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Hubert ohne Staller - Nichts zu verlieren

von Maybe44
Kurzbeschreibung
GeschichteKrimi, Liebesgeschichte / P12 / Gen
Dr. Anja Licht Franz Hubert
20.03.2019
16.04.2019
11
13.548
9
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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20.03.2019 1.811
 
***
Als sein Opfer mit seinem letzten Atemzug seufzend sein Leben aushauchte und ein letztes Zittern den Körper durchfuhr, beobachtete er es unverwandt aus kalten Augen mit mitleidlosem Blick. Er war fest davon überzeugt, dass sein Opfer nun endlich das bekommen hatte, was es verdiente. Auch wenn er auf diesen Moment viele Jahre hatte warten müssen. Nun jedoch würde ihn nichts und niemand mehr aufhalten. Gedanklich setzte er einen Haken hinter den ersten Namen, der auf seiner Todesliste stand, und verschwand wie ein Schatten in der dunklen Nacht. Er hatte noch viel zu tun, und die Zeit rannte ihm davon.

***

"Servus!" begrüßte Franz Hubert am frühen Montagmorgen seine junge Kollegin Rebecca Jungblut, die seit einigen Wochen den Platz am Eingang des Polizeireviers Wolfratshausen besetzte.
Manches Mal erwartete Hubert noch immer, dort Sonja Wirth sitzen zu sehen, die es viele Jahre bei ihnen ausgehalten hatte, nun aber im Rahmen von Fortbildungen und Personalentwicklungsmaßnahmen unaufhörlich andernorts die Karriereleiter hinaufzuklettern schien, wie man so hörte.
Lena Winter hingegen, die nach Sonjas Weggang zunächst deren Platz übernommen hatte, war nicht lang geblieben. Nach nicht einmal einem Jahr war sie der Liebe wegen nach Hamburg gegangen. Beim Gedanken an Lenas Abschied musste er heute noch schmunzeln, hatte doch ihr Verlobter ausgeschaut wie der verlorene Zwilling von Martin Riedl.
Und nun also Rebecca Jungblut. Blond, jung, motiviert - mal abwarten, wie lange es sie in Wolfratshausen halten würde. Jetzt winkte sie ihm abwesend zur Begrüßung zu, den Telefonhörer am Ohr, voll auf ihren Gesprächspartner konzentriert.

Als er sein Büro betrat, thronte sein Partner Reimund Girwidz bereits am Schreibtisch. Partner. Gewöhnungsbedürftig, dieses Wort im Zusammenhang mit seinem früheren Vorgesetzten. Und nicht nur er hatte Schwierigkeiten mit Girwidz' neuer Position im Revier, am Meisten machte Girwidz selbst seine Degradierung zu Schaffen. In kürzester Zeit hatte er alles verloren: Seine Frau, sein Haus, sein Auto, seine hohe Position. Vom Polizeirat zum Polizeiobermeister, das war bitter. Jedoch, bei allem Mitgefühl, das Hubert tatsächlich für Girwidz aufbrachte, war doch letztendlich er selbst der Leidtragende. Tagein, tagaus, Seite an Seite mit Girwidz zu arbeiten, war eine echte Strafe. Und er hatte früher einmal tatsächlich gedacht, Johannes Staller würde ihn in den Wahnsinn treiben. Weit gefehlt!

Hubert seufzte und nahm an seinem Schreibtisch Platz. Mit halben Ohr hörte er zu, wie Girwidz vor sich hin dozierte und Martin Riedl, der wie ein Schulbub vor ihm stramm stand, mit erhobenem Zeigefinger den Unterschied zwischen einem Vergehen und einem Verbrechen erläuterte. Schnell blendete er das hochtrabende Gerede wieder aus.

Überhaupt, Staller. Der ewige Junggeselle hatte tatsächlich eine Frau kennen gelernt. Und war ihr nach Italien gefolgt. Er arbeitete nun gemeinsam mit seiner Sibylle in deren Bäckerei und war ziemlich eingespannt. Die anfänglich regelmäßigen Telefonate waren weniger und mittlerweile zur Seltenheit geworden.

Manchmal hatte Hubert das Gefühl, alles und jeder um ihn herum war ständig in Bewegung, veränderte sich, brach auf zu neuen Ufern.

Bevor seine Gedanken unweigerlich zu der einen Person schweifen konnten, deren Weggang ihn mehr getroffen hatte als jeder andere und der ihn heute noch aufs Heftigste schmerzte, rief Rebecca Jungblut "Hubert? Herr Girwidz? Einsatz!" und die beiden Polizisten machten sich eilig auf den Weg zum Einsatzort.

Diesmal waren sie tatsächlich einmal ganz klassisch zu einem Tatort gerufen worden und nicht höchstpersönlich über die Leiche gestolpert.

Vor der riesigen Villa direkt am Ufer des Starnberger Sees wartete eine ältere Dame in der klassischen schwarz-weißen tadellosen Uniform einer Haushälterin auf sie. Nervös und betroffen knetete sie sich immer wieder die Hände, als sie die beiden Beamten ins Haus geleitete. "Kommens, kommens. I hab den Herrn Richter heut in der Früh gefunden! I kimm immer um Acht in der Früh. Und heit....schauns!"
Sie deutete in Richtung des offenen Wohnbereichs und wandte sich dann schaudernd ab.

An einem groben Strick, der eng um seinen Hals gezogen war, baumelte ein Mann Mitte Fünfzig, bekleidet mit einem seidenen Pyjama, von der Decke. Unter ihm lag ein umgefallener Stuhl am Boden.

"Selbstmord, so wie es aussieht!" konstatierte Girwidz.

"Niemals!" meldete sich die Haushälterin wieder zu Wort. "Der Herr Richter hätte sich niemals das Leben genommen!"

"Ach, kannten sie den Herrn Richter so gut?" fragte Girwidz.

Hubert hatte den Toten nachdenklich betrachtet. "Hofmann!" rief er nun aus.

"Bitte? Hubert? Was meinen sie?" fragte Girwidz irritiert.

"Sie kennen den Herrn Richter?" erkundigte sich die Haushälterin neugierig.

Hubert nickte und erläuterte für seinen Kollegen "Des is der Herr Hofmann. Der is von Beruf Richter."

"Ach so. Wieso sagen sie das denn nicht gleich!" blaffte Girwidz.

"Mei..." antwortete die Haushälterin entschuldigend, wurde aber sogleich von Girwidz unterbrochen. "Den Kollegen meine ich, nicht sie!"

Hubert zuckte mit den Schultern und wies auf das bläulich angelaufene, aufgedunsene Gesicht der Leiche. "Hab ihn ned glei erkannt."

In diesem Moment betrat die Pathologin Dr. Fuchs die Villa. "Guten Morgen zusammen! Oha, hilft mir jemand, ihn da runter zu holen?"

Schnell machte sich Hubert aus dem Staub und rief noch über seine Schulter "l schau schnell nach Einbruchspuren!"

Amüsiert blickte Frau Doktor Fuchs dem Polizisten hinterher, hatte sie doch eben diese Reaktion erwartet.

Erst nach geraumer Zeit wagte sich Hubert zurück. "Die Hintertür ist aufgebrochen worden. Frau Doktor Fuchs, da müsstens nochmal schaun."

"Mach ich gleich, hier bin ich erstmal durch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es kein Selbstmord war. Sehen sie hier." Sie wies auf den breiten, nach hinten am Hals in Richtung der Ohren schräg ansteigenden Abdruck, den das grobe Seil am Hals des Toten hinterlassen hatte. "Da ist noch ein gerader, deutlich dünnerer Abdruck, wie von einem Draht. Ich muss das noch genauer untersuchen, aber das sieht ganz so aus, als wäre er stranguliert worden und erst danach an der Decke aufgehängt worden. Vermutlich als er schon bewusstlos war."

Nachdem alle Spuren gesichert und der Leichnam abtransportiert worden war, die Haushälterin und Dr. Fuchs gegangen waren, machten sich auch Hubert und Girwidz wieder auf den Weg.

Im Wagen fragte Girwidz "Woher kannten sie den Richter Hofmann denn? Ein gemeinsamer Fall?"

Hubert nickte. "Genau. Is aber schon ewig her. Wartens, des müssten jetzt scho über 12 Jahre sein."

"Und? Wie war er so?"

"Der Fall?"

"Nein, Hubert, der Richter natürlich! Hat der sich viele Feinde gemacht in seinem Job?"

"Mei, der Mann woar Strafrichter. I denk scho, dass der ned nur Freunde ghabt hat..."

"Da haben sie auch wieder Recht." musste Girwidz zugeben.

Kaum waren die Polizisten im Revier angekommen, streckte die neue Revierleiterin ihren Kopf aus ihrem Büro und rief "Team Meeting im Konferenzraum. Sofort!"

Heute trug sie wieder einmal eine enge schwarze Lederhose und hochhackige Stiefel zu ihrem Uniformhemd. Ob diese eigenwillige Auslegung der Kleidungsvorschriften für die bayerische Polizei dazu geführt hatte, dass die Polizeirätin nun ihren Dienst in Wolfratshausen versehen musste? Denn ein Karrieresprung war die Stelle sicher nicht gewesen, sinnierte Hubsi vor sich hin. Nun, ihm konnte es egal sein. Und das war es letzten Endes auch.

Wie üblich nahm Sabine Kaiser ihren vier Untergebenen gegenüber am Tisch Platz. Ungeduldig tippte sie mit ihrem Kugelschreiber auf dem vor ihr liegenden Computerausdruck herum, bis sich endlich alle gesetzt hatten und sie mehr oder minder erwartungsvoll anschauten.

Es gab Tage, an denen hielt Hubert die ungeduldige, teilweise fast schon herablassende Art seiner neuen Chefin besser aus, an anderen mehr schlecht als recht.

Heute war definitiv einer der schlechteren Tage.

Gerade wollte Hubert, um das Meeting schnellstmöglich hinter sich zu bringen, von ihrem neuen Mordfall berichten, als Sabine Kaiser auf ihre Notizen blickte und seine bis dato ruhige Welt mit nur zwei Worten ins Wanken brachte.

"Ulrich Brambach."

Ruckartig hob Hubert den Kopf und blickte seine Chefin alarmiert an. "Was is mit dem?"

"Sie erinnern sich?"

"Freilich. Der sitzt doch noch, der hat 15 Joahr kriegt?"

Girwidz, Riedl und Rebecca blickten sich ratlos an.

Sabine Kaiser schüttelte den Kopf. "Abgehauen. Vorgestern, auf dem Weg von der Justizvollzugsanstalt ins Krankenhaus. Einer der Beamten, die ihn begleitet haben, ist tot, der andere schwer verletzt."

"Und der Richter Hofmann is auch tot..." murmelte Hubert.

"Wie meinen sie das?" hakte Sabine Kaiser nach.

"Unser neuer Fall. Der Richter Hofmann, der den Brambach damals zu lebenslanger Haft verurteilt hat, wurde heute Morgen in seiner Villa am Starnberger See erhängt aufgefunden. Laut der Frau Fuchs war's wahrscheinlich Mord."

"Scheiße...." konnte sich die Revierleiterin nicht verkneifen.

"Was is denn so besonders an diesem Brambach?" fragte Riedl.

Und Franz Hubert begann von ihrem damaligen Fall zu erzählen. Ulrich Brambach hatte vor dreizehn Jahren die Münchener Schickeria monatelang in Atem gehalten, weil er gemeinsam mit seiner Komplizin und zugleich Geliebten zahlreiche brutale Überfälle auf wohlhabenden Bürger verübt hatte. Selbst vor Mord waren sie nicht zurückgeschreckt und hatten zwei Menschenleben auf dem Gewissen. Dann hatten sie ihr Einzugsgebiet ausgedehnt und waren rund um Wolfratshausen und den Starnberger See aktiv geworden. Bei ihrem zweiten Raubzug dort waren sie jedoch von Hubert und seinem damaligen Kollegen Johannes Staller zufällig überrascht worden. Es war zu einer wilden Verfolgungsjagd mit Schusswechsel gekommen, wobei Brambach nach einem Treffer auf seinen Vorderreifen die Kontrolle über den Fluchtwagen verloren hatte. Der Wagen hatte sich mehrfach überschlagen und war schließlich einen Abhang hinunter gerutscht. Brambach selbst war wie durch ein Wunder nur leicht verletzt worden und konnte von den Polizisten vor Ort verhaftet werden. Seine Geliebte, Klara Wunder, kam jedoch mit schwersten Verletzungen ins Krankenhaus und verstarb dort einige Zeit später. Eine betroffene Stille breitete sich unter den Kollegen aus, als Hubert schloss "Der Brambach hat uns damals für den Tod seiner Freundin verantwortlich gemacht. Er hat uns gedroht. Also dem Hansi und mir und später dann auch noch dem zuständigen Staatsanwalt und eben dem Richter Hofmann."

Sabine Kaiser ergänzte "Das LKA München sucht mit Hochdruck nach dem Flüchtigen. Nun, offenbar ist er hier bei uns in der Gegend angekommen. Hubert, wir müssen sie aus der Schusslinie nehmen. Sie gehen in ein Safe-House, bis die Gefahr vorüber ist!"

Hubert schüttelte energisch den Kopf. "Na. Der Brambach is ned hinter mir her."

Die Revierleiterin zog die Augenbrauen empor. "Nicht? Hinter wem denn sonst? Er hat doch ihnen gedroht."
Leise sagte Hubsi, der merklich blass geworden war, als die Erkenntnis zu sacken begann "Er hat gedroht, mir das Liebste zu nehmen was l hab auf der Welt."

"Und das wäre?" fragte Rebecca Jungblut sanft.

"Damals war l frisch verheiratet..." Krachend fiel sein Stuhl zu Boden, als er aufsprang. "Die Anja! Der Brambach is hinter der Anja her!"
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