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Kriegskinder

von KiraCat
Kurzbeschreibung
OneshotAngst / P12 / Gen
29.07.2020
29.07.2020
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1.198
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29.07.2020 1.198
 
Warnung: Leichte Spoiler zu Lewyns Identität in der 2. Generation des Spiels

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„Was mache ich falsch, Lewyn?“, fragte Seliph leise und löste seinen Blick vom sternenlosen Himmel. „Arvis ist gefallen. Ich habe den Tod meines Vaters gerächt. Dennoch war er nicht stolz auf mich. Er war nicht aufgebracht, weil ich leichtsinnig war, er war nicht glücklich, mich sehen zu können... Stattdessen ermahnte er mich. Als wäre ich im Begriff, etwas Falsches zu tun. Sag mir Lewyn... Warum? Was mache ich falsch?“ Seliphs Stimme wurde heiserer. Wenn die Tränen sich nicht in seinen flehenden Augen sammelten, dann waren sie zweifellos in seiner brüchigen Stimme.

Trotzdem spürte Lewyn nichts bei diesem Anblick. Die blauen Augen des Jungen vor ihm konnten noch so sehr nach Erlösung von diesem Kummer schreien, Lewyn spürte nichts.

Lewyn wusste, was Seliph hören wollte. Doch er sprach es nicht aus, der Drache in ihm hielt ihn davon ab. Das war der Preis seines Blutes; er hatte schier unbegrenztes Wissen und all die Antworten, die den Sterblichen verwehrt blieben, aber im Gegenzug war seine menschliche Seele verschlungen worden. Herausgerissen, vom Wind verschleppt worden.
Seliph wollte Trost. Ermutigung. Aufmunterung. Er musste immer stark sein und so viel durchmachen. Nur einmal, ein einziges Mal, wollte er schwach sein und sich all seinen Gefühlen kampflos ergeben anstatt sie zurückzudrängen.
Doch das durfte nicht passieren. Schon gar nicht wegen irgendwelcher Geister, die angeblich zu Seliph gesprochen hätten. Lewyns Ziel hatte oberste Priorität. Das Ziel, für das der Windgott selbst ihm neuen Atem eingeflößt hatte.

„Dein Vater tat gut daran, dich zu ermahnen. Du darfst seine Fehler auf keinen Fall wiederholen. Also sorg dafür, dass du seinen Rat befolgst.“

Mit diesen knappen Worten drehte Lewyn sich um und ließ Seliph alleine. Leichter Wind kam auf, jedoch vermochte er weder das Bild des verzweifelten, fassungslosen Jungen aus Lewyns Gedanken zu wehen noch seine bleischweren Schritte zu beflügeln.

***


„Es ist nicht gerecht“, presste Leif zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Warum kann jetzt auch noch Seliph die heilige Waffe seines Vaters führen und ich nicht? Warum hat er die Macht seiner Vorfahren geerbt und ich nicht? Warum trägt meine Schwester so viel von Njöruns Blut in sich... Und ich nicht?“

Finn hörte diese Sätze nicht zum ersten Mal. In letzter Zeit kämpfte Leif oft mit Selbstzweifeln und der Befürchtung, nicht gut genug zu sein. Keine Spur mehr von dem entschlossenen Jungen von einst, der voller Zuversicht Fianas schützende Mauern verlassen hatte. Es schmerzte, Zeuge dieses Wandels zu sein.

„Sagt so etwas nicht, Lord Leif“, bat Finn. „Ihr seid niemanden unterlegen. Auch wenn es nicht viel ist, fließt das Blut gleich zweier Heiliger Ritter durch Eure Adern. Ihr seid also wahrhaftig ein Prinz, genau wie Lord Seliph.“
„Ein Prinz, huh?“, wiederholte Leif verächtlich. „Was bin ich denn für ein erbärmlicher Prinz, wenn ich noch nicht einmal dabei helfen konnte, Arvis zu bezwingen? Sein Tod war allein Seliphs Verdienst. Warum? Wegen seiner heiligen Waffe. Wegen seines Blutes. Wegen seines Glücks, dieses Blut geerbt zu haben“, spie er förmlich aus.

Diese Anschuldigung war nicht richtig, das wusste Finn. Seliph hatte hart gearbeitet, um seine jetztige Stärke zu erlangen. Es war einfach falsch, seine Schwertkunst auf Zufall, Glück und Götter zu schieben, wenn so viel mehr dahintersteckte. Jedoch war Leif gerade alles andere als gut zu sprechen, also schluckte Finn die tadelnden Worte ausnahmsweise herunter.

Stattdessen meinte er versöhnlich: „Grämt Euch nicht, Lord Leif. Allein die Tatsache, dass Ihr Tag für Tag auf dem Schlachtfeld seid, hebt die Moral der Soldaten und schenkt den Bürgern Hoffnung. Ihr unterschätzt die Wirkung Eurer bloßen Anwesenheit bei Euren Mitmenschen. Wenn ich Euch ansehe, dann--“

„Ach, halt doch die Klappe!“, unterbrach Leif ihn wütend. „Was weißt du schon? Gar nichts, du weißt gar nichts! Ich will nicht nur blöd auf dem Schlachtfeld stehen und nett aussehen, ich will kämpfen! Nützlich sein! So wie alle anderen... Verdammt, ich will doch nur wie die anderen sein!“

Voller Wut starrte Leif Finn an, und Finn starrte regungslos zurück. Er verzog keine Miene, obwohl sich innerlich sein Herz schmerzhaft zusammenzog. Tränen sammelten sich langsam in Leifs Augen, als er allmählich zu realisieren schien, was er soeben gesagt hatte. Und zu wem er es gesagt hatte. Seine nächsten Worte machten es für Finn jedoch nur noch schlimmer.
„Heh“, lachte Leif hilflos und raufte sich die Haare, den Kopf gesenkt. „Verdammt. Verdammt soll alles sein. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn du mich damals einfach den Flammen im Schloss überlassen und stattdessen meine Schwester gesucht hättest“, wisperte er und stürmte dann mit bebenden Schultern davon, ohne Finn eines weiteren Blickes zu würdigen.

Finn folgte ihm nicht. Er konnte es nicht. Konnte sich nicht vom Fleck rühren.

Es tat weh. Es tat unbeschreiblich weh. Dreizehn Jahre lang war Finn mit Leif auf der Flucht gewesen, hatte alles daran gesetzt, dass Leif nicht hungern und frieren musste, bis zu einem Punkt, an dem Essen und Schlaf zu einem seltenen Luxus für Finn geworden waren. Sie beide hatten so viel geopfert und zurückgelassen... Und nach all diesen bewältigen Hürden und Hindernissen dachte Leif darüber nach, ob es nicht besser wäre, tot zu sein.

Nach allem, was er in den letzten dreizehn Jahren ertragen hatte, um Leif am Leben zu halten, spürte Finn einen Schmerz schlimmer als nagenden Hunger, beißende Kälte oder blutende Wunden.

***


„Ihr seht fix und fertig aus, Finn. Ist was vorgefallen?”

Finn sah Lewyn überrascht an, schaute dann aber wieder weg. Er konnte diesen Mann nicht einschätzen und wusste demnach nicht, was er sagen sollte. Letztendlich war das auch gar nicht nötig, wie sich herausstellte.

„Es geht um Leif, hab ich recht?”, nahm Lewyn an.

Finn seufzte. Das Gerücht, dass der Wind Lewyn alle erdenklichen Geheimnisse zu flüstern schien, stimmte wohl. „Ich mache mir Sorgen”, gab Finn zu. „Er ist wie ausgewechselt, seitdem er gesehen hat, dass nun auch Seliph die heilige Waffe seines Vaters führen kann. Er denkt, er sei nicht gut genug, und...” Finn brach abrupt ab und schüttelte den Kopf, um Leifs grausamen Worte zu verdrängen. „Dieser Krieg macht ihm schwer zu schaffen”, fügte er stattdessen hinzu.

„Mhm... Verstehe”, kommentierte Lewyn, jedoch klang es nicht so, als würde er wirklich verstehen.„Da ist er nicht alleine.”

Seine Worte ließen Finn hellhörig werden. „Wie meint Ihr das?”

„Seliph leidet auch”, erklärte Lewyn. „Sein Vertrauen ist erschüttert. Sein Vertrauen in sich selbst und in sein Handeln. Menschen sind schon interessante Wesen, oder?” Lewyn lächelte seltsam. „Man kann ihnen noch so starke Waffen geben und sie von Göttern segnen lassen, am Ende erliegen sie trotzdem alle ihren abstrakten Gefühlen und Gedanken.”

„Daran ist nichts interessant. Das ist nur normal”, widersprach Finn etwas schroff. Die beinahe zynische Art, wie Lewyn von menschlichen Gefühlen sprach, als wären sie nette, kleine Forschungsobjekte oder dergleichen, gefiel ihm nicht, ganz zu schweigen von diesem rätselhaften Gesichtsausdruck, der sich nicht deuten ließ. „Heiliges Blut hin oder her, sie sind alle nun einmal Menschen, und Kinder noch dazu. Auf ihren jungen Schultern lastet so viel mehr Verantwortung und Trauer als man ihnen eigentlich zumuten dürfte.”

„Kinder, huh... ”, wiederholte Lewyn. „Vermutlich hast du recht. Letztendlich sind sie ja doch nur Kinder, die viel zu schnell erwachsen geworden sind.”

Und die Zukunft des gesamten Kontinents lag in ihren Händen.
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