Wo wir begraben liegen
von Tschuh
Kurzbeschreibung
Oktober 2001: In den umliegenden Wäldern der amerikanischen Kleinstadt Holden Creek werden mehrere brutal zerstochene Leichen ohne Augen aufgefunden. Die Anwohner sind zunehmend verängstigt und die Polizei tappt im Dunkeln, doch dann schaltet sich plötzlich der Meisterdetektiv L in die Ermittlungen ein. Er schickt ein Team aus drei herausragenden FBI-Agenten nach Holden Creek, die die Mordserie genauer unter die Lupe nehmen sollen. Doch sie bleiben nicht lang allein ... || Content Warnings: Diskussion von psychischen Störungen, Charaktertod und relativ intensive Gewaltdarstellung. Wünscheäußern und Miträtseln erwünscht!
MitmachgeschichteMystery, Thriller / P18 / Mix
Beyond Birthday
L
Naomi Misora
OC (Own Character)
15.11.2019
15.09.2023
40
227.196
13
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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15.06.2021
5.059
AN: So, da mein anderes Hauptprojekt nun endlich beendet ist, kann ich mich jetzt wieder voll und ganz WWBL widmen! (Oder zumindest größtenteils.)
Das bedeutet, dass ihr in den kommenden Monaten (hoffentlich) wieder mit regelmäßigen Updates rechnen könnt, sprich jeden Monat mindestens eines. Und ohne jetzt zu viel zu verraten werden bald wohl auch endlich unsere beiden LABB-Dödel ihren Auftritt bekommen, also seid gespannt! 8D
Der nächste Tag begann deutlich weniger ungemütlich als der vorherige, was glücklicherweise auch dazu beitrug, dass die drei Ermittler sich nicht bereits direkt nach dem Aufstehen an die Gurgel gingen. Ganz im Gegenteil, das Frühstück war sogar erstaunlich ruhig verlaufen – eventuell lag das aber auch einfach daran, dass die beiden Herren der Schöpfung Megan heute noch keinerlei Anlass dazu geliefert hatten, sie aus ihren wohl temperierten Schneckenhäusern zu locken. Diesmal hatte Williams sogar vor dem Essen geduscht! Immerhin lernwillig war das Kerlchen, das musste man ihm lassen. Und so lange er sich weiterhin benahm, sah sie auch keinen Grund dazu, ihn noch einmal auf seine beschämende Niederlage beim gestrigen Billardmatch hinzuweisen.
Nach dem Umziehen hatte die Gruppe sich bis auf weiteres darauf geeinigt, vor der nächsten Zeugenbefragung noch einen Abstecher zum hiesigen Tante-Emma-Laden zu machen und die eine oder andere Kleinigkeit einzukaufen. Neues Shampoo für Sam zum Beispiel, der an diesem Morgen dummerweise hatte feststellen müssen, dass die Flasche, die er sich für seinen Aufenthalt hier eingepackt hatte, beinahe leer gewesen war. Zum Glück wusste Megan aus Erfahrung, dass es keine bessere Möglichkeit gab, einen Kleinstadtmenschen kennenzulernen, als sich im einzigen Lebensmittelgeschäft in der Umgebung mit ihm vor der Kasse die Beine in den Bauch zu stehen. Wenn sie jetzt so darüber nachdachte, dann war sie sich sogar ziemlich sicher, dass sie damals während ihres Sommerjobs im Supermarkt mehr tragische Schicksale und schmutzige Geheimnisse aufgeschnappt hatte, als hinter Johnnys Bartresen.
Auf dem Weg durch die heute tatsächlich etwas lebendiger wirkenden Straßen von Holden Creek und mitten im Gespräch mit Sam, der gerade dabei war, über Misses Atkins’ atemberaubendes Rührei mit Speck und Knoblauchpfeffer zu reminiszieren, fror Megan mit einem Mal in ihrer Bewegung ein und reckte den Kopf in die Luft wie ein Windhund, der soeben eine heiße Fährte erschnüffelt hatte. Richard, der dank dieser abrupten Vollbremsung beinahe in sie hineingelaufen wäre, runzelte argwöhnisch die Stirn.
»Was ist denn-«
»Schh«, unterbrach sie ihren Kollegen, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, und deutete mit ehrfürchtiger Geste auf das Gebäude, vor dem sie stehengeblieben waren: eine Bäckerei. ›Hart’s‹ stand in weißen, geschwungenen Lettern auf dem Schild über der Ladentür, die Megan bei näherer Betrachtung ein wenig an die Schrift erinnerten, in der L für gewöhnlich seine Signatur verfasste, doch das stand im Augenblick überhaupt nicht im Fokus. Es war der verführerische Duft, der aus ebendieser Tür zu ihnen auf die Straße hinüberwehte, und der dafür gesorgt hatte, dass sie vorhin so jäh aus ihren Gedanken gerissen worden war. Der Duft von schwerem, in Butter gebackenem und zum Schluss mit einer Prise Zimt verfeinertem Süßgebäck.
»Hat Misses Atkins vorhin nicht etwas von diesem Laden erwähnt?«, erinnerte sich Sam, während er die Hände in seinen Manteltaschen vergrub und die Fassade näher in Augenschein nahm. »Ein sehr attraktives Schaufensterdesign. Das ist mir gestern Abend auf dem Weg zum Pub schon aufgefallen.«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung!«, erwiderte Megan grinsend und ließ ebenfalls ihren Blick über die Auslage schweifen, die von riesigen, mit Mohn und Körnern bestreuten Brotlaiben, über Brezeln und frisch belegte Sandwiches, bis hin zu sahnetriefenden Tortenstücken so ziemlich alles zu umfassen schien, was das Genießerherz begehrte. Charmant und traditionell wirkte die kleine Backstube auf sie, als hätte sie jemand direkt aus einem Pariser Altstadtgässchen entnommen und hier, mitten im tiefsten Pazifischen Nordwesten, wieder aufgebaut. »Wie wär’s, wenn wir mal kurz reinschauen? Nur um die lokale Wirtschaft ein wenig anzukurbeln natürlich.«
»Warum eigentlich nicht?«, stimmte Sam ihrem Vorschlag zu und man musste wirklich kein Profiler sein, um sich zusammenzureimen, dass er offensichtlich einen ebenso süßen Zahn hatte wie sie. Und diese Tatsache machte ihn Megan gleich noch ein Stückchen sympathischer. »Eine kleine Wegzehrung kann mit Sicherheit nicht schaden.«
»Um ehrlich zu sein bin ich noch vom Frühstück satt«, konnte sie Williams neben sich brummen hören und verdrehte beinahe instinktiv die Augen. Natürlich, alles andere wäre ja auch lächerlich gewesen. Selbst als Megan sich zu ihm umwandte, stand er noch immer mit gewohnt griesgrämiger Miene dort und bedachte seine beiden Kollegen mit einem Blick, der ihnen unmissverständlich klarmachen sollte, dass er sie jederzeit an der nächstbesten Autobahnraststätte aussetzen und ungerührt weiterfahren würde, sollte er jemals die Gelegenheit dazu bekommen. »Ich meine, Sie können gerne reingehen, wenn Sie unbedingt möchten, ich werde mir so lange einfach hier draußen die Beine ver-«
»Wer nicht will, der hat schon.« Megan dachte überhaupt nicht daran, sich bei dieser Flachpfeife eine Erlaubnis einzuholen, sie hatte ihre Entscheidung bereits getroffen und so wie es aussah, schien Dunstan wohl zu einem ähnlichen Schluss gekommen zu sein, denn er trat kurz nach ihr durch die Tür.
Im Innern der Bäckerei war das Aroma von frischgebackenen Brötchen und aufgehender Hefe noch stärker vertreten, und die warme Luft, die ihnen beim Eintreten entgegenströmte, jagte Megan einen wohligen Schauer über den Rücken. Außerdem war der Laden überraschend voll, doch so hatten sie immerhin genügend Zeit, um sich zu überlegen, was für sie am ehesten als Zwischenmahlzeit infrage kam. Mit einem verstohlenen Blick lugte Megan an den beiden älteren Damen vorbei, die vor ihr in der Schlange standen, und studierte das Angebot. Etwas Süßes dürfte nach dem herzhaften Frühstück vorhin genau das Richtige sein … aber ein ganzes Stück Torte wäre vielleicht doch etwas zu viel des Guten. Sollte sie sich einen dieser überdimensionierten Schokomuffins kaufen? Oder doch lieber ein Croissant mit Cremefüllung? Unauffällig schielte Megan zu ihrem Kollegen herüber, der momentan mit einem ganz ähnlichen Dilemma zu kämpfen haben musste, zumindest wenn man seinem übermäßig konzentrierten Gesichtsausdruck Glauben schenkte. Mit beinahe analytischer Sorgfalt und zusammengekniffenen Augen fixierte er die Backwaren hinter der Glasscheibe. Man könnte glatt meinen, der Typ müsste gleich eine Bombe entschärfen, statt sich nur etwas zu essen zu bestellen. Seltsam, gestern um diese Zeit hatte Dunstan noch ausgesehen, als würde er jeden Moment im Stehen einschlafen.
»Sie scheinen ja heute richtig gut aus dem Bett gekommen zu sein!«, bemerkte sie mit einem kleinen Schmunzeln auf den Lippen und stupste ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. »So mopsfidel hab ich Sie ja noch nie erlebt.«
»Ja, das bin ich heute tatsächlich«, bestätigte Sam, ohne sich dabei von den mit Teiggittern überbackenen Kirschtörtchen abzuwenden, und runzelte angestrengt die Stirn. »Leider muss ich zugeben, dass ich generell ein paar Probleme damit habe, in Hotelzimmern und dergleichen einzuschlafen … aber normalerweise legt sich das nach ein, zwei Nächten wieder.«
»Na, dann bin ich ja beruhigt. Gar nicht auszudenken, was es für die Ermittlungen bedeuten würde, wenn wir Ihr bahnbrechendes Genie auf einmal entbehren müssten!«
Sams Mundwinkel zuckten auf. »Keine Sorge, Agent Newman. So schnell werden Sie mich nicht los.«
Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis auch die letzte Kundin vor ihnen die Bäckerei verlassen hatte und Sam und Megan endlich an der Reihe waren. Hinter der Theke stand eine mollige, leicht verschwitzt aussehende Frau mit krausem Haar und Sommersprossen, die einen ziemlich gestressten Eindruck machte, was beim hier herrschenden Betrieb aber auch nicht allzu verwunderlich war.
»Einen wunderschönen guten Morgen, die Dame, was kann ich für Sie tun?«, ratterte die Verkäuferin ihre Begrüßungsformel herunter, und gab sich sichtlich Mühe, ihr kundenfreundlichstes Lächeln aufzusetzen, doch bevor Megan auch nur über eine Antwort nachdenken konnte, trat aus dem hinteren Teil des Ladens plötzlich eine weitere Person hervor. Die Hände des Mannes waren noch immer damit beschäftigt, seine Schürze zu richten, während er mit der Schulter die Tür hinter sich schloss und die Bedienung stöhnte erleichtert auf.
»Das wurde aber auch wirklich Zeit! Ich bekomme hier gleich eine Krise …«
»Ist ja gut, ich bin ja jetzt da. Eine Viertelstunde haben die Brötchen noch«, beschwichtigte ihr Kollege sie mit einem gutmütigen Lächeln, bevor er sich ebenfalls den neuen Kunden zuwandte und diese interessiert musterte. »Oh, Sie habe ich hier ja noch nie gesehen. Kommen Sie von außerhalb?«
Megan zog unweigerlich die Nase kraus. ›Von außerhalb‹ … was war das hier, ein menschenfressender Einsiedlerkult?! »Äh … könnte man so sagen?« Sie warf einen kurzen, beinahe hilfesuchenden Blick in Richtung Sam, doch als dieser keine Anstalten machte, ihr beim Erklären zu helfen, blieb ihr nichts anderes übrig, als selbst fortzufahren. Kameradenschwein. »Wir sind Polizisten und wurden vor kurzem wegen der Mordfälle hierher beordert. Allzu lange werden wir also wahrscheinlich nicht bleiben.« Sie lächelte zerknirscht. »Newman mein Name, hier mein Kollege Dunstan.«
Der Mann gab ein einsichtiges Geräusch von sich und streckte seinen Arm über den Tresen aus. »Sehr erfreut, Detective! Ich bin Gordon Hart.« Er machte eine flüchtige Kopfbewegung in Richtung der anderen Verkäuferin, welche gerade dabei war, Sam die Hand zu schütteln. »Und das ist meine Frau Carol. Ich hoffe, die Arbeit geht einigermaßen voran?«
»Wir tun unser Möglichstes, aber wie meine Kollegin bereits angemerkt hat, gehen wir davon aus, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein wird, bis hier wieder alles seinen geregelten Gang geht«, erklärte Sam mit zuversichtlicher Miene, während sich bei Megan auf einmal eine Erinnerung zu regen begann. Carol Hart, Carol Hart … irgendwo hatte sie diesen Namen doch schon einmal gehört. Genau! Das war die Frau, die vor ein paar Wochen Dana Griffiths Leiche im Waldstück hinter der Schule entdeckt hatte! Wahrscheinlich sollten sie der Dame bei Gelegenheit auch noch ein paar Fragen stellen. Aber eins nach dem anderen. Jetzt hatten sie erst einmal andere Sorgen …
»Um wieder zum eigentlichen Thema zurückzukommen«, fuhr Sam fort und Megan begann sich langsam wirklich zu fragen, ob die beiden gerade dabei waren, eine Art telepathische Verbindung zueinander aufzubauen. »Was können Sie ein paar Neuankömmlingen wie uns denn aus Ihrem aktuellen Sortiment empfehlen?«
»Oh, ich an Ihrer Stelle würde auf jeden Fall Gordons Erdbeermarmeladenteilchen versuchen!«, kam es wie aus der Pistole geschossen von Misses Hart, als hätte sie nur auf diese Frage gewartet. »Das ist eine Spezialität unseres Hauses und eines kann ich Ihnen versprechen, einen zarteren Blätterteig werden Sie hier in der Gegend nicht finden!«
Wie von einer unsichtbaren Macht geleitet glitt Megans Blick wieder nach unten zur Auslage, wo ein paar goldbraun gebackene und mit reichlich Zuckerguss überzogene Teigtaschen voll klebriger, roter Füllung sie anlächelten und ihr ein weiteres Mal das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Dafür würde es sich wahrscheinlich sogar lohnen, das Mittagessen ausfallen zu lassen …
»Wenn Sie es allerdings etwas herzhafter mögen, dann kann ich Sie bestimmt für Carols englische Pasteten begeistern«, warb Mister Hart weiter, woraufhin sich die ohnehin schon rosigen Wangen seiner Frau gleich noch ein wenig dunkler verfärbten. »Es ist ein altes Familienrezept und wenn Sie nach der Arbeit eine ordentliche Stärkung brauchen, dann gibt es eigentlich kaum etwas Besseres! Falls Leber nicht so Ihr Ding sein sollte, die Hackfleischvariante schmeckt ebenfalls vorzüglich. Ein echter Geheimtipp!«
»Ja, weil sie abgesehen von Esther und Lawrence nie jemand kauft …«, fügte Misses Hart etwas kleinlaut hinzu.
»Deswegen sage ich es ja! Deine Pasteten mögen vielleicht nicht jedermanns Sache sein, aber das liegt nur daran, dass sie so selten probiert werden. Die Leute wissen gar nicht, was ihnen da durch die Lappen geht!«
In diesem Moment öffnete sich die Ladentür erneut und eine junge Frau kam herein, die Megan auf den zweiten Blick als Nicky, die scharfzüngige Zeitungsreporterin, die sie vorgestern auf dem Polizeirevier angetroffen hatten, erkannte.
»Ah, guten Morgen, Nicole!«, hieß Mister Hart die neue Kundin auch schon willkommen, kaum dass diese an den Tresen herangetreten war. »Sie sind heute aber früh dran. Dasselbe wie immer?«
»Ich bitte darum.« Die Angesprochene stieß ein angestrengtes Seufzen aus und begann in ihrer mit zahlreichen Flicken und Aufnähern verzierten Umhängetasche herumzukramen. Ein altes, ausgefranstes, aber erstaunlich robust aussehendes Modell, das man für ein paar Dollar in jedem Secondhandladen oder gleich aus Papas Kleiderkiste bekommen konnte. Genau so eine Militärtasche hatte Megan selbst jahrelang mit zur Uni geschleppt. »Und ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie sich etwas beeilen könnten, ich bin nämlich auf dem Sprung.«
»Aber sicher doch. Kaffee kommt sofort!« Während Mister Hart sich daran machte, Nicoles Bestellung vorzubereiten, fiel deren Blick mit einem Mal auf die beiden Ermittler, die noch immer ein wenig verloren im Raum standen und sich nach wie vor den Kopf darüber zerbrachen, was sie heute brunchen sollten.
»Oh mein Gott.« Ja, genau so wurde Megan am allerliebsten begrüßt. »Sie sind doch … also, ähm … das da neulich auf der Wache, das war ein bisschen …« Nicole zog eine Grimasse und fummelte unruhig am Gurt ihrer Tasche herum. »Ich wollte Sie nicht gleich so überrumpeln, ich, ähm … Sekunde mal, Sie erinnern sich doch noch an mich, oder?«
Megan nickte großmütig. »Miss Morrison, richtig?«
»Nennen Sie mich ruhig Nicole!« Die Journalistin lächelte zaghaft und wischte sich ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Und Sie müssen die Agents Newman und Dunstan sein, wenn ich richtig informiert bin. Es ist mir wirklich eine Ehre, Sie kennenzulernen!«
Megan musste zugeben, dass die beinahe kindliche Nervosität und allgemeine Aufgeregtheit, die Nicole an den Tag legte, wenn sie mit ihr oder ihren Kollegen interagierte, sie ein wenig an Officer Delgado erinnerte, doch wenn sie ehrlich war, dann störte sie das gar nicht so sehr. Im Gegenteil, eigentlich fand sie es sogar ganz niedlich. Da fühlte man sich manchmal schon fast ein bisschen wie das geheime fünfte Mitglied der Beatles.
»Ähm … das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite?«
»Aber wo ich Sie schon mal hier antreffe …« Aha, jetzt kam sie also doch zum Geschäftlichen. Wäre ja auch zu schön gewesen. »Sicher haben Sie schon bemerkt, dass ich mich ebenfalls sehr intensiv mit den Mordfällen beschäftige, die sich in letzter Zeit hier ereignet haben … i-in einem rein journalistischen Kontext, versteht sich!«
»Selbstverständlich.«
»Ich schreibe für den Holden Creek Herald und berichte jetzt schon seit einigen Wochen über diese Taten und, nun ja, um es kurz zu machen, ich würde es wirklich sehr schätzen, wenn Sie sich bei Gelegenheit vielleicht für ein Interview zur Verfügung stellen könnten! Ich bin mir sicher, meine Leser würden sich brennend für Ihre Sicht der Dinge interessieren.«
»Oh, das klingt tatsächlich sehr spannend!«, mischte sich nun zu allem Überfluss auch noch Misses Hart in das Gespräch mit ein. »Sie wissen genau, wie sehr ich Ihre Artikel liebe, Nicole, ich verschlinge sie ja regelrecht! Ihre Art, mit Worten umzugehen, ist einfach unvergleichlich.«
»Das freut mich zu hören!« Die Reporterin schenkte ihrem offensichtlichen Fan ein dankbares, wenn auch etwas hastiges Nicken, und wandte sich wieder den beiden Agenten zu, die bei dem ganzen Hin und Her überhaupt nicht zu Wort kamen. »Also, was sagen Sie?«
Megan tauschte einen kurzen, aber vielsagenden Blick mit Sam aus, der von dieser Idee ebenso wenig zu halten schien wie sie, bevor sie schließlich zu einer Antwort ansetzte. »Also … eigentlich sind wir ja nicht dazu befugt, derart vertrauliche Details einfach so herumzuposaunen, geschweige denn sie mit irgendwelchen Leuten von der Zeitung zu teilen.« Sie gab sich keine Mühe, ihre Worte großartig in Watte zu packen, und das schien auch Nicole nicht zu entgehen.
»Eigentlich?«, wiederholte diese mit hoffnungsvoll hochgezogenen Augenbrauen, während ihre Finger wie automatisch in Richtung des Kugelschreibers glitten, der aus ihrer Brusttasche hervorschaute.
»Definitiv«, korrigierte Megan nüchtern. Das hier war bei weitem nicht das erste Mal, dass sie es mit dieser Art von aufdringlichem Skandalreporter zu tun hatte, und so wie es aussah, würde es wohl auch nicht das letzte Mal sein. Die ständige Sensationsgeilheit dieser Klatschtanten konnte bisweilen derart extreme Ausmaße annehmen, dass sie damit nicht nur sich selbst, sondern vor allen Dingen auch die Ermittlungen gefährdeten – und davon einmal abgesehen gingen sie ihr auch einfach tierisch auf den Keks.
»Hören Sie mal zu, das hier ist eine laufende Mordermittlung, die für alle Beteiligten sehr reale Risiken birgt, und kein Krimithriller aus dem Freitagabendprogramm. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin absolut für Transparenz und Pressefreiheit und das ganze Trara, aber regelmäßige Berichterstattung sollte in einem Fall wie diesem wirklich nicht an erster Stelle stehen. Außerdem sind wir momentan auch so schon beschäftigt genug, wie Sie sich mit Sicherheit vorstellen können, und haben für so etwas überhaupt keine Zeit. Am besten machen Sie einfach weiterhin Ihren Job und wir machen unseren.«
»Was meine geschätzte Kollegin damit sagen möchte, ist, dass wir in nächster Zeit wohl eher nicht für ein Interview zu haben sein werden«, stellte Sam noch einmal in deutlich höflicherem, wenn auch nicht weniger unmissverständlichem Ton klar. »Wie wäre es, wenn Sie sich stattdessen vorerst auf ein anderes Thema konzentrieren würden? Ein etwas positiveres zum Beispiel. Ich bin mir sicher, dass ein solcher Umschwung auch für Ihre Leserschaft eine willkommene Abwechslung sein wird.« Er warf einen auffordernden Blick in Richtung Misses Hart, welche daraufhin eifrig mit dem Kopf nickte.
»Mister, Sie haben ja keine Ahnung vom Journalismuswesen …« Nicole seufzte, legte ein paar zerknitterte Geldscheine auf die Theke und nahm mit säuerlicher Miene den Cream Cheese Bagel samt dampfendem Styroporbecher entgegen, den Mister Hart ihr reichte. »Aber fein, dann eben nicht. Für den Fall, dass Sie es sich doch noch einmal anders überlegen sollten, hier ist meine Karte.« Ein letztes Mal griff sie in ihre Tasche und drückte Megan das besagte Kärtchen in die Hand. »Ansonsten bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich wieder allein auf die Suche nach der Wahrheit zu machen. Schönen Tag noch.«
Und mit diesen Worten verließ Nicole die Bäckerei. Sam und Megan hingegen blieben mit nachdenklich gerunzelter Stirn und verständnislosen Gesichtern vor dem Tresen stehen und blinzelten sich gegenseitig an. Megan selbst hatte eine vage Vorstellung davon, was ›Sich allein auf die Suche nach der Wahrheit machen‹ für einen Menschen wie Nicole Morrison bedeuten könnte, aber so lange sie ihr und ihren Kollegen dabei nicht in die Quere kam, würde sie so oder so nichts dagegen unternehmen können. Außerdem konnten sie im Notfall ja immer noch L um Hilfe bitten, der würde schon wissen, wie man mit solchen Leuten umzugehen hatte. Dafür war er schließlich bekannt. Im Augenblick gab es allerdings wirklich Dringenderes zu erledigen. So langsam begann ihr nämlich wirklich der Magen zu knurren.
Ein tiefes Seufzen entwich Richards Kehle, als er die Hände in seinen Manteltaschen versenkte und mit der inzwischen nicht mehr ganz so glänzenden Schuhspitze über den Asphalt fuhr. Mittlerweile war er dankbar für jede Dunstan-und-Newman-freie Minute, die ihm vergönnt war, selbst wenn sein Glück in den meisten Fällen nur von kurzer Dauer war. Gemächlich ließ er seinen Blick durch die schmalen, ineinander verschlungenen Straßen vor sich schweifen. Es war irgendwie beruhigend, Holden Creek zur Abwechslung einmal bei Tageslicht zu sehen, und nicht unter einem dichten, grauen Wolkenschleier begraben. In Momenten wie diesen war es erschreckend leicht, zu vergessen, warum er ursprünglich hierher gekommen war …
»Hallo, Mister Detective!«
Ruckartig wandte Richard sich um, der seltsam vertraut klingenden Stimme folgend, die ihn soeben aus seinen Gedanken gerissen hatte, als er hinter sich ein kleines Mädchen mit sommersprossenbedecktem Gesicht und zwei buschigen, geflochtenen Zöpfen erblickte, das ihm fröhlich winkend entgegenlief. Es war Maisie, eine der Schülerinnen, denen er am gestrigen Tag bei der Befragung von Misses Weaver begegnet war. Ein ausgebeulter und ziemlich überfüllt aussehender Rucksack war auf ihren Rücken geschnürt und in den Händen hielt sie einen tragbaren Kassettenrekorder, dessen halbherzig aufgerolltes Kabel gefährlich frei zwischen ihren Beinen umherbaumelte. Wenn sie nicht aufpasste, wohin sie trat, könnte das üble Folgen haben …
»Oh, hallo!«, grüßte er das Mädchen mit einem wohlwollenden Lächeln. »Du bist aber früh unterwegs.«
»Der frühe Vogel fängt den Wurm, sagt meine Mom immer.« Maisie stellte das sperrige Gerät auf dem Bürgersteig ab und wischte sich den dichten, dunkelblonden Pony aus der Stirn. »Und? Haben Sie schon eine Spur gefunden?«
Richard zwinkerte verschwörerisch. »Möglicherweise. Aber als Polizist braucht man leider auch einiges an Geduld.«
Maisie nickte einsichtig und Richard konnte spüren, wie auch der Kloß, der sich kurz zuvor in seinem Hals zu bilden begonnen hatte, immer größer wurde. Die nimmersatte Neugier und der Tatendrang des Mädchens riefen Erinnerungen in ihm wach, die dafür sorgten, dass seine Brust sich bei jedem Atemzug schmerzhaft zusammenzog. Ein süßes Lächeln, das es faustdick hinter den Ohren hatte. Klug, gewitzt und unaufhaltsam, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Und fest entschlossen, jedem Mysterium auf den Grund zu gehen, ganz egal, wie lange er sie auch davon zu überzeugen versucht hatte, dass Mama ihnen mit Sicherheit die Hölle heißmachen würde, wenn sie nicht bald nachhause … stopp. Nein! Richard kniff die Augen zusammen und rieb sich die Lider zwischen Daumen und Zeigefinger. Das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um in Erinnerungen zu schwelgen. Selbst wenn in ein paar Tagen … verdammt, und der Geburtstag seiner Mutter rückte ja auch immer näher …!
»Was … was hast du denn da, Maisie?«, versuchte er sich schließlich von seinen eigenen Gedanken abzulenken und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Kassettenrekorders, der zu ihren Füßen stand.
»Ich muss für die Schule einen Aufsatz über meinen Traumberuf schreiben«, erklärte das Mädchen stolz. »Deswegen bin ich gerade auf dem Weg zum Redaktionsbüro vom Holden Creek Herald, um da einen der Reporter zu interviewen. Dafür hab ich mir den hier von meiner Schwester ausgeliehen.« Ein vorfreudiges Grinsen trat auf ihr Gesicht, während sie den Rekorder tätschelte wie einen kleinen Hund. »Wenn ich groß bin, möchte ich nämlich Investigativjournalistin werden!«
Richard hob beeindruckt die Augenbrauen. ›Investigativjournalistin‹ war ein ganz schön großes Wort für eine Elfjährige. »Wow, das klingt ja spannend! Na, dann wünsche ich dir mal viel Glück bei deinem Aufsatz.«
»Danke, das kann ich echt brauchen.« Maisie zog eine Grimasse und richtete mit einem theatralischen Seufzen ihre Rucksackriemen. »Ich hoffe, dass ich ihn noch heute fertigkriege, damit ich mich ab morgen in Ruhe um unsere Halloween-Kostüme kümmern kann. Dieses Jahr will ich nämlich mit Chloe zusammen gehen und weil wir beste Freundinnen sind, müssen wir natürlich auch im Partnerlook auftreten. Ich hab sogar schon eine Idee! Misses Foster hat zwar versprochen, mir beim Nähen zu helfen, aber ein bisschen Sorge hab ich schon, dass wir es nicht rechtzeitig hinbekommen …« Sie runzelte die Stirn. »Kommen Sie und die anderen Detectives eigentlich auch zum Halloween-Fest? Das macht immer total viel Spaß und Dad und Lily wollen diesmal auch wieder ihren berühmten Apfelkuchen backen! Sie sollten sich nur beeilen, wenn Sie ihn probieren wollen. Beim letzten Mal hat es gerade mal sechs Minuten und vierzehn Sekunden gedauert, bis alle Stücke weg waren, ich hab mitgezählt! Ach ja, und es gibt auch ein Maislabyrinth. Aber keine Sorge, das ist nicht wirklich gruselig. Ich hab bei der Vogelscheuche schon seit ich acht war nicht mehr geweint.«
»Das hört sich ja ziemlich aufregend an.« Richard hatte es inzwischen aufgegeben, sich ein amüsiertes Schmunzeln zu verkneifen. »Ich kann zu diesem Zeitpunkt zwar noch nichts versprechen, aber wenn es sich einrichten lässt, kommen wir gerne.« Er war gerade dabei, erneut das Thema zu wechseln, als ihm doch noch etwas einfiel. »Hey, sag mal … ist Lily zufälligerweise deine Schwester?«
Maisies Augen wurden mit einem Mal tellergroß. »Woher wissen Sie das?«
»Nun ja, ihr seht euch schon ziemlich ähnlich.«
»Sie kennen Lily bestimmt aus der Pension, oder?« Das Mädchen streckte den Arm aus und zeigte in Richtung des Ladens, in dem Dunstan und Newman vor gar nicht allzu langer Zeit verschwunden waren. »Die Bäckerei da drüben gehört übrigens meinen Eltern! Wir wohnen direkt im ersten Stock.« Ein verschmitztes Funkeln blitzte für einen Moment in ihren Augen auf. »Sie sollten auf jeden Fall mal die Marmeladenteilchen von meinem Dad probieren, die machen nämlich süchtig!«
So charmant und liebenswert Maisies aufgeschlossene Art auch sein mochte, je weiter sie vor sich hin plapperte, desto mehr begann Richard darüber nachzudenken, was wohl geschehen wäre, wenn sie an diesem Vormittag nicht ihm, sondern irgendjemand anderem auf der Straße begegnet wäre. Jemand, der es nicht so gut mit ihr meinte und ihre kindliche Naivität ohne mit der Wimper zu zucken ausgenutzt hätte. Denn auch, wenn sie zuvor von ihrer Lehrerin erklärt bekommen hatte, dass sie ihm vertrauen konnte, war Richard für sie trotz allem ein Fremder. Es behagte ihm nicht, dass sie all diese Dinge einfach so über sich preisgab, von ihren Tagesplänen erzählte und ihm sogar zeigte, wo sie wohnte.
»Sag mal, Maisie, hast du eigentlich gar keine Angst, hier so alleine in der Stadt herumzustromern?« Die Worte hatten seinen Mund bereits verlassen, noch bevor er so richtig darüber hatte nachdenken können. Unweigerlich presste er die Lippen aufeinander. Er wollte sie nicht noch zusätzlich beunruhigen.
»Nö, wieso? Ich pass doch auf!« Richard blinzelte irritiert, doch das Mädchen fuhr fort. »So lange ich hier in der Stadt bleibe, gibt es überhaupt keinen Grund zur Sorge. Die Kreaturen hausen schließlich nur im Wald und soweit ich gehört habe, können sie bei Sonnenlicht sowieso nicht aus ihren Verstecken raus.«
»Die … Kreaturen?«
»Ja!« Die Verblüffung in Maisies Stimme war nicht zu überhören. »Es ist doch allgemein bekannt, dass die Wälder hier vor Monstern und anderen paranormalen Kreaturen nur so wimmeln. Was sonst, glauben Sie, ist mit Misses Griffith und dem Doktor passiert? Ich hab mir darüber schon so meine Gedanken gemacht … Bigfoot kann es nicht gewesen sein, der macht keine Jagd auf Menschen, aber vielleicht war es ja ein Werwolf oder die Hexe, die auf der anderen Seite des Flusses wohnt …«
Richard fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. War es normal für eine Fünftklässlerin, noch an solche Schauermärchen zu glauben? Oder wollte sie sich nur einen Scherz mit ihm erlauben? Nein, dazu hatte sie keinen Grund. Außerdem wäre das hier nicht das erste Mal, dass ein Kind versuchte, mit irgendwelchen Horrorlegenden dieser Art ein Trauma zu verarbeiten. Im Gegenteil, es kam sogar ziemlich häufig vor. Aber dennoch … was zur Hölle?
»Von welcher Hexe sprechen wir hier, Maisie?«
»Na, Mister Townsend!«
Richards Augenbrauen hoben sich wie von selbst und er sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein. »Glenn Townsend? Der Mann, der ganz allein am Waldrand lebt?«
»Ja, die anderen in der Schule reden ständig über ihn.« Maisie senkte ihre Stimme und beugte sich etwas näher zu ihm herüber, als fürchtete sie, jemand könnte ihr Gespräch belauschen. »Die glauben, dass er in Wirklichkeit eine Hexe ist, die Leute entführt und in ihrem Schuppen einsperrt, um sie dort zu zerstückeln. Das sind zwar alles nur Gerüchte, aber … ich weiß nicht, irgendwie kann ich mir schon vorstellen, dass da was dran ist. Alex Reynolds aus der Achten schwört, dass sie mal einen abgetrennten Finger im Wald gefunden hat! Und Brandon Chapman meinte sogar, er hätte Mister Townsend dabei beobachtet, wie er jemandem den Arm abgesägt hat … okay, in dem Fall wollte der sich wahrscheinlich nur wieder wichtigtun, aber ich glaube auch nicht, dass er sich alles davon ausgedacht hat!«
»Ja, für so etwas braucht man schon eine ziemlich … blühende Fantasie.«
Auch wenn Richard bezweifelte, dass Townsend tatsächlich eine geheime Folterkammer in seinem Schuppen versteckte, so war er sich dennoch bewusst, dass es fatale Folgen haben konnte, die Ängste von Kindern zu ignorieren und sie als bloße Hirngespinste oder einen Schrei nach Aufmerksamkeit abzustempeln. Am Ende hieß es immer bloß ›Hätte ich doch nur‹ …
»Hast du Mister Townsend jemals in der Nähe deiner Schule herumschleichen sehen?«, fragte Richard, wobei er nach Kräften versuchte, so wenig alarmiert wie nur möglich zu klingen. »Hat er dich oder einen deiner Klassenkameraden vielleicht schon einmal angesprochen?«
Maisie schürzte die Lippen und schien einen Augenblick lang zu überlegen. »Hm, nicht, dass ich wüsste. Wenn, dann sehe ich ihn höchstens mal am Waldrand Pilze sammeln oder so was. Aber mit dem würde ich mich sowieso nicht anlegen. Meine Mom hat mir nämlich verboten, mit Mister Townsend zu reden. Sie kann ihn wohl auch nicht leiden.«
»Hey, Williams! Wer ist denn Ihre neue Freundin?«
Als Richard den Kopf hob, konnte er sehen, wie Dunstan und Newman gerade die Bäckerei verließen, in den Händen zwei vor Zuckerguss nur so triefende Marmeladenteilchen samt Servietten haltend. Die Ruhe war schön gewesen, so lange sie angehalten hatte …
»Was denn, keine Donuts?«, spöttelte er in einem Versuch, sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen, woraufhin Megan wie so oft bloß die Augen verdrehte. Bevor sie jedoch zu einem Gegenschlag ansetzen konnte, fuhr er rasch fort. »Dunstan, Newman, das hier ist Maisie Hart. Sie besucht die fünfte Klasse der Holden Creek Elementary School, an der ich mich gestern bereits umgehört habe«, stellte er das Mädchen vor, welches sofort großes Interesse an seinen Kollegen zu finden schien und diese neugierig musterte.
Megan grinste unverhohlen, putzte sich die Finger ab, und streckte Maisie ihre Hand entgegen.
»Hi, ich bin Megan! Freut mich, dich kennenzulernen, Maisie.« Sie warf einen kurzen, unheilvollen Blick in Richtung Richard, bevor sie ebenfalls zu flüstern begann. »Ich hoffe, die alte Schnarchnase da drüben hat dich mit ihrem Gelaber nicht allzu sehr eingeschläfert … im Notfall einfach irgendwas werfen, um ihn abzulenken, und dann ganz schnell wegrennen, das funktioniert eigentlich immer.«
Richard zog eine säuerliche Grimasse, während Maisie sich kichernd die Hand vor den Mund hielt. »Also, ich finde ihn eigentlich ganz nett!«
»Sie haben das Mädchen gehört, Newman. Nicht jeder besitzt eine so kindische Einstellung wie Sie«, beendete Richard das Thema, bevor Dunstan noch auf die Idee kam, ebenfalls seinen Senf dazuzugeben, und räusperte sich. »Verehrte Kollegen, ich fürchte, unser Tagesplan hat sich soeben spontan geändert. Das Einkaufen müssen wir vorerst wohl auf später verschieben.«
Sam, der sein Pausenbrot in der Zwischenzeit beinahe vollständig verputzt hatte, hob fragend eine Augenbraue und auch Megan schien seinen Worten momentan noch nicht ganz folgen zu können.
»Was denn, haben Sie jetzt etwa doch Appetit auf ’nen Donut bekommen?«
Richard ignorierte sie. »Alles Wichtige diesbezüglich erkläre ich Ihnen auf dem Weg, aber jetzt begleiten wir Maisie erst einmal zur Zeitungsredaktion.«
Das bedeutet, dass ihr in den kommenden Monaten (hoffentlich) wieder mit regelmäßigen Updates rechnen könnt, sprich jeden Monat mindestens eines. Und ohne jetzt zu viel zu verraten werden bald wohl auch endlich unsere beiden LABB-Dödel ihren Auftritt bekommen, also seid gespannt! 8D
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k a p i t e l 1 0
SÜßES ODER SAURES
SÜßES ODER SAURES
Samstag, 20. Oktober 2001 • 10.13 Uhr
Der nächste Tag begann deutlich weniger ungemütlich als der vorherige, was glücklicherweise auch dazu beitrug, dass die drei Ermittler sich nicht bereits direkt nach dem Aufstehen an die Gurgel gingen. Ganz im Gegenteil, das Frühstück war sogar erstaunlich ruhig verlaufen – eventuell lag das aber auch einfach daran, dass die beiden Herren der Schöpfung Megan heute noch keinerlei Anlass dazu geliefert hatten, sie aus ihren wohl temperierten Schneckenhäusern zu locken. Diesmal hatte Williams sogar vor dem Essen geduscht! Immerhin lernwillig war das Kerlchen, das musste man ihm lassen. Und so lange er sich weiterhin benahm, sah sie auch keinen Grund dazu, ihn noch einmal auf seine beschämende Niederlage beim gestrigen Billardmatch hinzuweisen.
Nach dem Umziehen hatte die Gruppe sich bis auf weiteres darauf geeinigt, vor der nächsten Zeugenbefragung noch einen Abstecher zum hiesigen Tante-Emma-Laden zu machen und die eine oder andere Kleinigkeit einzukaufen. Neues Shampoo für Sam zum Beispiel, der an diesem Morgen dummerweise hatte feststellen müssen, dass die Flasche, die er sich für seinen Aufenthalt hier eingepackt hatte, beinahe leer gewesen war. Zum Glück wusste Megan aus Erfahrung, dass es keine bessere Möglichkeit gab, einen Kleinstadtmenschen kennenzulernen, als sich im einzigen Lebensmittelgeschäft in der Umgebung mit ihm vor der Kasse die Beine in den Bauch zu stehen. Wenn sie jetzt so darüber nachdachte, dann war sie sich sogar ziemlich sicher, dass sie damals während ihres Sommerjobs im Supermarkt mehr tragische Schicksale und schmutzige Geheimnisse aufgeschnappt hatte, als hinter Johnnys Bartresen.
Auf dem Weg durch die heute tatsächlich etwas lebendiger wirkenden Straßen von Holden Creek und mitten im Gespräch mit Sam, der gerade dabei war, über Misses Atkins’ atemberaubendes Rührei mit Speck und Knoblauchpfeffer zu reminiszieren, fror Megan mit einem Mal in ihrer Bewegung ein und reckte den Kopf in die Luft wie ein Windhund, der soeben eine heiße Fährte erschnüffelt hatte. Richard, der dank dieser abrupten Vollbremsung beinahe in sie hineingelaufen wäre, runzelte argwöhnisch die Stirn.
»Was ist denn-«
»Schh«, unterbrach sie ihren Kollegen, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, und deutete mit ehrfürchtiger Geste auf das Gebäude, vor dem sie stehengeblieben waren: eine Bäckerei. ›Hart’s‹ stand in weißen, geschwungenen Lettern auf dem Schild über der Ladentür, die Megan bei näherer Betrachtung ein wenig an die Schrift erinnerten, in der L für gewöhnlich seine Signatur verfasste, doch das stand im Augenblick überhaupt nicht im Fokus. Es war der verführerische Duft, der aus ebendieser Tür zu ihnen auf die Straße hinüberwehte, und der dafür gesorgt hatte, dass sie vorhin so jäh aus ihren Gedanken gerissen worden war. Der Duft von schwerem, in Butter gebackenem und zum Schluss mit einer Prise Zimt verfeinertem Süßgebäck.
»Hat Misses Atkins vorhin nicht etwas von diesem Laden erwähnt?«, erinnerte sich Sam, während er die Hände in seinen Manteltaschen vergrub und die Fassade näher in Augenschein nahm. »Ein sehr attraktives Schaufensterdesign. Das ist mir gestern Abend auf dem Weg zum Pub schon aufgefallen.«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung!«, erwiderte Megan grinsend und ließ ebenfalls ihren Blick über die Auslage schweifen, die von riesigen, mit Mohn und Körnern bestreuten Brotlaiben, über Brezeln und frisch belegte Sandwiches, bis hin zu sahnetriefenden Tortenstücken so ziemlich alles zu umfassen schien, was das Genießerherz begehrte. Charmant und traditionell wirkte die kleine Backstube auf sie, als hätte sie jemand direkt aus einem Pariser Altstadtgässchen entnommen und hier, mitten im tiefsten Pazifischen Nordwesten, wieder aufgebaut. »Wie wär’s, wenn wir mal kurz reinschauen? Nur um die lokale Wirtschaft ein wenig anzukurbeln natürlich.«
»Warum eigentlich nicht?«, stimmte Sam ihrem Vorschlag zu und man musste wirklich kein Profiler sein, um sich zusammenzureimen, dass er offensichtlich einen ebenso süßen Zahn hatte wie sie. Und diese Tatsache machte ihn Megan gleich noch ein Stückchen sympathischer. »Eine kleine Wegzehrung kann mit Sicherheit nicht schaden.«
»Um ehrlich zu sein bin ich noch vom Frühstück satt«, konnte sie Williams neben sich brummen hören und verdrehte beinahe instinktiv die Augen. Natürlich, alles andere wäre ja auch lächerlich gewesen. Selbst als Megan sich zu ihm umwandte, stand er noch immer mit gewohnt griesgrämiger Miene dort und bedachte seine beiden Kollegen mit einem Blick, der ihnen unmissverständlich klarmachen sollte, dass er sie jederzeit an der nächstbesten Autobahnraststätte aussetzen und ungerührt weiterfahren würde, sollte er jemals die Gelegenheit dazu bekommen. »Ich meine, Sie können gerne reingehen, wenn Sie unbedingt möchten, ich werde mir so lange einfach hier draußen die Beine ver-«
»Wer nicht will, der hat schon.« Megan dachte überhaupt nicht daran, sich bei dieser Flachpfeife eine Erlaubnis einzuholen, sie hatte ihre Entscheidung bereits getroffen und so wie es aussah, schien Dunstan wohl zu einem ähnlichen Schluss gekommen zu sein, denn er trat kurz nach ihr durch die Tür.
Im Innern der Bäckerei war das Aroma von frischgebackenen Brötchen und aufgehender Hefe noch stärker vertreten, und die warme Luft, die ihnen beim Eintreten entgegenströmte, jagte Megan einen wohligen Schauer über den Rücken. Außerdem war der Laden überraschend voll, doch so hatten sie immerhin genügend Zeit, um sich zu überlegen, was für sie am ehesten als Zwischenmahlzeit infrage kam. Mit einem verstohlenen Blick lugte Megan an den beiden älteren Damen vorbei, die vor ihr in der Schlange standen, und studierte das Angebot. Etwas Süßes dürfte nach dem herzhaften Frühstück vorhin genau das Richtige sein … aber ein ganzes Stück Torte wäre vielleicht doch etwas zu viel des Guten. Sollte sie sich einen dieser überdimensionierten Schokomuffins kaufen? Oder doch lieber ein Croissant mit Cremefüllung? Unauffällig schielte Megan zu ihrem Kollegen herüber, der momentan mit einem ganz ähnlichen Dilemma zu kämpfen haben musste, zumindest wenn man seinem übermäßig konzentrierten Gesichtsausdruck Glauben schenkte. Mit beinahe analytischer Sorgfalt und zusammengekniffenen Augen fixierte er die Backwaren hinter der Glasscheibe. Man könnte glatt meinen, der Typ müsste gleich eine Bombe entschärfen, statt sich nur etwas zu essen zu bestellen. Seltsam, gestern um diese Zeit hatte Dunstan noch ausgesehen, als würde er jeden Moment im Stehen einschlafen.
»Sie scheinen ja heute richtig gut aus dem Bett gekommen zu sein!«, bemerkte sie mit einem kleinen Schmunzeln auf den Lippen und stupste ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. »So mopsfidel hab ich Sie ja noch nie erlebt.«
»Ja, das bin ich heute tatsächlich«, bestätigte Sam, ohne sich dabei von den mit Teiggittern überbackenen Kirschtörtchen abzuwenden, und runzelte angestrengt die Stirn. »Leider muss ich zugeben, dass ich generell ein paar Probleme damit habe, in Hotelzimmern und dergleichen einzuschlafen … aber normalerweise legt sich das nach ein, zwei Nächten wieder.«
»Na, dann bin ich ja beruhigt. Gar nicht auszudenken, was es für die Ermittlungen bedeuten würde, wenn wir Ihr bahnbrechendes Genie auf einmal entbehren müssten!«
Sams Mundwinkel zuckten auf. »Keine Sorge, Agent Newman. So schnell werden Sie mich nicht los.«
Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis auch die letzte Kundin vor ihnen die Bäckerei verlassen hatte und Sam und Megan endlich an der Reihe waren. Hinter der Theke stand eine mollige, leicht verschwitzt aussehende Frau mit krausem Haar und Sommersprossen, die einen ziemlich gestressten Eindruck machte, was beim hier herrschenden Betrieb aber auch nicht allzu verwunderlich war.
»Einen wunderschönen guten Morgen, die Dame, was kann ich für Sie tun?«, ratterte die Verkäuferin ihre Begrüßungsformel herunter, und gab sich sichtlich Mühe, ihr kundenfreundlichstes Lächeln aufzusetzen, doch bevor Megan auch nur über eine Antwort nachdenken konnte, trat aus dem hinteren Teil des Ladens plötzlich eine weitere Person hervor. Die Hände des Mannes waren noch immer damit beschäftigt, seine Schürze zu richten, während er mit der Schulter die Tür hinter sich schloss und die Bedienung stöhnte erleichtert auf.
»Das wurde aber auch wirklich Zeit! Ich bekomme hier gleich eine Krise …«
»Ist ja gut, ich bin ja jetzt da. Eine Viertelstunde haben die Brötchen noch«, beschwichtigte ihr Kollege sie mit einem gutmütigen Lächeln, bevor er sich ebenfalls den neuen Kunden zuwandte und diese interessiert musterte. »Oh, Sie habe ich hier ja noch nie gesehen. Kommen Sie von außerhalb?«
Megan zog unweigerlich die Nase kraus. ›Von außerhalb‹ … was war das hier, ein menschenfressender Einsiedlerkult?! »Äh … könnte man so sagen?« Sie warf einen kurzen, beinahe hilfesuchenden Blick in Richtung Sam, doch als dieser keine Anstalten machte, ihr beim Erklären zu helfen, blieb ihr nichts anderes übrig, als selbst fortzufahren. Kameradenschwein. »Wir sind Polizisten und wurden vor kurzem wegen der Mordfälle hierher beordert. Allzu lange werden wir also wahrscheinlich nicht bleiben.« Sie lächelte zerknirscht. »Newman mein Name, hier mein Kollege Dunstan.«
Der Mann gab ein einsichtiges Geräusch von sich und streckte seinen Arm über den Tresen aus. »Sehr erfreut, Detective! Ich bin Gordon Hart.« Er machte eine flüchtige Kopfbewegung in Richtung der anderen Verkäuferin, welche gerade dabei war, Sam die Hand zu schütteln. »Und das ist meine Frau Carol. Ich hoffe, die Arbeit geht einigermaßen voran?«
»Wir tun unser Möglichstes, aber wie meine Kollegin bereits angemerkt hat, gehen wir davon aus, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein wird, bis hier wieder alles seinen geregelten Gang geht«, erklärte Sam mit zuversichtlicher Miene, während sich bei Megan auf einmal eine Erinnerung zu regen begann. Carol Hart, Carol Hart … irgendwo hatte sie diesen Namen doch schon einmal gehört. Genau! Das war die Frau, die vor ein paar Wochen Dana Griffiths Leiche im Waldstück hinter der Schule entdeckt hatte! Wahrscheinlich sollten sie der Dame bei Gelegenheit auch noch ein paar Fragen stellen. Aber eins nach dem anderen. Jetzt hatten sie erst einmal andere Sorgen …
»Um wieder zum eigentlichen Thema zurückzukommen«, fuhr Sam fort und Megan begann sich langsam wirklich zu fragen, ob die beiden gerade dabei waren, eine Art telepathische Verbindung zueinander aufzubauen. »Was können Sie ein paar Neuankömmlingen wie uns denn aus Ihrem aktuellen Sortiment empfehlen?«
»Oh, ich an Ihrer Stelle würde auf jeden Fall Gordons Erdbeermarmeladenteilchen versuchen!«, kam es wie aus der Pistole geschossen von Misses Hart, als hätte sie nur auf diese Frage gewartet. »Das ist eine Spezialität unseres Hauses und eines kann ich Ihnen versprechen, einen zarteren Blätterteig werden Sie hier in der Gegend nicht finden!«
Wie von einer unsichtbaren Macht geleitet glitt Megans Blick wieder nach unten zur Auslage, wo ein paar goldbraun gebackene und mit reichlich Zuckerguss überzogene Teigtaschen voll klebriger, roter Füllung sie anlächelten und ihr ein weiteres Mal das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Dafür würde es sich wahrscheinlich sogar lohnen, das Mittagessen ausfallen zu lassen …
»Wenn Sie es allerdings etwas herzhafter mögen, dann kann ich Sie bestimmt für Carols englische Pasteten begeistern«, warb Mister Hart weiter, woraufhin sich die ohnehin schon rosigen Wangen seiner Frau gleich noch ein wenig dunkler verfärbten. »Es ist ein altes Familienrezept und wenn Sie nach der Arbeit eine ordentliche Stärkung brauchen, dann gibt es eigentlich kaum etwas Besseres! Falls Leber nicht so Ihr Ding sein sollte, die Hackfleischvariante schmeckt ebenfalls vorzüglich. Ein echter Geheimtipp!«
»Ja, weil sie abgesehen von Esther und Lawrence nie jemand kauft …«, fügte Misses Hart etwas kleinlaut hinzu.
»Deswegen sage ich es ja! Deine Pasteten mögen vielleicht nicht jedermanns Sache sein, aber das liegt nur daran, dass sie so selten probiert werden. Die Leute wissen gar nicht, was ihnen da durch die Lappen geht!«
In diesem Moment öffnete sich die Ladentür erneut und eine junge Frau kam herein, die Megan auf den zweiten Blick als Nicky, die scharfzüngige Zeitungsreporterin, die sie vorgestern auf dem Polizeirevier angetroffen hatten, erkannte.
»Ah, guten Morgen, Nicole!«, hieß Mister Hart die neue Kundin auch schon willkommen, kaum dass diese an den Tresen herangetreten war. »Sie sind heute aber früh dran. Dasselbe wie immer?«
»Ich bitte darum.« Die Angesprochene stieß ein angestrengtes Seufzen aus und begann in ihrer mit zahlreichen Flicken und Aufnähern verzierten Umhängetasche herumzukramen. Ein altes, ausgefranstes, aber erstaunlich robust aussehendes Modell, das man für ein paar Dollar in jedem Secondhandladen oder gleich aus Papas Kleiderkiste bekommen konnte. Genau so eine Militärtasche hatte Megan selbst jahrelang mit zur Uni geschleppt. »Und ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie sich etwas beeilen könnten, ich bin nämlich auf dem Sprung.«
»Aber sicher doch. Kaffee kommt sofort!« Während Mister Hart sich daran machte, Nicoles Bestellung vorzubereiten, fiel deren Blick mit einem Mal auf die beiden Ermittler, die noch immer ein wenig verloren im Raum standen und sich nach wie vor den Kopf darüber zerbrachen, was sie heute brunchen sollten.
»Oh mein Gott.« Ja, genau so wurde Megan am allerliebsten begrüßt. »Sie sind doch … also, ähm … das da neulich auf der Wache, das war ein bisschen …« Nicole zog eine Grimasse und fummelte unruhig am Gurt ihrer Tasche herum. »Ich wollte Sie nicht gleich so überrumpeln, ich, ähm … Sekunde mal, Sie erinnern sich doch noch an mich, oder?«
Megan nickte großmütig. »Miss Morrison, richtig?«
»Nennen Sie mich ruhig Nicole!« Die Journalistin lächelte zaghaft und wischte sich ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Und Sie müssen die Agents Newman und Dunstan sein, wenn ich richtig informiert bin. Es ist mir wirklich eine Ehre, Sie kennenzulernen!«
Megan musste zugeben, dass die beinahe kindliche Nervosität und allgemeine Aufgeregtheit, die Nicole an den Tag legte, wenn sie mit ihr oder ihren Kollegen interagierte, sie ein wenig an Officer Delgado erinnerte, doch wenn sie ehrlich war, dann störte sie das gar nicht so sehr. Im Gegenteil, eigentlich fand sie es sogar ganz niedlich. Da fühlte man sich manchmal schon fast ein bisschen wie das geheime fünfte Mitglied der Beatles.
»Ähm … das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite?«
»Aber wo ich Sie schon mal hier antreffe …« Aha, jetzt kam sie also doch zum Geschäftlichen. Wäre ja auch zu schön gewesen. »Sicher haben Sie schon bemerkt, dass ich mich ebenfalls sehr intensiv mit den Mordfällen beschäftige, die sich in letzter Zeit hier ereignet haben … i-in einem rein journalistischen Kontext, versteht sich!«
»Selbstverständlich.«
»Ich schreibe für den Holden Creek Herald und berichte jetzt schon seit einigen Wochen über diese Taten und, nun ja, um es kurz zu machen, ich würde es wirklich sehr schätzen, wenn Sie sich bei Gelegenheit vielleicht für ein Interview zur Verfügung stellen könnten! Ich bin mir sicher, meine Leser würden sich brennend für Ihre Sicht der Dinge interessieren.«
»Oh, das klingt tatsächlich sehr spannend!«, mischte sich nun zu allem Überfluss auch noch Misses Hart in das Gespräch mit ein. »Sie wissen genau, wie sehr ich Ihre Artikel liebe, Nicole, ich verschlinge sie ja regelrecht! Ihre Art, mit Worten umzugehen, ist einfach unvergleichlich.«
»Das freut mich zu hören!« Die Reporterin schenkte ihrem offensichtlichen Fan ein dankbares, wenn auch etwas hastiges Nicken, und wandte sich wieder den beiden Agenten zu, die bei dem ganzen Hin und Her überhaupt nicht zu Wort kamen. »Also, was sagen Sie?«
Megan tauschte einen kurzen, aber vielsagenden Blick mit Sam aus, der von dieser Idee ebenso wenig zu halten schien wie sie, bevor sie schließlich zu einer Antwort ansetzte. »Also … eigentlich sind wir ja nicht dazu befugt, derart vertrauliche Details einfach so herumzuposaunen, geschweige denn sie mit irgendwelchen Leuten von der Zeitung zu teilen.« Sie gab sich keine Mühe, ihre Worte großartig in Watte zu packen, und das schien auch Nicole nicht zu entgehen.
»Eigentlich?«, wiederholte diese mit hoffnungsvoll hochgezogenen Augenbrauen, während ihre Finger wie automatisch in Richtung des Kugelschreibers glitten, der aus ihrer Brusttasche hervorschaute.
»Definitiv«, korrigierte Megan nüchtern. Das hier war bei weitem nicht das erste Mal, dass sie es mit dieser Art von aufdringlichem Skandalreporter zu tun hatte, und so wie es aussah, würde es wohl auch nicht das letzte Mal sein. Die ständige Sensationsgeilheit dieser Klatschtanten konnte bisweilen derart extreme Ausmaße annehmen, dass sie damit nicht nur sich selbst, sondern vor allen Dingen auch die Ermittlungen gefährdeten – und davon einmal abgesehen gingen sie ihr auch einfach tierisch auf den Keks.
»Hören Sie mal zu, das hier ist eine laufende Mordermittlung, die für alle Beteiligten sehr reale Risiken birgt, und kein Krimithriller aus dem Freitagabendprogramm. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin absolut für Transparenz und Pressefreiheit und das ganze Trara, aber regelmäßige Berichterstattung sollte in einem Fall wie diesem wirklich nicht an erster Stelle stehen. Außerdem sind wir momentan auch so schon beschäftigt genug, wie Sie sich mit Sicherheit vorstellen können, und haben für so etwas überhaupt keine Zeit. Am besten machen Sie einfach weiterhin Ihren Job und wir machen unseren.«
»Was meine geschätzte Kollegin damit sagen möchte, ist, dass wir in nächster Zeit wohl eher nicht für ein Interview zu haben sein werden«, stellte Sam noch einmal in deutlich höflicherem, wenn auch nicht weniger unmissverständlichem Ton klar. »Wie wäre es, wenn Sie sich stattdessen vorerst auf ein anderes Thema konzentrieren würden? Ein etwas positiveres zum Beispiel. Ich bin mir sicher, dass ein solcher Umschwung auch für Ihre Leserschaft eine willkommene Abwechslung sein wird.« Er warf einen auffordernden Blick in Richtung Misses Hart, welche daraufhin eifrig mit dem Kopf nickte.
»Mister, Sie haben ja keine Ahnung vom Journalismuswesen …« Nicole seufzte, legte ein paar zerknitterte Geldscheine auf die Theke und nahm mit säuerlicher Miene den Cream Cheese Bagel samt dampfendem Styroporbecher entgegen, den Mister Hart ihr reichte. »Aber fein, dann eben nicht. Für den Fall, dass Sie es sich doch noch einmal anders überlegen sollten, hier ist meine Karte.« Ein letztes Mal griff sie in ihre Tasche und drückte Megan das besagte Kärtchen in die Hand. »Ansonsten bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich wieder allein auf die Suche nach der Wahrheit zu machen. Schönen Tag noch.«
Und mit diesen Worten verließ Nicole die Bäckerei. Sam und Megan hingegen blieben mit nachdenklich gerunzelter Stirn und verständnislosen Gesichtern vor dem Tresen stehen und blinzelten sich gegenseitig an. Megan selbst hatte eine vage Vorstellung davon, was ›Sich allein auf die Suche nach der Wahrheit machen‹ für einen Menschen wie Nicole Morrison bedeuten könnte, aber so lange sie ihr und ihren Kollegen dabei nicht in die Quere kam, würde sie so oder so nichts dagegen unternehmen können. Außerdem konnten sie im Notfall ja immer noch L um Hilfe bitten, der würde schon wissen, wie man mit solchen Leuten umzugehen hatte. Dafür war er schließlich bekannt. Im Augenblick gab es allerdings wirklich Dringenderes zu erledigen. So langsam begann ihr nämlich wirklich der Magen zu knurren.
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Samstag, 20. Oktober 2001 • 10.20 Uhr
Ein tiefes Seufzen entwich Richards Kehle, als er die Hände in seinen Manteltaschen versenkte und mit der inzwischen nicht mehr ganz so glänzenden Schuhspitze über den Asphalt fuhr. Mittlerweile war er dankbar für jede Dunstan-und-Newman-freie Minute, die ihm vergönnt war, selbst wenn sein Glück in den meisten Fällen nur von kurzer Dauer war. Gemächlich ließ er seinen Blick durch die schmalen, ineinander verschlungenen Straßen vor sich schweifen. Es war irgendwie beruhigend, Holden Creek zur Abwechslung einmal bei Tageslicht zu sehen, und nicht unter einem dichten, grauen Wolkenschleier begraben. In Momenten wie diesen war es erschreckend leicht, zu vergessen, warum er ursprünglich hierher gekommen war …
»Hallo, Mister Detective!«
Ruckartig wandte Richard sich um, der seltsam vertraut klingenden Stimme folgend, die ihn soeben aus seinen Gedanken gerissen hatte, als er hinter sich ein kleines Mädchen mit sommersprossenbedecktem Gesicht und zwei buschigen, geflochtenen Zöpfen erblickte, das ihm fröhlich winkend entgegenlief. Es war Maisie, eine der Schülerinnen, denen er am gestrigen Tag bei der Befragung von Misses Weaver begegnet war. Ein ausgebeulter und ziemlich überfüllt aussehender Rucksack war auf ihren Rücken geschnürt und in den Händen hielt sie einen tragbaren Kassettenrekorder, dessen halbherzig aufgerolltes Kabel gefährlich frei zwischen ihren Beinen umherbaumelte. Wenn sie nicht aufpasste, wohin sie trat, könnte das üble Folgen haben …
»Oh, hallo!«, grüßte er das Mädchen mit einem wohlwollenden Lächeln. »Du bist aber früh unterwegs.«
»Der frühe Vogel fängt den Wurm, sagt meine Mom immer.« Maisie stellte das sperrige Gerät auf dem Bürgersteig ab und wischte sich den dichten, dunkelblonden Pony aus der Stirn. »Und? Haben Sie schon eine Spur gefunden?«
Richard zwinkerte verschwörerisch. »Möglicherweise. Aber als Polizist braucht man leider auch einiges an Geduld.«
Maisie nickte einsichtig und Richard konnte spüren, wie auch der Kloß, der sich kurz zuvor in seinem Hals zu bilden begonnen hatte, immer größer wurde. Die nimmersatte Neugier und der Tatendrang des Mädchens riefen Erinnerungen in ihm wach, die dafür sorgten, dass seine Brust sich bei jedem Atemzug schmerzhaft zusammenzog. Ein süßes Lächeln, das es faustdick hinter den Ohren hatte. Klug, gewitzt und unaufhaltsam, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Und fest entschlossen, jedem Mysterium auf den Grund zu gehen, ganz egal, wie lange er sie auch davon zu überzeugen versucht hatte, dass Mama ihnen mit Sicherheit die Hölle heißmachen würde, wenn sie nicht bald nachhause … stopp. Nein! Richard kniff die Augen zusammen und rieb sich die Lider zwischen Daumen und Zeigefinger. Das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um in Erinnerungen zu schwelgen. Selbst wenn in ein paar Tagen … verdammt, und der Geburtstag seiner Mutter rückte ja auch immer näher …!
»Was … was hast du denn da, Maisie?«, versuchte er sich schließlich von seinen eigenen Gedanken abzulenken und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Kassettenrekorders, der zu ihren Füßen stand.
»Ich muss für die Schule einen Aufsatz über meinen Traumberuf schreiben«, erklärte das Mädchen stolz. »Deswegen bin ich gerade auf dem Weg zum Redaktionsbüro vom Holden Creek Herald, um da einen der Reporter zu interviewen. Dafür hab ich mir den hier von meiner Schwester ausgeliehen.« Ein vorfreudiges Grinsen trat auf ihr Gesicht, während sie den Rekorder tätschelte wie einen kleinen Hund. »Wenn ich groß bin, möchte ich nämlich Investigativjournalistin werden!«
Richard hob beeindruckt die Augenbrauen. ›Investigativjournalistin‹ war ein ganz schön großes Wort für eine Elfjährige. »Wow, das klingt ja spannend! Na, dann wünsche ich dir mal viel Glück bei deinem Aufsatz.«
»Danke, das kann ich echt brauchen.« Maisie zog eine Grimasse und richtete mit einem theatralischen Seufzen ihre Rucksackriemen. »Ich hoffe, dass ich ihn noch heute fertigkriege, damit ich mich ab morgen in Ruhe um unsere Halloween-Kostüme kümmern kann. Dieses Jahr will ich nämlich mit Chloe zusammen gehen und weil wir beste Freundinnen sind, müssen wir natürlich auch im Partnerlook auftreten. Ich hab sogar schon eine Idee! Misses Foster hat zwar versprochen, mir beim Nähen zu helfen, aber ein bisschen Sorge hab ich schon, dass wir es nicht rechtzeitig hinbekommen …« Sie runzelte die Stirn. »Kommen Sie und die anderen Detectives eigentlich auch zum Halloween-Fest? Das macht immer total viel Spaß und Dad und Lily wollen diesmal auch wieder ihren berühmten Apfelkuchen backen! Sie sollten sich nur beeilen, wenn Sie ihn probieren wollen. Beim letzten Mal hat es gerade mal sechs Minuten und vierzehn Sekunden gedauert, bis alle Stücke weg waren, ich hab mitgezählt! Ach ja, und es gibt auch ein Maislabyrinth. Aber keine Sorge, das ist nicht wirklich gruselig. Ich hab bei der Vogelscheuche schon seit ich acht war nicht mehr geweint.«
»Das hört sich ja ziemlich aufregend an.« Richard hatte es inzwischen aufgegeben, sich ein amüsiertes Schmunzeln zu verkneifen. »Ich kann zu diesem Zeitpunkt zwar noch nichts versprechen, aber wenn es sich einrichten lässt, kommen wir gerne.« Er war gerade dabei, erneut das Thema zu wechseln, als ihm doch noch etwas einfiel. »Hey, sag mal … ist Lily zufälligerweise deine Schwester?«
Maisies Augen wurden mit einem Mal tellergroß. »Woher wissen Sie das?«
»Nun ja, ihr seht euch schon ziemlich ähnlich.«
»Sie kennen Lily bestimmt aus der Pension, oder?« Das Mädchen streckte den Arm aus und zeigte in Richtung des Ladens, in dem Dunstan und Newman vor gar nicht allzu langer Zeit verschwunden waren. »Die Bäckerei da drüben gehört übrigens meinen Eltern! Wir wohnen direkt im ersten Stock.« Ein verschmitztes Funkeln blitzte für einen Moment in ihren Augen auf. »Sie sollten auf jeden Fall mal die Marmeladenteilchen von meinem Dad probieren, die machen nämlich süchtig!«
So charmant und liebenswert Maisies aufgeschlossene Art auch sein mochte, je weiter sie vor sich hin plapperte, desto mehr begann Richard darüber nachzudenken, was wohl geschehen wäre, wenn sie an diesem Vormittag nicht ihm, sondern irgendjemand anderem auf der Straße begegnet wäre. Jemand, der es nicht so gut mit ihr meinte und ihre kindliche Naivität ohne mit der Wimper zu zucken ausgenutzt hätte. Denn auch, wenn sie zuvor von ihrer Lehrerin erklärt bekommen hatte, dass sie ihm vertrauen konnte, war Richard für sie trotz allem ein Fremder. Es behagte ihm nicht, dass sie all diese Dinge einfach so über sich preisgab, von ihren Tagesplänen erzählte und ihm sogar zeigte, wo sie wohnte.
»Sag mal, Maisie, hast du eigentlich gar keine Angst, hier so alleine in der Stadt herumzustromern?« Die Worte hatten seinen Mund bereits verlassen, noch bevor er so richtig darüber hatte nachdenken können. Unweigerlich presste er die Lippen aufeinander. Er wollte sie nicht noch zusätzlich beunruhigen.
»Nö, wieso? Ich pass doch auf!« Richard blinzelte irritiert, doch das Mädchen fuhr fort. »So lange ich hier in der Stadt bleibe, gibt es überhaupt keinen Grund zur Sorge. Die Kreaturen hausen schließlich nur im Wald und soweit ich gehört habe, können sie bei Sonnenlicht sowieso nicht aus ihren Verstecken raus.«
»Die … Kreaturen?«
»Ja!« Die Verblüffung in Maisies Stimme war nicht zu überhören. »Es ist doch allgemein bekannt, dass die Wälder hier vor Monstern und anderen paranormalen Kreaturen nur so wimmeln. Was sonst, glauben Sie, ist mit Misses Griffith und dem Doktor passiert? Ich hab mir darüber schon so meine Gedanken gemacht … Bigfoot kann es nicht gewesen sein, der macht keine Jagd auf Menschen, aber vielleicht war es ja ein Werwolf oder die Hexe, die auf der anderen Seite des Flusses wohnt …«
Richard fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. War es normal für eine Fünftklässlerin, noch an solche Schauermärchen zu glauben? Oder wollte sie sich nur einen Scherz mit ihm erlauben? Nein, dazu hatte sie keinen Grund. Außerdem wäre das hier nicht das erste Mal, dass ein Kind versuchte, mit irgendwelchen Horrorlegenden dieser Art ein Trauma zu verarbeiten. Im Gegenteil, es kam sogar ziemlich häufig vor. Aber dennoch … was zur Hölle?
»Von welcher Hexe sprechen wir hier, Maisie?«
»Na, Mister Townsend!«
Richards Augenbrauen hoben sich wie von selbst und er sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein. »Glenn Townsend? Der Mann, der ganz allein am Waldrand lebt?«
»Ja, die anderen in der Schule reden ständig über ihn.« Maisie senkte ihre Stimme und beugte sich etwas näher zu ihm herüber, als fürchtete sie, jemand könnte ihr Gespräch belauschen. »Die glauben, dass er in Wirklichkeit eine Hexe ist, die Leute entführt und in ihrem Schuppen einsperrt, um sie dort zu zerstückeln. Das sind zwar alles nur Gerüchte, aber … ich weiß nicht, irgendwie kann ich mir schon vorstellen, dass da was dran ist. Alex Reynolds aus der Achten schwört, dass sie mal einen abgetrennten Finger im Wald gefunden hat! Und Brandon Chapman meinte sogar, er hätte Mister Townsend dabei beobachtet, wie er jemandem den Arm abgesägt hat … okay, in dem Fall wollte der sich wahrscheinlich nur wieder wichtigtun, aber ich glaube auch nicht, dass er sich alles davon ausgedacht hat!«
»Ja, für so etwas braucht man schon eine ziemlich … blühende Fantasie.«
Auch wenn Richard bezweifelte, dass Townsend tatsächlich eine geheime Folterkammer in seinem Schuppen versteckte, so war er sich dennoch bewusst, dass es fatale Folgen haben konnte, die Ängste von Kindern zu ignorieren und sie als bloße Hirngespinste oder einen Schrei nach Aufmerksamkeit abzustempeln. Am Ende hieß es immer bloß ›Hätte ich doch nur‹ …
»Hast du Mister Townsend jemals in der Nähe deiner Schule herumschleichen sehen?«, fragte Richard, wobei er nach Kräften versuchte, so wenig alarmiert wie nur möglich zu klingen. »Hat er dich oder einen deiner Klassenkameraden vielleicht schon einmal angesprochen?«
Maisie schürzte die Lippen und schien einen Augenblick lang zu überlegen. »Hm, nicht, dass ich wüsste. Wenn, dann sehe ich ihn höchstens mal am Waldrand Pilze sammeln oder so was. Aber mit dem würde ich mich sowieso nicht anlegen. Meine Mom hat mir nämlich verboten, mit Mister Townsend zu reden. Sie kann ihn wohl auch nicht leiden.«
»Hey, Williams! Wer ist denn Ihre neue Freundin?«
Als Richard den Kopf hob, konnte er sehen, wie Dunstan und Newman gerade die Bäckerei verließen, in den Händen zwei vor Zuckerguss nur so triefende Marmeladenteilchen samt Servietten haltend. Die Ruhe war schön gewesen, so lange sie angehalten hatte …
»Was denn, keine Donuts?«, spöttelte er in einem Versuch, sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen, woraufhin Megan wie so oft bloß die Augen verdrehte. Bevor sie jedoch zu einem Gegenschlag ansetzen konnte, fuhr er rasch fort. »Dunstan, Newman, das hier ist Maisie Hart. Sie besucht die fünfte Klasse der Holden Creek Elementary School, an der ich mich gestern bereits umgehört habe«, stellte er das Mädchen vor, welches sofort großes Interesse an seinen Kollegen zu finden schien und diese neugierig musterte.
Megan grinste unverhohlen, putzte sich die Finger ab, und streckte Maisie ihre Hand entgegen.
»Hi, ich bin Megan! Freut mich, dich kennenzulernen, Maisie.« Sie warf einen kurzen, unheilvollen Blick in Richtung Richard, bevor sie ebenfalls zu flüstern begann. »Ich hoffe, die alte Schnarchnase da drüben hat dich mit ihrem Gelaber nicht allzu sehr eingeschläfert … im Notfall einfach irgendwas werfen, um ihn abzulenken, und dann ganz schnell wegrennen, das funktioniert eigentlich immer.«
Richard zog eine säuerliche Grimasse, während Maisie sich kichernd die Hand vor den Mund hielt. »Also, ich finde ihn eigentlich ganz nett!«
»Sie haben das Mädchen gehört, Newman. Nicht jeder besitzt eine so kindische Einstellung wie Sie«, beendete Richard das Thema, bevor Dunstan noch auf die Idee kam, ebenfalls seinen Senf dazuzugeben, und räusperte sich. »Verehrte Kollegen, ich fürchte, unser Tagesplan hat sich soeben spontan geändert. Das Einkaufen müssen wir vorerst wohl auf später verschieben.«
Sam, der sein Pausenbrot in der Zwischenzeit beinahe vollständig verputzt hatte, hob fragend eine Augenbraue und auch Megan schien seinen Worten momentan noch nicht ganz folgen zu können.
»Was denn, haben Sie jetzt etwa doch Appetit auf ’nen Donut bekommen?«
Richard ignorierte sie. »Alles Wichtige diesbezüglich erkläre ich Ihnen auf dem Weg, aber jetzt begleiten wir Maisie erst einmal zur Zeitungsredaktion.«