Macht hoch die Tür, die Tor macht weit
von Akasha12
Kurzbeschreibung
Nach dem abgewandten Armageddon herrscht ein Ungleichgewicht zwischen Gut und Böse. Erziraphael, der sein Interesse an den Himmelsgeschehnissen nicht ganz ablegen konnte, bekommt das unerlaubterweise mit und ihm fällt etwas ein, wie man dem Engelsdefizit eventuell beikommen könnte. Dazu braucht er Crowley.
GeschichteFantasy, Freundschaft / P16 / MaleSlash
Anthony J. Crowley
Erziraphael
18.08.2019
12.04.2022
25
61.982
19
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Dieses Kapitel
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19.08.2019
1.938
„Würde es dir was ausmachen, etwas zu essen?“
Crowley lächelte. Wie hatte er auch nur annehmen können, dass Erziraphael wirklich nur trinken gehen wollte?
„Geht McDrive für dich klar?“, fragte Crowley unbedarft.
Hörbar schnappte Erziraphael nach Luft. Crowley konnte förmlich spüren, wie sich der Engel in dem Sitz versteifte.
„Du weißt genau, was ich von diesen Fresstempeln halte. Lieber gehe ich in den Hungerstreik!“, ließ er aufbrausend verlauten.
Das glaube ich eher nicht, dachte Crowley, behielt das aber still lächelnd für sich und fragte, nach was dem Engel denn der Sinn stand.
„Hm, ich habe ein gutes, kleines Restaurant entdeckt. Da würde ich gerne hin.“
„Soso, du hast es entdeckt?“
Beide wussten, dass Erziraphael so was nicht entdeckte. Er war regelrecht auf der Suche danach. Wieder überhörte der Engel diese Aussage, aber innerlich schmunzelte er. Crowleys neckende Art war nur eine Bestätigung darin, dass er ihn sehr vermisst hatte.
Er diktierte Crowley den Weg und nach kurzer Zeit parkten sie in einer kleinen mit Pflastersteinen bedeckten Straße. Die Lampen am Gehweg waren bereits an und die Nacht versprach nebelreich zu werden. Erziraphael fröstelte.
„Jetzt ziehst du schon solche Klamotten an und dann sind sie noch nicht mal warm“, brummte Crowley und langte auf dem Rücksitz nach einer Lederjacke.
Er reichte sie dem Engel, der sie aber mit leichter Skepsis ablehnte. Crowley zuckte mit den Schultern und schlüpfte in die Jacke. Vorbeigehende Passanten sahen ihn komisch an, da es dunkel war und er trotzdem eine Sonnenbrille trug. Ein paar Eichen und Buchen säumten die Straße. Hauptsächlich gab es hier kleinere Geschäfte. Eilig lief Erziraphael voran und als Crowley ihm mit den Augen folgte, sah er dann auch das Restaurant. Der Engel überraschte ihn. Zu oft hing Erziraphael an fremdländischen Küchen, aber das hier schien nicht in das Muster zu passen.
„Kommst du heute noch?“, rief der Engel ihm zu, während er ungeduldig vor der Eingangstür wartete und leicht auf und ab wippte.
Crowley schlenderte ihm nach. Auf einem Schild draußen standen die Empfehlungen des Hauses. Erziraphael zog Crowley am Ärmel, als sich dieser erdreistete und das Schild lesen wollte.
„Das steht sicher auch alles drinnen. Komm.“
Nachdem sie an einem Fenstertisch Platz genommen hatten, betrachteten sie schweigend die Speisekarte, da kam auch schon eine Bedienung. Ein junger Mann, der ein zu schelmisches Grinsen im Gesicht zur Schau trug. Zumindest empfand Crowley das so. Mit einem Anflug von Missfallen sah er dabei zu, wie Erziraphael den Jungen anlächelte. Einer der großen Unterschiede zwischen den beiden.
Crowley unterstellte den Menschen grundsätzlich Gemeinheiten, wenn sie sich seltsam benahmen. Wie jetzt zum Beispiel. Für ihn war es glasklar, dass der Kellner so dumm grinste, weil er sich über Erziraphaels Kleidungsstil lustig machte. Der Engel hingegen sah alles mit Wohlgefallen. Sicher lächelte der junge Mann, weil er schon lange nicht mehr so ein adrettes Outfit gesehen hatte.
Man kann sagen, dass in einigen Jahrhunderten – besonders im 14. – der Weltgeschichte Erziraphael öfter mit seinen Annahmen ins Schwarze traf. Im 21. Jahrhundert hatte aber leider Crowley häufiger recht.
„Die Herren wünschen?“, fragte der Kellner.
„Irgendeinen guten, dreißigjährigen Whisky, ein Glas stilles Wasser und die Erbsen-Pfefferminzsuppe“, bestellte sich Crowley murrend.
Der Engel quittierte den unhöflichen Tonfall seines Begleiters mit einem bösen Blick, dann schaute er wieder angestrengt in die Karte.
„Ich nehme den spanischen Rotwein und hm....“
Er vertiefte sich noch mehr in die Karte. Crowley legte den Kopf in den Nacken und meinte zu dem jungen Mann, der hinter ihm stand, dass er in ein paar Minuten wieder kommen sollte.
„Wirklich, Engel. Du entscheidest dich für ein Essen, nicht dafür ein von Gott gegebenes Flammenschwert herzugeben. Warte. Mit der Entscheidung warst du recht schnell bei der Hand.“
Empört sah Erziraphael zu Crowley auf und das besänftigte ihn wieder ein wenig. Immerhin wurde diese Aussage von einem unwiderstehlichen Lächeln begleitet. Schließlich entschied sich Erziraphael für Roastbeef mit Yorkshire Pudding. Die Getränke kamen und Crowley lehnte sich noch gemütlicher auf seinem Stuhl zurück.
„Nun erzähl schon, was dir Kopfzerbrechen bereitet.“
„Crowley! Doch nicht beim Essen. Du kennst die Regel.“
Über seine Sonnenbrille hinweg sah der Dämon Erziraphael an. Würde man behaupten, dass eine Wärme in seinem Blick lag, würde man schlichtweg lügen. In den stechend gelben Augen knisterte eine Hitze, die Erziraphaels Gabel dazu brachte, auf halbem Weg zum Mund ins Stocken zu geraten. Schnell nahm er den Bissen und kaute eifrig. Crowley würde es sicher nicht wagen, jetzt noch das Thema besprechen zu wollen.
„Ach, Erziraphael. Zu gerne würde ich wissen, wie viel deines liebreizenden Wesens auf deinen verschrobenen Eigenheiten basiert. Und das meine ich ganz ohne Spott.“
Erziraphael fiel eine Last von den Schultern, die von Ängsten vor einem ungemütlichen Essen herrührte. Doch Crowley hatte heute einen Dunkle-Seite-Tag, wie dem Engel schon bei der übergangenen Begrüßung aufgefallen war.
„Trotzdem. Besser, du kommst gleich zur Sache.“
Als hätte jemand direkt vor seinen Augen ein paar Haarbüschel auf seinem Teller platziert, schob Erziraphael sein Essen von sich. Sein Gesicht konnte sich noch nicht entscheiden, ob es traurig, entsetzt oder resigniert aussehen wollte.
Crowley hingegen wusste nur zu gut, woher sein diabolisches Lächeln kam. Er mochte es, wenn sich Erziraphael so anstellte.
Mit seiner Serviette tupfte sich Erziraphael den Mund ab. Er schenkte seinem Teller noch einen wehmütigen Blick und richtete sich dann fachmännisch auf, um zu sprechen.
„Wir sitzen in der Klemme. Ich habe es munkeln hören. Deine und meine Leute planen offenbar die Seiten aufzulösen.“
Verwirrt schüttelte Crowley den Kopf.
„Moment. Wir Wir? Oder Wir Du? Geht es sicher um uns oder sitzt DU in der Klemme und brauchst meine Hilfe? Wo hast du was munkeln gehört und von welchen Seiten redest du?“
„Ich habe mich halt umgehört“, wich Erziraphael aus. „Ich rede von Gut und Böse! Das wollen sie abschaffen.“
In Zeitlupe klappte Crowleys Mund auf. Als Erziraphael ihn nach einer Weile fragend anblickte, schüttelte der Dämon den Kopf und kippte sich den teuren Whisky im Unverstand runter.
„Wie jetzt? Die Schlangenzunge verschluckt?“, scherzte Erziraphael und empfand kurz darauf ein schlechtes Gewissen.
Manchmal war es anstrengend ein Engel zu sein.
Crowley zischte aufgebracht und weil er geärgert worden war, ließ er die gewünschte Reaktion mit Absicht ausbleiben. Er zuckte mit den Schultern.
„Was soll uns das interessieren? Wir haben keine Seiten mehr, schon vergessen? Außerdem haben wir die Grenzen von Gut und Böse doch schon seit Jahrhunderten ziemlich fröhlich zu allen möglichen Seiten ausgedehnt und verwischt.“
Jetzt tat auch Erziraphael unbeteiligt. Er fing wieder an zu essen und genoss es. Crowley tat es ihm gleich. Nach ein paar stillen Minuten hob der Engel die Schultern und wies mit seiner Gabel auf Crowleys Suppe.
„Wie schmeckt dir das Essen?“
„Gut“, antwortete Crowley leicht verstimmt.
Es war wieder so typisch für seinen Engel. So eine Bombe platzen zu lassen und dann nach dem Essen zu fragen.
„Wie schmeckt es?“, bohrte Erziraphael nach.
Crowley rollte mit den Augen, ließ seinen Löffel langsam in den Teller gleiten und schob ihn Erziraphael zu. Der meinte wohl sich rechtfertigen zu müssen.
„Ich habe mit dem Gedanken gespielt, mir auch eine Vorspeise zu bestellen. War dann aber zu unschlüssig und ich sollte ein wenig auf meine Ernährung achten“, blubberte er fröhlich darauf los und versuchte einen Löffel von der Suppe.
Genüsslich schloss er die Augen, als er sie abschmeckte. Dann schlug er sie wieder auf.
„Köstlich!“
Crowley war vorübergehend der nie vorhandene Appetit vergangen. Trotzdem zog er seinen Teller wieder zu sich.
„Da diese wichtige Sache“, er wies auf den Teller, „da das jetzt erledigt ist. Vielleicht möchtest du mir ein wenig ausführlicher erklären, warum das so aufregend für dich ist. Die andere Sache. Mein ich.“
Erziraphael machte ein besorgtes Gesicht, aber sein Hunger war noch nicht gestillt und so aß er ruhig weiter. Mit vollem Mund sprach er nicht, darum musste Crowley länger auf eine Antwort warten, als gut für seine Nerven war. Endlich war der Engel fertig.
„Nun, weißt du, zum einen ist es absolut nicht in Ordnung die Seiten abzuschaffen. Wie sollen die Menschen dann entscheiden, ob sie gut oder böse handeln wollen? Welche Entscheidungen haben sie dann noch? Wie soll es noch Sünder oder Heilige geben? Die ganze weltliche Ordnung würde somit zunichtegemacht werden.“
Crowley musste diesem Punkt des Engels zustimmen. Es war einfach keine Art, Gut und Böse ausschalten zu wollen. Daran hing doch seit Anbeginn der Zeit viel zu viel daran.
„Aber wie kommen sie denn überhaupt auf diese idiotische Idee?“, fragte er.
„Da gibt es nur Gerüchte. Aber wir zwei sind daran wohl nicht ganz unschuldig. Unter deinen Leuten sind einige neidisch, da du dich so gut mit den Gewohnheiten der Menschen auskennst und darum auch viel mehr Unheil anstellen konntest und so viel Lob eingeheimst hast. Sie finden es unfair. Ja und bei meinen Leuten … ich weiß es ehrlich nicht. Möglich, dass sie es einfach nicht zulassen wollen, dass die Erde von Dämonen überflutet wird. Da gibt es nur Spekulationen.“
Auch Crowley hatte inzwischen aufgegessen und nun trank er einen Schluck Wasser. So richtig Sinn ergab die Sache für ihn nicht.
„Ja, aber dann wollen sie Gut und Böse doch nicht eliminieren, sondern nur mehr auf der Erde verteilen.“
„Ich weiß nicht, wie aktuell meine Informationen sind, aber es stand zur Debatte genau aus diesem Grund das Böse und Gute sein zu lassen. Wenn doch sowieso alle auf der Erde sind, würde es sich von selbst ausgleichen. Dann kann man sich die Arbeit gleich sparen und den Himmel und die Hölle schließen. Ein großes … ein großes … mir fällt kein passendes Wort dafür ein. Wenn Gut und Böse nicht mehr existieren, ist dann alles neutral oder eher Nichts?“
Nachdenklich nickte Crowley mit dem Kopf, die Frage des Engels überging er.
„Ja. Hm. Dann ist das wohl so. Aber ich verstehe deine Aufregung immer noch nicht. Wie gesagt, wir ignorieren seit dem vereitelten Armageddon – ach was, schon davor - die Seiten. Zumindest dachte ich das und ich für meinen Teil habe es nicht munkeln gehört oder mich irgendwie anders um die Oben und Unten gekümmert.“
Crowley warf Erziraphael einen enttäuschten und vorwurfsvollen Blick zu.
Der Engel tat sofort schuldbewusst und Crowley fuhr beruhigt fort: „Wie müssen niemanden mehr Rechenschaft abliefern. Und ganz ehrlich, die Menschen werden neue Seiten erschaffen, deren Parteien sie dann ergreifen können. Sie sind sehr erfinderisch…“
Erziraphaels Finger trommelten auf der Tischdecke und er wirkte wie ein Lehrer, der einen Schüler auf ruhige aber herablassende Art zurechtweisen wollte.
„Jetzt sag mir nur nicht, dass du nicht ab und an kleine Missetaten begehst. Wie war das vorher auf dem Konzert? Damit ist dann Schluss, Crawly.“
Der Dämon zuckte kaum merklich zusammen. Wenn Erziraphael ihn mit seinem alten Namen ansprach, war es ihm mehr als ernst.
„Und wie ich dich kenne, willst du dich einmischen“, schlussfolgerte Crowley nun zynisch, während er die trommelnden Fingerbewegungen des Engels nachmachte.
„Nicht einmischen! Nur Augen und Ohren ein wenig offen halte, damit wir wissen, was vor sich geht und damit man zur Not eingreifen könnte. Hörst du dich auch ein wenig um?“
Der Engel lächelte Crowley an und hob sein Weinglas. Crowley machte ein freudloses Lachgeräusch, hob ebenfalls sein Whiskyglas und stieß mit dem Engel an.
Aufgrund ihrer ewig langen Bekanntschaft unterlag das Essengehen schon einem gewissen Ritual. Ganz selbstverständlich hob Erziraphael den Arm, um den Kellner die Rechnung bringen zu lassen und Crowley überlegte, auf welcher Strecke zur Buchhandlung der wenigste Verkehr um diese Uhrzeit sein würde. Der Abend sollte bei einem oder vielleicht auch bei zwei Gläschen Wein fortgesetzt werden.
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Vielen, vielen Dank für die Empfehlungen und die Favoriteneinträge. :) Freut mich sehr!
Das Kapitel von gestern war ziemlich kurz, darum hier gleich das 2.
Sonst werde ich 1x wöchentlich posten.
Cu
Crowley lächelte. Wie hatte er auch nur annehmen können, dass Erziraphael wirklich nur trinken gehen wollte?
„Geht McDrive für dich klar?“, fragte Crowley unbedarft.
Hörbar schnappte Erziraphael nach Luft. Crowley konnte förmlich spüren, wie sich der Engel in dem Sitz versteifte.
„Du weißt genau, was ich von diesen Fresstempeln halte. Lieber gehe ich in den Hungerstreik!“, ließ er aufbrausend verlauten.
Das glaube ich eher nicht, dachte Crowley, behielt das aber still lächelnd für sich und fragte, nach was dem Engel denn der Sinn stand.
„Hm, ich habe ein gutes, kleines Restaurant entdeckt. Da würde ich gerne hin.“
„Soso, du hast es entdeckt?“
Beide wussten, dass Erziraphael so was nicht entdeckte. Er war regelrecht auf der Suche danach. Wieder überhörte der Engel diese Aussage, aber innerlich schmunzelte er. Crowleys neckende Art war nur eine Bestätigung darin, dass er ihn sehr vermisst hatte.
Er diktierte Crowley den Weg und nach kurzer Zeit parkten sie in einer kleinen mit Pflastersteinen bedeckten Straße. Die Lampen am Gehweg waren bereits an und die Nacht versprach nebelreich zu werden. Erziraphael fröstelte.
„Jetzt ziehst du schon solche Klamotten an und dann sind sie noch nicht mal warm“, brummte Crowley und langte auf dem Rücksitz nach einer Lederjacke.
Er reichte sie dem Engel, der sie aber mit leichter Skepsis ablehnte. Crowley zuckte mit den Schultern und schlüpfte in die Jacke. Vorbeigehende Passanten sahen ihn komisch an, da es dunkel war und er trotzdem eine Sonnenbrille trug. Ein paar Eichen und Buchen säumten die Straße. Hauptsächlich gab es hier kleinere Geschäfte. Eilig lief Erziraphael voran und als Crowley ihm mit den Augen folgte, sah er dann auch das Restaurant. Der Engel überraschte ihn. Zu oft hing Erziraphael an fremdländischen Küchen, aber das hier schien nicht in das Muster zu passen.
„Kommst du heute noch?“, rief der Engel ihm zu, während er ungeduldig vor der Eingangstür wartete und leicht auf und ab wippte.
Crowley schlenderte ihm nach. Auf einem Schild draußen standen die Empfehlungen des Hauses. Erziraphael zog Crowley am Ärmel, als sich dieser erdreistete und das Schild lesen wollte.
„Das steht sicher auch alles drinnen. Komm.“
Nachdem sie an einem Fenstertisch Platz genommen hatten, betrachteten sie schweigend die Speisekarte, da kam auch schon eine Bedienung. Ein junger Mann, der ein zu schelmisches Grinsen im Gesicht zur Schau trug. Zumindest empfand Crowley das so. Mit einem Anflug von Missfallen sah er dabei zu, wie Erziraphael den Jungen anlächelte. Einer der großen Unterschiede zwischen den beiden.
Crowley unterstellte den Menschen grundsätzlich Gemeinheiten, wenn sie sich seltsam benahmen. Wie jetzt zum Beispiel. Für ihn war es glasklar, dass der Kellner so dumm grinste, weil er sich über Erziraphaels Kleidungsstil lustig machte. Der Engel hingegen sah alles mit Wohlgefallen. Sicher lächelte der junge Mann, weil er schon lange nicht mehr so ein adrettes Outfit gesehen hatte.
Man kann sagen, dass in einigen Jahrhunderten – besonders im 14. – der Weltgeschichte Erziraphael öfter mit seinen Annahmen ins Schwarze traf. Im 21. Jahrhundert hatte aber leider Crowley häufiger recht.
„Die Herren wünschen?“, fragte der Kellner.
„Irgendeinen guten, dreißigjährigen Whisky, ein Glas stilles Wasser und die Erbsen-Pfefferminzsuppe“, bestellte sich Crowley murrend.
Der Engel quittierte den unhöflichen Tonfall seines Begleiters mit einem bösen Blick, dann schaute er wieder angestrengt in die Karte.
„Ich nehme den spanischen Rotwein und hm....“
Er vertiefte sich noch mehr in die Karte. Crowley legte den Kopf in den Nacken und meinte zu dem jungen Mann, der hinter ihm stand, dass er in ein paar Minuten wieder kommen sollte.
„Wirklich, Engel. Du entscheidest dich für ein Essen, nicht dafür ein von Gott gegebenes Flammenschwert herzugeben. Warte. Mit der Entscheidung warst du recht schnell bei der Hand.“
Empört sah Erziraphael zu Crowley auf und das besänftigte ihn wieder ein wenig. Immerhin wurde diese Aussage von einem unwiderstehlichen Lächeln begleitet. Schließlich entschied sich Erziraphael für Roastbeef mit Yorkshire Pudding. Die Getränke kamen und Crowley lehnte sich noch gemütlicher auf seinem Stuhl zurück.
„Nun erzähl schon, was dir Kopfzerbrechen bereitet.“
„Crowley! Doch nicht beim Essen. Du kennst die Regel.“
Über seine Sonnenbrille hinweg sah der Dämon Erziraphael an. Würde man behaupten, dass eine Wärme in seinem Blick lag, würde man schlichtweg lügen. In den stechend gelben Augen knisterte eine Hitze, die Erziraphaels Gabel dazu brachte, auf halbem Weg zum Mund ins Stocken zu geraten. Schnell nahm er den Bissen und kaute eifrig. Crowley würde es sicher nicht wagen, jetzt noch das Thema besprechen zu wollen.
„Ach, Erziraphael. Zu gerne würde ich wissen, wie viel deines liebreizenden Wesens auf deinen verschrobenen Eigenheiten basiert. Und das meine ich ganz ohne Spott.“
Erziraphael fiel eine Last von den Schultern, die von Ängsten vor einem ungemütlichen Essen herrührte. Doch Crowley hatte heute einen Dunkle-Seite-Tag, wie dem Engel schon bei der übergangenen Begrüßung aufgefallen war.
„Trotzdem. Besser, du kommst gleich zur Sache.“
Als hätte jemand direkt vor seinen Augen ein paar Haarbüschel auf seinem Teller platziert, schob Erziraphael sein Essen von sich. Sein Gesicht konnte sich noch nicht entscheiden, ob es traurig, entsetzt oder resigniert aussehen wollte.
Crowley hingegen wusste nur zu gut, woher sein diabolisches Lächeln kam. Er mochte es, wenn sich Erziraphael so anstellte.
Mit seiner Serviette tupfte sich Erziraphael den Mund ab. Er schenkte seinem Teller noch einen wehmütigen Blick und richtete sich dann fachmännisch auf, um zu sprechen.
„Wir sitzen in der Klemme. Ich habe es munkeln hören. Deine und meine Leute planen offenbar die Seiten aufzulösen.“
Verwirrt schüttelte Crowley den Kopf.
„Moment. Wir Wir? Oder Wir Du? Geht es sicher um uns oder sitzt DU in der Klemme und brauchst meine Hilfe? Wo hast du was munkeln gehört und von welchen Seiten redest du?“
„Ich habe mich halt umgehört“, wich Erziraphael aus. „Ich rede von Gut und Böse! Das wollen sie abschaffen.“
In Zeitlupe klappte Crowleys Mund auf. Als Erziraphael ihn nach einer Weile fragend anblickte, schüttelte der Dämon den Kopf und kippte sich den teuren Whisky im Unverstand runter.
„Wie jetzt? Die Schlangenzunge verschluckt?“, scherzte Erziraphael und empfand kurz darauf ein schlechtes Gewissen.
Manchmal war es anstrengend ein Engel zu sein.
Crowley zischte aufgebracht und weil er geärgert worden war, ließ er die gewünschte Reaktion mit Absicht ausbleiben. Er zuckte mit den Schultern.
„Was soll uns das interessieren? Wir haben keine Seiten mehr, schon vergessen? Außerdem haben wir die Grenzen von Gut und Böse doch schon seit Jahrhunderten ziemlich fröhlich zu allen möglichen Seiten ausgedehnt und verwischt.“
Jetzt tat auch Erziraphael unbeteiligt. Er fing wieder an zu essen und genoss es. Crowley tat es ihm gleich. Nach ein paar stillen Minuten hob der Engel die Schultern und wies mit seiner Gabel auf Crowleys Suppe.
„Wie schmeckt dir das Essen?“
„Gut“, antwortete Crowley leicht verstimmt.
Es war wieder so typisch für seinen Engel. So eine Bombe platzen zu lassen und dann nach dem Essen zu fragen.
„Wie schmeckt es?“, bohrte Erziraphael nach.
Crowley rollte mit den Augen, ließ seinen Löffel langsam in den Teller gleiten und schob ihn Erziraphael zu. Der meinte wohl sich rechtfertigen zu müssen.
„Ich habe mit dem Gedanken gespielt, mir auch eine Vorspeise zu bestellen. War dann aber zu unschlüssig und ich sollte ein wenig auf meine Ernährung achten“, blubberte er fröhlich darauf los und versuchte einen Löffel von der Suppe.
Genüsslich schloss er die Augen, als er sie abschmeckte. Dann schlug er sie wieder auf.
„Köstlich!“
Crowley war vorübergehend der nie vorhandene Appetit vergangen. Trotzdem zog er seinen Teller wieder zu sich.
„Da diese wichtige Sache“, er wies auf den Teller, „da das jetzt erledigt ist. Vielleicht möchtest du mir ein wenig ausführlicher erklären, warum das so aufregend für dich ist. Die andere Sache. Mein ich.“
Erziraphael machte ein besorgtes Gesicht, aber sein Hunger war noch nicht gestillt und so aß er ruhig weiter. Mit vollem Mund sprach er nicht, darum musste Crowley länger auf eine Antwort warten, als gut für seine Nerven war. Endlich war der Engel fertig.
„Nun, weißt du, zum einen ist es absolut nicht in Ordnung die Seiten abzuschaffen. Wie sollen die Menschen dann entscheiden, ob sie gut oder böse handeln wollen? Welche Entscheidungen haben sie dann noch? Wie soll es noch Sünder oder Heilige geben? Die ganze weltliche Ordnung würde somit zunichtegemacht werden.“
Crowley musste diesem Punkt des Engels zustimmen. Es war einfach keine Art, Gut und Böse ausschalten zu wollen. Daran hing doch seit Anbeginn der Zeit viel zu viel daran.
„Aber wie kommen sie denn überhaupt auf diese idiotische Idee?“, fragte er.
„Da gibt es nur Gerüchte. Aber wir zwei sind daran wohl nicht ganz unschuldig. Unter deinen Leuten sind einige neidisch, da du dich so gut mit den Gewohnheiten der Menschen auskennst und darum auch viel mehr Unheil anstellen konntest und so viel Lob eingeheimst hast. Sie finden es unfair. Ja und bei meinen Leuten … ich weiß es ehrlich nicht. Möglich, dass sie es einfach nicht zulassen wollen, dass die Erde von Dämonen überflutet wird. Da gibt es nur Spekulationen.“
Auch Crowley hatte inzwischen aufgegessen und nun trank er einen Schluck Wasser. So richtig Sinn ergab die Sache für ihn nicht.
„Ja, aber dann wollen sie Gut und Böse doch nicht eliminieren, sondern nur mehr auf der Erde verteilen.“
„Ich weiß nicht, wie aktuell meine Informationen sind, aber es stand zur Debatte genau aus diesem Grund das Böse und Gute sein zu lassen. Wenn doch sowieso alle auf der Erde sind, würde es sich von selbst ausgleichen. Dann kann man sich die Arbeit gleich sparen und den Himmel und die Hölle schließen. Ein großes … ein großes … mir fällt kein passendes Wort dafür ein. Wenn Gut und Böse nicht mehr existieren, ist dann alles neutral oder eher Nichts?“
Nachdenklich nickte Crowley mit dem Kopf, die Frage des Engels überging er.
„Ja. Hm. Dann ist das wohl so. Aber ich verstehe deine Aufregung immer noch nicht. Wie gesagt, wir ignorieren seit dem vereitelten Armageddon – ach was, schon davor - die Seiten. Zumindest dachte ich das und ich für meinen Teil habe es nicht munkeln gehört oder mich irgendwie anders um die Oben und Unten gekümmert.“
Crowley warf Erziraphael einen enttäuschten und vorwurfsvollen Blick zu.
Der Engel tat sofort schuldbewusst und Crowley fuhr beruhigt fort: „Wie müssen niemanden mehr Rechenschaft abliefern. Und ganz ehrlich, die Menschen werden neue Seiten erschaffen, deren Parteien sie dann ergreifen können. Sie sind sehr erfinderisch…“
Erziraphaels Finger trommelten auf der Tischdecke und er wirkte wie ein Lehrer, der einen Schüler auf ruhige aber herablassende Art zurechtweisen wollte.
„Jetzt sag mir nur nicht, dass du nicht ab und an kleine Missetaten begehst. Wie war das vorher auf dem Konzert? Damit ist dann Schluss, Crawly.“
Der Dämon zuckte kaum merklich zusammen. Wenn Erziraphael ihn mit seinem alten Namen ansprach, war es ihm mehr als ernst.
„Und wie ich dich kenne, willst du dich einmischen“, schlussfolgerte Crowley nun zynisch, während er die trommelnden Fingerbewegungen des Engels nachmachte.
„Nicht einmischen! Nur Augen und Ohren ein wenig offen halte, damit wir wissen, was vor sich geht und damit man zur Not eingreifen könnte. Hörst du dich auch ein wenig um?“
Der Engel lächelte Crowley an und hob sein Weinglas. Crowley machte ein freudloses Lachgeräusch, hob ebenfalls sein Whiskyglas und stieß mit dem Engel an.
Aufgrund ihrer ewig langen Bekanntschaft unterlag das Essengehen schon einem gewissen Ritual. Ganz selbstverständlich hob Erziraphael den Arm, um den Kellner die Rechnung bringen zu lassen und Crowley überlegte, auf welcher Strecke zur Buchhandlung der wenigste Verkehr um diese Uhrzeit sein würde. Der Abend sollte bei einem oder vielleicht auch bei zwei Gläschen Wein fortgesetzt werden.
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Vielen, vielen Dank für die Empfehlungen und die Favoriteneinträge. :) Freut mich sehr!
Das Kapitel von gestern war ziemlich kurz, darum hier gleich das 2.
Sonst werde ich 1x wöchentlich posten.
Cu