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Bitte, Bitte, Bitte

Kurzbeschreibung
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P12 / MaleSlash
Dag-Alexis Kopplin Vincent Stein
21.05.2020
20.06.2020
6
12.040
17
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21.05.2020 1.810
 
*Vincent*


„Ich kann einfach nicht fassen, dass wir jetzt für unbestimmte Zeit zusammen wohnen werden.“
Während ich noch dabei war, mein Bettzeug herzurichten, hatte sich Dag bereits auf seiner Matratze am Boden ausgestreckt. Jetzt blinzelte er mit seinen grünen Augen zu mir hoch, so als würde er eine Reaktion von mir erwarten. Aber ehrlich gesagt, wusste ich immer noch nicht so richtig, was ich gerade empfand. In letzter Zeit hatten sich meine Gefühle für meinen Kumpel irgendwie verändert. Eigentlich hatte ich mich gewissenhaft damit auseinandersetzen wollen, allerdings hatte ich das bis jetzt konsequent vor mir hergeschoben. Das war wirklich dumm von mir gewesen – ich hätte ja ahnen können, dass eine Pandemie über uns hereinbrechen und uns dazu zwingen würde, auf engstem Raum zusammenzuleben.
Letztendlich bekam ich ein Kissen an den Kopf, gefolgt von „Hallo, Erde an Vincent. Nein, warte! Sonne an Vincent. Immerhin dreht sich ja das gesamte Universum um sie und ich bin definitiv das Zentrum deines Solarsystems.“
Er grinste mich selbstgefällig an, sodass sich mein Magen zusammenzog.
„Ich bin einfach so glücklich darüber, jetzt näher an meinem Leitstern zu sein, Schnucki“, gab ich möglichst ironisch zurück.
So richtig überzeugt klang es jedoch nicht. Meine größte Angst in der Quarantäne war tatsächlich nicht, dass ich irgendwas Falsches sagte, sondern, dass Dag mein komisches Verhalten auffiel. Immerhin war er wohl einer der Menschen, die mich am besten kannten. Konnte doch eigentlich nicht sein, dass es ihm nicht auffiel.
„Na, das wollte ich doch hören.“
Sein Grinsen wurde, soweit das möglich war, noch eine Spur breiter, als er sich aufrappelte und mit geöffneten Armen zu mir rüberkam. Mein bester Freund zog mich in eine feste Umarmung, die ich natürlich erwiderte.
„Nee, im Ernst. Ich bin froh, dass ich nicht alleine in meiner Wohnung versauere. Danke, Vince.“
Bei seinem ungewohnt sanften Tonfall muss ich einfach lächeln. Doch dann biss ich mir kräftig auf die Lippe, damit er dieses nicht sehen konnte. So fühlte ich mich relativ sicher, als Dag mich von sich drückte und mir tief in die Augen blickte.
„Das war eine super Idee mit dem ins Studio ziehen. Ohne dich“, er hielt inne, was mich unglaublich verunsicherte, „Mensch, was hast du denn gemacht?“
Unter anderen Umständen hätte es mich sicher nervös gemacht, wie gebannt er auf meinen Mund starrte. Aber in diesem Moment realisierte ich, dass ich Kupfer auf meiner Zunge schmeckte. Anscheinend hatte ich mir bei meinem Vertuschungsmanöver die Lippe blutig gebissen.
„Setz dich. Ich hol ein Tuch.“
Das klang so, als müsste er weit laufen, um die Küchenrolle aufzutreiben, was nicht der Fall war. Denn so riesig war unser Studio nun auch wieder nicht. Außerdem war ich noch nicht dazu gekommen, die Einkäufe für unseren Aufenthalt hier aufzuräumen. Deswegen standen die Tüten einfach im Gang herum. Während mein Kumpel das Zeug durchwühlte, hörte ich Rascheln, Knacken und ein beunruhigendes Klirren – hoffentlich war nichts kaputt gegangen.
Die Geräusche verstummten und wenig später tauchte er wieder im Türrahmen auf. Ich hatte mich derweilen auf dem Zweisitzer niedergelassen, der zwischen unseren Nachtstätten stand. Zu meiner Überraschung machte Dag Anstalten, mir das Blut selbst wegzuwischen. Sehr ungelenk wehrte ich dies ab und nahm ihm das Papiertuch ab. Ich zuckte zusammen, als ich das Papier zu fest auf meine Lippen drückte.
„Ist das nicht eher sowas, das mir passieren sollte?“
Er blickte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen leicht fragend an.
„Ich kann mich ja hin und wieder auch mal blöd anstellen“, presste ich hervor.
„Hin und wieder ist gut“, lachte mir mein Gegenüber daraufhin entgegen.
Danach war ich tatsächlich etwas gekränkt. Hielt er mich etwa für tollpatschig? Ehe ich eine Show abziehen konnte, wurde sein Blick jedoch ernster.
„Aber jetzt halt bitte mal still, damit ich mir anschauen kann, wie schlimm es ist.“
Sein Tonfall und auch seine Gestik wirkten so ehrlich besorgt, dass ich viel zu perplex war, um ihn diesmal abzuwehren. So legte Dag zwei Finger unter mein Kinn und überstreckte meinen Kopf, damit er meine Wunde besser betrachten konnte. Während mein Bandkollege seinem Vorhaben sehr gründlich nachging, brach mir der Schweiß aus. Das war mir definitiv zu nah und zu intensiv und zu viel. Er musste doch merken, wie sehr mein Herz raste.
„Ist eigentlich alles in Ordnung mit dir?“
Jetzt wäre ein Moment, in dem ich mir eine gute Ausrede einfallen lassen sollte. Allerdings war die Voraussetzung für sowas, dass man klar denken konnte – davon war ich unglücklicherweise meilenweit entfernt.
„Ich weiß auch nicht. Ich hab in letzter Zeit öfter so Hitzeattacken.“
War es die beste Notlüge meines Lebens? Ganz sicher nicht. Aber es war wahrscheinlich besser als nichts.
„Wechseljahre oder was?“
„Hahaha, sehr witzig.“
Ich schnitt eine Grimasse, um meinen Worten mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Tatsächlich ließ sich Dag darauf ein – irgendeine höhere Macht musste es gut mit mir gemeint haben. So kam ich jetzt in den Genuss, seinem schallenden Lachen lauschen zu dürfen. Dabei ließ er auch endlich von meinem Kinn ab, weshalb ich mich langsam wieder beruhigen konnte.
„Willst du mir eigentlich noch deine Diagnose mitteilen?“
Mit hochgezogenen Augenbrauen blinzelte ich ihn an. Nun richtete er wieder seine volle Aufmerksamkeit auf meine Lippen, was ich hätte voraussehen können. Jedenfalls machte mein Herz einen Stolperer und gab mir das Gefühl, dass ich bald sterben würde. Ich hasste diese körperlichen Symptome von Emotionen. Es machte mich fast noch mehr fertig, dass mein Freund sich so viel Zeit ließ – fast so, als wüsste er, dass das hier Folter für mich war.
„Sag mir ehrlich“, ich griff nach seiner Schulter und setzte meinen besonders melodramatischen Blick auf, „werde ich es überleben?“
Dag wäre nicht Dag, wenn er nicht sofort in die Szene einsteigen würde. Darauf hatte ich sehr gehofft, weil dieses Spiel zwischen uns die Realität soweit in den Hintergrund rücken ließ, dass ich mich erstmal nicht weiter mit meinen Empfindungen auseinandersetzen musste.
„Ich bin ganz ehrlich mit dir, denn das verdienst du“, theatralische Pause, „es ist wirklich nicht tief und sollte ziemlich schnell verheilen.“
Für dieses Ergebnis hatte er tatsächlich minutenlang mein Gesicht studieren müssen? Aber ich riss mich zusammen und vermied, irgendeinen Kommentar in diese Richtung abzugeben. Ganz grundsätzlich wollte ich ja nur, dass diese Situation endlich vorbei war. Dementsprechend sollte ich ihn wohl nicht nochmal anstacheln.
„Okay, Herr Doktor, darf ich dann mein Bett fertig beziehen?“
„Ich wüsste nicht, was dagegen spricht.“
Während ich mich also wieder erhob, um meine Aktion nach der langen Unterbrechung fortzusetzen, ließ sich nun mein Kumpel auf dem Sofa nieder. Einige Handgriffe später warf ich ihm dann einen fragenden Blick zu.
„Ist irgendwas?“
Sobald ich diesen weichen, unschuldigen Ausdruck in seinen Augen wahrnahm, wusste ich, dass hier etwas faul war.
„Musst du nicht vielleicht auch dein Bett beziehen?“
„Ach, stimmt. Aber ich benutze ja einen Schlafsack.“
Versonnen musterte er seine Matratze.
„Ja, aber da liegt auch ein Kopfkissen mit Bezug.“
„Ach so, das.“
Ich musste ihm lassen, dass ich ihm seine gespielte Überraschung wirklich abgenommen hätte.
„Ich dachte, das machst du für mich.“
Wenn das tatsächlich möglich war, wurden seine Augen noch ein Stück größer. Unter anderem Umständen hätte ich es bestimmt mehr hinterfragt, dass ich bei diesem Anblick sofort einknickte – aber das war Dag, dem ich nichts abschlagen konnte. Statt lange zu diskutieren, nickte ich schlicht ergeben. Dafür erntete ich immerhin ein weiteres strahlendes Lächeln und irgendwie war es das dann schon wert.
„Oh und bevor ich es vergesse“, er wartete, bis ich von seinem Kissen aufsah, bevor er fortfuhr, „ich hab eine Bitte.“
„Noch eine?“, rutschte es mir unverblümt raus.
„Nein, nein, nein. Das hier war eine Annahme“, erklärte er mir selbstbewusst.
Daraufhin tippte ich mir an die Stirn und meinte: „Klar, eine Annahme. Ich Dummerchen.“
„Dafür musst du dich doch nicht schämen, Vincent. Das kann ja jedem passieren.“
Jeden anderen hätte ich mittlerweile höchstwahrscheinlich darauf hingewiesen, dass er den Bogen nicht zu weit spannen sollte. Allerdings genoss mein Bandkollege gewisse Privilegien, denen er sich sehr wohl bewusst war.
„Wie dem auch sei…“
Der Satz blieb einfach so ohne Fortsetzung in der Luft hängen, was doch sehr untypisch für Dag war. Aufgrund dessen wurde ich hellhörig.
„Na komm. Spann mich nicht so auf die Folter. Aber wir schaffen keine Studiokatze an“, fügte ich mit gespielt scharfem Tonfall hinzu.
Nachdem meine Worte seine Mundwinkel zumindest kurz zum Zucken gebracht hatten, versuchte ich ihn möglichst auffordernd und zugleich aufmunternd anzublicken – obwohl das eher sein Spezialgebiet war. Aber anscheinend machte ich meine Sache gar nicht so schlecht, immerhin fuhr er nach einem kleinen Räuspern fort: „Kannst du bitte drauf achten, dass ich jeden Tag ein bisschen schreibe? Ich hab da so ein paar Ideen und ich dachte, da könnte ich mich jetzt mal ranmachen…“
Während seines zweiten Satzes hatte er seine Augen abgewandt und begonnen, seine Hände in einer unsicheren Geste aneinander zu reiben. Tatsächlich tat es mir im Herzen weh, dass er wohl der Meinung war, mir sowas nicht offen und ehrlich sagen zu können. Dennoch entfuhr mir aus einem ersten Reflex: „Also das hättest du mir definitiv vorher sagen müssen.“
Nun blickte er verwirrt zu mir auf und ich fühlte mich noch mieser, weil grade eigentlich nicht der richtige Augenblick für Witzelein war.
„Weißt du, dann hätte ich mehr von deinen Schreibsnacks eingekauft“, ich stemmte die Hände in die Hüften, um tadelnd fortzufahren, „und jetzt müssen wir die Notration anbrechen.“
Nur ganz langsam breitete sich Verstehen auf den Zügen meines Freundes aus, bis es sich schließlich ein weiteres Lächeln verwandelte. Ehe ich mich versah, lag er erneut in meinen Armen.
„Du weißt echt, was meine Schreibsnacks sind und hast extra welche auf Vorrat hier, oder?“, raunte er in mein Ohr, bevor er mein Gesicht in seine Hände nahm und mich auf die Stirn küsste.
Danach sah Dag mir sehr lange in die Augen und ich versuchte nervös zu schlucken, aber mein Hals war so trocken, dass es nicht funktionierte. Bald war auch mein Freund der Schweiß wieder zurück – das konnte doch jetzt nicht für immer so sein. Plötzlich legte mein Bandkollege seine Hand an meine Wagen und dann an meine Stirn.
„Bist du dir wirklich sicher, dass du nicht krank wirst? Diese Schweißausbrüche machen mir schon Sorgen.“
Seine Worte machten alles nur noch unangenehmer. Wie um Himmels Willen sollte ich eine Quarantäne auf unbestimmte Zeit aushalten, wenn ich eventuell Gefühle für meinen besten Freund entwickelt hatte?

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Hey ihr Lieben,
mir war ehrlich gesagt nicht bewusst, wie lange ich nichts mehr zu den zwei Chaoten geschrieben habe :D
Aber die momentane Zeit hat in mir mal wieder den Wunsch zum Schreiben geweckt.
Und manchmal muss man ja dann seine eigene Situation verarbeiten - also Quarantäne-FF ;]
Witzigerweise hatte ich die Ideen schon, bevor die zwei ihre "Studioquarantäne" erwähnt haben.
In meiner Einsamkeit freue mich natürlich immer über Reviews ;D
Bis zur nächsten Bitte (die schon fast fertig geschrieben ist),
Lea ♥
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