettenmarken vermochten diesen zweideutigen Nebel zu durchdringen. Jeder Barhocker war seit Stunden von synthetischen Freizeithosen und breit gemusterten Krawatten bevölkert. An jungen lebensfrohen Frauen klimperte und klirrte es ganz ungeniert, während sich auch manchmal Herren mit Herren oder Damen mit Damen gut zu amüsieren wussten. Ein vollbeschäftigter Barmann übersah solche illegalen Handlungen, schließlich befand man sich in Soho. Gläser perlten belustigt aneinander oder andere Inhalte wurden dem Gegenüber über´s kurze Revers geschüttet. Irgendwo verstreute sich die Musik der Beatles; Überall hingen die alte Bilder der irischen Einwanderer, welche diesen Pub gegründet hatten; Und an einen der zerkratzten Ecktische saß ein schniefender Engel, der sich bereits das zweite Bier einverleibte. Eigentlich mochte er keine Malzgetränke, doch seit er Crowley das Weihwasser übergeben hatte fühlte er sich deprimiert und konnte es nicht mehr länger ertragen allein zu sein. Deswegen verließ er vor ein paar Stunden sein Buchgeschäft und blieb in diesem irischen Pub hängen. Er tat so etwas üblicherweise nicht, aber irgendwann war immer das erste Mal. Die Menschen hier drinnen versprühten auch nicht so viel Aggression oder Unzucht wie in vielen anderen unflätigen Bars an denen er vorbeizog. Darum konnte er sich hier in eine stille Ecke zurückziehen und niemand störte ihn beim beurteilen seiner Gedanken. Bis auf ein Augenpaar, das ihn seit einigen Minuten schon interessiert beobachtete. Aber er bemerkte davon nichts, denn seine Niedergeschlagenheit nahm ein schlechtes Übermaß an, welchen er nicht länger entrinnen konnte. Nun saß er also auf einer roten künstlichen Polsterbank und seufzte tiefsinnig in sein halb geleertes Glas hinein. Und wenn man glaubte, die Verdrießlichkeit würde einen in die Einsamkeit abdriften lassen, da kannte man das Leben einer Bar schlecht. Denn kaum, dass Erziraphael das dritte Bier bestellt hatte, setzte sich ihm ein männlicher Mensch gegenüber. Stellte sein eigenes Pin auf die lackierte Platte ab und starrte mit einem barmherzigen Blick auf ihn hinab. Der erste Gedanke galt der Empörung. Wie konnte es dieser Homo Sapiens wagen ohne Aufforderung oder ohne zu fragen einfach Platz zunehmen? Wie verdorben ist diese Menschheit eigentlich? Doch als der Engel diese weichen, grünen Augen sah, verschwand jegliche Pikiertheit und er hatte schnurstracks das Gefühl ihn von irgendwo her zu kennen. Er spürte schon, dass dieser kräftige Mann ein waschechter Mensch war, keine überirdische Energie. Aber irgendetwas schien er in seiner Seele zu tragen was vertraut und warm auf Erziraphael wirkte. Deswegen ließ er ihn kommentarlos da sitzen und nahm den letzten kräftigen Schluck.
„Sie sind unglücklich, nicht wahr?“, fragte der Mann und hielt sich lasziv am eigenen Glas fest. Der blonde Engel stockte beim trinken und schaute ihm direkt ins ovale, aber schon leicht gerötete Gesicht. Vor ihm saß ein sehr kräftiger Mensch um die vierzig, mit einem flauschigen Vollbart und leicht graumelierten, aber höchst prachtvollen Locken. Er trug sein orangefarbenes Knopfhemd am Hals offen, ohne Krawatte; eine dünne schwarze Kette schmückte ihn, der Anhänger schien ein winziger Dudelsack zu sein. Erziraphael konnte nur eine sanftmütige Aura erspähen, weswegen er keinerlei Misstrauen hegte. Auch er spürte nun wie ihm bereits der Alkohol den Kopf verdrehen wollte und fuhr sich nebenbei über die erwärmende Stirn. Entweder aus diesem oder aus irgendeinem irrsinnigen Grund antwortete er ihm auch noch ehrlich. Er wollte unbedingt mit ihm reden.
„Woher wissen Sie das?“
„Weil ich es auch bin. Wir erkennen uns doch untereinander, Freund. Welcher Grund?“
„Vermeintliche Selbstverleugnung. Und bei Ihnen?“
„Plötzliche Einsamkeit.“
Erziraphael wurde nun ebenfalls und radikal mitleidig und ließ die Schultern hängen.
„Oh, Sie armer Mann. Das ist wahrlich ein grässlicher Moment für uns beide. Wissen Sie was? Ich werde Sie einladen. Ein neues Beamish?“
„Ich trinke nur Smithwicks, Herzchen.“
2 Stunden später.....
Inzwischen dudelte im Hintergrund ein bittersüßes Liebeslied und die Bar besaß nun nicht mehr ganz die Fülle, die einen Wirt glücklich machen würde. Aber die Nacht war weit und der Alkohol floss, selbst durch die geringe Anzahl der Gäste, noch überaus reichlich. Besonders bei Erziraphael und seinem Trinkkumpanen. Beide befanden sich nun in einem Stadium des ultimativen Rausches. Es trank soeben jeder den fünften Poitin und die roten Gesichter wurden nun bittervolle Jammermienen, die den Hang zum weinerlichen nicht mehr unterdrücken konnten, bzw. wollten.
In den letzten 120 Minuten hatte sich der Engel über seine verschrobene Lage beklagt und alles zum besten geben was sein Herz in sich hinein gestopft hatte, zwischendurch drängten sich auch kurze Kommentare über das eigene Liebesleben des Mannes durch. Doch nun war der Mensch an einen sonderbaren Höhepunkt angelangt, indem er die Arme auf der Tischplatte kreuzte und das Kinn darauf legte. Vorerst wurden die Gläser beiseite geschoben und Erziraphael lockerte ein wenig den Krawattenschal und pustete theatralisch aus. Die Seide wirkte allmählich störend, es wurde ja auch immer wärmer und wärmer in diesem Raum. Und schummriger. Auch die Umgebung hatte plötzlich Lust bekommen sich etwas im Kreis zu drehen. Huiii. Aber seinem Gegenüber erging es anscheinend noch elender. Der Mann verzog den Mund und rollte mit seinen entzückenden Hundeaugen. Kein Außenstehender vermochte sie zu belauschen, denn sie waren die einzigen die sich akustisch noch verstehen konnten.
„Ja, ich weiß auch, dass wir beide Schauspieler sind und daher kaum Zeit für einander haben. Wir haben beide unsere Karrieren und sind deswegen meist gestresst. Aber ist das meine Schuld? Neeeein, natürlich nicht! Und ist es seine? Neeeein, auch nicht. Aber irgendjemand muss doch Schuld daran haben, dass er einfach mit Sack und Pack und mit Struppi das Weite gesucht hat.“
Erziraphael musste den bleischweren Kopf abstützen, sonst könnte ein Unglück mit dem Tisch geschehen.
„Stuppi? WasisteinStuppi?“
„Nee, Struppi. Der von den belgischen Comics.“
„Oh, ich liebe die Waffeln.“
„Wir haben unseren kleinen Hund so genannt. Und auch ihn hat er mir so einfach aus dem Leben gerissen. Nun bin ich der alleinigste Mensch auf Erden.“
„Das Wort gibt es nicht. Alleinigste, meine ich. Ich glaube man sagt, der einsamste....oder so.“
„Das macht es auch nicht besser. Er ist fort. Weg. Abgehauen. Einfach so. Aber ich liebe doch seine seltsamen schottischen Gerichte. Oder wenn er diese ulkigen Gummistiefeln trägt, darin sieht er so unfassbar goldig aus. Ich liebe alles was er tut und ganz besonders ihn! Wer soll denn auf ihn aufpassen, wenn ich nicht bei ihm bin? Er geht doch immer so schusselig mit seiner Gesundheit um. Ich liebe diesen leichtsinnigen Kerl mehr als mein Leben!“
Da drückte er das Gesicht tief in die Armbeugen hinein und weinte entsetzlich. Voller Empathie fingen auch Erziraphaels Lippen an zuzittern und er streckte beide Hände nach dem Mann aus. Streichelte ihm immer wieder über die wilden dunklen Locken, zwecks des Trostes. Er legte schlussendlich alle Finger auf dessen Unterarme und drückte freundschaftlich zu.
„Ich fühle so sehr mit Ihnen. Es ist wirklich herzzerreißend, wenn das Wesen deiner Schwärmereien nicht das gleiche zurückgeben kann. Aber dennoch müssen wir durchhalten, denn das Leben wird uns dafür schon belohnen. Irgendwie...irgendwann....hoffentlich.“
„Aber ich will nicht das Leben, ich will ihn!“
Danach wurde das Wimmern und Heulen noch schlimmer als zuvor. Und Erziraphael steckte sich mehr oder weniger davon an. Besonders weil er bei diesen Worten noch mehr an Crowley denken musste, fing er ebenso mit schluchzen an. Da er die Arme ja noch gestreckt hatte, ließ er -erweicht von des Mannes Tränen- ebenso das Gesicht zwischen die Arme hängen und zog die Nase hoch.
„Kann mir jemand mal erklären, was das hier werden soll?“
Unter schweren, traurigen Lidern erhob der Engel das Gesicht und blickte plötzlich auf zwei schwarze Oberschenkel und den Saum eines einheitlichen Herrenjacketts. Crowley verzog den Mund zu einer verständnislosen Miene und rührte sich ebenso viel wie Erziraphael: Nämlich gar nicht. Sie blickten sich einige Augenblicke gegenseitig ins Gesicht, bis der Blonde plötzlich larmoyant stöhnte.
„Oh nein, jetzt ist es passiert. Ich seh´ ihn direkt vor mir.“
Nasse Wimpern hoben sich aus menschlichen Armen empor und schauten sein Gegenüber an.
„Was?“
„Den Grund für meine vermeintliche Selbstverleugnung, ich sehe ihn.“
„Was?“
„Da.“
Der Mann folgte dem trägen Zeigefinger des Engels und bestaunte blitzartig eine großgewachsene verwirrt dreinschauende Gestalt mit modernen Haarschnitt, einen weinroten Rollkragen und mit runder Sonnenbrille.
„Oh Gott, ich sehe es auch.“
Doch plötzlich begann der Gelockte schelmisch zu grinsen.
„Aber dafür ist das ein richtig hübscher Grund.“
Crowley erhob eine Augenbraue. Über was, zum Henker, wird hier gesprochen? Und warum hockt Erzi hier mit einem besoffenen Kerl rum?
„Das ist ja eines meiner Probleme. Aber viel schlimmer ist, dass er so lieb zu mir ist. Er versucht es zu verstecken und glaubt ich würde es nicht bemerken, aber das tue ich. Und es ist so herzerwärmend. Wieso redet er bloß nicht offen mit mir? Ich glaube er würde mir jede Tür aufhalten, wenn er nur nicht so sehr an seinem Ego hängen würde. Weißt du wie viele Blumen er mir schon geschenkt hat? So liebevoll ausgewählt. Ach, wie er mich immer anlächelt, wenn er überlegen wirken will.“
Ruckartig zog der Dämon die Hände aus den Taschen und machte Anstalten dem Engel hoch zu helfen. Er konnte nicht zu lassen, dass Erziraphael in aller Öffentlichkeit über einen Höllenkrieger sprach, der sich wie ein erweichter Liebestoller Trottel verhielt. Was er natürlich keinesfalls war.
„In Ordnung, das reicht. Wir gehen jetzt.“
Da er plötzlich die dämonischen Hände an sich spüren konnte, glitzerten Erziraphaels Augen verzaubert auf.
„Du bist ja doch echt. Du hier bei mir. Aww, Crowley, wie schön.“
Doch der Engel rührte sich trotzdem kein Stück weit, auch weil der Mensch wieder zu wimmern anfing und somit Erziraphaels volle Aufmerksamkeit bekam.
„Ja, er bekommt den meisten Applaus, wenn wir gemeinsam auftreten. Oder er die Hauptrolle und ich eben nicht. Aber hat mich das irgendwie gestört? Nein! Denn er ist nun mal wunderbar. Er spielt wie ein junger Gott und ich liebes es ihm dabei zu zusehen. Ich war niemals neidisch. Wie könnte ich auch? Schließlich ist er solch ein liebenswerter, guter Mann. Jeder liebt ihn. Aber ich bin der Auserwählte zudem er kommt, wenn eine Vorstellung vorbei ist. Ich bin derjenige, der er in seine Arme schließt, wenn er Ruhe finden möchte. Vielleicht kann ich nicht mit seiner Begabung mithalten, aber das ist kein Grund mir solch eine Abreibung zu verpassen. Diese Aktion vertrage ich nicht. Und ja, es war nicht immer alles eitler Sonnenschein. Besonders dann nicht, wenn er nach einer gefeierten Premiere ran wollte. Er machte daraus immer gleich zwei oder drei Runden. Gut, sein sportlicher Körper ist wirklich hübsch anzusehen und er vermag vieles damit zuvollbringen, aber ich bin doch keine Maschine, verdammt!“
Plötzlich hetzte Erziraphael den Blick zu Crowley hinauf und sprach mit einer entsetzten, aber doch recht verworrenen Stimme zu ihm.
„Bin ich für dich etwa auch nur eine Maschine?“
„Glaub mir, er meint etwas vollkommen anderes als du. Und jetzt lass uns endlich gehen.“
„Aber, aber ich muss ihn noch trösten!“
„Nichts da, du musst erst mal wieder nüchtern werden, Engel.“
Der graumelierte Mann bedeckte nun wieder die Augenhöhlen mit den Handinnenflächen.
„Mich nannte er immer Bärchen. Und nun werde ich es nie wieder hören.“
„Aww, sie armer Knabe.“
Crowley verdrehte die Augen und fingerte nach dem Arm seines Freundes.
„Vergiss es. Abmarsch jetzt!“
Etwas zu strebsam zog er ihn vom Stuhl hoch und bezahlte mit einem Wink die Zeche beim Wirt. Er wollte den Engel schon zum Ausgang scheuchen, als sich Erziraphael herzallerliebst von dem Mann verabschiedete und umgekehrt. Langsam pulsierte eine ungeduldige Vene unter den roten Haarschopf hervor. Auch weil der Dämon es nicht ausstehen konnte, wenn irgendwelche Typen so plump vertraulich mit Erzi waren.
„Komm endlich.“
Damit zerrte er ihn ohne Erbarmen durch die lichtende Bar und grunzte mürrisch vor sich her. Erziraphael ließ sich lieber ziehen, da er die Welt sowieso nicht richtig erfassen konnte und sie sich immer noch wie ein Brummkreisel fortbewegte. Die Beine wurden weich und der Halt unzulänglich. Tatsächlich wollte er den Dämon darum bitten etwas langsamer zu laufen, aber er bekam kein anständiges Wort heraus. Und im selben Moment wo Crowley die Tür öffnen wollte, wurde sie auch schon von einem gehetzten Menschen aufgeworfen. Dieser rannte beinahe in den Dämon hinein, konnte sich aber gerade noch so abbremsen. Dabei glänzte ein kleiner Anhänger um den menschlichen Hals auf, es sah aus wie der walisische Drache.
„Oh, ´Tschuldigung!“
Der Rothaarige knurrte etwas zurück und winkte abwertend, als der Mann da bereits panisch weiter in das Barinnere rannte. Erziraphael hinderte Crowley am weiterlaufen.
„Der sah ja aus wie du.“
„Ach so ´n Quatsch. Der hatte braune Haare und zieht sich nicht so schick an. Außerdem läuft der ganz anders.“
Endlich wollte der Dämon diese irische Stube verlassen, als die beiden plötzlich eine aufgebrachte Stimme hörten.
„Michael!“
Der Engel bemerkte wie sich sein ehemaliger Trinkkompagnon plötzlich nach jenen Ruf umdrehte und erschrocken nach der Tischplatte griff, um nicht herunter zu purzeln. Er starrte den neuen Gast großäugig an.
„David?“
Aus jeder Entfernung hätte man die pure Erleichterung im Körper des schlaksigen Mannes sehen können und wie er sein dunkles Schulterlanges Haar nach hinten sträubte. Wie eine Katze im Sprung hechtete er auf den sitzenden zu und umarmte ihn herzlich und heilfroh.
„Großer Gott, wo warst du bloß? Ich habe mir solche Sorgen gemacht.“
Dann kniete er sich vor Michael hin und griff um dessen Hände, welche immer noch vor Perplexität unbeweglich waren.
„Ich? Du hast mich doch verlassen.“
David verformte das Gesicht fassungslos und dachte im Traum nicht daran irgendwann wütend darüber zu werden. Er war einfach nur glückselig, dass seinem Freund nichts geschehen war.
„Wie könnte ich? Ich war doch bloß in Oxford. Mutter ist schon wieder falsch umgestiegen, sie hört mir einfach nie richtig zu. Sie rief doch letzten Dienstag an, dass sie für zwei Wochen zu uns kommen will. Es kam alles so knall auf Fall und da konnte ich nicht mehr auf dich warten, du weißt doch wie sie ist.“
Allmählich stiegen neue Tränen in Michaels rotem Gesicht auf, weil er immer mehr den Begriff >Missverständnis< vor sich aufblinken sah.
„Und wieso hast du dann auch Struppi und deine Zahnbürste mitgenommen?“
Beruhigend streichelte David über einen der kräftigen Oberschenkel seiner Liebe. Seine Stimme blieb beruhigend und einfühlsam.
„Weil ich nicht wusste, ob ich über Nacht bleiben muss. Du weißt doch das alles immer komplizierter mit ihr wird. Und Mutter liebt den Hund, sie verlangte dass ich ihn mitbringe. Außerdem habe ich dir doch einen Zettel an den Kühlschrank geheftet.“
„Da stand nur >Ich bin weg<. Na, darauf bin ich auch von selbst gekommen.“
Der Mann mit den glänzenden braunen Haar machte ein Upps-Gesicht und entschuldigte sich mit allem was er hatte.
„Wie gesagt, es überschlug sich alles. Bitte, entschuldige. Das wollte ich keinesfalls in dir auslösen. Ich mache es wieder gut, ich versprech´s.“
„Oh, David! Und ich dachte schon, du hättest mich verlassen, weil du glaubtest, dass ich nicht mehr gut genug für dich wäre.“
„Bist du verrückt? >Nicht gut genug<, niemand auf der Welt würde darauf kommen. Du bist das Beste was mir jäh begegnet ist. Wenn du mir nicht glaubst, dann frag unser Publikum. Wer bekommt denn den meisten Applaus auf der Bühne? Also ich bestimmt nicht. Ohne dich wäre doch alles sinnlos. Ich liebe dich mehr als das Leben, mein Bärchen.“
„Aww, mir tut es auch so schrecklich leid. Ich liebe dich.“
Und gerade als sich die beiden Männer richtig in die Arme fielen, entrann dem Engel ein tiefer Seufzer aus der Brust. Er fummelte an Crowleys Jacke herum und konnte sich gerade noch so einen aufrechten Stand bewahren. Er konnte zwar nicht mehr geradeaus gucken, aber dafür reichte es noch.
„Sieh.. sieh nur. Wie wundergut. Es war nur eine Fehlbestellung und die zwei Herzen haben wieder zusammen gefunden. Hach.“
Doch der Dämon blickte nur emotionslos durch den Raum und packte nach Erziraphaels Ellenbogen.
„Ja, so herrlich das ich gleich Eimerweise kübeln könnte. Und jetzt geh.“
Außerdem war die Wortwahl seines Freundes ein eindeutiges Alarmsignal.
Der Bentley stand selbstredend wie ein stiller Schleicher direkt vor dem Pub. Crowley steuerte zielgenau auf ihn zu, während der Engel permanent einen Ausschlenker bekam und manchmal sogar gegen seinen Freund rempelte. Vollkommen Koordinationslos.
„Beim großen Rasputin, wie viel hast du denn getankt?“
Erziraphael konnte noch nicht einmal den Kopf in einer Neigung halten, ohne das die Welt sich sofort in eine andere Richtung drehte.
„Wieso ich? Das ´is doch dein Autolein.“
Augenrollend öffnete der Dämon mit einem Gedanken die Beifahrertür und führte den Engel bis zum Wagen.
„Wie viel du getrunken hast, will ich wissen.“
Das blonde Wesen kicherte mehrdeutig.
„Och, nur zwei, drei Gläschen.“
„Du meinst wohl Fässer. Jetzt steig ein.“
Er tat wirklich alles in seiner Macht stehende um dieser Aufforderung gerecht zu werden, doch Erziraphael donnerte dann doch gegen das Heck und musste sich mit beiden Händen am Blech festhalten. Sofort ließ er wieder davon ab. Wobei ihm allerdings ein neuer Schleudergang einholte und Crowley ihn sofort wieder stützen musste. Trübsinnig, aber doch mit glasigen Blick schaute der Engel noch einmal auf den Bentley.
„Oh, ´schuldige, ich hab´ ihn angefasst.“
„Du darfst ihn sooft antatschen wie du nur willst, aber Hauptsache wir fahren endlich.“
Damit hievte der Dämon ihn einigermaßen auf den Beifahrersitz und schloss erleichtert die schmale Tür. Wie eine gebadete Maus blickte Erziraphael vor sich her und stöhnte leise.
„Ich fühl mich so komisch.“
Er schloss die Augen und ließ sich recht unbequem zur Seite fallen.
Crowley streifte sich noch das Sakko wieder glatt, ehe er sich hinter das Lenkrad platzieren wollte. Er öffnete die Tür auf seiner Seite und stutzte, als er blaue Augen von dort aus schlummern sah.
„Was soll´n das werden?“
„Meine Haare sind so schwer, ich muss ausruhen.“
„Und wie soll ich dann fahren?“
„Ich könnte ja meinen Topf..ähm Kopf in deinen Schoß legen.“
„Ähm... nein, denn wenn uns ein Bobby erwischt, könnte er das ein klein wenig falsch verstehen. Jetzt setz dich ordentlich hin.“
Widerwillig tat der Engel wie ihm geheißen und Crowley fuhr los. Mit einem immer seltsamer werdenden Blick versuchte Erziraphael die Umgebung ausfindig zu machen, irgendwie misslang dies.
„Wo sin´wir denn?“
„Immer noch in Soho. Teufel noch eins, bist du voll. Willst du dich nicht mal nüchtern machen?“
„In Ordnung...dir zu Liebe.“
Nach einem angehauchten Versuch schnaufte Erziraphael aber schon wieder aus und legte den Kopf schief.
„Es geht nich´, die Welt ist so...so..“
„Nebulös?“
Er versuchte den schweren müden Kopf gegen die Scheibe zu lehnen, aber nach einem hinterhältigen Schlagloch krachte er mitleidlos dagegen und jaulte auf. Hielt sich die Stelle und schaute wimmernd zum Dämon hinüber.
„Ich hab mir das Köpfchen gestoßen. Crowley, hilf mir.“
Nachdem der Rothaarige einen fixen Blick neben sich gewagt hatte, traf er auf eine erweichende Aussicht und schaute lieber wieder auf die Straße zurück. Denn wenn der Engel solche Dinge sagte und dann auch noch so ein Gesicht machte, konnte er sich kaum konzentrieren und knickte bei allem ein.
„Wir sind ja gleich da.“
Ungeduldig wie eine Geliebte, rutschte der betrunkene Erziraphael wieder lieber zurück in die Innenseite und legte den Kopf kuschelnderweise an Crowleys Schulter ab. Umschlang mit beiden schwachen Händen dessen Oberarm und seufzte genüsslich aus, bevor er die Augen schloss.
„Jetzt geht es mir wieder gut. Viel besser und so weeeeich.“
Sämtliche Salzsäulen von Pompeji wären neidisch gewesen. Crowley erstarrte augenblicklich und konnte sich kaum noch rühren. Das sanfte blonde Haar des Engels schmiegte sich so liebevoll an ihn, dass es ihm schier den Verstand raubte. Dieser feine Atem und diese sehnsüchtigen Hände. Und plötzlich roch es hier überall nach Vanille. Das alles brachte den Dämon in einen gehörigen Schweißausbruch, gepaart mit einem hämmernden Herzen. Nach einer gefühlten Ewigkeit japste er endlos aus und versuchte die Schulter ein wenig anzuheben. Doch er traute sich nicht, denn....denn... es fühlte sich so süß an. Nein, das darf es aber nicht! Nein! Plötzlich atmete er auf, der Buchladen. Er bremste vorsichtig ab und räusperte sich.
„Ähm Erzi? Wir sind da.“
Ärgerlich öffnete der Engel die trüben Augen und stöhnte aus.
„Schon?“
Irgendwie hatte es Crowley geschafft ihn von seinem Körper zu lösen. Als der blonde Bibliomane auch schon die zufallende Tür hörte und sich traurig umblickte.
„Mein Crowley is weg. Oh nein.“
Plötzlich erschien die höllische Gestalt wieder an seiner Fensterscheibe und Erziraphael lächelte selig auf.
„Oh, da is er ja wieder.“
Viele Anläufe von beider Seiten hat es gebraucht, damit Crowley seinen Freund aus dem Wagen bekam und einigermaßen mit ihm zum Eingang laufen konnte. Erziraphael hatte sich lieber in das schwarze Sakko eingehakt und taumelte neben den leicht nervösen Dämon her, der wiederum erst einmal die Holztür aufschnippte. Ruckartig fiel sie hinter den beiden wieder ins Schloss und Crowley betrachtete sich den summenden, aber anhänglichen Engel. Im selben Moment blickte der Betrunkene auch ihm ins Gesicht und lächelte breit, aber recht unkontrolliert. Es rührte in solch ungewohnten Gewässern herum, wenn Erziraphael so anhänglich war und dann ständig sein gedehntes Stöhnen heraus brachte.
„Also, wenn ich ein Mensch wäre, könnte ich das glatt ausnutzen.“
„Was will du?“
Ach herrje, das hat er auch noch gehört. Crowley verzog nur eine unbeteiligte Miene und sorgte für ausreichend Licht.
„Deine Bar plündern, was denn sonst?“
Erneut entrann der malträtierten Kehle ein sonderbares Glucksen und ein schwankender Engel tippte unaufhörlich in die schwarze Brust seines Freundes hinein.
„Du bist so putzig. Weißt du eigentlich das du mein Lieblingsdämon bist?“
„Hast du etwa noch andere neben mir?“
Die Frage sprach aus einer ehrlichen Empörung heraus, doch Erziraphael grinste nur debil und wollte durch den Buchladen tänzeln. Doch sonderlich weit kam er nicht dabei. Denn plötzlich blieb er neben der Registrierkasse stehen und streckte beide Arme weit aus, um die Balance zu halten. Die Finger waren seltsam gespreizt und das rechte Bein streckte etwas zu sehr nach hinten weg. Er schloss kurz die Augen und verharrte in dieser makaberen Stellung wie eine Schaufensterpuppe im Harrod´s.
„Ohweh.“
Neugierig stellte sich Crowley neben ihn hin und äugte vorgebeugt.
„Was ist jetzt?“
Es war ein Wunder das Erziraphael überhaupt so lang still halten konnte. Das einzige was sich bewegte waren seine sprunghaften Augen und deren Brauen, die hüpften und flogen.
„Da kommt etwas.“
Noch interessierter als zuvor, schaute der Dämon durch das Geschäft.
„Was kommt wo?“
„Ein schreckliches Gefühl aus meinem Magen...und irgendwie will es nach oben.“
Nun wurde Crowley alarmiert und er setzte sich in Bewegung, nämlich indem er seinen beschickerten Freund um die Schultern fasste.
„Die Menschen nennen das Übelkeit. Und es wird nicht angenehmer, wenn du in Adlerpose zwischen Teppich und Kasse stehst. Du musst dich hinlegen.“
„Ich hab´doch kein Bett.“
„Ein Grund mehr, warum ich deine Lage nie ausnutzen könnte. Aber ein Sofa hast du immerhin, also machen wir es dir da gemütlich.“
Fügsam wie eine junge Braut ließ sich Erziraphael auf das Polster geleiten und fühlte nun selbst wie käsig er aussehen musste. Diese sogenannte merkwürdige Übelkeit wurde immer heftiger. Im gleichgültigen Fall, wäre Erziraphael einfach herunter gepurzelt, weil er durchweg kein Gleichgewicht mehr halten konnte. Aber er hatte ja einen Dämonen bei sich, der ihm Gott sei Dank äußerst zugetan war. Denn nachdem Crowley ihn hinten anlehnte, zog er ihm dessen Jacke aus und fingerte ihm den Krawattenschal ab. Warf beides achtlos zu Erden und half vorsichtig es dem Engel angenehm zu machen. Legte ihm die Beine hoch und befreite die Füße von den engen Lederschuhen. Er wusste nur allzu gut, dass Erziraphael es nicht ausstehen konnte, wenn jemand mit Straßenschuhen auf die geheiligte Couch trat. Außer Crowley, er war die einzige Ausnahme. Stöhnend sank das blonde Haupt schwerfällig in das dunkelbraune Sofakissen hinein und er rührte sich vorerst keinen Millimeter. Er blickte unter starken zwinkern zum Dämon empor.
„Wird dir nich´ auch übel, wenn du dich so drehst? Halt doch mal an.“
„Wenn sich die ganze Welt dreht und nur du stehst still, dann liegt es immer an dir selbst, Engel.“
„Mir ist so heiß. Ich glaub ich fang an zuschwitzen. Ich will nich´schwitzen. Schwitzen ist so unäsfe...unässi...nicht schön eben.“
Etwas unsicher starrte der Dämon um sich herum und zuckte mit den Schultern. Hob beide Hände und schüttelte den roten Kopf. Das er ihm vom Jackett erlöst und den eingesperrten Hals befreit hatte, wusste er nur aus eigener Erfahrung. Kleidung konnte im alkoholisierten Umstand nervig sein. In manchen Fällen war Crowley noch recht unbeholfen. Tja, das Leben eines Dämonen ist eben recht unfürsorglich. Er kümmerte sich nie um solche Dinge.
„Und was tun, wenn jemand in so einem Zustand ist?“
„KühleKühleKühle. Es ist wie ein kleines Feuerchen.“
Ohne zu murren durchforstete Crowley das Hinterzimmer nach einer kleinen Bronzeschüssel, befüllte sie mit klaren kühlen Wasser und kam mit einem bestickten Waschlappen zurück. Hockte sich auf den Teppich und verabschiedete sich von seinem Jackett und der runden Brille. Er atmete einmal tief aus und öffnete Erziraphael weitere der oberen Knöpfe, bis hin zur Brust. Und weil dem Engel immerfort schlecht war, musste da noch ein anderer Knopf geöffnet werden. Ehrlich gesagt hielt Crowley kurz inne und fragte sich ob er das überhaupt dürfe.
„Na ja, er ist ein Engel. Falls er sich daran erinnern sollte, denkt er sowieso an nichts unehrenhaftes.“
Auch wenn irgendwo in ihm drin eine verlegene Nervosität lungerte, nestelten Crowleys Finger bereits an Erziraphaels Hosenbund herum. Er öffnete Knopf und Reißverschluss etwas und schenkte dem Freund somit ein großes Freiheitsgefühl. Erleichtert seufzte der blonde Engel aus und neigte den Kopf seitlich ins Kissen hinein.
„Wenn du das nächste Mal ein Besäufnis abhalten willst, dann ruf mich gefälligst an und wir machen das gemeinsam. Aber geh nicht in irgendwelche Bars, die kein Spielplatz für Engel darstellen.“
Es war irgendwann nach Mitternacht und auch die Dämpfe der sonst überfüllten Straßen senkten ihre Häupter. Während ein rothaariger Dämon den Lappen in das Nass tauchte und es unwillkürlich liebevoll auf das glühende Gesicht eines leidenden Engels tupfte. Erziraphael lächelte erlöst. Auch seine Stimme klang etwas kränkelnd und leise, aber auch erleichtert.
„Ahh, wie frisch. Das ist schön.“
Da er ihm eh nicht lang widerstehen konnte, seufzte Crowley nur aus und bestrich ihm weiter mit der lindernder Fürsorge. Zu der er angeblich nicht fähig wäre.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, Erzi? Das ist doch sonst nicht dein Stil.“
„Ich wollte nicht mehr mit mir allein sein.“
Der Dämon sah ihn irritiert an. Erziraphael drehte sich erst auf die Seite und zog die Beine zum Bauch hoch. Aber das ging nicht, die Übelkeit regierte immer noch. Da rollte er sich wieder auf den Rücken und blickte Crowley verzweifelt an.
„Weil ich kein richtiger Engel mehr bin.“
Der Lappen stoppte und hob sich leicht. Plötzlich wirkte Crowley etwas kämpferisch.
„Wer hat das gesagt? Wenn dich jemand geärgert hat, dann...“
„Nee, nein, nein, es ist von mir. Ich habe gegen den Engel-Kodex verstoßen.“
„Ihr habt einen Kodex?“
Die Stirn und die Wangen durften sich nun wieder weiteren Erfrischungen erfreuen.
„Eigentlich nicht, aber das sollten wir. Und ich habe ihn missachtet.“
Sowas kann auch nur ihm einfallen, dachte Crowley und beugte sich weiter vor, allmählich wurde diese Stellung lästig. Erziraphaels Stimme wurde zunehmend weinerlich.
„Erst habe ich dir das mit Rom vergeben und dann habe ich dir geweihtes Weihwasser geschenkt.“
„Willst du´s wiederhaben?“
Auch wenn es nicht in seiner Macht stand versuchte der Engel den Kopf zu heben, wobei sich der Waschlappen aber davon nicht stören ließ und einfach mitwanderte.
„Natürlich nich´. Es gehört dir und ich will das es dich beschützt. Es hat nur etwas mit mir zu tun. Ich weiß nicht ob ich mir selbst noch trauen kann, wenn ich ständig bei dir einknicke.“
„Ständig? Ein bisschen übertrieben, findest du nicht?“
Dann frag mich mal wie es mir bei dir geht, fügte Crowley gedanklich zu und blickte nur erwartungsvoll auf den unsicheren Freund.
„Aber was ist das genaue Problem?“
Erziraphael vollführte merkwürdige Gesten, die höchstwahrscheinlich irgendetwas lohnenswertes zu bedeuten hatten, aber der Dämon kam nicht drauf.
„Früher habe ich mich immer brav an alle Regeln gehalten, naja bis auf ein, zwei klitzekleine Ausnahmen. Dennoch konnte ich immer alles mit Fug und Recht vor mir selbst rechtfertigen. Es waren stets gute Dinge, die ich tat. Aber jetzt..jetzt fühle ich mich vollkommen außer Kontrolle.“
So wie damals, 1823 im Lift, musste sich der Dämon auch hier hart auf die Lippen beißen um nicht vor Rührung laut loszulachen. Es war einfach zu drollig. Erziraphael hielt das schon für eine moralische Krisensituation? Wie süß er doch war. Dennoch räusperte sich Crowley zur Ernsthaftigkeit und schluckte alles runter.
„Du musst mir doch nicht verzeihen, wenn du nicht willst. Wenn dir die Erinnerungsauslöschung so zu schaffen macht, dann lass es bleiben. Und wegen des Weihwassers brauchst du dir auch keinen Kopf zu machen. Ich beschaffe mir schon welches, ich erzähl dir dann einfach nur nicht wie ich es getan habe.“
Da packte Erziraphael ihn am schwarzen Kragen und zog sie beide aufeinander zu. Urplötzlich verstummte Crowley und sie starrten sich nur wenige Zentimeter voneinander entfernt tief in die Augen. Ihm schlug ein nicht ganz dezenter Geruch von Ale in die Nase.
„Hör mir doch mal richtig zu. Ich würde alles tun, damit dir nichts geschieht, Crowley. Du bist schließlich mein Lieblingsdämon. Und ich muss doch dafür sorgen, dass es dir gut geht. Und wenn ich dafür bestraft werde, dann nehme ich es gerne in Kauf. Was mich fertig macht ist die Tatsache, dass das doch eigentlich richtig war, aber der Himmel wahrscheinlich anders entschieden hätte. Wieso sehe ich das plötzlich so? Ich zweifle an der Richtigkeit meiner Seite, Crowley!“
Erstarrt schloss der Rothaarige den Mund und fühlte sich gewarnt. War er das etwa gewesen, der das im Engel ausgelöst hatte? Nein, so einfach ging das nicht. Erziraphael war doch stets dieser Fels, der allem widerstand, er durfte doch nicht so tief zweifeln. Ein bisschen war ja ganz okay und reichte vollkommen aus und alles andere war Crowleys Aufgabe.
„Habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, das du bildhübsche Augen hast?“
Von einem Strudel in den nächsten gestoßen, zog es Crowley zum Engel zurück und hielt den Atem an. Was war das eben? Erziraphael lächelte selig und hatte sich sämtlichen Defätismus aus der Aura geworfen. Tatsächlich war er zu betrunken, als das er sich fest in einer Stimmung halten konnte. Nun lagen beide Hände auf den dämonischen Schultern und die runde Nase des Engels stupste kurz die seine an. Dann kicherte er.
„Immer wenn du deinen Miesepeterblick heraus holst, dann muss ich stets an die Schöpfung des Mars´denken. Dabei wurden rundherum diese rot-gelben Funken versprüht und ließen üüüüberall diese romantischen Sterne entstehen. Genau das sehe ich in dir, Crowley: Eine lebendige Schöpfung Gottes, die man gerne ansieht.“
Nach einem geschenkten tiefen Blick blieben beide für einen Moment still und ruhig. Crowleys Herz freute sich. Wieso tat es das? Vielleicht weil diese Worte alles für ihn bedeuteten, egal wie sie auch sonst gelautet hätten. Alles war er dabei heraushörte war das, was er eigentlich immer von ihm zu hören bekam: Es ist schön, dass du hier bei mir bist. Trotz des Alkohols filterte er den Vanilleduft deutlich heraus und Crowley umfasste Erziraphaels Schultern. Wenn er ihn jetzt küssen würde, was würde wohl dann mit ihm geschehen? Sollte er ihn zurück drücken oder heranziehen? Für den Dämon wäre es die Gelegenheit sich dieser einen Sache endlich und deutlich bewusst zu werden. Denn manchmal verwirrte ihn etwas, wenn er bei seinem Freund war. Er könnte es probieren, ihn zu küssen. Hier und jetzt. Und der Engel wäre ihm nicht böse, er wüsste es am nächsten Morgen sowieso nicht mehr.
Doch Crowley seufzte nur, gab eine leicht lässige Miene und dirigierte den taumelnden Oberkörper seines Freundes zurück in das Sofakissen und schnippte ihm eine kuschelige Decke drüber.
„Du bist der einzige wahre Engel den ich kenne. Und was ich von deiner Seite halte weißt du ja, aber urteile nicht falsch über dich. Du machst alles erstklassig. Es ist in Ordnung zu zweifeln, aber für die ganz großen Sachen hast du mich. Egal, was du tust, ich werde da sein und dir schon sagen ob es falsch war. Das weißt du und darauf kannst du dich immer verlassen. Du könntest niemals etwas tun, was gegen die richtige....Liebe verstößt. Ich übernehme die schweren Angelegenheiten und du bist einfach nur du. “
Während sich Erziraphael doch auf die Seite drehen konnte, igelte er sich wohlig in die (extra für ihn) karierte Decke ein und schaute Crowley erleichtert an. Aber auch glücklich. Seine Augen drückten immer schwerer.
„Ich danke dir. Vielleicht ist es ja gelogen. Aber es ist dafür eine warme, schöne Lüge. Ich weiß, warum du mein Lieblingsdämon bist.“
Der Engel ergab sich der Müdigkeit und lächelte in den gemächlichen Schlaf hinein. Crowley tupfte ihm ein letztes Mal das Gesicht ab und er wusste nicht wie weit er denn gehen durfte. >Nicht in meine Fänge. Er darf nicht in meine Fänge geraten, das habe ich mir vor vielen Jahren geschworen. Abstand, bewahre den Abstand.< So ist es besser für ihn. Mahnte sich der Dämon und stützte beide Hände hinter sich auf dem Boden ab.
„Mein....Lieblingsengel.“
Am darauffolgenden späten Morgen.....
Ein stechender feuriger Schmerz tobte plötzlich hinter seiner Stirn und Erziraphael riss die Augen auf. Oh, Allmächtiger, löste er sich gerade auf? Selbst das Blinzeln war das reinste Nadelkissen, nur falsch herum gesetzt. Schwer stöhnend schaffte er es irgendwie sich auf den Unterarmen zu tragen und blickte ungelenk auf den verrutschten Stoff um seinen Leib. Seit wann besaß er denn eine Sofadecke? Zu schwach um irritiert zu sein, nahm er sie von sich herunter und versuchte sich einigermaßen aufzusetzen. Ständig suchten die Finger nach den Schläfen, während der Körper Ziegelsteine in sich gelagert haben musste. Da er den Kopf einfach nicht aufrecht halten konnte, wurde der Blick mit der geöffneten Hose konfrontiert. Darüber wunderte er sich nur latent, auch wenn er sich sofort dran machte sie unter schwacher Konzentration wieder zu schließen. Was war denn nur passiert? Da raste dieses gehässige Feuer wieder durch seinen Kopf und hinterließ nur einen stechenden Tod und brutzelnde Verwüstung. Postwendend befanden sich sich Hände wieder an den Schläfen.
„Was, zum Donnerwetter, ist das nur?“
„Die Menschen nennen das Kater. Üble Sache, hässliche Sache.“
Erst freudig erregt, doch dann elendig quälend zumute, wirbelte Erziraphael den Kopf nach oben. Der rothaarige Dämon stand leger und mit gekreuzten Beinen an einer der breiten Säulen und hielt eine dampfende geflügelte Tasse bei sich. Schaute auf einen ächzenden Engel und verzog den Mund. Erziraphael, der eigentlich aufstehen wollte, wurde vom eigenen Körper daran gehindert und hielt sich lieber weiter den Kopf. Doch um dem Freund einen Zeigefinger entgegenzustrecken reichte es gerade noch so.
„Warte bitte einen Moment.“
Noch in Crowleys Mach-nur-Geste beschleunigte Erziraphael die Selbstheilung und stieß urplötzlich eine laute Erleichterung aus.
„Großer Gott, ja, eindeutig besser. Wie überleben das diese Menschen nur?“
„Mit sauren Gurken und Schnaps.“
Ein leise Knacken in des Engels Genick ließ sich ertönen, bevor er viel fideler aussah und sich herzhaft streckte. Da fiel ihm die Bar wieder ein und dass er eigentlich noch nie zuvor geschlafen hatte. Mit gerunzelter Stirn versuchte er sich an irgendetwas zu erinnern, aber es misslang. Ebenso fragwürdig beschaute er sich den Dämon, der immer noch vollkommen salopp an der Säule lehnte.
„Und wie passt du in diese ganze Geschichte? Denn ich weiß nur noch, dass ich in diesen reizenden Pub gegangen bin und mit diesen sympathischen Herren sprach, aber danach...schwupps, schwarz.“
Gerade wollte Crowley ansetzen, als sein himmlischer Freund ruckartig blass wurde. Er riss die Augen auf und starrte den Dämon zu tiefst schockiert an.
„Hast du....Hast du es etwa schon wieder getan?“
„Was denn?“
„Meine Erinnerungen... gelöscht.“
Nun stieß sich Crowley etwas von der Stütze ab und spreizte Augen und Mund.
„Häh, nein, natürlich nicht. Ich hab doch gesagt ich mach das nie wieder. Das warst du selber.“
Mit einem Schlag noch blasser werdend, umgriff der Blonde beide Wangenseiten und schien plötzlich in einem Abgrund zu starren.
„Ich habe mir selbst das Licht ausgeknipst? Oh große Güte. Wieso hab ich das getan? Ich kann sowas doch gar nicht! Woher kann ich das auf einmal?“
„Nein, Menschenskinder, ich meine den Alkohol. Du hast mit deinem Promillepegel selbst dafür gesorgt. Das passiert, wenn man sich nicht vorher wieder nüchtern machen kann. Du warst wirklich zu, komplett dicht. Der Kanal war voll.“
Auch wenn es nicht angenehm zu hören war, konnte sich doch die Erleichterung nicht unterdrücken. Achso, er hatte glücklicherweise nur den Überblick verloren. Puh. Doch, Moment, eine Frage beantwortete sich dadurch aber nicht so ganz. Erziraphael besaß wieder eine passende Gesichtsfarbe und blinzelte zu Crowley hinüber.
„Und was tust du dann hier? Wir waren doch gar nicht verabredet.“
„Ich wollte nur kurz bei dir vorbeischauen, konnte dich hier aber nicht finden. Deswegen habe ich meine Sensoren spielen lassen. Und da fand ich dich auch schon beschwipst im Pub und hab dich nach Hause gebracht.“
Mehr oder weniger beschlich Erziraphael ein mulmiges Gefühl bei dieser Ausführung. Wie peinlich, das sich Crowley um ihn kümmern musste. Inständig hoffte er natürlich, ihm nichts über die tiefe Liebe, die er für ihn empfand, preisgegeben zu haben. Er leckte sich über die trockenen Lippen und verengte kurzzeitig die Augenbrauen.
„Ich, ähm...ich danke dir dafür. Das war wirklich reizend.“
„Lass stecken.“
„Es tut mir leid, aber habe ich irgendetwas seltsames gesagt? Ich kann mich ja nicht wirklich daran erinnern. Falls ja, dann nimm es bitte nicht so ernst, es war nur unsinniges Gebrabbel von einem... betrunkenen Brabbler sozusagen.“
Obwohl er es natürlich viel besser wusste, pustete Crowley bloß gleichgültig aus und schlenderte zu ihm hinüber.
„Nö, nichts. Du bist noch im Bentley eingeschlafen.“
Äußerst erleichtert lächelte Erziraphael ihn an und wollte sich nebenbei den Krawattenschal richten, der seltsamerweise fehlte, ebenso wie seine Schuhe und die Jacke. Irgendwie genierte er sich gar nicht mehr, so vor Crowley zu sitzen. Schließlich hatte der Dämon ihn bereits in einem neckischen Kleidchen gesehen. Doch gerade als er sich an dessen Maßregeln erinnerte, fand er seine Kleidungsstücke auch schon. Die Schuhe standen fein säuberlich aufgestellt neben dem Schreibtischsessel. Und auf dessen Lehne hingen ordentlich zusammengelegt der Seidenschal und sein Jackett. Oh, Crowley wurde ja immer liebenswerter und heimeliger. Innerlich davon geschmeichelt, sah er zu wie ihm besagter Dämon den Beistelltisch vor die Füße zauberte. Darauf stellte er ihm die immer noch dampfende Engelstasse vor die Nase.
„Hier, etwas Kakao für die Nerven.“
Das wurde ja immer besser, dachte sich der Engel und roch genüsslich an dieser Süße, die anscheinend nicht nur von der heißen Schokolade ausging.
„Oh, Crowley, du bist...“
„Wenn du sagst: >putzig<, dann hau ich gleich wieder ab.“
„Wieso sollte ich dich putzig nennen?“
„Keine Ahnung, war nur so ´ne Idee.“
„Es ist zumindest eine liebe Geste. Ich danke dir.“
Die aufkeimende Wärme zwischen den Fingern belebte Erziraphaels Sinne, als würde er unter einem schönen Bann stehen und er fühlte sich plötzlich ungemein harmonisch.
„Wolltest du denn etwas bestimmtes von mir?“
Crowley brauchte einige Sekunden um sich für eine Antwort zu entscheiden. Ach was soll, es war ja nicht das erste Mal.
„Na, eigentlich wollte ich dir nur eine Kleinigkeit vorbeibringen.“
Nach einem raschen Schwang hinter sich, holte der Dämon einen bombastischen Blumenstrauß zum Vorschein. Ein gigantisches, aber doch wirres Gemisch aus roten Rosen, Jasmin, Hibiskus und Tulpen. Mit einer überrumpelten Verzückung setzte Erziraphael die Tasse achtlos auf den Tisch und stand auf. Crowley indes wurde sogar ein bisschen rot und kratzte sich die Nasenkuppe, während er seinem Freund ganz steif die Blumen entgegenhielt.
„Die sind für das Weihwasser. Ich...Ich dachte mir, das Rosen dieses Mal zu wenig wären. Na ja.“
Als hätte er einen Heiratsantrag angenommen, nahm ihm Erziraphael den Strauß ab und versteckte beinahe das halbe Gesicht darin. Er roch ausgiebig an ihnen und schloss für einen Augenblick die Augen. Öffnete sie wieder und blickte seinen Dämon unter schüchternen Lidern an.
„Sie sind wirklich entzückend und duften wunderbar.“
Und wie ein junger Bräutigam, der bald sein Ziel erreichte, konnte selbst Crowley das schiefe Grinsen nicht verbergen. Er setzte sich die runde Sonnenbrille wieder auf und warf sich das schwarze Jackett über eine Schulter. Selbst sein enger Rollkragen fühlte sich plötzlich so leicht und locker an.
„Na dann, bis die Tage, Engel.“
Sein lockerer Schlangengang zog an Erziraphael vorbei und er konnte innerlich einen großen Triumphzug spüren. Wo hingegen der blonde Engel einen tiefen Verlust bekunden müsste, wenn sein Freund ihn schon jetzt verlassen würde. Kurzerhand drehte er sich zu ihm herum und hielt die Blumen fest in den Armen.
„Würdest du mit mir frühstücken?“
Erstaunt neigte sich der Beatle-Schnitt wieder zurück, aber er sagte kein Wort. Erziraphael errötete unter dessen Schweigen und deutete ein Schulterzucken an.
„Du brauchst ja nichts essen. Vielleicht nur einen Kaffee trinken und ein bisschen....mit mir zusammen sein. Wir könnten gemütlich plauschen.“
Immer noch ohne eine Regung zu zeigen, meinte Crowley bloß:
„Fünf Minuten.“
Etwas enttäuscht darüber drückte Erziraphael die Blumen enger an die Brust.
„Ein Frühstück dauert aber etwas länger. Bei mir zumindest. Wenn ich da erst an den Toast denke und an die Eier und den Speck, die Würstchen, den frischen Obstsalat und...“
„Nein, ich meine, das du von mir fünf Minuten kriegst, um dich frisch zu machen. Ich warte solange im Bentley.“
Der Rothaarige wandte sich wieder der Tür zu und öffnete diese.
„Ich kenne ein kleines Restaurant, das dir gefallen könnte.“
Mit diesen Worten war er nach Draußen verschwunden. Doch kaum, dass das Holz hinter ihm geschlossen war, grinste Crowley gutgelaunt vor sich hin und begann ein kleines Liedchen zu pfeifen. Er wollte den Abstand bewahren und das würde er auch tun, aber bei einem Rendezvous konnte schließlich nichts passieren.
Voller Zufriedenheit darüber lächelte auch Erziraphael über ihre Verabredung. Selbst wenn er es nicht hören konnte -wie Crowley es tat- so begann auch er munter zu pfeifen, während er noch rasch die Blumen in eine chinesische Vase stellte.
So könnten die Tage stets beginnen.
Das nun Kommende konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Alles was gesagt wird, egal wie verwirrend oder übertrieben es scheint, ist gewollt. Auch in der Rechtschreibung. Ich habe den zwei Nebencharakteren ein wenig mehr Platz eingerichtet als geplant. Aber als ich es geschrieben hatte, konnte ich mich einfach nicht zusammen reißen. Bei dieser Vorstellung musste ich ständig lachen. Auch, wenn ihr es vermutlich nicht werdet. XD
Ihr werdet schnell herausfinden, warum. :D
So, in der Hoffnung das dieses Kapitel euch nicht zu langweilig erscheint, wünsche ich euch ein wunderbares und herzliches Wochenende.
Lasst es euch gut gehen und bis zum nächsten Mal,
eure Linda ^O^
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The Toucan Bar in der Carlisle Street (Soho)
Allmählich verschwanden die logischen Grenzen zwischen Rauch und halbdunklen Lichtern. Nicht mal die knalligen Reklameschilder von jeweiligen Alkohol- und Zigarettenmarken vermochten diesen zweideutigen Nebel zu durchdringen. Jeder Barhocker war seit Stunden von synthetischen Freizeithosen und breit gemusterten Krawatten bevölkert. An jungen lebensfrohen Frauen klimperte und klirrte es ganz ungeniert, während sich auch manchmal Herren mit Herren oder Damen mit Damen gut zu amüsieren wussten. Ein vollbeschäftigter Barmann übersah solche illegalen Handlungen, schließlich befand man sich in Soho. Gläser perlten belustigt aneinander oder andere Inhalte wurden dem Gegenüber über´s kurze Revers geschüttet. Irgendwo verstreute sich die Musik der Beatles; Überall hingen die alte Bilder der irischen Einwanderer, welche diesen Pub gegründet hatten; Und an einen der zerkratzten Ecktische saß ein schniefender Engel, der sich bereits das zweite Bier einverleibte. Eigentlich mochte er keine Malzgetränke, doch seit er Crowley das Weihwasser übergeben hatte fühlte er sich deprimiert und konnte es nicht mehr länger ertragen allein zu sein. Deswegen verließ er vor ein paar Stunden sein Buchgeschäft und blieb in diesem irischen Pub hängen. Er tat so etwas üblicherweise nicht, aber irgendwann war immer das erste Mal. Die Menschen hier drinnen versprühten auch nicht so viel Aggression oder Unzucht wie in vielen anderen unflätigen Bars an denen er vorbeizog. Darum konnte er sich hier in eine stille Ecke zurückziehen und niemand störte ihn beim beurteilen seiner Gedanken. Bis auf ein Augenpaar, das ihn seit einigen Minuten schon interessiert beobachtete. Aber er bemerkte davon nichts, denn seine Niedergeschlagenheit nahm ein schlechtes Übermaß an, welchen er nicht länger entrinnen konnte. Nun saß er also auf einer roten künstlichen Polsterbank und seufzte tiefsinnig in sein halb geleertes Glas hinein. Und wenn man glaubte, die Verdrießlichkeit würde einen in die Einsamkeit abdriften lassen, da kannte man das Leben einer Bar schlecht. Denn kaum, dass Erziraphael das dritte Bier bestellt hatte, setzte sich ihm ein männlicher Mensch gegenüber. Stellte sein eigenes Pin auf die lackierte Platte ab und starrte mit einem barmherzigen Blick auf ihn hinab. Der erste Gedanke galt der Empörung. Wie konnte es dieser Homo Sapiens wagen ohne Aufforderung oder ohne zu fragen einfach Platz zunehmen? Wie verdorben ist diese Menschheit eigentlich? Doch als der Engel diese weichen, grünen Augen sah, verschwand jegliche Pikiertheit und er hatte schnurstracks das Gefühl ihn von irgendwo her zu kennen. Er spürte schon, dass dieser kräftige Mann ein waschechter Mensch war, keine überirdische Energie. Aber irgendetwas schien er in seiner Seele zu tragen was vertraut und warm auf Erziraphael wirkte. Deswegen ließ er ihn kommentarlos da sitzen und nahm den letzten kräftigen Schluck.
„Sie sind unglücklich, nicht wahr?“, fragte der Mann und hielt sich lasziv am eigenen Glas fest. Der blonde Engel stockte beim trinken und schaute ihm direkt ins ovale, aber schon leicht gerötete Gesicht. Vor ihm saß ein sehr kräftiger Mensch um die vierzig, mit einem flauschigen Vollbart und leicht graumelierten, aber höchst prachtvollen Locken. Er trug sein orangefarbenes Knopfhemd am Hals offen, ohne Krawatte; eine dünne schwarze Kette schmückte ihn, der Anhänger schien ein winziger Dudelsack zu sein. Erziraphael konnte nur eine sanftmütige Aura erspähen, weswegen er keinerlei Misstrauen hegte. Auch er spürte nun wie ihm bereits der Alkohol den Kopf verdrehen wollte und fuhr sich nebenbei über die erwärmende Stirn. Entweder aus diesem oder aus irgendeinem irrsinnigen Grund antwortete er ihm auch noch ehrlich. Er wollte unbedingt mit ihm reden.
„Woher wissen Sie das?“
„Weil ich es auch bin. Wir erkennen uns doch untereinander, Freund. Welcher Grund?“
„Vermeintliche Selbstverleugnung. Und bei Ihnen?“
„Plötzliche Einsamkeit.“
Erziraphael wurde nun ebenfalls und radikal mitleidig und ließ die Schultern hängen.
„Oh, Sie armer Mann. Das ist wahrlich ein grässlicher Moment für uns beide. Wissen Sie was? Ich werde Sie einladen. Ein neues Beamish?“
„Ich trinke nur Smithwicks, Herzchen.“
2 Stunden später.....
Inzwischen dudelte im Hintergrund ein bittersüßes Liebeslied und die Bar besaß nun nicht mehr ganz die Fülle, die einen Wirt glücklich machen würde. Aber die Nacht war weit und der Alkohol floss, selbst durch die geringe Anzahl der Gäste, noch überaus reichlich. Besonders bei Erziraphael und seinem Trinkkumpanen. Beide befanden sich nun in einem Stadium des ultimativen Rausches. Es trank soeben jeder den fünften Poitin und die roten Gesichter wurden nun bittervolle Jammermienen, die den Hang zum weinerlichen nicht mehr unterdrücken konnten, bzw. wollten.
In den letzten 120 Minuten hatte sich der Engel über seine verschrobene Lage beklagt und alles zum besten geben was sein Herz in sich hinein gestopft hatte, zwischendurch drängten sich auch kurze Kommentare über das eigene Liebesleben des Mannes durch. Doch nun war der Mensch an einen sonderbaren Höhepunkt angelangt, indem er die Arme auf der Tischplatte kreuzte und das Kinn darauf legte. Vorerst wurden die Gläser beiseite geschoben und Erziraphael lockerte ein wenig den Krawattenschal und pustete theatralisch aus. Die Seide wirkte allmählich störend, es wurde ja auch immer wärmer und wärmer in diesem Raum. Und schummriger. Auch die Umgebung hatte plötzlich Lust bekommen sich etwas im Kreis zu drehen. Huiii. Aber seinem Gegenüber erging es anscheinend noch elender. Der Mann verzog den Mund und rollte mit seinen entzückenden Hundeaugen. Kein Außenstehender vermochte sie zu belauschen, denn sie waren die einzigen die sich akustisch noch verstehen konnten.
„Ja, ich weiß auch, dass wir beide Schauspieler sind und daher kaum Zeit für einander haben. Wir haben beide unsere Karrieren und sind deswegen meist gestresst. Aber ist das meine Schuld? Neeeein, natürlich nicht! Und ist es seine? Neeeein, auch nicht. Aber irgendjemand muss doch Schuld daran haben, dass er einfach mit Sack und Pack und mit Struppi das Weite gesucht hat.“
Erziraphael musste den bleischweren Kopf abstützen, sonst könnte ein Unglück mit dem Tisch geschehen.
„Stuppi? WasisteinStuppi?“
„Nee, Struppi. Der von den belgischen Comics.“
„Oh, ich liebe die Waffeln.“
„Wir haben unseren kleinen Hund so genannt. Und auch ihn hat er mir so einfach aus dem Leben gerissen. Nun bin ich der alleinigste Mensch auf Erden.“
„Das Wort gibt es nicht. Alleinigste, meine ich. Ich glaube man sagt, der einsamste....oder so.“
„Das macht es auch nicht besser. Er ist fort. Weg. Abgehauen. Einfach so. Aber ich liebe doch seine seltsamen schottischen Gerichte. Oder wenn er diese ulkigen Gummistiefeln trägt, darin sieht er so unfassbar goldig aus. Ich liebe alles was er tut und ganz besonders ihn! Wer soll denn auf ihn aufpassen, wenn ich nicht bei ihm bin? Er geht doch immer so schusselig mit seiner Gesundheit um. Ich liebe diesen leichtsinnigen Kerl mehr als mein Leben!“
Da drückte er das Gesicht tief in die Armbeugen hinein und weinte entsetzlich. Voller Empathie fingen auch Erziraphaels Lippen an zuzittern und er streckte beide Hände nach dem Mann aus. Streichelte ihm immer wieder über die wilden dunklen Locken, zwecks des Trostes. Er legte schlussendlich alle Finger auf dessen Unterarme und drückte freundschaftlich zu.
„Ich fühle so sehr mit Ihnen. Es ist wirklich herzzerreißend, wenn das Wesen deiner Schwärmereien nicht das gleiche zurückgeben kann. Aber dennoch müssen wir durchhalten, denn das Leben wird uns dafür schon belohnen. Irgendwie...irgendwann....hoffentlich.“
„Aber ich will nicht das Leben, ich will ihn!“
Danach wurde das Wimmern und Heulen noch schlimmer als zuvor. Und Erziraphael steckte sich mehr oder weniger davon an. Besonders weil er bei diesen Worten noch mehr an Crowley denken musste, fing er ebenso mit schluchzen an. Da er die Arme ja noch gestreckt hatte, ließ er -erweicht von des Mannes Tränen- ebenso das Gesicht zwischen die Arme hängen und zog die Nase hoch.
„Kann mir jemand mal erklären, was das hier werden soll?“
Unter schweren, traurigen Lidern erhob der Engel das Gesicht und blickte plötzlich auf zwei schwarze Oberschenkel und den Saum eines einheitlichen Herrenjacketts. Crowley verzog den Mund zu einer verständnislosen Miene und rührte sich ebenso viel wie Erziraphael: Nämlich gar nicht. Sie blickten sich einige Augenblicke gegenseitig ins Gesicht, bis der Blonde plötzlich larmoyant stöhnte.
„Oh nein, jetzt ist es passiert. Ich seh´ ihn direkt vor mir.“
Nasse Wimpern hoben sich aus menschlichen Armen empor und schauten sein Gegenüber an.
„Was?“
„Den Grund für meine vermeintliche Selbstverleugnung, ich sehe ihn.“
„Was?“
„Da.“
Der Mann folgte dem trägen Zeigefinger des Engels und bestaunte blitzartig eine großgewachsene verwirrt dreinschauende Gestalt mit modernen Haarschnitt, einen weinroten Rollkragen und mit runder Sonnenbrille.
„Oh Gott, ich sehe es auch.“
Doch plötzlich begann der Gelockte schelmisch zu grinsen.
„Aber dafür ist das ein richtig hübscher Grund.“
Crowley erhob eine Augenbraue. Über was, zum Henker, wird hier gesprochen? Und warum hockt Erzi hier mit einem besoffenen Kerl rum?
„Das ist ja eines meiner Probleme. Aber viel schlimmer ist, dass er so lieb zu mir ist. Er versucht es zu verstecken und glaubt ich würde es nicht bemerken, aber das tue ich. Und es ist so herzerwärmend. Wieso redet er bloß nicht offen mit mir? Ich glaube er würde mir jede Tür aufhalten, wenn er nur nicht so sehr an seinem Ego hängen würde. Weißt du wie viele Blumen er mir schon geschenkt hat? So liebevoll ausgewählt. Ach, wie er mich immer anlächelt, wenn er überlegen wirken will.“
Ruckartig zog der Dämon die Hände aus den Taschen und machte Anstalten dem Engel hoch zu helfen. Er konnte nicht zu lassen, dass Erziraphael in aller Öffentlichkeit über einen Höllenkrieger sprach, der sich wie ein erweichter Liebestoller Trottel verhielt. Was er natürlich keinesfalls war.
„In Ordnung, das reicht. Wir gehen jetzt.“
Da er plötzlich die dämonischen Hände an sich spüren konnte, glitzerten Erziraphaels Augen verzaubert auf.
„Du bist ja doch echt. Du hier bei mir. Aww, Crowley, wie schön.“
Doch der Engel rührte sich trotzdem kein Stück weit, auch weil der Mensch wieder zu wimmern anfing und somit Erziraphaels volle Aufmerksamkeit bekam.
„Ja, er bekommt den meisten Applaus, wenn wir gemeinsam auftreten. Oder er die Hauptrolle und ich eben nicht. Aber hat mich das irgendwie gestört? Nein! Denn er ist nun mal wunderbar. Er spielt wie ein junger Gott und ich liebes es ihm dabei zu zusehen. Ich war niemals neidisch. Wie könnte ich auch? Schließlich ist er solch ein liebenswerter, guter Mann. Jeder liebt ihn. Aber ich bin der Auserwählte zudem er kommt, wenn eine Vorstellung vorbei ist. Ich bin derjenige, der er in seine Arme schließt, wenn er Ruhe finden möchte. Vielleicht kann ich nicht mit seiner Begabung mithalten, aber das ist kein Grund mir solch eine Abreibung zu verpassen. Diese Aktion vertrage ich nicht. Und ja, es war nicht immer alles eitler Sonnenschein. Besonders dann nicht, wenn er nach einer gefeierten Premiere ran wollte. Er machte daraus immer gleich zwei oder drei Runden. Gut, sein sportlicher Körper ist wirklich hübsch anzusehen und er vermag vieles damit zuvollbringen, aber ich bin doch keine Maschine, verdammt!“
Plötzlich hetzte Erziraphael den Blick zu Crowley hinauf und sprach mit einer entsetzten, aber doch recht verworrenen Stimme zu ihm.
„Bin ich für dich etwa auch nur eine Maschine?“
„Glaub mir, er meint etwas vollkommen anderes als du. Und jetzt lass uns endlich gehen.“
„Aber, aber ich muss ihn noch trösten!“
„Nichts da, du musst erst mal wieder nüchtern werden, Engel.“
Der graumelierte Mann bedeckte nun wieder die Augenhöhlen mit den Handinnenflächen.
„Mich nannte er immer Bärchen. Und nun werde ich es nie wieder hören.“
„Aww, sie armer Knabe.“
Crowley verdrehte die Augen und fingerte nach dem Arm seines Freundes.
„Vergiss es. Abmarsch jetzt!“
Etwas zu strebsam zog er ihn vom Stuhl hoch und bezahlte mit einem Wink die Zeche beim Wirt. Er wollte den Engel schon zum Ausgang scheuchen, als sich Erziraphael herzallerliebst von dem Mann verabschiedete und umgekehrt. Langsam pulsierte eine ungeduldige Vene unter den roten Haarschopf hervor. Auch weil der Dämon es nicht ausstehen konnte, wenn irgendwelche Typen so plump vertraulich mit Erzi waren.
„Komm endlich.“
Damit zerrte er ihn ohne Erbarmen durch die lichtende Bar und grunzte mürrisch vor sich her. Erziraphael ließ sich lieber ziehen, da er die Welt sowieso nicht richtig erfassen konnte und sie sich immer noch wie ein Brummkreisel fortbewegte. Die Beine wurden weich und der Halt unzulänglich. Tatsächlich wollte er den Dämon darum bitten etwas langsamer zu laufen, aber er bekam kein anständiges Wort heraus. Und im selben Moment wo Crowley die Tür öffnen wollte, wurde sie auch schon von einem gehetzten Menschen aufgeworfen. Dieser rannte beinahe in den Dämon hinein, konnte sich aber gerade noch so abbremsen. Dabei glänzte ein kleiner Anhänger um den menschlichen Hals auf, es sah aus wie der walisische Drache.
„Oh, ´Tschuldigung!“
Der Rothaarige knurrte etwas zurück und winkte abwertend, als der Mann da bereits panisch weiter in das Barinnere rannte. Erziraphael hinderte Crowley am weiterlaufen.
„Der sah ja aus wie du.“
„Ach so ´n Quatsch. Der hatte braune Haare und zieht sich nicht so schick an. Außerdem läuft der ganz anders.“
Endlich wollte der Dämon diese irische Stube verlassen, als die beiden plötzlich eine aufgebrachte Stimme hörten.
„Michael!“
Der Engel bemerkte wie sich sein ehemaliger Trinkkompagnon plötzlich nach jenen Ruf umdrehte und erschrocken nach der Tischplatte griff, um nicht herunter zu purzeln. Er starrte den neuen Gast großäugig an.
„David?“
Aus jeder Entfernung hätte man die pure Erleichterung im Körper des schlaksigen Mannes sehen können und wie er sein dunkles Schulterlanges Haar nach hinten sträubte. Wie eine Katze im Sprung hechtete er auf den sitzenden zu und umarmte ihn herzlich und heilfroh.
„Großer Gott, wo warst du bloß? Ich habe mir solche Sorgen gemacht.“
Dann kniete er sich vor Michael hin und griff um dessen Hände, welche immer noch vor Perplexität unbeweglich waren.
„Ich? Du hast mich doch verlassen.“
David verformte das Gesicht fassungslos und dachte im Traum nicht daran irgendwann wütend darüber zu werden. Er war einfach nur glückselig, dass seinem Freund nichts geschehen war.
„Wie könnte ich? Ich war doch bloß in Oxford. Mutter ist schon wieder falsch umgestiegen, sie hört mir einfach nie richtig zu. Sie rief doch letzten Dienstag an, dass sie für zwei Wochen zu uns kommen will. Es kam alles so knall auf Fall und da konnte ich nicht mehr auf dich warten, du weißt doch wie sie ist.“
Allmählich stiegen neue Tränen in Michaels rotem Gesicht auf, weil er immer mehr den Begriff >Missverständnis< vor sich aufblinken sah.
„Und wieso hast du dann auch Struppi und deine Zahnbürste mitgenommen?“
Beruhigend streichelte David über einen der kräftigen Oberschenkel seiner Liebe. Seine Stimme blieb beruhigend und einfühlsam.
„Weil ich nicht wusste, ob ich über Nacht bleiben muss. Du weißt doch das alles immer komplizierter mit ihr wird. Und Mutter liebt den Hund, sie verlangte dass ich ihn mitbringe. Außerdem habe ich dir doch einen Zettel an den Kühlschrank geheftet.“
„Da stand nur >Ich bin weg<. Na, darauf bin ich auch von selbst gekommen.“
Der Mann mit den glänzenden braunen Haar machte ein Upps-Gesicht und entschuldigte sich mit allem was er hatte.
„Wie gesagt, es überschlug sich alles. Bitte, entschuldige. Das wollte ich keinesfalls in dir auslösen. Ich mache es wieder gut, ich versprech´s.“
„Oh, David! Und ich dachte schon, du hättest mich verlassen, weil du glaubtest, dass ich nicht mehr gut genug für dich wäre.“
„Bist du verrückt? >Nicht gut genug<, niemand auf der Welt würde darauf kommen. Du bist das Beste was mir jäh begegnet ist. Wenn du mir nicht glaubst, dann frag unser Publikum. Wer bekommt denn den meisten Applaus auf der Bühne? Also ich bestimmt nicht. Ohne dich wäre doch alles sinnlos. Ich liebe dich mehr als das Leben, mein Bärchen.“
„Aww, mir tut es auch so schrecklich leid. Ich liebe dich.“
Und gerade als sich die beiden Männer richtig in die Arme fielen, entrann dem Engel ein tiefer Seufzer aus der Brust. Er fummelte an Crowleys Jacke herum und konnte sich gerade noch so einen aufrechten Stand bewahren. Er konnte zwar nicht mehr geradeaus gucken, aber dafür reichte es noch.
„Sieh.. sieh nur. Wie wundergut. Es war nur eine Fehlbestellung und die zwei Herzen haben wieder zusammen gefunden. Hach.“
Doch der Dämon blickte nur emotionslos durch den Raum und packte nach Erziraphaels Ellenbogen.
„Ja, so herrlich das ich gleich Eimerweise kübeln könnte. Und jetzt geh.“
Außerdem war die Wortwahl seines Freundes ein eindeutiges Alarmsignal.
Der Bentley stand selbstredend wie ein stiller Schleicher direkt vor dem Pub. Crowley steuerte zielgenau auf ihn zu, während der Engel permanent einen Ausschlenker bekam und manchmal sogar gegen seinen Freund rempelte. Vollkommen Koordinationslos.
„Beim großen Rasputin, wie viel hast du denn getankt?“
Erziraphael konnte noch nicht einmal den Kopf in einer Neigung halten, ohne das die Welt sich sofort in eine andere Richtung drehte.
„Wieso ich? Das ´is doch dein Autolein.“
Augenrollend öffnete der Dämon mit einem Gedanken die Beifahrertür und führte den Engel bis zum Wagen.
„Wie viel du getrunken hast, will ich wissen.“
Das blonde Wesen kicherte mehrdeutig.
„Och, nur zwei, drei Gläschen.“
„Du meinst wohl Fässer. Jetzt steig ein.“
Er tat wirklich alles in seiner Macht stehende um dieser Aufforderung gerecht zu werden, doch Erziraphael donnerte dann doch gegen das Heck und musste sich mit beiden Händen am Blech festhalten. Sofort ließ er wieder davon ab. Wobei ihm allerdings ein neuer Schleudergang einholte und Crowley ihn sofort wieder stützen musste. Trübsinnig, aber doch mit glasigen Blick schaute der Engel noch einmal auf den Bentley.
„Oh, ´schuldige, ich hab´ ihn angefasst.“
„Du darfst ihn sooft antatschen wie du nur willst, aber Hauptsache wir fahren endlich.“
Damit hievte der Dämon ihn einigermaßen auf den Beifahrersitz und schloss erleichtert die schmale Tür. Wie eine gebadete Maus blickte Erziraphael vor sich her und stöhnte leise.
„Ich fühl mich so komisch.“
Er schloss die Augen und ließ sich recht unbequem zur Seite fallen.
Crowley streifte sich noch das Sakko wieder glatt, ehe er sich hinter das Lenkrad platzieren wollte. Er öffnete die Tür auf seiner Seite und stutzte, als er blaue Augen von dort aus schlummern sah.
„Was soll´n das werden?“
„Meine Haare sind so schwer, ich muss ausruhen.“
„Und wie soll ich dann fahren?“
„Ich könnte ja meinen Topf..ähm Kopf in deinen Schoß legen.“
„Ähm... nein, denn wenn uns ein Bobby erwischt, könnte er das ein klein wenig falsch verstehen. Jetzt setz dich ordentlich hin.“
Widerwillig tat der Engel wie ihm geheißen und Crowley fuhr los. Mit einem immer seltsamer werdenden Blick versuchte Erziraphael die Umgebung ausfindig zu machen, irgendwie misslang dies.
„Wo sin´wir denn?“
„Immer noch in Soho. Teufel noch eins, bist du voll. Willst du dich nicht mal nüchtern machen?“
„In Ordnung...dir zu Liebe.“
Nach einem angehauchten Versuch schnaufte Erziraphael aber schon wieder aus und legte den Kopf schief.
„Es geht nich´, die Welt ist so...so..“
„Nebulös?“
Er versuchte den schweren müden Kopf gegen die Scheibe zu lehnen, aber nach einem hinterhältigen Schlagloch krachte er mitleidlos dagegen und jaulte auf. Hielt sich die Stelle und schaute wimmernd zum Dämon hinüber.
„Ich hab mir das Köpfchen gestoßen. Crowley, hilf mir.“
Nachdem der Rothaarige einen fixen Blick neben sich gewagt hatte, traf er auf eine erweichende Aussicht und schaute lieber wieder auf die Straße zurück. Denn wenn der Engel solche Dinge sagte und dann auch noch so ein Gesicht machte, konnte er sich kaum konzentrieren und knickte bei allem ein.
„Wir sind ja gleich da.“
Ungeduldig wie eine Geliebte, rutschte der betrunkene Erziraphael wieder lieber zurück in die Innenseite und legte den Kopf kuschelnderweise an Crowleys Schulter ab. Umschlang mit beiden schwachen Händen dessen Oberarm und seufzte genüsslich aus, bevor er die Augen schloss.
„Jetzt geht es mir wieder gut. Viel besser und so weeeeich.“
Sämtliche Salzsäulen von Pompeji wären neidisch gewesen. Crowley erstarrte augenblicklich und konnte sich kaum noch rühren. Das sanfte blonde Haar des Engels schmiegte sich so liebevoll an ihn, dass es ihm schier den Verstand raubte. Dieser feine Atem und diese sehnsüchtigen Hände. Und plötzlich roch es hier überall nach Vanille. Das alles brachte den Dämon in einen gehörigen Schweißausbruch, gepaart mit einem hämmernden Herzen. Nach einer gefühlten Ewigkeit japste er endlos aus und versuchte die Schulter ein wenig anzuheben. Doch er traute sich nicht, denn....denn... es fühlte sich so süß an. Nein, das darf es aber nicht! Nein! Plötzlich atmete er auf, der Buchladen. Er bremste vorsichtig ab und räusperte sich.
„Ähm Erzi? Wir sind da.“
Ärgerlich öffnete der Engel die trüben Augen und stöhnte aus.
„Schon?“
Irgendwie hatte es Crowley geschafft ihn von seinem Körper zu lösen. Als der blonde Bibliomane auch schon die zufallende Tür hörte und sich traurig umblickte.
„Mein Crowley is weg. Oh nein.“
Plötzlich erschien die höllische Gestalt wieder an seiner Fensterscheibe und Erziraphael lächelte selig auf.
„Oh, da is er ja wieder.“
Viele Anläufe von beider Seiten hat es gebraucht, damit Crowley seinen Freund aus dem Wagen bekam und einigermaßen mit ihm zum Eingang laufen konnte. Erziraphael hatte sich lieber in das schwarze Sakko eingehakt und taumelte neben den leicht nervösen Dämon her, der wiederum erst einmal die Holztür aufschnippte. Ruckartig fiel sie hinter den beiden wieder ins Schloss und Crowley betrachtete sich den summenden, aber anhänglichen Engel. Im selben Moment blickte der Betrunkene auch ihm ins Gesicht und lächelte breit, aber recht unkontrolliert. Es rührte in solch ungewohnten Gewässern herum, wenn Erziraphael so anhänglich war und dann ständig sein gedehntes Stöhnen heraus brachte.
„Also, wenn ich ein Mensch wäre, könnte ich das glatt ausnutzen.“
„Was will du?“
Ach herrje, das hat er auch noch gehört. Crowley verzog nur eine unbeteiligte Miene und sorgte für ausreichend Licht.
„Deine Bar plündern, was denn sonst?“
Erneut entrann der malträtierten Kehle ein sonderbares Glucksen und ein schwankender Engel tippte unaufhörlich in die schwarze Brust seines Freundes hinein.
„Du bist so putzig. Weißt du eigentlich das du mein Lieblingsdämon bist?“
„Hast du etwa noch andere neben mir?“
Die Frage sprach aus einer ehrlichen Empörung heraus, doch Erziraphael grinste nur debil und wollte durch den Buchladen tänzeln. Doch sonderlich weit kam er nicht dabei. Denn plötzlich blieb er neben der Registrierkasse stehen und streckte beide Arme weit aus, um die Balance zu halten. Die Finger waren seltsam gespreizt und das rechte Bein streckte etwas zu sehr nach hinten weg. Er schloss kurz die Augen und verharrte in dieser makaberen Stellung wie eine Schaufensterpuppe im Harrod´s.
„Ohweh.“
Neugierig stellte sich Crowley neben ihn hin und äugte vorgebeugt.
„Was ist jetzt?“
Es war ein Wunder das Erziraphael überhaupt so lang still halten konnte. Das einzige was sich bewegte waren seine sprunghaften Augen und deren Brauen, die hüpften und flogen.
„Da kommt etwas.“
Noch interessierter als zuvor, schaute der Dämon durch das Geschäft.
„Was kommt wo?“
„Ein schreckliches Gefühl aus meinem Magen...und irgendwie will es nach oben.“
Nun wurde Crowley alarmiert und er setzte sich in Bewegung, nämlich indem er seinen beschickerten Freund um die Schultern fasste.
„Die Menschen nennen das Übelkeit. Und es wird nicht angenehmer, wenn du in Adlerpose zwischen Teppich und Kasse stehst. Du musst dich hinlegen.“
„Ich hab´doch kein Bett.“
„Ein Grund mehr, warum ich deine Lage nie ausnutzen könnte. Aber ein Sofa hast du immerhin, also machen wir es dir da gemütlich.“
Fügsam wie eine junge Braut ließ sich Erziraphael auf das Polster geleiten und fühlte nun selbst wie käsig er aussehen musste. Diese sogenannte merkwürdige Übelkeit wurde immer heftiger. Im gleichgültigen Fall, wäre Erziraphael einfach herunter gepurzelt, weil er durchweg kein Gleichgewicht mehr halten konnte. Aber er hatte ja einen Dämonen bei sich, der ihm Gott sei Dank äußerst zugetan war. Denn nachdem Crowley ihn hinten anlehnte, zog er ihm dessen Jacke aus und fingerte ihm den Krawattenschal ab. Warf beides achtlos zu Erden und half vorsichtig es dem Engel angenehm zu machen. Legte ihm die Beine hoch und befreite die Füße von den engen Lederschuhen. Er wusste nur allzu gut, dass Erziraphael es nicht ausstehen konnte, wenn jemand mit Straßenschuhen auf die geheiligte Couch trat. Außer Crowley, er war die einzige Ausnahme. Stöhnend sank das blonde Haupt schwerfällig in das dunkelbraune Sofakissen hinein und er rührte sich vorerst keinen Millimeter. Er blickte unter starken zwinkern zum Dämon empor.
„Wird dir nich´ auch übel, wenn du dich so drehst? Halt doch mal an.“
„Wenn sich die ganze Welt dreht und nur du stehst still, dann liegt es immer an dir selbst, Engel.“
„Mir ist so heiß. Ich glaub ich fang an zuschwitzen. Ich will nich´schwitzen. Schwitzen ist so unäsfe...unässi...nicht schön eben.“
Etwas unsicher starrte der Dämon um sich herum und zuckte mit den Schultern. Hob beide Hände und schüttelte den roten Kopf. Das er ihm vom Jackett erlöst und den eingesperrten Hals befreit hatte, wusste er nur aus eigener Erfahrung. Kleidung konnte im alkoholisierten Umstand nervig sein. In manchen Fällen war Crowley noch recht unbeholfen. Tja, das Leben eines Dämonen ist eben recht unfürsorglich. Er kümmerte sich nie um solche Dinge.
„Und was tun, wenn jemand in so einem Zustand ist?“
„KühleKühleKühle. Es ist wie ein kleines Feuerchen.“
Ohne zu murren durchforstete Crowley das Hinterzimmer nach einer kleinen Bronzeschüssel, befüllte sie mit klaren kühlen Wasser und kam mit einem bestickten Waschlappen zurück. Hockte sich auf den Teppich und verabschiedete sich von seinem Jackett und der runden Brille. Er atmete einmal tief aus und öffnete Erziraphael weitere der oberen Knöpfe, bis hin zur Brust. Und weil dem Engel immerfort schlecht war, musste da noch ein anderer Knopf geöffnet werden. Ehrlich gesagt hielt Crowley kurz inne und fragte sich ob er das überhaupt dürfe.
„Na ja, er ist ein Engel. Falls er sich daran erinnern sollte, denkt er sowieso an nichts unehrenhaftes.“
Auch wenn irgendwo in ihm drin eine verlegene Nervosität lungerte, nestelten Crowleys Finger bereits an Erziraphaels Hosenbund herum. Er öffnete Knopf und Reißverschluss etwas und schenkte dem Freund somit ein großes Freiheitsgefühl. Erleichtert seufzte der blonde Engel aus und neigte den Kopf seitlich ins Kissen hinein.
„Wenn du das nächste Mal ein Besäufnis abhalten willst, dann ruf mich gefälligst an und wir machen das gemeinsam. Aber geh nicht in irgendwelche Bars, die kein Spielplatz für Engel darstellen.“
Es war irgendwann nach Mitternacht und auch die Dämpfe der sonst überfüllten Straßen senkten ihre Häupter. Während ein rothaariger Dämon den Lappen in das Nass tauchte und es unwillkürlich liebevoll auf das glühende Gesicht eines leidenden Engels tupfte. Erziraphael lächelte erlöst. Auch seine Stimme klang etwas kränkelnd und leise, aber auch erleichtert.
„Ahh, wie frisch. Das ist schön.“
Da er ihm eh nicht lang widerstehen konnte, seufzte Crowley nur aus und bestrich ihm weiter mit der lindernder Fürsorge. Zu der er angeblich nicht fähig wäre.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, Erzi? Das ist doch sonst nicht dein Stil.“
„Ich wollte nicht mehr mit mir allein sein.“
Der Dämon sah ihn irritiert an. Erziraphael drehte sich erst auf die Seite und zog die Beine zum Bauch hoch. Aber das ging nicht, die Übelkeit regierte immer noch. Da rollte er sich wieder auf den Rücken und blickte Crowley verzweifelt an.
„Weil ich kein richtiger Engel mehr bin.“
Der Lappen stoppte und hob sich leicht. Plötzlich wirkte Crowley etwas kämpferisch.
„Wer hat das gesagt? Wenn dich jemand geärgert hat, dann...“
„Nee, nein, nein, es ist von mir. Ich habe gegen den Engel-Kodex verstoßen.“
„Ihr habt einen Kodex?“
Die Stirn und die Wangen durften sich nun wieder weiteren Erfrischungen erfreuen.
„Eigentlich nicht, aber das sollten wir. Und ich habe ihn missachtet.“
Sowas kann auch nur ihm einfallen, dachte Crowley und beugte sich weiter vor, allmählich wurde diese Stellung lästig. Erziraphaels Stimme wurde zunehmend weinerlich.
„Erst habe ich dir das mit Rom vergeben und dann habe ich dir geweihtes Weihwasser geschenkt.“
„Willst du´s wiederhaben?“
Auch wenn es nicht in seiner Macht stand versuchte der Engel den Kopf zu heben, wobei sich der Waschlappen aber davon nicht stören ließ und einfach mitwanderte.
„Natürlich nich´. Es gehört dir und ich will das es dich beschützt. Es hat nur etwas mit mir zu tun. Ich weiß nicht ob ich mir selbst noch trauen kann, wenn ich ständig bei dir einknicke.“
„Ständig? Ein bisschen übertrieben, findest du nicht?“
Dann frag mich mal wie es mir bei dir geht, fügte Crowley gedanklich zu und blickte nur erwartungsvoll auf den unsicheren Freund.
„Aber was ist das genaue Problem?“
Erziraphael vollführte merkwürdige Gesten, die höchstwahrscheinlich irgendetwas lohnenswertes zu bedeuten hatten, aber der Dämon kam nicht drauf.
„Früher habe ich mich immer brav an alle Regeln gehalten, naja bis auf ein, zwei klitzekleine Ausnahmen. Dennoch konnte ich immer alles mit Fug und Recht vor mir selbst rechtfertigen. Es waren stets gute Dinge, die ich tat. Aber jetzt..jetzt fühle ich mich vollkommen außer Kontrolle.“
So wie damals, 1823 im Lift, musste sich der Dämon auch hier hart auf die Lippen beißen um nicht vor Rührung laut loszulachen. Es war einfach zu drollig. Erziraphael hielt das schon für eine moralische Krisensituation? Wie süß er doch war. Dennoch räusperte sich Crowley zur Ernsthaftigkeit und schluckte alles runter.
„Du musst mir doch nicht verzeihen, wenn du nicht willst. Wenn dir die Erinnerungsauslöschung so zu schaffen macht, dann lass es bleiben. Und wegen des Weihwassers brauchst du dir auch keinen Kopf zu machen. Ich beschaffe mir schon welches, ich erzähl dir dann einfach nur nicht wie ich es getan habe.“
Da packte Erziraphael ihn am schwarzen Kragen und zog sie beide aufeinander zu. Urplötzlich verstummte Crowley und sie starrten sich nur wenige Zentimeter voneinander entfernt tief in die Augen. Ihm schlug ein nicht ganz dezenter Geruch von Ale in die Nase.
„Hör mir doch mal richtig zu. Ich würde alles tun, damit dir nichts geschieht, Crowley. Du bist schließlich mein Lieblingsdämon. Und ich muss doch dafür sorgen, dass es dir gut geht. Und wenn ich dafür bestraft werde, dann nehme ich es gerne in Kauf. Was mich fertig macht ist die Tatsache, dass das doch eigentlich richtig war, aber der Himmel wahrscheinlich anders entschieden hätte. Wieso sehe ich das plötzlich so? Ich zweifle an der Richtigkeit meiner Seite, Crowley!“
Erstarrt schloss der Rothaarige den Mund und fühlte sich gewarnt. War er das etwa gewesen, der das im Engel ausgelöst hatte? Nein, so einfach ging das nicht. Erziraphael war doch stets dieser Fels, der allem widerstand, er durfte doch nicht so tief zweifeln. Ein bisschen war ja ganz okay und reichte vollkommen aus und alles andere war Crowleys Aufgabe.
„Habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, das du bildhübsche Augen hast?“
Von einem Strudel in den nächsten gestoßen, zog es Crowley zum Engel zurück und hielt den Atem an. Was war das eben? Erziraphael lächelte selig und hatte sich sämtlichen Defätismus aus der Aura geworfen. Tatsächlich war er zu betrunken, als das er sich fest in einer Stimmung halten konnte. Nun lagen beide Hände auf den dämonischen Schultern und die runde Nase des Engels stupste kurz die seine an. Dann kicherte er.
„Immer wenn du deinen Miesepeterblick heraus holst, dann muss ich stets an die Schöpfung des Mars´denken. Dabei wurden rundherum diese rot-gelben Funken versprüht und ließen üüüüberall diese romantischen Sterne entstehen. Genau das sehe ich in dir, Crowley: Eine lebendige Schöpfung Gottes, die man gerne ansieht.“
Nach einem geschenkten tiefen Blick blieben beide für einen Moment still und ruhig. Crowleys Herz freute sich. Wieso tat es das? Vielleicht weil diese Worte alles für ihn bedeuteten, egal wie sie auch sonst gelautet hätten. Alles war er dabei heraushörte war das, was er eigentlich immer von ihm zu hören bekam: Es ist schön, dass du hier bei mir bist. Trotz des Alkohols filterte er den Vanilleduft deutlich heraus und Crowley umfasste Erziraphaels Schultern. Wenn er ihn jetzt küssen würde, was würde wohl dann mit ihm geschehen? Sollte er ihn zurück drücken oder heranziehen? Für den Dämon wäre es die Gelegenheit sich dieser einen Sache endlich und deutlich bewusst zu werden. Denn manchmal verwirrte ihn etwas, wenn er bei seinem Freund war. Er könnte es probieren, ihn zu küssen. Hier und jetzt. Und der Engel wäre ihm nicht böse, er wüsste es am nächsten Morgen sowieso nicht mehr.
Doch Crowley seufzte nur, gab eine leicht lässige Miene und dirigierte den taumelnden Oberkörper seines Freundes zurück in das Sofakissen und schnippte ihm eine kuschelige Decke drüber.
„Du bist der einzige wahre Engel den ich kenne. Und was ich von deiner Seite halte weißt du ja, aber urteile nicht falsch über dich. Du machst alles erstklassig. Es ist in Ordnung zu zweifeln, aber für die ganz großen Sachen hast du mich. Egal, was du tust, ich werde da sein und dir schon sagen ob es falsch war. Das weißt du und darauf kannst du dich immer verlassen. Du könntest niemals etwas tun, was gegen die richtige....Liebe verstößt. Ich übernehme die schweren Angelegenheiten und du bist einfach nur du. “
Während sich Erziraphael doch auf die Seite drehen konnte, igelte er sich wohlig in die (extra für ihn) karierte Decke ein und schaute Crowley erleichtert an. Aber auch glücklich. Seine Augen drückten immer schwerer.
„Ich danke dir. Vielleicht ist es ja gelogen. Aber es ist dafür eine warme, schöne Lüge. Ich weiß, warum du mein Lieblingsdämon bist.“
Der Engel ergab sich der Müdigkeit und lächelte in den gemächlichen Schlaf hinein. Crowley tupfte ihm ein letztes Mal das Gesicht ab und er wusste nicht wie weit er denn gehen durfte. >Nicht in meine Fänge. Er darf nicht in meine Fänge geraten, das habe ich mir vor vielen Jahren geschworen. Abstand, bewahre den Abstand.< So ist es besser für ihn. Mahnte sich der Dämon und stützte beide Hände hinter sich auf dem Boden ab.
„Mein....Lieblingsengel.“
Am darauffolgenden späten Morgen.....
Ein stechender feuriger Schmerz tobte plötzlich hinter seiner Stirn und Erziraphael riss die Augen auf. Oh, Allmächtiger, löste er sich gerade auf? Selbst das Blinzeln war das reinste Nadelkissen, nur falsch herum gesetzt. Schwer stöhnend schaffte er es irgendwie sich auf den Unterarmen zu tragen und blickte ungelenk auf den verrutschten Stoff um seinen Leib. Seit wann besaß er denn eine Sofadecke? Zu schwach um irritiert zu sein, nahm er sie von sich herunter und versuchte sich einigermaßen aufzusetzen. Ständig suchten die Finger nach den Schläfen, während der Körper Ziegelsteine in sich gelagert haben musste. Da er den Kopf einfach nicht aufrecht halten konnte, wurde der Blick mit der geöffneten Hose konfrontiert. Darüber wunderte er sich nur latent, auch wenn er sich sofort dran machte sie unter schwacher Konzentration wieder zu schließen. Was war denn nur passiert? Da raste dieses gehässige Feuer wieder durch seinen Kopf und hinterließ nur einen stechenden Tod und brutzelnde Verwüstung. Postwendend befanden sich sich Hände wieder an den Schläfen.
„Was, zum Donnerwetter, ist das nur?“
„Die Menschen nennen das Kater. Üble Sache, hässliche Sache.“
Erst freudig erregt, doch dann elendig quälend zumute, wirbelte Erziraphael den Kopf nach oben. Der rothaarige Dämon stand leger und mit gekreuzten Beinen an einer der breiten Säulen und hielt eine dampfende geflügelte Tasse bei sich. Schaute auf einen ächzenden Engel und verzog den Mund. Erziraphael, der eigentlich aufstehen wollte, wurde vom eigenen Körper daran gehindert und hielt sich lieber weiter den Kopf. Doch um dem Freund einen Zeigefinger entgegenzustrecken reichte es gerade noch so.
„Warte bitte einen Moment.“
Noch in Crowleys Mach-nur-Geste beschleunigte Erziraphael die Selbstheilung und stieß urplötzlich eine laute Erleichterung aus.
„Großer Gott, ja, eindeutig besser. Wie überleben das diese Menschen nur?“
„Mit sauren Gurken und Schnaps.“
Ein leise Knacken in des Engels Genick ließ sich ertönen, bevor er viel fideler aussah und sich herzhaft streckte. Da fiel ihm die Bar wieder ein und dass er eigentlich noch nie zuvor geschlafen hatte. Mit gerunzelter Stirn versuchte er sich an irgendetwas zu erinnern, aber es misslang. Ebenso fragwürdig beschaute er sich den Dämon, der immer noch vollkommen salopp an der Säule lehnte.
„Und wie passt du in diese ganze Geschichte? Denn ich weiß nur noch, dass ich in diesen reizenden Pub gegangen bin und mit diesen sympathischen Herren sprach, aber danach...schwupps, schwarz.“
Gerade wollte Crowley ansetzen, als sein himmlischer Freund ruckartig blass wurde. Er riss die Augen auf und starrte den Dämon zu tiefst schockiert an.
„Hast du....Hast du es etwa schon wieder getan?“
„Was denn?“
„Meine Erinnerungen... gelöscht.“
Nun stieß sich Crowley etwas von der Stütze ab und spreizte Augen und Mund.
„Häh, nein, natürlich nicht. Ich hab doch gesagt ich mach das nie wieder. Das warst du selber.“
Mit einem Schlag noch blasser werdend, umgriff der Blonde beide Wangenseiten und schien plötzlich in einem Abgrund zu starren.
„Ich habe mir selbst das Licht ausgeknipst? Oh große Güte. Wieso hab ich das getan? Ich kann sowas doch gar nicht! Woher kann ich das auf einmal?“
„Nein, Menschenskinder, ich meine den Alkohol. Du hast mit deinem Promillepegel selbst dafür gesorgt. Das passiert, wenn man sich nicht vorher wieder nüchtern machen kann. Du warst wirklich zu, komplett dicht. Der Kanal war voll.“
Auch wenn es nicht angenehm zu hören war, konnte sich doch die Erleichterung nicht unterdrücken. Achso, er hatte glücklicherweise nur den Überblick verloren. Puh. Doch, Moment, eine Frage beantwortete sich dadurch aber nicht so ganz. Erziraphael besaß wieder eine passende Gesichtsfarbe und blinzelte zu Crowley hinüber.
„Und was tust du dann hier? Wir waren doch gar nicht verabredet.“
„Ich wollte nur kurz bei dir vorbeischauen, konnte dich hier aber nicht finden. Deswegen habe ich meine Sensoren spielen lassen. Und da fand ich dich auch schon beschwipst im Pub und hab dich nach Hause gebracht.“
Mehr oder weniger beschlich Erziraphael ein mulmiges Gefühl bei dieser Ausführung. Wie peinlich, das sich Crowley um ihn kümmern musste. Inständig hoffte er natürlich, ihm nichts über die tiefe Liebe, die er für ihn empfand, preisgegeben zu haben. Er leckte sich über die trockenen Lippen und verengte kurzzeitig die Augenbrauen.
„Ich, ähm...ich danke dir dafür. Das war wirklich reizend.“
„Lass stecken.“
„Es tut mir leid, aber habe ich irgendetwas seltsames gesagt? Ich kann mich ja nicht wirklich daran erinnern. Falls ja, dann nimm es bitte nicht so ernst, es war nur unsinniges Gebrabbel von einem... betrunkenen Brabbler sozusagen.“
Obwohl er es natürlich viel besser wusste, pustete Crowley bloß gleichgültig aus und schlenderte zu ihm hinüber.
„Nö, nichts. Du bist noch im Bentley eingeschlafen.“
Äußerst erleichtert lächelte Erziraphael ihn an und wollte sich nebenbei den Krawattenschal richten, der seltsamerweise fehlte, ebenso wie seine Schuhe und die Jacke. Irgendwie genierte er sich gar nicht mehr, so vor Crowley zu sitzen. Schließlich hatte der Dämon ihn bereits in einem neckischen Kleidchen gesehen. Doch gerade als er sich an dessen Maßregeln erinnerte, fand er seine Kleidungsstücke auch schon. Die Schuhe standen fein säuberlich aufgestellt neben dem Schreibtischsessel. Und auf dessen Lehne hingen ordentlich zusammengelegt der Seidenschal und sein Jackett. Oh, Crowley wurde ja immer liebenswerter und heimeliger. Innerlich davon geschmeichelt, sah er zu wie ihm besagter Dämon den Beistelltisch vor die Füße zauberte. Darauf stellte er ihm die immer noch dampfende Engelstasse vor die Nase.
„Hier, etwas Kakao für die Nerven.“
Das wurde ja immer besser, dachte sich der Engel und roch genüsslich an dieser Süße, die anscheinend nicht nur von der heißen Schokolade ausging.
„Oh, Crowley, du bist...“
„Wenn du sagst: >putzig<, dann hau ich gleich wieder ab.“
„Wieso sollte ich dich putzig nennen?“
„Keine Ahnung, war nur so ´ne Idee.“
„Es ist zumindest eine liebe Geste. Ich danke dir.“
Die aufkeimende Wärme zwischen den Fingern belebte Erziraphaels Sinne, als würde er unter einem schönen Bann stehen und er fühlte sich plötzlich ungemein harmonisch.
„Wolltest du denn etwas bestimmtes von mir?“
Crowley brauchte einige Sekunden um sich für eine Antwort zu entscheiden. Ach was soll, es war ja nicht das erste Mal.
„Na, eigentlich wollte ich dir nur eine Kleinigkeit vorbeibringen.“
Nach einem raschen Schwang hinter sich, holte der Dämon einen bombastischen Blumenstrauß zum Vorschein. Ein gigantisches, aber doch wirres Gemisch aus roten Rosen, Jasmin, Hibiskus und Tulpen. Mit einer überrumpelten Verzückung setzte Erziraphael die Tasse achtlos auf den Tisch und stand auf. Crowley indes wurde sogar ein bisschen rot und kratzte sich die Nasenkuppe, während er seinem Freund ganz steif die Blumen entgegenhielt.
„Die sind für das Weihwasser. Ich...Ich dachte mir, das Rosen dieses Mal zu wenig wären. Na ja.“
Als hätte er einen Heiratsantrag angenommen, nahm ihm Erziraphael den Strauß ab und versteckte beinahe das halbe Gesicht darin. Er roch ausgiebig an ihnen und schloss für einen Augenblick die Augen. Öffnete sie wieder und blickte seinen Dämon unter schüchternen Lidern an.
„Sie sind wirklich entzückend und duften wunderbar.“
Und wie ein junger Bräutigam, der bald sein Ziel erreichte, konnte selbst Crowley das schiefe Grinsen nicht verbergen. Er setzte sich die runde Sonnenbrille wieder auf und warf sich das schwarze Jackett über eine Schulter. Selbst sein enger Rollkragen fühlte sich plötzlich so leicht und locker an.
„Na dann, bis die Tage, Engel.“
Sein lockerer Schlangengang zog an Erziraphael vorbei und er konnte innerlich einen großen Triumphzug spüren. Wo hingegen der blonde Engel einen tiefen Verlust bekunden müsste, wenn sein Freund ihn schon jetzt verlassen würde. Kurzerhand drehte er sich zu ihm herum und hielt die Blumen fest in den Armen.
„Würdest du mit mir frühstücken?“
Erstaunt neigte sich der Beatle-Schnitt wieder zurück, aber er sagte kein Wort. Erziraphael errötete unter dessen Schweigen und deutete ein Schulterzucken an.
„Du brauchst ja nichts essen. Vielleicht nur einen Kaffee trinken und ein bisschen....mit mir zusammen sein. Wir könnten gemütlich plauschen.“
Immer noch ohne eine Regung zu zeigen, meinte Crowley bloß:
„Fünf Minuten.“
Etwas enttäuscht darüber drückte Erziraphael die Blumen enger an die Brust.
„Ein Frühstück dauert aber etwas länger. Bei mir zumindest. Wenn ich da erst an den Toast denke und an die Eier und den Speck, die Würstchen, den frischen Obstsalat und...“
„Nein, ich meine, das du von mir fünf Minuten kriegst, um dich frisch zu machen. Ich warte solange im Bentley.“
Der Rothaarige wandte sich wieder der Tür zu und öffnete diese.
„Ich kenne ein kleines Restaurant, das dir gefallen könnte.“
Mit diesen Worten war er nach Draußen verschwunden. Doch kaum, dass das Holz hinter ihm geschlossen war, grinste Crowley gutgelaunt vor sich hin und begann ein kleines Liedchen zu pfeifen. Er wollte den Abstand bewahren und das würde er auch tun, aber bei einem Rendezvous konnte schließlich nichts passieren.
Voller Zufriedenheit darüber lächelte auch Erziraphael über ihre Verabredung. Selbst wenn er es nicht hören konnte -wie Crowley es tat- so begann auch er munter zu pfeifen, während er noch rasch die Blumen in eine chinesische Vase stellte.
So könnten die Tage stets beginnen.