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Sprache der Blumen

von Rhyalla
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Familie / P12 / Gen
21.05.2020
12.07.2020
3
20.797
2
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Dieses Kapitel
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21.05.2020 7.247
 
[Mein Beitrag zum Projekt “Superkräfte“ von Nymphen]


Eine Geschichte über die Bedeutung von Familie, und Kinder, Kinder sein zu lassen.  

Inspiriert von einem Original von mir. Es spielt vor den Ereignissen der Hauptgeschichte und zeigt das Leben eines der Nebencharaktere Aegon Martyn in meiner fiktiven Welt Aestricca, welche stark an das mittelalterliche Fantasie Genre erinnert. Der Prompt der mir hierfür gegeben wurde passte einfach zu gut zu diesem Charakter.

Update: Die Geschichte hat jetzt ein Cover (<- darin bin ich geübter hehe).

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Kapitel 1


„Wer Schmetterlinge lachen hört, weiß wie Wolken schmecken.“
—  unbekannt.


Das kleine Dorf Keld liegt am Fuße einer Bergkette, deren düstere, schroffe Gipfel hoch über dem Tal ragen. Hinter der Stadt schlängelt sich ein Fußweg sanft in die Höhe. Das Gras an den unteren Hängen ist arm, aber die Luft duftet nach Bergblumen aus dem reichen Weideland weiter oben.

Wenn man dem Weg folgt, so findet man sich vor einer einfachen Hütte mit einer damit verbundenen Scheune wieder. Es versteckt sich hinter einem riesigen Ahornbaum, der hoch und stolz steht und mit wachsamem Auge über das Dorf im Tal wacht. Denn dort unten regte sich etwas.

An diesem einen sonnigen Frühlingsmorgen rattert eine robuste Kutsche in die Mitte des kleinen Dorfes und stört das friedliche Leben auf dem Land. Die Leute blieben stehen, um zu sehen was sich dort in ihre Mitte begab, als sie sich wunderten wer sich hinter den Vorhängen versteckt hielt. Der Fahrer zog an den Zügeln und ließ die Pferde mit einem Schnauben zum Stillstand kommen.

Er sprang mit einem einzigen Satz von der Kutsche und griff nach der Wagentür. Das Flüstern verstummte sofort, als das gesamte Dorf den Atem anhielt und beobachtete wie die Tür langsam, Stück für Stück, erst einen weiß gehäkelten Handschuh aus dem inneren offenbarte und dann die elegante Dame zu der er gehörte.

Die Frau musste so um die vierzig sein. Vereinzelte graue Strähnen hatten sich bereits durch ihre hochgestickte Haarpracht geschlichen, doch ihre Augen waren wie Rasiermesser als sie ihre Umgebung in Augenschein nahm. Das alter schien ihr kaum anzumerken.

Ihr Kopf schwang zur Seite als sie die Ansammlung bemerkte und stielte diese mit einem fixen Blick. Sie drehte ihre Hüfte und mit dem heben ihres Kleides zeigten sich ihre fein gearbeiteten Schuhe als sie mit einem einzigen Schritt aus der Kutsche stieg.

Man konnte deutlich hören wie sie die Luft anhielt und wie fest gefroren stehen blieb, als ihr Schuh direkt auf die stacheligen Blätter einer Distel trat.

„Fahrer!“ bellte sie zu dem Mann, welcher sich um den Wagen herum geschlichen hatte, „Hatte ich nicht deutlich gesagt das du mich nach Keld bringen sollst und nicht zu den unzivilisierten Wayward Wildnis!“

Der Fahrer wagte einen schnellen Blick hinter der Kutsche zu seinem Fahrgast. „Dies ist Keld, Lady Charton.“ Er hielt kurz inne bevor er hinzufügte: „Und Wayward ist ein Urwald.“

Sie winkte sein Kommentar mit einer einzigen Handbewegung ab, bevor sie sich ihrem Schicksal hingab. Das Kleid wurde leicht angehoben und nicht bevor noch einmal gründlich die Ferse über der nichtsahnenden Pflanze gedreht wurde, trat sie von der Kutsche. Die Stacheln der Distel, hatten keine Chance.

„Dies ist unzumutbar.“ Sie raffte ihr Kleid wieder ordentlich nieder, „Mein Sohn sei besser dankbar für die Qualen die ich für ihn auf mich nehme. Diese Schuhe sind mehr Wert als das gesamte Dorf.“

Der Fahrer erschien wieder mit zwei großen Gepäckstücken unter den Armen und schwankte von einer Seite zur anderen, leicht überfordert von dessen Gewicht.

„Vorsicht!“ bellte die Frau sofort und ließ den Fahrer beinahe erschrocken alles los zu lassen. „Wage es nicht diese fallen zu lassen. Es ist das einzige was diesen Aufenthalt hier erträglicher machen wird. Gewiss werde ich mich nicht diesen erniedrigenden Lebensbedingungen ohne sie stellen, lieber Kutscher. Dafür bin ich nicht Lady Charton geworden.“

Der Fahrer konnte nur nicken, als das Gewicht der Koffer ihm seinen gesamten Atem raubte.

„Seit nicht so zimperlich.“ Kommentierte die Frau, als sie mit stolzen Schritten auf ein kleines Häuschen nahe der Straße zu lief. Es war ein einfaches Haus, mit Strohdach und teils Holzwänden, während der untere Teil weißer Kalkmörtel war. Es war genau das gleiche wie jedes andere Haus in dem Dorf und doch stachen die aufgepinselten Worte mit weißer Kursiver Schrift ‚Zimmer zu Vermieten‘ sehr deutlich hervor.

Die Tür hang halbwegs offen und doch stoppte die Dame und hob ihre weißen Knöchel zur Holztür und klopfte. Sie wartete, doch es kam keine Antwort von drinnen.

Alleinig die Geräusche des Fahrers als er sich abmühte um die Koffer herüberzubringen, welche er schließlich mit einem Seufzer vor der Tür auf den Boden fallen ließ.

„Ich hatte gesagt Vorsicht, Tollpatsch.“

Doch der Fahrer schnappte bloß nach Luft, ehe er sich einfach abwandte und zu seiner Kutsche zurück schlurfte.

„Hey, was gedenkt ihr da zu tun?!“ Rief die Dame ihm nach, als sie sofort ihren Rock in die Hand nahm um ihm zu folgen. „Ich bin noch nicht fertig mit euch. Wie soll ich die Koffer auf das Zimmer bekommen?“

Der Fahrer zuckte nur mit den Schultern, als er sich wieder auf den Sitz der Kutsche schwang. „Nicht mehr mein Problem.“

Und just, schwang er die Zügel der Pferde, welche sofort schnaubend ansetzten und mit einer weiten Runde kehrt machten.

„Unerhört.“ Schnaufte die Dame, als sie die Arme in die Seite stemmte und den schnellem Abgang ihres Fahrers nach sah. Die Kutsche ratterte in hohem Tempo den erdigen Pfad wieder zurück Richtung Westen und schon bald war er nicht mehr zu sehen.

Das Gemurmel erhob sich sofort wieder aus den aufmerksamen Mengen welche alles aus der Ferne beobachtet hatten. Mit einem Schwung ihres Kopfes, richtete die Dame sich wieder auf, ehe sie alleine zu ihren Koffern zurück kehrte.

„Wer braucht schon entbehrliche Kutscher.“

Sie ging in die Knie, griff nach ihren beiden Koffern und unter größter Anstrengung schaffte sie es tatsächlich irgendwie in das Haus. Doch nicht ohne ein weiteres Mal ihr Leid zu beklagen.

Nur langsam löste sich die Ansammlung in dem Dorf auf. Doch es würde nicht das letzte Mal gewesen sein das man über die mysteriöse Reiche Dame erzählte welche in die entlegenste Ecke von En-Ar reiste mit zwei vollen Koffern, die sie über Monate versorgen könnten.

Denn wenn adelige begannen in das Dorf zu ziehen, so war es mit dem Frieden des einfachen Bauernvolkes von Keld schon bald vorbei. Und das wussten sie.

~✿~


Nichts davon erreichte jedoch den Ahornbaum und die Hütte, welche sich hinter ihm versteckte, hoch oben unter den Bergen.

Der gewundene Pfad führte soweit abseits den Berg hinauf, zwischen Hügeln und Berge, dass Stille eine ganz neue Bedeutung bekam. Wenn man genauer hinhörte, konnte man sogar das sanfte klimpern von Glocken höre und mit den Mächten des Windes, führte sogar der sanfte Ton eines Liedes den Hügel hinab.

Wer dies hörte, wusste dass der Hirte Horsa und sein Sohn Aegon ihre Schafe über die wilden Wiesen von En-Ar führten und von den Sorgen des Dorfes weit entfernt blieben.

Hier oben war die Luft frisch und lebendig. Hier lächelte die Sonne direkt auf sein Gemüt und die Wildblumen wuchsen frei und unbändig über die Wiesen. Es war das Gefühl von Freiheit und Heimat, dass Aegon an diesen Ort bindet, doch genauso war es das Leben in der Natur die ihn beides sehr deutlich spüren ließ.

Er mochte den Frühling sehr.

Alle Blumen begannen zu blühen und das Gras wuchs mit neuer Kraft, die er in seinen eigenen Knochen spürte, jedes Mal wenn er an ihnen vorbei streifte.

Er hörte ihre Stimmen mit neuer Jugend zur Sonne singen und die Willenskraft wenn ihre Wurzeln tiefer und verworrener in die Erde griffen. Die Wiese erstreckte sich in tausenden von Farben und Formen, es war wie ein neues Leben.

Blumen und Sträucher waren einfach zu verstehen. Sie erfreuten sich an der Sonne und weinten wenn es lange keinen Regen mehr gegeben hatte. Es gab keine Fragen über ihre Existenz oder ihr Ende, keine Träume davon, etwas anderes zu sein, sie sind einfach hier und jetzt und er fand es war eine schöne Art, die Welt zu sehen.

Bäume jedoch waren völlig anders.

Ihr Leben ist lang und konstant. Sie haben Not und Leid durch litten, gelernt die guten Zeiten zu erkennen und sich selbst durch all die schlechten weiterhin treu zu bleiben. Eine Pflanze kann nicht einfach von ihren Problemen davon laufen, es steht so stark wie es kann und ob es gewinnt oder verliert ist unabhängig von ihrem Gemüt. Denn auch sie Leben im hier und jetzt, alleinig die Erinnerungen von älteren Zeiten schwingen in jedem Ast und Rinde mit, die sie weiser über den Kampf des Überlebens gemacht haben. Sie stehen oder sie fallen, alles hat seinen Anfang und sein Ende und sie sind bereit loszulassen, um neues zu empfangen egal was danach auch kommen mag.

Er lief ein Stück weiter mit leichten Hopsern und musste grinsen als das Gras an seinen nackten Beinen vorbeistreichelte.

Der Ahorn vor ihrer Hütte war sein Liebling und oft saß er bei ihm um ihn von seinem Tag zu erzählen. Er konnte ihn sogar von hier oben auf der Wiese erkennen, grüne Blätter hatten bereits begonnen zu sprießen.

Vater hatte einst gesagt, er habe das Haus dort aufgebaut, damit der Ahorn nicht mehr so einsam war und Aegon glaubte ihm.

Wenn er den Geschichten von Göttern und Riesen lauschte, als das Land noch von Schnee und Kälte beherrscht war, spürte er die Jahre der Einsamkeit des Baumes sehr deutlich.

Wenn starke und kalte Winde von den Bergen herabkamen, konnte er den Baum in der Kälte flüstern und zittern hören und er wusste, dass er sich an die alten Zeiten erinnerte, als Riesen noch durch dieses Land gingen. Er mochte die Geschichten, die der Ahorn ihm erzählte und an diesen Tagen saß er lange wach und sprach mit ihm, damit er die Kälte vergaß.

Er war zu sehr in seinen Gedanken gewesen dass er zu spät bemerkte als Jorg, der schwarz weiße Collie, auf ihn zu rannte. Zu Anfang als er selbst noch kleiner war als der Hund, hatte er sich oft vor ihm gefürchtet. Die schnellen und unkontrollierten Bewegungen und die großen scharfen Zähne waren in der Tat sehr einschüchternd. Doch schnell hatte er sich an den Hund gewöhnt und gemerkt, dass er eigentlich ein ganz lieber war.

Jorg stoppte direkt vor ihm, Zunge heraus und mit wedelndem Schwanz, streckte er seine Vorderbeine aus und drückte seinen Bauch spielerisch auf den Boden als er vor Aegon hin und her hopste.

Aegon lief kichernd zur Seite und hörte Jorg bellend hinter ihm her trotten, als beide sich drehten und wendeten, harken schlugen und bellen und Gelächter die Wiese erfüllte, bis ein trillernder pfiff erklang und Jorg die Ohren spitzend zurück zu seinem Vater lief.

Er folgte Jorg zu seinem Vater, welcher mit selbstgefertigten Strohhut und großen geschwungenen Stab in der Wiese stand. Ein aufsteigender einzelner Pfiff von seinem Vater und Jorg schoss erneut voraus, links an seinem Vater vorbei und den kleinen Hügel hinab, wo Aegon gerade noch sah wie eines ihrer Schafe sich zu weit von der Herde entfernt hatte.

Jorg war sofort zu ihm gerannt und ohne Mühe, lenkte er das Schaf den Hügel wieder hinauf, bevor er von ihm wieder abließ und sich zu seinem Vater und ihm gesellte. Aegon war sich sicher das es stolz war was der Hund nun ausstrahlte.

„Sehr gut, Jorg.“ sprach sein Vater ihm zu und kraulte ihn hinter den Ohren.

Aegon tat es ihm nach und streichelte Jorgs Kopf, was der Hund mehr als alles andere genoss.

Überkommen von all der Aufmerksamkeit, drehte sich Jorg zu Aegon herum. Aegon stieß ein überraschtes Keuchen aus, als der Hund mit wedelndem Schwanz und nasser Zunge begann sein Gesicht abzuschlabbern.

„Ah!“ Aegon taumelte mit einem plumps auf den weichen Wiesenboden, als er mit einem Lächeln versuchte Jorgs stürmische Küsse abzuwehren.

Ein Schatten viel auf einmal über sie beide und er konnte deutlich das Lachen seines Vaters hören, als dieser Jorg für ihn beiseiteschob aber nicht ohne selbst ein paar Küsse abzubekommen.

„Da hat dich aber einer sehr gerne.“ Lachte er, als er sich neben ihn auf das Wildblumenfeld setzte. Jorg zog er neben sich zur Seite, welcher sich langsam beruhigte.

Mit der anderen Hand fuhr er Aegon durch das Gesicht um es ein wenig zu trocknen.

Aegon rieb sich selbst durch das Gesicht und schüttelte die Hand seines Vaters ab bevor er zu ihm aufsah und braune, freundliche Augen ihn bereits beobachteten, dieselben welche auch er von ihm geerbt hatte. Sein Strohhut hatte einen Schatten über sein Gesicht geworfen, doch die Sommersprossen die auf seiner Haut tanzten, waren immer noch gut zu erkennen.

„Was sagen dir die Pflanzen heute?“ fragte sein Vater. Er legte den Stab für einen Moment neben sich und Jorg setzte sich auf, mit aufmerksamem Blick auf die Schafherde die gemütlich vor ihnen graste.

Er hatte den Pflanzen bereits den ganzen Tag gelauscht, es war schwer sie zu überhören und doch hatte es ihn oft gewundert warum sein Vater sie nie selbst fragte. Für ihn war es wie selbstverständlich die tausenden von Stimmen um ihn zu hören, jedes Mal wenn sie auf die Blumenwiese gingen. Sie waren manchmal so laut, dass er gar nicht verstehen konnte wie andere sie nicht hörten.

Langsam erhob er sich auf seine nackten Füße, die Wärme der Sonne hatte ihn etwas träge gemacht, als er zu seinem Vater stapfte und mit einem Seufzer sich gegen seinen Rücken warf. Mit beiden Armen schlang er sich um seines Vaters Hals und legte seine Wange auf seinen Rücken. Das Ohr presste er gegen seinen Rücken, sodass die Stimmen um sie herum ein wenig verblassten.

Der Duft von frischen Gras und Erdbeeren stieg ihn sofort in die Nase, es hatte etwas Beruhigendes an sich, denn er mochte seinen Vater sehr.

Es war ihm nie in den Sinn gekommen dass sein Vater die Pflanzen nicht so hörte wie er. Doch dann viel sein Blick auf seines Vaters Ohren und abwesend streichelte er über die runde Form mit einem Finger, so anders als seine eigenen spitzen Ohren.

Er spürte wie sein Vater lachen musste, als er ihn damit kitzelte und er drehte seinen Kopf zu ihm herum, große braune Augen fanden seine.

„Alles ok, Großer?“

Aegon nickte nur als er seine Lippen schürzte. Es war ein Spitzname geworden den sein Vater ihm gegeben hatte, da er anscheinend viel großer war als andere in seinem Alter. Doch so selten wie er die anderen Kinder sah, empfand er dies als nebensächlich.

Für einen Moment schloss Aegon einfach die Augen, genoss den Moment mit seinem Vater hier im hohen Gras wo die Sonne ihre Haut wärmen ließ.

„Deiner Mutter hätte es hier sehr gefallen.“

Aegon blinzelte wach und drehte seinen Kopf wieder zu seinem Vater, doch er sah nur seinen gelockten Hinterkopf als er seinen Blick wieder über ihre grasenden Schafe gelenkt hatte. Die leichte Brise die über die Heide zog, warf die dunkle Lockenpracht seines Vaters zurück und kitzelte Aegon an der Nase.

„Warum ist sie dann nicht hier?“

Sein Vater hatte ihm viel über seine Mutter erzählt und obwohl es ihn oft traurig machte, so war es auch immer ein freudiges Gespräch, wenn Erinnerungen ihn lächeln ließen. Anscheinend war sie ebenfalls sehr naturverbunden gewesen weshalb sie gemeinsam die Hütte auf den Hügeln gebaut hatten. Manchmal wünschte sich Aegon sie wäre hier, denn auch sie hatte die Pflanzen verstanden und vielleicht hätte sie seine Fragen dazu beantworten können wo das Wissen seines Vaters endete. Das einzige was er bis heute nicht verstanden hatte, war weshalb sie gegangen war, wenn es ihr hier doch so gefallen hatte.

"Manchmal stelle ich mir vor wie es wäre wenn sie jetzt hier wäre." Gab sein Vater zu und stieß einen langen Atemzug aus. „Doch es ist wie es ist.“

Mit einem kurzen Kopfschütteln vertrieb er die Gedanken die ihm anscheinend gerade gekommen waren und mit einem neu aufgesetzten lächeln, drehte er sich wieder zu Aegon auf seinem Rücken um.

„Wir beide haben einander und mehr könnte ich mir wirklich nicht wünschen.“

Er lehnte sich leicht zurück, sodass sein Kopf kurz Aegons berührte und er lächelte. Es stimmte. Aegon war froh das sein Vater hier war und er drückte seinen eigenen Kopf zurück.

„Also. Was erzählen dir die Pflanzen heute?“ wiederholte sein Vater die vorherige Frage mit neu gewonnener Heiterkeit. Aegon mochte es lieber wenn sein Vater glücklich war also drehte er sich um und lauschte den Klängen des Grases, der Blumen und Felder. Der Wind trug ihre Stimmen immer weiter und ferner, bis er in den verschiedenen Tönen und klängen fand wonach er gesucht hatte.

Mit einem Ruck drehte er sich wieder um und ließ sich gegen seines Vaters Rücken fallen, der beim Aufprall einen Atemzug ausstieß.

„Es wird ein sonniger Tag.“

„Das ist gut. Dann können wir nachher noch was im Garten tun.“ Sein Vater nickte, bevor er den Kopf zur Seite drehte. „Ich muss mich vielleicht bei denen unter mir entschuldigen, sie denken noch die Sonne habe sie für immer verlassen.“

Er musste darüber lachen. „Sie können doch nicht denken, Papa. Sie können nur sein.“

Sein Vater sah über die Wiese, anscheinend dachte er über Aegons Worte nach, bevor er sich langsam erhob und Aegon von seinem Rücken rutschte. „Dann stehen wir besser auf, bevor sich das ändert. Es ist sowieso Zeit die Herde nach Hause zu bringen.“

„Ist es nicht noch zu früh?“ Aegon blinzelte in den Himmel und sah die Sonne noch hoch über ihnen stehen. Sie hatten eigentlich noch Zeit. Er rieb sich seine Augen.

„Ich glaube heute gehen wir mal früher zurück.“ Sagte sein Vater mit einem Blick zu ihm, als eine Hand über seine weißen locken streifte und Aegon gerade noch einen gähner unterdrückte als er nickte.

Gestern Nacht waren die letzten der Winterstürme von den Bergen gekommen bevor sich der Frühling ankündigte. Aegon hatte die meiste Nacht wach gesessen um mit dem Ahorn vor ihrem Haus zu reden und dies zeigte sich nun langsam.

„Ok.“Aegon nickte, als sein Vater wieder nach dem Stab griff. Jorg sprang sofort vor Aufregung auf, als er erkannte dass es weitergehen soll.

„Darf ich diesmal?“ Aegon sprang neben Jorg, welcher aufgeregt begann mit dem Schwanz zu wackeln als beide seinen Vater mit großen Augen ansahen. Das klappte immer.

Sein Vater sah einmal zu den Schafen hinüber, richtete seinen Strohhut auf seinem Kopf, bevor ein schiefes Lächelns sich auf seinem Gesicht breit machte.

„Bist du dazu noch wach genug?“

Aegon nickte eifrig, als sich seine Augen weiteten. Würde sein Vater ja sagen?! Alle Müdigkeit war auf einmal vergessen mit solchen Aussichten!

„Nun gut. Hier.“ Er übergab Aegon seinen Stab, welcher diesen sofort annahm, doch dessen Gewicht unterschätzte und leicht zur Seite taumelte. Sein Vater packte das Ende schnell um ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Er sah zu seinem Vater auf, welcher die Lippen geschürzt hatte und Aegon in Augenschein nahm. „Etwas fehlt noch.“

Sein Blick wanderte nach oben und mit einem Grinsen nahm er den Strohhut von seinem Kopf und platzierte ihn auf Aegons weißen Locken.

„Perfekt. Jetzt bist du ein richtiger Hirte.“

Aegon grinste breit, Augen glänzten mit Stolz als er den Stab wie den wertvollsten Schatz aus den weiten der Tryn Daem Meeren umklammerte.


„Keine Sorge, Jorg und ich sind hier.“, sprach sein Vater und es war ein spielerisches grinsen auf seinen Lippen.

Aegon schürzte die Lippen und streckte die Schultern zurück. „Das schaffe ich alleine.“

Verkündete er stolz als er zu den Schafen hinüber tapste und sich ihre Lage ansah.

Die meisten waren auf der kleinen Anhöhe verstreut und mampften gemütlich das saftige Gras der Wiese. Doch sein Vater und Jorg hatten darauf geachtet das sie jedes einzelne von den acht Schafen im Blickfeld behalten hatten.

„Erinner dich an meine Worte, Aegon.“

Aegon nickte eifrig. „Mache ich.“

Aegon war sich sicher sein bestes zu geben. Er hatte viele Male beobachtet wie sein Vater die Schafe lotste und seinen Worten gelauscht, wenn er ihm erklärte was er dort tat. Er würde ihn nicht enttäuschen.

Mit Jorg welcher nun neben ihm saß, pfiff er den ersten Befehl. „Lauf links, Jorg!“

Sofort war Jorg auf den Beinen und der schwarz-weiße Fellballen rannte einen großen linken Bogen um die Schafe herum, womit er bereits die ersten drei Schafe in die Mitte der Herde trieb.

Am anderen Ende der Herde angekommen, verweilte er dort und Aegon hatte Zeit sich sein Werk anzusehen. Ein Teil der Herde hatte sich nun in der Mitte zwischen ihnen und den zwei Hirten gesammelt, doch auf der rechten Seite waren noch zwei die sich zu weit von ihnen tummelten.

Aegon platzierte sich selbst seitlich zu der Schafgruppe, sodass Jorg nicht zwischen ihn und den Schafen hindurch laufen musste. Mit dem Befehl „Hier.“ Rief er Jorg nun zu sich. Während er nun auf ihn zu lief, ermunterte er ihn mit leichten Zischlauten um die Schafe herum sich zu bewegen, bevor er den Befehl „Rechts raus“, ertönte sodass Jorg denselben Bogen auch rechts herum lief und die restlichen Schafe in der Mitte sammelte.

„Jorg, mach Platz.“, ruft Aegon dem Border-Collie zu als er 12 Uhr hinter den Schafen angekommen war  und unverzüglich hält sich Jorg an den Befehl und legt sich hinter der Schaf Herde nieder.

„Komm gerade.“, war der nächste Befehl den Aegon dem Collie gab und mit kauernder Haltung schlich sich Jorg auf die Herde zu, sodass die Schafe begannen langsam zu Aegon und seinem Vater zu treiben.

Sobald die Schafe sie erreicht haben, bewegten sich sein Vater und er langsam den Berg hinab, doch immer einen Blick über die Schulter um sicherzustellen dass Jorg nicht zu schnell oder hektisch wird. Ein Schaf stieß gegen das andere und Jorg reagierte, doch plötzlich war er schneller geworden und somit sprangen auch die Schafe zu schnell voran.

„Hier!“, rief Aegon sofort und somit trieb Jorg ein Stück zurück, ehe er mit dem Kommando „Mach Platz“ in einem leisen ruhigem Tonfall sich wieder hinlegte und die Schafe zum stehen kamen, ehe sie weiter unbekümmert fraßen.

Aegon gab ein kurzes schnalzen von sich und Jorg war wieder auf den Füßen, ehe „Komm gerade“ ertönte und der Border-Collie erneut versuchte die Schafe auf einer geraden Linie vor ihm her zu treiben. Dabei balancierte Jorg den Abstand zwischen sich und den Schafen diesmal besser. Denn sollte er zu dicht am Vieh sein, benötigt er zu viel Körpereinsatz um sie voran zu treiben.

„Du machst das sehr gut.“, sprach sein Vater neben ihm und als Aegon zu ihm aufsah, konnte er ein stolzen lächeln erkennen. Und es war stolz das sich auch durch Aegon ausbreitete als er den Hügel mit den Schafen hinter sich hinab stapfte.  Es fühlte sich gut an.

Nach nur weniger Zeit hatten sie die Schafe den Hügel hinunter getrieben und mit den letzten Befehlen von seinem Vater, trieb Jorg die Herde durch die Pferche vor der kleinen Scheune und schloss die Pforte hinter ihnen.

Da es noch früh war, konnten die Schafe noch etwas draußen bleiben, bevor sie später in die Scheune getrieben werden.

Als sein Vater ihn den schweren Stab wieder abnahm, lächelte Aegon begeistert.

„Nun bist du ein richtiger Hirte.“, verkündete dieser und noch mit dem Strohhut auf dem Kopf tapste Aegon hinter seinem Vater her. Er war nun ein richtiger Hirte, dachte er. Vielleicht konnte er sogar bald ganz alleine auf die Wiese gehen.

~✿~


Das Abendessen hatte nach einem langen Tag auf der Wiese so viel besser geschmeckt. Und Aegon hatte eifrig seinen ganzen Teller leer gegessen.

Er war gerade dabei das Abwaschwasser unter den Ahorn zu kippen, den dieser hatte sich bereits über die Trockenheit seiner neu sprießenden Blätter beklagt, als er die bellenden Geräusche von einem aufkommenden Husten von drinnen hörte.

Kümmere dich um deinen Vater.

Hatte der Ahorn ihm gesagt, die Geschichten die er ihm eigentlich erzählen wollte von dem Tag auf der Wiese, war sofort vergessen als er zurück ins Innere der Stube stürmte.

Sein Vater hatte sich durch den Hustenreiz über den Esstisch gekrümmt auf den er sich mit einer Handabstützte, die Reste die er abräumen wollte, lagen nun verstreut vor ihm auf dem Boden.

„Papa?“, fragte Aegon zaghaft als er in der Mitte des Raumes stehen blieb, unwissend was er tun sollte.

Sein Vater sah auf, versuchte den Hustenreiz runterzuschlucken, doch es trieb ihn nur Tränen in die Augen als es umso schlimmer weiter ging und er sich auf den Stuhl hinter sich fallen ließ.

Sofort stürmte Aegon zu ihm, den leeren Eimer in der Hand ließ er polternd auf den Boden fallen.

Sein Vater konnte nur den Kopf schütteln, als er versuchte Aegons aufkommende Panik abzuschütteln, er musste erneut schwer schlucken und es schien sich langsam zu legen, als er wieder Luft holen konnte.

„Alles gut.“, keuchte er zwischen Atemzügen und es half Aegon nicht sich zu beruhigen. Es hatte schon einmal so begonnen. Erst ein leichter Husten und dann kam das Fieber und plötzliche Schwächeanfälle. Aegon hatte nichts weiter tun können als ihn mit nassen Tüchern zu kühlen, da sein Vater ihn selbst in seiner misslichen Lage nicht erlaubt hatte alleine in die Stadt zu gehen um den einzigen Doktor zu holen. Es hatte sich tatsächlich nach einigen Tagen gelegt, doch erst nachdem sein Vater mitten in der Nacht verlangt hatte ihn an den Waldrand weit hinter der Wiese zu bringen. Dort wo die große Weide stand und das obwohl er Aegon ausdrücklich verboten hatte, nur in die Nähe des Waldes zu gehen.

Sein Vater saß dort den ganzen Tag und Aegon wollte ihn nicht alleine lassen, doch die Schafe mussten versorgt werden und als er wieder zu ihm kam, ging es ihm bereits besser.

War es etwa zurück gekommen? Die Krankheit die niemand zu heilen vermochte?

„Musst du wieder zum Wald?“ Es hatte damals geholfen, vielleicht auch diesmal.

Sein Vater allerdings, schüttelte den Kopf. „Es ist nichts. Nur ein leichter Husten. Keine Sorge, mir geht es gut.“

Er zog eine Hand über seine schweißgebadete Stirn und lächelte Aegon schwach zu, bevor sein Blick nach oben wanderte.

„Ist er dir nicht viel zu groß?“, fragte sein Vater als er auf seinen Strohhut auf Aegons Kopf tippte, ein schelmischen grinsen bereits auf den Lippen.

Aegon umklammerte den Hut schnell, falls sein Vater ihn von seinem Kopf nehmen wollte. „Ich bin jetzt ein richtiger Hirte, ich brauche einen Hut.“

„Nun wenn das so ist, wird es vielleicht Zeit das du dir deinen eigenen machst.“ Sein Vater schürzte die Lippen.

„Nein, ich will den.“ Aegon schüttelte seinen Kopf stur, als er umkehrte und davon lief, bevor sein Vater ihm den Hut abnehmen würde.

Er hörte das Lachen seines Vaters hinter sich, als er ihm nachrief: „Dieb!“

~✿~


In dieser Nacht schlief sein Vater sofort vor Erschöpfung ein. Die leichten Schweißperlen auf seiner Stirn waren Aegon allerdings nicht entgangen.

Es war schwer für ihn diese Nacht schlaf zu finden. Immer wieder kreisten sich seine Gedanken um die Nacht als das Fieber seinen Vater fast komplett eingenommen hatte. Was wenn es wieder passieren würde?

Die laute einer sanften Melodie ließen seine düsteren Gedanken vertreiben und als er seinen Kopf beiseite drehte, sah er die sanften Bewegungen des Ahorns aus dem Fenster, wie er gemächlich seine Äste im Wind schwingen ließ, so als würde er tanzen.

Aegon streifte die Bettdecke beiseite und mit leisen Füßen, tapste er zu dem Fenster hinüber, ehe er es mit einem leichten polter beiseite stieß. Er lehnte sich über den Rahmen um den Baum vor ihrem Haus besser verstehen zu können.

Es ist eine ruhige Nacht, junger Aegon. Doch der Schlaf findet dich nicht.

Aegon ließ seinen Kopf hängen, als er anfing, seine Beine leicht gegen das Holz ihrer Hütte zu schwingen, da er nicht groß genug war, um das Fenster in voller Größe zu erreichen.

„Erzähl mir eine Geschichte.“, bat er den Ahorn stattdessen, es beruhigte ihn stets und vielleicht konnte er dann schlafen.

Ein Gänseblümchen wächst vor einem Blumengarten voller Rosen, Tulpen und Pfingstrosen.

Begann der Ahorn und Aegon lauschte ihm aufmerksam, als er seinen Kopf auf seine Hände ablegte und aus dem Fenster linste.

Die kleine Blume weiß dass sie nicht so schön ist wie die Tulpen, dass sie nicht so schön duftet wie die Rosen, jedoch vollkommen glücklich mit sich ist und seelenruhig unter den strahlen der Mittagssonne badet.

Eines Morgens hört das Gänseblümchen das Lied einer Lerche und sieht den Vogel über sich fliegen. Es ist sich sicher dass es sich zu den hübschen Rosen, Tulpen und Pfingstrosen gesellen wird. Doch zu seiner eigenen Überraschung und Freude, ignoriert die Lerche die anderen Blumen und landet stattdessen bei dem einfachen Gänseblümchen.

Es hüpft um das Gänseblümchen herum und singt darüber, wie schön die kleine Blume doch ist.

Aegon nickte erfreut als er der Lerche vollkommen zustimmte.

Am nächsten Morgen hört das Gänseblümchen wieder das Lied der Lerche. Doch diesmal klang es traurig. Denn die Lerche wart gefangen und in einen Käfig gesetzt wurden, seine klänge nun klagend als es von der Freiheit sang.

Das Gänseblümchen hatte den Wunsch den Vogel in irgendeiner Weise zu helfen, doch fehlte ihm die Kraft dazu. Schnell hatte das Gänseblümchen seine schöne Umgebung komplett vergessen und seine Gedanken kreisten nur um die unglückliche Lerche.

Zwei Jungen kamen und schnitten ein Stück Rasen um es zu dem Vogel in den Käfig zu legen. Unter dem Gras wart auch das Gänseblümchen. Doch zu dem Zeitpunkt begann die Lerche bereits zu sterben, weil ihr kein Wasser gegeben wurde. Selbst das Gänseblümchen nun so nah bei ihm, vermochte ihn keinen Trost zu spenden. Denn es erkennt dass nun auch das Gänseblümchen mit ihm in dem Käfig sterben wird.

Aegon schnappte nach Luft.

„Warum geben sie ihm kein Wasser?“

Der Ahorn antwortete ihm nicht, als es einfach weiter erzählte:
Um es irgendwie erträglicher zu machen, beginnt das Gänseblümchen ungewöhnlich süß zu duften und die Lerche bemerkt dies als es begann jedes Stück Gras nach etwas Wasser zu zerreißen, das Gänseblümchen aber nicht anrührte.

Am darauf folgenden Tag sind sowohl das Gänseblümchen und auch die Lerche tot. Die Jungen, die den Vogel eingesperrt und vernachlässigt hatten, sind zutiefst traurig über seinen Tod und halten eine Beerdigung für die Lerche ab. Sie wissen nichts über das Gänseblümchen, das dem Vogel helfen und trösten wollte, und werfen das Stück Gras einfach weg. [1]

Aegon seufzte, als er tiefer gegen das Fenster sackte. Das war keine großartige Geschichte gewesen. Warum hatten sie nicht auf das Gänseblümchen hören können?

Nicht jeder hört mich so wie du, Aegon. Sie können uns nicht verstehen, wenn wir mit ihnen sprechen, aber du und dein Vater sind der Beweis dafür, dass die Geschichte nicht so enden muss.

Aegon blinzelte.

„Andere hören dich wirklich nicht?“ Es war ihm nie in den Sinn gekommen. Oft hatte er vermutet dass sie die Stimmen einfach überhörten oder sogar ignorierten, doch sie gar nicht zu hören wenn sie doch so laut und deutlich zu ihm sprachen? Es dauerte einen Moment dies zu verstehen.

Ein leises rascheln entkam dem Ahorn, was Aegon fast an ein Nicken erinnerte.

„Dann bin ich der einzige…“ Es war schwer auszumachen was das drückende Gefühl war was ihn plötzlich übermannte.

Mit diesem Einblick, dass diese Geschichte dir nun gegeben hat, kannst du dies ändern, Aegon. Es steht eine Veränderung bevor und du musst bereit sein an deinen Wurzeln festzuhalten und zu verstehen.

„Was zu verstehen?“

Wer du bist.

„Ich bin Aegon.“, meinte er verwundert. Er wusste doch wer er war.

Es gehört oftmals mehr als nur ein Name zu einer Person, junger Aegon. Doch du wirst dies schon noch herausfinden. Da bin ich mir sicher.

Aegon stöhnte lautstark, als er sich wieder auf seine Hände abstützte.

„Kannst du es mir nicht einfach sagen?“ Er rieb sich die Augen, die Müdigkeit hatte ihn schließlich doch eingeholt.

Ein leichter Wind streifte über die grünen Blätter des Ahorns, fast wie ein Lachen.

Selbst ich kann mich dem Schicksal der Götter nicht entziehen. Wenn die Zeit gekommen ist, wird dir deins offenbart, doch weiß immer dass wir alle hier sind um dich zu leiten, solltest du zweifeln. Du musst nur lauschen und die Pflanzen weisen dir den Weg.

Aegon schloss kurz seine Augen, es war nun schwieriger geworden sie offen zu halten. Mit einem Blick zurück in das Zimmer, konnte er selbst im Dunkeln seinen Vater erkennen, wie sein Brustkorb langsam auf und ab stieg mit jedem Atemzug den er tat. Es beruhigte ihn irgendwie das zu sehen.

Vielleicht hatte der Ahorn recht. Wenn niemand die Pflanzen hören konnte so wie er, musste er ihnen eben erzählen was sie sagten. Doch es war seit je her, nur Aegon, sein Vater und die Schafe gewesen, wem sonst sollte er davon erzählen?

Und was wenn die Krankheit seinen Vater erneut einholt? Der Ahorn konnte ihnen nicht helfen, genauso wie das Gänseblümchen die Lerche nicht vor dem Tod bewahren konnte.

Vielleicht brauchten sie einfach jemanden dazu.

Zwei Leute waren einfach zu wenig, sie brauchten einen dritten, nur zur Sicherheit. Jemand dem er erzählen konnte was die Pflanzen sagten, so wie er es immer seinem Vater erzählte.

Doch wo sollte er solch jemanden finden?

~✿~


Der nächste Tag war hell und sonnig. Der Frühling hatte seine Wurzeln endlich fest in den Boden verankert und würde so schnell nicht mehr loslassen. Das erfreute die Farmer und einfachen Leute natürlich sehr.

Das Leben in Keld beginnt immer sehr früh. Sobald die Sonne aufgegangen war, tummelten sich bereits alle Dorfbewohner über die staubige Dorfmitte um ihre Angelegenheiten möglichst schnell zu erledigen.  Alle bis auf eine.

Die Dame welche vor einem Tag mit der eleganten Kutsche angereist war, blinzelte verschlafen gegen die aufsteigende Sonne. Sie hob ihre behandschuhte Hand über ihre Augen um sich vor den kraftvollen Strahlen zu schützen, welche bereits seit einigen Stunden hell auf das Dorf hinab schienen. Schlaf hatte sie wenig gefunden und es spiegelte sich bereits in ihrer Stimmung als sie aus dem bescheidenen Landhaus der Bäckerei trat.

Einige Leute stoppten in der Mitte des Dorfes als sie die Dame bemerkten, dann lehnten sie sich zu dem nächst besten, um in dessen Ohren zu tuscheln. Die Dame richtete ihr Kleid, Kopf erhoben, als sie den feingestickten Schirm zur Hand nahm und mit einem lauten Krach öffnete.

Ohne den Schaulustigen auch bloß einen Hauch von Aufmerksamkeit zu schenken, stolzierte sie über den kleinen Platz des Dorfes, hinüber zu der kleinen Einkaufsmeile, welche lediglich aus einem Postamt und Lebensmittelladen bestanden. Sie entschied sich fürs letztere.

Die Glocke klirrte als sie die Holztür beiseite stieß, die einst weiße Farbe perlte bereits von dem Holz ab und sie rieb ihre behandschuhten Finger zusammen, um die Krümel wieder los zu werden.

Das erste, was sie bemerkte, war… dass es klein war. Winzig sogar. Nichts im Vergleich zu den Geschäften in Iroden, das ist sicher.

Eine Frau war bereits an der Theke und zahlte für etwas das wie ein Stück Mehl aussah, doch das ganze Verfahren schien sich in die Länge zu ziehen, als sie erst einmal zu dem Verkäufer von ihrer prachtvollen Ernte schwärmte, welche soweit man das hören konnte „gesegnet wurde von dem Gott der Ernte selbst“. Die Dame scherte sich wenig um Bauerngeschwätz und schlängelte stattdessen durch die Reihen des Geschäftes, nur um festzustellen dass es eine eher ärmliche Ansammlung an Gemüse, Mehl, Stoffen und willkürlichen Plunder war, den sie nicht weiter anfassen wollte um herauszufinden was es eigentlich war.

Schließlich schien die Frau an der Theke allmählich die Themen auszugehen mit denen sie den Ladenbesitzer weiterhin unterhalten konnte und verabschiedete sich mit einem Klimpern der Glocke über der Ladentür.

Nun war es die Dame welche vortrat und gerade noch sah, wie der Ladenbesitzer ein Stück Stoff in das Regal hinter sich verstaute.

„Kann ich irgendwie behilflich sein?“, fragte er sobald er die Dame erkannt hatte und er schien geübter als seine Mitmenschen zu sein, seine Neugierde für die fremde Dame in ihrem Dorf zu verstecken. Vielleicht durch seinen Berufsstand.

„Ich habe gesehen dass Ihr Stoffe und Garn anbietet und schon lange bin ich auf der Suche nach einem ganz bestimmten. Vielleicht könnt ihr mir damit weiterhelfen.“

„Oh. Woran hatten sie gedacht?“ Sein Interesse war geweckt oder hörte er nur bereits das Geld klimpern?

„Es handelt sich dabei um ein sehr aufwendig gewebtes Stück Stoff aus Lammwolle mit glatter und fester Oberfläche. Die Farbe und Muster sind dabei nebensächlich, es geht mir allein um die Qualität.“

„Ihr scheint zu wissen wovon ihr redet.“, nickte der Mann bedacht, als er um den Tresen herum hinüber zu den kleinen Regalen trat. Die Dame folgte.

„Sagen wir mal, dass ich ein gewissen Fachwissen mir aneignet konnte, dass ich zu benutzen weiß.“

Der Mann lachte leicht auf. „Wo wären wir auch schon wenn wir unser Wissen nicht zeigen könnten. Ich glaube ich weiß ganz genau wonach sie suchen. Wo ist es denn…“

Er lehnte und wühlte sich durch einige der Stoffe, schob sie beiseite und betrachtete sie dicht vor seinen Augen welche anscheinend bereits in seinem hohen Alter nachließen, da er oftmals blinzelte.

„Hier ist es doch.“ Er hielt einen braun gewebten Stoff zu der Dame, welche diesen mit Bedacht an sich nahm und mit ihren eigenen Handschuhen über die Feinen und dicht gewebten Fasern strich.

„Diese Art von Stoff bekommt man nur von einem einzigen in diesem Dorf, es ist definitiv den Ansprüchen von Iroden gewachsen. Es hat mich oft gewundert was solch ein Talent hier in Keld zu suchen hat.“ Der Mann ließ ein tiefes lachen aus, was seinen üppigen Bauch genauso freudig aufspringen ließ.


„In der Tat.“, murmelte die Dame, als sie den Stoff in die Höhe hob, um es gegen das Licht zu halten. Das musste es sein.

Sofort trat der Mann neben sie, als er sich bereits freudig die Hände rieb, das Geld anscheinend schon in den Fingerspitzen spüren konnte.

„Die Kammgarne sind bekannt für ihre glatte und gleichmäßige Oberfläche. Man merkt sofort das es reißfester als andere ist, obwohl es hier in Keld weniger beliebt ist, da es nicht so wärmend wie die Streichgarne ist.“ Die Dame versuchte einen Seufzer zu verkneifen, als sie den Stoff wieder herunter nahm, was den Verkäufer allerdings sofort nervös machte. „Oh aber die adligen von Iroden nehmen diesen Stoff gerne als Tischdecken oder eine andere Zierlichkeit, ihr findet keine bessere Qualität als diesen Stoff.“

Sie nickte kurz. „Wie viel wollt ihr dafür haben?“

Sofort erhellte sich das Gesicht des Verkäufers als er den Stoff zu dem Tresen trug. „Der Grundpreis ist für einen Meter 2 Münzen und 60 Kupfer.“

„Zehn Meter für 15 Münzen.“ Sie trat ebenfalls zurück an den Tresen, Kopf erhoben, als sie den Verkäufer mit scharfem Blick ansah.

Der Verkäufer kniff die Augen zusammen, als er ihren Blick unverfroren erwiderte.

„20 Münzen.“

„18 und ihr verratet mir den Namen des Talentes der den Stoff herstellt.“ Die Dame grinste freundlich, doch das glitzern hinter ihren Augen war nicht zu übersehen.

Er schürzte die Lippen. Es war klar was dies für ihn bedeutete. Indem er den Stoff in seinem Laden verkauft, bekam er einen Anteil des Gewinns, doch sobald er den Namen preisgab, konnte die Dame direkt von dem Weber kaufen und er würde sehr viele Verluste in seinem sowieso schon kleinen Laden machen.

„19 Münzen und ich werde meinen Bekannten in Iroden von eurer guten Qualität erzählen, solange der Name unter uns bleibt.“

„Einverstanden!“, sprach er schnell als er ihr die Hand reichte und sie diese etwas zögernd, als sie den Dreck unter seinen Nägeln erkannte, annahm. Sie war hier für Informationen, eine dreckige Hand war ein kleiner Preis den sie zahlen musste. Dennoch höher als der Stoff den sie sowieso nicht brauchte.

Sie griff nach ihrem Geldbeutel, als der Mann begann den Stoff abzumessen und zu verpacken. Mit eleganten Finger zählte sie die Münzen darin, doch wartete bis der Verkäufer mit seiner Aufgabe fertig war.

„Das wären dann 19 Münzen, wehrte Dame.“, grinste der Mann als er seine Hand zu ihr hielt, der Stoff ordentlich in Papier eingewickelt und mit einem einfachen Faden festgebunden. Wenigstens war er nicht geizig.

Sie streckte ihre Hand aus, doch zog sie diese wieder zurück. „Zuerst den Namen.“

Er verzog das Gesicht mit einem Seufzer, ehe er die Hand stattdessen flach auf den Tresen legte.

„Horsa.“

„Wie bitte?“ Die Dame hob eine Augenbraue, anscheinend nicht was sie erwartet hatte zu hören.

Der Verkäufer runzelte die Stirn. „Das ist sein Name.“

Sie öffnete den Mund um etwas zu erwidern, doch schloss ihn anschließend wieder. Es war unmöglich dass sie sich irrte. Er musste es sein.

Nur einen Weg um das genauestens herauszufinden. Sie sah wieder zu dem Verkäufer.

„Wo kann ich ihn finden?“

„Das war nicht teil der Abmachung.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, seine Hand wieder mit der Handfläche nach oben als er nach dem Geld bat dass ihm zu stand.

Diesmal konnte sie den Seufzer nicht verkneifen. „Ihr habt einen sehr bescheidenen Laden hier und wie es mir scheint einen guten Geschäftssinn. Dass kann ich schätzen, doch ich bezweifle das Iroden jemals von euch gehört hat, noch das es dies in Zukunft tun wird. Wir können uns doch gegenseitig helfen, es bringt euch gar nicht diesen Horsa zu verteidigen, ich kann ganz einfach jemand anderen Fragen und unsere Abmachung ist zunichte. Es ist nicht zu eurem Interesse es sich mit mir zu verscherzen, werter Herr.“

Eine Zeit lang herrschte schweigen. Der Mann hielt seine Hand weiterhin aus, doch die Dame fixierte ihn mit einem eisernen Blick, der ihm versicherte dass man nicht mit ihr spielen mag. Nach einer Weile gab er nach und ließ seine Hand senken.

„Es ist ja nicht so als würde ich ihn groß kennen. Sehr stiller Typ, lässt sich nur selten im Dorf blicken. Doch was geht es mich an solange er mir gute Stoffe überlässt.“ Er zuckte mit den Schultern, bevor er sich leicht vorlehnte und mit einem Finger aus dem Fenster hinter der Dame zeigte. „Hat stattdessen eine Hütte oben auf der Wiese. Wenn ihr den Weg aus dem Dorf weiter folgt, findet ihr es unter einem großen Ahorn. Nicht zu verfehlen.“

„So fern ab?“ Sie ließ ihre Schultern sacken, als sie den langen Pfad selbst von hier unten gut erkannte und es ihr vor dem langen, beschwerlichen Aufstieg bereits jetzt grauste.

Der Mann zuckte erneut mit den Schultern. „Nun, jeder das seine.“

Die Dame versuchte einen weiteren Seufzer diesmal zu verkneifen, als sie schließlich die Münzen auf den Tisch klimpern ließ, das Paket an sich nahm und mit einem kurzen Abschied endlich den Laden verließ.

Es war doch einfacher als sie dachte ihn auszumachen und selbst wenn er seinen Namen geändert hatte, so würde er nicht von seiner Vergangenheit entfliehen können. Sie hoffte nur diese Angelegenheit schnell hinter sich zu bringen um aus diesem elendigen Drecksloch verschwinden zu können.

Es war wohl an der Zeit dem einsiedlerischen Weber auf dem Berg einen Besuch abzustatten.


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✿Pflanzen-Notizbuch✿

Distel – Abwehr, Unabhängigkeit, Kraft, Sorgen;
Blumensprache: „Deine Reden und dein Betragen verwundern mich tief“ – „Fliehe meine Nähe“

Gänseblümchen – unbändige Kraft trotz Kleinwüchsigkeit, Bescheidenheit, mütterliche Liebe;
Blumensprache: „Meine Gefühle sind nicht zu erschüttern“ – „Ich setzte auf Zeit“



[1] Zitat: Die Geschichte die der Ahorn erzählt, ist von Hans Christian Anderson „The Daisy“ (1838). Ich habe sie nur in meinen eigenen Worten etwas kürzer zusammengefasst. Doch sie passte einfach zu gut zu dem Thema und ich kann seine anderen Geschichten nur empfehlen wie „The Fir Tree“ und „The Flax“, welche ebenfalls von sprechenden Pflanzen erzählen, welche unter der moderne, Gefahren leiden.

Meine Superkraft ist die Nummer 93: Der Phytolinguist (Die Superkraft mit Pflanzen reden zu können und sie zu verstehen; Nicht dasselbe wie Pflanzenkontrolle) [Superkraft von Missing Tales].

Lg Rhy <3
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