Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Ich lächelte

Kurzbeschreibung
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P16 / Gen
Maxim Drüner OC (Own Character)
22.07.2019
14.08.2019
6
10.490
3
Alle Kapitel
1 Review
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
 
 
22.07.2019 2.018
 
"Hey, wach auf, du verpasst noch deine Schicht". Unsanft rüttelte Laura an mir.
"Ich versteh ja, dass man ab und zu verschläft, aber du musst das langsam allein in den Griff bekommen. Ich bin nicht deine Mutter, Jara. Einen Wecker zu stellen ist keine unmögliche Aufgabe."
Ich schleppte mich vom Bett ins Badezimmer, ohne Laura eines Blickes zu würdigen. Ich sah in den Spiegel - meine Augenringe ließen sich mittlerweile nicht mehr verbergen.
"Das warme Wasser ist aus, ich war vorhin mit Leon duschen, sorrryyyyy" säuselte Laura durch die geschlossene Tür. Natürlich, ich wollte eh kalt duschen. Ich verdrehte innerlich die Augen und wünschte mir, endlich diese WG verlassen zu können. Als ich nach Berlin zog, reizte mich die große Stadt. Ich wollte das erleben, wovon so viele sprechen, wenn sie nach Berlin ziehen - Partys, Abenteuer, unzählige Möglichkeiten, meine Jugend auszukosten. Damals malte ich mir aus, wie ich jedes Wochende auf eine andere Party gehe, jede Bar in meiner Umgebung kenne, vom Späti-Besitzer mit meinem Namen angesprochen werde und meine Freunde mich beneiden. Diese Vorstellung hielt geschlagene zwei Wochen. Dann bemerkte ich, dass meine Mitbewohner nicht so nett waren, wie ich hoffte, mein Studium mehr Zeit in Anspruch nahm, als mir vorher bewusst war und ein Leben in Berlin verdammt kostspielig ist. Ich suchte mir recht schnell einen Job als Kellnerin, da ich nicht anders über die Runden kam. Und dieser Job verlangte mir einiges ab.

Ich stieg aus der Dusche und machte mich für meine Schicht fertig. Es dauerte nicht lange und ich verließ 20 Minuten später die Wohnung. Als ich auf der Arbeit ankam, wurde ich von meinem Chef begrüßt.
"Heute ist nicht viel los. Ich habe in einer Stunde Feierabend, bis dahin sollte der größte Teil der Gäste weg sein. Du und Julian kommt doch sicher allein klar, oder?". Ich nickte zustimmend.
"Sehr schön. Um 2 Uhr macht ihr den Laden spätestens zu, verstanden?" Mit diesen Worten verschwand er in sein kleines Büro. Hilfe beim Service war von ihm selten zu erwarten.
"Hey, schön dich zu sehen, lass dich drücken". Julian hatte ich sehr schnell ins Herz geschlossen, nachdem ich vor einigen Monaten hier anfing. Er zeigte mir alles, brachte mir den ein oder anderen Handgriff bei und unterstützte mich, wo er nur konnte. Er zählte zu meinen Lieblingskollegen hier und machte jede Schicht viel erträglicher.
"Ich glaube, heute haben wir eine ruhige Schicht erwischt. Vier Tische sind besetzt, die haben schon ihr Essen. Und ein Tisch ist gerade frisch reingekommen. Das ist eine größere Männergruppe. Willst du, dass ich zu denen gehe?" Julian versuchte immer, mich vor dummen Sprüchen zu bewahren. Dafür war ich ihm sehr dankbar.
"Danke, Julian, aber das schaffe ich selbst". Ich ließ ein Lächeln über meine Lippen huschen. Ich schnappte mir meinen kleinen Block und einen Stift.
"Guten Abend, darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?"
Die 7 Männer am Tisch sahen nicht zu mir, aber jeder nannte mir ein Getränk. Ich bedankte mich und ging zur Bar.
"Was darf es sein?" fragte mich Julian.
"Vier große Bier, ein Gin Tonic und zwei mal Cola".
Mit der Bestellung auf dem Tablett steuerte ich wieder den Tisch an. Ich sah zu einem der anderen Tische hinüber. Eine Frau, vielleicht Mitte 50, warf mir einen abwertenden Blick zu. Ich konnte schon fast hören, wie sie sich bei ihrem Mann später über das Essen, das Ambiente oder über mich auslassen würde. Kleine, dumme Kellnerin, nichts aus ihrem Leben gemacht. Es wäre nicht das erste Mal, dass mir jemand so etwas sagt. Ich ärgerte mich innerlich über den Blick und übersah, dass sich einer der Männer am Tisch gerade aufrichtete. Ich versuchte mit meinem Tablett auszuweichen ... und platsch... die gesamte Bestellung landete auf dem Schoß eines Mannes.
"Um Gottes Willen, es tut mir so unendlich leid" sprudelte ich los. Die restlichen Männer begannen laut zu lachen, einige klatschten. Mein Gesicht lief blutrot an.
"Na Maxim, die Kleine lässt dich ganz schön feucht werden, oder?" kam von dem Mann, der eben aufgestanden war. Die anderen lachten lauter. Von der Dame am Nachbartisch vernahm ich ein leises "tollpatschige Göre" und schämte mich nun noch mehr.
"Ich hole Ihnen ein Handtuch".
Julian hatte alles beobachtet und hielt mir schon mehrere Tücher bereit, während er die gleiche Bestellung noch einmal vorbereitete. Ich wollte weinen.
"Es tut mir wirklich leid, natürlich geht ihr Bier aufs Haus". Ich hielt ihm die Tücher hin.
"Mach dich nicht fertig, kann passieren" sagte er ziemlich nüchtern. Er sah mich nicht an. Ich brachte dem Tisch die neuen Getränke und meldete mich bei Julian ab. Ich musste kurz an die Luft.

Ich stand vor dem Restaurant und zündete mir eine Zigarette an. Meine Hand zitterte etwas, mir war das ganze unsagbar peinlich. Was für ein Scheiß-Tag. Die kalte Winterluft ließ mich zittern.
"Ist dir kalt?". Ich zuckte zusammen, ich hatte keine andere Person bemerkt. Ich drehte mich um. Neben mir stand der Kerl, dem ich gerade eine Bierdusche verpasst hatte.
"Ich... ähm... ich... also...". Ich war von meiner eigenen Verlegenheit überrascht.
"Bitte mach dir keine Gedanken, das trocknet schon wieder. Passiert". Ich starrte den großen Mann nur an.
"Ich hoffe nur, dass du keinen Ärger deshalb bekommen hast". Ich sollte wirklich den Mund aufbekommen, um nicht wie eine Idiotin dazustehen.
"Nein, Quatsch, mein Chef hat das wahrscheinlich nicht mal mitbekommen. Es tut mir nur wirklich leid, das ist mir noch nie passiert". Er schenkte mir ein Lächeln und steckte sich eine Zigarette an.
"Kein Ding, ich bin Maxim". Er streckte seine Hand aus. Ich lächelte.
"Jara".
Ich nahm seine Hand und sah ihm in die Augen.
"Den Namen hab ich noch nie gehört. Der ist wirklich schön". Seine Augen ließen mich nicht los.
"Danke. Ja, das höre ich öfter. Ich bin eine der Glücklichen, die als Kind nie einen Anhänger mit ihrem Namen finden konnten". Er lachte. Dieser Maxim hatte ein wirklich schönes Lachen, und auch sonst musste er sich nicht verstecken. Er sah verdammt gut aus.
"Arbeitest du schon lange hier? Ich hab dich hier noch nie vorher gesehen".
" Naja, ich hab vor ungefähr einem Jahr hier angefangen, aber ich bin nur eine Aushilfe. Ich bin also nicht regelmäßig hier, meistens an den Wochenenden". Er schaute mir immer noch in die Augen, ich konnte seinem Blick nicht standhalten.
"Dann hatte ich ja heute etwas Glück". Er lächelte wieder. Ich vergaß, dass mir kalt war.
Um nicht länger wie ein Depp vor ihm zu stehen, trat ich meine Zigarette aus und verabschiedete mich mit einem kleinlauten "Ich muss wieder" von Maxim. Er nickte mir zu und rauchte entspannt weiter.
"Alles in Ordnung? Hat der Typ dich blöd angemacht? Ich hab gesehen, dass er dir hinterher ist. Was hat er gesagt?". Julian verhielt sich manchmal wie ein großer Bruder.
"Es ist alles ok. Er war nett ".
Ich machte mich wieder an die Arbeit.

"Hallo, hey Kleine, wir möchten zahlen" brüllte einer der Männer am letzten besetzten Tisch. Nach meinem Auftritt dort wollte ich hinter der Bar bleiben und Julian übernahm das Laufen. Der machte aber gerade eine kurze Pause. Ich ging mit der Rechnung zum Tisch.
"Zusammen oder getrennt?" fragte ich mit einem zögerlichen Lächeln.
"Alles auf meine Rechnung, Kleine" sagte ein Kerl mit braunem Stoppelbart. Er hatte ein breites Grinsen und hielt mir seine Kreditkarte hin.
"Dann noch einen schönen Abend" lächelte ich, als ich ihm die Karte zurückgab.
"MOMENT!" sagte der gleiche Typ, etwas energisch.
"Willst du dir nicht noch ein Trinkgeld von mir abholen?". Er grinste und mein Magen zog sich etwas zusammen. Ich kannte seinen Blick. Als Kellnerin bekommt man diesen Blick oft, vor allem, wenn Alkohol geflossen ist. Ich sagte nichts, blickte ihn an.
"Na komm mal rum zu mir, ich geb dir ein Scheinchen". Mehrere der Kerle am Tisch grinsten.
"Nein Danke" sagte ich so bestimmt, wie es mir möglich war. Ich drehte mich um und ging in Julians Richtung. Er war eben wieder an die Bar gekommen und sah mich besorgt an.
"Hey Kleine, komm zurück" brüllte derselbe Kerl noch einmal durch den Raum. Ich blieb bei Julian. Die Gruppe stand auf, sie zogen ihre Jacken an und gingen Richtung Ausgang. Maxim drehte sich noch einmal um, hob die Hand und lächelte. Ich sah ihn an, aber konnte kein Lächeln hervorbringen.

Eine Stunde später schlossen wir das Restaurant.
"Feierabend" grinste Julian breit. Mir war nicht nach Lachen zumute. Wir erledigten noch die letzten Aufgaben, jeder von uns nahm einen Müllbeutel, als wir das Restaurant endlich verließen. Julian wohnte ein paar Straßen weiter, er kam immer zu Fuß.
"Lass dich drücken, Jara". Er fiel mir noch einmal um den Hals, grinste und ging dann winkend die Straße entlang. Ich machte mich auf den Weg zur Bahn. Da nachts die Züge nicht sehr häufig fahren, musste ich 20 Minuten warten. Ich hörte Gelächter und mehrere Stimmen, die immer näher kamen. Ich nahm meine Kopfhörer. Mein Blick war auf meine Füße gerichtet. Ich schloss die Augen und unterdrückte ein paar Tränen. Manchmal wollte ich wieder zurück in mein unbeschwertes Leben bei meinen Eltern. Ich hatte mir meine Zeit hier nicht so schwierig vorgestellt.
Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich zuckte augenblicklich zusammen und setzte meine Kopfhörer ab. "Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken, Jara". Dieser Maxim schon wieder. Sollte ich wirklich so ein Pech haben, und denen in die Arme gelaufen sein? Er hatte immer noch seine Hand auf meiner Schulter ruhen, als ich endlich antworten konnte.
"Was gibt es denn? Hat dein Kumpel noch nen Spruch für mich?". Ich klang genervter, als ich es erwartet hatte.
"Hör zu, es tut mir wirklich leid, wie er sich benommen hat. Mir war das selber echt peinlich, ich mag es nicht, wenn er so spricht". Ich sah ihn an, wollte ihm aber nicht antworten. Sein Blick sah gequält aus. Auf seinem Tshirt sah man einen großen Fleck von den Getränken. Er erwartete offenbar eine Antwort, aber ich erhob mich und ging ein paar Schritte. Meine Laune war auf einem Tiefpunkt, ich wollte allein sein. Ich spürte, dass seine Augen mich noch einen Moment lang verfolgten. Aber als ich mich umdrehte, wandte er sich wieder seinen Freunden zu.

Als ich wieder in meiner WG ankam, war ich bereit, in mein Bett zu fallen. Ich hörte aus dem Wohnzimmer mehrere Stimmen.
"... und es läuft gerade so gut mit Leon, er ist toll, sein Vater hat ein Autohaus und seine Mutter macht richtig Geld mit Immobilien und er selbst studiert auch noch... ". Laura sprach so schnell, dass man nicht folgen konnte. Ich stellte mir vor, wie die Anderen aus der WG sie genervt ansahen und versuchten, sich auf den Film zu konzentrieren, der gerade lief. Ich lebe mit 5 weiteren Leuten zusammen. Laura war die Anstrengendste. Gina war kaum zu Hause, ich sah sie nur selten. Sie war ganz nett, aber niemand, mit dem ich befreundet sein wollte. Kai und Paul waren Geschwister, Zwillinge, um genau zu sein. Sie schleppten jedes Wochenede andere Mädels hier an, ohne Rücksicht zu nehmen. Und dann gab es noch Christopher. Er war ein Vorzeigestudent. Dementsprechend hatte er auch keine Zeit für menschliche Interaktionen. Ich konnte mich glücklich schätzen, wenn er mir "Hallo" sagte. Und ich? Ich war die Überarbeitete, die Unentspannte, die Genervte. Man merkte mir meine Unzufriedenheit in der Stadt an, ich konnte sie nicht gut verbergen.

Ich schlich in die Küche und holte mir einen Apfel, das musste als Abendessen genügen. Nachdem ich noch schnell duschen war, ließ ich mich in mein Bett fallen und schlief ein, bevor sich meine Augen wieder mit Tränen füllen konnten.
 
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast