Gotta Get It Right
von nikkinvin
Kurzbeschreibung
Alternatives Ende & Fortsetzung zu meinem OS "Still" // Was wäre passiert, wenn Vince nicht gegangen wäre? Nikki sieht ein, dass er dringend einen Entzug braucht, doch die Sucht hat noch immer so viel Macht über ihn, dass er sie unmöglich allein besiegen kann. Vince versucht alles, um ihm zu helfen und gerät dabei Stück für Stück an den Rand des Erträglichen und sogar darüber hinaus. Wie viel kann selbst die tiefste Freundschaft ertragen? Sind ihre Gefühle füreinander stark genug, um diese Zerreißprobe durchzustehen? Oder werden sie endgültig daran zerbrechen? (Nikki Sixx/Vince Neil)
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Nikki Sixx
Vince Neil
08.02.2020
04.04.2020
9
46.164
5
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08.02.2020
4.441
Seid gegrüßt, ihr Lieben! Da unser lieber, süßer Vince heute Geburtstag hat, dachte ich, es wäre die perfekte Gelegenheit um das erste Kapitel dieser Story hochzuladen. Ich habe schon ein paar geschrieben und werde versuchen, wöchentlich zu posten, aber versprechen kann ich nichts. Das hier soll keine ewig lange Geschichte von 30+ Kapiteln werden. Ich plane momentan so ca 5-10, aber auch hier will ich mich noch nicht festlegen. Über Rückmeldungen von euch freue ich mich natürlich wie immer sehr :)
Das hier ist das alternative Ende bzw. die Fortsetzung zu meinem OS "Still" und es wäre vermutlich klug, diesen zu lesen, bevor ihr euch auf die Story hier stürzt. Zwingend notwendig ist es aber nicht, da der erste kursiv geschriebene Absatz aus meinem OS stammt und eigentlich das Meiste erklären dürfte. Hoffe ich zumindest xD
Jedes Kapitel hat quasi einen "Titelsong", den ich als ganz passend empfinde. Jeder davon ist von der großartigen Band Sixx: A.M., die ja ebenfalls von Nikki Sixx gegründet wurde. Dem ein oder anderen sind vielleicht auch die Heroin Diaries von Nikki ein Begriff. Und Sixx: A.M. wurde ja ursprünglich ins Leben gerufen, um den Soundtrack zum Buch aufzunehmen. Das ist ein weiterer Grund, wieso ich mich für diese Band entschieden habe und jeder Song wird am Anfang oben verlinkt. Ich empfehle euch, mal reinzuhören, sie sind alle großartig. Der erste Song heißt Accidents can happen und stammt aus dem Album The Heroin Diaries Soundtrack von 2007.
Ein großes Dankeschön an die wundervolle KatieC, die mir bei der Formulierung der Kurzbeschreibung geholfen hat <3
WARNUNG: Drugs
Die Jungs von Mötley Crüe gehören ausschließlich sich selbst, ich leihe sie mir nur für diesen OS aus und verdiene damit kein Geld. Die Idee stammt aber von mir.
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Über zehn Jahre lang hatten sie sich davor gedrückt, über jene Nacht zu sprechen, aber Nikkis Reaktion heute im Studio hatte Vince wachgerüttelt. Wenn sie jetzt nicht endlich klärten, wo sie standen, würden sie es nie schaffen. Er hasste es, den ersten Schritt zu machen, aber darauf, dass Nikki es tat, brauchte er nicht hoffen. Sein Herz klopfte heftiger, als er zuzugeben bereit war, während er an seine Tür klopfte und es dauerte fast zwei Minuten, bis Nikki endlich öffnete. Sein überraschter Ausdruck machte ihm deutlich, dass Nikki nicht mit ihm gerechnet hatte, doch anders als erwartet fing er dieses Mal keinen Streit an. Es fiel Vince so unglaublich schwer, dieses Thema anzusprechen und bereits nach wenigen Minuten schoss ihm die Röte in die Wangen. Glücklicherweise war es in Nikkis Wohnung ziemlich dunkel, denn der Bassist hasste es, wenn das große Deckenlicht eingeschaltet war. Meistens hatte er nur die Stehlampe neben seinem Sofa an, die das Wohnzimmer in ein schummeriges Licht tauchte, doch Vince war sich sicher, dass Nikki ihm trotzdem ansehen konnte, wie unangenehm er dieses Gespräch fand. Er war mit dem Vorsatz hergekommen, ruhig mit ihm zu reden und dieses Mal nicht zu streiten, doch er hatte erwartet, dass Nikki ihn trotzdem wieder anschreien und alles abblocken würde. Aber er tat es nicht. Stundenlang saßen sie zusammen und endlich schafften sie es, all das Unausgesprochene zwischen ihnen anzusprechen. Es hatte zwölf Jahre, eine Überdosis, eine Trennung, ein missglücktes Album, unendlich viel Schmerz und Streit und Skylars Tod gebraucht, damit sie es auf die Reihe bekamen und jetzt besaß keiner von ihnen mehr die Kraft, die Fassade aufrechtzuerhalten. Vince sagte ihm auch ehrlich, dass er sich Sorgen machte, weil Nikki wieder mit dem Heroin angefangen hatte und das auch zurecht, wie ihm schon heute im Studio klargeworden war. Nikki sah einfach fürchterlich aus. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, er zitterte am ganzen Körper und seine Angespanntheit konnte Vince beinahe greifen. Genauso hatte Nikki auch damals ausgesehen, kurz bevor er im Dezember 87 seine zweite Überdosis gehabt hatte und Vince wollte das nicht nochmal miterleben müssen. Nikki versprach ihm, dass er einen Entzug machen und endgültig mit dem Heroin aufhören würde und das sagte er derart überzeugt, dass Vince ihm glaubte. Endlich hatten sie alles geklärt und es war nicht halb so schlimm gewesen, wie Vince es sich immer vorgestellt hatte. Er verfluchte die Tatsache, dass sie jahrelang so stur und uneinsichtig gewesen waren und jetzt fühlte er sich wahnsinnig befreit. Mittlerweile war es schon weit nach ein Uhr nachts und Vince konnte vor Müdigkeit kaum die Augen offenhalten, doch Nikki bat ihn, noch zu bleiben. Gemeinsam machten sie es sich auf der Couch bequem, während Nikki auf der Suche nach etwas halbwegs Vernünftigem durch sämtliche Fernsehkanäle zappte und schließlich blieben sie bei irgendeiner mitternächtlichen Satiresendung über Politik hängen, wovon sie zwar nur die Hälfte verstanden, aber das war egal. So konnten sie nebenher noch in Ruhe über alles Mögliche reden und zusammen eine Flasche Whiskey leeren. Völlig unerwartet nahm Nikki plötzlich seine Hand und ehe Vince irgendwie reagieren konnte, hatte er sich schon zu ihm herübergebeugt und ihm einen Kuss auf die Lippen gedrückt. Das schockte ihn so sehr, dass es fast eine halbe Minute dauerte, bis er realisiert hatte, dass er den Kuss gerade erwiderte. Das war genau das, was er wollte und gleichzeitig das, was er überhaupt nicht wollte. Es fühlte sich gut und richtig an, aber er wusste, dass es falsch und abartig war. Das durften sie nicht und Vince war ganz kurz davor, einen feuchten Dreck darauf zu geben, als sein Verstand die Oberhand gewann und er Nikki von sich schob. “Ich muss los, is‘ schon spät“, murmelte er undeutlich, ehe er aufsprang und die Flucht ergriff. Den verletzten Ausdruck in Nikkis Augen würde er niemals vergessen, aber er war der festen Überzeugung, dass er das Richtige tat.
“Vince, warte! Bitte, ich… Schaff‘ das nicht alleine.“ Er war schon fast zur Tür raus, als Nikki ihn zurückrief und die pure Verzweiflung in seiner Stimme sprach Bände. Den letzten Satz hatte er nur geflüstert und seit Vince ihn kannte, hatte er noch nie zugegeben, dass er Hilfe brauchte. Das war auch der Grund, warum er innehielt und sich langsam wieder zu Nikki umdrehte. Wie ein Häufchen Elend saß er mit gesenktem Kopf auf dem Sofa, während er mit den Fingern nervös am Saum seines Shirts herumspielte. Das erinnerte Vince stark an Skylar, denn sie hatte immer genau dasselbe getan, wenn er sie bei einer Dummheit erwischt hatte und diese Erinnerung löste sofort einen schmerzhaften Stich in seiner Brust aus. So unendlich viele Gedanken schossen ihm so schnell durch den Kopf, dass er keinen davon zu fassen bekam, während er verloren im Türrahmen stand, die Klinke noch in der Hand haltend. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Vince wusste genau, wie diese Nacht enden würde, wenn er blieb. Und er wusste auch, wie sie endete, wenn er ging. Ganz langsam und mit einem mulmigen Gefühl im Magen schloss er die Tür wieder, ehe er vorsichtig zurück zum Sofa ging und sich neben Nikki setzte. Dieser hob den Kopf und schaute ihn überrascht, aber auch unendlich hoffnungsvoll an und Vince versuchte krampfhaft, das seltsame Kribbeln in seinem Magen zu ignorieren. Er hätte etwas essen sollen, bevor er eine halbe Flasche Whiskey auf Ex getrunken hatte und vermutlich durfte er gleich ins Bad laufen, um sich zu übergeben.
“Aber lass deine Zunge bei dir, verstanden?“, murrte er ruppiger, als beabsichtigt und selbst im schummerigen Licht der Stehlampe konnte er sehen, wie Nikki die Röte in die Wangen schoss. Schon tat Vince sein Verhalten leid, aber eine Entschuldigung brachte er nicht über sich. Nikki senkte erneut den Blick und er sah aus, wie ein geprügelter Hund. So traurig und verloren, dass es Vince schon fast wehtat und ehe er überhaupt wusste, was er tat, rückte er ein Stück näher an Nikki heran und er zog ihn in eine feste Umarmung. Er hasste es wie die Pest, dass es sich verdammt gut anfühlte, als Nikki den Kopf auf seine Schulter legte und Vince konnte seinen unregelmäßigen Atem am Hals spüren, was ihm sofort einen warmen Schauer über den Rücken jagte. Anscheinend setzten bei ihm schon die ersten Entzugserscheinungen ein und Vince wusste nicht so recht, wie er damit umgehen sollte.
“Manche Kliniken bieten auch Nacht-Check-Ins an. Vielleicht...“ Weiter kam er nicht, denn Nikki stieß ihn sofort von sich, ehe er ihn geschockt ansah.
“Ich geh auf keinen Fall nochmal in ‘ne Klinik!“, fauchte er wütend und bereits jetzt fühlte Vince sich überfordert. Der Heroinentzug war der Schlimmste Entzug, den es gab und obendrein auch nicht ungefährlich, aber er erinnerte sich gut, wie sehr Nikki es damals in der Klinik gehasst hatte. Er kam nicht damit klar, eingesperrt zu sein und die Kontrolle abzugeben, doch Vince traute sich nicht zu, ihm dabei zu helfen. Von Medizin hatte er überhaupt keine Ahnung und er wusste auch nicht, wie man mit einem Heroinsüchtigen auf Entzug am besten umgehen sollte. Leider war er damals bei ihrem gemeinsamen Aufenthalt in der Klinik zu sehr mit sich selbst und seiner Tabletten- und Kokainsucht beschäftigt gewesen, um wirklich auf Nikki zu achten. Was er allerdings mitbekommen hatte, war, dass der Bassist sich tagelang fast pausenlos übergeben hatte, sich vor Schmerzen kaum bewegen konnte und oft unglaublich aggressiv reagiert hatte. Mehr als einmal war er auf einen der Krankenpfleger losgegangen und sie hatten ihn sogar ein oder zwei Mal sedieren müssen, um ihn ruhigzustellen, weil er eine Gefahr für sich selbst und andere gewesen war. Abgesehen davon war er sich ziemlich sicher, dass Nikki ihm nicht genug vertraute, um die Kontrolle abzugeben und in seinem Zustand würde er wohl keine guten Entscheidungen treffen können. Nichtsdestotrotz konnte Vince ihn nicht dazu zwingen und er war schon unglaublich froh, dass Nikki einem Entzug überhaupt zugestimmt hatte.
“Schön, von mir aus, dann bleib eben hier. Aber ich werd‘ dir das Heroin jedes Mal aus der Hand schlagen, klar?“, erwiderte er so ruhig, aber bestimmend wie möglich und Nikki schaute ihn eine ganze Weile nur an, ehe er schließlich wortlos nickte und wieder den Blick senkte. Vince hasste ihn dafür, dass er ihm einfach ungefragt diese Verantwortung aufbürdete und doch war er fest entschlossen, Nikki irgendwie durch diesen Entzug zu bringen. Er hatte schon nichts tun können, als Skylar gestorben war und er würde auf keinen Fall zulassen, dass er Nikki auch noch verlor.
Vince wollte ihn wieder in den Arm nehmen, doch Nikki wehrte sich verbissen und stieß ihn immer wieder von sich. Er spürte, wie in seinem Inneren der altbekannte Zorn aufloderte, weil er genau wusste, dass Nikki das nur aus Prinzip tat. Um nicht schwach zu wirken und sich eingestehen zu müssen, dass er Vince brauchte. Dieser verdammte Idiot würde sich nie ändern und Vince war kurz davor, einfach alles hinzuschmeißen und zu gehen, als Nikki schließlich aufgab und sich in seine Arme sinken ließ. Er zitterte am ganzen Körper und Vince drückte ihn fest an sich, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Ihm graute es jetzt schon davor, wenn der richtige Entzug einsetzte und er hoffte inständig, dass er Nikki dann von seinen Dummheiten abhalten konnte. Müde ließ er den Kopf gegen die Rückenlehne der Couch sinken und für ein paar Stunden Schlaf würde er beinahe jemanden ermorden. Bisher hatte Vince sich sein ganzes Leben lang einen Dreck um andere Leute geschert und nur auf sein eigenes Wohl Wert gelegt. Die einzige Ausnahme hatte Skylar gebildet und er verstand nicht, woher diese plötzliche Fürsorge kam. Sicher, Nikki war ihm wichtig und er bedeutete ihm viel, aber es war weder seine Schuld, noch sein Problem, dass er sich mit dem verdammten Heroin langsam umbrachte. Nach seinem ersten Entzug hätte er mit dem Scheiß nicht wieder anfangen sollen. Nikki war selbst schuld an dem Schlamassel und es wäre nur fair, dass er allein zusehen sollte, wie er da wieder herauskam. Vince wusste aber, dass Nikki es ohne Hilfe niemals schaffen würde, clean zu werden. Aber warum musste ausgerechnet er der Idiot sein, der ihn dabei unterstützte? Ein klassischer Fall von Zur falschen Zeit am falschen Ort hatte ihm das eingebrockt und er spürte, wie ihm das alles jetzt schon zu viel wurde. Wie gern würde er einfach abhauen, sich betrinken und den ganzen Mist vergessen, aber er… Konnte nicht. Wenn er jetzt ging, war Nikki wahrscheinlich in wenigen Tagen tot und so sehr Vince es auch versuchte, er konnte diese Tatsache nicht ignorieren.
“Wenn du gehen willst, geh doch. Ich komme auch ohne dich zurecht“, fauchte Nikki trotzig, ehe er sich ruppig aus Vince‘ Umarmung befreite, doch sowohl sein Tonfall, als auch sein Blick straften seine Worte Lügen. Vince konnte ihn nur perplex mit offenem Mund anstarren und er verstand nicht, was er jetzt schon wieder falsch gemacht hatte.
“Bist du bescheuert? Entscheide dich mal, was du willst“, gab er genervt zurück und sein Vorsatz, ruhig zu bleiben, löste sich augenblicklich in Luft auf. Nikki schnaufte gereizt, ehe er aufsprang und sich mit beiden Händen durch die Haare fuhr. Er sah unglaublich verzweifelt aus und Vince war hin und hergerissen zwischen seiner Wut auf ihn und dem Wunsch, Nikki unbedingt helfen zu wollen.
“Du bist noch angespannter als ich und jedes Mal, wenn ich dich bloß anfasse, verkrampfst du dich total. Ich seh‘ doch, dass du keinen Bock hast, hier zu sein. Also hau doch einfach ab!“, rief er wütend, bevor er demonstrativ in eine andere Richtung blickte und die Arme bockig vor der Brust verschränkte. Vince war gar nicht aufgefallen, dass er sich verkrampft hatte, aber es stimmte. Allerdings lag das nicht an Nikki per se, sondern daran, dass er Angst hatte. Angst, dass erneut das passierte, was vor zwölf Jahren geschehen war. Die Tatsache, dass sich sein Herzschlag sofort beschleunigte und er sich wahnsinnig wohlfühlte, sobald Nikki ihn berührte, machte ihm nur noch mehr Sorgen, aber das wollte er nicht offen zugeben.
“Vor zehn Minuten hast du mich noch angebettelt, hier zu bleiben!“, entgegnete Vince genauso laut und er hatte langsam genug von Nikkis Trotz und seinen ewigen Stimmungsschwankungen.
“Ich hatte ‘nen schwachen Moment! Verpiss dich, ich brauch‘ dich ganz sicher nicht!“, fauchte er bissig und trotz des schlechten Lichtes konnte Vince in seinen Augen sehen, dass er selbst nicht so recht verstand, wieso er das tat. Er wollte es eigentlich gar nicht, aber für Nikki gab es jetzt kein Zurück mehr. Niemals würde er sich entschuldigen, einlenken oder zugeben, dass er übertrieb und auch von seinem verdammten Stolz hatte Vince die Nase voll. Er stand ebenfalls auf und schubste Nikki so fest, dass er stolperte und auf seinem Hintern landete, ehe er Vince überrascht ansah.
“Du undankbarer Bastard, du kannst mich mal! Ich versuche hier, dir zu helfen, aber wenn du das nicht nötig hast, von mir aus. Jedes Mal derselbe Scheiß. Du schnauzt mich voll, weil du dir irgendwas einbildest und mir reicht’s jetzt. Ich dachte echt, du hast langsam mal begriffen, was du mit deinem Trotz anrichtest, aber von wegen, du wirst dich nie ändern. Sieh zu, wie du clean wirst oder bring dich halt um mit deinem scheiß Heroin, is‘ mir egal!“ Nikki saß reglos auf dem Boden und er starrte Vince geschockt an, während dieser ihn anschrie. Er hätte echt heulen können. Gerade mal einen Tag hatte es gedauert, bis er und Nikki sich wieder gegenseitig an die Kehle gingen und Vince realisierte, dass sich rein gar nichts geändert hatte. Er hatte so sehr gehofft und so fest daran geglaubt, dass es ab jetzt anders sein würde, aber nein. Nikki war immer noch derselbe sture Kontrollfreak, der auf alles, was ihm nicht passte, trotzig und aggressiv reagierte, während Vince sich immer noch jedes verdammte Mal provozieren ließ und darauf ansprang. Er hatte wirklich versucht, auf Nikki zuzugehen, aber das hier war einfach zu viel. Ohne ein weiteres Wort lief er an ihm vorbei zur Tür und er schlug sie mit einem lauten Knall hinter sich zu.
Eine Stunde und eine Flasche Whiskey später wurde Vince klar, dass er genauso ein sturer Idiot war, wie Nikki. Sicher, niemand verhielt sich so trotzig und aggressiv, wie Nikki, aber er selbst hatte gerade auch Mist gebaut. Er hätte einfach zugeben sollen, dass er sich fürchtete, aber stattdessen hatte er zurückgeschnauzt. Langsam war er auch bis auf die Knochen durchgefroren, denn sie hatten bereits Ende November und sein dünnes Sweatshirt hielt ihn kein bisschen warm. In seinem angetrunkenen Zustand sollte er jetzt auch definitiv die Hände vom Lenkrad lassen und so blieb ihm nichts Anderes übrig, als zurück zu Nikki zu gehen. Dass er sich problemlos ein Taxi rufen könnte, ignorierte er, denn Vince war absolut nicht wohl dabei, Nikki zu lang alleinzulassen. Inzwischen bereute er das, was er im Zorn zu ihm gesagt hatte. Mal abgesehen davon, dass das meiste davon gelogen war. Er wollte auf keinen Fall, dass Nikki sich mit dem Heroin umbrachte und er würde es nicht ertragen, wenn das das Letzte wäre, was er zu ihm gesagt hatte. Wahrscheinlich war der Bassist immer noch sauer und deshalb machte er ihm auch sicherlich nicht die Tür auf, sodass Vince ohne anzuklopfen direkt nach dem Ersatzschlüssel griff. Der Türrahmen ragte ungefähr drei Zentimeter aus der Wand heraus und Nikki hatte den Schlüssel oben in dieser daraus entstehenden Einbuchtung platziert, weil er sich selbst schon des Öfteren ausgesperrt hatte, wenn er high oder betrunken gewesen war. Vince wusste nicht so recht, was er ihm jetzt sagen sollte, doch für ihn gab es kein Zurück. Nikki brauchte dringend seine Hilfe und sie mussten beide endlich lernen, vor Problemen nicht immer nur davonzulaufen. Vorsichtig öffnete Vince die Tür und sofort erblickte er Nikki, der vor seiner Couch auf dem Boden lag und offensichtlich nicht bei Bewusstsein war. Die Spritze steckte noch in seinem Arm und Vince rutschte das Herz in die Hose. Mit einem lauten Knall ließ er die Tür ins Schloss fallen, ehe er zu Nikki rannte und sich neben ihm auf den Teppich sinken ließ. Er spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug und er hatte wahnsinnige Angst, dass er es mal wieder mit seiner Sturheit verbockt hatte. Verdammt, er hätte nicht gehen und ihn in seinem labilen Zustand alleinlassen dürfen. Mit zittrigen Fingern suchte er an Nikkis Hals nach seinem Puls und er konnte sich ein erleichtertes Aufatmen nicht verkneifen, als er ihn langsam, aber kräftig schlagen fühlte. In diesem Moment öffnete Nikki die Augen einen Spalt breit und er blickte sich orientierungslos um.
“Was’n los?“, murmelte er leise und Vince war schon dabei, ihm vorsichtig die Spritze aus dem Arm zu ziehen. Einerseits war er unglaublich erleichtert, dass Nikki sich nicht die nächste Überdosis gespritzt hatte, doch auf der anderen Seite kochte sofort wieder die Wut in ihm hoch, die er allerdings versuchte, zu unterdrücken. Es brachte rein gar nichts, Nikki jetzt in seinem benebelten Zustand anzuschreien. Wenn er überhaupt etwas davon mitbekam, würde er nur zurückschnauzen und alles abblocken.
“Was machst du denn für Sachen?“, erwiderte er sanft und er versuchte, Nikki zumindest in eine aufrechte Position zu bringen, aber der war scheinbar noch so orientierungslos, dass Vince ihn festhalten musste, damit er nicht sofort wieder nach hinten umkippte.
“Du hast doch gesagt, ich soll mich umbringen“, nuschelte er leise und Nikki hörte sich an, als sei er stockbesoffen. Vince musste sich wirklich anstrengen, um seine Worte zu verstehen und jedes einzelne davon bohrte sich wie ein Messer in sein Herz. Was er brauchte – was sie beide brauchten – war eine Geschwindigkeitsbegrenzung zwischen ihrem Gehirn und ihrem Mund. Ihm war das einfach im Zorn herausgerutscht, doch er hatte es auf keinen Fall so gemeint und obwohl Nikki das niemals zugeben würde, wusste Vince, dass er ihn damit verletzt hatte.
“Und seit wann hörst du auf das, was ich dir sage, du Blödmann?“, fragte Vince mit einem schiefen Grinsen und Nikki konnte sich ein belustigtes Schnauben nicht verkneifen. Im Moment sah er wirklich glücklich und zufrieden aus, doch Vince wusste, dass das nur an dem Heroin lag und es tat ihm leid, dass Nikki sich vermutlich schon in ein paar Stunden grauenhaft fühlen würde.
“Sorry. Wegen erst“, flüsterte Nikki so leise, dass er Mühe hatte, ihn überhaupt zu verstehen und der Bassist lehnte sich schwer gegen Vince. Dieses Mal achtete er darauf, sich nicht wieder zu verkrampfen und er konnte nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. Träumte oder halluzinierte er? Hatte Nikki sich gerade tatsächlich bei ihm entschuldigt? Wenn er sich richtig erinnerte, war das in den fast zwanzig Jahren, die sie sich mittlerweile kannten, noch nie passiert. Er musste sich wirklich auf die Zunge beißen, um jetzt keinen dummen Witz zu reißen, denn das wäre mehr als unangebracht. Und vermutlich würde Nikki dann nie wieder ein Wort mit ihm reden.
“Schon vergessen. Wir waren beide dämlich“, murmelte Vince leise und erst jetzt bemerkte er, dass er Nikki schon die ganze Zeit über mit einer Hand immer wieder durch die Haare fuhr, so als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Das hatte er noch nie getan, bei niemandem. Vielleicht war die Flasche Whiskey doch keine so gute Idee gewesen, denn alles um ihn herum drehte sich ganz leicht und eigentlich wollte er gar nicht aufstehen und den nötigen Abstand zwischen sich und Nikki bringen.
“Du aber ein bisschen mehr“, erwiderte Nikki mit einem frechen Grinsen und Vince knuffte ihn in die Seite. Das war so klar gewesen. Er musste immer das letzte Wort haben, aber Vince war ihm deswegen ausnahmsweise nicht böse.
“Willst du diese Diskussion jetzt wirklich führen?“, fragte er belustigt und Nikki schüttelte daraufhin nur den Kopf. Er schlang beide Arme um Vince und drückte sich so fest an ihn, dass dieser das Gefühl hatte, Nikki wolle sich an ihm festhalten. Er hasste sich selbst dafür, dass es ihm wahnsinnig gefiel und er am liebsten noch stundenlang so sitzen bleiben und Nikki im Arm halten würde. Was stimmte denn nicht mit ihm? Das war einfach nur falsch und krank und abartig. Schlimm genug, dass sie vor zwölf Jahren schwach geworden waren und im Vollrausch miteinander geschlafen hatten. Das durfte sich nicht wiederholen und Vince musste den Drang unterdrücken, erneut davonzulaufen. Alles, was ihn abhielt, war die Tatsache, dass Nikki ihn brauchte, weil er sich ansonsten wirklich mit dem verfluchten Heroin umbringen würde.
“Komm hoch und leg dich hin“, flüsterte Vince sanft, ehe er einen Arm um Nikkis Taille schlang, um ihn nach oben zu ziehen. Nikki konnte sich nicht allein auf den Beinen halten und er hing kraftlos in Vince‘ Armen, der ihn vorsichtig auf dem Sofa ablegte. Er wollte ins Schlafzimmer gehen und sich ein Kissen sowie eine Decke holen, damit er neben Nikki auf dem Boden schlafen konnte, doch der Bassist hielt ihn am Handgelenk fest.
“Nein, bleib hier“, nuschelte er undeutlich und Vince fragte sich, was plötzlich mit ihm los war. So hatte er sich noch nie verhalten. Nikki war immer jemand gewesen, der zu viel körperliche Nähe gehasst hatte und selbst, wenn er welche brauchte, würde er lieber sterben, als das zuzugeben. Nicht einmal damals während der schlimmsten Phase seiner Heroinsucht war er derart anhänglich gewesen, im Gegenteil. Gerade, wenn er high war, ließ Nikki die Leute in seiner Umgebung seine Stimmungsschwankungen am heftigsten spüren.
“Ich will mir nur ‘ne Decke holen“, antwortete Vince ruhig, doch Nikki ließ sein Handgelenk nicht los. Als hätte jemand einen Schalter bei ihm umgelegt, schien er plötzlich wieder klar und voller Energie zu sein. Er setzte sich auf und griff nach der dunkelblauen Sofadecke, die zerknüllt in der anderen Ecke der Couch lag, wobei er den Blickkontakt aber nicht unterbrach. Vince schluckte schwer, als er die Hoffnung und vor allem das Verlangen in Nikkis grünen Augen sah und er spürte sein Herz schneller schlagen, bevor es ihm in die Hose rutschte und er weiche Knie bekam. Das war genau das Szenario, vor dem er den ganzen Abend schon Angst gehabt hatte. Sein Verstand sagte ihm, dass er gehen sollte, aber Vince konnte nicht. Wenn er Nikki jetzt allein ließ, konnte er nicht sicher sein, ob dieser den nächsten Morgen noch erlebte und die Schuld dafür wollte er sich auf keinen Fall aufladen. Leider war Nikki so high, dass er ein Nein entweder nicht akzeptieren, oder aber nicht verstehen würde und es kotzte Vince unglaublich an, dass er sich eigentlich gar nicht wirklich dagegen wehren wollte. Sein logischer Verstand sagte ihm zwar, dass er nicht normal war und sich sträuben sollte, aber sein Bauch riet ihm etwas Anderes. Ganz sanft und vorsichtig versuchte Nikki, ihn zu sich zu ziehen, so als hätte er Angst, ihn mit einer falschen oder zu schnellen Bewegung zu verschrecken und Vince... Gab nach. Er hatte weder die Lust, noch die Kraft, um sich weiterhin etwas vorzumachen und er wusste, dass es ohnehin dumm war.
“Scheiß drauf“, murmelte er eher zu sich selbst, als zu Nikki, als er sich aufs Sofa sinken ließ und ihn küsste. Nikki erwiderte den Kuss sofort und er schlang beide Arme um Vince, ehe er ihn fest an sich drückte. Die leise Stimme in seinem Kopf, die ihm sagte, dass das unnatürlich und ekelhaft war, ignorierte er geflissentlich.
Nikki hatte natürlich nicht lang gefackelt und mit Nachdruck darauf bestanden, oben zu sein. Vince hatte ihm vorerst seinen Willen gelassen, aber den Spieß sofort umgedreht, nachdem Nikki gekommen war und ihn dabei mit Zunge geküsst hatte. Kurz hatte der Bassist sich aus Prinzip dagegen gewehrt, aber als Vince schließlich von ihm ablassen wollte, hatte Nikki ihn doch wieder zu sich gezogen und ihn einfach geküsst, ohne ein Wort zu sagen. Nun lagen sie hier nackt und völlig erledigt auf der Couch und es dauerte keine zwei Minuten, bis Nikki tief und fest schlief. Mit letzter Kraft zog Vince noch die Decke über sie beide, ehe auch er die Augen schloss. Sie lagen genauso da, wie vor zwölf Jahren. Vince auf dem Rücken, einen Arm um Nikki geschlungen, und dieser auf der Seite, den Kopf auf Vince‘ Brust gebettet. Ja verdammt, das fühlte sich einfach so beschissen richtig an und er verfluchte sich selbst, weil sie zwölf Jahre mit ihren ständigen Streitereien verschwendet hatten. Da waren eindeutig Gefühle für Nikki, die nicht da sein sollten und nun hatte Vince den Moment erreicht, in dem er einsah, dass er sich dagegen nicht mehr wehren konnte. Und es auch gar nicht mehr wollte. Jahrelang hatte er diese Gefühle verdrängt und verleugnet und alles, was es ihm eingebracht hatte, war Streit und Schmerz und Einsamkeit gewesen, aber damit musste jetzt endlich Schluss sein. Er würde Nikki helfen, clean zu werden und danach konnten sie sich Gedanken um das Was-Auch-Immer zwischen ihnen machen.
Das hier ist das alternative Ende bzw. die Fortsetzung zu meinem OS "Still" und es wäre vermutlich klug, diesen zu lesen, bevor ihr euch auf die Story hier stürzt. Zwingend notwendig ist es aber nicht, da der erste kursiv geschriebene Absatz aus meinem OS stammt und eigentlich das Meiste erklären dürfte. Hoffe ich zumindest xD
Jedes Kapitel hat quasi einen "Titelsong", den ich als ganz passend empfinde. Jeder davon ist von der großartigen Band Sixx: A.M., die ja ebenfalls von Nikki Sixx gegründet wurde. Dem ein oder anderen sind vielleicht auch die Heroin Diaries von Nikki ein Begriff. Und Sixx: A.M. wurde ja ursprünglich ins Leben gerufen, um den Soundtrack zum Buch aufzunehmen. Das ist ein weiterer Grund, wieso ich mich für diese Band entschieden habe und jeder Song wird am Anfang oben verlinkt. Ich empfehle euch, mal reinzuhören, sie sind alle großartig. Der erste Song heißt Accidents can happen und stammt aus dem Album The Heroin Diaries Soundtrack von 2007.
Ein großes Dankeschön an die wundervolle KatieC, die mir bei der Formulierung der Kurzbeschreibung geholfen hat <3
WARNUNG: Drugs
Die Jungs von Mötley Crüe gehören ausschließlich sich selbst, ich leihe sie mir nur für diesen OS aus und verdiene damit kein Geld. Die Idee stammt aber von mir.
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Don't give up, it takes awhile
I have seen this look before
And it's alright, you're not alone
If you don't love this anymore
I have seen this look before
And it's alright, you're not alone
If you don't love this anymore
Über zehn Jahre lang hatten sie sich davor gedrückt, über jene Nacht zu sprechen, aber Nikkis Reaktion heute im Studio hatte Vince wachgerüttelt. Wenn sie jetzt nicht endlich klärten, wo sie standen, würden sie es nie schaffen. Er hasste es, den ersten Schritt zu machen, aber darauf, dass Nikki es tat, brauchte er nicht hoffen. Sein Herz klopfte heftiger, als er zuzugeben bereit war, während er an seine Tür klopfte und es dauerte fast zwei Minuten, bis Nikki endlich öffnete. Sein überraschter Ausdruck machte ihm deutlich, dass Nikki nicht mit ihm gerechnet hatte, doch anders als erwartet fing er dieses Mal keinen Streit an. Es fiel Vince so unglaublich schwer, dieses Thema anzusprechen und bereits nach wenigen Minuten schoss ihm die Röte in die Wangen. Glücklicherweise war es in Nikkis Wohnung ziemlich dunkel, denn der Bassist hasste es, wenn das große Deckenlicht eingeschaltet war. Meistens hatte er nur die Stehlampe neben seinem Sofa an, die das Wohnzimmer in ein schummeriges Licht tauchte, doch Vince war sich sicher, dass Nikki ihm trotzdem ansehen konnte, wie unangenehm er dieses Gespräch fand. Er war mit dem Vorsatz hergekommen, ruhig mit ihm zu reden und dieses Mal nicht zu streiten, doch er hatte erwartet, dass Nikki ihn trotzdem wieder anschreien und alles abblocken würde. Aber er tat es nicht. Stundenlang saßen sie zusammen und endlich schafften sie es, all das Unausgesprochene zwischen ihnen anzusprechen. Es hatte zwölf Jahre, eine Überdosis, eine Trennung, ein missglücktes Album, unendlich viel Schmerz und Streit und Skylars Tod gebraucht, damit sie es auf die Reihe bekamen und jetzt besaß keiner von ihnen mehr die Kraft, die Fassade aufrechtzuerhalten. Vince sagte ihm auch ehrlich, dass er sich Sorgen machte, weil Nikki wieder mit dem Heroin angefangen hatte und das auch zurecht, wie ihm schon heute im Studio klargeworden war. Nikki sah einfach fürchterlich aus. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, er zitterte am ganzen Körper und seine Angespanntheit konnte Vince beinahe greifen. Genauso hatte Nikki auch damals ausgesehen, kurz bevor er im Dezember 87 seine zweite Überdosis gehabt hatte und Vince wollte das nicht nochmal miterleben müssen. Nikki versprach ihm, dass er einen Entzug machen und endgültig mit dem Heroin aufhören würde und das sagte er derart überzeugt, dass Vince ihm glaubte. Endlich hatten sie alles geklärt und es war nicht halb so schlimm gewesen, wie Vince es sich immer vorgestellt hatte. Er verfluchte die Tatsache, dass sie jahrelang so stur und uneinsichtig gewesen waren und jetzt fühlte er sich wahnsinnig befreit. Mittlerweile war es schon weit nach ein Uhr nachts und Vince konnte vor Müdigkeit kaum die Augen offenhalten, doch Nikki bat ihn, noch zu bleiben. Gemeinsam machten sie es sich auf der Couch bequem, während Nikki auf der Suche nach etwas halbwegs Vernünftigem durch sämtliche Fernsehkanäle zappte und schließlich blieben sie bei irgendeiner mitternächtlichen Satiresendung über Politik hängen, wovon sie zwar nur die Hälfte verstanden, aber das war egal. So konnten sie nebenher noch in Ruhe über alles Mögliche reden und zusammen eine Flasche Whiskey leeren. Völlig unerwartet nahm Nikki plötzlich seine Hand und ehe Vince irgendwie reagieren konnte, hatte er sich schon zu ihm herübergebeugt und ihm einen Kuss auf die Lippen gedrückt. Das schockte ihn so sehr, dass es fast eine halbe Minute dauerte, bis er realisiert hatte, dass er den Kuss gerade erwiderte. Das war genau das, was er wollte und gleichzeitig das, was er überhaupt nicht wollte. Es fühlte sich gut und richtig an, aber er wusste, dass es falsch und abartig war. Das durften sie nicht und Vince war ganz kurz davor, einen feuchten Dreck darauf zu geben, als sein Verstand die Oberhand gewann und er Nikki von sich schob. “Ich muss los, is‘ schon spät“, murmelte er undeutlich, ehe er aufsprang und die Flucht ergriff. Den verletzten Ausdruck in Nikkis Augen würde er niemals vergessen, aber er war der festen Überzeugung, dass er das Richtige tat.
“Vince, warte! Bitte, ich… Schaff‘ das nicht alleine.“ Er war schon fast zur Tür raus, als Nikki ihn zurückrief und die pure Verzweiflung in seiner Stimme sprach Bände. Den letzten Satz hatte er nur geflüstert und seit Vince ihn kannte, hatte er noch nie zugegeben, dass er Hilfe brauchte. Das war auch der Grund, warum er innehielt und sich langsam wieder zu Nikki umdrehte. Wie ein Häufchen Elend saß er mit gesenktem Kopf auf dem Sofa, während er mit den Fingern nervös am Saum seines Shirts herumspielte. Das erinnerte Vince stark an Skylar, denn sie hatte immer genau dasselbe getan, wenn er sie bei einer Dummheit erwischt hatte und diese Erinnerung löste sofort einen schmerzhaften Stich in seiner Brust aus. So unendlich viele Gedanken schossen ihm so schnell durch den Kopf, dass er keinen davon zu fassen bekam, während er verloren im Türrahmen stand, die Klinke noch in der Hand haltend. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Vince wusste genau, wie diese Nacht enden würde, wenn er blieb. Und er wusste auch, wie sie endete, wenn er ging. Ganz langsam und mit einem mulmigen Gefühl im Magen schloss er die Tür wieder, ehe er vorsichtig zurück zum Sofa ging und sich neben Nikki setzte. Dieser hob den Kopf und schaute ihn überrascht, aber auch unendlich hoffnungsvoll an und Vince versuchte krampfhaft, das seltsame Kribbeln in seinem Magen zu ignorieren. Er hätte etwas essen sollen, bevor er eine halbe Flasche Whiskey auf Ex getrunken hatte und vermutlich durfte er gleich ins Bad laufen, um sich zu übergeben.
“Aber lass deine Zunge bei dir, verstanden?“, murrte er ruppiger, als beabsichtigt und selbst im schummerigen Licht der Stehlampe konnte er sehen, wie Nikki die Röte in die Wangen schoss. Schon tat Vince sein Verhalten leid, aber eine Entschuldigung brachte er nicht über sich. Nikki senkte erneut den Blick und er sah aus, wie ein geprügelter Hund. So traurig und verloren, dass es Vince schon fast wehtat und ehe er überhaupt wusste, was er tat, rückte er ein Stück näher an Nikki heran und er zog ihn in eine feste Umarmung. Er hasste es wie die Pest, dass es sich verdammt gut anfühlte, als Nikki den Kopf auf seine Schulter legte und Vince konnte seinen unregelmäßigen Atem am Hals spüren, was ihm sofort einen warmen Schauer über den Rücken jagte. Anscheinend setzten bei ihm schon die ersten Entzugserscheinungen ein und Vince wusste nicht so recht, wie er damit umgehen sollte.
“Manche Kliniken bieten auch Nacht-Check-Ins an. Vielleicht...“ Weiter kam er nicht, denn Nikki stieß ihn sofort von sich, ehe er ihn geschockt ansah.
“Ich geh auf keinen Fall nochmal in ‘ne Klinik!“, fauchte er wütend und bereits jetzt fühlte Vince sich überfordert. Der Heroinentzug war der Schlimmste Entzug, den es gab und obendrein auch nicht ungefährlich, aber er erinnerte sich gut, wie sehr Nikki es damals in der Klinik gehasst hatte. Er kam nicht damit klar, eingesperrt zu sein und die Kontrolle abzugeben, doch Vince traute sich nicht zu, ihm dabei zu helfen. Von Medizin hatte er überhaupt keine Ahnung und er wusste auch nicht, wie man mit einem Heroinsüchtigen auf Entzug am besten umgehen sollte. Leider war er damals bei ihrem gemeinsamen Aufenthalt in der Klinik zu sehr mit sich selbst und seiner Tabletten- und Kokainsucht beschäftigt gewesen, um wirklich auf Nikki zu achten. Was er allerdings mitbekommen hatte, war, dass der Bassist sich tagelang fast pausenlos übergeben hatte, sich vor Schmerzen kaum bewegen konnte und oft unglaublich aggressiv reagiert hatte. Mehr als einmal war er auf einen der Krankenpfleger losgegangen und sie hatten ihn sogar ein oder zwei Mal sedieren müssen, um ihn ruhigzustellen, weil er eine Gefahr für sich selbst und andere gewesen war. Abgesehen davon war er sich ziemlich sicher, dass Nikki ihm nicht genug vertraute, um die Kontrolle abzugeben und in seinem Zustand würde er wohl keine guten Entscheidungen treffen können. Nichtsdestotrotz konnte Vince ihn nicht dazu zwingen und er war schon unglaublich froh, dass Nikki einem Entzug überhaupt zugestimmt hatte.
“Schön, von mir aus, dann bleib eben hier. Aber ich werd‘ dir das Heroin jedes Mal aus der Hand schlagen, klar?“, erwiderte er so ruhig, aber bestimmend wie möglich und Nikki schaute ihn eine ganze Weile nur an, ehe er schließlich wortlos nickte und wieder den Blick senkte. Vince hasste ihn dafür, dass er ihm einfach ungefragt diese Verantwortung aufbürdete und doch war er fest entschlossen, Nikki irgendwie durch diesen Entzug zu bringen. Er hatte schon nichts tun können, als Skylar gestorben war und er würde auf keinen Fall zulassen, dass er Nikki auch noch verlor.
Vince wollte ihn wieder in den Arm nehmen, doch Nikki wehrte sich verbissen und stieß ihn immer wieder von sich. Er spürte, wie in seinem Inneren der altbekannte Zorn aufloderte, weil er genau wusste, dass Nikki das nur aus Prinzip tat. Um nicht schwach zu wirken und sich eingestehen zu müssen, dass er Vince brauchte. Dieser verdammte Idiot würde sich nie ändern und Vince war kurz davor, einfach alles hinzuschmeißen und zu gehen, als Nikki schließlich aufgab und sich in seine Arme sinken ließ. Er zitterte am ganzen Körper und Vince drückte ihn fest an sich, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Ihm graute es jetzt schon davor, wenn der richtige Entzug einsetzte und er hoffte inständig, dass er Nikki dann von seinen Dummheiten abhalten konnte. Müde ließ er den Kopf gegen die Rückenlehne der Couch sinken und für ein paar Stunden Schlaf würde er beinahe jemanden ermorden. Bisher hatte Vince sich sein ganzes Leben lang einen Dreck um andere Leute geschert und nur auf sein eigenes Wohl Wert gelegt. Die einzige Ausnahme hatte Skylar gebildet und er verstand nicht, woher diese plötzliche Fürsorge kam. Sicher, Nikki war ihm wichtig und er bedeutete ihm viel, aber es war weder seine Schuld, noch sein Problem, dass er sich mit dem verdammten Heroin langsam umbrachte. Nach seinem ersten Entzug hätte er mit dem Scheiß nicht wieder anfangen sollen. Nikki war selbst schuld an dem Schlamassel und es wäre nur fair, dass er allein zusehen sollte, wie er da wieder herauskam. Vince wusste aber, dass Nikki es ohne Hilfe niemals schaffen würde, clean zu werden. Aber warum musste ausgerechnet er der Idiot sein, der ihn dabei unterstützte? Ein klassischer Fall von Zur falschen Zeit am falschen Ort hatte ihm das eingebrockt und er spürte, wie ihm das alles jetzt schon zu viel wurde. Wie gern würde er einfach abhauen, sich betrinken und den ganzen Mist vergessen, aber er… Konnte nicht. Wenn er jetzt ging, war Nikki wahrscheinlich in wenigen Tagen tot und so sehr Vince es auch versuchte, er konnte diese Tatsache nicht ignorieren.
“Wenn du gehen willst, geh doch. Ich komme auch ohne dich zurecht“, fauchte Nikki trotzig, ehe er sich ruppig aus Vince‘ Umarmung befreite, doch sowohl sein Tonfall, als auch sein Blick straften seine Worte Lügen. Vince konnte ihn nur perplex mit offenem Mund anstarren und er verstand nicht, was er jetzt schon wieder falsch gemacht hatte.
“Bist du bescheuert? Entscheide dich mal, was du willst“, gab er genervt zurück und sein Vorsatz, ruhig zu bleiben, löste sich augenblicklich in Luft auf. Nikki schnaufte gereizt, ehe er aufsprang und sich mit beiden Händen durch die Haare fuhr. Er sah unglaublich verzweifelt aus und Vince war hin und hergerissen zwischen seiner Wut auf ihn und dem Wunsch, Nikki unbedingt helfen zu wollen.
“Du bist noch angespannter als ich und jedes Mal, wenn ich dich bloß anfasse, verkrampfst du dich total. Ich seh‘ doch, dass du keinen Bock hast, hier zu sein. Also hau doch einfach ab!“, rief er wütend, bevor er demonstrativ in eine andere Richtung blickte und die Arme bockig vor der Brust verschränkte. Vince war gar nicht aufgefallen, dass er sich verkrampft hatte, aber es stimmte. Allerdings lag das nicht an Nikki per se, sondern daran, dass er Angst hatte. Angst, dass erneut das passierte, was vor zwölf Jahren geschehen war. Die Tatsache, dass sich sein Herzschlag sofort beschleunigte und er sich wahnsinnig wohlfühlte, sobald Nikki ihn berührte, machte ihm nur noch mehr Sorgen, aber das wollte er nicht offen zugeben.
“Vor zehn Minuten hast du mich noch angebettelt, hier zu bleiben!“, entgegnete Vince genauso laut und er hatte langsam genug von Nikkis Trotz und seinen ewigen Stimmungsschwankungen.
“Ich hatte ‘nen schwachen Moment! Verpiss dich, ich brauch‘ dich ganz sicher nicht!“, fauchte er bissig und trotz des schlechten Lichtes konnte Vince in seinen Augen sehen, dass er selbst nicht so recht verstand, wieso er das tat. Er wollte es eigentlich gar nicht, aber für Nikki gab es jetzt kein Zurück mehr. Niemals würde er sich entschuldigen, einlenken oder zugeben, dass er übertrieb und auch von seinem verdammten Stolz hatte Vince die Nase voll. Er stand ebenfalls auf und schubste Nikki so fest, dass er stolperte und auf seinem Hintern landete, ehe er Vince überrascht ansah.
“Du undankbarer Bastard, du kannst mich mal! Ich versuche hier, dir zu helfen, aber wenn du das nicht nötig hast, von mir aus. Jedes Mal derselbe Scheiß. Du schnauzt mich voll, weil du dir irgendwas einbildest und mir reicht’s jetzt. Ich dachte echt, du hast langsam mal begriffen, was du mit deinem Trotz anrichtest, aber von wegen, du wirst dich nie ändern. Sieh zu, wie du clean wirst oder bring dich halt um mit deinem scheiß Heroin, is‘ mir egal!“ Nikki saß reglos auf dem Boden und er starrte Vince geschockt an, während dieser ihn anschrie. Er hätte echt heulen können. Gerade mal einen Tag hatte es gedauert, bis er und Nikki sich wieder gegenseitig an die Kehle gingen und Vince realisierte, dass sich rein gar nichts geändert hatte. Er hatte so sehr gehofft und so fest daran geglaubt, dass es ab jetzt anders sein würde, aber nein. Nikki war immer noch derselbe sture Kontrollfreak, der auf alles, was ihm nicht passte, trotzig und aggressiv reagierte, während Vince sich immer noch jedes verdammte Mal provozieren ließ und darauf ansprang. Er hatte wirklich versucht, auf Nikki zuzugehen, aber das hier war einfach zu viel. Ohne ein weiteres Wort lief er an ihm vorbei zur Tür und er schlug sie mit einem lauten Knall hinter sich zu.
Eine Stunde und eine Flasche Whiskey später wurde Vince klar, dass er genauso ein sturer Idiot war, wie Nikki. Sicher, niemand verhielt sich so trotzig und aggressiv, wie Nikki, aber er selbst hatte gerade auch Mist gebaut. Er hätte einfach zugeben sollen, dass er sich fürchtete, aber stattdessen hatte er zurückgeschnauzt. Langsam war er auch bis auf die Knochen durchgefroren, denn sie hatten bereits Ende November und sein dünnes Sweatshirt hielt ihn kein bisschen warm. In seinem angetrunkenen Zustand sollte er jetzt auch definitiv die Hände vom Lenkrad lassen und so blieb ihm nichts Anderes übrig, als zurück zu Nikki zu gehen. Dass er sich problemlos ein Taxi rufen könnte, ignorierte er, denn Vince war absolut nicht wohl dabei, Nikki zu lang alleinzulassen. Inzwischen bereute er das, was er im Zorn zu ihm gesagt hatte. Mal abgesehen davon, dass das meiste davon gelogen war. Er wollte auf keinen Fall, dass Nikki sich mit dem Heroin umbrachte und er würde es nicht ertragen, wenn das das Letzte wäre, was er zu ihm gesagt hatte. Wahrscheinlich war der Bassist immer noch sauer und deshalb machte er ihm auch sicherlich nicht die Tür auf, sodass Vince ohne anzuklopfen direkt nach dem Ersatzschlüssel griff. Der Türrahmen ragte ungefähr drei Zentimeter aus der Wand heraus und Nikki hatte den Schlüssel oben in dieser daraus entstehenden Einbuchtung platziert, weil er sich selbst schon des Öfteren ausgesperrt hatte, wenn er high oder betrunken gewesen war. Vince wusste nicht so recht, was er ihm jetzt sagen sollte, doch für ihn gab es kein Zurück. Nikki brauchte dringend seine Hilfe und sie mussten beide endlich lernen, vor Problemen nicht immer nur davonzulaufen. Vorsichtig öffnete Vince die Tür und sofort erblickte er Nikki, der vor seiner Couch auf dem Boden lag und offensichtlich nicht bei Bewusstsein war. Die Spritze steckte noch in seinem Arm und Vince rutschte das Herz in die Hose. Mit einem lauten Knall ließ er die Tür ins Schloss fallen, ehe er zu Nikki rannte und sich neben ihm auf den Teppich sinken ließ. Er spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug und er hatte wahnsinnige Angst, dass er es mal wieder mit seiner Sturheit verbockt hatte. Verdammt, er hätte nicht gehen und ihn in seinem labilen Zustand alleinlassen dürfen. Mit zittrigen Fingern suchte er an Nikkis Hals nach seinem Puls und er konnte sich ein erleichtertes Aufatmen nicht verkneifen, als er ihn langsam, aber kräftig schlagen fühlte. In diesem Moment öffnete Nikki die Augen einen Spalt breit und er blickte sich orientierungslos um.
“Was’n los?“, murmelte er leise und Vince war schon dabei, ihm vorsichtig die Spritze aus dem Arm zu ziehen. Einerseits war er unglaublich erleichtert, dass Nikki sich nicht die nächste Überdosis gespritzt hatte, doch auf der anderen Seite kochte sofort wieder die Wut in ihm hoch, die er allerdings versuchte, zu unterdrücken. Es brachte rein gar nichts, Nikki jetzt in seinem benebelten Zustand anzuschreien. Wenn er überhaupt etwas davon mitbekam, würde er nur zurückschnauzen und alles abblocken.
“Was machst du denn für Sachen?“, erwiderte er sanft und er versuchte, Nikki zumindest in eine aufrechte Position zu bringen, aber der war scheinbar noch so orientierungslos, dass Vince ihn festhalten musste, damit er nicht sofort wieder nach hinten umkippte.
“Du hast doch gesagt, ich soll mich umbringen“, nuschelte er leise und Nikki hörte sich an, als sei er stockbesoffen. Vince musste sich wirklich anstrengen, um seine Worte zu verstehen und jedes einzelne davon bohrte sich wie ein Messer in sein Herz. Was er brauchte – was sie beide brauchten – war eine Geschwindigkeitsbegrenzung zwischen ihrem Gehirn und ihrem Mund. Ihm war das einfach im Zorn herausgerutscht, doch er hatte es auf keinen Fall so gemeint und obwohl Nikki das niemals zugeben würde, wusste Vince, dass er ihn damit verletzt hatte.
“Und seit wann hörst du auf das, was ich dir sage, du Blödmann?“, fragte Vince mit einem schiefen Grinsen und Nikki konnte sich ein belustigtes Schnauben nicht verkneifen. Im Moment sah er wirklich glücklich und zufrieden aus, doch Vince wusste, dass das nur an dem Heroin lag und es tat ihm leid, dass Nikki sich vermutlich schon in ein paar Stunden grauenhaft fühlen würde.
“Sorry. Wegen erst“, flüsterte Nikki so leise, dass er Mühe hatte, ihn überhaupt zu verstehen und der Bassist lehnte sich schwer gegen Vince. Dieses Mal achtete er darauf, sich nicht wieder zu verkrampfen und er konnte nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. Träumte oder halluzinierte er? Hatte Nikki sich gerade tatsächlich bei ihm entschuldigt? Wenn er sich richtig erinnerte, war das in den fast zwanzig Jahren, die sie sich mittlerweile kannten, noch nie passiert. Er musste sich wirklich auf die Zunge beißen, um jetzt keinen dummen Witz zu reißen, denn das wäre mehr als unangebracht. Und vermutlich würde Nikki dann nie wieder ein Wort mit ihm reden.
“Schon vergessen. Wir waren beide dämlich“, murmelte Vince leise und erst jetzt bemerkte er, dass er Nikki schon die ganze Zeit über mit einer Hand immer wieder durch die Haare fuhr, so als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Das hatte er noch nie getan, bei niemandem. Vielleicht war die Flasche Whiskey doch keine so gute Idee gewesen, denn alles um ihn herum drehte sich ganz leicht und eigentlich wollte er gar nicht aufstehen und den nötigen Abstand zwischen sich und Nikki bringen.
“Du aber ein bisschen mehr“, erwiderte Nikki mit einem frechen Grinsen und Vince knuffte ihn in die Seite. Das war so klar gewesen. Er musste immer das letzte Wort haben, aber Vince war ihm deswegen ausnahmsweise nicht böse.
“Willst du diese Diskussion jetzt wirklich führen?“, fragte er belustigt und Nikki schüttelte daraufhin nur den Kopf. Er schlang beide Arme um Vince und drückte sich so fest an ihn, dass dieser das Gefühl hatte, Nikki wolle sich an ihm festhalten. Er hasste sich selbst dafür, dass es ihm wahnsinnig gefiel und er am liebsten noch stundenlang so sitzen bleiben und Nikki im Arm halten würde. Was stimmte denn nicht mit ihm? Das war einfach nur falsch und krank und abartig. Schlimm genug, dass sie vor zwölf Jahren schwach geworden waren und im Vollrausch miteinander geschlafen hatten. Das durfte sich nicht wiederholen und Vince musste den Drang unterdrücken, erneut davonzulaufen. Alles, was ihn abhielt, war die Tatsache, dass Nikki ihn brauchte, weil er sich ansonsten wirklich mit dem verfluchten Heroin umbringen würde.
“Komm hoch und leg dich hin“, flüsterte Vince sanft, ehe er einen Arm um Nikkis Taille schlang, um ihn nach oben zu ziehen. Nikki konnte sich nicht allein auf den Beinen halten und er hing kraftlos in Vince‘ Armen, der ihn vorsichtig auf dem Sofa ablegte. Er wollte ins Schlafzimmer gehen und sich ein Kissen sowie eine Decke holen, damit er neben Nikki auf dem Boden schlafen konnte, doch der Bassist hielt ihn am Handgelenk fest.
“Nein, bleib hier“, nuschelte er undeutlich und Vince fragte sich, was plötzlich mit ihm los war. So hatte er sich noch nie verhalten. Nikki war immer jemand gewesen, der zu viel körperliche Nähe gehasst hatte und selbst, wenn er welche brauchte, würde er lieber sterben, als das zuzugeben. Nicht einmal damals während der schlimmsten Phase seiner Heroinsucht war er derart anhänglich gewesen, im Gegenteil. Gerade, wenn er high war, ließ Nikki die Leute in seiner Umgebung seine Stimmungsschwankungen am heftigsten spüren.
“Ich will mir nur ‘ne Decke holen“, antwortete Vince ruhig, doch Nikki ließ sein Handgelenk nicht los. Als hätte jemand einen Schalter bei ihm umgelegt, schien er plötzlich wieder klar und voller Energie zu sein. Er setzte sich auf und griff nach der dunkelblauen Sofadecke, die zerknüllt in der anderen Ecke der Couch lag, wobei er den Blickkontakt aber nicht unterbrach. Vince schluckte schwer, als er die Hoffnung und vor allem das Verlangen in Nikkis grünen Augen sah und er spürte sein Herz schneller schlagen, bevor es ihm in die Hose rutschte und er weiche Knie bekam. Das war genau das Szenario, vor dem er den ganzen Abend schon Angst gehabt hatte. Sein Verstand sagte ihm, dass er gehen sollte, aber Vince konnte nicht. Wenn er Nikki jetzt allein ließ, konnte er nicht sicher sein, ob dieser den nächsten Morgen noch erlebte und die Schuld dafür wollte er sich auf keinen Fall aufladen. Leider war Nikki so high, dass er ein Nein entweder nicht akzeptieren, oder aber nicht verstehen würde und es kotzte Vince unglaublich an, dass er sich eigentlich gar nicht wirklich dagegen wehren wollte. Sein logischer Verstand sagte ihm zwar, dass er nicht normal war und sich sträuben sollte, aber sein Bauch riet ihm etwas Anderes. Ganz sanft und vorsichtig versuchte Nikki, ihn zu sich zu ziehen, so als hätte er Angst, ihn mit einer falschen oder zu schnellen Bewegung zu verschrecken und Vince... Gab nach. Er hatte weder die Lust, noch die Kraft, um sich weiterhin etwas vorzumachen und er wusste, dass es ohnehin dumm war.
“Scheiß drauf“, murmelte er eher zu sich selbst, als zu Nikki, als er sich aufs Sofa sinken ließ und ihn küsste. Nikki erwiderte den Kuss sofort und er schlang beide Arme um Vince, ehe er ihn fest an sich drückte. Die leise Stimme in seinem Kopf, die ihm sagte, dass das unnatürlich und ekelhaft war, ignorierte er geflissentlich.
Nikki hatte natürlich nicht lang gefackelt und mit Nachdruck darauf bestanden, oben zu sein. Vince hatte ihm vorerst seinen Willen gelassen, aber den Spieß sofort umgedreht, nachdem Nikki gekommen war und ihn dabei mit Zunge geküsst hatte. Kurz hatte der Bassist sich aus Prinzip dagegen gewehrt, aber als Vince schließlich von ihm ablassen wollte, hatte Nikki ihn doch wieder zu sich gezogen und ihn einfach geküsst, ohne ein Wort zu sagen. Nun lagen sie hier nackt und völlig erledigt auf der Couch und es dauerte keine zwei Minuten, bis Nikki tief und fest schlief. Mit letzter Kraft zog Vince noch die Decke über sie beide, ehe auch er die Augen schloss. Sie lagen genauso da, wie vor zwölf Jahren. Vince auf dem Rücken, einen Arm um Nikki geschlungen, und dieser auf der Seite, den Kopf auf Vince‘ Brust gebettet. Ja verdammt, das fühlte sich einfach so beschissen richtig an und er verfluchte sich selbst, weil sie zwölf Jahre mit ihren ständigen Streitereien verschwendet hatten. Da waren eindeutig Gefühle für Nikki, die nicht da sein sollten und nun hatte Vince den Moment erreicht, in dem er einsah, dass er sich dagegen nicht mehr wehren konnte. Und es auch gar nicht mehr wollte. Jahrelang hatte er diese Gefühle verdrängt und verleugnet und alles, was es ihm eingebracht hatte, war Streit und Schmerz und Einsamkeit gewesen, aber damit musste jetzt endlich Schluss sein. Er würde Nikki helfen, clean zu werden und danach konnten sie sich Gedanken um das Was-Auch-Immer zwischen ihnen machen.