Macht hoch die Tür, die Tor macht weit
von Akasha12
Kurzbeschreibung
Nach dem abgewandten Armageddon herrscht ein Ungleichgewicht zwischen Gut und Böse. Erziraphael, der sein Interesse an den Himmelsgeschehnissen nicht ganz ablegen konnte, bekommt das unerlaubterweise mit und ihm fällt etwas ein, wie man dem Engelsdefizit eventuell beikommen könnte. Dazu braucht er Crowley.
GeschichteFantasy, Freundschaft / P16 / MaleSlash
Anthony J. Crowley
Erziraphael
18.08.2019
12.04.2022
25
61.982
19
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20.12.2019
2.234
Er war damals in Ägypten unterwegs, um für ein wenig Ärger zu sorgen und wie es der Zufall so wollte, war auch Erziraphael dort, um seine Wunder zu wirken. In einem Gasthaus hatten sie sich getroffen und nach anfänglichen Anfangsschwierigkeiten gemeinsam darüber diskutiert, wie sie ihre Aufgaben erfüllen wollten. Crowley hatte den Engel auf den damals vorzüglichen mesopotamischen Wein eingeladen und es dauerte nicht lange, bis beide Parteien eine Idee hatten, was sie anstellen wollten. Gemeinsam hatten sie sich nach Gizeh aufgemacht. Die Pyramiden waren nicht seit jeher so akkurat gewesen. Da hatte ein gewisser Engel seine Finger im Spiel gehabt und weil Crowley - er wusste bis heute nicht warum - in der Gegenwart des Engels ein anständiger Dämon sein und er bei ihm bleiben wollte, entschied er sich ebenfalls für die Pyramiden. Er installierte alle möglichen und unmöglichen Verteidigungsmechanismen in den Grabstätten der Pharaonen. Erziraphael hatte das kopfschüttelnd beobachtet und tadelnde Bemerkungen von sich gegeben. Crowley verteidigte sich, indem er behauptete, dass es doch nur die Grabschänder treffen würde.
Nach getaner Arbeit saßen sie zusammen auf der weißen Spitze der Chephren-Pyramide und tranken eine zweite Flasche Wein aus. Lange hatten sie geredet, bis Erziraphael, den Blick auf die Sterne gerichtet, ihn nach seinem Sturz fragte. So hatte Crowley ihm diese Geschichte erzählt. Aufmerksam lauschte Erziraphael Crowley, der durch den Wein, der lauen und woher auch immer, nach Sandelholz riechenden Nacht, sentimental geworden war. Als Crowley fertig erzählt und der Engel ein paar Fragen gestellt hatte, stand Erziraphael auf. Seine Flügel hatten in dem hellen Mondlicht gestrahlt und der Wind umstrich sie sanft. Ein beruhigendes Rascheln drang an Crowleys Ohren. Erziraphael forderte Crowley auf, ebenfalls aufzustehen und skeptisch kam der Dämon auf seine Füße. Ganz langsam, als tastete er sich Schritt für Schritt an ihn heran, trat der Engel auf Crowley zu. Der Dämon ließ die Schultern und Flügel hängen, den Kopf untypisch und eingeschüchtert eingezogen. Ein ängstliches Schaudern lief über seinen Rücken, als Erziraphael noch immer näher kam.
Egal wie viel Zeit verging, die Erinnerungen an seine Verbannung aus dem Himmel wurden niemals gut. Erziraphael hatte Crowleys Stimmung wahrgenommen, wie eine Satellitenschüssel die Frequenzen aus dem All aufnahm - zwar schwach, aber er empfing sie. Und dann hatte er einfach so, ohne ein Wort, seine Arme und Flügel um den Dämon gelegt. Damals hatte Erziraphael nach Papyrus und Myrrhe gerochen. Wie in einer Starre verfallen ließ Crowley die Umarmung zu, er genoss sie stumm und bewegungslos. Der Moment war einfach zu kostbar.
Erziraphael war in dem Augenblick und bis zum heutigen Tag das erste und einzige Wesen, welches ihm genau das gegeben hatte, was er seit seinem Neuanfang als Dämon brauchte. Zuneigung. Die Umarmung war so unschuldig, als würde eine Mutter ihr Kind trösten. Crowley hatte sich noch immer nicht gerührt, seine Arme hingen hilflos an seiner Seite herab, die Flügel ein wenig angehoben, um ja nicht Erziraphael zu berühren. Er wurde umarmt. Von einem Engel! Dem Engel, der es Crowleys Meinung nach, als einziger verdiente, so genannt zu werden. Ein Engel, der Mitgefühl für einen Dämon empfand. Ein wenig konnte sich Crowley fassen, aber er wagte es trotzdem nicht, Erziraphael zu berühren, seine Hände auf seinen Rücken zu legen. Minutenlang standen sie so da, lange genug, damit sich in Crowleys unbedeckten Augen Tränen sammeln konnten. Lange genug, damit er sich die Beschaffenheit der weißen Flügel, die um ihn lagen, einprägen konnte. Die Federn waren etwas kürzer und nicht so seidig wie seine eigenen, aber so unglaublich weich. Die Tränen liefen über Crowleys Haut, auf dem Weg, sein Gesicht zu verlassen und auf Erziraphaels Schulter zu fallen. Crowley wunderte sie weg, weil er nicht wollte, dass Erziraphael sie bemerkte. Da ließ ihn dieser los und lächelte schüchtern. Damals hatten sie es noch gespürt, wenn der andere seine Fähigkeit benutzte.
„Wieso hast du gewundert?“
Crowley war nicht imstande, sich schnell eine Ausrede einfallen zu lassen, aber das brauchte er auch nicht. Etwas am Himmel hatte seinen Blick auf sich gelenkt. Eine Sternschnuppe, die ihren Kreis zog. Er streckte einen Finger in die Richtung. Erziraphael wandte sich zu dem fallenden Meteor und Crowley betrachtete ihn. In Erziraphaels hellen Augen spiegelte sich der Schweif der Sternschnuppe. Obwohl der Engel so ein Schauspiel schon unzählige Male gesehen haben musste, strahlte er eine ursprüngliche Entzückung aus. Die Sternschnuppe verschwand und zurück blieben ein ungläubig blinzelnder Engel und ein Dämon, der sich im Moment selbst nicht verstand.
„Warum solltest du dir eine Sternschnuppe wundern?“
„Auch Dämonen haben Wünsche, Engel.“
Crowley sah Erziraphael an und mit einem unsicheren, vielleicht aber auch schelmischen Lächeln im Gesicht, ließ sich der Engel mit seinen Flügeln auf den Boden sinken.*
*Was dann folgte, sei nur kurz erwähnt, weil es nicht so recht dazu passen will. Eine kleine Rettungsaktion seitens des Dämons, da Erziraphael noch unbedingt in die Grabkammer des Pharaos wollte, um dort den schönen Sternenhimmel anzusehen, der an die Decke gemalt worden war. Das löste einen der Verteidigungsmechanismen aus. Man möge sich vorstellen, wie eine Mumie auf der Jagd nach einem Engel durch die Pyramide rennt. Die Mumie wiederum wird von einem Dämon verfolgt, der verzweifelt versucht, den verschreckten und hysterisch schreienden Engel auf die anderen Fallen aufmerksam zu machen. Es war ein Desaster sondergleichen, aber eine von vielen Aktionen, in denen Crowley Erziraphael ausgeholfen hatte, auch wenn er im Grunde bei der Geschichte für das Schlamassel aufkommen musste. Immerhin waren es seine Fallen gewesen.
Ein wenig verloren sah sich Crowley in der Buchhandlung um. Der gedankliche Ausflug in die Vergangenheit brachte ihn mal wieder zu der Frage, was es mit Erziraphael auf sich hatte. Als ihre Begegnungen noch sporadisch stattfanden, wusste Crowley nur, dass er die Nähe zu dem Himmelsbewohner mochte. Es war erfrischend, ein anderes unsterbliches Wesen auf der Erde zu haben und irgendwie gestattete es Erziraphael ihm, eine hauchzarte Verbindung zum Himmel aufrechtzuerhalten. Als der Engel ihn dann auf der Pyramide in die herzliche Umarmung gezogen hatte, beschlich Crowley das unangenehme Gefühl, dass er für einen Dämon unerlaubte Gedanken in Bezug auf Erziraphael hatte. Er hatte lange damit gekämpft und versucht, die Gefühle niederzuringen. Es war Segen oder Fluch, dass Erziraphael niemals zu begreifen schien, was er in Crowley auslöste. Dieser liebenswerte Bastard ... Aus einer Bekanntschaft wurden Komplizen und aus einer Komplizenschaft entwickelte sich eine Freundschaft - zumindest aus Crowleys Sicht.
„Oh!“, holte ihn da Terathels Stimme und ein dumpfer Aufprall aus seinen Gedanken heraus.
Crowley drehte sich um. Der Länge nach war Terathel auf den Boden gefallen. Wohl zu viel Wein für den ersten Abend, dachte er und wollte sich davon schleichen, hinauf in sein Zimmer.
Gerade, als er die Treppe erreichte, trat Erziraphael in die Buchhandlung.
„Kannst du mir helfen, Crowley?“, kam es undeutlich von Terathel, der es gerade einmal geschafft hatte, sich hinzusetzen. „Hey! Erziraphael! Wo warst du? Kannst du dir vorstellen, dass mir Crowley erzählt hat, warum er verstoßen wurde?“
Nur noch vier Stufen trennten Crowley von dem ersten Stockwerk.
„Hm, schön“, meinte Erziraphael zerstreut, während er seinen Mantel aufhing.
Crowley blieb stehen und wandte sich irritiert um. Das war keine typische Reaktion des Engels. Irgendwas musste vorgefallen sein.
Erziraphael wanderte an seinen Bücherregalen vorbei, auf der Suche nach einer Lektüre. Er fand, was er suchte und ging in Richtung der Sessel im Hinterzimmer. Erziraphael sah Terathel auf dem Boden sitzen. Crowley ließ die Schultern hängen, er versuchte sich kleiner zu machen. Da blickte Erziraphael auch schon von seinem Buch auf, zog sich die Brille auf den Nasenrücken nach unten und schielte zu Crowley.
„Du hättest ihm zeigen sollen, wie er ernüchtert, bevor er betrunken ist“, meinte der Engel streng.
„Hätte nicht geschadet“, stimmte Crowley zu.
Erziraphael reichte Terathel die Hände, um ihm aufzuhelfen.
„Welche Geschichte hat er dir denn erzählt?“, wollte der Engel dann doch etwas neugierig wissen.
„Dass er wegen der Erschaffung der Hummel verwiesen wurde.“
„Aha“, machte Erziraphael nur.
Als Terathel wieder sicher in einem der Sessel saß, ging Erziraphael in die Küche und stellte sich Wasser für einen Tee auf. Er wirkte dabei so, als stünde er meilenweit neben sich. Von Crowleys Seite aus bestand Interesse daran, herauszufinden, woran das lag und er stieg leise die Treppe herunter, um Erziraphael nachzugehen.
„Für einen Moment habe ich dir abgenommen, dass du nett zu mir sein wolltest. Jetzt begreife ich, dass du mich mit dem Wein einfach nur aus einer boshaften Laune heraus bekannt gemacht hast“, stöhnte Terathel, sich die Schläfen reibend, als Crowley an ihm vorbeilief.
„Ach, sei still!“, zischte Crowley ungeduldig und ohne Mitleid.
Er blieb am Eingang zur Küche stehen und beobachtete, wie Erziraphael im Stehen las.
„Du warst Oben“, unterstellte Crowley ihm geradeheraus.
„Was?“, Erziraphael sah erschrocken auf.
„Was?“, äffte der Dämon ihn nach.
„N-Nein, war ich nicht!“
Stotternd wich Erziraphael zwei kleine Schritte an der Küchenzeile zur Seite, weg von Crowley. Er machte dabei ein für ihn so typisches Gesicht, welches nur bedeuten konnte, dass er sich ertappt fühlte.
„Und wie war es?“, setzte Crowley nach.
Resigniert und eine Spur verzweifelt klappte Erziraphael das Buch zu.
„Sie haben mich nicht hoch gelassen! Kannst du dir das vorstellen?“
Es war unvorstellbar. Noch nie, nie, niemals war Erziraphael der Zutritt verwehrt worden. Erziraphael hatte keine Ahnung, wie er sich fühlen sollte. Starr sah er vor sich hin, nahm nicht im Geringsten auf, was um sich herum geschah. Er bewunderte Crowley schon lange dafür, wie leicht der mit der Hölle abgeschlossen hatte. Ihm war das mit dem Himmel nicht gelungen. Er war noch ein Engel, pflichtbewusst, wollte Gutes bewirken. Bei dem Gedanken sah er zu Crowley. Der Dämon zeigte keine Regung, stand einfach nur da, die Arme verschränkt.
„Meinst du, ich sollte einen Beschwerdebrief hinauf schicken?“, alleine bei dem Gedanken wurde Erziraphael nervös, was ein leichtes Beben seiner Stimme mit sich brachte.
„Nein. Wenn die dich nicht rauflassen, dann sorg dafür, dass sie runter kommen müssen.“
Erziraphael linste hilflos zu Crowley, der glücklicherweise gerade eine unendliche Ruhe ausstrahlte. Das tat er so gut wie immer, wenn es Erziraphael brauchte.
„Wie soll ich das machen?“
„Ich schreibe einen Beschwerdebrief! Den adressiere ich direkt an den Mistkäfer von Gabriel!“, mischte sich Terathel leidenschaftlich von dem Zimmer nebenan ein.
Mit einem kehligen Knurren trat Crowley in die Küche und schloss die Tür hinter sich.
„Gar nicht. Ich hingegen kann das ein oder andere machen. Sie werden gar keine Wahl haben, als hier aufzuschlagen.“
Der Dämon klang so gefasst, als wäre das nicht blanker Wahnsinn, den er da vorschlug. Er hatte mittlerweile Erziraphaels Tee fertig gemacht. Als er genau die richtige Menge Milch in die Tasse gab, musste Erziraphael unwillentlich lächeln.
„Danke“, sagte er zu Crowley, der ihm die Tasse reichte und das bezog er nicht nur auf den Tee. „Aber wie willst du das anstellen?“
„Kann ich dir nicht sagen. Aber ich kann sehr eindrucksvoll sein, wenn ich will.“
Das passte Erziraphael nicht. Zum einen, weil er sich wirklich nicht vorstellen konnte, dass Crowley in der Lage wäre, etwas derart Böses zu bewerkstelligen, dass die Oben aufmerksam darauf werden würden. Und wenn doch, die kleine Chance bestand immerhin, da Crowley ihn selbst noch nach 6000 Jahren zu überraschen vermochte, dann würde dem Dämon eine furchtbare Strafe drohen. Hinzu kam noch ein kleiner, aber nicht unbedeutender und egoistischer Grund. Als Erziraphael auf der Mauer des Garten Edens zum ersten Mal auf Crowley gestoßen war, hatte er eine strikte Einteilung in Gut und Böse gehabt. Doch irgendwie hatte es Crowley geschafft, in der Hinsicht leichte Zweifel in Erziraphael zu sähen. Der Dämon wirkte nicht rein bösartig. Jedes Mal, wenn Crowley ihn mal wieder aus einem Schlamassel geholfen hatte, konnte er die selbstlose und gute Absicht dahinter erkennen. Daran hatte Erziraphael lange zu knabbern gehabt. Ein Dämon, der Gutes tat? Passte damals nicht in seine Weltanschauung. Das beinahe Armageddon und die Versessenheit der anderen Engel von dem Krieg hatte ihm dann letztlich die Augen geöffnet. Ganz zu schweigen von der schrecklichen Geschichte mit dem Höllenfeuer im Himmel, welches seine Vernichtung bringen sollte.
„Selbst wenn sie herkommen, dann nur, um dich zu entkörpern“, belehrte er jetzt Crowley.
Ein träges Schulterzucken war die einzige Reaktion.
„Mach dir keine Sorgen. Ein selbstverliebter Typ, wie ich es bin, kann nur an sich selbst zugrunde gehen.“
Erziraphael schnaubte in seinen Tee, als Ausdruck seiner Empörung. Trotz solcher Aussagen war Crowley keineswegs narzisstisch veranlagt, auch wenn er gerne den Anschein gab. Doch dafür hatte er schon in zu vielen Situationen seine eigenen Bedürfnisse hinter Erziraphaels gestellt. Und so konnte Erziraphael solche Äußerungen des Dämons schon lange nicht mehr ernst nehmen. Das würde er ihm nur nie sagen, schließlich wusste Erziraphael auch, dass Crowley dieses Verhalten als Schutzschild benutzte. Er hatte nur noch nicht herausgefunden, vor was es ihn schützen sollte.
„Crowley, ich möchte nicht, dass du das machst. Und jetzt werde ich nach oben gehen und lesen.“
Bevor er aus der Küche gehen konnte, versperrte ihm Crowley mit dem Arm den Durchgang. Seine Hand drückte fest gegen den Türrahmen. Er hatte es so abgepasst, dass er Erziraphael sehr nahekam. Warme, ausgeatmete Luft strich über Erziraphaels Gesicht. Scheu blickte er nach oben, Crowley starrte hinter seiner Sonnenbrille ernst zurück.
„Tu so etwas nie wieder“, grollte der Dämon.
„Was?“
„Alleine losziehen. In dem Wissen, wie die Oben gerade ticken.“
Einen unaufmerksamen Moment lang, konnte Erziraphael sich nicht rühren. Dann nickte er betroffen. Der Arm des Dämons glitt nach unten und gab den Weg frei. Sonst bewegte sich Crowley keinen Millimeter zur Seite und er sah Erziraphael auch nicht an, als der sich an ihm vorbeidrückte.
Nach getaner Arbeit saßen sie zusammen auf der weißen Spitze der Chephren-Pyramide und tranken eine zweite Flasche Wein aus. Lange hatten sie geredet, bis Erziraphael, den Blick auf die Sterne gerichtet, ihn nach seinem Sturz fragte. So hatte Crowley ihm diese Geschichte erzählt. Aufmerksam lauschte Erziraphael Crowley, der durch den Wein, der lauen und woher auch immer, nach Sandelholz riechenden Nacht, sentimental geworden war. Als Crowley fertig erzählt und der Engel ein paar Fragen gestellt hatte, stand Erziraphael auf. Seine Flügel hatten in dem hellen Mondlicht gestrahlt und der Wind umstrich sie sanft. Ein beruhigendes Rascheln drang an Crowleys Ohren. Erziraphael forderte Crowley auf, ebenfalls aufzustehen und skeptisch kam der Dämon auf seine Füße. Ganz langsam, als tastete er sich Schritt für Schritt an ihn heran, trat der Engel auf Crowley zu. Der Dämon ließ die Schultern und Flügel hängen, den Kopf untypisch und eingeschüchtert eingezogen. Ein ängstliches Schaudern lief über seinen Rücken, als Erziraphael noch immer näher kam.
Egal wie viel Zeit verging, die Erinnerungen an seine Verbannung aus dem Himmel wurden niemals gut. Erziraphael hatte Crowleys Stimmung wahrgenommen, wie eine Satellitenschüssel die Frequenzen aus dem All aufnahm - zwar schwach, aber er empfing sie. Und dann hatte er einfach so, ohne ein Wort, seine Arme und Flügel um den Dämon gelegt. Damals hatte Erziraphael nach Papyrus und Myrrhe gerochen. Wie in einer Starre verfallen ließ Crowley die Umarmung zu, er genoss sie stumm und bewegungslos. Der Moment war einfach zu kostbar.
Erziraphael war in dem Augenblick und bis zum heutigen Tag das erste und einzige Wesen, welches ihm genau das gegeben hatte, was er seit seinem Neuanfang als Dämon brauchte. Zuneigung. Die Umarmung war so unschuldig, als würde eine Mutter ihr Kind trösten. Crowley hatte sich noch immer nicht gerührt, seine Arme hingen hilflos an seiner Seite herab, die Flügel ein wenig angehoben, um ja nicht Erziraphael zu berühren. Er wurde umarmt. Von einem Engel! Dem Engel, der es Crowleys Meinung nach, als einziger verdiente, so genannt zu werden. Ein Engel, der Mitgefühl für einen Dämon empfand. Ein wenig konnte sich Crowley fassen, aber er wagte es trotzdem nicht, Erziraphael zu berühren, seine Hände auf seinen Rücken zu legen. Minutenlang standen sie so da, lange genug, damit sich in Crowleys unbedeckten Augen Tränen sammeln konnten. Lange genug, damit er sich die Beschaffenheit der weißen Flügel, die um ihn lagen, einprägen konnte. Die Federn waren etwas kürzer und nicht so seidig wie seine eigenen, aber so unglaublich weich. Die Tränen liefen über Crowleys Haut, auf dem Weg, sein Gesicht zu verlassen und auf Erziraphaels Schulter zu fallen. Crowley wunderte sie weg, weil er nicht wollte, dass Erziraphael sie bemerkte. Da ließ ihn dieser los und lächelte schüchtern. Damals hatten sie es noch gespürt, wenn der andere seine Fähigkeit benutzte.
„Wieso hast du gewundert?“
Crowley war nicht imstande, sich schnell eine Ausrede einfallen zu lassen, aber das brauchte er auch nicht. Etwas am Himmel hatte seinen Blick auf sich gelenkt. Eine Sternschnuppe, die ihren Kreis zog. Er streckte einen Finger in die Richtung. Erziraphael wandte sich zu dem fallenden Meteor und Crowley betrachtete ihn. In Erziraphaels hellen Augen spiegelte sich der Schweif der Sternschnuppe. Obwohl der Engel so ein Schauspiel schon unzählige Male gesehen haben musste, strahlte er eine ursprüngliche Entzückung aus. Die Sternschnuppe verschwand und zurück blieben ein ungläubig blinzelnder Engel und ein Dämon, der sich im Moment selbst nicht verstand.
„Warum solltest du dir eine Sternschnuppe wundern?“
„Auch Dämonen haben Wünsche, Engel.“
Crowley sah Erziraphael an und mit einem unsicheren, vielleicht aber auch schelmischen Lächeln im Gesicht, ließ sich der Engel mit seinen Flügeln auf den Boden sinken.*
*Was dann folgte, sei nur kurz erwähnt, weil es nicht so recht dazu passen will. Eine kleine Rettungsaktion seitens des Dämons, da Erziraphael noch unbedingt in die Grabkammer des Pharaos wollte, um dort den schönen Sternenhimmel anzusehen, der an die Decke gemalt worden war. Das löste einen der Verteidigungsmechanismen aus. Man möge sich vorstellen, wie eine Mumie auf der Jagd nach einem Engel durch die Pyramide rennt. Die Mumie wiederum wird von einem Dämon verfolgt, der verzweifelt versucht, den verschreckten und hysterisch schreienden Engel auf die anderen Fallen aufmerksam zu machen. Es war ein Desaster sondergleichen, aber eine von vielen Aktionen, in denen Crowley Erziraphael ausgeholfen hatte, auch wenn er im Grunde bei der Geschichte für das Schlamassel aufkommen musste. Immerhin waren es seine Fallen gewesen.
Ein wenig verloren sah sich Crowley in der Buchhandlung um. Der gedankliche Ausflug in die Vergangenheit brachte ihn mal wieder zu der Frage, was es mit Erziraphael auf sich hatte. Als ihre Begegnungen noch sporadisch stattfanden, wusste Crowley nur, dass er die Nähe zu dem Himmelsbewohner mochte. Es war erfrischend, ein anderes unsterbliches Wesen auf der Erde zu haben und irgendwie gestattete es Erziraphael ihm, eine hauchzarte Verbindung zum Himmel aufrechtzuerhalten. Als der Engel ihn dann auf der Pyramide in die herzliche Umarmung gezogen hatte, beschlich Crowley das unangenehme Gefühl, dass er für einen Dämon unerlaubte Gedanken in Bezug auf Erziraphael hatte. Er hatte lange damit gekämpft und versucht, die Gefühle niederzuringen. Es war Segen oder Fluch, dass Erziraphael niemals zu begreifen schien, was er in Crowley auslöste. Dieser liebenswerte Bastard ... Aus einer Bekanntschaft wurden Komplizen und aus einer Komplizenschaft entwickelte sich eine Freundschaft - zumindest aus Crowleys Sicht.
„Oh!“, holte ihn da Terathels Stimme und ein dumpfer Aufprall aus seinen Gedanken heraus.
Crowley drehte sich um. Der Länge nach war Terathel auf den Boden gefallen. Wohl zu viel Wein für den ersten Abend, dachte er und wollte sich davon schleichen, hinauf in sein Zimmer.
Gerade, als er die Treppe erreichte, trat Erziraphael in die Buchhandlung.
„Kannst du mir helfen, Crowley?“, kam es undeutlich von Terathel, der es gerade einmal geschafft hatte, sich hinzusetzen. „Hey! Erziraphael! Wo warst du? Kannst du dir vorstellen, dass mir Crowley erzählt hat, warum er verstoßen wurde?“
Nur noch vier Stufen trennten Crowley von dem ersten Stockwerk.
„Hm, schön“, meinte Erziraphael zerstreut, während er seinen Mantel aufhing.
Crowley blieb stehen und wandte sich irritiert um. Das war keine typische Reaktion des Engels. Irgendwas musste vorgefallen sein.
Erziraphael wanderte an seinen Bücherregalen vorbei, auf der Suche nach einer Lektüre. Er fand, was er suchte und ging in Richtung der Sessel im Hinterzimmer. Erziraphael sah Terathel auf dem Boden sitzen. Crowley ließ die Schultern hängen, er versuchte sich kleiner zu machen. Da blickte Erziraphael auch schon von seinem Buch auf, zog sich die Brille auf den Nasenrücken nach unten und schielte zu Crowley.
„Du hättest ihm zeigen sollen, wie er ernüchtert, bevor er betrunken ist“, meinte der Engel streng.
„Hätte nicht geschadet“, stimmte Crowley zu.
Erziraphael reichte Terathel die Hände, um ihm aufzuhelfen.
„Welche Geschichte hat er dir denn erzählt?“, wollte der Engel dann doch etwas neugierig wissen.
„Dass er wegen der Erschaffung der Hummel verwiesen wurde.“
„Aha“, machte Erziraphael nur.
Als Terathel wieder sicher in einem der Sessel saß, ging Erziraphael in die Küche und stellte sich Wasser für einen Tee auf. Er wirkte dabei so, als stünde er meilenweit neben sich. Von Crowleys Seite aus bestand Interesse daran, herauszufinden, woran das lag und er stieg leise die Treppe herunter, um Erziraphael nachzugehen.
„Für einen Moment habe ich dir abgenommen, dass du nett zu mir sein wolltest. Jetzt begreife ich, dass du mich mit dem Wein einfach nur aus einer boshaften Laune heraus bekannt gemacht hast“, stöhnte Terathel, sich die Schläfen reibend, als Crowley an ihm vorbeilief.
„Ach, sei still!“, zischte Crowley ungeduldig und ohne Mitleid.
Er blieb am Eingang zur Küche stehen und beobachtete, wie Erziraphael im Stehen las.
„Du warst Oben“, unterstellte Crowley ihm geradeheraus.
„Was?“, Erziraphael sah erschrocken auf.
„Was?“, äffte der Dämon ihn nach.
„N-Nein, war ich nicht!“
Stotternd wich Erziraphael zwei kleine Schritte an der Küchenzeile zur Seite, weg von Crowley. Er machte dabei ein für ihn so typisches Gesicht, welches nur bedeuten konnte, dass er sich ertappt fühlte.
„Und wie war es?“, setzte Crowley nach.
Resigniert und eine Spur verzweifelt klappte Erziraphael das Buch zu.
„Sie haben mich nicht hoch gelassen! Kannst du dir das vorstellen?“
Es war unvorstellbar. Noch nie, nie, niemals war Erziraphael der Zutritt verwehrt worden. Erziraphael hatte keine Ahnung, wie er sich fühlen sollte. Starr sah er vor sich hin, nahm nicht im Geringsten auf, was um sich herum geschah. Er bewunderte Crowley schon lange dafür, wie leicht der mit der Hölle abgeschlossen hatte. Ihm war das mit dem Himmel nicht gelungen. Er war noch ein Engel, pflichtbewusst, wollte Gutes bewirken. Bei dem Gedanken sah er zu Crowley. Der Dämon zeigte keine Regung, stand einfach nur da, die Arme verschränkt.
„Meinst du, ich sollte einen Beschwerdebrief hinauf schicken?“, alleine bei dem Gedanken wurde Erziraphael nervös, was ein leichtes Beben seiner Stimme mit sich brachte.
„Nein. Wenn die dich nicht rauflassen, dann sorg dafür, dass sie runter kommen müssen.“
Erziraphael linste hilflos zu Crowley, der glücklicherweise gerade eine unendliche Ruhe ausstrahlte. Das tat er so gut wie immer, wenn es Erziraphael brauchte.
„Wie soll ich das machen?“
„Ich schreibe einen Beschwerdebrief! Den adressiere ich direkt an den Mistkäfer von Gabriel!“, mischte sich Terathel leidenschaftlich von dem Zimmer nebenan ein.
Mit einem kehligen Knurren trat Crowley in die Küche und schloss die Tür hinter sich.
„Gar nicht. Ich hingegen kann das ein oder andere machen. Sie werden gar keine Wahl haben, als hier aufzuschlagen.“
Der Dämon klang so gefasst, als wäre das nicht blanker Wahnsinn, den er da vorschlug. Er hatte mittlerweile Erziraphaels Tee fertig gemacht. Als er genau die richtige Menge Milch in die Tasse gab, musste Erziraphael unwillentlich lächeln.
„Danke“, sagte er zu Crowley, der ihm die Tasse reichte und das bezog er nicht nur auf den Tee. „Aber wie willst du das anstellen?“
„Kann ich dir nicht sagen. Aber ich kann sehr eindrucksvoll sein, wenn ich will.“
Das passte Erziraphael nicht. Zum einen, weil er sich wirklich nicht vorstellen konnte, dass Crowley in der Lage wäre, etwas derart Böses zu bewerkstelligen, dass die Oben aufmerksam darauf werden würden. Und wenn doch, die kleine Chance bestand immerhin, da Crowley ihn selbst noch nach 6000 Jahren zu überraschen vermochte, dann würde dem Dämon eine furchtbare Strafe drohen. Hinzu kam noch ein kleiner, aber nicht unbedeutender und egoistischer Grund. Als Erziraphael auf der Mauer des Garten Edens zum ersten Mal auf Crowley gestoßen war, hatte er eine strikte Einteilung in Gut und Böse gehabt. Doch irgendwie hatte es Crowley geschafft, in der Hinsicht leichte Zweifel in Erziraphael zu sähen. Der Dämon wirkte nicht rein bösartig. Jedes Mal, wenn Crowley ihn mal wieder aus einem Schlamassel geholfen hatte, konnte er die selbstlose und gute Absicht dahinter erkennen. Daran hatte Erziraphael lange zu knabbern gehabt. Ein Dämon, der Gutes tat? Passte damals nicht in seine Weltanschauung. Das beinahe Armageddon und die Versessenheit der anderen Engel von dem Krieg hatte ihm dann letztlich die Augen geöffnet. Ganz zu schweigen von der schrecklichen Geschichte mit dem Höllenfeuer im Himmel, welches seine Vernichtung bringen sollte.
„Selbst wenn sie herkommen, dann nur, um dich zu entkörpern“, belehrte er jetzt Crowley.
Ein träges Schulterzucken war die einzige Reaktion.
„Mach dir keine Sorgen. Ein selbstverliebter Typ, wie ich es bin, kann nur an sich selbst zugrunde gehen.“
Erziraphael schnaubte in seinen Tee, als Ausdruck seiner Empörung. Trotz solcher Aussagen war Crowley keineswegs narzisstisch veranlagt, auch wenn er gerne den Anschein gab. Doch dafür hatte er schon in zu vielen Situationen seine eigenen Bedürfnisse hinter Erziraphaels gestellt. Und so konnte Erziraphael solche Äußerungen des Dämons schon lange nicht mehr ernst nehmen. Das würde er ihm nur nie sagen, schließlich wusste Erziraphael auch, dass Crowley dieses Verhalten als Schutzschild benutzte. Er hatte nur noch nicht herausgefunden, vor was es ihn schützen sollte.
„Crowley, ich möchte nicht, dass du das machst. Und jetzt werde ich nach oben gehen und lesen.“
Bevor er aus der Küche gehen konnte, versperrte ihm Crowley mit dem Arm den Durchgang. Seine Hand drückte fest gegen den Türrahmen. Er hatte es so abgepasst, dass er Erziraphael sehr nahekam. Warme, ausgeatmete Luft strich über Erziraphaels Gesicht. Scheu blickte er nach oben, Crowley starrte hinter seiner Sonnenbrille ernst zurück.
„Tu so etwas nie wieder“, grollte der Dämon.
„Was?“
„Alleine losziehen. In dem Wissen, wie die Oben gerade ticken.“
Einen unaufmerksamen Moment lang, konnte Erziraphael sich nicht rühren. Dann nickte er betroffen. Der Arm des Dämons glitt nach unten und gab den Weg frei. Sonst bewegte sich Crowley keinen Millimeter zur Seite und er sah Erziraphael auch nicht an, als der sich an ihm vorbeidrückte.