Vor falschen Musen wird gewarnt!
von Thomas Heinrich
Kurzbeschreibung
Wie alle Autoren bin auch ich auf die Hilfe der Musen angewiesen. Allerdings muß man als Autor aufpassen, um nicht auf falsche Musen hereinzufallen... Mein Beitrag zum Projekt "Unsere Musen".
GeschichteHumor / P12 / Gen
24.11.2019
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Da ich vor kurzem auf das Projekt Unsere Musen aufmerksam geworden bin, habe ich mir einfach mal den Spaß erlaubt, auch einen kleinen Text beizutragen.
Mein Verhältnis zu den Musen ist nicht ganz einfach; bevor ich aber damit beginne, dieses näher zu erläutern, will ich doch zunächst einmal einige grundlegende Mißverständnisse ausräumen, die immer noch vielfach das Denken verwirren, sobald von den Musen die Rede ist.
Zunächst einmal stellen viele Leute sich vor, daß die Musen, wenn sie einen Künstler besuchen, angeflogen kämen oder zumindest heranschwebten. Vielleicht taten sie das in früheren Zeiten wirklich, ich weiß es nicht. Heute tun sie es jedenfalls nicht mehr, denn die Musen sind alt geworden, und man sieht es ihnen auch an. Weiterhin glauben nicht wenige, daß das bloße Erscheinen einer Muse den Künstler von jeder weiteren Arbeit befreien würde - schön wär's! Tatsächlich sind es vor allem Entwürfe, mit denen sie den schöpferischen Menschen beschenken, und bei der Ausarbeitung geben sie diesen auch schon mal Ratschläge, doch trotzdem muß der Künstler den größten Teil der Arbeit selbst erledigen.
Was nun mich betrifft, so werde ich vor allem von Kalliope besucht. Kalliope hat schneeweißes Haar und hinkt ein wenig, trotzdem ist sie noch bemerkenswert rüstig und nimmt regelmäßig den beschwerlichen Weg vom Parnaß zu den Erzählern auf sich. Obwohl Kalliope ihr Alter anzusehen ist, ist sie immer noch auf ihre Weise schön, und in früheren Zeiten muß sie von überwältigender Schönheit gewesen sein. Sie hat sich auf alle Fälle gut gehalten, und einige der anderen Musen sind viel schlechter dran, wie mir Kalliope selbst berichtet hat, denn manchmal erzählt sie ein wenig von ihren Schwestern, wenn sie mich besucht.
„Besonders schlecht ist die arme Polyhmynia dran“, sagte sie einst zu mir. „Die Ärmste braucht mittlerweile einen Rollator und besucht die Menschen schon lange nicht mehr, weil es ihr zu schwer fällt.“
Diese Bemerkung war aufschlußreich, denn nun verstand ich endlich, warum nur noch so ein furchtbares Gejaule zu hören ist, wenn man das Radio anschaltet.
Auch den meisten anderen Musen geht es, wenn ich Kalliope Glauben schenken darf, wohl nicht besonders gut, mit der Ausnahme von Urania - vielleicht liegt es ja daran, daß sie sich am liebsten mit so langlebigen Objekten wie den Sternen beschäftigt.
Was nun Kalliope selbst betrifft, so bin ich ihr einerseits natürlich sehr dankbar dafür, daß sie mich immer wieder mit Konzepten versorgt und mich so ganz nebenbei mit dem neuesten Musenklatsch unterhält. Andererseits merke ich ihren Vorschlägen doch auch immer wieder an, daß sie nicht mehr die jüngste ist. Das gibt sie auch selbst zu und sagt: „Was soll ich machen? Meine besten Ideen habe ich schon vor Menschengedenken an die früheren Dichter verteilt, und inzwischen sind eben alle guten Bücher bereits geschrieben!“ Das leuchtet mir natürlich ein, und so versuche ich eben, meine Geschichten, die alle schon recht abgestanden sind, so zu verpacken, daß die Leser nach Möglichkeit das leichte Müffeln nicht bemerken.
Mit den Ideen, die Kalliope mir bringt, ist es aber auch so eine Sache. Manchmal, wenn ich dringend eine Idee oder zumindest einen Ratschlag bräuchte, läßt sie sich Monate lang nicht blicken, oder sie kommt zwar vorbei, stellt dann aber fest, daß sie ihre Vorschläge auf dem Parnaß vergessen hat. Zu anderen Zeiten überhäuft sie mich förmlich mit Konzepten und ich möchte dann am liebsten klagen: „Wann soll ich das denn alles ausarbeiten?“ Es wäre jedoch nicht klug, das wirklich laut zu sagen, denn Kalliope ist recht schnell eingeschnappt, und wenn ich mich laut beschweren würde, könnte ich mir sicher sein, daß sie sich mindestens ein halbes Jahr nicht mehr blicken läßt.
Immerhin besucht Kalliope mich regelmäßig. Auf ihre Schwestern warte ich dagegen in aller Regel vergebens, vor allem auf Melpomene, was mich schon wurmt, da ich im dramatischen Fach bisher nicht allzu viel zustande gebracht habe und ein wenig Musenunterstützung gut gebrauchen könnte.
Und da ist mir nun neulich etwas ziemlich Merkwürdiges passiert. Ich lag noch morgens in meinem Bett, als mich plötzlich eine weinerliche Stimme weckte: „Wach auf, ich bin Melpomene!“
Ich war ziemlich erstaunt, weil ich mir Melpomenes Stimme ganz anders vorgestellt hatte. Ich sah mich in meinem Zimmer um und erblickte höchst unscharf eine weibliche Gestalt. Ich fragte sie jedoch nicht, wie sie hineingekommen war, da Musen da ihre eigenen Methoden haben.
„Ich habe einen Entwurf für dich mitgebracht!“ sagte sie leidend.
Sofort stürzte ich zu meinem Schreibtisch und wollte erst mal meine Brille aufsetzen, aber ich merkte bald, daß der Entwurf in so kleiner Schrift verfaßt war, daß es keinen Sinn hatte, die Brille aufzusetzen; seit ein paar Jahren kann ich so winzige Buchstaben nur noch ohne meine Brille lesen. Also überflog ich nun den Entwurf, wurde aber zunehmend mißtrauisch. Das sollte das Konzept einer großen und tiefgründigen Tragödie sein? Das alles las sich dermaßen schwülstig und melodramatisch, daß es mir eher wie das Drehbuch einer schlechten Fernsehserie erschien.
Nun beschloß ich, endlich doch meine Brille aufzusetzen, und als ich die angebliche Melpomene sah, fiel mir als erstes auf, daß ihr Gesicht auf ziemlich vulgäre Weise überschminkt war, und so beschloß ich, die Muse zur Rede zu stellen: „Du willst die Muse der Tragödie sein? Du bist allenfalls die Muse des kitschigen Schmachtfetzens!“
„Wehe!“ rief sie stöhnend und mit übertriebenen Gebärden, die ihr, wenn noch andere Personen zugegen gewesen wären, vermutlich die Goldene Himbeere eingebracht hätten. „Alle meine Ränke sind durchschaut“, seufzte sie noch schmachtend, bevor sie mit einem lauten Knall verschwand.
Als ich ihr furchtbares Manuskript wegwerfen wollte, merkte ich plötzlich, daß es arg fettig war, und wie ich nun feststellen mußte, troff es vor - Schmalz! Tatsächlich Schmalz, und noch dazu eine ziemlich minderwertige Sorte.
Ich habe mich immer gefragt, wo nur die ungeheure Menge von Schundromanen herkommt, die die Buchhandlungen überschwemmen. Offenbar müssen dort draußen Tausende solcher falschen Musen herumlaufen...
Vor falschen Musen wird gewarnt!
Mein Verhältnis zu den Musen ist nicht ganz einfach; bevor ich aber damit beginne, dieses näher zu erläutern, will ich doch zunächst einmal einige grundlegende Mißverständnisse ausräumen, die immer noch vielfach das Denken verwirren, sobald von den Musen die Rede ist.
Zunächst einmal stellen viele Leute sich vor, daß die Musen, wenn sie einen Künstler besuchen, angeflogen kämen oder zumindest heranschwebten. Vielleicht taten sie das in früheren Zeiten wirklich, ich weiß es nicht. Heute tun sie es jedenfalls nicht mehr, denn die Musen sind alt geworden, und man sieht es ihnen auch an. Weiterhin glauben nicht wenige, daß das bloße Erscheinen einer Muse den Künstler von jeder weiteren Arbeit befreien würde - schön wär's! Tatsächlich sind es vor allem Entwürfe, mit denen sie den schöpferischen Menschen beschenken, und bei der Ausarbeitung geben sie diesen auch schon mal Ratschläge, doch trotzdem muß der Künstler den größten Teil der Arbeit selbst erledigen.
Was nun mich betrifft, so werde ich vor allem von Kalliope besucht. Kalliope hat schneeweißes Haar und hinkt ein wenig, trotzdem ist sie noch bemerkenswert rüstig und nimmt regelmäßig den beschwerlichen Weg vom Parnaß zu den Erzählern auf sich. Obwohl Kalliope ihr Alter anzusehen ist, ist sie immer noch auf ihre Weise schön, und in früheren Zeiten muß sie von überwältigender Schönheit gewesen sein. Sie hat sich auf alle Fälle gut gehalten, und einige der anderen Musen sind viel schlechter dran, wie mir Kalliope selbst berichtet hat, denn manchmal erzählt sie ein wenig von ihren Schwestern, wenn sie mich besucht.
„Besonders schlecht ist die arme Polyhmynia dran“, sagte sie einst zu mir. „Die Ärmste braucht mittlerweile einen Rollator und besucht die Menschen schon lange nicht mehr, weil es ihr zu schwer fällt.“
Diese Bemerkung war aufschlußreich, denn nun verstand ich endlich, warum nur noch so ein furchtbares Gejaule zu hören ist, wenn man das Radio anschaltet.
Auch den meisten anderen Musen geht es, wenn ich Kalliope Glauben schenken darf, wohl nicht besonders gut, mit der Ausnahme von Urania - vielleicht liegt es ja daran, daß sie sich am liebsten mit so langlebigen Objekten wie den Sternen beschäftigt.
Was nun Kalliope selbst betrifft, so bin ich ihr einerseits natürlich sehr dankbar dafür, daß sie mich immer wieder mit Konzepten versorgt und mich so ganz nebenbei mit dem neuesten Musenklatsch unterhält. Andererseits merke ich ihren Vorschlägen doch auch immer wieder an, daß sie nicht mehr die jüngste ist. Das gibt sie auch selbst zu und sagt: „Was soll ich machen? Meine besten Ideen habe ich schon vor Menschengedenken an die früheren Dichter verteilt, und inzwischen sind eben alle guten Bücher bereits geschrieben!“ Das leuchtet mir natürlich ein, und so versuche ich eben, meine Geschichten, die alle schon recht abgestanden sind, so zu verpacken, daß die Leser nach Möglichkeit das leichte Müffeln nicht bemerken.
Mit den Ideen, die Kalliope mir bringt, ist es aber auch so eine Sache. Manchmal, wenn ich dringend eine Idee oder zumindest einen Ratschlag bräuchte, läßt sie sich Monate lang nicht blicken, oder sie kommt zwar vorbei, stellt dann aber fest, daß sie ihre Vorschläge auf dem Parnaß vergessen hat. Zu anderen Zeiten überhäuft sie mich förmlich mit Konzepten und ich möchte dann am liebsten klagen: „Wann soll ich das denn alles ausarbeiten?“ Es wäre jedoch nicht klug, das wirklich laut zu sagen, denn Kalliope ist recht schnell eingeschnappt, und wenn ich mich laut beschweren würde, könnte ich mir sicher sein, daß sie sich mindestens ein halbes Jahr nicht mehr blicken läßt.
Immerhin besucht Kalliope mich regelmäßig. Auf ihre Schwestern warte ich dagegen in aller Regel vergebens, vor allem auf Melpomene, was mich schon wurmt, da ich im dramatischen Fach bisher nicht allzu viel zustande gebracht habe und ein wenig Musenunterstützung gut gebrauchen könnte.
Und da ist mir nun neulich etwas ziemlich Merkwürdiges passiert. Ich lag noch morgens in meinem Bett, als mich plötzlich eine weinerliche Stimme weckte: „Wach auf, ich bin Melpomene!“
Ich war ziemlich erstaunt, weil ich mir Melpomenes Stimme ganz anders vorgestellt hatte. Ich sah mich in meinem Zimmer um und erblickte höchst unscharf eine weibliche Gestalt. Ich fragte sie jedoch nicht, wie sie hineingekommen war, da Musen da ihre eigenen Methoden haben.
„Ich habe einen Entwurf für dich mitgebracht!“ sagte sie leidend.
Sofort stürzte ich zu meinem Schreibtisch und wollte erst mal meine Brille aufsetzen, aber ich merkte bald, daß der Entwurf in so kleiner Schrift verfaßt war, daß es keinen Sinn hatte, die Brille aufzusetzen; seit ein paar Jahren kann ich so winzige Buchstaben nur noch ohne meine Brille lesen. Also überflog ich nun den Entwurf, wurde aber zunehmend mißtrauisch. Das sollte das Konzept einer großen und tiefgründigen Tragödie sein? Das alles las sich dermaßen schwülstig und melodramatisch, daß es mir eher wie das Drehbuch einer schlechten Fernsehserie erschien.
Nun beschloß ich, endlich doch meine Brille aufzusetzen, und als ich die angebliche Melpomene sah, fiel mir als erstes auf, daß ihr Gesicht auf ziemlich vulgäre Weise überschminkt war, und so beschloß ich, die Muse zur Rede zu stellen: „Du willst die Muse der Tragödie sein? Du bist allenfalls die Muse des kitschigen Schmachtfetzens!“
„Wehe!“ rief sie stöhnend und mit übertriebenen Gebärden, die ihr, wenn noch andere Personen zugegen gewesen wären, vermutlich die Goldene Himbeere eingebracht hätten. „Alle meine Ränke sind durchschaut“, seufzte sie noch schmachtend, bevor sie mit einem lauten Knall verschwand.
Als ich ihr furchtbares Manuskript wegwerfen wollte, merkte ich plötzlich, daß es arg fettig war, und wie ich nun feststellen mußte, troff es vor - Schmalz! Tatsächlich Schmalz, und noch dazu eine ziemlich minderwertige Sorte.
Ich habe mich immer gefragt, wo nur die ungeheure Menge von Schundromanen herkommt, die die Buchhandlungen überschwemmen. Offenbar müssen dort draußen Tausende solcher falschen Musen herumlaufen...