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Down The Stairs [Élite]

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P16 / Gen
15.09.2019
20.04.2020
12
21.329
4
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Dieses Kapitel
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15.09.2019 1.947
 
Nina Sky, Jabba - Move Your Body


Es ist voll. Stickig. Schon nach wenigen Minuten im Club klebt mir das Glitzertop, das ich mir von Rebe geliehen habe, am Körper. Hat wahrscheinlich so viel gekostet wie die Miete der schuhschachtelgroßen Wohnung, in der ich lebe und besteht in etwa aus so viel Stoff wie meine Unterwäsche. Ich bahne mir meinen Weg zu Nadia und Rebe, die drei Plätze an der Bar ergattert haben und gerade anstoßen, als ich mich zwischen sie dränge.

„Hättet ihr nicht am Eingang warten können?“, beschwere ich mich.

„Du bist doch immer zu spät“, antwortet Rebe über den Lärm der Musik hinweg direkt in mein Ohr und deutet dann mit ihrem halbvollen Glas, in dem mehr Eiswürfel als Getränk schwimmen, auf Nadia, „außerdem kann die süße Nadia nicht stundenlang vor einem Club stehen und riskieren, gesehen zu werden.“

Nadia lächelt mich entschuldigend an.

„Wo hast du gesteckt?“, fragt sie, „ich dachte, du kommst mit Samu.“

„Dachte ich auch.“

Leider hat er es nicht für nötig gehalten, mir abzusagen, weshalb ich mich zwanzig Minuten vor seinem Hauseingang herumgedrückt und versucht habe, ihn zu erreichen. Nach drei Anrufen und ein paar wütenden Nachrichten war sein Handy aus und ich machte mich alleine auf den Weg.

„Umso besser. Ladies Night!“, Rebe wedelt mit der frisch manikürten freien Hand durch die Luft, als wolle sie alle negativen Gedanken fernhalten. Sie bestellt mir einen Drink und zwinkert dem Barkeeper verschwörerisch zu. Ich lasse meinen Blick zum ersten Mal seit meiner Ankunft bewusster durch den Club gleiten. Es ist brechend voll. Ein paar bekannte Gesichter tummeln sich zwischen vielen Fremden. „Die Anderen“, wie wir sie nennen, die Reichen, geben sich nicht mit dem einfachen Volk auf ab. Sie haben ihren eigenen privaten Bereich und können von der Galerie aus auf die Menge herunterblicken als würden sie sie reagieren.

Ich trinke einen Schluck und verziehe das Gesicht. Der Barkeeper hat es mit dem Alkoholanteil etwas zu gut gemeint und ich hasse es, betrunken nach Hause zu gehen, wenn Samu nicht hier ist, um mich zu begleiten. Ist nicht die sicherste Gegend, in der wir leben. Naja, vielleicht ist er ja hier. Oben. Dieser kleine Mistkerl hat es irgendwie geschafft, sich in die oberen Kreise zu spielen und auf dem Weg dahin vergessen, dass er eigentlich zu uns gehört.

„Jetzt zerbrich dir nicht den Kopf über Samuel!“, Rebe kneift mir in die Schulter.

„Wie wärs, wenn du dir das ab und zu selbst sagen würdest?“, gebe ich zurück. Sie verdreht die Augen. Punkt für mich.

„Aus Samuel und mir wird nichts“, sagt sie, „er will was von der blonden Zicke.“

Carla. Ja. Warum auch immer. Damit hat er unsere Freundschaft ziemlich auf die Probe gestellt. Ich würde sie normalerweise nicht von etwas so Uninteressantem wie Datingverhalten abhängig machen, aber Carla … wir hatten einen schwierigen Start und der hat in den letzten Monaten des Öfteren zu erbitterten Auseinandersetzungen geführt. Ich bin nicht der Typ, der Problemen aus dem Weg geht, wenn man sich ihnen auch stellen kann. Als Samuel mich bat, netter zu Carla zu sein und ihre Sprüche nicht immer mit „meinem ganz eigenen Charme“ zu quittieren, gerieten wir heftig aneinander und seither sehe ich ihn nur noch mit ihr und immer seltener mit uns.

„Wir sollten tanzen“, schlägt Rebe vor. Nadia zuckt unsicher mit den Schultern.

„Ach kommt schon!“, sie lässt nicht locker und zieht uns hinter sich her auf die brechend volle Tanzfläche. Unmöglich, sich hier einigermaßen frei zu bewegen, aber Rebe ist gut darin, sich Platz zu ertanzen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Wir bewegen uns in ihrem Dunstkreis, etwas weniger daraus aus, uns einen Tanzpartner zu angeln.

„Das mit Samu wird schon wieder“, ruft mir Nadia ins Ohr, „mach dir keinen Kopf. Er ist einfach verliebt.“

Ich bin umgeben von verliebten Menschen. Die meisten eher tragisch, so wie es sich für unser Alter gehört, aber wenn man von außen in unseren Klassenraum blickt, kann man reihenweise Teenager beobachten, die verträumt ins Nichts starren oder den Nacken ihres Angebeteten fixieren. Zu einer Remixversion von Enrique Inglesias „Bailando“ wirft mich Rebe hin und her und meine Haare fliegen uns beiden ins Gesicht. Sie ist gut darin, jemandem das Gefühl zu geben, der Mittelpunkt des Raumes zu sein. Meist ist sie es selbst und sie genießt die Aufmerksamkeit in vollen Zügen.

„Wir sollten dem VIP Bereich später einen Besuch abstatten“, brüllt sie, „unsere lieben Mitschüler begrüßen und so.“

„Bitte nicht“, sage ich, „ich will keinen Ärger.“

„Seit wann das denn?“, erwidert sie fröhlich, „deine Laune wird sich gleich erheblich bessern, Prinzessin.“

Sie packt mich an den Schultern und dreht mich in Richtung Clubeingang. Links daneben, an eine Säule gelehnt, steht Nano. Ruckartig mache ich mich aus ihrem Griff los und drehe mich zu meinen Freundinnen um.

„Was macht der denn hier?“, frage ich. Sie zucken einträchtig mit den Schultern. Rebe grinst zufrieden. Würde mich nicht wundern, wenn sie es irgendwie geschafft hat, ihn zu überreden, sich auch mal wieder sehen zu lassen. Ich trinke einen großen Schluck, drücke ihr das Glas in die Hand und versuche, mich durch die Menge zu quetschen, um zu ihm zu gelangen. Natürlich hat er mich längst entdeckt.

„Was machst du hier?“, frage ich.

„Seit wann hängst du mit den rich kids ab?“, gibt er zurück.

„Jeden Tag. In der Schule.“

„Und das reicht dir nicht?“

Oh doch. Glücklicherweise werden wir ja alle streng nach Gehaltsklassen unserer Eltern getrennt, so ist die Gefahr, ihnen über den Weg zu laufen, gleich null.

„Tanzt du mit mir?“, ich kenne die Antwort schon, aber es macht Spaß, ihn ein bisschen herauszufordern. Er verzieht keine Miene.

„Ich tanze nicht.“

„Natürlich nicht. Könnte deinem Ruf schaden.“

„Wo ist mein Bruder?“

„Hat mich versetzt“, sage ich und füge etwas versöhnlicher hinzu, „oben wahrscheinlich. Bei Carla.“

Jetzt ist doch so etwas wie eine Regung zu erkennen. Ich kenne Nano besser als mich selbst. Während ich mich noch nicht zu hundert Prozent entschieden habe, wie ich zu meinen Mitschülern stehe, weiß er sehr genau, was er von ihnen hält. Ich kann es ihm nicht verdenken.

„Meine Freundinnen warten auf mich“, sage ich. Er hält mich mit einem Griff an meine Schulter auf.

„Ich muss mit Samu sprechen“, sagt er. Natürlich ist er nicht wegen mir hier. Hier gehts nicht um uns.

„Und?“

„Hol ihn.“

„Okay, wie wärs mit einem „bitte“?“, ich verschränke die Arme vor der Brust, „ich kann da nicht hoch.“

„Sein Handy ist aus.“

„Ich weiß.“

„Geh ihn einfach holen“, er lässt sich nicht auf Diskussionen ein. Ich mich nur auf einen Deal.

„Tanz mit mir“, sage ich, „dann denke ich drüber nach.“

Es ist ein Spiel, dass wir auf jeder verdammten Party spielen, auf der wir uns, zufällig oder nicht, über den Weg laufen. Er ist kein schlechter Tänzer, im Gegenteil, er will sich nur unnahbar machen, von der Masse abheben, die er so verurteilt. Und sie ihn. Eine explosive Mischung. Er packt meine Hand, drückt sie etwas zu fest und zieht mich auf die Tanzfläche. Rebe und Nadia grinsen mich hinter seinem Rücken an und bedeuteten mit nach oben geregten Daumen und Luftküssen, was sie von meiner Überredungskunst halten. Sie kennen ja den Einsatz nicht, aber Rebe wird mir sicher behilflich sein.

DJ Snake, J. Balvin, Tyga - Loco Contigo


Wir tanzen eng und wie immer kommt es mir vor, als würden plötzlich nur noch wir existieren. Als seien wir in einer Szene von „Step Up“ oder einem anderen Tanzfilm, den ich mit 13 aus Langeweile gesehen habe und nach dem ich mich immer sofort in der nächsten Tanzschule anmelden wollte. Es fühlt sich so natürlich an, als würden wir tagtäglich nichts anderes tun.

Aber das Lied ist zu schnell vorbei und ich sehe mich mit einem schrankhohen Securitykerl konfrontiert, den ich überzeugen muss, die Absperrung zu öffnen und mich die Treppe rauf zu lassen. Ich würde vermutlich alles für Nano tun und diese Bereitwilligkeit bereitet mir nicht selten schlaflose Nächte.

„Das da oben sind Freunde von mir“, sage ich, „ich muss nur jemanden holen. Bitte. Oder holen Sie ihn. Ich muss da auch nicht unbedingt hoch. Ich will nur mit jemandem sprechen, der sein Handy ausgeschaltet hat.“

„Dann will er ja offensichtlich mit dir sprechen“, gibt er unbeeindruckt zurück, „nur für geladene Gäste. Sorry, Süße.“

„Süße?“, ich beiße die Zähne fest zusammen und entspanne den Kiefer dann wieder, „wohl kaum.“

Er könnte mich auf seinem kleinen Finger aus dem Club tragen, aber offensichtlich amüsiere ich ihn. Wie King Kong, der Naomi Watts lustige Zirkusnummern hat vorführen lassen, so lange, bis sie nicht mehr konnte und er das ganze nicht mehr so lustig fand. Ich habe also schlechte Karten.

„Was muss ich tun, damit Sie mich da hoch lassen?“

„Ich stehe nicht so auf Verzweiflung.“

Ich binde mir die Haare hoch. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ich willens bin, zu diskutieren, bis man mich rauswirft. Jetzt geht es nicht mehr nur um Nano, sondern ums Prinzip. Rebe eilt mir zur Seite. Leicht angetrunken und mit einer Attitüde,

„Hör mal“, sagt sie zu dem Mann und tritt noch einen Schritt auf ihn zu, „ich will mit deinem Boss sprechen. Sofort. Sag ihm, Sandra schickt mich.“

Ich versuche, in dem Gesicht des Kerls auszumachen, ob diese Drohung etwas bewirkt, doch in dem Moment kommt Polo die Treppe hinunter. Er springt lässig über die Absperrung und nimmt mich nur am Rande wahr. Ich nutze die Chance und halte ihn am Ärmel fest. Bisher habe ich noch nicht rausgefunden, wie er zu mir steht. Wenn wir allein sind, ist er nett. Wenn Guzman in der  Nähe ist, behandelt er mich so, wie alle anderen es tun.

„Hey Polo, ist Samuel da oben?“, frage ich.

„Ja“, sagt er, „wieso?“

„Ich muss mit ihm sprechen. Dringend. Kannst du ihm das ausrichten?“

Er mustert mich.

„Später.“

„Kannst du dem Kerl sagen, er soll uns hoch lassen? Bitte?“

Für niemand anderen als für Nano würde ich so tief sinken und einen von diesen Bonzen förmlich anbetteln, mich in ihren Bereich zu lassen.

„He!“, Rebe pfeift mich wie einen entlaufenen Hund zurück, „wir können rein.“

Ich lasse Polo stehen, froh darüber, dass er mir nicht die Absolution erteilen konnte, und folge Rebe die schmale beleuchtete Treppe hinauf in den VIP Bereich. Er ist voll von unseren Mitschülern. Auf den Tischen reihen sich die Champagnerflaschen aneinander. Danke Mummy und Daddy.  Wissen die überhaupt, wie ihre Sprösslinge ihre Wochenenden verbringen? Vermutlich interessiert es sie genauso wenig wie meine Eltern. Hauptsache, sie machen zuhause keinen Ärger und am besten gar nicht erst den Mund auf.

Rebe läuft zielstrebig auf Samu zu, der auf einer weißen Ledercouch zwischen Carla und Ander sitzt. Letzterer lächelt erfreut, als er mich entdeckt und hebt die Hand. Ich lächle zurück. Gut, es gibt Ausnahmen. Die muss es ja geben, wo bliebe denn sonst der Spaß? Nicht nur Ander hat mich entdeckt. Guzman schüttelt genervt den Kopf und kommt dann auf mich zu.

„Was willst du hier?“, fragt er, „wer hat dich reingelassen?“

„Ich will zu Samu.“

„Den kannst du gleich mitnehmen“, sagt er, „wir brauchen ihn und den Mörder nicht.“

„Nano ist kein –“

„Gib dir keine Mühe. Wir alle wissen, dass du ihn fickst.“

Ich will ihm gerade eine Ohrfeige verpassen, da kommt Rebe mit Samu im Schlepptau zurück und bedeutet mir streng, zu gehen. Wütend starre ich Guzman an, der aussieht, als wolle er sich am liebsten auf uns stürzen. Ander redet beschwichtigend auf ihn ein und wir verschwinden aus seinem Sichtfeld. Ich ignoriere Samu und liefere ihn wie eine Pizza bei Nano ab, der sich nicht mal bedankt.

„Was wollte Guzman?“, fragt Rebe interessiert.

„Nicht wichtig.“

„Sag mir bitte nicht, dass er dir den Abend versaut hat. Der hat gerade erst angefangen, Süße.“
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