Die Bergdoktorin
von FelineWaechter
Kurzbeschreibung
(Der Autor hat keine Kurzbeschreibung zu dieser Geschichte verfasst.)
GeschichteFamilie, Liebesgeschichte / P16 / Gen
Dr. Martin Gruber
Elisabeth Gruber
Hans Gruber
Lilli Gruber
OC (Own Character)
Susanne Dreiseitl
05.05.2020
01.05.2023
138
307.025
15
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19.02.2022
3.769
Ich brauchte definitiv Bedenkzeit. Zwar konnte ich auch nicht zu lange überlegen, da ich wenn ich mich dafür entscheiden sollte baldmöglichst anfangen musste für den Test zu lernen. Jedoch musste ich nun wirklich abwägen, ob ich wirklich Chirurgin werden und dafür diesen Stress auf mich nehmen wollte. Ich hatte mit Martin am Abend nochmal ausführlich geredet und mir die Unterlagen mehrfach durchgelesen, ein verlockendes Angebot war es allemal. Trotzdem machte ich mir Gedanken darüber, ob ich es wirklich schaffen konnte oder kläglich scheiterte.
Des Weiteren dachte ich natürlich auch an meinen Vater, der immer gewollt hatte das ich Chirurgin werde und ich hatte mich immer dagegen gesträubt. Und heute wollte er nichts mehr von mir wissen, meine ganze Familie hatte ich dadurch verloren. All diese Dinge schwirrten mir im Kopf herum verursachten regelrecht Kopfschmerzen.
Geschlafen hatte ich dementsprechend schlecht und war früher als gewohnt in die Klinik gefahren. Martin hatte noch geschlafen und eigentlich wäre heute ein Praxistag, allerdings wollte ich nochmal nach dem Patienten sehen dem ich gestern mit dem Eingriff das Leben gerettet hatte und das war ja letztendlich der Auslöser für alles gewesen.
Kira gab ich in der Betreuung ab und begab mich dann auf die Intensivstation, wo Herr Stenzel noch immer lag. Man hatte ihn vorsichtshalber ins künstliche Koma versetzt, allerdings würde er ganz sicher wieder vollkommen gesund werden. Und einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet zu haben, erfüllte mich irgendwie mit Stolz.
Durch die Scheibe sah ich nun zu dem Patienten hinein, dessen Werte im Normbereich lagen. Aus meiner Kitteltasche holte ich das Geheft, dass ich zusammengefaltet dort hinein gesteckt hatte und faltete es auseinander. Nochmals begann ich mir die Infos durchzulesen und schaute zwischendurch zu dem Patienten ins Zimmer. Wenn ich wirklich einen Platz bekommen sollte, durfte ich in drei Jahren rechtmäßig als Chirurgin tätig sein und konnte Menschen noch effektiver helfen als jetzt als Allgemeinmedizinerin.
'Vielleicht solltest du es tatsächlich probieren.', dachte ich und erschrak als es plötzlich klopfte. Ich hatte Sarah nicht kommen hören. "Guten Morgen. Was machst du denn hier und vor allem so früh?", fragte sie mich. "Ich wollte nach ihm sehen.", antwortete ich und richtete meinen Blick wieder auf den Patienten. "Ihm geht es gut, sehr gut sogar. Du hast ihm mit deiner OP wirklich das Leben gerettet und bist mal wieder das Klinikgespräch schlechthin."
Ich glaubte mich verhört zu haben. "Wie bitte?", fragte ich ungläubig. "Die reden alle über dich und deine Heldentat, Lembke hingegen ist zum Gespött geworden. Jeder weiß, dass er für den Patienten verantwortlich war und das du ihm eine Abreibung erteilt hast. Auch das mit der Abmahnung weiß jeder. Es wird wohl nicht mehr lange dauern bis Böning ihn feuert oder er freiwillig geht, sein Ansehen ist nochmal um einiges mehr gesunken. Aber von dir hört man nur Gutes, die sind alle sehr stolz auf dich." Sarah lächelte und drückte mir ihre Tasse Kaffee in die Hand.
"Das ist deiner.", protestierte ich. "Ich hol mir gleich einen neuen. So wir du aussiehst, brauchst du den dringender als ich.", meinte sie. "Oh ja, ich hab heute so miserabel geschlafen.", gestand ich und trank einen großen Schluck Kaffee. "Wieso das denn? Hat Kira dich wach gehalten oder hast du etwa wieder mal schlecht geträumt?" Sarah wusste mittlerweile sehr viel über mich, genau wie ich über sie. "Nein, keins von beiden. Das hier ist der Grund."
Ich hielt ihr die Unterlagen entgegen und Sarah nahm sie gleich an sich. "Was ist das?", wollte sie wissen. "Lies dir einfach mal die erste Seite durch.", erwiderte ich. "Du willst die Facharztrichtung wechseln?", vermutete sie richtig. "Noch bin ich unschlüssig. Aber Martin und auch Professor Böning halten das für eine gute Idee, deshalb hat Martin recherchiert und das da gefunden. Ich könnte innerhalb von drei Jahren Chirurgin werden, dazu muss ich nur einen Test machen und unter die besten 15 kommen.", erklärte ich ihr. "Also ich finde auch, dass du das definitiv versuchen solltest."
Sarah war genauso überzeugt wie Martin. "Sag mal.. Bin ich eigentlich die einzige, die das als unmöglich ansieht?", fragte ich sie. "Nichts ist unmöglich, Gemma. Du solltest es wirklich versuchen, du hast nichts zu verlieren.", meinte Sarah. "Und außerdem fände ich es ziemlich cool, wenn wir die gleiche Fachrichtung hätten."
Sie stieß mir mit dem Ellbogen freundschaftlich in die Seite. "Ja, das hätte schon was. Vor allem hätten Martin und ich dann auch die gleiche Fachrichtung und das würde die Zusammenarbeit leichter machen.", gab ich zu. "Also, wie du selbst gerade festgestellt hast hat die Sache auch ihre Vorteile. Wann ist dieser Test?", wollte Sarah wissen. "In zwei Monaten und ist ähnlich aufgebaut wie das Physikum, nur mit mehr Fragen und außerdem wird man noch in seinem Fachgebiet geprüft.", antwortete ich. "Das ist nicht gerade viel Zeit die uns da bleibt um dich vorzubereiten, aber da kriegen wir hin.", sagte Sarah. "Wir?", fragte ich. "Natürlich wir oder meinst du, ich lass dich hängen? Martin wird dich doch bestimmt auch unterstützen und Professor Böning hält es doch auch für einen guten Plan. Gem, ein Versuch ist es allemal wert, so eine Chance bekommst du bestimmt nie wieder!"
Sie sagte mir nochmal das, was Martin versucht hatte mir begreiflich zu machen. "Und was wenn ich es nicht schaffe? Dann halten mich alle für eine Versagerin.", murmelte ich. "So ein Schwachsinn, Gemma! Wir wissen, dass du eine großartige Ärztin bist und auch wenn du nicht genommen werden solltest wird sich daran nichts ändern. Die Konkurrenz ist groß, das ist klar. Aber du musst es wenigstens versuchen!", redete Sarah mir weiterhin ins Gewissen und ich überlegte angestrengt.
"Okay, ihr habt ja recht.", meinte ich dann. "Ich werde an dem Test teilnehmen und es wenigstens probieren." Sarah begann zu grinsen. "Das wollte ich hören!", offenbarte sie mir und nahm mich in den Arm. "Vielleicht solltest du gleich zu Professor Böning gehen und ihm deine Entscheidung mitteilen. Je eher das sicher ist, desto schneller kannst du mit dem Wiederholen für den Test anfangen." Ich nickte. "Dann gehe ich mal zu ihm." Ich wollte schon den Raum verlassen, drehte mich aber nochmal um. "Danke!", sagte ich noch. "Immer gerne!", erwiderte Sarah und ich machte mich auf den Weg durch die Klinik zum Büro meines Chefs.
Und dieser hatte schon mit mir gerechnet. Zwar nicht so früh, aber dennoch nahm er sich gleich Zeit für mich. Das Gespräch dauerte lange und war sehr ausführlich, wir redeten über jedes Detail und Professor Böning sicherte mir seine volle Unterstützung zu. In den nächsten acht Wochen sollte ich mich voll und ganz auf das Lernen konzentrieren und mir frei nehmen, falls ich noch mehr Zeit benötigte. Ich durfte ab sofort auch ein wenig in mein vielleicht baldiges Fachgebiet rein schnuppern und bei mehr Operationen als vorher dabei sein, aber nicht nur um die Haken zu halten oder abzusaugen. Er meinte das wäre eine gute Gelegenheit um herauszufinden, ob ich wirklich als Chirurgin arbeiten wollte sofern ich den Test bestand. Sollte das der Fall sein würde man mich ganz sicher als Assistenzärztin übernehmen und nach meiner Weiterbildung war mir ein Platz hier in der Chirurgie sicher. Das alles war noch so weit entfernt, allerdings musste man dennoch mal darüber gesprochen haben.
Wir füllten gemeinsam die Anmeldung für den Test aus, die direkt von der Klinik aus verschickt werden sollte. Nun gab es kein zurück mehr. Da heute sowieso ein Praxistag gewesen wäre bat ich darum gehen zu dürfen, um erste Vorbereitungen treffen zu können. Den Großteil meiner Bücher hatte ich nämlich im Keller in Kartons gelassen und die brauchte ich zum Lernen. Professor Böning ließ mich gehen und auf dem Weg zur Kinderbetreuung traf ich wie sonst auch viele Kollegen. Was mich überraschte war, dass mich nun Leute grüßten die mich vorher nicht eines Blickes gewürdigt hatten. Unter ihnen sogar Oberärzte und angesehene Chirurgen der Klinik, die nun auch meinen Namen kannten. Und das nur, weil ich einem Patienten mit einer chaotischen Notoperation zu der man mich hatte drängen müssen das Leben gerettet hatte.
Sarah hatte ja erwähnt gehabt, dass das ganze Krankenhaus mittlerweile davon wusste. Diese neu gewonnene Aufmerksamkeit war mir ein wenig unangenehm, aber irgendwie empfand ich auch so etwas wie Stolz. Ich holte Kira ab und fuhr mit ihr nach Hause, um keine Zeit mehr zu verlieren. Zwei Monate waren nämlich nicht wirklich viel Zeit, um nochmal alles relevante zu wiederholen.
Daheim angekommen kümmerte ich mich erstmal um Kira, die Hunger hatte. Sie war schon wieder so müde, dass sie auf meinem Arm schon fast einschlief und ich sie deshalb in ihr Bett brachte. Diese Zeit nutzte ich, um hinunter in den Keller zu gehen. Das Babyfon nahm ich natürlich mit, damit ich sofort wieder hoch gehen konnte wenn Kira mich brauchte.
Und dann machte ich mich daran, die Kartons mit meinen Medizinbüchern zu suchen. Einige Kartons waren noch nicht ausgepackt worden, da dafür kein Platz in der Wohnung war und natürlich befanden sich die die ich suchte ganz hinten im Kellerabteil. Eine Kiste nach der anderen schleppte ich nach draußen Platz zu schaffen. Sie waren verstaubt und dreckig, dementsprechend sah ich dann nach einigen auch aus.
"Gem?", vernahm ich dann aus dem Treppenhaus. "Hier unten im Keller!", rief ich. Martin war wohl zur Mittagspause nach Hause gekommen. "Ach, hier bist du. Ich war eben oben und Kira liegt in ihrem Bett, aber dich hab ich nirgends gefunden." Nun stand Martin vor der Tür des Kellerraums. "Ich hab sie hingelegt und bin dann hier runter. Hab ich wirklich so viel aus München mitgenommen? Ich dachte das wäre weniger gewesen."
Martin nahm mir den Karton ab, den ich gerade raus tragen wollte. "So viel ist das gar nicht, kommt dir nur so vor auf so kleinem Raum. Aber jetzt zu meiner eigentlichen Frage.. Was suchst du eigentlich?", wollte Martin nun erfahren. "Meine Medizinbücher und den ganzen anderen Kram aus dem Studium. Ein paar hab ich zwar oben, aber nur.." Martin unterbrach mich einfach. "Warte, warte.. Soll das heißen, dass du an dem Test teilzunehmen willst und deshalb die Bücher zum Lernen suchst?"
Ich nickte und drückte ihm die nächste Kiste in die Hand. "Gemma, das ist ja toll!", meinte Martin begeistert. "Meine Begeisterung hält sich immer noch in Grenzen. Aber ja, ich war heute bei Böning und hab mit ihm gesprochen. Angemeldet bin ich schon, das einzige was noch fehlt sich meine.. Aha!" Endlich war ich fündig geworden. "Da sind sie ja!" Immerhin hatte ich einen Karton von insgesamt drei gefunden. Gefüllt waren sie mit Büchern, Ordnern und weiterem Material aus dem Medizinstudium das gefühlt schon ewig zurück lag.
"Puh, is der schwer!", entfuhr es Martin, als ich ihn den ersten Karton übergab. "Was hast du da drin, Backsteine?!" Ich lachte. "Ne, Bücher. Steht doch drauf.", antwortete ich. "Sei so lieb und bring ihn nach oben.", bat ich ihn anschließend. Während er rauf ging, holte ich die anderen beiden Kartons aus dem Kellerabteil und stellte sie zu den anderen in den Gang. Die Kisten die ich raus geräumt hatte, schlichtete ich wieder aufeinander.
"War das der letzte?", fragte Martin, der nun alle drei Kartons nach oben gebracht hatte. "Ja.", erwiderte ich und er half mir noch beim zurückstellen der Kisten. "Wie kommt es eigentlich, dass du es jetzt doch versuchen willst?", erkundigte Martin sich. "Hab mit Sarah geredet und sie hat mir das gleiche gesagt wie du. Danach war ich bei Professor Böning, wir haben alles besprochen und die Anmeldung ausgefüllt. Die ist schon weggeschickt, das bedeutet das ich es mal versuchen werde. Ob es dann klappt, werden wir ja dann sehen."
Martin kam zu mir und küsste mich. "Ich bin allein schon stolz auf dich, weil du es probieren möchtest. Und auch wenn du es mir nicht glauben willst, ich denke wirklich das du gute Chancen hast. Ich werde dir jedenfalls helfen, dein Wissen wieder aufzufrischen.", versprach er mir nun. "Ich habe das Gefühl, dass ich größtenteils alles vergessen habe. Ich weiß ja, dass das eigentlich nicht passieren dürfte nur.." Martin fiel mir gleich ins Wort. "Das geht mir auch so oder denkst du echt, man merkt sich das alles ewig? Klar muss vieles wirklich auswendig gelernt sein, aber wenn etwas länger nicht mehr relevant ist dann vergisst man eben manches. Das ist überhaupt nicht schlimm, dafür wiederholen wir jetzt ja auch nochmal." Ich nickte und lächelte, da er mich überzeugt hatte. "Aber zuerst muss ich das ganze Zeug sortieren und mir einen Überblick verschaffen.", stellte ich klar. "Natürlich.", sagte Martin und küsste mich wieder. Ich merkte sofort, dass er mehr im Sinn hatte als das.
"Bestimmt kann das doch noch bis Morgen warten, oder?", fragte er und damit war ich natürlich einverstanden. Als wir jedoch hoch in die Wohnung kamen, hörten wir Kira quengeln und wir mussten unser Vorhaben erstmal verschieben.
Da Martin sich bereit erklärt hatte Kira zu wickeln, begab ich mich ins Wohnzimmer. Dort hatte er die Kartons abgestellt. Ich setzte mich auf den Boden und öffnete den ersten von ihnen, in dem sich die Bücher befanden. Ich fing an sie zu sortieren und wägte gleichzeitig schon mal ab, welche mir noch hilfreich sein konnten. Martin kam nach ein paar Minuten mit Kira in den Raum und setzte sich mit ihr auf die Couch, wie immer war sie ganz ruhig wenn er sie hielt.
"Schatz, du wolltest heute doch nicht mehr anfangen.", meinte Martin. "Eigentlich nicht. Aber nachdem wir uns ja jetzt anders organisieren müssen, dachte ich ich räume wenigstens schon ein bisschen aus." Wir grinsten uns an. "Aber du hast jedenfalls schon mal mehr Bücher als ich im Studium hatte. Größtenteils hab ich mir die ausgeliehen und nur das nötigste gekauft.", erzählte Martin mir nun. "Ich kann ich es eben nicht leiden, etwas zu leihen. Ich habe meine Sachen lieber zu Hause, so kann ich mit ihnen machen was ich möchte."
In meinen Büchern war nämlich vieles markiert und das hätte ich mit Büchern aus der Bibliothek niemals machen können. "Auch wieder wahr. Allerdings könnten wir den restlichen Tag heute ruhig nochmal genießen, weil ich auch nicht mehr in die Praxis muss. Was hältst du davon, wenn wir mit der Kleinen ein wenig spazieren gehen?"
Der Vorschlag gefiel mir, weshalb wir uns fertig machen und dann los liefen. Ein bestimmtes Ziel hatten wir nicht, nur tat die frische Luft wirklich gut. Kira lag in ihrem Kinderwagen, guckte uns an und brabbelte vor sich hin. "Wenn ich übernehmen soll, sag Bescheid.", meinte ich. "Mach ich. Aber ich denke, dass ich das ewig machen könnte." Martin schob den Kinderwagen einhändig, da er mit der anderen Hand meine fest hielt. "Heute ist es wirklich schön.", stellte ich fest. Der Himmel war wolkenfrei und die Sonne schien, weshalb ich den leichten Wind auch sehr angenehm fand.
"War doch eine gute Idee. Heute nochmal ein wenig entspannen, bevor die Lernerei losgeht. Tut der Kleinen gut und uns auch." Nachdem wir jetzt schon einige Zeit gelaufen waren, beschlossen wir eine kleine Pause einzulegen und da kam uns eine Bank am Wegesrand sehr gelegen.
Wir setzen uns hin und Martin legte einen Arm um mich, daraufhin bettete ich meinen Kopf auf seiner Schulter. "Müde?", fragte er mich. "Ein wenig, ja.", bestätigte ich. "In letzter Zeit könnte ich ja sowieso ständig schlafen, keine Ahnung warum." Das war mir nun schon öfter aufgefallen. "Hab ich schon gemerkt. Wie fühlst du dich sonst?", wollte Martin wissen und klang sehr neugierig. "Sonst eigentlich ganz gut, warum?" Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ihm etwas im Kopf herum ging. "Naja, ist dir irgendwie schlecht oder musst du öfter auf Toilette?"
Ich überlegte kurz, dann wusste ich worauf er hinaus wollte. "Du könntest mich doch auch gleich fragen, ob meine Tage ausgeblieben sind.", meinte ich amüsiert. "So direkt wollte ich jetzt nicht sein.", erwiderte Martin und lachte. "Aber Müdigkeit ist ja häufig ein Anzeichen einer frühen Schwangerschaft.", erklärte Martin sachlich. "Das stimmt schon, aber wir verhüten doch.", erinnerte ich ihn. "Dabei kann trotzdem immer was passieren.", lautete seine fachliche Antwort. "Ich kann auf keinen Fall schwanger sein.", erwiderte ich. "Das wissen wir erst, wenn du einen Test gemacht hast. Nur so, um ganz sicher zu sein." Ich schielte zu ihm hoch.
"Martin Gruber.", setzte ich an. "Willst du mir gerade irgendetwas sagen?", fragte ich. "Außer das ich es eigentlich ganz schön fände wenn sich Nachwuchs ankündigen würde, nichts.", meinte er grinsend. "Wir haben darüber gesprochen, ich möchte.." Er wusste was ich sagen wollte. "Ich weiß, dass du noch warten möchtest und es ist auch das Beste so. Aber wenn es doch so wäre, würden wir nichts daran ändern können."
Ich spürte, dass Martin es ernst meinte was er sagte. "Da hast du Recht. Allerdings frage ich mich, wie wir das dann schaffen sollen. Wenn ich jetzt doch die Weiterbildung mache, dann möchte ich am Anfang nicht wirklich schwanger sein und eine Pause machen müssen. Außerdem ist meine Wohnung viel zu klein für zwei Kinder.", gab ich ihm zu bedenken.
"Dieses Problem würde sich lösen lassen. Wenn wir.. Zusammen auf den Hof ziehen würden, nur so als kleine Überlegung." Das überraschte mich nun wirklich. "Wie kommst du jetzt darauf?", fragte ich deshalb. "Mama hat mir den Vorschlag gemacht, als ich bei ihr war.", offenbarte er mir. "Ich fehle ihr und das, obwohl wir uns ja regelmäßig sehen. Und wenn ich ehrlich bin, ist es immer noch ein wenig ungewohnt nicht mit meiner Familie unter einem Dach zu leben. Es ist nicht so, dass ich mich bei dir und der Kleinen nicht wohl fühle.. Aber es ist eben nicht das Gleiche. Es erinnert mich irgendwie an New York, da habe ich auch mit mehreren fremden Leuten in einem Haus gewohnt. Die in ihren Wohnungen und ich in meiner, vor der Haustür gleich die viel befahrene Straße.. Auf dem Hof ist das genau das Gegenteil." Ich verstand Martin sehr gut. Früher hatte ich mit meiner ganzen Familie auch in einem Haus gelebt, abseits von jeglichem Trubel. Dann ging es nach München und es war so wie Martin sagte, alles war anders geworden. Nur hatte ich mich damals daran gewöhnt, dennoch musste ich zugeben das mir das Landleben seitdem immer ein wenig gefehlt hatte. Hier war es zwar um einiges ruhiger und die Wohnung gefiel mir immer noch sehr, aber auf dem Gruberhof ließ es sich doch noch ein bisschen angenehmer leben.
Allerdings fühlte ich mich noch nicht wirklich bereit dafür. "Ich glaube dir, dass dir das Zusammenleben mit deiner Familie sehr fehlt. Mir ging es damals in München die ersten Monate nicht anders. Nur wird Hans bestimmt etwas dagegen haben wenn wir gemeinsam auf den Hof ziehen.", meinte ich. "Mama hat versprochen mit ihm zu reden, sofern wir uns dafür entscheiden.", antwortete Martin. "Das mag ja sein und ich bin wirklich angetan von diesem Angebot. Trotzdem möchte ich meine Wohnung jetzt schon ungern aufgeben. Du bist zwar eindeutig mehr bei uns als zu Hause, aber so hat im Notfall wenigstens jeder noch seine eigenen vier Wände. Ich bin mit Stefan damals nach wenigen Monaten zusammen gezogen und habe die Quittung dafür bekommen. Das du nicht wie er bist ist mir klar und ich mag deine Familie wirklich sehr, ich übernachte auch gern auf dem Hof. Allerdings befürchte ich, dass das nur zu neuen Konflikten führen wird und das obwohl es momentan eigentlich sehr gut läuft. Und wie soll das überhaupt gehen? Für uns alle ist doch gar nicht genügend Platz."
Manchmal nervte es mich selbst, dass ich alles hinterfragen musste. Aber das war nun mal meine Art. "Doch, Platz hätten wir.." Martin war mit seinem Satz noch nicht fertig, aber ich redete einfach dazwischen. "Wo? In deinem kleinen Zimmer, wo nicht mal ein richtiges Doppelbett rein passt?", fragte ich sarkastisch. "Jetzt lass mich doch erstmal ausreden, bevor du schon wieder meckerst.", meinte Martin. "Platz hätten wir, wenn wir den Dachboden ausbauen würden. Das wollte ich sagen.", erklärte er mir. "Den Dachboden ausbauen.", wiederholte ich nochmal zum besseren Verständnis. "Das ist nicht mal eben in ein paar Tagen geschehen. Wir bräuchten Monate dafür!", stellte ich klar. "Und außerdem muss deine Mutter mit dem Umbau ihres Hauses einverstanden sein.", fügte ich hinzu. "Der Vorschlag kam von ihr.", meinte Martin daraufhin. "Ansonsten hätte ich auch gesagt der Platz wäre nicht ausreichend, aber wenn wir ein bisschen umbauen würden schon. Und ich wäre auch wieder bei Lilli, der es sicher gefallen würde wenn du und Kira auch auf dem Hof leben würdet."
Ich seufzte. "Okay, wir machen es so.. Ich konzentriere mich jetzt erstmal aufs Lernen und versuche einen von diesen Plätzen zu ergattern. Dann müssen wir bald auch das mit der Praxis besprechen, ob wir den Vertrag verlängern wollen oder nicht. Dann reden wir mit deiner Familie und wenn bis dahin alles noch gut läuft, ziehen ich und die Kleine vielleicht mit auf den Hof." Martin nickte. "Damit bin ich einverstanden.", sagte er und gab mir einen Kuss. "Was anderes bleibt dir ja wohl kaum übrig.", entgegnete ich zufrieden und wir blieben noch eine Weile auf der Bank sitzen.
Wir liefen dann zurück nach Hause und ich kochte das Abendessen. Allerdings musste ich nun ununterbrochen an eine Sache denken. Nicht etwa daran, vielleicht auf den Hof zu ziehen, denn das war ja vorerst geklärt. Es war Martins geäußerte Vermutung, dass ich vielleicht schwanger sein konnte. Beim Verhüten konnte schließlich immer etwas schief gehen und deshalb würde ich gleich Morgen einen Test machen, um Gewissheit zu haben. Wobei ich nicht wirklich daran glaubte das dieser tatsächlich positiv ausfiel.
Des Weiteren dachte ich natürlich auch an meinen Vater, der immer gewollt hatte das ich Chirurgin werde und ich hatte mich immer dagegen gesträubt. Und heute wollte er nichts mehr von mir wissen, meine ganze Familie hatte ich dadurch verloren. All diese Dinge schwirrten mir im Kopf herum verursachten regelrecht Kopfschmerzen.
Geschlafen hatte ich dementsprechend schlecht und war früher als gewohnt in die Klinik gefahren. Martin hatte noch geschlafen und eigentlich wäre heute ein Praxistag, allerdings wollte ich nochmal nach dem Patienten sehen dem ich gestern mit dem Eingriff das Leben gerettet hatte und das war ja letztendlich der Auslöser für alles gewesen.
Kira gab ich in der Betreuung ab und begab mich dann auf die Intensivstation, wo Herr Stenzel noch immer lag. Man hatte ihn vorsichtshalber ins künstliche Koma versetzt, allerdings würde er ganz sicher wieder vollkommen gesund werden. Und einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet zu haben, erfüllte mich irgendwie mit Stolz.
Durch die Scheibe sah ich nun zu dem Patienten hinein, dessen Werte im Normbereich lagen. Aus meiner Kitteltasche holte ich das Geheft, dass ich zusammengefaltet dort hinein gesteckt hatte und faltete es auseinander. Nochmals begann ich mir die Infos durchzulesen und schaute zwischendurch zu dem Patienten ins Zimmer. Wenn ich wirklich einen Platz bekommen sollte, durfte ich in drei Jahren rechtmäßig als Chirurgin tätig sein und konnte Menschen noch effektiver helfen als jetzt als Allgemeinmedizinerin.
'Vielleicht solltest du es tatsächlich probieren.', dachte ich und erschrak als es plötzlich klopfte. Ich hatte Sarah nicht kommen hören. "Guten Morgen. Was machst du denn hier und vor allem so früh?", fragte sie mich. "Ich wollte nach ihm sehen.", antwortete ich und richtete meinen Blick wieder auf den Patienten. "Ihm geht es gut, sehr gut sogar. Du hast ihm mit deiner OP wirklich das Leben gerettet und bist mal wieder das Klinikgespräch schlechthin."
Ich glaubte mich verhört zu haben. "Wie bitte?", fragte ich ungläubig. "Die reden alle über dich und deine Heldentat, Lembke hingegen ist zum Gespött geworden. Jeder weiß, dass er für den Patienten verantwortlich war und das du ihm eine Abreibung erteilt hast. Auch das mit der Abmahnung weiß jeder. Es wird wohl nicht mehr lange dauern bis Böning ihn feuert oder er freiwillig geht, sein Ansehen ist nochmal um einiges mehr gesunken. Aber von dir hört man nur Gutes, die sind alle sehr stolz auf dich." Sarah lächelte und drückte mir ihre Tasse Kaffee in die Hand.
"Das ist deiner.", protestierte ich. "Ich hol mir gleich einen neuen. So wir du aussiehst, brauchst du den dringender als ich.", meinte sie. "Oh ja, ich hab heute so miserabel geschlafen.", gestand ich und trank einen großen Schluck Kaffee. "Wieso das denn? Hat Kira dich wach gehalten oder hast du etwa wieder mal schlecht geträumt?" Sarah wusste mittlerweile sehr viel über mich, genau wie ich über sie. "Nein, keins von beiden. Das hier ist der Grund."
Ich hielt ihr die Unterlagen entgegen und Sarah nahm sie gleich an sich. "Was ist das?", wollte sie wissen. "Lies dir einfach mal die erste Seite durch.", erwiderte ich. "Du willst die Facharztrichtung wechseln?", vermutete sie richtig. "Noch bin ich unschlüssig. Aber Martin und auch Professor Böning halten das für eine gute Idee, deshalb hat Martin recherchiert und das da gefunden. Ich könnte innerhalb von drei Jahren Chirurgin werden, dazu muss ich nur einen Test machen und unter die besten 15 kommen.", erklärte ich ihr. "Also ich finde auch, dass du das definitiv versuchen solltest."
Sarah war genauso überzeugt wie Martin. "Sag mal.. Bin ich eigentlich die einzige, die das als unmöglich ansieht?", fragte ich sie. "Nichts ist unmöglich, Gemma. Du solltest es wirklich versuchen, du hast nichts zu verlieren.", meinte Sarah. "Und außerdem fände ich es ziemlich cool, wenn wir die gleiche Fachrichtung hätten."
Sie stieß mir mit dem Ellbogen freundschaftlich in die Seite. "Ja, das hätte schon was. Vor allem hätten Martin und ich dann auch die gleiche Fachrichtung und das würde die Zusammenarbeit leichter machen.", gab ich zu. "Also, wie du selbst gerade festgestellt hast hat die Sache auch ihre Vorteile. Wann ist dieser Test?", wollte Sarah wissen. "In zwei Monaten und ist ähnlich aufgebaut wie das Physikum, nur mit mehr Fragen und außerdem wird man noch in seinem Fachgebiet geprüft.", antwortete ich. "Das ist nicht gerade viel Zeit die uns da bleibt um dich vorzubereiten, aber da kriegen wir hin.", sagte Sarah. "Wir?", fragte ich. "Natürlich wir oder meinst du, ich lass dich hängen? Martin wird dich doch bestimmt auch unterstützen und Professor Böning hält es doch auch für einen guten Plan. Gem, ein Versuch ist es allemal wert, so eine Chance bekommst du bestimmt nie wieder!"
Sie sagte mir nochmal das, was Martin versucht hatte mir begreiflich zu machen. "Und was wenn ich es nicht schaffe? Dann halten mich alle für eine Versagerin.", murmelte ich. "So ein Schwachsinn, Gemma! Wir wissen, dass du eine großartige Ärztin bist und auch wenn du nicht genommen werden solltest wird sich daran nichts ändern. Die Konkurrenz ist groß, das ist klar. Aber du musst es wenigstens versuchen!", redete Sarah mir weiterhin ins Gewissen und ich überlegte angestrengt.
"Okay, ihr habt ja recht.", meinte ich dann. "Ich werde an dem Test teilnehmen und es wenigstens probieren." Sarah begann zu grinsen. "Das wollte ich hören!", offenbarte sie mir und nahm mich in den Arm. "Vielleicht solltest du gleich zu Professor Böning gehen und ihm deine Entscheidung mitteilen. Je eher das sicher ist, desto schneller kannst du mit dem Wiederholen für den Test anfangen." Ich nickte. "Dann gehe ich mal zu ihm." Ich wollte schon den Raum verlassen, drehte mich aber nochmal um. "Danke!", sagte ich noch. "Immer gerne!", erwiderte Sarah und ich machte mich auf den Weg durch die Klinik zum Büro meines Chefs.
Und dieser hatte schon mit mir gerechnet. Zwar nicht so früh, aber dennoch nahm er sich gleich Zeit für mich. Das Gespräch dauerte lange und war sehr ausführlich, wir redeten über jedes Detail und Professor Böning sicherte mir seine volle Unterstützung zu. In den nächsten acht Wochen sollte ich mich voll und ganz auf das Lernen konzentrieren und mir frei nehmen, falls ich noch mehr Zeit benötigte. Ich durfte ab sofort auch ein wenig in mein vielleicht baldiges Fachgebiet rein schnuppern und bei mehr Operationen als vorher dabei sein, aber nicht nur um die Haken zu halten oder abzusaugen. Er meinte das wäre eine gute Gelegenheit um herauszufinden, ob ich wirklich als Chirurgin arbeiten wollte sofern ich den Test bestand. Sollte das der Fall sein würde man mich ganz sicher als Assistenzärztin übernehmen und nach meiner Weiterbildung war mir ein Platz hier in der Chirurgie sicher. Das alles war noch so weit entfernt, allerdings musste man dennoch mal darüber gesprochen haben.
Wir füllten gemeinsam die Anmeldung für den Test aus, die direkt von der Klinik aus verschickt werden sollte. Nun gab es kein zurück mehr. Da heute sowieso ein Praxistag gewesen wäre bat ich darum gehen zu dürfen, um erste Vorbereitungen treffen zu können. Den Großteil meiner Bücher hatte ich nämlich im Keller in Kartons gelassen und die brauchte ich zum Lernen. Professor Böning ließ mich gehen und auf dem Weg zur Kinderbetreuung traf ich wie sonst auch viele Kollegen. Was mich überraschte war, dass mich nun Leute grüßten die mich vorher nicht eines Blickes gewürdigt hatten. Unter ihnen sogar Oberärzte und angesehene Chirurgen der Klinik, die nun auch meinen Namen kannten. Und das nur, weil ich einem Patienten mit einer chaotischen Notoperation zu der man mich hatte drängen müssen das Leben gerettet hatte.
Sarah hatte ja erwähnt gehabt, dass das ganze Krankenhaus mittlerweile davon wusste. Diese neu gewonnene Aufmerksamkeit war mir ein wenig unangenehm, aber irgendwie empfand ich auch so etwas wie Stolz. Ich holte Kira ab und fuhr mit ihr nach Hause, um keine Zeit mehr zu verlieren. Zwei Monate waren nämlich nicht wirklich viel Zeit, um nochmal alles relevante zu wiederholen.
Daheim angekommen kümmerte ich mich erstmal um Kira, die Hunger hatte. Sie war schon wieder so müde, dass sie auf meinem Arm schon fast einschlief und ich sie deshalb in ihr Bett brachte. Diese Zeit nutzte ich, um hinunter in den Keller zu gehen. Das Babyfon nahm ich natürlich mit, damit ich sofort wieder hoch gehen konnte wenn Kira mich brauchte.
Und dann machte ich mich daran, die Kartons mit meinen Medizinbüchern zu suchen. Einige Kartons waren noch nicht ausgepackt worden, da dafür kein Platz in der Wohnung war und natürlich befanden sich die die ich suchte ganz hinten im Kellerabteil. Eine Kiste nach der anderen schleppte ich nach draußen Platz zu schaffen. Sie waren verstaubt und dreckig, dementsprechend sah ich dann nach einigen auch aus.
"Gem?", vernahm ich dann aus dem Treppenhaus. "Hier unten im Keller!", rief ich. Martin war wohl zur Mittagspause nach Hause gekommen. "Ach, hier bist du. Ich war eben oben und Kira liegt in ihrem Bett, aber dich hab ich nirgends gefunden." Nun stand Martin vor der Tür des Kellerraums. "Ich hab sie hingelegt und bin dann hier runter. Hab ich wirklich so viel aus München mitgenommen? Ich dachte das wäre weniger gewesen."
Martin nahm mir den Karton ab, den ich gerade raus tragen wollte. "So viel ist das gar nicht, kommt dir nur so vor auf so kleinem Raum. Aber jetzt zu meiner eigentlichen Frage.. Was suchst du eigentlich?", wollte Martin nun erfahren. "Meine Medizinbücher und den ganzen anderen Kram aus dem Studium. Ein paar hab ich zwar oben, aber nur.." Martin unterbrach mich einfach. "Warte, warte.. Soll das heißen, dass du an dem Test teilzunehmen willst und deshalb die Bücher zum Lernen suchst?"
Ich nickte und drückte ihm die nächste Kiste in die Hand. "Gemma, das ist ja toll!", meinte Martin begeistert. "Meine Begeisterung hält sich immer noch in Grenzen. Aber ja, ich war heute bei Böning und hab mit ihm gesprochen. Angemeldet bin ich schon, das einzige was noch fehlt sich meine.. Aha!" Endlich war ich fündig geworden. "Da sind sie ja!" Immerhin hatte ich einen Karton von insgesamt drei gefunden. Gefüllt waren sie mit Büchern, Ordnern und weiterem Material aus dem Medizinstudium das gefühlt schon ewig zurück lag.
"Puh, is der schwer!", entfuhr es Martin, als ich ihn den ersten Karton übergab. "Was hast du da drin, Backsteine?!" Ich lachte. "Ne, Bücher. Steht doch drauf.", antwortete ich. "Sei so lieb und bring ihn nach oben.", bat ich ihn anschließend. Während er rauf ging, holte ich die anderen beiden Kartons aus dem Kellerabteil und stellte sie zu den anderen in den Gang. Die Kisten die ich raus geräumt hatte, schlichtete ich wieder aufeinander.
"War das der letzte?", fragte Martin, der nun alle drei Kartons nach oben gebracht hatte. "Ja.", erwiderte ich und er half mir noch beim zurückstellen der Kisten. "Wie kommt es eigentlich, dass du es jetzt doch versuchen willst?", erkundigte Martin sich. "Hab mit Sarah geredet und sie hat mir das gleiche gesagt wie du. Danach war ich bei Professor Böning, wir haben alles besprochen und die Anmeldung ausgefüllt. Die ist schon weggeschickt, das bedeutet das ich es mal versuchen werde. Ob es dann klappt, werden wir ja dann sehen."
Martin kam zu mir und küsste mich. "Ich bin allein schon stolz auf dich, weil du es probieren möchtest. Und auch wenn du es mir nicht glauben willst, ich denke wirklich das du gute Chancen hast. Ich werde dir jedenfalls helfen, dein Wissen wieder aufzufrischen.", versprach er mir nun. "Ich habe das Gefühl, dass ich größtenteils alles vergessen habe. Ich weiß ja, dass das eigentlich nicht passieren dürfte nur.." Martin fiel mir gleich ins Wort. "Das geht mir auch so oder denkst du echt, man merkt sich das alles ewig? Klar muss vieles wirklich auswendig gelernt sein, aber wenn etwas länger nicht mehr relevant ist dann vergisst man eben manches. Das ist überhaupt nicht schlimm, dafür wiederholen wir jetzt ja auch nochmal." Ich nickte und lächelte, da er mich überzeugt hatte. "Aber zuerst muss ich das ganze Zeug sortieren und mir einen Überblick verschaffen.", stellte ich klar. "Natürlich.", sagte Martin und küsste mich wieder. Ich merkte sofort, dass er mehr im Sinn hatte als das.
"Bestimmt kann das doch noch bis Morgen warten, oder?", fragte er und damit war ich natürlich einverstanden. Als wir jedoch hoch in die Wohnung kamen, hörten wir Kira quengeln und wir mussten unser Vorhaben erstmal verschieben.
Da Martin sich bereit erklärt hatte Kira zu wickeln, begab ich mich ins Wohnzimmer. Dort hatte er die Kartons abgestellt. Ich setzte mich auf den Boden und öffnete den ersten von ihnen, in dem sich die Bücher befanden. Ich fing an sie zu sortieren und wägte gleichzeitig schon mal ab, welche mir noch hilfreich sein konnten. Martin kam nach ein paar Minuten mit Kira in den Raum und setzte sich mit ihr auf die Couch, wie immer war sie ganz ruhig wenn er sie hielt.
"Schatz, du wolltest heute doch nicht mehr anfangen.", meinte Martin. "Eigentlich nicht. Aber nachdem wir uns ja jetzt anders organisieren müssen, dachte ich ich räume wenigstens schon ein bisschen aus." Wir grinsten uns an. "Aber du hast jedenfalls schon mal mehr Bücher als ich im Studium hatte. Größtenteils hab ich mir die ausgeliehen und nur das nötigste gekauft.", erzählte Martin mir nun. "Ich kann ich es eben nicht leiden, etwas zu leihen. Ich habe meine Sachen lieber zu Hause, so kann ich mit ihnen machen was ich möchte."
In meinen Büchern war nämlich vieles markiert und das hätte ich mit Büchern aus der Bibliothek niemals machen können. "Auch wieder wahr. Allerdings könnten wir den restlichen Tag heute ruhig nochmal genießen, weil ich auch nicht mehr in die Praxis muss. Was hältst du davon, wenn wir mit der Kleinen ein wenig spazieren gehen?"
Der Vorschlag gefiel mir, weshalb wir uns fertig machen und dann los liefen. Ein bestimmtes Ziel hatten wir nicht, nur tat die frische Luft wirklich gut. Kira lag in ihrem Kinderwagen, guckte uns an und brabbelte vor sich hin. "Wenn ich übernehmen soll, sag Bescheid.", meinte ich. "Mach ich. Aber ich denke, dass ich das ewig machen könnte." Martin schob den Kinderwagen einhändig, da er mit der anderen Hand meine fest hielt. "Heute ist es wirklich schön.", stellte ich fest. Der Himmel war wolkenfrei und die Sonne schien, weshalb ich den leichten Wind auch sehr angenehm fand.
"War doch eine gute Idee. Heute nochmal ein wenig entspannen, bevor die Lernerei losgeht. Tut der Kleinen gut und uns auch." Nachdem wir jetzt schon einige Zeit gelaufen waren, beschlossen wir eine kleine Pause einzulegen und da kam uns eine Bank am Wegesrand sehr gelegen.
Wir setzen uns hin und Martin legte einen Arm um mich, daraufhin bettete ich meinen Kopf auf seiner Schulter. "Müde?", fragte er mich. "Ein wenig, ja.", bestätigte ich. "In letzter Zeit könnte ich ja sowieso ständig schlafen, keine Ahnung warum." Das war mir nun schon öfter aufgefallen. "Hab ich schon gemerkt. Wie fühlst du dich sonst?", wollte Martin wissen und klang sehr neugierig. "Sonst eigentlich ganz gut, warum?" Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ihm etwas im Kopf herum ging. "Naja, ist dir irgendwie schlecht oder musst du öfter auf Toilette?"
Ich überlegte kurz, dann wusste ich worauf er hinaus wollte. "Du könntest mich doch auch gleich fragen, ob meine Tage ausgeblieben sind.", meinte ich amüsiert. "So direkt wollte ich jetzt nicht sein.", erwiderte Martin und lachte. "Aber Müdigkeit ist ja häufig ein Anzeichen einer frühen Schwangerschaft.", erklärte Martin sachlich. "Das stimmt schon, aber wir verhüten doch.", erinnerte ich ihn. "Dabei kann trotzdem immer was passieren.", lautete seine fachliche Antwort. "Ich kann auf keinen Fall schwanger sein.", erwiderte ich. "Das wissen wir erst, wenn du einen Test gemacht hast. Nur so, um ganz sicher zu sein." Ich schielte zu ihm hoch.
"Martin Gruber.", setzte ich an. "Willst du mir gerade irgendetwas sagen?", fragte ich. "Außer das ich es eigentlich ganz schön fände wenn sich Nachwuchs ankündigen würde, nichts.", meinte er grinsend. "Wir haben darüber gesprochen, ich möchte.." Er wusste was ich sagen wollte. "Ich weiß, dass du noch warten möchtest und es ist auch das Beste so. Aber wenn es doch so wäre, würden wir nichts daran ändern können."
Ich spürte, dass Martin es ernst meinte was er sagte. "Da hast du Recht. Allerdings frage ich mich, wie wir das dann schaffen sollen. Wenn ich jetzt doch die Weiterbildung mache, dann möchte ich am Anfang nicht wirklich schwanger sein und eine Pause machen müssen. Außerdem ist meine Wohnung viel zu klein für zwei Kinder.", gab ich ihm zu bedenken.
"Dieses Problem würde sich lösen lassen. Wenn wir.. Zusammen auf den Hof ziehen würden, nur so als kleine Überlegung." Das überraschte mich nun wirklich. "Wie kommst du jetzt darauf?", fragte ich deshalb. "Mama hat mir den Vorschlag gemacht, als ich bei ihr war.", offenbarte er mir. "Ich fehle ihr und das, obwohl wir uns ja regelmäßig sehen. Und wenn ich ehrlich bin, ist es immer noch ein wenig ungewohnt nicht mit meiner Familie unter einem Dach zu leben. Es ist nicht so, dass ich mich bei dir und der Kleinen nicht wohl fühle.. Aber es ist eben nicht das Gleiche. Es erinnert mich irgendwie an New York, da habe ich auch mit mehreren fremden Leuten in einem Haus gewohnt. Die in ihren Wohnungen und ich in meiner, vor der Haustür gleich die viel befahrene Straße.. Auf dem Hof ist das genau das Gegenteil." Ich verstand Martin sehr gut. Früher hatte ich mit meiner ganzen Familie auch in einem Haus gelebt, abseits von jeglichem Trubel. Dann ging es nach München und es war so wie Martin sagte, alles war anders geworden. Nur hatte ich mich damals daran gewöhnt, dennoch musste ich zugeben das mir das Landleben seitdem immer ein wenig gefehlt hatte. Hier war es zwar um einiges ruhiger und die Wohnung gefiel mir immer noch sehr, aber auf dem Gruberhof ließ es sich doch noch ein bisschen angenehmer leben.
Allerdings fühlte ich mich noch nicht wirklich bereit dafür. "Ich glaube dir, dass dir das Zusammenleben mit deiner Familie sehr fehlt. Mir ging es damals in München die ersten Monate nicht anders. Nur wird Hans bestimmt etwas dagegen haben wenn wir gemeinsam auf den Hof ziehen.", meinte ich. "Mama hat versprochen mit ihm zu reden, sofern wir uns dafür entscheiden.", antwortete Martin. "Das mag ja sein und ich bin wirklich angetan von diesem Angebot. Trotzdem möchte ich meine Wohnung jetzt schon ungern aufgeben. Du bist zwar eindeutig mehr bei uns als zu Hause, aber so hat im Notfall wenigstens jeder noch seine eigenen vier Wände. Ich bin mit Stefan damals nach wenigen Monaten zusammen gezogen und habe die Quittung dafür bekommen. Das du nicht wie er bist ist mir klar und ich mag deine Familie wirklich sehr, ich übernachte auch gern auf dem Hof. Allerdings befürchte ich, dass das nur zu neuen Konflikten führen wird und das obwohl es momentan eigentlich sehr gut läuft. Und wie soll das überhaupt gehen? Für uns alle ist doch gar nicht genügend Platz."
Manchmal nervte es mich selbst, dass ich alles hinterfragen musste. Aber das war nun mal meine Art. "Doch, Platz hätten wir.." Martin war mit seinem Satz noch nicht fertig, aber ich redete einfach dazwischen. "Wo? In deinem kleinen Zimmer, wo nicht mal ein richtiges Doppelbett rein passt?", fragte ich sarkastisch. "Jetzt lass mich doch erstmal ausreden, bevor du schon wieder meckerst.", meinte Martin. "Platz hätten wir, wenn wir den Dachboden ausbauen würden. Das wollte ich sagen.", erklärte er mir. "Den Dachboden ausbauen.", wiederholte ich nochmal zum besseren Verständnis. "Das ist nicht mal eben in ein paar Tagen geschehen. Wir bräuchten Monate dafür!", stellte ich klar. "Und außerdem muss deine Mutter mit dem Umbau ihres Hauses einverstanden sein.", fügte ich hinzu. "Der Vorschlag kam von ihr.", meinte Martin daraufhin. "Ansonsten hätte ich auch gesagt der Platz wäre nicht ausreichend, aber wenn wir ein bisschen umbauen würden schon. Und ich wäre auch wieder bei Lilli, der es sicher gefallen würde wenn du und Kira auch auf dem Hof leben würdet."
Ich seufzte. "Okay, wir machen es so.. Ich konzentriere mich jetzt erstmal aufs Lernen und versuche einen von diesen Plätzen zu ergattern. Dann müssen wir bald auch das mit der Praxis besprechen, ob wir den Vertrag verlängern wollen oder nicht. Dann reden wir mit deiner Familie und wenn bis dahin alles noch gut läuft, ziehen ich und die Kleine vielleicht mit auf den Hof." Martin nickte. "Damit bin ich einverstanden.", sagte er und gab mir einen Kuss. "Was anderes bleibt dir ja wohl kaum übrig.", entgegnete ich zufrieden und wir blieben noch eine Weile auf der Bank sitzen.
Wir liefen dann zurück nach Hause und ich kochte das Abendessen. Allerdings musste ich nun ununterbrochen an eine Sache denken. Nicht etwa daran, vielleicht auf den Hof zu ziehen, denn das war ja vorerst geklärt. Es war Martins geäußerte Vermutung, dass ich vielleicht schwanger sein konnte. Beim Verhüten konnte schließlich immer etwas schief gehen und deshalb würde ich gleich Morgen einen Test machen, um Gewissheit zu haben. Wobei ich nicht wirklich daran glaubte das dieser tatsächlich positiv ausfiel.