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"Tanz der Amphisbaena"

von Die Linda
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
Anthony J. Crowley Erziraphael
10.08.2020
30.05.2023
18
68.673
7
Alle Kapitel
33 Reviews
Dieses Kapitel
2 Reviews
 
04.01.2021 4.311
 
Hallöchen ihr Lieben! ^3^

Dank der wunderbaren Carthamus,(<3) kann ich seit gestern endlich wieder schreiben. Und die daraus folgenden Ergebnisse könnt ihr in kommender Zeit lesen. :D

So, endlich geht es hier mal weiter. Uff, wie ich es bereits angekündigt habe, müsst ihr hier noch mal die Zähne zusammen beißen, aber das nächste Kapitel wird im Jahr 1941 spielen. Und ab da an wird es ein Schmaus. <3
Ich hoffe ihr erinnert euch noch an einige Gespräche aus "Apfel im Kelch"? Nein? Okay, ähm, ihr werdet euch trotzdem zurecht finden. Ist ja nichts kompliziertes. :)
Ansonsten gilt wie immer: Bei Fragen, bitte an mich wenden.

Ich hoffe ihr habt ein gutes, gesundes und selbstfindendes Jahr vor euch. Macht das beste draus. Prosit! \^O^/

Genießt den restlichen Tag und das Kapitel, bis bald,

eure Linda ^3^

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Die Nacht war bestimmt so schwül, dass sogar der unbeschienene Straßenteer einen leichten glimmenden Glanz besitzen musste. Wahrscheinlich würde sogar an den Laternen ein Rinnsal Schweiß herabfließen, dachte sich Erziraphael und seufzte ergeben aus. Öffnete sich bereits den oberen Knopf seines Hemdes bei diesen Gedanken und ließ es ganz seicht aufflattern (nur nicht zu viel, dass wäre sonst unanständig). Vor ihm schob sich eine Steinplatte beiseite und gebar ihm die zu erwartende Nacht auf dem Piccadilly Circus. Als hätte sie ihn herbeigesehnt, preschte die ungeduldige Hitze an seinen Körper und ließ ihn wie auf Kommando schwitzen. Er trat die Stufen des Shaftesbury-Gedenkbrunnens hinunter und hörte hinter sich einen winzigen Laut, als würden sich kleine Sterne in Pulver auflösen. Der Haupteingang zur Zentrale des Himmels wurde wieder geschlossen. Kaum dass der blonde Engel vom Becken abrückte, sprudelte wie durch Zauberhand das zarte Wasser wieder vor sich her. Auch wenn es sich nach vielen Jahrhunderten wie eine Tradition anfühlte und dementsprechend altbacken wirkte, drehte sich Erziraphael auf dem Plateau herum und schaute für einen Atemzug lang etwas höher. Die Augen umrundeten die matte Aluminiumfigur als Spitze des Brunnens. Es war ein Engel der Nächstenliebe, in dem aber die frommen Londoner nur spöttisch den griechischen Gott Eros sahen. Vielleicht lag es an der halbnackten Art wie er den Körper verdrehte, wer wusste es schon genau. Erziraphael indes beschaute sich jenen Engel und presste die Lippen zusammen. Der Himmel und all jene die darin verweilten. War es wirklich solch ein sehnuchtsvoller Ort, indem man blind darin um seinen Frieden wusste? Das Herz war ihm schwer und die menschliche Kleidung klebte ungeniert an seinem Leib, der ihn plötzlich so unangenehm erschien. Seine Augen taten weh und erstaunlicherweise fühlte er eine Mehlsackartige Müdigkeit in sich, die keine Sekunde lang aus seinem Kopf weichen wollte. Anhänglich wie ein Fluch. Wenn er tiefer in sich hineinhorchte, dann hoffte er eigentlich doch auf diese unsägliche Hitze. Eine Wärmewelle, die so niederschmetternd war, dass sie ihn endlich einmal etwas anderes fühlen ließ. Die hohen Laternen des Denkmals gaben einen erbärmlichen Schein von sich und ließen doch ein leises brummiges Lied von sich hören. Seinen Stock hatte er nicht dabei, ebenso wenig wie den Hut, beides hatte er im Laden zurückgelassen. Der Himmel wollte solcherlei irdische Accessoires nicht sehen, auch wenn keiner es aussprach. Und Erziraphael war kein Provokateur. Er wollte das Leben und die Geschöpfe um sich herum in erklingender Harmonie sehen, jeder sollte die Chance auf ein Stückchen Zufriedenheit bekommen. Aber nun....nun war es ihm gleich. Und plötzlich wünschte er sich, er hätte doch zu der Vollendung seines Kostüms gehalten. Ebenso plötzlich hegte er in sich eine unerfüllte Genugtuung, die ihn fragte warum er seine Vorgesetzten nicht geärgert hatte. Erziraphael zuckte mit den Augenbrauen und wunderte sich nicht lang über die ungewöhnlichen neckischen Gedanken. Denn an jenen Tag fiel ihm das Atmen schwer, irgendwie fiel ihm alles schwer. Ein kleines Nichts breitete sich in ihm aus und der blonde Engel hatte ein wenig Angst vor seiner eigenen Gleichgültigkeit darüber. Und es gab nur eine Person, die solch ein Gefühl niemals bei ihm hinterlassen sollte. Die Augen wollte sich erneut rot verfärben. Ohne es bewusst zu steuern hallten die beigefarbenen Absätze auf der Straßenkreuzung wieder. Der Mond stand hoch, die Sterne waren klar. Die Prachtmeile schlummerte vor sich hin und führte sich dennoch wie ein König unter den Baronen auf. Gerade als sich Erziraphael nur noch auf den Weg konzentrieren wollte, da sich sein müder Geist nach dem Buchgeschäft sehnte, hörte er plötzlich das dröhnende Aufheulen eines Automobils. Ein dunkler Berserker, dessen Auspuff keinen Dreck erzeugte und der Motor viel zu stark für die zeitgenössische Industrie war. Es bremste am Piccadilly ab und eine hochgewachsene rotgekleidete Gestalt entfaltete sich aus dem brummeligen Ungetüm hervor. Erziraphael hielt Schritt und Atem an. Und doch öffneten sich seine Lippen, als die Wagentür wieder geschlossen wurde. Wie ein sehnlicher Regenguss sauste die gegensätzliche Aura auf ihn ein, verwandelte die Luft in etwas rebellisches und würde ihn doch niemals schaden wollen. Eine tiefe Traurigkeit, Überraschung und Sorge breitete sich in seiner Brust aus, als er den rothaarigen Dämon direkt ins Gesicht sah. Auch Crowley stockte mitten in der Bewegung und starrte intensiv in die blauen Augen hinein. Sie waren keine fünf Meter voneinander entfernt und doch konnte man die immense Stärke ihres letzten Treffens spüren. Wie es sich selbst wiederbelebte und eine eigene Stimme besaß. Deren Atmosphäre tänzelte um sie herum und lachte über diese zwei Wesen. Und dieses neckische Dasein ließ beide gehemmt schlucken. Crowleys Herz durchlief erbärmliche Sprünge und sein weinroter Sakko saß plötzlich viel enger als zuvor. Doch konnte er den Blick nicht von ihm lassen. Schon allein deswegen, weil der Engel abgekämpft aussah und irgendwie blass. In dem Moment wo der Dämon den Mund öffnen wollte, bewegte sich Erziraphael wieder. Allerdings ließ sein Gang kein Halten zu. Er schritt an Crowley vorbei und der Rothaarige hörte nur noch einen geflüsterten Satz:
„Treffe mich Punkt vier Uhr im St. James Park.“
Rasch wirbelte Crowley den Kopf nach ihm herum, doch des Engels Beine waren so ungewohnt schnell vorbei. Sie zogen ihn über die gigantische Kreuzung entlang und der Dämon blieb unschlüssig zurück.


03:58.....St. James Park


Ach, würde doch nur ein Vogel singen. Würde nur ein Gewitter folgen und alles für sich vereinnahmen. Könnte doch nur irgendwo ein zerzauster Seemann ein altes Lied vom Meer anstimmen. Doch um ihn herum blieb alles still, so leblos und bedrohlich. Erziraphael wollte nicht durch die Umgebung schauen, auch wenn dieses düstere Mysterium ihn immer wieder anzog. Die blauen Blicke zielten immer wieder auf die rote Schachtel zwischen den Fingern. Der Morgen dämmerte kränkelnd und drückte sich mit all den verwirrten Farben über den hintersten Rand des Horizonts hinweg. Endlich suchte ein schwacher Wind die elende Hitze auf, ließ sie erbeben und vielleicht lehrte er sie auch das Fürchten. Aber so oder so könnte Erziraphael gar nicht jeden Schweißtropfen zählen, den er in diesem Augenblick verlor. Die Unruhe umarmte ihn wie eine alte Freundin, die er eigentlich längst loswerden wollte. Diese aber blieb, weil sie glaubte  doch noch etwas für ihn tun zu können. Sträucher raschelten neugierig auf und wandten ihre verschlafenen Knospen nach einem nervösen Engel. Immer wieder, immer wieder zupfte er an der goldenen Schleife des kleinen, schmalen Geschenks herum und fragte sich allmählich ob der höllische Gefährte den Angaben überhaupt Folge leisten würde. Schließlich war er kein Wesen, das einfach so diktierten Anweisungen nachging (außer sie kamen von seinen Vorgesetzten). Crowley war stolz, eigenwillig und hasste es, wenn ihm jemand etwas vorschreiben wollte. Keine gute Kombination also für ein eingefordertes Treffen. Als Crowley vor Jahren im Savoy aufgetaucht war, verhielt er sich so äußerst sonderbar. Was hatte ihn nur geritten? Die Schultern glitten hinab, der Kopf wog nach und endlich gestand sich Erziraphael ein, dass irgendetwas zwischen ihnen nicht stimmte. An irgendeinen Tag hatte sich etwas verändert, nur konnte er nicht begreifen wann es gewesen sein soll. Wenn er doch nur erkennen würde, was er nicht begriff. Irritiert vom ganzen Kopfzerbrechen, bemerkte er gar nicht, wie sich die Pflanzen um ihn herum plötzlich veränderten. Ihre feinen Blütenköpfe zogen sich enger zusammen, die ovalen Blätter standen regungslos still, weil sie nicht auffallen wollten. Und jeder aufwachende Käfer kroch zurück in sein Erdloch.
„Ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass du Nachts nicht allein in Parks gehen sollst.“
Ruckartig erfreut zog sich Erziraphaels Kopf wieder hinauf und beschaute ein kleines unerwartetes Wunder. Er wollte sich für ihn erheben, doch Crowley wedelte ihn nur zurück auf die archaische Bank und fläzte sich unter stöhnender Anstrengung in die andere Ecke hinein. Während er das rote Sakko aufknöpfte, um besser sitzen zu können, drehte sich der Engel halbwegs zu ihm herum. Blickte in das abgewendete Gesicht und lächelte schwach.  Er war also doch gekommen.
„Bist du deswegen hier? Etwa weil du...Angst um mich hattest?“
Mit einem schmalen Seitenblick beäugte Crowley dieses erwartungsvolle runde Gesichtchen und ließ die Frage in seinem Kopf nachhallen. Und plötzlich waren sie wieder da: Gefühle. Gefühle. Gefühle. Es packte ihn eine Nervosität, die er als vollkommen absurd empfand. Obgleich seines erweichten Gemüts, winkte er nur leger ab und ließ sich noch unmanierlicher in die Rückenlehne rutschen. Er schaute den Blonden nicht an, lieber suchten seine Augen einen wahllosen Punkt im Morgen.
„Papperlapapp. Ich sorge mich niemals um irgendetwas. Nicht mal um dich.“
Erziraphaels hoffnungsvoller Gedanke erstarb augenblicklich. Und hätte er nur gewusst, dass diese Worte Crowley bereits wieder leid taten, hätte es keinen Riss in seiner Seele gegeben. Doch der Engel wollte diesen Trübsinn nur für einen Moment lang abschütteln. Nicht hier, nicht bei ihm. Die Finger brachten das Geschenkpapier zum aufgewühlten Knirschen.
„Es ist selten dass du den Haupteingang benutzt. Muss wohl etwas wichtiges gewesen sein.“
„Eigentlich nicht, ich durfte bloß eine Erklärung an Lord Beelzebub abgeben, warum ich in den letzten Jahren nichts wirklich arglistiges mehr angestellt habe, das ist alles.“
„Oh, du hast also Ärger?“
„Naaah, das ist doch bloß per forma, Engel. Rate mal wo die Bürokratie erfunden wurde? Bestimmt nicht im Himmel. Apropos: Was hast du denn dort getrieben?“
Crowley sprach ohne ihn anzuschauen. Und Erziraphael indes sah ihn dafür die ganze Zeit über ins Halbprofil. Es war grotesk, denn der eine wollte mehr von dem anderen als es umgekehrt wirkte. Doch die Frage, die so nebensächlich gestellt wurde, führte dazu, dass Erziraphael länger um eine Antwort suchte und seine Gedanken wieder schwermütiger wurden. Nun schaute er kurzlebig zu der schmalen Schachtel und dann auf die Schulter des Dämons.
„Ich habe letzte Nacht eine Seele begleitet.“
Durch einen angewiderten Laut gab der Dämon seine Aversion körperlich kund. Was ihn immerhin dazu veranlasste endlich den Kopf zu Erziraphael herum zu wedeln.  
„Ieh, pfui, Spinne. Eine widerlicher Angelegenheit ist das. Wir haben wenigstens noch unseren Spaß mit denen, bevor es endgültig abwärts geht, aber bei euch.....Kein Wunder, dass du so schlapp aussiehst. Lass solche Dinge doch nicht so nah an dich heran. Ist doch bloß eine vermaledeite Seele, die eben ewig auf bunten Wolken schweben wird, na und? Was soll dieses lange Gesicht dabei?“
Während er diese unschönen Worte abfällig deklamierte, drehte er sich mit einem Ruck zum Engel herum. Innerlich stockte er augenblicklich. Erziraphael wirkte nun noch eingefallener, noch fahler und mutloser als zuvor.
>Warum kann ich nicht einfach meine dämliche Klappe halten?<, schellte sich Crowley und wartete nach seiner letzten Frage auf irgendeine Reaktion. Doch sein himmlischer Freund starrte nur weiter auf das kleine Päckchen zwischen den Händen und atmete einmal tief durch. Doch hob er den Blick wieder und offenbarte ihm ein klägliches Lächeln, welches allerdings auch Verständnis schenkte.
„Es ist nichts davon umsonst. Das, was die Menschen bei uns bekommen, ist reiner Frieden und ewig währendes Heil. All ihre Sorgen, die Schmerzen und die Schwere jedweder Last besitzen keine Bedeutung mehr. Ich sehe es in ihren Augen, wenn sie meine Hand ergreifen und sich von mir durch das Tor führen lassen. Es ist das größte Geschenk was wir ihnen geben können. Noch nie zuvor hat man solch ein seliges Lächeln gesehen.“
>Doch, bei dir. Ich weiß wie unbefleckt so etwas aussehen kann<, nuschelte Crowleys Kopf und er räusperte sich kleinlaut. Aber da erinnerte er sich, dass Erziraphael auch stets bei diesem >Oscar Wilde< so ein Gesicht machte. Die eifersüchtige Wut entfachte ein neues Feuer und der Dämon spürte, wie ihm die Brust immer heißer wurde. Er verschränkte die Arme genau vor diesem Gefühl und stöhnte aus.
„Was genau willst du eigentlich von mir?“
Obgleich er diesen vorwurfsvollen Ton von Crowley nicht verstand, wollte der Blonde alle Herzlichkeit nach Außen tragen die er im Moment geben konnte. Noch einmal atmete er tief durch und hielt ihm mit leicht geröteten Wangen das kleine Geschenk entgegen.
„Ich..Ich habe etwas für dich. Es wird Zeit, dass du es erhältst.“
Wie ein Kreidefels starrte der Rothaarige auf diese Geste in Brusthöhe und rührte sich nicht. Wieso eine Gabe? Warum.....warum stand sein Herz plötzlich still? Statt es anzunehmen, stierte er nur unbeweglich auf das rote Papier. Irritiert von dieser Haltung, legte es der Engel auf dessen Oberschenkel ab und zog schüchtern die Hände wieder zurück. Doch selbst an dieser Stelle hob es Crowley nicht an. Es schien vielmehr so als wollte er es mit den Augen in Flammen aufgehen lassen. Sein Atem wurde enger, die Haut kribbelig und die Wut ummantelte ihn wie ein gehässiger Fuchs.
„Hat das was mit unserem letzten Treffen zu tun?“
Vor Überraschung sahen Erziraphaels Augenbrauen wie kleine Regenbögen aus. Selbst als sich ein dürftiger Schatten über sein Gesicht legte.
„Nun ja, auf gewisse indirekte Weise schon.“
>Teufel noch eins! Es ist also doch ein Abschiedsgeschenk. Ist er so verdammt wütend auf meinen Auftritt vor acht Jahren, dass er mich nun einfach abspeisen will? Wegen eines verdammten Menschen?<  Crowley biss sich unmerklich auf die Lippe. Er spürte eine unerträgliche Welle aus Zorn, Vernichtung und stacheligen Enttäuschungen über eine hauchfeine Hoffnung preschen. Sie wurde barbarisch zerstört, niedergewalzt. Woher kam eigentlich diese Hoffnung und seit wann stand sie bereit? Die größte Frage allerdings war: Was genau schmorte denn nun in dieser Hoffnung? Mit überspanntem Gesicht, verkrampften sich Crowleys Arme immer mehr und dann zuckte er zum Engel hin.
„Willst du mich oder dich lächerlich machen?“
Unbeweglich blinzelte Erziraphael wenige Male, ehe er glaubte, dass er mit den Kopf schüttelte, was er aber gar nicht tat.
„Was meinst du denn damit?“
Es war eine harmlose Frage, unpersönlich und nicht gefährlich. Und doch entbrannte sie die Zündschnur in einer dämonischen Seele. Das Gesicht wurde glühend rot und Crowley griff viel zu grob nach dem unschuldigen Geschenk. Hielt es in Kopfhöhe und hörte nicht auf den himmlischen Gefährten vorwurfsvoll anzustarren.
„Ich habe solche Dinge nicht nötig! Kein Dämon würde sich umwickeln lassen, schon gar nicht von einem Engel. Was bildest du dir denn ein? Verschwende gefälligst kein Mitleid an mich, denn es läuft sowieso nur ins Leere! Ich brauche kein Trostpflaster, kein Abschiedsgeschenk! Es ist nicht nötig, weil niemals etwas zwischen uns existierte! Also lass diesen verdammten Mist!“
Ohne von ihm weg zu schauen, warf Crowley das Päckchen zwischen ihre Köpfe hindurch, hinüber auf die gegenüberliegende Wiese. Erziraphael folgte dieser raschen Geste und hielt den Atem an, als sein Entgegenkommen auf dem Morgentau einen neuen Platz gefunden hatte. Er starrte auf das leichte Schimmern des Papiers, auf seine weggeworfenes Freundlichkeit und den Wert ihrer Beziehung. Die blauen Augen blickten langsam zu dem Dämon zurück. Welcher nun nicht mehr auf den Engel fixiert war, sondern der mit den immer noch verschränkten Armen in eine völlig andere Richtung gaffte.  
„Was bist du doch für ein gemeiner aufgeblasener Kerl.“
Crowley stockte. Diese Worte kamen von tief unten und sprachen so ungewohnt fest. Er drehte vorsichtig den Kopf wieder herum und wurde von einem verhärteten wütendem Gesicht empfangen. Die Brauen waren so eng zusammen gezogen, dass es den Engel doch schmerzen musste. Aber Erziraphael durchbohrte damit dessen Schale und der Dämon spürte bereits jetzt wie seine Seele zu knacken begann. Der Engel war noch nicht einmal den Tränen nah, sondern einfach nur enttäuscht.
„Was glaubst du eigentlich wer du bist? Komm gefälligst von deinem viel zu hohen Ross herunter, bevor du beginnst dich in irgendwelche Gefühlsschwingungen zu verirren, die du sowieso nicht verstehst. Denkst du etwa, nur weil du ein Dämon bist kannst du mit mir umspringen wie es dir gefällt? Ich bin ebenso stolz und stark wie du, Crowley. Und du hast kein Recht der Welt so herablassend zu mir zu sein. Hör endlich auf deine Existenz für alles verantwortlich zu machen und steh zu deinen Facetten, Grundgütiger! Du bist klug, also benutze endlich diese Gabe!“
Unter einem gebündelten Energieschub erhob sich Erziraphael rasant und blickte wütend auf ihn hinab. Der Dämon sah ihn an und wusste nichts zu erwidern. Er fühlte sich wie ein Mensch vor einer plötzlichen übersinnlichen Erscheinung. Mit Ehrfurcht vor dessen Richtung und den Drang ständig vor ihm im Staub zu kriechen. Kopfschüttelnd reckte sich der blonde Kopf nach vorn und formte Anfänge von Sätzen. Doch schlussendlich presste er dann doch die Lippen aufeinander und wirbelte herum. Crowley starrte auf dessen Rücken und er spürte nicht wie sich seine Finger bereits vor etlichen Minuten gelöst hatten. Sie lagen auf den Oberschenkeln und seine Aura schrumpfte zusammen. Doch als er sah wie der Engel hastige Schritte von ihm fort bewegte, durchbrach es den Rothaarigen ganz plötzlich. Jetzt verschwindet er bestimmt zu diesen Edward. Unkontrolliert sprang Crowley auf.
„Warum hast du dich für ihn entschieden?“
Da blieb Erziraphael wie angewurzelt stehen, als hätte er sich erschrocken. Dann wandte er sich ihm mit einem fragendem Ausdruck zu. Er erkannte einen ungewohnten Dämon, dessen Brille vom Gesicht verschwunden war und wo der ganze Körper ein einziger Pulsschlag zu werden schien.
Selbst aus jener Entfernung konnte er aufgeregten höllischen Atem hören.
„Wer ist denn dieser >ihn<?“
„Jetzt tu nicht so, Engel! Ich red von diesem Schnösel im Hotel, diesem Oscar Wilde-Verschnitt!“
Auf unerwartete Weise für Crowley, wurde der himmlische Kollege mit einem Mal kreideweiß und sein Blick irgendwie starr.
„Du redest von...Edward?“
„Von wen auch sonst? Und wenn hier jemand ein Recht hat wütend auf irgendjemand zu sein, dann ja wohl ich! Wie kamst du bloß auf solch einen irrsinnigen Gedanken? Ich meine, er ist ein Mensch! Ein Mensch! Ja, ich weiß, ich bin ein Dämon und nicht so fein wie diese sterblichen Pinkel aus diesen Schickeria-Klubs, aber trotzdem ja wohl besser geeignet! Was hat dich denn geritten einen Menschen als Liebespartner zu wählen, häh?!“
Der Morgen dämmerte mächtig und kein Tier in ihrer Umgebung wagte es sich zu bewegen, was vielleicht auch daran lag, das Crowley ihr Umfeld absperrte. Plötzlich überzog eine dämonische Aura den Park und brachte Erziraphael dazu sich ihrer Seiten wieder einmal bewusst zu werden. Obgleich schon seine Worte reichten. Er trat etwas näher heran, doch noch ehe sich sein Mund öffnen konnte, verzog Crowley das Gesicht zu einer hässlichen Fratze.
„Ich habe euch gesehen, vor sieben Jahren, vor deinem Laden. Ich hab gehört wie er dir den Hof gemacht hat und du dich in keiner weise gewehrt hast. Es hat dir gefallen, du warst regelrecht geschmeichelt und sehr entgegenkommend. Also komm mir hier ja nicht mit deiner Unschuldsmiene. Ich  habe dich schon längst durchschaut, also spar´ dir jede Ausrede!“
Ein Geräusch, welches kurz vor seiner Entstehung gehindert wird, erklingt dennoch in einem Gehör. Erziraphael sah wie sich Crowley lauthals frustriert wieder auf die Bank sacken ließ und die Beine spreizte. Er beugte sich vor und ließ die Unterarme auf den Oberschenkeln nieder, den Kopf richtete er wutschäumend auf den Kieselweg. Unfassbar.
Erneut knirschte der Weg auf, als der Engel weiter auf ihn zu schritt. Sein Gesicht fixierte unbeugsam den roten Schopf und die blauen Augen weiteten sich voller Unglauben.
„Eine...Liebesbeziehung? Ich? Da hört sich ja alles auf. Ich bin ein Engel! Ich gehe keine Verbindungen dieser...Art mit Menschen ein, niemals. Solche....amourösen Tätigkeiten unterhalte ich nicht und werde es auch nie. Ich wiederhole es gerne zig mal, wenn du es so willst: Ich bin ein Engel!“
„Oh, bitte, es ist ja nicht so als wäre ich ja nie in eurer Hotelzimmer geplatzt und wäre nicht dabei gewesen wie du aus dem Schlafzimmer gekommen wärst. Er, nur mit einem dünnen Morgenrock bestückt und du mit unordentlicher Kleidung und rotem Kopf. Nein, wie käme ich denn dazu so etwas zu denken? In deinem Hotelzimmer!“
Entgeistert von all diesen Spekulationen schüttelte Erziraphael unentwegt den Kopf. Seine Stimme hob sich und er reckte aus irgendwelchen Gründen den Arm in eine völlig unerhebliche Richtung.
„Edward kam nicht aus London! Er musste ständig irgendwelche Hotels frequentieren, deswegen war ich auch dort! Entweder wir waren im Laden oder bei ihm, weil wir nur dort ein Grammophon hatten. Wir liebten beide das Theater und die Musik. Jedes Mal wenn er von einer Reise wiederkam spielte er mir die Stücke vor, die er neu entdeckt hatte. Wir haben getanzt, ja! Und Edward war ein wirklich stürmischer Dreher, weshalb wir ungeschickt ins Bett gefallen sind. Aber darin sehe ich nun wirklich kein unmoralisches Verhalten.“
Dieser Engel log nicht, das tat er nie. Schockiert drehte Crowley den Kopf und suchte nach letzten Beweisen.
„Schon möglich, aber....aber warum hat er sich dann dir gegenüber ständig so verhalten als werd´ ihr ein zärtliches Paar?“
Sonnenstrahlen kletterten über Erziraphaels Körper hinweg und er ließ den Arm wieder sinken.
„Weil er mich geliebt hat.“
Er vollzog eine Wusste-ich-es-doch-Geste und zischte aus.
Grollender Zorn, der nach Rache schrie, jagte durch Crowleys Brust. Es ließ den Kopf wieder zur Seite weg wirbeln. Er biss die Zähne zusammen und musste sich unter aller Gewalt daran hindern, diesen Kerl aufzusuchen, um ihn das Haupt von der Wirbelsäule zu trennen.  
Doch der Engel blieb stehen und schaute auf das weggeworfene Päckchen im taufrischen Gras.
„Er wollte mich nur die ganze Zeit über glücklich machen.“
>Ach und ich hätte das wohl nicht gekonnt oder wie?<, solche und böse Dinge rasten durch Crowleys Stirn, obwohl er sich dessen noch nicht einmal wirklich bewusst war.
„Noch nie zuvor habe ich solch ein Gefühl von Liebe gespürt. Alles, was er für mich tat, erwartete nichts an Gegenleistung. Er war dankbar das ich Zeit mit ihm verbrachte und er liebte es, wenn ich lächelte.“
Die Muskeln hörten plötzlich auf mit ihrem Starrsinn, sämtliche Sinne entglitten ihm und der Kopf beendete seinen Kampf. Eine schwere Woge aus Traurigkeit übermannte den Dämon und seine Fingerspitzen hingen mutlos an den gleichwertigen Händen herab. Crowley blinzelte leer und verspürte den Drang lauthals darauf zu pochen, dass er doch dies alles bereits seit Jahrhunderten so fühlte. Aber er tat es nicht, er saß nur da und starrte zu Erden.
Immerhin war er ein Dämon......
„Es war seine Seele die ich letzte Nacht begleitet habe. Edward starb vor sechs Wochen an Tuberkulose und ich durfte ihm nicht helfen. Wir sind Engel, wir verhindern keine Krankheiten. Wir lindern nur das was von Außen geschieht und den Tod. Doch alles was vom Leben heraus entstanden ist, dürfen wir nicht berühren. Als er im Sterben lag, erkannte er in mir den Engel, der ich bin und bat mich darum, seine Seele in das Paradies zuführen. Es war wirklich.....überaus schmerzlich.“
Erschüttert reckte Crowley den Hals. Nicht wegen des Ereignisses, sondern wegen der Erfahrung seines Freundes. Und wieso schaute er ihn jetzt mit solch einen seltsamen Blick an? Crowley geriet in Panik und klammerte sich mit einer Hand an der Rückenlehne der Bank fest.
„Erziraphael, ich...ich war das nicht! Ich habe damit nichts zu tun, bitte glaube ich mir! Niemals habe ich dafür gesorgt, dass er dahinsiecht!“
„Das weiß ich doch, Crowley. Du würdest mir nie schaden, auch wenn du der Feind bist. Du nicht, dafür kenne ich dich viel zu lange.“
Der Dämon starrte in dessen von Trauer befülltes Gesicht und verspürte den Wunsch ihn zu trösten. Und merkwürdigerweise fühlte er keinerlei Spott, Hohn oder gar Freude über den Tod des Rivalen. Dafür kostete es Erziraphael einfach zu viel.
„Als ich ihn verloren habe, dachte ich an dich. Deswegen bin ich hier und darum habe ich dir ein Versöhnungsgeschenk angeboten. Ich verstand unseren Streit nicht, aber ich wollte ihn schlichten, nichts weiter.“
Erziraphael drehte sich herum und wirkte untragbar müde. Er schloss kurz die Augen  und seufzte aus. Bevor er jedoch ging, wandte er noch ein letztes Mal den Kopf nach hinten.
„Ach ja, nur weil jemand von Liebe spricht, bedeutet das noch lange nicht die Definition von Gegenseitigkeit. Wahrscheinlich wirst du es sowieso  nicht verstehen, trotzdem sage ich es dir: Edward besaß eine vollkommene Seele und es war sein reines, wunderschönes Wesen, welches ich gerne um mich hatte. Solche Menschen existieren nur aller paar Jahrhunderte. Es wäre eine Schande für mich gewesen diesen Menschen zu übergehen. Es gibt mehr als nur schwarz und weiß, Crowley. Wenn du es begriffen hast, dann werden wir uns wiedersehen.“
Crowley wollte ihn nicht aufhalten, denn was hätte er schon geschicktes sagen sollen? Deswegen saß er nur weiterhin da und schaute einen schwindenden Engel hinterher. Auf seiner Zunge schmeckte er etwas fahles und irgendetwas in ihm begriff etwas. Nur, was war es? Wortlos richtete er sich auf seine Füße, schritt über den Weg und kniete sich in das kurzgeschnittene Gras. Die schimmernden Augen fingen das dargebotene Friedensangebot ein. Er hob das rote Geschenk auf, löste die goldene Schleife und öffnete die schicke Schachtel. Wie sollte er das beschreiben was ihn im Moment überflutete? In seinen Händen hielt er einen Bernsteinanhänger, eine kleine Schlange aus Gold wurde darin verfasst. Als kurze Lichtstrahlen darauf fielen funkelten die Augen des windenden Tieres in einem kobaltblau. Er fand dazu eine ebenso zierliche Karte, handschriftlich gehalten. Darauf stand: >Babylon war zu weit fort von uns, doch heute können wir mit verbundenen Augen springen. In aller Ergebenheit. Erziraphael.<
Crowley verstand alles und führte sich die Karte an die Stirn, schloss die Augen und stöhnte leise aus.
„Was macht es mir nur so schwer? Was ist es bloß?“
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