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Kekse – One-Shots und Drabbles

von Redlum
Kurzbeschreibung
SammlungHumor / P16 / Gen
03.08.2019
08.07.2023
55
62.759
61
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Dieses Kapitel
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21.12.2021 2.174
 
Es war einmal in der Zukunft, als ein König namens Manfred über das Märchenland regierte. Manfred war kein gewöhnlicher König, sondern eine Kröte, die sich immer bei Vollmond in einen Keks verwandelte. Er hatte eine wunderschöne Tochter namens Kekswittchen, welche die wunderschönste und leckerste Keksin im ganzen Land war, wovon zahlreiche Spiegel zu berichten wussten. Nachdem Manfreds erste Frau und Mutter von Kekswittchen, eine Zeichnerin aus den luftigen Gildenhallen, bei einem Anschlag auf Manfreds Leben, ausgeführt von einer Verrückten, ums Leben gekommen war, heiratete Manfred erneut: Eine alte Freundin und Wegbegleiterin namens Rotkekschen, welche Manfred in der der Vergangenheit treu zur Seite gestanden hatte. Alles war gut, bis Manfred eines Tages, von einem im Sturzflug vom Himmel herabbrausenden Drachen, mit Haut und Warzen verschlungen wurde. Danach änderte sich die Stimmung im Märchenschloss und Rotkekschen wurde immer genervter von ihrer Stieftochter, welche einerseits in die Pubertät kam und sie andererseits mit ihrer Schönheit allzusehr an eine alte, für sie wirklich ziemlich nervige, Bekannte von sich erinnerte: Eine Keksin namens Keksy Sue. So kam es, dass Rotkekschen Kekswittchen eines Tages mit einem Tritt aus dem Schloss beförderte und diese gezwungen war, sich im Märchenwald ein neues Zuhause zu suchen.

Nachdem Kekswittchen sechs Berge überquert und einen siebten umlaufen hatte, weil sie einen kleinen Umweg durch eine Karaokebar genommen hatte, kam sie schließlich bei einem leeren Haus an. Scheinbar war das Haus bewohnt, denn der Tisch war gedeckt, die Bettchen noch warm und der Goldfisch im Goldfischglas lebte, war also vermutlich vor nicht all zu langer Zeit noch gefüttert worden. Kekswittchen war von dem anstrengenden Marsch sehr müde, also beschloss sie, hier eine kleine Pause einzulegen. Sie schob sich eine Tiefkühlpizza, welche sie im Gefrierschrank fand, in den Ofen, nahm einen Schluck Wasser aus einem Becher, welches etwas seltsam schmeckte, setzte sich anschließend an eine Nintendokonsole, welche an ein Fernsehgerät angeschlossen war, spielte Zelda, bis sie nicht mehr weiterkam und legte sich schließlich in eines der Bettchen.
Als sie wieder erwachte, war es dunkel und ein piepsiges Geräusch war zu hören. Mäuse? Kekswittchen schnappte sich den erstbesten Gegenstand, den sie erwischte, eine Art biegsamen Stab, und machte sich auf die Suche. Gerade als sie unter eines der Bettchen gekrochen war, hörte sie wie die Tür geöffnet wurde und die, sich laut unterhaltenden, Bewohner nach Hause kamen. Es dauerte allerdings nicht lange, da erlosch die fröhliche Unterhaltung und es trat eine plötzliche Stille ein.

Kurz darauf war eine überraschte Stimme zu hören: „Wer hat in meinem Bettchen geschlafen?“

„Und wer hat an meinem Nintendo gespielt?“

„Und wer hat von meinem alten Putzwasser getrunken?“

„Hast du das schon wieder in einem Becher statt in einem Eimer gehabt Butterkeks?“

„Äh …“

„Ich hab dir gesagt, dass sowas früher oder später passiert!“

Kekswittchen musste leicht würgen, als sie an den Schluck dachte, den sie zuvor zu sich genommen hatte.

„Wer hat meine Tiefkühlpizza im Ofen vergessen?“

„Und damit meinen Rauchmelder ausgelöst?“

Die immer noch einen Brechreiz unterdrückende Kekswittchen hielt kurz inne. Die Pizza! Und der entstandene Rauch hatte einen Rauchmelder ausgelöst. Deshalb war es plötzlich so dunkel gewesen und es hatte so seltsam gepiepst!

Sie hörte wie ein Fenster geöffnet wurde, merkte wie sich der Rauch verzog und der Rauchmelder stumm wurde. Dann hörte sie die nächste Stimme: „Wer hat meinen Goldfisch gefressen?“

Kekswittchen runzelte die Stirn und krabbelte unter dem Bettchen hervor. Sie sah sechs Kekse und einen Dominostein, die auf das Goldfischglas starrten. Neben dem Goldfischglas saß eine Katze, der eine Goldfischrückenflosse aus der Schnauze hing. Als die Katze die Aufmerksamkeit bemerkte, die ihr zuteil wurde, sprang sie durch das gerade eben geöffnete Fenster, durch welches sie wohl auch hereingekommen war, und flüchtete.

„Und deshalb macht man keine Fenster auf!“, beschwerte sich der schokoladige Keks, welchem der Goldfisch wohl gehört hatte. „Das war der vierte Goldfisch diese Woche!“

„Und wer will meinen Hundeschwanz anknabbern?!“ Mit diesen Worten wurde Kekswittchen der biegsame Stab aus der Hand gerissen, mit welchem sie auf Mäusejagd gegangen war.

„Keine Sorge Glückskeks, keiner wird dir deinen Hundeschwanz wegknabbern“, sagte der Dominostein. „Wir sind hier alle gesittete Nichtasiaten, die damit nichts anfangen können.“

„Vielleicht sollten wir uns erstmal vorstellen.“ Ein runder Keks trat elegant vor, verbeugte sich vor der immer noch am Boden liegenden Kekswittchen und half ihr nach oben. „Ich bin Prinzenrolle und das sind Butterkeks, Schokoladenkeks, Glückskeks, Marmeladenkeks, Haschkeks und Dominostein. Wir sind die sieben Kekse. Und wer bist du?“

„Kekswittchen“, erwiderte Kekswittchen und runzelte die Stirn. „Sieben Kekse?“ Dabei musterte sie Dominostein verwirrt.

„Oh, er ist eine Austauschsüßigkeit vom Nordpol“, sprang Marmeladenkeks erklärend zur Seite. „Du weißt ja, wie das ist: Studenten, andere Kulturen kennen lernen und so. Blabla. Er ist der momentane Ersatz für Elefantenzookeks, welcher nach Afrika ausgewandert ist, um nach seinen Wurzeln zu suchen.“

„Und was verschlägt dich in unser kleines Zuhause?“, fragte Haschkeks, der mit einem bedauernden Gesichtsausdruck die verkohlte Pizza im Mülleimer versenkte.

So erzählte Kekswittchen ihre Geschichte. Von sich, ihrem Vater Manfred und ihrer bösen Stiefmutter Rotkekschen. Als sie geendet hatte, schlug Prinzenrolle erbost auf den Tisch. „Eine Frechheit! So geht es nicht! Kekswittchen, wir werden dieses Rotkekschen aus dem Schloss vertreiben und dir deinen angedachten Platz auf deines Vaters Thron zurückerkämpfen!“ Er hob einen Zacken in die Luft. „Einer für alle und alle für eine!“

„Äh“, meldete sich Dominostein zu Wort. „Du weißt, ich muss eigentlich gleich zum Flughafen. Weihnachten steht an und so. Ich werde am Nordpol erwartet.“

Prinzenrolle hielt kurz inne. Dann streckte er seinen Zacken noch einmal nach oben. „Einer für alle außer einem und alle außer einem für eine!“

„Einer für alle außer einem und alle außer einem für eine!“, riefen Kekswittchen und die anderen Kekse im Chor.


~~~o~O~o~~~



Als sie, nach einer Wanderung durch eine Karaokebar und über sechs Berge schließlich am Märchenschloss ankamen, war die Zugbrücke nach oben gezogen. Die sechs Kekse sahen Kekswittchen fragend an.

Diese kratzte sich am Zacken. „Das ist schlecht“, meinte sie. „Ich fürchte hier endet unsere Reise.“

„Gibt es wirklich keinen Weg diese hochgezogene Zugbrücke zu überwinden?“, wollte Prinzenrolle wissen.

„Es gibt eine Fernbedienung, die sie herunterlässt“, erwiderte Kekswittchen. „Aber die ist in einem hohlen Stein versteckt und … ja …“, sie deutete im Schlossgarten herum, in dem Millionen Steine herumlagen, „… den könnten wir ein Leben lang suchen, ohne ihn zu finden.“

„Und wenn wir einfach höflich klingeln?“, fragte Butterkeks und deutete auf die Klingel.

„Ja klar, wir fragen die böse Stiefmutter einfach, ob sie uns ins Schloss lässt, damit wir sie hinausschemeißen können.“ Schokoladenkeks verdrehte die Augen. „Macht sie bestimmt.“

„Was wir bräuchten wäre eine zündende Idee“, überlegte Marmeladenkeks.

„Du meinst so etwas, wie eine asiatische Weisheit?“, fragte Glückskeks.

Die anderen Kekse sahen Glückskeks lange an. Schließlich schüttelte Prinzenrolle den Kopf. „Dieses Opfer können wir unmöglich von dir verlangen.“

Doch Glückskeks nickte den anderen tapfer zu. „Einer für alle außer einem und alle außer einem für eine!“

Prinzenrolle, Schokoladenkeks, Haschkeks, Butterkeks und Marmeladenkeks klopften ihrem Mitkeks traurig auf die Schulter und akzeptierten damit stillschweigend dessen heldenhafte Entscheidung.

Dann brach Haschkeks ein Stück von sich ab und gab es Glückskeks. „Hier. Dies wird deine letzten Momente erträglicher machen.“

Glückskeks nickte dankbar und schob sich das Stück Haschkeks in den Mund. Dann nahm Marmeladenkeks einen großen Stein und schlug Glückskeks in zwei. Schokoladenkeks trat nach vorne und fischte einen Zettel aus Glückskeks Überresten. „Wenn eine Zugbrücke hinaufgezogen wird, geht irgendwo anders eine Hintertür auf“, las er vor.

Kekswittchen klatschte sich an den Zacken. „Die Hintertür! Natürlich! Da kommen wir rein! Die ist nie verschlossen!“


~~~o~O~o~~~



Im Schloss war Rotkekschen gerade dabei, eben dieses zu verlassen. Einst hatte sie Manfred vor dieser Verrückten beschützt, welche gleichzeitig eine Drachenziehmutter war und nun war ersterer ausgerechnet von einem Drachen gefressen worden? Dass konnte kein Zufall sein! Und nun war die Zeit der Rache gekommen! Lange Zeit hatte sie Mordpläne geschmiedet und wieder verworfen. Die meisten waren einfach zu fehleranfällig, wie beispielsweise die Idee mit dem vergifteten Apfel. Nicht dass die Verrückte inzwischen Fallobstfrutarierin geworden war oder eine Apfelallergie hatte – heutzutage war ja jeder gefühlt auf alles allergisch! Schließlich hatte sie auf den simpelsten aller Pläne zurückgegriffen und sich ein Gewehr im Internet bestellt. Nicht dass das einfach gewesen wäre, denn das Internet im Märchenwald war ziemlich schlecht ausgebaut, im Grunde gar nicht vorhanden. Wie wenn sie wieder in Deutschland im 21. Jahrhundert wäre! Und dann hatte der Paketbote nicht geklingelt und nur eine Karte eingeworfen, dass sie ihr Paket in der Paketstation hinter den sieben Bergen abholen konnte. Wunderbar, einfach wunderbar! Wo die Verrückte gerade steckte, wusste Rotkekschen auch nicht, aber eins nach dem anderen. Sie zog die Vorhänge halb zu, löschte das Feuer im Kaminofen, drehte sich zur Wohnzimmertür um und – stand plötzlich Kekswittchen und fünf anderen Keksen gegenüber.

„Stopp böse Stiefmutter!“, rief Prinzenrolle.

„Wir verlangen dass du sofort aus diesem Schloss verschwindest!“, schloss sich Marmeladenkeks an.

„Und den Thron …“, begann Butterkeks.

„Stopp!“, ging Rotkekschen dazwischen, die jetzt wirklich keine Lust hatte, sich die Forderungen von allen Keksen anzuhören. „Kürzen wir das ganze etwas ab. Ich bin sowieso gerade am aufbrechen. Muss zur Paketstation hinter den sieben Bergen und dann nach … äh … irgendwohin. Das Schloss gehört euch, die Fernbedienung für die Zugbrücke ist im Stein, welcher am nähesten an der Zugbrücke liegt. Der mit dem aufgemalten großen roten Kreuz drauf.“

Die Kekse sahen sich an. „Das ging jetzt irgendwie leichter als gedacht“, meinte Haschkeks.

„Die Paketstation hinter den sieben Bergen?“, fragte Schokoladenkeks und hielt Rotkekschen einen Schlüssel hin. „Kannst du bei der Gelegenheit noch unser Bonsaibäumchen gießen? Wir hatten einen ziemlich überstürzten Aufbruch.“

„Äh …“

„Oh ja bitte!“, nickte Butterkeks. „Wir haben keine Ahnung wie lange wir jetzt hier sind und das wäre schon wichtig.“

„Na gut.“ Rotkekschen verdrehte die Augen. Hauptsache schnell weg von hier. Sie schnappte sich den Schlüssen und verschwand durch die Hintertür.

„Und jetzt?“, fragte Marmeladenkeks.

Die anderen Kekse sahen sich an und zuckten mit den Schultern.


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Als Rotkekschen schließlich den Weg über die sieben Berge – ja, wirklich sieben, denn auf Karaokebars hatte sie so gar keine Lust – hinter sich gebracht, ihr Paket abgeholt und das Bonsaibäumchen gegossen hatte, wollte sie gerade das Haus der sieben Kekse wieder verlassen, als ihre Augen am Goldfischglas hängen blieben. War das etwa eine Hellseher-Glaskugel? Schnell stellte sie ihr Paket hinter das Sofa, schüttete das Wasser aus dem Goldfischglas aus und drehte es um. Tatsächlich war es eine Glaskugel, welche hier im Märchenwald viel besser funktionierte als Glasfaser. Schnell wechselte sie von Amazon über Netflix und Disney+ zur Hellseherfunktion, um auf diese Weise den Aufenthaltsort der Verrückten herauszufinden. Sie steckte scheinbar in einem Werwolflabyrinth in Großbritannien ohne Chance da auf absehbare Zeit wieder heraus zu kommen. Na toll, dachte Rotkekschen. Auf Werwolflabyrinthe hatte sie jetzt wirklich keine Lust. Und in Großbritannien regenete es obendrein auch noch die ganze Zeit. Und wenn die Verrückte da eh festsaß … ihr Blick schweifte erneut durch den Raum und fiel schließlich auf die Nintendokonsole!

Rotkekschen war so in das Spiel vertieft, dass sie gar nicht bemerkte wie die Zeit verstrich. Sie spielte und spielte und als sie gerade dabei war, den Endgegner zu besiegen, wurde die Tür aufgestoßen und Kekswittchen und die fünf verbliebenen Kekse betraten das Haus.

Rotkekschen runzelte verwundert die Stirn und legte den Kontroller zur Seite. „Wolltet ihr jetzt nicht im Schloss wohnen?“

„Da ist es ziemlich öde“, sagte Butterkeks.

„Keine Computerspiele, keine Karaokebars und kein Goldfischglas, in dem man Streams schauen kann, die auf dem Kopf stehend gesendet werden“, zählte Schokoladenkeks auf, drehte die Glaskugel um, füllte Wasser ein und warf einen neuen Goldfisch hinein.

„Und die Lieferdienste sind dort viel schlechter als hier“, fügte Marmeladenkeks hinzu.

„Irgendwie müffelt es hier ein wenig“, meinte Haschkeks und öffnete ein Fenster. „Wie lange sitzt du schon hier ohne zu lüften?“

„Hey, ist dass Schattenlink?“, fragte Kekswittchen mit offenem Mund und setzte sich neben Rotkekschen. „Wahnsinn! Den habe ich noch nie besiegt!“

Rotkekschen stutze. So einen Satz hatte sie früher bei Keksy Sue nie gehört. Plötzlich sah sie ihre Stieftochter mit anderen Augen. Sie nahm den Kontroller wieder in die Hand. „Also eigentlich ist es ganz einfach. Ich zeig dir wie es geht. Es gibt da eine bestimmte Stelle an die man sich hinstellen muss …“

„Hey, wer hat meinen Goldfisch gefressen?!“

Und so lebten die sieben Kekse von nun an im Haus hinter den sieben Bergen – oder hinter den sechs Bergen und der Karaokebar; je nach Sichtweise – lebensfroh zusammen, aßen Tiefkühlpizza, kauften neue Goldfische und spielten auf der Nintendokonsole. Und wenn sie nicht Mariokart eingelegt und sich die Köpfe eingeschlagen haben, dann leben sie noch heute.


~~~o~O~o~~~



Als Manfred sein Schloss betrat war er positiv überrascht. Nachdem er von dem Drachen verschlungen worden war, hatte er bis zum nächsten Vollmond warten müssen. Nachdem er sich in einen Keks verwandelt hatte, war er schmal genug gewesen, dass er den Drachen durch dessen Hinterausgang wieder verlassen hatte können. Nach einem langen Rückweg war er nun endlich wieder zu Hause angekommen. Und fand ein leeres Heim vor! Weder seine – manchmal etwas aufbrausende – zweite Frau noch seine pubertierende Tochter waren da. Glücklich ließ er sich auf sein Sofa nieder, schloss die Augen und genoss die himmlische Ruhe.
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