Tränen aus Seide
von Elenor-Rohir
Kurzbeschreibung
Carla ist ein einsames Kind, denn aufgrund ihrer seltsamen Fähigkeit wird sie von anderen Kindern gemieden. Zumindest bis zu dem Tag, an dem der Hausmeister ihrer Schule auf sie aufmerksam wird ... [Mein Beitrag zum Projekt "Superkräfte"]
GeschichteSchmerz/Trost, Übernatürlich / P6 / Gen
03.05.2020
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Das hier ist mein Beitrag zur Challenge Superkräfte von Nymphen.
Die mir zugewiesene Superkraft war die Nummer 77: Spinnenfäden schießen können.
Viel Spaß beim Lesen :)
***
Es gab unzählige Geschichten, wie Superhelden ihre Kräfte entdeckt hatten.
Manche hatten in Extremsituationen instinktiv darauf zurückgegriffen und vielen Menschen dadurch das Leben gerettet.
Andere hatten sie irgendwann einfach eingesetzt, als wäre es ganz normal, wodurch ihre Mitmenschen darauf aufmerksam geworden waren.
Doch bei ihr war das anders.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie ihre Superkraft das erste Mal genutzt hatte - wenn man es denn als Superkraft bezeichnen konnte. Denn Carla besaß die Fähigkeit, Spinnenfäden zu schießen. Aber nicht mit ihren Händen - wenn es so wäre, dann hätte das Ganze ja vielleicht noch einen Sinn. Doch die Spinnenfäden liefen aus ihren Augen, und zwar immer dann, wenn sie normalerweise weinen würde.
Ihre Eltern hatten ihr erzählt, dass sie ziemlich erschrocken gewesen waren, als sie ihr Kind das erste Mal so seltsam weinen sahen. Zuerst hatten sie geglaubt, es würde sich dabei um irgendeine Krankheit handeln. Doch kein Arzt konnte das seltsame Phänomen erklären. Schließlich hatten ihre Eltern sich einfach, so gut es ihnen möglich war, damit abgefunden.
Dank ihrer ungewollten Fähigkeit war Carla von anderen stets gemieden worden. Denn weil sie ein sensibles Mädchen war, weinte sie sehr häufig und konnte es nur selten unterdrücken, aber sobald sie jemand trösten wollte, bemerkte er, dass in ihrem Gesicht keine Tränen waren, sondern stattdessen durchsichtige klebrige Fäden. Das hatte sie alle abgeschreckt.
Alle - bis auf einen.
Als sie gestern wie so oft in einer einsamen Ecke der Schule gesessen hatte und sich für sich allein geweint hatte, hatte sie der Hausmeister gefunden. Und er hatte sie lediglich einen Moment lang angeschaut und anschließend gefragt, warum sie weinen würde.
„Das sehen Sie doch!“, hatte sie geantwortet. „Niemand mag mich, weil ich nicht normal bin. Jedes Mal, wenn ich weine, läuft mir anstelle von Tränen dieses eklige Zeug aus den Augen! Ich kann doch nichts dafür!“
Er hatte mild gelächelt und gesagt:
„Ich verstehe deinen Kummer. Und ich denke, ich kann dir helfen. Man könnte tatsächlich sagen, dass du nicht normal bist, Carla. Aber das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Diese Fähigkeit zeigt, dass du Superkräfte besitzt!“
Das hatte sie ihm natürlich nicht geglaubt. Der Hausmeister hatte nur mit den Schultern gezuckt und offensichtlich Verständnis dafür gehabt. Er hatte ihr liebevoll über die Haare gestrichen und war dann wieder gegangen. Erst als er verschwunden war, fragte Carla sich verwundert, woher er wohl ihren Namen kannte.
Heute Nachmittag hatte es allerdings an der Tür geklingelt und davor stand niemand anderes als er.
Er hatte sich ihren Eltern als Mr. Smith vorgestellt und ihnen erklärt, dass er eine Erklärung für das seltsame Verhalten ihrer Tochter hätte. Carlas Eltern hatten zunächst ausgesprochen skeptisch reagiert. Das hatten schon viele behauptet, und jedes Mal war es eine Enttäuschung gewesen. Doch schließlich hatte Carla selbst ihre Eltern darum gebeten, dem Hausmeister eine Chance zu geben, weil er so freundlich zu ihr gewesen war.
Nun saß Mr. Smith also auf ihrem Sofa und begann zu erzählen.
„Ich habe volles Verständnis für ihre Skepsis. Aber zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass ich keinesfalls behaupte, Carla in irgendeiner Weise von ihrer Gabe heilen zu können. Ich habe nur eine Erklärung dafür, und wenn sie es möchte, kann ich Ihrer Tochter auch dabei helfen, damit umzugehen. Denn genau das ist es - eine Gabe.
Vielleicht sollte ich etwas länger ausholen. Sie müssen wissen, dass ich zwar als Hausmeister an Carlas Schule arbeite, in Wirklichkeit aber einer anderen Tätigkeit nachgehe. Es ist meine Aufgabe, Schüler mit besonderen Fähigkeiten aufzuspüren. Carla ist mir schon seit einer Weile aufgefallen, weil sie so allein war. Ich habe mich über sie informiert - und deshalb kannte ich auch deinen Namen, falls du dich darüber gewundert hast, mein Kind. Jedenfalls ist diese Einsamkeit in vielen Fällen ein Zeichen für Superkräfte, denn Kinder spüren sehr schnell, wenn jemand anders ist.“
An dieser Stelle unterbrach Carla ihn.
„Die anderen Kinder meiden mich nicht, weil sie irgendetwas spüren, sondern weil aus meinen Augen Spinnenfäden laufen, wenn ich weine! Und ich muss jedes Mal weinen, wenn ich wütend darauf bin, und das macht es nicht besser! Ich kann mich nicht mal an Mamas Schulter ausweinen, denn dann ruiniere ich ihre Klamotten.“
Mr. Smith nickte nur.
„Es war sicher nicht leicht für sie alle, oder?“ Er wartete keine Antwort ab, sondern sprach gleich weiter.
„Jedenfalls habe ich schon einige Jahre Erfahrung und ich kann Ihnen versichern, dass ich es erkenne, wenn jemand Superkräfte besitzt. Bei Carla ist das der Fall. Ihre Fähigkeit mag vielleicht auf den ersten Blick nicht besonders nützlich erscheinen ... “
Wieder konnte Carla nicht mehr an sich halten.
„Diese „Fähigkeit“ erscheint nicht nur nutzlos, sie ist es auch! Ich habe unzählige Bücher darüber gelesen, was Spinnenseide alles kann. Sie ist bezogen auf ihre Masse viermal so belastbar wie Stahl, aber das nützt nichts! Spinnen mögen sich an ihren Fäden abseilen können oder damit durch die Luft fliegen können, aber mich können diese Fäden nicht tragen, weil ich viel zu schwer bin. Und selbst wenn - ich kann mich nicht an einen Faden hängen, der aus meinen Augen herausläuft.“
Auch diese Einwände konnten Mr. Smiths Überzeugung anscheinend nicht erschüttern. Im Gegenteil, er wirkte nun regelrecht begeistert.
„Du hast dich also schon ausführlich damit auseinandergesetzt, Carla? Das ist gut ... das ist sehr gut! Deine Bedenken erscheinen gerechtfertigt, aber ich kann sie zerstreuen. Eine Superkraft wie die deine kann man trainieren. Mit der richtigen Ausbildung wird es dir höchstwahrscheinlich sein, die Spinnenfäden mit dem ganzen Körper zu kontrollieren. Und dann könntest du dich tatsächlich daran abseilen oder damit durch die Luft fliegen.“
Er wandte sich wieder an Carlas Eltern und fuhr fort:
„Kinder mit besonderen Fähigkeiten haben es, wie ich schon erwähnt habe und wie Ihnen sicherlich bewusst ist, an einer normalen Schule oft nicht leicht. Aber es gibt eine Akademie für Menschen mit Superkräften. Dort können sie lernen, damit umzugehen, und werden zu Superhelden. Ihre Tochter wäre an dieser Schule sehr gut aufgehoben. Ich könnte sie dorthin vermitteln, denn wie schon erwähnt arbeite ich als Hausmeister an Carlas bisheriger Schule, um Kinder wie sie ausfindig zu machen.“
Nach diesen Worten blickte er wieder zu Carla und sah ihr tief in die Augen.
„Es ist allein deine Entscheidung. Möchtest du es versuchen? Es lohnt sich, das kann ich dir versprechen!“
Carla sah ihn ebenfalls unverwandt an. Sie musste nicht lange überlegen. Mr. Smith war der erste Mensch gewesen, der in ihrer Fähigkeit einen Sinn, einen Nutzen sah. Deshalb antwortete Carla mit leiser, aber fester Stimme:
„Ja, ich möchte auf diese Schule gehen.“
Die mir zugewiesene Superkraft war die Nummer 77: Spinnenfäden schießen können.
Viel Spaß beim Lesen :)
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Es gab unzählige Geschichten, wie Superhelden ihre Kräfte entdeckt hatten.
Manche hatten in Extremsituationen instinktiv darauf zurückgegriffen und vielen Menschen dadurch das Leben gerettet.
Andere hatten sie irgendwann einfach eingesetzt, als wäre es ganz normal, wodurch ihre Mitmenschen darauf aufmerksam geworden waren.
Doch bei ihr war das anders.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie ihre Superkraft das erste Mal genutzt hatte - wenn man es denn als Superkraft bezeichnen konnte. Denn Carla besaß die Fähigkeit, Spinnenfäden zu schießen. Aber nicht mit ihren Händen - wenn es so wäre, dann hätte das Ganze ja vielleicht noch einen Sinn. Doch die Spinnenfäden liefen aus ihren Augen, und zwar immer dann, wenn sie normalerweise weinen würde.
Ihre Eltern hatten ihr erzählt, dass sie ziemlich erschrocken gewesen waren, als sie ihr Kind das erste Mal so seltsam weinen sahen. Zuerst hatten sie geglaubt, es würde sich dabei um irgendeine Krankheit handeln. Doch kein Arzt konnte das seltsame Phänomen erklären. Schließlich hatten ihre Eltern sich einfach, so gut es ihnen möglich war, damit abgefunden.
Dank ihrer ungewollten Fähigkeit war Carla von anderen stets gemieden worden. Denn weil sie ein sensibles Mädchen war, weinte sie sehr häufig und konnte es nur selten unterdrücken, aber sobald sie jemand trösten wollte, bemerkte er, dass in ihrem Gesicht keine Tränen waren, sondern stattdessen durchsichtige klebrige Fäden. Das hatte sie alle abgeschreckt.
Alle - bis auf einen.
Als sie gestern wie so oft in einer einsamen Ecke der Schule gesessen hatte und sich für sich allein geweint hatte, hatte sie der Hausmeister gefunden. Und er hatte sie lediglich einen Moment lang angeschaut und anschließend gefragt, warum sie weinen würde.
„Das sehen Sie doch!“, hatte sie geantwortet. „Niemand mag mich, weil ich nicht normal bin. Jedes Mal, wenn ich weine, läuft mir anstelle von Tränen dieses eklige Zeug aus den Augen! Ich kann doch nichts dafür!“
Er hatte mild gelächelt und gesagt:
„Ich verstehe deinen Kummer. Und ich denke, ich kann dir helfen. Man könnte tatsächlich sagen, dass du nicht normal bist, Carla. Aber das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Diese Fähigkeit zeigt, dass du Superkräfte besitzt!“
Das hatte sie ihm natürlich nicht geglaubt. Der Hausmeister hatte nur mit den Schultern gezuckt und offensichtlich Verständnis dafür gehabt. Er hatte ihr liebevoll über die Haare gestrichen und war dann wieder gegangen. Erst als er verschwunden war, fragte Carla sich verwundert, woher er wohl ihren Namen kannte.
Heute Nachmittag hatte es allerdings an der Tür geklingelt und davor stand niemand anderes als er.
Er hatte sich ihren Eltern als Mr. Smith vorgestellt und ihnen erklärt, dass er eine Erklärung für das seltsame Verhalten ihrer Tochter hätte. Carlas Eltern hatten zunächst ausgesprochen skeptisch reagiert. Das hatten schon viele behauptet, und jedes Mal war es eine Enttäuschung gewesen. Doch schließlich hatte Carla selbst ihre Eltern darum gebeten, dem Hausmeister eine Chance zu geben, weil er so freundlich zu ihr gewesen war.
Nun saß Mr. Smith also auf ihrem Sofa und begann zu erzählen.
„Ich habe volles Verständnis für ihre Skepsis. Aber zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass ich keinesfalls behaupte, Carla in irgendeiner Weise von ihrer Gabe heilen zu können. Ich habe nur eine Erklärung dafür, und wenn sie es möchte, kann ich Ihrer Tochter auch dabei helfen, damit umzugehen. Denn genau das ist es - eine Gabe.
Vielleicht sollte ich etwas länger ausholen. Sie müssen wissen, dass ich zwar als Hausmeister an Carlas Schule arbeite, in Wirklichkeit aber einer anderen Tätigkeit nachgehe. Es ist meine Aufgabe, Schüler mit besonderen Fähigkeiten aufzuspüren. Carla ist mir schon seit einer Weile aufgefallen, weil sie so allein war. Ich habe mich über sie informiert - und deshalb kannte ich auch deinen Namen, falls du dich darüber gewundert hast, mein Kind. Jedenfalls ist diese Einsamkeit in vielen Fällen ein Zeichen für Superkräfte, denn Kinder spüren sehr schnell, wenn jemand anders ist.“
An dieser Stelle unterbrach Carla ihn.
„Die anderen Kinder meiden mich nicht, weil sie irgendetwas spüren, sondern weil aus meinen Augen Spinnenfäden laufen, wenn ich weine! Und ich muss jedes Mal weinen, wenn ich wütend darauf bin, und das macht es nicht besser! Ich kann mich nicht mal an Mamas Schulter ausweinen, denn dann ruiniere ich ihre Klamotten.“
Mr. Smith nickte nur.
„Es war sicher nicht leicht für sie alle, oder?“ Er wartete keine Antwort ab, sondern sprach gleich weiter.
„Jedenfalls habe ich schon einige Jahre Erfahrung und ich kann Ihnen versichern, dass ich es erkenne, wenn jemand Superkräfte besitzt. Bei Carla ist das der Fall. Ihre Fähigkeit mag vielleicht auf den ersten Blick nicht besonders nützlich erscheinen ... “
Wieder konnte Carla nicht mehr an sich halten.
„Diese „Fähigkeit“ erscheint nicht nur nutzlos, sie ist es auch! Ich habe unzählige Bücher darüber gelesen, was Spinnenseide alles kann. Sie ist bezogen auf ihre Masse viermal so belastbar wie Stahl, aber das nützt nichts! Spinnen mögen sich an ihren Fäden abseilen können oder damit durch die Luft fliegen können, aber mich können diese Fäden nicht tragen, weil ich viel zu schwer bin. Und selbst wenn - ich kann mich nicht an einen Faden hängen, der aus meinen Augen herausläuft.“
Auch diese Einwände konnten Mr. Smiths Überzeugung anscheinend nicht erschüttern. Im Gegenteil, er wirkte nun regelrecht begeistert.
„Du hast dich also schon ausführlich damit auseinandergesetzt, Carla? Das ist gut ... das ist sehr gut! Deine Bedenken erscheinen gerechtfertigt, aber ich kann sie zerstreuen. Eine Superkraft wie die deine kann man trainieren. Mit der richtigen Ausbildung wird es dir höchstwahrscheinlich sein, die Spinnenfäden mit dem ganzen Körper zu kontrollieren. Und dann könntest du dich tatsächlich daran abseilen oder damit durch die Luft fliegen.“
Er wandte sich wieder an Carlas Eltern und fuhr fort:
„Kinder mit besonderen Fähigkeiten haben es, wie ich schon erwähnt habe und wie Ihnen sicherlich bewusst ist, an einer normalen Schule oft nicht leicht. Aber es gibt eine Akademie für Menschen mit Superkräften. Dort können sie lernen, damit umzugehen, und werden zu Superhelden. Ihre Tochter wäre an dieser Schule sehr gut aufgehoben. Ich könnte sie dorthin vermitteln, denn wie schon erwähnt arbeite ich als Hausmeister an Carlas bisheriger Schule, um Kinder wie sie ausfindig zu machen.“
Nach diesen Worten blickte er wieder zu Carla und sah ihr tief in die Augen.
„Es ist allein deine Entscheidung. Möchtest du es versuchen? Es lohnt sich, das kann ich dir versprechen!“
Carla sah ihn ebenfalls unverwandt an. Sie musste nicht lange überlegen. Mr. Smith war der erste Mensch gewesen, der in ihrer Fähigkeit einen Sinn, einen Nutzen sah. Deshalb antwortete Carla mit leiser, aber fester Stimme:
„Ja, ich möchte auf diese Schule gehen.“