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Alexithymia

von Gegenwind
Kurzbeschreibung
GeschichteFreundschaft, Schmerz/Trost / P12 / Gen
08.02.2020
09.09.2020
11
7.408
5
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14.02.2020 1.031
 




day 2 - 19 - 23 - 28
k o i   n o   y o k a n

n. | the extraordinary sense upon first meeting someone that you will one day fall in love with

a love letter to my boyfriend

→☆←



    Irgendwas sagt mir, dass du dieses Schreiben eines Tages finden und lesen wirst. Gut so – dann habe ich es wenigstens nicht umsonst geschrieben. Normalerweise fällt es mir leichter, solche Briefe zu schreiben, aber ich bin wohl einfach aus der Übung. Und das hier wird ziemlich kitschig, also besorg dir schon mal einen Eimer, bevor du weiterliest – ich garantiere nämlich nicht für Flecken auf dem wunderschönen Holzboden.
    Das blöde an solchen Dingen ist meistens, dass ich alles durcheinanderbringe und es nicht mehr dem entspricht, was ich allgemein als ästhetisch bezeichnen würde. Und dann ärgere ich mich und lösche wieder alles, was ich geschrieben habe. Aber manchmal ist es – wie du mir schon oft gesagt hast – am besten, wenn man einfach drauf los schreibt. Und genau das versuche ich hiermit. Es gibt sicher hundert Briefe, die ich geschrieben und niemals abgeschickt habe. Denn eigentlich ist Briefeschreiben etwas, das ich immer sehr gerne gemacht habe – und auch immer noch gerne tue. Nur habe ich einfach nicht die Zeit dafür, die ich gerne darauf verwenden würde. Ach ja, der Unistress.
    Ich bin dankbar. Für alles. Dich kennenzulernen, war definitiv ein Geschenk des Himmels. Oder des Schicksals. Oder was auch immer. Durch unsere anfängliche Freundschaft sind mir viele Dinge in Hinblick auf andere „Freundschaften“ klar geworden und ich musste mit Schrecken feststellen, dass ich in vielerlei Hinsicht nur toxische Beziehungen zu anderen Menschen geführt habe. Allerdings habe ich diese Verbindungen mittlerweile gekappt und bin – trotz all dem Drama – ein viel glücklicherer Mensch, als ich es noch vor einem Jahr war. Und ich bezweifle irgendwie, dass ich da von alleine drauf gekommen wäre …
    Die Aussage ist zwar schon des Öfteren gefallen, aber irgendwie muss ich ja ein paar Wörter zusammenkriegen, sonst versaut es meinen Schnitt. Ich war so lange alleine. Und ich bringe den Beziehungen zu anderen Menschen meine höchste Wertschätzung entgegen. Allen voran unserer Beziehung. Ich bin jemand, der nichts als selbstverständlich nimmt und für alles dankbar ist. Denn ich weiß, dass das Morgen ungewiss ist und das Leben oft mehr nimmt, als es gibt. Ich freue mich an den kleinen Dingen und Zeit mit dir zu verbringen, erfüllt mich mit so viel Glück, dass ich es oft gar nicht glauben kann. Es ist immer noch schwer, das alles zu begreifen, aber manche Dinge brauchen eben mehr Zeit als andere.

    Weißt du, mein größter Feind ist meine eigene Angst. Ich würde dir gerne irgendwie erklären, warum das so ist oder was passiert, aber das ist fast unmöglich. Denn ich weiß ab und zu selber nicht ganz, warum ich gewisse Dinge denke oder warum mich diese Angst so sehr verfolgt. Aber ich will es versuchen. Zumindest, was den Part betrifft, der irgendwie in Worte zu fassen ist. Ich kann dir das Was erklären, aber nicht das Wieso. Normale Menschen hören eine Aussage, nehmen sie an und leben weiter. Ich höre eine Aussage, fange an, über sie nachzudenken und rede mich in eine Spirale, aus der ich nicht mehr rauskomme. Die Aussage mag so banal sein wie eine Konversation über das Wetter, aber mein Kopf ist aus welchem Grund auch immer dazu imstande, das Schlimmste daraus zu machen. Neue Begebenheiten bringen immer wieder neue Ängste für mich, gerade weil ich so furchtbare Angst davor habe, verletzt zu werden. Das ist genau der Grund, warum ich vor menschlichen Beziehungen zurückschrecke wie ein Vampir vor dem Sonnenlicht. Ich weiß, dass das nicht zu vermeiden sein wird, ganz egal in welcher Art und Weise, und dass ich mir damit viele Chancen auf echtes Glück verbaue, aber die Angst vor dem schrecklichen Schmerz ist größer als die Hoffnung auf ein Happy End.
    Und dennoch gibt es sie – Hoffnung. Ich weiß, dass ich lernen muss, auf mich selber und die, die mir am Herzen liegen, zu vertrauen. Aber das Leben ist ein ständiger Lernprozess und es wird seine Zeit dauern, um aus diesen sozialen Normen, die mich zweiundzwanzig Jahre geprägt haben, auszubrechen. Aber ich habe endlich die Motivation gefunden, die mir dazu noch gefehlt hat. Es wird besser. Langsam und stetig. Aber das ist immerhin besser als Stillstand.

    Du bist echt ein Unikat. Du bringst mich immer zum Lachen und findest meistens die richtigen Worte, um mir Mut zu machen. Und genau das liebe ich so sehr an dir. Auch wenn du mir manchmal den letzten Nerv raubst. (Besonders, wenn du anfängst, mit meiner Querflöte durchs Probelokal zu laufen. Wenn die eines Tages fällt, ist das der Untergang der Welt.) Und ich liebe es, mit dir zu kuscheln. Das ist das beste Gefühl der Welt – keine Panik, andere Sachen liebe ich auch. Aber das würde mal wieder das Rating komplett versauen und das brauche ich nicht, hehe. (Und natürlich auch, um dich ein bisschen zu ärgern.)

    Ob damit alles gesagt ist? Vermutlich noch lange nicht. Aber jedes Mal, wenn ich versuche, etwas Persönliches zu schreiben, verwandelt sich das in eine Vollkatastrophe. Hm, naja, wenigstens habe ich es versucht. Beschwerden bitte persönlich einreichen. Und weil heute Valentinstag ist, auch nochmal einen schönen Valentinstag. Es kann sein, dass du den Text erst um Weihnachten liest oder gar nicht, aber manche Dinge sollen gesagt werden, einfach, damit sie mal gesagt worden sind. Und weil mir sonst nichts Besseres für den dämlichen Brief eingefallen ist.
    Ich hoffe wirklich, dass ich dich eines Tages im Rollstuhl rumschieben kann und dich damit aufziehen, was wir in unserer Jugend alles verbockt haben. Und ja, ich werde dich waschen und hegen und pflegen und wenn du dich traust, dir eine Jüngere anzuschaffen, dann vergifte ich dich und kassiere die Lebensversicherung ein, pah.

Danke. Für deine Geduld, dein Verständnis, deine Versuche, mich aufzuheitern; danke für deine Liebe. Ich werde dieses kostbare Geschenk in Ehren halten. (Nachdem ich mich in den nächsten Mülleimer übergeben habe, pfui, ist das kitschig.)

好き に なって くれて ありがとう。
Dieses Mal hoffentlich mit den richtigen Leerzeichen.
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