Missed Opportunities
von Caribbeani
Kurzbeschreibung
Manche Szenen zwischen Ellen und Nikolas kann man einfach nicht so stehen lassen! Deshalb werden hier einige von ihnen aufgegriffen und weitergeschrieben. Die einzelnen Kapitel basieren jeweils auf einer Folge, sind aber unabhängig voneinander lesbar und nicht chronologisch. Vermutlich sind die Folgen primär aus den Staffeln 5-7. Ideen für Folgen oder sonstige Anregungen sind immer gerne gesehen!
GeschichteLiebesgeschichte / P16 / Gen
Ellen Bannenberg
Nikolas Heldt
25.03.2020
07.01.2022
4
14.730
12
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
6 Reviews
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18.09.2020
3.423
Hallo ihr Lieben!
Hier kommt eine Fortsetzung meiner One- Shot Reihe! :-)
Es setzt am Ende der siebten Folge der sechsten Staffel "Dinner mit Verbrechen 2" ein, nachdem Nikolas und Ellen die Nacht miteinander verbracht haben und gemeinsam den Rückweg nach Bochum antreten.
Lieben Dank an alle, die ein Review zu dem ersten Kapitel dagelassen haben! Auch zu diesem Kapitel sind natürlich Anregungen, Lob und Kritik sehr erwünscht.
Viel Spaß mit dem Kapitel!
____________________________________________________________________________________________________________
Ellens Sicht
Nikolas verstaut meinen Koffer und seine Reisetasche im Kofferraum seines Mercedes. Einhändig leider nicht, die Kofferraumklappe klemmt und er löst seine Hand von meiner, um sie zu öffnen, das Gepäck herein zu heben und sie wieder zu schließen. Ich vermisse sofort unseren Körperkontakt, aber lasse mir nichts anmerken. Es kann ja jetzt auch nicht sein, dass ich, nur weil wir endlich mal mehr oder minder die Karten auf den Tisch gelegt haben, direkt sentimental und anhänglich werde. Andererseits scheint Nikolas keine derartigen Bedenken zu haben, denn er nimmt meine beiden Hände in seine und streichelt mit seinen Daumen über meine Handrücken.
„Bereit?“, fragt er und sieht mich forschend an.
„Ja“, antworte ich automatisch. Aber bereit wofür? Unseren kleinen Kokon hier zu verlassen und zurück zu fahren nach Bochum? Prinzipiell schon, denn abgesehen von letzter Nacht und heute Morgen und heute Nachmittag ist hier nicht allzu viel Schönes passiert. Mich tatsächlich der Realität zu stellen? Wohl kaum. Wäre es nach mir gegangen, wären wir noch geblieben, aber Nikolas hat mich daran erinnert, dass ich versprochen hatte, heute den Abend mit Emmi zu verbringen, die die Tage zuvor bei Stefans Schwester verbracht hat und heute aus Gelsenkirchen zurückkommt. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum ich mich so heftig in Nikolas verliebt habe. Seit er weiß, dass es Emmi gibt, denkt er sie mit. Egal, ob es darum geht, dass mal wieder ein Verrückter hinter mir her ist, ich zu viele Überstunden mache oder er, was in letzter Zeit selten vorkam, bei uns zu Hause zum Pizzaessen ist.
Ich lehne mich ein bisschen vor und küsse ihn. Auf den Mund. Einfach so. Weil ich endlich kann. Wirklich fast ohne Hintergedanken, immerhin ist unser gemeinsames „Vergessen“ im Schloss nicht mal eine Stunde her. Wir grinsen uns an, es ist für uns beide eine ungewöhnliche Situation.
Wir fahren langsam den Kiesweg entlang zur Landstraße und schweigen. Weder Nikolas noch ich haben gerade das Bedürfnis, irgendetwas zu sagen und ich füge „gemeinsam schweigen“ der ohnehin schon langen Liste an Dingen hinzu, die ich gerne mit Nikolas tue. Weder mit Grün, noch mit Korthals wäre das möglich, allerdings schlafe ich (Gott sei Dank!) auch nicht mit ihnen.
Herr Grün. Vor meinem inneren Auge spielt sich die Szene nochmal ab, als die Kollegen aus Duisburg und Essen weggehen. Nikolas und ich sitzen nebeneinander auf der Motorhaube des Streifenwagens, drehen uns gleichzeitig um und sehen den beiden nach. Nikolas ist mir so nah, ich müsste meine Hand nur ein paar Zentimeter verschieben, dann könnte ich ihn berühren. Ich spüre seinen Atem leicht an meinem Ohr und ich würde ihn wirklich gerade gerne einfach anfassen. Mich zurücklehnen, meinen Kopf auf seine Schulter legen, bei ihm sein. Nähe entsteht bei uns ganz automatisch, es kostet mich wirklich in der Regel mehr Überwindung und Konzentration, ihn physisch auf Abstand zu halten.
„Meinst du, Grün hat etwas bemerkt?“, frage ich.
„Was meinst du?“, erwidert er sichtlich verwirrt.
„Naja, wir sitzen so dicht nebeneinander auf dem Streifenwagen und dann „vergessen“ wir zufällig beide was im Schloss?“
Nikolas‘ rechte Hand umschließt meine, während er weiter geradeaus auf die Straße schaut und das Auto steuert. Ich atme einmal tief durch, war mir gar nicht bewusst, wie offensichtlich ich gerade Stresssignale sende.
„Ich glaube, Grün hat es aufgegeben, sich jedes Mal, wenn wir uns komisch benehmen, darüber Gedanken zu machen. Und du saßt ja auch ganz brav neben mir, nicht mal auf mir“ Der letzte Satz. Ich kann Nikolas bei der Vorstellung grinsen hören. Ich muss nicht mal hinschauen.
„Dann hätten wir auch gleich einen Aushang am schwarzen Brett machen können“, erwidere ich relativ säuerlich.
„Hmmm“, macht Nikolas und ich weiß genau, dass seine Gedanken wahrlich nicht dienstlich sind. „Wenn du in Zukunft jedes Mal, nachdem du auf mir gesessen hast, einen Aushang machst... das schwarze Brett würde direkt unterhaltsamer“
Mein Gehirn produziert direkt einen sehr plastischen Flashback von Nikolas und mir. Er liegt in der Mitte des Bettes und sieht mich auf seine ganz eigene Art an. Als wäre ich das Zentrum des Universums, so verliebt, so erregt und exponiert. Ich sitze auf ihm und bewege mich langsam, halte den Blickkontakt. Meine Hände liegen auf seiner Brust, ich spüre seinen Herzschlag, seine Hände auf meinen Hüften. Keiner von uns spricht, wir sehen uns nur an, er lächelt leicht, sieht unglaublich zufrieden aus.
Nikolas blinkt und fährt rechts ran. „Ellen, wovor hast du Angst?“ Er dreht sich in seinem Sitz zu mir und sieht mich fragend an, forschend.
Gute Frage. „Angst ist es nicht. Ich möchte einfach das hier“, ich wedele unbestimmt mit meiner Hand durch das Auto, unfähig zu benennen, was „das hier“, denn genau ist, „noch ein wenig für uns behalten“
„Das werden wir auch, versprochen“
„Aber wie?“, frage ich ihn ratlos. Ich habe so lange alle Gefühle, die Nikolas betrafen, unterdrückt, außer kollegialer Sorge und Wut. Mir erscheint es gerade völlig utopisch, im Präsidium einfach so weiter zu machen, als habe sich nichts geändert.
Ich bin schon mit Hintergedanken auf dieses Teambuilding-Seminar gefahren. Wobei, Hintergedanken ist das falsche Wort. Aber seit ich erfahren habe, dass Nikolas und ich zwei Tage auf diesem Schloss verbringen, fernab von den Kollegen, die uns kennen, habe ich jedes mögliche und unmögliche Szenario dutzendfach in meinem Kopf durchgespielt. Es war nicht mehr von der Hand zu weisen, dass Nikolas und ich praktisch jede Gelegenheit dazu genutzt haben zu flirten. Und wir beide Single sind. Keine Julia, kein Stefan, niemand, der uns abhalten würde. Seine eifersüchtige Reaktion auf den Staatsanwalt hat mich darin nur noch bestärkt. Als würde ich jemals etwas mit so einem Gockel anfangen. Der sich dann, zu allem Überfluss, auch noch als korrupt herausstellte.
Mir war klar, dass ich unmöglich den ersten Schritt auf ihn zu machen konnte. Flirten, ja. Ein aufreizendes Kleid tragen, kein Problem. Aber zu ihm zu gehen und die Situation ausnutzen? Einfach nicht denken und die Initiative ergreifen? Unmöglich. Die Option war ohnehin vom Tisch, da er sich das Zimmer mit dem Kollegen aus Essen teilte. Und so habe ich gewartet. Gehofft, dass er meine Signale verstanden hat, genauso empfindet und mehr Mut hat, als ich. Im Rückblick eine ganz schön große Hoffnung, da Nikolas genauso wenig wie ich dazu tendiert, sich emotional zu exponieren, zu groß ist auch bei ihm die Angst vor Ablehnung. Aber im Gegensatz zu mir trifft er Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Wenn er einmal zu einem Entschluss gekommen ist, dann dreht und wendet er ihn nicht noch unzählige Male im Kopf, sondern handelt.
Selbst als er bei mir im Zimmer steht, ich kann nicht aufhören zu denken. Sind die Kerzen zu auffällig? Merkt er etwas? Ich wippe von einem Beim auf das andere, bin unsicher. Einerseits ist es so klar, ich will ihn, er will mich (jedenfalls glaube ich das), aber andererseits? Ich stehe in meinem Negligé vor ihm, ohne die übliche Staatsanwältinnenbarriere aus Robe und Hosenanzug, nahezu ungeschminkt. Findet er mich überhaupt attraktiv? Wir verfallen in unsere übliche Unterhaltung, einen Schritt vor, zwei zurück, Nikolas behauptet, ihm würde es nicht ausmachen, dass der Kollege aus Essen mir an die Wäsche will. Ich tue so, als sei es für mich das Neuste, dass Nikolas etwas dagegen haben könnte. Und dann fasst er den Mut, den wir beide brauchten. Sobald Nikolas und ich unseren Sicherheitsabstand aufgegeben hatten, sobald er direkt vor mir stand, nachts, aus freien Stücken, in meinem Zimmer, war es endlich auch für mich klar. Ich kann nicht anders, als Körperkontakt herzustellen, ihn am Saum seine T-Shirts zu mir heran zu ziehen. Und auch Nikolas versteht, dass ich auf ihn gewartet habe. Uns ist beiden bewusst, dass wir viel zu verlieren haben. Wir arbeiten fantastisch zusammen, verstehen uns ohne Worte, sorgen füreinander. Wenn ich das mit Nikolas gegen die Wand fahre, dann verliere ich mehr, als nur eine Affäre. Dann verliere ich einen guten Freund, einen fantastischen Kollegen und auch einen wichtigen Bezugspunkt für Emmi.
„Ellen?“
Mir fällt auf, dass ich eine ganze Weile wohl schon nichts mehr gesagt habe. „Wir kriegen das schon hin“, sage ich wenig überzeugt. Aber ich kann jetzt auch keine tiefgehende Beziehungsdiskussion mit Nikolas führen. Ich muss erstmal selbst nachdenken, am besten in der Badewanne, mit einem Glas Rotwein.
Nikolas scheint fürs Erste jedoch überzeugt, er blinkt links und fährt wieder an.
Nikolas‘ Sicht
Ich steuere das Auto entspannt über die Landstraße, Ellen sitzt neben mir und schaut mich gelegentlich an. Am liebsten würde ich es der ganzen Welt erzählen, was zwischen uns passiert ist. Endlich. Ich war mir nicht sicher, wie die Situation in Ellens Zimmer enden würde, bis sie mich an sich gezogen hat. Irgendwas in mir weigert sich sehr hartnäckig zu glauben, dass Ellen tatsächlich genauso für mich empfindet, wie ich für sie. Verrückt eigentlich, denn auch, wenn wir über die ganzen letzten Jahre uns fast nie sexuell wirklich nah waren, Signale gab es genug. Aber ich zweifle immer an mir. Verdiene ich eine Frau wie Ellen überhaupt? Mit all dem Scheiß, den Geheimnissen, die ich mit mir rumtrage, meiner vermurksten Familie. Ich werde ihr nie viel bieten können, mein Gehalt ist nicht schlecht, aber nicht mit dem eines Oberstaatsanwaltes zu vergleichen. Und durch Bestechlichkeit werde ich auch wohl kaum mein Einkommen aufbessern.
Ellen wirkt entspannt, aber reservierter als noch vor zwanzig Minuten. Ich erahne die Gedanken, die sie sich macht. Kann das funktionieren? Was passiert, wenn nicht? Wie soll es funktionieren? Was wird Emily sagen? Mir gehen ähnliche Gedanken durch den Kopf. Wir haben unser sicheres Terrain verlassen, beide in vollem Bewusstsein der möglichen Konsequenzen. Es war nicht dienstlich, so wie unser erster Kuss, es war keine Verzweiflung, wie unser erster Sex. Ich merke, wie ich ungewollt lächle, als ich mich daran erinnere, wie Ellen und ich gestern und heute praktisch übereinander hergefallen sind. Eins der wunderbaren Dinge an Ellen ist, dass sie weiß, was sie will und sich, wenn sie sich einmal dazu entschlossen hat, auch nicht scheut, das auszusprechen. Und verdammt, sie wollte mich. Jeder Kuss, jede Berührung, jeder Blick hat das bestätigt. Aber wir sollten nichts überstürzen. Unser Gespräch eben im Bett: Ja, wir sollten das ab jetzt öfter tun, aber ohne alle Welt darüber zu informieren. Wir müssen eigentlich dringend mehr reden. Offen miteinander sein, die andere Person reinlassen. Mit Julia bin ich direkt von 0 auf 100 innerhalb von ein paar Tagen, aber ich bin nie wirklich in dieser Beziehung angekommen Wir haben kaum geredet und wenn Julia es versucht hat, habe ich meistens abgeblockt. Julia ist eine fantastische Frau, aber einfach nicht die Richtige für mich.. Diese Fehler werde ich mit Ellen nicht wiederholen. Wir müssen reden. Ehrlich miteinander sein. Probleme austragen. Aber ich bin im Moment nicht in der Lage, meine Gedanken zu sortieren und dieses Gespräch zu führen. Die Erinnerungen sind viel zu präsent. Wie Ellen mich angeschaut hat, wie wir kaum die Finger voneinander lassen konnten, wie ihre Haare mein Gesicht gekitzelt haben, als sie im Schlaf ihren Kopf auf meine Brust gelegt hat. Ich drehe meinen Kopf zu ihr und unsere Blicke treffen sich für ein paar Sekunden.
„Nikolas“, sagt Ellen und schlägt dabei ihren belustigt-strengen Ton an, in dem sie entweder mit Emily über Pizza diskutiert oder mit mir über eine Aktion, die Grün mal wieder in den Wahnsinn getrieben hat, weil Dienstvorschrift Nummer 3728 Absatz 2 dagegen spricht.
„Hm?“ Ich wende meinen Blick wieder auf die Straße, gerade noch rechtzeitig um das Ortseingangsschild von Bochum zu sehen und den Fuß vom Gas zu nehmen.
„Ich glaube, du wurdest geblitzt“
Ups. Ja, das kann sein. Der Bremsvorgang gerade innerorts war doch recht stark.
„Ich wurde von meiner Chefin gezwungen. Dienstliche Anordnung, da kann ich mich ja nicht widersetzen. Wo kämen wir denn hin, wenn das Gesetz nicht mehr respektiert wird?“, sage ich und imitiere dabei Ellens Ton.
„Idiot“ Ellen klingt eher belustigt als empört und legt ihre Hand auf meinen Oberschenkel.
Verdammt. Ist das Absicht? Ihre einfache Berührung lässt mich den Gedanken an einen möglichen Strafzettel ganz schnell vergessen. Ich wünschte, wir säßen nicht in meinem Auto sondern irgendwo anders. In ihrem Garten. Auf einer Parkbank. Auf meiner Couch. Irgendwo. Der Drang, sie in den Arm zu nehmen und zu küssen steigt, aber wie, bei 50 km/h? Wir halten vor einer Ampel und ich wage einen Blick rüber zu Ellen. Beruhigenderweise scheine ich nicht der Einzige zu sein, dessen Gedanken abschweifen. Ellen beißt leicht auf ihre Unterlippe während sie mich ansieht und unsere Köpfe nähern sich langsam an. Ich schließe die Augen, als ich Ellens Atem auf meinem Gesicht spüre.
Zwei Dinge gleichzeitig lassen uns auseinander schrecken, bevor überhaupt irgendwas passiert wäre. Hinter uns hupt ein Auto, denn die Ampel ist grün und ich blockiere offensichtlich den Weg. Und Ellens Handy klingelt. Emily. Ellen und ich sehen uns an, enttäuscht und belustigt. Wie ist es passiert und wann, dass wir von ein paar Küssen in fünf Jahren zu Teenagern im Hormonstau geworden sind, die keine Stunde die Finger voneinander lassen können? ‚Vielleicht gestern Abend?‘, souffliert mir eine besserwisserische Stimme in meinem Kopf, die sehr nach Herrn Grün klingt.
Während ich meinen Gedanken nachhänge telefoniert Ellen mit Emily. „Moment“, sagt sie und legt ihre Hand dieses Mal auf meinen Unterarm, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Besser.
„Kannst du einen kleinen Umweg fahren? Emmi ist schon am Bahnhof und hat den Bus verpasst“
„Klar“, erwidere ich und merke, wie ich innerlich nervös werde. Ich bräuchte eigentlich dringend ein bisschen Zeit, um wieder Herr meiner Gedanken und Gefühle zu werden. Natürlich freue ich mich immer, Emmi zu sehen, aber ähnlich wie Ellen hat sie eine sehr gute Beobachtungsgabe und wenig Scheu, unangenehme Fragen zu stellen.
Ellen gibt ihr noch Anweisungen, wo sie auf uns warten soll und legt dann auf.
„Verdammt“, sagt sie im Anschluss.
Ich wende mich ihr zu und ziehe fragend die Augenbrauen hoch.
„Ich hatte eigentlich gehofft, dich noch fünf Minuten für mich zu haben. In einem geparkten Auto“
„Vorder- oder Rücksitz?“, frage ich und mein Mund ist mal wieder schneller als mein Gehirn. Ich weiß, diese Steilvorlage wird Ellen nicht ungenutzt lassen und wir sind schon in Sichtweite des Hauptbahnhofs, also ist weder Zeit für Vorder- noch für Rücksitz.
„Warum nicht beides?“ Ellen grinst mich an, sie weiß genau, was sie mit dieser Äußerung auslöst. Zehn Sekunden später stehen wir jedoch mit dem Auto vor Emmi, sie öffnet die Hintertür, wirft ihren kleinen Koffer auf die Rückbank und steigt ein.
„Hallo Nikolas!“ Sie begrüßt mich mit einem High-five und Ellen mit einem etwas weniger enthusiastischen „Hi Mama“.
Bevor wir die Gelegenheit haben, einen Ton zu sagen, fragt sie direkt weiter: „Wie war es auf dem Schloss? Habt ihr den Wettbewerb gewonnen? Hattet ihr Spaß ohne Herrn Grün und Mario?“
Ellen sieht mich an und ist sichtlich überfordert. Emily hat allerdings auch sehr zielsicher den Finger in die Wunde gelegt. Ob wir Spaß hatten in dem Schloss, ohne Grün und Korthi? Dreimal darf sie raten.
„Ja, doch, war super. Natürlich haben wir gewonnen. Und auch noch einen echten Fall aufgeklärt, oder, Frau Bannenberg?“
Frau Bannenberg, das klingt völlig schräg in meinen Ohren und gekünstelt. Ellen nickt und setzt an, um ihrerseits etwas zu sagen, doch Emmi fragt direkt weiter: „Seit wann duzt ihr euch eigentlich? Eben am Telefon hast du Nikolas geduzt, aber jetzt siezt ihr euch wieder. Ganz schön komisch?!“
„Ehm. Ja Spatz, manchmal duzen wir uns. Wir kennen uns ja auch jetzt schon länger. Aber meistens siezen wir uns, ist ja auch alles rein dienstlich“
Ich sehe Ellen an, dass sie selbst nicht glaubt, was sie sagt und Emily wirkt auch nicht überzeugt.
„Nikolas, bleibst du noch bei uns? Mama und ich wollten Pizza bestellen und einen Film gucken“
Ich fahre vor Schreck fast auf das Auto vor mir auf, als Emily den Vorschlag macht. Ich kann unmöglich mit zu Ellen kommen. Wie sollen Ellen und ich uns denn unauffällig benehmen? Es ist nicht so, als würde ich es nicht wollen. Mit Emmi Zeit zu verbringen macht Spaß, sie entwickelt sich unheimlich schnell, ist sehr intelligent und engagiert. Aber jetzt mit Emily und Ellen den Abend verbringen? Das kann nicht gut gehen.
„Emily, Nikolas ist sehr müde. Wir haben fast die ganze letzte Nacht ermittelt und...“
An dieser Stelle kostet es mich alle Selbstbeherrschung die ich habe, um nicht laut anzufangen zu lachen. Ich schnaube und tarne es kläglich als Niesen. Ist ermitteln jetzt das neue Synonym für Sex?
„Das macht doch nichts, Nikolas kann ja einfach auch bei uns schlafen, auf der Couch oder im Gästezimmer oder so. Schlafanzug und Zahnbürste hat er ja sogar dabei!“
Ganz toll. Ellen und ich sehen uns an, beide irgendwo zwischen resigniert und aufgeregt. Ich möchte eigentlich die Nacht auch gar nicht ohne Ellen verbringen. Aber im Gästezimmer, nur ein paar Meter von ihr entfernt? Das ist Folter.
„Wir können auch die Pizza selber machen und Salat dazu essen“, schlägt Emmi vor, als weder Ellen noch ich reagieren.
„Wenn schon, dann bestellen wir Pizza! Bei unserem Lieblingsitaliener!“, sage ich halbwegs entrüstet.
„Ok“ Emmi wirkt erfreut, aber auch irgendwie so, als sei ich ihr gerade auf den Leim gegangen. Bin ich auch, bei näherem Nachdenken. Mit Pizza.
Ich parke vor Ellens und Emmis Haus und hole unser Gepäck aus dem Kofferraum. Emily scheint im Gegensatz zu ihrer Mutter eher minimalistisch zu verreisen, denn sie trägt ihren Koffer entspannt zur Haustür, während ich mich mit Ellens Sperrgepäck beschäftige. Irgendwie ist es auch schön, denke ich. Fast wie nach Hause kommen aus dem Urlaub. Während Emily vornweg läuft und in ihrer Tasche nach dem Haustürschlüssel kramt, trödeln Ellen und ich bewusst.
„Nikolas, ich bin mir nicht sicher, ob das hier eine gute Idee ist“, sagt Ellen schließlich und sieht mich an.
„Ich kann auch...“, beginne ich und deute vage auf mein Auto. Ellen unterbricht mich sofort. „Nein, du bist hier immer willkommen. Ich möchte nicht, dass du gehst!“
Sie sieht mir fest in die Augen und ich weiß, dass sie den Satz genauso meint, wie sie ihn gesagt hat. Dann jedoch sieht sie mich mit diesem Ellen-Blick an, beißt sich auf die Unterlippe und ich weiß genau, was das Problem ist. Wäre Emily nicht ungefähr zehn Meter von uns entfernt würde sie mich jetzt an sich ziehen, mich leidenschaftlich küssen, vorneweg gehen und mir zurufen: Nikolas, beeil dich lieber mit dem Gepäck oder du verpasst das Beste!“ Da Emily aber nun mal steht wo sie steht und wir uns erst vor ein paar Stunden darauf geeinigt haben, es langsam angehen zu lassen, zu schauen, wie es läuft und niemandem etwas von uns zu sagen, wäre das ziemlich ungünstig. Ich kann nur hoffen, dass ich Ellen nicht so ansehe, wie Ellen mich, denn ich stehe direkt in Emilys Sichtfeld.
„Kommt ihr eigentlich mal oder wollt ihr in der Einfahrt campen?“
„Nee, da gibt’s ja gar keine Pizza!“, rufe ich und gehe auf die Haustür zu. Emily schließt auf, geht rein und Ellen nutzt die Gelegenheit schamlos aus. Sie grinst mich an, fasst mir an den Hintern und murmelt: „Ich hoffe, du hast nicht wirklich vor, im Gästezimmer zu schlafen?“
„Das kommt ganz drauf an“, murmle ich während wir langsam weiter gehen.
„Worauf?“
„Was die Alternative ist“ Ich grinse sie ebenfalls an und ziehe eine Augenbraue hoch. Das Spiel kann ich auch spielen.
„Maaaamaaaa?!“, ruft Emily aus dem Haus. Sie hat wirklich heute ein außergewöhnlich schlechtes Timing.
„Ja Emmi?“, ruft Ellen zurück und verdreht die Augen.
„Kann ich meine Wäsche einfach vor die Waschmaschine legen?“
„Emmi, sortier sie doch bitte, da stehen drei Körbe im Haushaltsraum bei der Waschmaschine und dann mach gleich eine an. Helle Wäsche, dunkle Wäsche und 60 Grad“
„Boah Maamaa“, erwidert Emmi genervt.
„Strategische Teenager-Beschäftigung“, murmelt Ellen und schließt hinter sich die Haustür.
Mir bleibt nicht viel mehr, als die Augenbrauen zu heben, dieses Mal jedoch in Verwirrung. Ellen schiebt mich ins Wohnzimmer und lässt die Tür hinter uns ins Schloss fallen. Ihre Hände sind auf meiner Brust und sie beginnen zu wandern„Bis Emily ihre Wäsche sortiert und die Waschmaschine gepackt hat braucht sie mindestens fünf Minuten. Und bis dahin hab ich dich für mich.“
Hier kommt eine Fortsetzung meiner One- Shot Reihe! :-)
Es setzt am Ende der siebten Folge der sechsten Staffel "Dinner mit Verbrechen 2" ein, nachdem Nikolas und Ellen die Nacht miteinander verbracht haben und gemeinsam den Rückweg nach Bochum antreten.
Lieben Dank an alle, die ein Review zu dem ersten Kapitel dagelassen haben! Auch zu diesem Kapitel sind natürlich Anregungen, Lob und Kritik sehr erwünscht.
Viel Spaß mit dem Kapitel!
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Ellens Sicht
Nikolas verstaut meinen Koffer und seine Reisetasche im Kofferraum seines Mercedes. Einhändig leider nicht, die Kofferraumklappe klemmt und er löst seine Hand von meiner, um sie zu öffnen, das Gepäck herein zu heben und sie wieder zu schließen. Ich vermisse sofort unseren Körperkontakt, aber lasse mir nichts anmerken. Es kann ja jetzt auch nicht sein, dass ich, nur weil wir endlich mal mehr oder minder die Karten auf den Tisch gelegt haben, direkt sentimental und anhänglich werde. Andererseits scheint Nikolas keine derartigen Bedenken zu haben, denn er nimmt meine beiden Hände in seine und streichelt mit seinen Daumen über meine Handrücken.
„Bereit?“, fragt er und sieht mich forschend an.
„Ja“, antworte ich automatisch. Aber bereit wofür? Unseren kleinen Kokon hier zu verlassen und zurück zu fahren nach Bochum? Prinzipiell schon, denn abgesehen von letzter Nacht und heute Morgen und heute Nachmittag ist hier nicht allzu viel Schönes passiert. Mich tatsächlich der Realität zu stellen? Wohl kaum. Wäre es nach mir gegangen, wären wir noch geblieben, aber Nikolas hat mich daran erinnert, dass ich versprochen hatte, heute den Abend mit Emmi zu verbringen, die die Tage zuvor bei Stefans Schwester verbracht hat und heute aus Gelsenkirchen zurückkommt. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum ich mich so heftig in Nikolas verliebt habe. Seit er weiß, dass es Emmi gibt, denkt er sie mit. Egal, ob es darum geht, dass mal wieder ein Verrückter hinter mir her ist, ich zu viele Überstunden mache oder er, was in letzter Zeit selten vorkam, bei uns zu Hause zum Pizzaessen ist.
Ich lehne mich ein bisschen vor und küsse ihn. Auf den Mund. Einfach so. Weil ich endlich kann. Wirklich fast ohne Hintergedanken, immerhin ist unser gemeinsames „Vergessen“ im Schloss nicht mal eine Stunde her. Wir grinsen uns an, es ist für uns beide eine ungewöhnliche Situation.
Wir fahren langsam den Kiesweg entlang zur Landstraße und schweigen. Weder Nikolas noch ich haben gerade das Bedürfnis, irgendetwas zu sagen und ich füge „gemeinsam schweigen“ der ohnehin schon langen Liste an Dingen hinzu, die ich gerne mit Nikolas tue. Weder mit Grün, noch mit Korthals wäre das möglich, allerdings schlafe ich (Gott sei Dank!) auch nicht mit ihnen.
Herr Grün. Vor meinem inneren Auge spielt sich die Szene nochmal ab, als die Kollegen aus Duisburg und Essen weggehen. Nikolas und ich sitzen nebeneinander auf der Motorhaube des Streifenwagens, drehen uns gleichzeitig um und sehen den beiden nach. Nikolas ist mir so nah, ich müsste meine Hand nur ein paar Zentimeter verschieben, dann könnte ich ihn berühren. Ich spüre seinen Atem leicht an meinem Ohr und ich würde ihn wirklich gerade gerne einfach anfassen. Mich zurücklehnen, meinen Kopf auf seine Schulter legen, bei ihm sein. Nähe entsteht bei uns ganz automatisch, es kostet mich wirklich in der Regel mehr Überwindung und Konzentration, ihn physisch auf Abstand zu halten.
„Meinst du, Grün hat etwas bemerkt?“, frage ich.
„Was meinst du?“, erwidert er sichtlich verwirrt.
„Naja, wir sitzen so dicht nebeneinander auf dem Streifenwagen und dann „vergessen“ wir zufällig beide was im Schloss?“
Nikolas‘ rechte Hand umschließt meine, während er weiter geradeaus auf die Straße schaut und das Auto steuert. Ich atme einmal tief durch, war mir gar nicht bewusst, wie offensichtlich ich gerade Stresssignale sende.
„Ich glaube, Grün hat es aufgegeben, sich jedes Mal, wenn wir uns komisch benehmen, darüber Gedanken zu machen. Und du saßt ja auch ganz brav neben mir, nicht mal auf mir“ Der letzte Satz. Ich kann Nikolas bei der Vorstellung grinsen hören. Ich muss nicht mal hinschauen.
„Dann hätten wir auch gleich einen Aushang am schwarzen Brett machen können“, erwidere ich relativ säuerlich.
„Hmmm“, macht Nikolas und ich weiß genau, dass seine Gedanken wahrlich nicht dienstlich sind. „Wenn du in Zukunft jedes Mal, nachdem du auf mir gesessen hast, einen Aushang machst... das schwarze Brett würde direkt unterhaltsamer“
Mein Gehirn produziert direkt einen sehr plastischen Flashback von Nikolas und mir. Er liegt in der Mitte des Bettes und sieht mich auf seine ganz eigene Art an. Als wäre ich das Zentrum des Universums, so verliebt, so erregt und exponiert. Ich sitze auf ihm und bewege mich langsam, halte den Blickkontakt. Meine Hände liegen auf seiner Brust, ich spüre seinen Herzschlag, seine Hände auf meinen Hüften. Keiner von uns spricht, wir sehen uns nur an, er lächelt leicht, sieht unglaublich zufrieden aus.
Nikolas blinkt und fährt rechts ran. „Ellen, wovor hast du Angst?“ Er dreht sich in seinem Sitz zu mir und sieht mich fragend an, forschend.
Gute Frage. „Angst ist es nicht. Ich möchte einfach das hier“, ich wedele unbestimmt mit meiner Hand durch das Auto, unfähig zu benennen, was „das hier“, denn genau ist, „noch ein wenig für uns behalten“
„Das werden wir auch, versprochen“
„Aber wie?“, frage ich ihn ratlos. Ich habe so lange alle Gefühle, die Nikolas betrafen, unterdrückt, außer kollegialer Sorge und Wut. Mir erscheint es gerade völlig utopisch, im Präsidium einfach so weiter zu machen, als habe sich nichts geändert.
Ich bin schon mit Hintergedanken auf dieses Teambuilding-Seminar gefahren. Wobei, Hintergedanken ist das falsche Wort. Aber seit ich erfahren habe, dass Nikolas und ich zwei Tage auf diesem Schloss verbringen, fernab von den Kollegen, die uns kennen, habe ich jedes mögliche und unmögliche Szenario dutzendfach in meinem Kopf durchgespielt. Es war nicht mehr von der Hand zu weisen, dass Nikolas und ich praktisch jede Gelegenheit dazu genutzt haben zu flirten. Und wir beide Single sind. Keine Julia, kein Stefan, niemand, der uns abhalten würde. Seine eifersüchtige Reaktion auf den Staatsanwalt hat mich darin nur noch bestärkt. Als würde ich jemals etwas mit so einem Gockel anfangen. Der sich dann, zu allem Überfluss, auch noch als korrupt herausstellte.
Mir war klar, dass ich unmöglich den ersten Schritt auf ihn zu machen konnte. Flirten, ja. Ein aufreizendes Kleid tragen, kein Problem. Aber zu ihm zu gehen und die Situation ausnutzen? Einfach nicht denken und die Initiative ergreifen? Unmöglich. Die Option war ohnehin vom Tisch, da er sich das Zimmer mit dem Kollegen aus Essen teilte. Und so habe ich gewartet. Gehofft, dass er meine Signale verstanden hat, genauso empfindet und mehr Mut hat, als ich. Im Rückblick eine ganz schön große Hoffnung, da Nikolas genauso wenig wie ich dazu tendiert, sich emotional zu exponieren, zu groß ist auch bei ihm die Angst vor Ablehnung. Aber im Gegensatz zu mir trifft er Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Wenn er einmal zu einem Entschluss gekommen ist, dann dreht und wendet er ihn nicht noch unzählige Male im Kopf, sondern handelt.
Selbst als er bei mir im Zimmer steht, ich kann nicht aufhören zu denken. Sind die Kerzen zu auffällig? Merkt er etwas? Ich wippe von einem Beim auf das andere, bin unsicher. Einerseits ist es so klar, ich will ihn, er will mich (jedenfalls glaube ich das), aber andererseits? Ich stehe in meinem Negligé vor ihm, ohne die übliche Staatsanwältinnenbarriere aus Robe und Hosenanzug, nahezu ungeschminkt. Findet er mich überhaupt attraktiv? Wir verfallen in unsere übliche Unterhaltung, einen Schritt vor, zwei zurück, Nikolas behauptet, ihm würde es nicht ausmachen, dass der Kollege aus Essen mir an die Wäsche will. Ich tue so, als sei es für mich das Neuste, dass Nikolas etwas dagegen haben könnte. Und dann fasst er den Mut, den wir beide brauchten. Sobald Nikolas und ich unseren Sicherheitsabstand aufgegeben hatten, sobald er direkt vor mir stand, nachts, aus freien Stücken, in meinem Zimmer, war es endlich auch für mich klar. Ich kann nicht anders, als Körperkontakt herzustellen, ihn am Saum seine T-Shirts zu mir heran zu ziehen. Und auch Nikolas versteht, dass ich auf ihn gewartet habe. Uns ist beiden bewusst, dass wir viel zu verlieren haben. Wir arbeiten fantastisch zusammen, verstehen uns ohne Worte, sorgen füreinander. Wenn ich das mit Nikolas gegen die Wand fahre, dann verliere ich mehr, als nur eine Affäre. Dann verliere ich einen guten Freund, einen fantastischen Kollegen und auch einen wichtigen Bezugspunkt für Emmi.
„Ellen?“
Mir fällt auf, dass ich eine ganze Weile wohl schon nichts mehr gesagt habe. „Wir kriegen das schon hin“, sage ich wenig überzeugt. Aber ich kann jetzt auch keine tiefgehende Beziehungsdiskussion mit Nikolas führen. Ich muss erstmal selbst nachdenken, am besten in der Badewanne, mit einem Glas Rotwein.
Nikolas scheint fürs Erste jedoch überzeugt, er blinkt links und fährt wieder an.
Nikolas‘ Sicht
Ich steuere das Auto entspannt über die Landstraße, Ellen sitzt neben mir und schaut mich gelegentlich an. Am liebsten würde ich es der ganzen Welt erzählen, was zwischen uns passiert ist. Endlich. Ich war mir nicht sicher, wie die Situation in Ellens Zimmer enden würde, bis sie mich an sich gezogen hat. Irgendwas in mir weigert sich sehr hartnäckig zu glauben, dass Ellen tatsächlich genauso für mich empfindet, wie ich für sie. Verrückt eigentlich, denn auch, wenn wir über die ganzen letzten Jahre uns fast nie sexuell wirklich nah waren, Signale gab es genug. Aber ich zweifle immer an mir. Verdiene ich eine Frau wie Ellen überhaupt? Mit all dem Scheiß, den Geheimnissen, die ich mit mir rumtrage, meiner vermurksten Familie. Ich werde ihr nie viel bieten können, mein Gehalt ist nicht schlecht, aber nicht mit dem eines Oberstaatsanwaltes zu vergleichen. Und durch Bestechlichkeit werde ich auch wohl kaum mein Einkommen aufbessern.
Ellen wirkt entspannt, aber reservierter als noch vor zwanzig Minuten. Ich erahne die Gedanken, die sie sich macht. Kann das funktionieren? Was passiert, wenn nicht? Wie soll es funktionieren? Was wird Emily sagen? Mir gehen ähnliche Gedanken durch den Kopf. Wir haben unser sicheres Terrain verlassen, beide in vollem Bewusstsein der möglichen Konsequenzen. Es war nicht dienstlich, so wie unser erster Kuss, es war keine Verzweiflung, wie unser erster Sex. Ich merke, wie ich ungewollt lächle, als ich mich daran erinnere, wie Ellen und ich gestern und heute praktisch übereinander hergefallen sind. Eins der wunderbaren Dinge an Ellen ist, dass sie weiß, was sie will und sich, wenn sie sich einmal dazu entschlossen hat, auch nicht scheut, das auszusprechen. Und verdammt, sie wollte mich. Jeder Kuss, jede Berührung, jeder Blick hat das bestätigt. Aber wir sollten nichts überstürzen. Unser Gespräch eben im Bett: Ja, wir sollten das ab jetzt öfter tun, aber ohne alle Welt darüber zu informieren. Wir müssen eigentlich dringend mehr reden. Offen miteinander sein, die andere Person reinlassen. Mit Julia bin ich direkt von 0 auf 100 innerhalb von ein paar Tagen, aber ich bin nie wirklich in dieser Beziehung angekommen Wir haben kaum geredet und wenn Julia es versucht hat, habe ich meistens abgeblockt. Julia ist eine fantastische Frau, aber einfach nicht die Richtige für mich.. Diese Fehler werde ich mit Ellen nicht wiederholen. Wir müssen reden. Ehrlich miteinander sein. Probleme austragen. Aber ich bin im Moment nicht in der Lage, meine Gedanken zu sortieren und dieses Gespräch zu führen. Die Erinnerungen sind viel zu präsent. Wie Ellen mich angeschaut hat, wie wir kaum die Finger voneinander lassen konnten, wie ihre Haare mein Gesicht gekitzelt haben, als sie im Schlaf ihren Kopf auf meine Brust gelegt hat. Ich drehe meinen Kopf zu ihr und unsere Blicke treffen sich für ein paar Sekunden.
„Nikolas“, sagt Ellen und schlägt dabei ihren belustigt-strengen Ton an, in dem sie entweder mit Emily über Pizza diskutiert oder mit mir über eine Aktion, die Grün mal wieder in den Wahnsinn getrieben hat, weil Dienstvorschrift Nummer 3728 Absatz 2 dagegen spricht.
„Hm?“ Ich wende meinen Blick wieder auf die Straße, gerade noch rechtzeitig um das Ortseingangsschild von Bochum zu sehen und den Fuß vom Gas zu nehmen.
„Ich glaube, du wurdest geblitzt“
Ups. Ja, das kann sein. Der Bremsvorgang gerade innerorts war doch recht stark.
„Ich wurde von meiner Chefin gezwungen. Dienstliche Anordnung, da kann ich mich ja nicht widersetzen. Wo kämen wir denn hin, wenn das Gesetz nicht mehr respektiert wird?“, sage ich und imitiere dabei Ellens Ton.
„Idiot“ Ellen klingt eher belustigt als empört und legt ihre Hand auf meinen Oberschenkel.
Verdammt. Ist das Absicht? Ihre einfache Berührung lässt mich den Gedanken an einen möglichen Strafzettel ganz schnell vergessen. Ich wünschte, wir säßen nicht in meinem Auto sondern irgendwo anders. In ihrem Garten. Auf einer Parkbank. Auf meiner Couch. Irgendwo. Der Drang, sie in den Arm zu nehmen und zu küssen steigt, aber wie, bei 50 km/h? Wir halten vor einer Ampel und ich wage einen Blick rüber zu Ellen. Beruhigenderweise scheine ich nicht der Einzige zu sein, dessen Gedanken abschweifen. Ellen beißt leicht auf ihre Unterlippe während sie mich ansieht und unsere Köpfe nähern sich langsam an. Ich schließe die Augen, als ich Ellens Atem auf meinem Gesicht spüre.
Zwei Dinge gleichzeitig lassen uns auseinander schrecken, bevor überhaupt irgendwas passiert wäre. Hinter uns hupt ein Auto, denn die Ampel ist grün und ich blockiere offensichtlich den Weg. Und Ellens Handy klingelt. Emily. Ellen und ich sehen uns an, enttäuscht und belustigt. Wie ist es passiert und wann, dass wir von ein paar Küssen in fünf Jahren zu Teenagern im Hormonstau geworden sind, die keine Stunde die Finger voneinander lassen können? ‚Vielleicht gestern Abend?‘, souffliert mir eine besserwisserische Stimme in meinem Kopf, die sehr nach Herrn Grün klingt.
Während ich meinen Gedanken nachhänge telefoniert Ellen mit Emily. „Moment“, sagt sie und legt ihre Hand dieses Mal auf meinen Unterarm, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Besser.
„Kannst du einen kleinen Umweg fahren? Emmi ist schon am Bahnhof und hat den Bus verpasst“
„Klar“, erwidere ich und merke, wie ich innerlich nervös werde. Ich bräuchte eigentlich dringend ein bisschen Zeit, um wieder Herr meiner Gedanken und Gefühle zu werden. Natürlich freue ich mich immer, Emmi zu sehen, aber ähnlich wie Ellen hat sie eine sehr gute Beobachtungsgabe und wenig Scheu, unangenehme Fragen zu stellen.
Ellen gibt ihr noch Anweisungen, wo sie auf uns warten soll und legt dann auf.
„Verdammt“, sagt sie im Anschluss.
Ich wende mich ihr zu und ziehe fragend die Augenbrauen hoch.
„Ich hatte eigentlich gehofft, dich noch fünf Minuten für mich zu haben. In einem geparkten Auto“
„Vorder- oder Rücksitz?“, frage ich und mein Mund ist mal wieder schneller als mein Gehirn. Ich weiß, diese Steilvorlage wird Ellen nicht ungenutzt lassen und wir sind schon in Sichtweite des Hauptbahnhofs, also ist weder Zeit für Vorder- noch für Rücksitz.
„Warum nicht beides?“ Ellen grinst mich an, sie weiß genau, was sie mit dieser Äußerung auslöst. Zehn Sekunden später stehen wir jedoch mit dem Auto vor Emmi, sie öffnet die Hintertür, wirft ihren kleinen Koffer auf die Rückbank und steigt ein.
„Hallo Nikolas!“ Sie begrüßt mich mit einem High-five und Ellen mit einem etwas weniger enthusiastischen „Hi Mama“.
Bevor wir die Gelegenheit haben, einen Ton zu sagen, fragt sie direkt weiter: „Wie war es auf dem Schloss? Habt ihr den Wettbewerb gewonnen? Hattet ihr Spaß ohne Herrn Grün und Mario?“
Ellen sieht mich an und ist sichtlich überfordert. Emily hat allerdings auch sehr zielsicher den Finger in die Wunde gelegt. Ob wir Spaß hatten in dem Schloss, ohne Grün und Korthi? Dreimal darf sie raten.
„Ja, doch, war super. Natürlich haben wir gewonnen. Und auch noch einen echten Fall aufgeklärt, oder, Frau Bannenberg?“
Frau Bannenberg, das klingt völlig schräg in meinen Ohren und gekünstelt. Ellen nickt und setzt an, um ihrerseits etwas zu sagen, doch Emmi fragt direkt weiter: „Seit wann duzt ihr euch eigentlich? Eben am Telefon hast du Nikolas geduzt, aber jetzt siezt ihr euch wieder. Ganz schön komisch?!“
„Ehm. Ja Spatz, manchmal duzen wir uns. Wir kennen uns ja auch jetzt schon länger. Aber meistens siezen wir uns, ist ja auch alles rein dienstlich“
Ich sehe Ellen an, dass sie selbst nicht glaubt, was sie sagt und Emily wirkt auch nicht überzeugt.
„Nikolas, bleibst du noch bei uns? Mama und ich wollten Pizza bestellen und einen Film gucken“
Ich fahre vor Schreck fast auf das Auto vor mir auf, als Emily den Vorschlag macht. Ich kann unmöglich mit zu Ellen kommen. Wie sollen Ellen und ich uns denn unauffällig benehmen? Es ist nicht so, als würde ich es nicht wollen. Mit Emmi Zeit zu verbringen macht Spaß, sie entwickelt sich unheimlich schnell, ist sehr intelligent und engagiert. Aber jetzt mit Emily und Ellen den Abend verbringen? Das kann nicht gut gehen.
„Emily, Nikolas ist sehr müde. Wir haben fast die ganze letzte Nacht ermittelt und...“
An dieser Stelle kostet es mich alle Selbstbeherrschung die ich habe, um nicht laut anzufangen zu lachen. Ich schnaube und tarne es kläglich als Niesen. Ist ermitteln jetzt das neue Synonym für Sex?
„Das macht doch nichts, Nikolas kann ja einfach auch bei uns schlafen, auf der Couch oder im Gästezimmer oder so. Schlafanzug und Zahnbürste hat er ja sogar dabei!“
Ganz toll. Ellen und ich sehen uns an, beide irgendwo zwischen resigniert und aufgeregt. Ich möchte eigentlich die Nacht auch gar nicht ohne Ellen verbringen. Aber im Gästezimmer, nur ein paar Meter von ihr entfernt? Das ist Folter.
„Wir können auch die Pizza selber machen und Salat dazu essen“, schlägt Emmi vor, als weder Ellen noch ich reagieren.
„Wenn schon, dann bestellen wir Pizza! Bei unserem Lieblingsitaliener!“, sage ich halbwegs entrüstet.
„Ok“ Emmi wirkt erfreut, aber auch irgendwie so, als sei ich ihr gerade auf den Leim gegangen. Bin ich auch, bei näherem Nachdenken. Mit Pizza.
Ich parke vor Ellens und Emmis Haus und hole unser Gepäck aus dem Kofferraum. Emily scheint im Gegensatz zu ihrer Mutter eher minimalistisch zu verreisen, denn sie trägt ihren Koffer entspannt zur Haustür, während ich mich mit Ellens Sperrgepäck beschäftige. Irgendwie ist es auch schön, denke ich. Fast wie nach Hause kommen aus dem Urlaub. Während Emily vornweg läuft und in ihrer Tasche nach dem Haustürschlüssel kramt, trödeln Ellen und ich bewusst.
„Nikolas, ich bin mir nicht sicher, ob das hier eine gute Idee ist“, sagt Ellen schließlich und sieht mich an.
„Ich kann auch...“, beginne ich und deute vage auf mein Auto. Ellen unterbricht mich sofort. „Nein, du bist hier immer willkommen. Ich möchte nicht, dass du gehst!“
Sie sieht mir fest in die Augen und ich weiß, dass sie den Satz genauso meint, wie sie ihn gesagt hat. Dann jedoch sieht sie mich mit diesem Ellen-Blick an, beißt sich auf die Unterlippe und ich weiß genau, was das Problem ist. Wäre Emily nicht ungefähr zehn Meter von uns entfernt würde sie mich jetzt an sich ziehen, mich leidenschaftlich küssen, vorneweg gehen und mir zurufen: Nikolas, beeil dich lieber mit dem Gepäck oder du verpasst das Beste!“ Da Emily aber nun mal steht wo sie steht und wir uns erst vor ein paar Stunden darauf geeinigt haben, es langsam angehen zu lassen, zu schauen, wie es läuft und niemandem etwas von uns zu sagen, wäre das ziemlich ungünstig. Ich kann nur hoffen, dass ich Ellen nicht so ansehe, wie Ellen mich, denn ich stehe direkt in Emilys Sichtfeld.
„Kommt ihr eigentlich mal oder wollt ihr in der Einfahrt campen?“
„Nee, da gibt’s ja gar keine Pizza!“, rufe ich und gehe auf die Haustür zu. Emily schließt auf, geht rein und Ellen nutzt die Gelegenheit schamlos aus. Sie grinst mich an, fasst mir an den Hintern und murmelt: „Ich hoffe, du hast nicht wirklich vor, im Gästezimmer zu schlafen?“
„Das kommt ganz drauf an“, murmle ich während wir langsam weiter gehen.
„Worauf?“
„Was die Alternative ist“ Ich grinse sie ebenfalls an und ziehe eine Augenbraue hoch. Das Spiel kann ich auch spielen.
„Maaaamaaaa?!“, ruft Emily aus dem Haus. Sie hat wirklich heute ein außergewöhnlich schlechtes Timing.
„Ja Emmi?“, ruft Ellen zurück und verdreht die Augen.
„Kann ich meine Wäsche einfach vor die Waschmaschine legen?“
„Emmi, sortier sie doch bitte, da stehen drei Körbe im Haushaltsraum bei der Waschmaschine und dann mach gleich eine an. Helle Wäsche, dunkle Wäsche und 60 Grad“
„Boah Maamaa“, erwidert Emmi genervt.
„Strategische Teenager-Beschäftigung“, murmelt Ellen und schließt hinter sich die Haustür.
Mir bleibt nicht viel mehr, als die Augenbrauen zu heben, dieses Mal jedoch in Verwirrung. Ellen schiebt mich ins Wohnzimmer und lässt die Tür hinter uns ins Schloss fallen. Ihre Hände sind auf meiner Brust und sie beginnen zu wandern„Bis Emily ihre Wäsche sortiert und die Waschmaschine gepackt hat braucht sie mindestens fünf Minuten. Und bis dahin hab ich dich für mich.“