[Daft Punk] Erosmachine
von papirossy
Kurzbeschreibung
[Daft Punk] 1992/1993 > Daft Punk vor Daft Punk >> Thomas und Guy-Man geistern suchend durch das nächtliche Paris und finden am Ende sich selbst
KurzgeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
Guy-Manuel de Homem-Christo
Stuart McMillan
Thomas Bangalter
08.12.2019
27.12.2019
8
13.492
2
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08.12.2019
1.827
November 1993
Pariser Nacht. Guy-Man, der sich die Hand vorhält und sich eine anzündet. Thomas kommt aus dem Imbiss. Seine heißen Fritten dampfen in der kalten Novembernacht. Zigarettenrauch wird in die Luft gepustet. Guy-Man ist froh, dass Thomas mal was isst, und Thomas wundert sich nicht, dass Guy-Man mal wieder raucht.
„Schrecklich hier“, säuselt Guy-Man unbeteiligt.
Sie sind in einem Viertel, in dem man das Jaulen eines Hundes nicht vom Todeskrächzen eines Verrückten unterscheiden kann. An einer roten Ampel hält ein Wagen, aus dessen offenen Fenstern In the Air Tonight von Phil Collins in die Welt hinausposaunt wird, als zeuge dieser Song von einem ganz besonders erlesenen Musikgeschmack. Tut er nicht. Thomas und Guy-Man entlockt er noch nicht einmal ein müdes Lächeln.
„Also, wer legt da heute noch gleich auf?“
„Laurent.“
„Unser Laurent?“
„Nein.“
„Garnier?“
„Ja.“
Montmartre. Eine lange Schlange. Wummernde Bässe, die nervös machen. Guy-Man, der sich wieder eine ansteckt. Nervöse Blicke. Keiner in der Schlange, den man kennt. Andere Szene.
„Ey, Guy-Man.“
„Hm.“
„Ist das eine Schwulenparty?“
Guy-Man sieht sich mit verschlafenem Blick um und zuckt mit den Schultern. „Scheint ganz so. Problem?“
„Nein. Ist mir eben nur aufgefallen.“
Verlegene Pause. Umherschweifende Blicke.
„Denkst du wir kommen diesmal rein?“
Guy-Man zuckt mit den Schultern.
„Mal schauen.“
Sie kommen rein. Zwei minderjährige Schluffis in Hemd und Polo-Shirt umgeben von Netzoberteilen oder gleich ganz oben ohne. Aber das spielt keine Rolle. Thomas ist wie in Trance.
„Schau mal, da sind David und Mathias!“, ruft Guy-Man und auf einer Welle der Nacht reitend winken sie sich zu, finden sich und lassen sich euphorisch wie Kinder auf dem Schulhof über die Musik aus. Dabei geraten sie erst ins Taumeln und dann ins Tanzen – ob sie wollen oder nicht. Pullis um die Hüfte gewickelt, Trillerpfeifen im Mund. Irgendwann schiebt sich ein Bier in Guy-Mans Sichtfeld. Er streicht sich die langen Haare nach hinten und sieht einen älteren Typen mit kreisrundem Haarausfall. Er will ihm ein Bier ausgeben. Unangenehm.
„Nein, danke“, ruft er durch den pelzigen Klangteppich.
Thomas grinst. Aber er lacht ihn nicht aus. Er freut sich einfach nur.
„Die Typen stehen auf dich.“
„Scheint fast so.“
Thomas kann es ihnen nicht übel nehmen. Guy-Man ist irgendwie ein schöner Typ. Schläfriger Blick, unbeteiligte Art, lange, dunkle Haare, um die ihn so manche Frau beneiden würde...
„Der arme Kerl“, ruft Thomas ihm ins Ohr. Guy-Man sieht sich ungerührt um und schüttelt gelangweilt sein Haar nach hinten. Und statt sich wieder aus seinem Dunstkreis zu begeben, nachdem er ihm ins Ohr gerufen hat, bleibt Thomas jetzt einfach da und wundert sich selbst über die Lust in seiner Nähe zu sein.
Ihre Körper zucken im Takt. Es ist etwas peinlich, keiner weiß, wo er hinschauen soll. Hin und wieder treffen sich ihre Blicke und keiner weiß, was er damit anfangen soll. Ein unterdrücktes Grinsen hier und da und mit jedem neuen Beat ein neuer Move und dann plötzlich Hüfte an Hüfte. Es gefällt. Und plötzlich ist auch keiner mehr verlegen. Sie reiten auf der Welle. Hüfte an Hüfte, Stirn an Stirn, die Füße auf dem Beat, die Hände im Nacken des anderen. Guy-Man lässt ihn betteln. Genießt es die Kontrolle zu haben, weiß, dass Thomas darauf wartet, dass er seinen Kopf heben und sich küssen lassen würde. Keiner hat es jemals darauf angelegt, aber das mit der Musik, die Gefühle, das muss irgendwo hin. Und wenn da einer ist, der dich auffängt, wenn du durch den Beat fällst, dann lass ihn. Guy-Man spürt weiche Lippen und krallt seine Hände in olivfarbenen Hemdstoff.
Strenggenommen ist das auch kein Kuss. Es ist einfach die Musik, die durch ihre Körper fließt. Und als sie später in der Nacht in Thomas’ Schlafzimmer sind, ist es immer noch die Musik, die in ihnen pulsiert. Sie fordert lange Küsse, will Haut spüren und das Pulsieren eines anderen Menschens. Die Silhouette eines langhaarigen Mannes, der über einem anderen kauert. Ein Rhythmus aus Atem, Stimmen und der Federkernmatratze. Sirenengeheul. Das Klatschen von Haut auf Haut, banges Innehalten, als draußen im Flur das Licht angeht. Die Badtür, Klospülung, Wasserhahn, ein Räuspern, dann ein Rotzen, wieder die Badtür. Licht aus.
Ein irritierter, fragender Blick, langsam weiter.
„Oh mann, beinahe hätte ich meinen Rhythmus verloren“, seufzt Thomas, der unten liegt.
Was geschieht hier? Fickt er da gerade seinen besten Freund? Sind das seine Hände da auf Guy-Mans nackten Schenkeln? Es ist heiß. Gott, das ist heiß. In einem euphorischen Rausch bäumt er sich auf, packt Guy-Man, bettelt nach einem Kuss und kriegt ihn.
Zigarette danach.
Als wäre es das Normalste von der Welt. Vielleicht hätten sie nicht so oft diesen Andy Warhol Film Flesh sehen sollen.
Wortlos reicht Guy-Man die Zigarette rüber. Thomas nimmt sie etwas ungeschickt und zieht daran. Er raucht eigentlich nicht, aber was soll’s. Er schläft ja sonst auch nicht mit Typen.
„Soll ich gehen?“, fragt Guy-Man, der entspannt neben ihm liegt, den Kopf auf seine Hand gestützt und ihn verträumt anschaut. Ein silbernes Kruzifix liegt auf seinem kantigen Schlüsselbein und schafft es beinahe, Thomas ein schlechtes Gewissen zu machen.
„Was, red doch keinen Blödsinn, du kannst hier bleiben.“
Guy-Man nimmt die Zigarette und schaut ihn lang an, während er daran zieht.
„Was macht dein Demo-Band?“
„Ist schon fast fertig. Aber es fehlt noch der Feinschliff.“
„Wann wirst du es mir vorspielen?“
„Weiß nicht, wenn ich zufrieden bin.“
„Tssss.“
Er ist wirklich schön.
„Kann ich mal das Fenster aufmachen?“
Und so höflich.
„Nur zu.“
Guy-Man drückt die Zigarette aus und zieht sich seinen Schlüpfer über. Am offenen Fenster steckt er sich direkt eine neue Zigarette an. Kalte Winterluft strömt über seine nackte Brust. Paris flackert und flimmert in der dunklen Nacht.
„Es ist wirklich schön“, sagt Guy-Man und wirkt einen Moment traurig. Nicht weil er traurig ist – er sieht einfach ständig so aus, wenn er entspannt ist. Thomas hat sich schon daran gewöhnt. Er steht ein bisschen drauf.
Plötzlich schiebt er seine langen Beine aus dem Bett und geht zu ihm rüber. Er sah einfach plötzlich so weit weg aus. Und je weiter weg er war, desto absurder wurde das, was sie gerade getan hatten. Und wie um dieses Gefühl nicht zulassen zu wollen, nimmt er noch einmal sein Gesicht in seine Hände und küsst ihn. Guy-Man ist überrascht, küsst ihn aber schüchtern zurück. Es ist seltsam, so ganz ohne Musik. Jetzt gibt es keine Rechtfertigung mehr dafür.
Die Nacht ist kurz. Er wacht auf, als das erste graue Tageslicht durch die Fenster fällt. Neben ihm liegt ein nackter Rücken. Lange dunkle Haare, die wie Wasser von seinem Nacken fließen.
Er steht auf und setzt sich an seinen Schreibtisch. Kopfhörer auf, zurück an die Arbeit. Hinter ihm der schlafende Guy-Man, der langsam wach wird, sich umschaut und die lange gekrümmte Gestalt am Schreibtisch sieht.
„Lass mal hören“, sagt er sanft mit einer Hand auf Thomas’ Schulter. Mit der anderen fordert er die Kopfhörer. Thomas sieht ihn erschrocken an. Dann denkt er sich zum ersten Mal – Warum nicht? – und reicht sie ihm.
Thomas beginnt zu spielen, Guy-Man nickt konzentriert mit dem Kopf. Dann nimmt er die Kopfhörer ab und streicht seine Haare nach hinten. Thomas starrt ihn mit offenem Mund an.
„Ja und?“
„Ist gut.“
„Gut?“
Wenn Guy-Man etwas „gut“ findet, ist es normalerweise überragend. Dennoch sackt Thomas etwas entmutigt auf seinem Stuhl zusammen.
„Hm, vielleicht noch etwas flach. Darf ich mal?“
Er beugt sich über Thomas. Thomas riecht herben Männerschweiß, Aftershave und Sex, während Guy-Man ein paar Patchkabel umsteckt, lauscht, an den Oszillatoren dreht, wieder lauscht und wieder dreht, bis er Thomas die Kopfhörer zurückreicht und sich zufrieden eine Zigarette ansteckt.
Thomas spielt auf der Moog, lauscht mit offenem Mund, kann nicht fassen, was er da hört.
„Mann, du bist ein Genie!“
Guy-Man drückt die Zigarette in dem kleinen Cola-Deckel aus, den er dafür bekommen hat.
„Ich geh mal ins Bad.“
Thomas’ Mutter schaut nicht schlecht, als sie dem halbnackten Guy-Man im Flur begegnet. Er grüßt sie schüchtern, meidet wie üblich Blickkontakt, und schiebt sich an ihr vorbei ins Bad. Sie ist ihm schon öfter morgens im Flur begegnet. Die Jungs haben oft auf einander gehangen und die ganze Nacht Horrorfilme geschaut, Musik gemacht. Aber nach allem, was sie gestern Nacht gehört hat, hatte sie angenommen, dass Thomas Mädchenbesuch hätte.
Guy-Man jetzt hier zu sehen war... irritierend.
Sie sieht die offene Tür, denkt kurz nach und kann sich dann doch nicht zurückhalten. Neugierig steckt sie ihren Kopf in das Zimmer. Thomas kauert über seinem Keyboard. Die Luft riecht nach Zigaretten, auf dem Boden liegt eine aufgerissene Kondompackung.
„Oh.“
Kiefer Sutherland schaut sie herausfordernd von dem alten Lost Boys Poster aus an. Selbst Schuld, wenn du hier rein kommst!
„Hm?“
Thomas reißt sich ungeduldig die Kopfhörer von seinem lockigen Kopf.
„Maman!“, schimpft er.
„Äh, ich wollte fragen, ob du und Guy-Man... äh, vielleicht etwas zu essen wollt?“
„Nein, passt schon, wir machen uns was, wenn wir Hunger haben.“
„Nagut.“
„Ist noch etwas?“
„Nein.“
„Okay, na dann.“
„Na dann.“
Sie zieht die Tür ran, geht in die Küche und starrt eine Weile in den Ausguss, bevor sie das Geschirrtuch nimmt und anfängt das trockene Geschirr abzuwischen.
Guy-Man bleibt den ganzen Sonntag. Sie machen Musik. Die ganze Wohnung riecht schon bald nach Zigaretten. Nachdem die Sonne untergegangen ist, ist Ruhe. Die schrecklichen Töne hören eine Weile auf. Bald dringt Stöhnen aus dem Raum und Thomas’ Mutter dreht das Küchenradio lauter.
„Ich glaube er ist schwul“, flüstert sie nachts leise im Bett.
„Was?“, fragt ihr verschlafener Mann, Thomas’ Vater, neben ihr.
„Naja, Guy-Manuel und er, sie hatten Sex, weißt du.“
„Bist du dir sicher?“
„Ohja.“
„Puh.“ Erstaunte Gesichter. „Na und wenn schon. Nur weil man mit einem anderen Mann schläft, muss man noch lange nicht schwul sein. Viele Jungs experimentieren in dem Alter.“
„Was denn, du auch?“
„Dazu sage ich nichts.“
Eine Weile Stille.
„Ich hoffe nur er treibt es nicht so wild. Jetzt mit dieser ganzen AIDS-Sache.“
„Ach, jetzt hör doch auf. Er ist ein vernünftiger Junge. Und Guy-Man auch!“
„Wenigstens benutzen sie Kondome.“
„Da hast du’s. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Mir wäre lieber der Junge sucht sich einen Job, dann kann er von mir aus im Bett treiben, was er will. Kaum einer kann von der Musik allein leben. Vor allem nicht am Anfang.“
„Mir wäre trotzdem lieber, wenn du mal mit ihm sprichst.“
„Mit ihm sprechen? Was soll ich denn mit ihm sprechen?“
„Na du weißt schon. Ich will einfach, dass er weiß, dass er jederzeit zu uns kommen kann, wenn was ist.“
„Das weiß er doch auch so. Lass den Jungen in Ruhe. Er amüsiert sich nur ein bisschen.“
Stille. Das Geraschel von Bettwäsche. Ein Seufzen.
„Wenn du unbedingt mit ihm reden willst, sag ihm, dass das mit den Zigaretten aufhören muss. Die ganze Bude riecht danach.“
Pariser Nacht. Guy-Man, der sich die Hand vorhält und sich eine anzündet. Thomas kommt aus dem Imbiss. Seine heißen Fritten dampfen in der kalten Novembernacht. Zigarettenrauch wird in die Luft gepustet. Guy-Man ist froh, dass Thomas mal was isst, und Thomas wundert sich nicht, dass Guy-Man mal wieder raucht.
„Schrecklich hier“, säuselt Guy-Man unbeteiligt.
Sie sind in einem Viertel, in dem man das Jaulen eines Hundes nicht vom Todeskrächzen eines Verrückten unterscheiden kann. An einer roten Ampel hält ein Wagen, aus dessen offenen Fenstern In the Air Tonight von Phil Collins in die Welt hinausposaunt wird, als zeuge dieser Song von einem ganz besonders erlesenen Musikgeschmack. Tut er nicht. Thomas und Guy-Man entlockt er noch nicht einmal ein müdes Lächeln.
„Also, wer legt da heute noch gleich auf?“
„Laurent.“
„Unser Laurent?“
„Nein.“
„Garnier?“
„Ja.“
Montmartre. Eine lange Schlange. Wummernde Bässe, die nervös machen. Guy-Man, der sich wieder eine ansteckt. Nervöse Blicke. Keiner in der Schlange, den man kennt. Andere Szene.
„Ey, Guy-Man.“
„Hm.“
„Ist das eine Schwulenparty?“
Guy-Man sieht sich mit verschlafenem Blick um und zuckt mit den Schultern. „Scheint ganz so. Problem?“
„Nein. Ist mir eben nur aufgefallen.“
Verlegene Pause. Umherschweifende Blicke.
„Denkst du wir kommen diesmal rein?“
Guy-Man zuckt mit den Schultern.
„Mal schauen.“
Sie kommen rein. Zwei minderjährige Schluffis in Hemd und Polo-Shirt umgeben von Netzoberteilen oder gleich ganz oben ohne. Aber das spielt keine Rolle. Thomas ist wie in Trance.
„Schau mal, da sind David und Mathias!“, ruft Guy-Man und auf einer Welle der Nacht reitend winken sie sich zu, finden sich und lassen sich euphorisch wie Kinder auf dem Schulhof über die Musik aus. Dabei geraten sie erst ins Taumeln und dann ins Tanzen – ob sie wollen oder nicht. Pullis um die Hüfte gewickelt, Trillerpfeifen im Mund. Irgendwann schiebt sich ein Bier in Guy-Mans Sichtfeld. Er streicht sich die langen Haare nach hinten und sieht einen älteren Typen mit kreisrundem Haarausfall. Er will ihm ein Bier ausgeben. Unangenehm.
„Nein, danke“, ruft er durch den pelzigen Klangteppich.
Thomas grinst. Aber er lacht ihn nicht aus. Er freut sich einfach nur.
„Die Typen stehen auf dich.“
„Scheint fast so.“
Thomas kann es ihnen nicht übel nehmen. Guy-Man ist irgendwie ein schöner Typ. Schläfriger Blick, unbeteiligte Art, lange, dunkle Haare, um die ihn so manche Frau beneiden würde...
„Der arme Kerl“, ruft Thomas ihm ins Ohr. Guy-Man sieht sich ungerührt um und schüttelt gelangweilt sein Haar nach hinten. Und statt sich wieder aus seinem Dunstkreis zu begeben, nachdem er ihm ins Ohr gerufen hat, bleibt Thomas jetzt einfach da und wundert sich selbst über die Lust in seiner Nähe zu sein.
Ihre Körper zucken im Takt. Es ist etwas peinlich, keiner weiß, wo er hinschauen soll. Hin und wieder treffen sich ihre Blicke und keiner weiß, was er damit anfangen soll. Ein unterdrücktes Grinsen hier und da und mit jedem neuen Beat ein neuer Move und dann plötzlich Hüfte an Hüfte. Es gefällt. Und plötzlich ist auch keiner mehr verlegen. Sie reiten auf der Welle. Hüfte an Hüfte, Stirn an Stirn, die Füße auf dem Beat, die Hände im Nacken des anderen. Guy-Man lässt ihn betteln. Genießt es die Kontrolle zu haben, weiß, dass Thomas darauf wartet, dass er seinen Kopf heben und sich küssen lassen würde. Keiner hat es jemals darauf angelegt, aber das mit der Musik, die Gefühle, das muss irgendwo hin. Und wenn da einer ist, der dich auffängt, wenn du durch den Beat fällst, dann lass ihn. Guy-Man spürt weiche Lippen und krallt seine Hände in olivfarbenen Hemdstoff.
Strenggenommen ist das auch kein Kuss. Es ist einfach die Musik, die durch ihre Körper fließt. Und als sie später in der Nacht in Thomas’ Schlafzimmer sind, ist es immer noch die Musik, die in ihnen pulsiert. Sie fordert lange Küsse, will Haut spüren und das Pulsieren eines anderen Menschens. Die Silhouette eines langhaarigen Mannes, der über einem anderen kauert. Ein Rhythmus aus Atem, Stimmen und der Federkernmatratze. Sirenengeheul. Das Klatschen von Haut auf Haut, banges Innehalten, als draußen im Flur das Licht angeht. Die Badtür, Klospülung, Wasserhahn, ein Räuspern, dann ein Rotzen, wieder die Badtür. Licht aus.
Ein irritierter, fragender Blick, langsam weiter.
„Oh mann, beinahe hätte ich meinen Rhythmus verloren“, seufzt Thomas, der unten liegt.
Was geschieht hier? Fickt er da gerade seinen besten Freund? Sind das seine Hände da auf Guy-Mans nackten Schenkeln? Es ist heiß. Gott, das ist heiß. In einem euphorischen Rausch bäumt er sich auf, packt Guy-Man, bettelt nach einem Kuss und kriegt ihn.
Zigarette danach.
Als wäre es das Normalste von der Welt. Vielleicht hätten sie nicht so oft diesen Andy Warhol Film Flesh sehen sollen.
Wortlos reicht Guy-Man die Zigarette rüber. Thomas nimmt sie etwas ungeschickt und zieht daran. Er raucht eigentlich nicht, aber was soll’s. Er schläft ja sonst auch nicht mit Typen.
„Soll ich gehen?“, fragt Guy-Man, der entspannt neben ihm liegt, den Kopf auf seine Hand gestützt und ihn verträumt anschaut. Ein silbernes Kruzifix liegt auf seinem kantigen Schlüsselbein und schafft es beinahe, Thomas ein schlechtes Gewissen zu machen.
„Was, red doch keinen Blödsinn, du kannst hier bleiben.“
Guy-Man nimmt die Zigarette und schaut ihn lang an, während er daran zieht.
„Was macht dein Demo-Band?“
„Ist schon fast fertig. Aber es fehlt noch der Feinschliff.“
„Wann wirst du es mir vorspielen?“
„Weiß nicht, wenn ich zufrieden bin.“
„Tssss.“
Er ist wirklich schön.
„Kann ich mal das Fenster aufmachen?“
Und so höflich.
„Nur zu.“
Guy-Man drückt die Zigarette aus und zieht sich seinen Schlüpfer über. Am offenen Fenster steckt er sich direkt eine neue Zigarette an. Kalte Winterluft strömt über seine nackte Brust. Paris flackert und flimmert in der dunklen Nacht.
„Es ist wirklich schön“, sagt Guy-Man und wirkt einen Moment traurig. Nicht weil er traurig ist – er sieht einfach ständig so aus, wenn er entspannt ist. Thomas hat sich schon daran gewöhnt. Er steht ein bisschen drauf.
Plötzlich schiebt er seine langen Beine aus dem Bett und geht zu ihm rüber. Er sah einfach plötzlich so weit weg aus. Und je weiter weg er war, desto absurder wurde das, was sie gerade getan hatten. Und wie um dieses Gefühl nicht zulassen zu wollen, nimmt er noch einmal sein Gesicht in seine Hände und küsst ihn. Guy-Man ist überrascht, küsst ihn aber schüchtern zurück. Es ist seltsam, so ganz ohne Musik. Jetzt gibt es keine Rechtfertigung mehr dafür.
Die Nacht ist kurz. Er wacht auf, als das erste graue Tageslicht durch die Fenster fällt. Neben ihm liegt ein nackter Rücken. Lange dunkle Haare, die wie Wasser von seinem Nacken fließen.
Er steht auf und setzt sich an seinen Schreibtisch. Kopfhörer auf, zurück an die Arbeit. Hinter ihm der schlafende Guy-Man, der langsam wach wird, sich umschaut und die lange gekrümmte Gestalt am Schreibtisch sieht.
„Lass mal hören“, sagt er sanft mit einer Hand auf Thomas’ Schulter. Mit der anderen fordert er die Kopfhörer. Thomas sieht ihn erschrocken an. Dann denkt er sich zum ersten Mal – Warum nicht? – und reicht sie ihm.
Thomas beginnt zu spielen, Guy-Man nickt konzentriert mit dem Kopf. Dann nimmt er die Kopfhörer ab und streicht seine Haare nach hinten. Thomas starrt ihn mit offenem Mund an.
„Ja und?“
„Ist gut.“
„Gut?“
Wenn Guy-Man etwas „gut“ findet, ist es normalerweise überragend. Dennoch sackt Thomas etwas entmutigt auf seinem Stuhl zusammen.
„Hm, vielleicht noch etwas flach. Darf ich mal?“
Er beugt sich über Thomas. Thomas riecht herben Männerschweiß, Aftershave und Sex, während Guy-Man ein paar Patchkabel umsteckt, lauscht, an den Oszillatoren dreht, wieder lauscht und wieder dreht, bis er Thomas die Kopfhörer zurückreicht und sich zufrieden eine Zigarette ansteckt.
Thomas spielt auf der Moog, lauscht mit offenem Mund, kann nicht fassen, was er da hört.
„Mann, du bist ein Genie!“
Guy-Man drückt die Zigarette in dem kleinen Cola-Deckel aus, den er dafür bekommen hat.
„Ich geh mal ins Bad.“
Thomas’ Mutter schaut nicht schlecht, als sie dem halbnackten Guy-Man im Flur begegnet. Er grüßt sie schüchtern, meidet wie üblich Blickkontakt, und schiebt sich an ihr vorbei ins Bad. Sie ist ihm schon öfter morgens im Flur begegnet. Die Jungs haben oft auf einander gehangen und die ganze Nacht Horrorfilme geschaut, Musik gemacht. Aber nach allem, was sie gestern Nacht gehört hat, hatte sie angenommen, dass Thomas Mädchenbesuch hätte.
Guy-Man jetzt hier zu sehen war... irritierend.
Sie sieht die offene Tür, denkt kurz nach und kann sich dann doch nicht zurückhalten. Neugierig steckt sie ihren Kopf in das Zimmer. Thomas kauert über seinem Keyboard. Die Luft riecht nach Zigaretten, auf dem Boden liegt eine aufgerissene Kondompackung.
„Oh.“
Kiefer Sutherland schaut sie herausfordernd von dem alten Lost Boys Poster aus an. Selbst Schuld, wenn du hier rein kommst!
„Hm?“
Thomas reißt sich ungeduldig die Kopfhörer von seinem lockigen Kopf.
„Maman!“, schimpft er.
„Äh, ich wollte fragen, ob du und Guy-Man... äh, vielleicht etwas zu essen wollt?“
„Nein, passt schon, wir machen uns was, wenn wir Hunger haben.“
„Nagut.“
„Ist noch etwas?“
„Nein.“
„Okay, na dann.“
„Na dann.“
Sie zieht die Tür ran, geht in die Küche und starrt eine Weile in den Ausguss, bevor sie das Geschirrtuch nimmt und anfängt das trockene Geschirr abzuwischen.
Guy-Man bleibt den ganzen Sonntag. Sie machen Musik. Die ganze Wohnung riecht schon bald nach Zigaretten. Nachdem die Sonne untergegangen ist, ist Ruhe. Die schrecklichen Töne hören eine Weile auf. Bald dringt Stöhnen aus dem Raum und Thomas’ Mutter dreht das Küchenradio lauter.
„Ich glaube er ist schwul“, flüstert sie nachts leise im Bett.
„Was?“, fragt ihr verschlafener Mann, Thomas’ Vater, neben ihr.
„Naja, Guy-Manuel und er, sie hatten Sex, weißt du.“
„Bist du dir sicher?“
„Ohja.“
„Puh.“ Erstaunte Gesichter. „Na und wenn schon. Nur weil man mit einem anderen Mann schläft, muss man noch lange nicht schwul sein. Viele Jungs experimentieren in dem Alter.“
„Was denn, du auch?“
„Dazu sage ich nichts.“
Eine Weile Stille.
„Ich hoffe nur er treibt es nicht so wild. Jetzt mit dieser ganzen AIDS-Sache.“
„Ach, jetzt hör doch auf. Er ist ein vernünftiger Junge. Und Guy-Man auch!“
„Wenigstens benutzen sie Kondome.“
„Da hast du’s. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Mir wäre lieber der Junge sucht sich einen Job, dann kann er von mir aus im Bett treiben, was er will. Kaum einer kann von der Musik allein leben. Vor allem nicht am Anfang.“
„Mir wäre trotzdem lieber, wenn du mal mit ihm sprichst.“
„Mit ihm sprechen? Was soll ich denn mit ihm sprechen?“
„Na du weißt schon. Ich will einfach, dass er weiß, dass er jederzeit zu uns kommen kann, wenn was ist.“
„Das weiß er doch auch so. Lass den Jungen in Ruhe. Er amüsiert sich nur ein bisschen.“
Stille. Das Geraschel von Bettwäsche. Ein Seufzen.
„Wenn du unbedingt mit ihm reden willst, sag ihm, dass das mit den Zigaretten aufhören muss. Die ganze Bude riecht danach.“