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chaos precaution

von EmmyFuchs
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Krimi / P12 / Gen
15.03.2019
15.03.2019
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17.526
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Widmung


Ich widme diese Novelle meiner besten Freundin Josi,


die immer für mich da ist und mich auch in schlechten Zeiten


nicht hängen lässt!






wreak havoc






KAPITEL 1



I look inside myself and see my heart is black


I see my red door and must have painted black


Maybe then I’ll fade away and not have to face the facts


It’s not easy facing up when your whole world is black




21.05.2018  18:41Uhr

Washington D.C.

Eine Frau, vielleicht Anfang dreißig, wanderte durch die Korridore des Hotels. Die Böden aus gemasertem Granit glänzten in dem weichen Licht der Kronleuchter. Über die Brüstung zu ihrer Linken konnte sie in das Atrium, fünf Stockwerke tiefer, blicken. Gerade in diesem Moment kam dort ein ganz besonderer Mann an. Sein silbernes Haar umgab seinen Kopf wie einen Heiligenschein. Der edle Anzug war tiefschwarz, ebenso das Hemd und die Krawatte. Er hielt seinen Körper in einer Art und Weise aufrecht und gerade, um die andere seines Alters ihn beneidet hätten. In vielen Bereichen war der sechzigjährige amtierende Präsident der Russischen Föderation jung geblieben...nicht jedoch bei der Wahl seiner Unterkunft in Washington D.C.

Silver wandte den Blick wieder ab und setzte ihren Weg fort. Die kleinen Rädchen des Wagens gaben ein unangenehmes Geräusch von sich. Ohne mit der Wimper zu zucken, passierte sie die, von bulligen Männern flankierte, Tür mit der Nummer 505, um am Ende des Ganges hinter einer unauffälligen Tür mit der Aufschrift Zutritt nur für das Personal zu verschwinden. Dort erst richtete sie sich wieder zu ihrer vollen Größe auf. Ihr Rücken knackte mehrmals. Sie zerrte sich die Arbeitskleidung des Zimmerservice vom Körper und stopfte sie in einen Plastiksack, den sie aus einem Rucksack holte, der in dem Rollwagen versteckt war. Eilig zog sie sich neue Kleidung an, verstaute ihre Waffen in dem Bund ihrer Hose. Über ihre Hände streifte sie Latexhandschuhe, ehe sie nach einer kleinen Flasche klarer Flüssigkeit griff und damit jede Oberfläche besprühte, die sie eventuell angefasst haben könnte. Dann verstaute sie den Wagen in der Ecke, wo sie ihn auch her hatte. Alles musste so aussehen, als wäre nie etwas passiert. Den kleinen Rucksack trug sie vor dem Bauch, um später nicht irgendwo ausversehen hängen zu bleiben. Mit einem kleinen Schraubenzieher löste sie nacheinander alle acht Schrauben von einer Abdeckklappe, die den Zugang zum Belüftungssystem verschloss. Sie krallte sich in die Oberkante und schwang ihre Beine zuerst hinein, drehte sich dann auf den Bauch und angelte nach dem Gitter. Es war zwar schwierig, aber sie schaffte es, die Schrauben durch die feinen Lüftungsschlitze wieder in das Gitter zu drehen. Dann drehte sie sich um die eigene Achse, um mit dem Kopf voran durch den Schacht zu kriechen.



Nacheinander zweigten viele weitere Schächte ab. Silver hatte den Plan von dem gesamten Gebäude mit allen Ein und Ausgängen im Kopf. Zimmer 505 war der vierte Schacht auf der rechten Seite. Sie robbte bis nach vorne zu den Gitterstäben und spähte in das Zimmer hinab. Sie alle waren gleich eingerichtet: ein großes Kingsize Bett in einem separaten Raum mit einem fantastischen Ausblick über die Stadt, edle Badezimmerausstattung, ein riesiger Flachbildfernseher und eine große Sofalandschaft im Wohnzimmer.

Die Belüftung endete im Schlafzimmer, direkt über der Toilette, hübscher aufbereitet als im Serviceraum. Wieder mit durch das Gitter gezwängten Finger versuchte sie die Schrauben zu lockern. Schlussendlich schaffte sie es auch. Geschmeidig glitt sie durch die Öffnung in das Badezimmer hinab und verschloss den Schacht wieder ordentlich. In dem Zimmer herrschte Dunkelheit, lediglich ihre Stirnlampe spendete etwas Licht. Sie verschwand in einer dunklen Ecke zwischen zwei Schränken, schaute ein letztes Mal auf ihre Armbanduhr und schaltete dann ihre Lampe aus.



Weit über zwanzig Minuten später hörte sie Stimmen aus dem großen Wohnbereich der Suite. Einer war der Präsident, der in scharfem Russisch eine weitere Person anfuhr. Die Frau versuchte noch sich zu rechtfertigen, würde aber unwirsch abgewürgt. Eine Tür knallte. Die Unterhaltung war aber noch nicht beendet. Diesmal sprachen abwechselnd zwei Männer. Silvers Russischkenntnisse waren exzellent, aber durch zwei dicke Wände wurden die harten Laute zu einem verwaschenen Murmeln. Sie glaubte, irgendwas über eine sichere Autoroute und die Veranstaltung im United State Capitol zu hören. Dann aber versiegten auch diese Stimmen. Silver vernahm ein deutliches Seufzen, dann war es wieder eine ganze Zeitlang ruhig, bis schließlich die Badezimmertür aufging.

Der Präsident trat ein, die Krawatte gelockert und die ersten zwei Knöpfe des teuren italienischen Hemdes geöffnet. Er stellte ein Glas Rotwein neben der Badewanne ab, die in einem zwanzig Zentimeter hohen Sockel eingelassen war. Dieser Sockel war mit kleinen Fragmenten von verschiedenen dunkelblauen Fliesen bestückt. Die Fliesen zogen sich auch dahinter an der Wand empor. Der Präsident entkleidete sich in seinem Schlafzimmer und kehrte gänzlich nackt in das Bad zurück. Auf einem kleinen Bedienfeld gab er einige Befehle ein und die Badewanne begann sich mit Wasser zu füllen. Dampf waberte wenig später empor. Silver beobachtete ihn aus ihrem Versteck ganz genau und in dem Moment, in dem er in die Wanne steigen wollte, kam sie aus der Ecke, einen seltsam geformten Setzhammer in der Hand. Mit einer einzigen, gezielten Bewegung ließ sie ihn auf den Nacken des Präsidenten niederkrachen. Dieser brachte gerade noch einen überraschten Laut zustande, kippte dann ohne Gegenwehr hinten über. Silver machte gerade noch einen Satz zurück, als er vor ihren Füßen auf dem Boden aufkam.

Silver beugte sich zu ihm hinunter und fühlte ganz sachte an seinem Hals nach dem Puls.

Tot.

Sie schöpfte eine Handvoll Wasser aus der Badewanne und ergoss es irgendwo in der Nähe seiner Füße auf den Fliesen. Vorsichtig packte sie den modifizierten Hammer mit einer Spitze aus demselben Material wie die Fliesen, in eine Plastiktüte und verstaute sie in ihrem Rucksack. Dann trat sie über die Lüftung den Rückzug an. Das war nicht optimal, früher oder später würde man bemerken, dass die Schrauben nicht richtig angezogen waren und dann würde man alles nochmal aufrollen. Ihre Hoffnung war, dass das lange genug dauern würde, um die Grenze nach Mexiko überqueren zu können.



Über den Schacht krabbelte sie zurück zu einer großen Verzweigung. Die Pläne des Lüftungssystems, sagten aus, dass es zu ihrer rechten weiter nach oben gehen müsste. Tatsächlich war dem auch so. Am Ende des Tunnels führte lediglich ein Weg nach oben. „Okay...“, murmelte sie leise, atmete tief durch und stemmte ihre Füße gegen die Wand. Mit aller Kraft hob sie sich hoch und presste den Rücken gegen die Wand. Ganz vorsichtig, einen Fuß nach dem anderen, schob sie sich an der glatten Tunnelwand nach oben. Über drei Stockwerke, ehe sie wieder in einen vertikalen Schacht wechseln konnte. Dieser endete wenig später auf dem Dach. Sie kletterte nach draußen, streckte sich einmal. Ihre Gelenke knackten. Von hier aus konnte man das Weiße Haus schon sehen.

Auf der Rückseite des Gebäudes, die wegen umstehender Hochhäuser kaum einer einsehen konnte, war eine Feuerleiter befestigt, über die sie sich schnell hinab begab. Die Leiter endete neben dem Parkplatz für die Hotelangestellten. Der dunkelblaue Impala stand in der Nähe der Ausfahrt. Die Schlüssel steckten. Noch während sie das Auto von dem Parkplatz lenkte, schob sie sich eine große Sonnenbrille auf die Nase und klappte die Sonnenblende hinab. Viele Verkehrskameras würden ihr Gesicht somit nur noch unvollständig erfassen uns einen möglichen Abgleich so deutlich unzuverlässiger machen. Sie schob sich durch die Straßen, die Rush Hour war schon vorbei und wie geplant brauchte sie für den Weg aus der Stadt nur etwa 45 Minuten. Die aufgebauten Polizeisperren umging sie großräumig.

Das Navi hatte sie zuvor ausgebaut, damit der Weg nicht über das GPS Signal verfolgt werden konnte. Ihr Ziel hatte sie im Kopf.

In dem letzten Motel an der Interstate Richtung Westen nahm sie sich ein Zimmer. Der Typ hinter der Rezeption hatte keinen Blick für die Frau übrig. Nahm einfach das Bargeld und schob den Schlüssel über den Tresen, ohne auch nur einmal von seinem Handyspiel aufzublicken. Ihr konnte das nur recht sein. Sie lud ihren Rucksack und die Reisetasche im Zimmer ab.

Auf dem schäbigen Herd machte Silver sich eine Suppe aus einer Dose warm. Während die vor sich hin köchelte, begann sie im Badezimmer alle Teile ihrer Verkleidung abzunehmen. Die falsche Nase, die Ohren, die Perücke und Kontaktlinsen. Und endlich diesen unbequemen Fettanzug, der sie ungefähr 15 Kilo schwerer wirken ließ. Zuletzt spuckte sie die Wattestreifen aus, die ihre Wangen aufgefüllt hatten. „Widerlich.“, murmelte sie und spülte mit etwas Mundspülung hinterher. Ihre Zunge fühlte sich an, als hätte eine Katze darauf übernachtet.

Sie aß die Suppe zügig, setzte wieder Kontaktlinsen ein und wählte eine langhaarige Perücke in einem dunklen Rot aus, packte ihren Rucksack um und machte sich wenige Minuten später wieder auf den Weg nach Westen.



20:27Uhr

Der Treffpunkt mit ihren Auftragsgebern lag sehr weit außerhalb, in einer unberührten Ecke der sonst so belebten Ostküste.

Sie parkte das Auto weit neben dem Highway auf einem sandigen Parkplatz, der zu einer alten Tankstelle gehörte. Die zwei Zapfsäulen waren ziemlich verrostet, auf dem Schild vorne fehlte das g von gas station und die Beleuchtung im Inneren war schwach und flackerte ab und zu. Silver schaute sich ein letztes Mal um, schulterte den Rucksack und trat langsam auf die Tankstelle zu. Nur ein weiteres Auto stand hinter dem Gebäude, von der Straße aus war es nicht zu sehen.

Silver klopfte an die gläserne Tür und stieß sie nach innen auf. Vier Männer warteten unter der einzig funktionierenden Neonröhre. Ihre Jacken waren von den Maschinenpistolen ausgebeult. Alle waren in schwarz gekleidet, trugen die Haare kurz und schauten grimmig drein. Sie waren nicht viel mehr als die Lakaien der Mafia, die sie sie engagiert hatte...vielleicht nicht sonderlich klug, aber sie wirkten wie ein roher Wirbelsturm.

Wortlos nahm sie den Rucksack vom Rücken, legte ihn auf den Boden und trat ihn zu den Männern rüber. Einer mit einer mehrfach gebrochene Nase und einem vernarbten Ohr -vermutlich Fighter im Untergrund- stoppte ihn mit dem Fuß, gab ihn dann an den Chef der kleinen Gruppe weiter. Dieser trug als einziger einen goldenen Siegelring am Finger und wirkte in dem Rollkragenpullover und der Stoffhose eher wie ein Gentleman, als ein Schläger. Silver fiel auf, dass sich die anderen zwei Männer exakt gleich sahen, Zwillinge. Der eine trug nur einen Stecker im rechten Ohr und bei dem anderen blitzen die Ansätze einer Tätowierung unter dem schwarzen Tank Top hervor. Die Grimmasse, die sie zogen waren aber gleichermaßen gefährlich. Der Chef sah sich den Inhalt des Rucksackes an; der Hammer mit der extra angefertigten Spitze. Das Blut war inzwischen ziemlich nachgedunkelt. Den legte er hinter sich auf den Tresen.

„Gute Arbeit.“, meinte er dann. Die Stimme war auf eine abstrakte Art und Weise sanft und charismatisch. Der russische Akzent rollte schwer über seine Lippen: „Sie bekommen 75 Millionen, wie vereinbart, auf ihr Konto überwiesen.“ Damit zog er sein Handy aus der Tasche, um die Transaktion vor ihren Augen abzuschließen.

„Obwohl mir da noch etwas einfällt.“, meinte er leise, das Handy weiterhin erhoben.

Das Tier in Silver schlug Alarm. Ruhig bleiben, ermahnte sie es, du hast Waffen. Du kennst die Männer. Du weißt, wo die Ausgänge sind.

Du hättest dich besser vorbereiten sollen! Großer Fehler!

„Wie meinen Sie?“, fragte sie nach. Die Stimme fest, aber fragend. Mit genug Warnung, um dem Typen klar zu machen, dass er sich besser erklären sollte.

„Ich habe noch etwas zu erledigen.“

Damit flammte die Taschenlampe des Handys auf, direkt in Silvers Augen. Der Kontrast zwischen dem düsteren Laden und dem hellen Licht, ließ Flecken auf ihrer Netzhaut explodieren. Ihre Reflexe waren aber schneller, als ihr verwunderter Gedanke über die Wendung der Situation. Sie zog die Pistole, die hinten in ihrem Gürtel gesteckt hatte, zielte nicht mal, sondern feuerte drei gut abgeschätzte Schüsse auf den Mann. Dabei hechtete sie hinter das nächstbeste Regal. Kein Wimpernschlag später donnerten die MPs los. Die Kugeln schlugen im Boden ein und durchlöcherten die Stelle, an der Silver kurz zuvor noch gestanden hatte. Heftig blinzelnd zog sie sich weiter in den Laden zurück. Es war wieder dunkel geworden. Im Mondschein konnte sie zwischen den Regalbrettern den Chef der Truppe auf dem Boden liegen sehen, das kaputte Handy in seiner Hand, eine Blutlache unter ihm. Die drei anderen setzten sich in Bewegung.

Innerlich fluchte Silver. Ihre Pistole war ein kleines Modell, vier Schüsse, mehr nicht. Eigentlich trug man sie als Ersatzwaffe am Fußgelenk...eigentlich hätte sie nämlich auch gar keine Waffe zu dem Treffen mitnehmen dürfen.

Ein Schuss war übrig.

Gib mir Blut, Blut, Blut!

Ihr Sehvermögen kehrte wieder zurück, aber ihre Ohren waren im Moment schärfer. Zwei Männer näherten sich von rechts, einer von links, waren aber noch nicht bei ihrer Reihe. Sie brauchte nicht viel Zeit um sich zu entscheiden. Herzschlag. Zwischen den beiden Enden lagen nicht mehr als vier Meter. Sie presste sich gegen das Regal, atmete tief durch und hielt die Waffe im Anschlag. Als der Mann –der Zwilling mit dem Ohrring- von links kam, schoss sie ihm in den Kopf, ehe sie herumwirbelte und einem der zwei anderen Angreifer die harte Waffe ins Gesicht schleuderte. Mit zwei Sätzen war sie bei Ihnen und trat dem zweiten die Waffe aus der Hand, die mehrere Meter weg schlidderte. Der andere, erholt von dem Treffer des Wurfgeschosses, schlug mit der Faust nach ihrem Gesicht. Während sie das aber noch abblockte, ging sein Partner mit Knien und Füßen auf ihren Bauchraum los. Den ersten Tritt wehrte sie noch halb ab –er traf stattdessen ihre Rippen- aber der zweite schleuderte sie wehrlos zurück. Mit dem Rücken voran kam sie auf dem harten Boden auf, rollte nach hinten ab und nutze den Schwung um direkt wieder auf die Füße zu kommen und nach vorne zu preschen.

Silver nahm Schmerzen im Kampf anders war, als andere. Schmerzen setzten Kraft in ihrem Kopf frei, besser als Adrenalin...für ihr Tier viel besser als jede Aufputschdroge. Jetzt war es dabei! Und solange es dabei war, ging Silver von den Schmerzen niemals unter...

Der zweite Angriff kam für die Männer etwas zu unerwartet. Mit einem mächtigen Roundhouse Kick traf sie den zweiten Zwilling am Kopf und noch während dieser in die Knie ging, stützte sie sich auf seinem Rücken auf, wirbelte die Beine herum und wollte auch den Fighter treffen, der ihre Beine aber gerade noch mit erhobenen Händen abwehren konnte. Silver wurde wieder zurückgeschleudert, konnte aber den Ersten noch am Kopf packen und den auf den Boden aufknallen lassen. Der Fighter war dann aber auch schon über ihr. Er rammte zwei Fäuste in ihren Magen, ehe sie die Füße anzog und ihn ihrerseits in den Bauch treten konnte. Um einer zweiten Attacke auf seine Weichteile zu entgehen, wich er zurück. Silver kam wieder auf die Füße. Sie zog ein kleines Puma TEC Springmesser. Gut vier Zentimeter mehrfach gehärteter Strahl. Den Griff legte sie als Verlängerung ihres Unterarms in die rechte Hand und machte dann eine Faust, sodass die Klinge zwischen Mittel und Ringfinger hervorstand. Der Mann hatte sich wieder gefunden und seinen Stand soweit stabilisiert, dass Silver ihn nicht mit einem einfachen Tritt von den Füßen holen konnte. Daher wartete sie einfach ab. Tatsächlich kam der Angriff des Mannes Sekunden später. Vielleicht ein wenig unkoordiniert, aber sehr stark. Vermutlich hatte sie sich bereits vorher die Rippen geprellt, aber mehrere Schläge gegen den Kopf könnten sie garantiert ausknocken.

Blut. Blut. Blut.

Silver versuchte nicht, ihr Tier zu ignorieren...es wäre möglich gewesen, aber sie begrüßte es jetzt gerade. Das Tier konnte ihr helfen. Das Tier sah Schwachstellen bei Gegnern, mögliche Hilfsmittel und Tricks besser.

Das Tier sagte ihr was zu tun war.

Als der zweite Angriff erfolgte, wich Silver nicht nach hinten, sondern zur linken Seite aus. So hatte sie den ausgestreckten Schlagarm des Mannes vor ihr und schlug von außen mit der rechten Hand nach dem Gelenk. Mühelos ging die Klinge durch Muskeln und Sehnen und traf in leicht schrägen Winkel den feinen Hohlraum zwischen Speiche und Oberarmknochen. Brüllend zog der Verletzte seinen Arm zurück. Mit einem wilden Schwinger der linken Hand versuchte er noch sie zu erwischen, aber dafür musste er ihr den Oberkörper zudrehen und gab ihr so eine offene Angriffsfläche. Bevor die Faust sie erreichte, hatte sie das Messer viermal in Torso und Hals versenkt. Silver spürte die Kraft an ihrem Kiefer, wie ihr Kopf herumgerissen wurde und sie gegen das Regal prallte, sie hörte aber auch, wie der Mann leblos auf dem Boden aufkam.



Tief sog sie den Sauerstoff in die Lungen. Ihr Gesicht pochte heftig, etwas Warmes floss hinab. Ihre Bauchmuskeln zogen sich immer wieder zusammen, drei Rippen auf der linken Seite schmerzten bei jedem Atemzug. Die Schmerzen waren jetzt, wo das Tier wieder schlief, ein großes Problem...die Schmerzen bedeuteten körperliche Probleme und die zogen Einschränkungen nach sich, die sie in einer ungünstigen Situation umbringen könnten.

Schmerzen waren zu vermeiden.

Silver sammelte ihre Pistole und die vier Patronenhülsen wieder ein, nahm ihren Rucksack auf. Eilig, aber dennoch ordentlich durchwühlte sie die Taschen der Männer, fand aber nichts.

Anschließend durchstöberte sie den schwarzen GMC Terrain. Im Kofferraum fand sie eine große Kühlbox, randvoll mit Konserven voller Erythrozyten-Konzentraten und Blutplasma. Dabei noch eine weiße Tasche mit einem aufgemalten roten Kreuz. Sehr gutes, sehr professionelles Equipment für komplizierte Operationen. Silver nahm einige Kleinigkeiten mit. Neben der Kiste lagen einige Sturmgewehre, einige MP Modelle und Pistolen. „Wow.“, sie pfiff anerkennend durch die Zähne und nahm zwei Pistolen und eine MP mit sich. Die Waffen der russischen Mafia waren immer sauber und nicht zurück zu verfolgen...perfekt. Üblicherweise zahlte sie für diese drei Waffen auf dem Schwarzmarkt durchaus dreißigtausend Dollar. Das Auto lenkte sie neben die Tankstelle. Diese zündete sie dann ganz klassisch an. Feuer war immer hilfreich.



Auf dem Weg zurück zum Motel fing ihre Seite immer mehr an zu schmerzen, ein Stechen breitete sich in ihrem Kopf aus. Beißend und brennend von dem Hinterkopf aus. Ihren Kiefer fühlte sie schon anschwellen und das Blut trocknete an ihrem Hals.

Am Motel stieg Silver aus. Die Muskeln in ihrem Bauchraum zogen sich zusammen, als sie die ersten Schritte ging. Eine Hand presste sie gegen die Verletzung, mit der anderen schloss sie das Auto ab und öffnete wenig später die Moteltür. Tief durchatmend verriegelte sie die Tür hinter sich, ließ die nun deutlich schwerere Reisetasche fallen und ihren Rucksack gleich hinterher. Ein Ächzen.

Sie zog sich die Jacke aus, darunter kam ein graues Oberteil zum Vorschein. Vorsichtig, aber vor allem langsam zog sie sich das Shirt aus.

Im Bereich ihrer fünften und sechsten Rippe auf der linken Seite war der Bluterguss besonders dunkel. Der Fleck auf der rechten Seite des Brustkorbes war ein wenig heller. Beide kamen von Schlägen mit Fäusten. Das Hämatom an ihrem Solar Plexus rührte von einem Knie her. Die Verletzung auf Höhe der Niere von einer weiteren Faust.

Mit einer Hand griff sie nach hinten und öffnete den Verschluss ihres BHs. Sie trat sich die Schuhe von den Füßen, anschließend zog sie sich die Hose aus. Der Slip folgte. Sie ließ heißes Wasser in die Badewanne ein und holte dann ihre Reisetasche aus dem anderen Zimmer. Das Erste-Hilfe-Set beinhaltete auch Salben gegen Schwellungen und Kühlpacks. Sie legte es neben den sauberen Klamotten und einigen Kosmetikartikeln auf der Kommode bereit.

Langsam ließ sie sich in das heiße Wasser gleiten. Ihre Haut prickelte unangenehm. Minuten später breiteten sich rötlich-braune Schlieren im Wasser aus. Mit einem kleinen Waschlappen wusch sie sich. Fünfzehn Minuten später kletterte sie wieder aus der Wanne und trocknete sie sich mit dem harten Handtuch, das ihr vom Motel zur Verfügung gestellt worden war, ab.

Zuerst trug Silver die Salbe auf und wartete, bis die eingetrocknet war. Dann drückte sie sich die Kühlpacks auf das Hämatom und befestigte sie provisorisch mit den Mullbinden. Frische Unterwäsche, schwarze Jeans und Mustangstiefel. Sich in den BH zu zwängen war aber doch schon etwas schwieriger. Mit einer Hand presste sie das Kühlpack gegen den Kiefer, mit der anderen verstaute sie eine SIG Sauer P320 mit einem montierten Laiserlichtmodul im Bund ihrer Hose. Eine Taschenpistole wanderte in den Holster an ihrem Fußknöchel. Sie verstaute auch zwei weitere Messer an ihrem Körper, sowie einen Teleskopschlagstock neben dem Holster am Rücken.

Aus ihrer Tasche holte sie zwei Tafeln Schokoladen. Kalorien waren jetzt das wichtigste.



In der Badewanne hatte sie etwas nachgedacht; Normalerweise war die russische Mafia dafür bekannt, keine Probleme zu machen, immer zu zahlen und nie jemanden zu verpfeifen. Dass nun dieser Mordanschlag auf sie verübt werden sollte, war im höchsten Maße verwunderlich...besorgniserregend.

Die Mafia hatte ihr 75 Millionen zahlen wollen, um den russischen Präsidenten tot zu sehen. Nach der üblichen Abschätzung von Ideologie, Patriotismus, Wille und Nationalismus erschien es Silver am wahrscheinlichsten, dass man ihnen mindestens 250 Millionen andrehen musste. Auch wenn Silver bereits vieles getan hat, soviel wäre sie sicherlich nicht wert...jedenfalls konnte sie sich das nicht vorstellen.

Vor dem russischen Präsidenten waren da hochrangige Firmeninhaber aus Europa, Saudi-Arabien und Ostasien gewesen. Manchmal auch Waffenhändler, Schmuggler, Promis, die Nachkommen von Diplomaten und so weiter und so fort...in ihrem ganzen Leben hat sie vielleicht 15 Regierungspersonen getötet. Zwei Präsidenten, der ganze Rest saß irgendwo in den unteren Reihen, hatten wohl aber eine Bedeutung für irgendwen.

Der Knackpunkt an der ganzen Sache war offensichtlich, dass der Tod des Präsidenten irgendwem eine viertel Milliarde oder mehr wert war. Und Silvers Tod, nicht vergessen.

Warum wollte man ihren Tod?

In den allermeisten Fällen war ein lebender Sündenbock besser, als ein Toter.

Silver musste sich dazu zwingen, aufzuhören zu grübeln. Eine der wichtigsten Regeln: Mach dich nicht unnötig verrückt, erst recht nicht, wenn man noch lange nicht alle Fakten kennt. Aber einfach damit aufzuhören war nicht so einfach...nicht, wenn man üblicherweise viel nachdenkt um überhaupt am Leben zu bleiben. Ihr ganzes bisheriges Leben hat sich überstanden, weil sie Situationen nach Risiken abwägen konnte.

Ihr war zwar noch nie direkt der Gedanke gekommen, aufzuhören in diesem Job tätig zu sein...aber jetzt gerade schob er sich unaufhaltsam an die Oberfläche. Geld genug hatte sie; Millionen verteilt auf Konten auf der ganzen Welt, nicht auffindbar, versteckt hinter Synonymen und Tarnfirmen. Ihre Identität war ein Schatten. Es würde sie nur wenig kosten einen Pass mit sauberem Hintergrund zu bekommen. Unwirsch schüttelte sie den Kopf.

Nein, sie war nicht bereit hinzuschmeißen, nur weil es einmal brenzlig wurde. Und sie hatte schon deutlich schlimmere Situationen überwunden.

Das war ja nur die russische Mafia.

Praktisch kein Problem.



Als die Kühlpacks allmählich ihre Wirkung verloren, trug sie nochmal etwas Salbe auf, befestigte den Verband und zog sich endlich ein Shirt an, darüber eine einfach dunkelbraune Jacke. Mit etwas Makeup deckte sie die Verletzungen im Gesicht ab, ehe sie sich eine dünne Nase und hohe Wangenknochen schminkte. Die neue Perücke war hellbraun und leicht wellig, die Kontaktlinsen in der gleichen Farbe. Die Schlüssel zu dem Motelzimmer warf sie bei dem Büro in den Briefkasten, dann setzte sie sich in das Auto und fuhr Richtung Nord-West los.







KAPITEL 2



Now there once was a man


Who was tall and handsome


The best shot in the land


Not to mention good at dancing


A hit with the ladies


A heartthrob with the daughters


Cool with the guys


Regular roy rogers


He was a man of this world


And he did what he said


That is, until an outlaw shot him dead.




22.05.2018  7:31Uhr

Washington D.C., Barney Circle

Das Handy klingelte...und hörte einfach nicht damit auf.

Special Agent Stephen Moore tastete blind nach dem Gerät, drückte den grünen Hörer und hielt es gegen sein Ohr: „Was?“

„Morgen Boss.“, erklang die Stimme seines jüngeren Partners: „Wir haben einen Fall.“

„Verdammt, wollen Sie mich verarschen?! Ich habe frei und es ist mitten in der Nacht.“

„Es ist halb acht, Sir.“, war die trockene Erwiderung: „Und wegen Ihrem Urlaub...den können Sie garantiert irgendwann nachholen, aber der russische Präsident ist tot.“

Moore saß kerzengerade in seinem Bett. „Was?“ Irgendwie hatte er das Gefühl sich zu widerholen.

Die ganze Stadt lief schon seit zwei Wochen Amok, weil der russische Präsident zu Besuch war: verstärkte Sicherheit am Flughafen und in der Umgebung des Hotels. Polizei auf Abruf. Wagenkolonnen zu allen Terminen. Straßensperren.

Im Büro klingelte praktisch ununterbrochen das Telefon

Und jetzt war er tot.

Scheiße.

„So sieht es aus. Der FBI Direktor hat persönlich bei uns im Büro angerufen und nach dir verlangt, weil du der Beste bist...“

„Wo soll ich hinkommen?“

„JW Marriott Hotel...direkt neben dem Weißen Haus.“

Moore dachte sich, dass das nicht ernst gemeint sein kann.



30 Minuten später erkannte er, doch das war ernst gemeint.

Er parkte sein Auto auf der gesperrten Straße, nahm den Kaffeebecher aus der Halterung und machte sich auf zu dem Eingang des Hotels. Dem Polizeibeamten musste er nicht mal seine FBI-Marke vorzeigen. Am Fahrstuhl in der fünften Etage erwartete ihn sein Partner Alexander Young, überheblich grinsend. „Ich glaube, wir können gleich schon wieder nach Hause gehen.“, meinte er nach der kurzen Begrüßung: „Es scheint wohl so, als sei er im Badezimmer ausgerutscht und hat sich das Genick gebrochen...ein wenig erniedrigend für einen Präsidenten.“ Moore strafte ihn mit einem stechenden Blick: „Was wissen wir über ihn?“

„Mischa Bogdanow, russischer Präsident, verfolgte eine Annäherungsstrategie mit dem Westen. Allerdings war bekannt, dass er persönlich mit dem amerikanischen Präsidenten nicht gut konnte.“

Moore nickte zustimmend. Als sie den Gang entlang gingen und sich von einem Forensiker Schuhüberzieher und Handschuhe geben ließen, fielen dem Ermittler zwei Männern auf, die etwas abseits standen und murmelnd ihre Köpfe zusammen steckten.

„Wer sind die?“, wollte er wissen.

„Die sind von der russischen Botschaft, Strafverfolgungsbehörde.“

„Werden sie Ärger machen?“

„Nach eigenen Aussagen nicht, solange wir unseren Job vernünftig machen.“, murmelte Young. Moore spürte die Angst in seiner Stimme: „Sagen Sie jetzt nicht, dass die Sie eingeschüchtert haben?“

„Irgendwo schon.“

Moore rollte mit den Augen, er war eindeutig noch nicht wach genug. Den inzwischen leeren Kaffeebecher stopfte er sich in die Manteltasche. Dann betrat er die Suite. Edle und großzügige Ausstattung. Eine Ledercouch und ein riesiger Fernseher begrüßten ihn. Im Hintergrund hing ein Gemälde an der Wand, das Moore nach einem kurzen abschätzenden Blick auf dreißigtausend Dollar kalkulierte. Das Schlafzimmer war mit einem Kingsize Bett und begehbaren Kleiderschrank ausgestattet. Alles zusammen kostete garantiert mehr, als er im Jahr verdiente. Das wirklich spannende wartete aber im Badezimmer auf ihn.

Die Leiche lag noch genau dort, wo sie gefunden worden war. Das Blut hatte sich über den Sockel der Badewanne auf den Fliesen ausgebreitet. Auf den ersten Blick sah alles nach einem Unfall aus...bis Moores Blick auf das Gitter fiel, das abgeschraubt unter dem Schacht an der Wand lehnte. Er runzelte die Stirn.

„Was war die Todesursache?“, fragte er den Gerichtsmediziner. Der ältere Mann mit der großen Brille antwortete, noch über den Körper gebeugt: „Ein stumpfes Trauma. Aktuell sieht alles danach aus, dass er auf den Fliesen ausgerutscht und sich den Kopf an der Stufe aufgeschlagen hat.“

„Wie lange ist er tot?“

„Laut der Lebertemperatur seit etwa dreizehn bis fünfzehn Stunden. Die Leichenstarre spricht ebenfalls dafür.“

„Vor dreizehneinhalb Stunden haben seine Berater ihn noch gesehen.“, informierte Young nach einem Blick in sein Notizbuch. Moore rechnete zurück: „Also ist er zwischen 18:30Uhr und 20Uhr verstorben?“ Young nickte. „Okay gut.“, Moore fuhr sich über das Gesicht; seine Lider waren unendlich schwer, er ließ seinen verspannten Nacken knacken.



Vor dem Hotelzimmer nahm er seinen Partner zur Seite: „Kommt Ihnen hieran etwas merkwürdig vor?“ Young musterte ihn einige Sekunden lang, zuckte dann mit den Schulter: „Nein, eigentlich nicht.“ Moore stöhnte leise auf: „Ich verzeihe Ihnen, weil sie erst seit vier Monaten aus der Ausbildung sind, aber ist Ihnen das Gitter aufgefallen?“

„Ähm...klar.“

„Und wonach sieht der Tod für Sie aus?“

„Einen Unfall, oder nicht?“, Young kaute auf seiner Lippe herum, während er überlegte. Dann traf ihn die Erkenntnis: „Oh mein Gott...das war ein Mord, oder nicht?“ Gleich darauf verschwand die Begeisterung aber wieder und er fügte hinzu: „Oder die Schrauben haben sich gelöst und das Gitter ist heruntergefallen...“ Moore rollte mit den Augen.

„Sie hatten es fast. Ihr Problem ist, Sie sehen gerne die Erklärung, die wenig Arbeit bereitet...das ist nicht gut. Wäre das Gitter aufgrund von Materialermüdung heruntergefallen, würde es nicht einfach so an der Wand lehnen. Es ist also jemand in das Zimmer eingestiegen, hat den Präsidenten ermordet und ist wieder abgehauen...durch den Lüftungsschacht.“

„Wow...“, murmelte Young leise, sein Blick huschte hinüber zu den russischen Ermittlern: „Jetzt werden die einen Streit wegen der Zuständigkeit anfangen...und falls wir den gewinnen, stehen wir unter massivem Druck.“

„Und der Tod des Mannes belastet Sie nicht?“

„Ich habe schlimmeres gesehen in meinem Leben...“



Die Auseinandersetzung war schnell beigelegt. Moores Vorgesetzter machte dem russischen Botschafter klar, dass der Mord auf amerikanischem Staatsgebiet verübt worden war und die Zuständigkeit damit bei den amerikanischen Behörden lag. Er versicherte den Ermittlern aber, dass sie über alle Erkenntnisse und die nächsten Schritte unterrichtet werden.

Die Familie des toten Präsidenten war drüben auf dem Kontinent geblieben, eine Befragung wäre erst gegen den späten Abend möglich. Also verbrachten die beiden FBI Agenten den Tag damit, die Angestellten des Präsidenten zu befragen.



„Hallo Mr. Wolkow...bitte nehmen Sie Platz.“, Moore deutete auf den Stuhl am Tisch gegenüber. Sie hatten einen kleinen Konferenzraum in der dritten Etage des Gebäudes ergattern können. Hinter Wolkow konnte man halbwegs gut die Stadt Washington sehen, bis die nächsten Gebäude das Sichtfeld stark beschnitten. Moore klappte eine dünne Akte auf: „Sie sind also seit über vier Jahren der Sicherheitsberater des Präsidenten.“

„Ja.“, Wolkows Stimme war überraschend melodisch für einen Mann dieser Statur, viel sagte er allerdings nicht.

„Und Sie haben angegeben, ihn vermutlich das letzte Mal lebend gesehen zu haben.“

„Ja.“

„Können Sie die Umstände genauer erläutern?“

Ein Seufzen von dem Russen: „Wir haben den Präsidenten auf seine Suite begleitet und noch kurz über die Route gesprochen, die wir heute zum Capitol nehmen wollten. Der Präsident wollte ganz genau über mögliche Gefahren informiert werden.“

„Mit ‚wir‘ meinen Sie sich und Ihren Assistent...?“, Moore warf einen zweiten Blick in die Akte: „Pietro Sacharow?“

„Ja.“

„Okay...gab es denn mögliche Gefahren?“

Wolkow legte den Kopf schief: „Eine Straße ist nur zweispurig, aber die Polizei hatte zugesagt sie gänzlich zu sperren...“ Sein schwerer russischer Akzent kam bei ganzen Sätzen schon mehr durch.

„Ist es für den Präsidenten ungewöhnlich, sich genauer nach solchen Gefahren zu erkundigen?“

„Nein.“

„Mit anderen Worten...wirkte er nervöser als sonst? Ängstlicher? Hatte er Drohbriefe erhalten?“

„Der russische Präsident erhält jeden Tag über 200 Drohbriefe.“, war Wolkows einziger Kommentar.

Schweigend musterten sich die beiden Männer. Schließlich ergriff überraschenderweise Wolkow das Wort: „Ich weiß, dass Sie das fragen müssen...aber es war alles wie immer. Er hat auch über nichts mit mir gesprochen, was Ihnen weiterhelfen könnte.“ Moore verkniff sich den Kommentar, dass er das gerne selber entscheiden würde und entließ Wolkow aus der doch recht kurzen Unterhaltung.



Sacharow bestätigte die Geschichte, ihm war auch nichts aufgefallen. Weder auf der Reise, noch im Hotelzimmer. Dann bestellte er Anne Marchand in den Konferenzraum. Die junge Französin war laut eigenen Angaben mit sechs Jahren nach Russland gezogen, weil ihr Vater in St. Petersburg einen Job angenommen hatte. Sie war die Leiterin der Pressestelle.

Freundlich lächelte sie Moore an, als sie den Raum betrat. Er deutete auf den gleichen Stuhl auf dem zuvor auch die beiden anderen gesessen hatten.

„Sie sind Anne Marchand? Leiterin der Pressestelle?“

„Das stimmt ja.“

Ihr Akzent war ein wenig merkwürdig, ihr Englisch aber ansonsten perfekt. Die Stimme war hell und klar, schön zuzuhören. Ihre ganze Erscheinung war darauf ausgelegt. Lange blonde Haare, die leicht gewellt über ihre rechte Schulter fielen, ein Hosenanzug der die feine Linie zwischen professionell und aufreizend-hübsch nicht überschritt. Blaue volle Augen und ihre roten Lippen glänzten von einem Pflegestift leicht feucht. Sie war garantiert nicht älter als Mitte zwanzig.

„Wie lange haben Sie diese Stelle schon inne?“

„Noch nicht sehr lange. Ungefähr 5 Wochen...“

„Was ist mit Ihrer Vorgängerin passiert?“

„Der Präsident hat sie gefeuert...den Grund kennt keiner.“, Marchands Blick senkte sich auf die Tischplatte. Darunter begann sie, nervös ihre Finger zu kneten. Gerade als Moore nachhacken wollte, fügte sie hinzu: „Aber hinter vorgehaltener Hand tuscheln alle...sie war Mitte dreißig und wenn in Russland eins hochgehalten wird, dann Geld und junges Aussehen. Erst recht bei Personen, die die Meinung des Kremls im Fernsehen vertreten.“

„Man hat sie gefeuert, weil sie zu alt war?“

Marchand nickte verhalten.

Moore besann sich wieder darauf zum eigentlichen Thema zurückzukommen: „Wie haben Sie sich mit Ihrem Chef verstanden?“ Marchand schien abzuwägen, wie viel sie sagen konnte: „Ich glaube, niemand ist besonders gut mit ihm ausgekommen...vielleicht noch seine Tochter, aber bei der Ehefrau hört es auch schon auf. Er hat viel geschrien.“ Ihre Stimme brach und sie warf einen vorsichtigen Blick durch die Glastür hinaus in das Großraumbüro, in dem Wolkow und Sacharow bei den Aufzügen warteten: „Aber dass wissen Sie nicht von mir...und es sollte niemand anderes erfahren. Der Job ist mir wichtig!“

Moore nickte verständnisvoll, machte sich aber einige Notizen.

„Wann haben Sie ihn das letzte Mal lebendig gesehen?“

„Gegen 18:30Uhr. Ich war noch dabei, als er auf sein Zimmer gegangen ist. Er hat sich noch über einen Tippfehler in einem Statement beschwert, dass gestern Abend im russischen Fernsehen vorgelesen wurde...ich habe vor seinen Sicherheitsberatern das Zimmer verlassen.“



Es folgten noch weitere Fragen an sie, seinen Berater für die westliche Welt, den Minister für Wirtschaft und einigen weiteren Personen. Dabei kam aber nichts wirklich Verwertbares raus, keiner erinnerte sich an irgendetwas Merkwürdiges. Der Präsident hat nicht so ausgesehen, als würde er sich um etwas Sorgen machen und sonst hat auch niemand etwas mitbekommen. Nicht mal die zwei Wachposten vor der Zimmertür. Es war zum Verzweifeln.

Nach einem achtstündigen Befragungsmarathon ließ sich Moore auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Die Akten und Notizzettel warf er unmotiviert von sich. Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihm, dass es inzwischen beinah halb sieben war. Er hatte Hunger.

„Was ist mit dem Obduktionsbericht?“, wollte er von Young wissen.

„Dauert noch mindestens bis morgen Mittag.“

Moore stieß ein Seufzen aus: „Können die das nicht beschleunigen?“

„Die haben dem Fall schon höchste Priorität eingeräumt, aber bestimmte Tests dauern halt ihre Zeit.“, erklärte Young von seinem Platz aus. Moore rollte mit den Augen: „Das war eine rhetorische Frage. Ich weiß, wie lange so etwas dauert.“ Er erhob sich aus dem unbequemen Stuhl: „Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber solange wir keine neuen Informationen haben, können wir auch nicht weiter machen. Ich schlage vor, wir gehen nach Hause und sehen uns Morgen um acht Uhr wieder hier?“

Young nickte.



Am wohlsten fühlte Moore sich immer zuhause. Auch wenn er nie ein Stubenhocker gewesen war, nach einer Party in seiner Jungend oder einem harten Arbeitstag freute er sich auf seine vier Wände, etwas Gutes zu essen, ein Glas Wein und ein gutes Buch. Aktuell las er wieder Die Grüne Wiese von H.P Lovecraft. Manchmal kam er sich wie ein Snob vor.

Ein bald pensionierter Snob. Moore rümpfte die Nase über sich selbst, als in dem Eingangsflur in den Spiegel blickte. Seine Haare waren inzwischen schon mehr grau, als blond. Tränensäcke begannen sich unter seinen Augen zu bilden, die Haut bekam tiefe Falten. Vor einigen Wochen hatte er auch bemerkt, wie die Hosen allmählich doch etwas eng wurden. Eiligst hatte er daraufhin seine Ernährung umgestellt und konnte nun immerhin behaupten, nur etwa fünf Kilogramm zugenommen zu haben...aber er wurde alt.

Er kochte sich das peruanische Gericht Ceviche und öffnete sich dazu eine Flasche Cuvée Solidus. Später am Abend schlief er über die Entdeckung der Stadt Stethelos ein.



23.05.2018  8:26Uhr

Washington D:C. FBI Headquarter

Am nächsten Tag kam Young ungefähr eine halbe Stunde zu spät ins Büro. Moore strafte ihn mit einem seiner frostigen Blicke, als er den frischen Knutschfleck am Rand seines Kragens bemerkte: „Nächste Mal sollten Sie ihre Clubbesuche auf einen Abend verlegen nach dem sie frei haben.“

„Wer sagt denn, dass ich keine Freundin habe?“, wollte Young grinsend wissen.

„Sie hatten noch nie eine...und so schnell wird sich das auch nicht ändern...“, murmelte Moore nur, den Blick auf seine Unterlagen gerichtet. Young gab dazu keine Antwort mehr.



Gegen zwölf Uhr kam auch endlich der Bericht aus der Gerichtsmedizin und dem Labor. Der Tod war, wie erwartet, durch ein stumpfes Trauma herbeigeführt worden. Massive Verletzungen der Nerven des Rückenmarks. Allerdings konnte Fremdeinwirkung nicht ausgeschlossen werden, da Verletzungen durch Stürze gerne denen durch Schläge ähnelten, obwohl hier deutliche Abdrücke im Gewebe gefunden wurden, die auf das Fliesenmuster auf dem Boden schließen ließen. Der Zeitraum des Todes konnte jetzt genauer auf 18:30Uhr und 19:30Uhr festgelegt werden.

Die Forensiker hatten außerdem ein blondes Haar auf der Leiche gefunden, allerdings ohne Wurzel, sodass keine DNA bestimmt werden konnte.

„Das ist absolut kein Beweis.“, fluchte Young: „Das Haar kann überall herkommen...“

Moore stimmte murmelnd zu, klappte die Akten wieder zu: „Ich habe absolut keine Ahnung, wie wir weiter vorgehen sollen.“ „Wenn Sie das schon sagen haben wir ein Problem.“, brummte Young.



„Ich kann Ihnen vielleicht noch weiterhelfen.“, erklang eine Stimme hinter ihnen. Eine dunkelhäutige Frau mit krausigen Haaren, die durch ein Bandana gebändigt wurden. Sie trug einen weißen Laborkittel, hatte eine Akte unter den Arm geklemmt und sah offen zu den beiden Männern hinüber. Das kleine Schild an ihrem Kittel sagte aus, dass sie Mugisa hieß.

„Dann bin ich gespannt.“, meinte Moore. „Dr. Hook hat einen Fingerabdruck gefunden, auf dem rechten Augenlid des Toten. Den abzunehmen wird aber ein Problem...ich langweile Sie nicht mit den chemischen Einzelheiten. Die Chance, dass wir den ganzen Abdruck bekommen liegt bei 18 Prozent, für einen Teilabdruck immerhin 25 Prozent.“

„Das ist eine beschissene Möglichkeit.“, Young fuhr sich über die Augen, strich sich eine Strähne des langen schwarzen Haares aus der Stirn. „Aber die einzige, die wir haben.“, erwiderte Moore leise: „Geben Sie mir dieses merkwürdige Formular, das ich garantiert unterschreiben muss.“ Grinsend reichte Mugisa ihm das Blatt Papier.



16:22Uhr

Am späten Nachmittag hatten sie die Ergebnisse, 70 Prozent eines Abdruckes. Für eine Verwendung vor Gericht nicht als alleiniger Beweis nutzbar, aber als Indiz reichte er aus.

„Die Forensik hat ihn schon ins System eingescannt, aber das dauert noch mindestens vier Stunden, bis die einen Treffer haben.“, rezitierte Young die Akte. Dann stürzte er die Lippen: „Mist.“

„Ich habe das miese Gefühl, dass wir keinen Schritt weiterkommen.“, Moore klickte nervös mit dem Kugelschreiber herum.

Das aufgestellte Whiteboard war noch nicht ansatzweise vollgeschrieben; gerade mal Name des Opfers, einige Fakten und die ungenaue Todesursache. Einige Fotos des Stabs hingen daneben. Mit dem Laiserpointer deutete er auf das Foto von Wolkow. „Von ihm bekommen wir noch eine Liste von allen Feinden des Präsidenten.“

„Die ist vermutlich zwanzig Meter lang.“

„Das können wir mal versuchen, aber das wird höchstwahrscheinlich in einer Sackgasse enden.“

„Aber...und ich wiederhole mich, wir haben keine andere Möglichkeit.“



„Überlegen wir mal.“, Moore erhob sich von seinem Stuhl. Er fing damit an, die Tische zu umrunden. Er hielt die Arme vor dem Körper verschränkt. Ab und zu murmelte er etwas, kniff die Augen zusammen, runzelte die Stirn und schüttelte anschließend den Kopf. Young betrachtete ihn ganz entspannt von seinem Platz aus. Nach der dreizehnten und ein bisschen mehr Runde blieb er ganz abrupt stehen. Sein Mund öffnete sich zu einem überraschten O, dann grinste er: „Welche Arten von Morden kennen Sie?“ Sein Partner musste nicht lange überlegen: „Aus Leidenschaft, wegen Geld, politisch oder religiös oder wirtschaftlich motiviert.“ Moore nickte ihm bestätigend zu. Dann kam die nächste Frage.

„Und wenn Sie den Präsidenten tot sehen wollen?“

Young räusperte sich, sah kurz zu den Kameras an der Decke hinauf und sagte dann: „Also zuerst möchte ich klar stellen, dass ich so etwas niemals machen würde! Aber wenn ich mir das so überlege, dann würde das garantiert nicht selber machen...sondern jemanden beauftragen.“ Ein Ausdruck von Erkenntnis flutete sein Gesicht: „Wir haben entweder eine Organisation oder eine Einzelperson, die einen terroristischen Akt durchgeführt hat oder einen Racheakt oder einen Auftragsmord aus noch unbekannten Gründen.

„Für die ersten zwei Gründe müssen wir uns wieder mit den Feinden beschäftigen. Bei dem dritten können wir ein wenig tricksen.“, Young wandte sich seinem Computer zu: „Ich schränke die Suche nach dem Fingerabdruck auf bekannte Auftragskiller ein. Das geht deutlich schneller.“



Zwanzig Minuten später hatten sie die Antwort. Der Besitzer des Fingerabdrucks konnte nicht gefunden werden. Moore war in der Zeit in die Cafeteria verschwunden, um sich einen Kaffee zu holen. Der junge FBI Agent überlegte nicht lange und ließ sich eine Liste von all dem Killern geben, die zwar bekannt waren, zu denen es aber keine Fingerabdrücke gab. Etwas deprimiert stieß er ein Ächzen aus. Immer noch über 55 Personen.

Dennoch begann er damit die Liste durchzugehen. Als Moore wenig später wieder im Büro war, setzte er sich an die Feinde des Präsidenten, die ihnen inzwischen von dem Büro aus Moskau zugeschickt worden war. Dabei kam wie zu erwarten nichts wirklich raus. Young konnte die Liste der unbekannten Auftragskiller soweit verkleinern, dass es nur noch 33 waren...immer noch zu viel.

„Wie weit sind Sie?“, fragte Moore, während er einen Blick über Youngs Schulter auf den Computerbildschirm warf.

„Es gab keinen Treffer für die Fingerabdrücke, also habe ich mir die bekannten Killer gesucht und versuche die Anzahl zu reduzieren. Ich habe bisher die, die nicht über die Möglichkeiten verfügen oder in dieser finanziellen Liga spielen, aussortiert. Bin aber immer noch bei 33.“

Moore runzelte die Stirn. Einige Minuten lang schwieg er, dann meinte er: „Ich telefoniere mal.“



15 Minuten später stand ein Mann aus dem benachbarten FBI Gebäude bei ihnen im Büro. „Special Agent Emilio Perez, Abteilung für freiberufliche Straftäter.“, stellte er sich vor und schüttelte dann Young und Moore die Hand.

Der jüngste Agent konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen: „Es gibt so eine Abteilung tatsächlich?“ „Ich würde Ihnen sehr gerne alles ausführlich darlegen, aber leider haben Sie dazu nicht die passende Geheimhaltungsstufe.“, war sein spöttischer Kommentar, eher er ihm zuzwinkerte und sich an Moore wandte. „Ich vermute mal, Sie sind der clevere von Ihnen beiden.“

„Natürlich doch.“

„Warum bin ich hier?“, fragte er, während er einen Stuhl von einem leeren Schreibtisch zu sich hinüber zog und darauf niederließ. Moore klärte ihn über die Situation auf und endete mit einem: „Mir war bekannt, dass Sie der Experte für Auftragskiller sind...und ich wollte Sie um Mithilfe bitten.“

Ein schmales Lächeln: „Ich helfe wo ich kann.“

Perez besah sich die Liste der Killer und nickte dann: „Ich kenne diese Liste...obwohl Sie sie gekürzt haben. Soweit ich das abschätzen kann, haben Sie die richtigen Personen gestrichen. Kann ich die forensischen Berichte sehen?“ Er blätterte mehrmals oberflächlich durch die Akten, besah sich die Fotos wenige Sekunden lang und stieß dann ein Seufzen aus: „Ich sehe meine Idee bestätigt...“ Er verlangte einen Stift und machte sich einige Notizen. Moore lehnte sich ein wenig mehr zu ihm hinüber.

„Das Problem ist, über viele dieser Personen wissen wir nur wenig. Aber über einige kann ich sagen, dass sie solche Anschläge nicht verüben würden. Damit können wir die Liste auf ungefähr 11 drücken.“, murmelte er leise. Er kaute auf seiner Unterlippe herum. Der Anflug eines sarkastischen Grinsens machte sich auf seinem Gesicht breit: „Kennen Sie sie?“ Er deutete auf einen Namen auf der Liste. Silver. „Wer ist das?“, fragte Young mit angespannter Stimme. Er warf einen Blick in die Akte. Mehr als der Name stand dort nicht.

„Sie ist die beste von allen, die uns bekannt ist.“, kurz verstummte er: „Wenn Sie mich fragen, ist sie wahrscheinlich die Beste überhaupt...“ Als er nicht weitererzählte, forderte Moore ihn dazu auf: „Nun erzählen sie schon.“

„Ich hatte mal einen Killer festgenommen, der wegen zwanzigfachen Mordes und mehrfacher Entführung zum Tode verurteilt worden war. Kurz bevor er die Spritze bekommen hat, hat er mir viel erzählt. Unter anderem auch, dass er mal mit einer Frau in Südafrika war. Neben einigen unwichtigen Morden sollten sie eine Bombe vor der französischen Botschaft detonieren lassen. Sie weigerte sich damals Zivilisten zu töten. Die drei Männer, die sie zwingen sollten, hat sie umgebracht. Am nächsten Tag konnte die ganze terroristische Organisation von der Polizei hochgenommen werden, weil sie der Polizei massenweise Daten geschickt hat. Das heißt nicht, dass sie weich ist...sie ist eiskalt, rational, ein absoluter Profi, aber sie hat einen Ehrenkodex.“

„Gehören Morde an Staatsoberhäuptern mit dazu?“

Perez lachte leise: „Sicher nicht.“

Moore nickte wissend: „Also wäre es möglich, dass sie den Anschlag verübt hat.“

„Sicher...die anderen zehn aber auch.“

„Das ist doch alles...“, Young verkniff sich ein Kommentar, aber die hervortretende Kiefermuskulatur sprach für sich. Wenige Augenblicke später fragte Moore nach: „Wieso steht in ihrer Akte nicht mehr als ihr Name und eine...Kontaktperson?“ Perez grinste wissend, zwinkerte dann: „Alles was wir in unserem System an Informationen über sie einspeisen, wird direkt wieder gelöscht. Unsere Spezialisten sind noch nicht dahinter gekommen, aber sie schafft es irgendwie alles zu löschen. Das einzige was bleibt ist ihr Name...wir wissen nicht, wie alt sie ist, wie groß, wo sie gerade ist, welche Aufträge sie durchgeführt hat, welche Identitäten sie hat...sowas halt.“

Moore stieß ein lautloses Stöhnen aus...wow. Keine Spuren, keine Anhaltspunkte, gar nichts.







KAPITEL 3



Yeah, don't you bring me nothing stupid


If you don't want me to lose it


Step back if you don't want me to attack


I'm a beast, better give me the deuces


I have no tolerance for nonsense, get away from me




21.05.2018  22:38Uhr

Dun Loring

Silvers erster Halt war ein Gebrauchtwagenhändler in der nächst größeren Stadt. Um kurz nach halb elf stellte sie den Wagen unweit von dem Gelände ab, schlich sich an den Zaun und entfernte das Kabel aus der einzigen Überwachungskamera auf dem ganzen Platz. Dann knackte sie das Schloss und fuhr ihren Impala in die hinterste Ecke. Die Nummernschilder schraubte sie ab und ließ sie in einem großen Container mit tausenden anderen verschwinden. Es dauerte knapp zehn Minuten bis sie ein neues Paar fand und diese an einem neuen Auto anbrachte. Ein VW Golf GTI. Sie verstaute die zwei Taschen in dem neuen Auto und lenkte es dann von dem Platz...allerdings nicht, ohne zuvor die gesamte Überwachungsanlage und alle Aufzeichnungen zu zerstören, ein paar Scheiben einzuschlagen und etwas Sprühfarbe zu verteilen. Das wenige Wechselgeld (insgesamt keine 400 Dollar in Scheinen) nahm sie auch noch mit. Das Kabel der Kamera steckte sie wieder ein.



22.05.2018  0:04Uhr

Hagerstown

Von ihrem aktuellen Standort nach Hagerstown zu fahren dauerte es knapp über eine Stunde...zuvor hielt sie aber bei einer Tankstelle. Der Tank war auf dem Gebrauchtwagengelände leer gewesen, sie hatte die restlichen Liter aus dem Impala einfach umgefüllt. Sie tankte etwas über 45 Liter, suchte sich aus den Regalen noch etwas zu Essen und zu Trinken und zahlte über 50 Dollar. Der Typ hinter der Theke sah sie nicht mal richtig an, nickte nur kurz zum Abschied.

Über die Interstate 66 und 81 fuhr sie in die Stadt, in der sie jemanden treffen wollte. Treffen musste. Um ziemlich genau zwölf Uhr nachts stellte sie ihr Fahrzeug vor einem Herrenhaus außerhalb von Hagerstown ab. In jede Himmelsrichtung war kilometerweit niemand anderes. Keine anderen Häuser, nur eine Straße und erst recht keine Menschen mitten in der Nacht.

Ohne eingeschaltetes Licht ließ sie das Auto auf den Platz vor dem ehemaligen Gutshof rollen. Bis vor wenigen Jahren lebten auf den umliegenden Feldern noch Rinder, aber der Besitzer der Tiere war verstorben und so waren sie verkauft worden.

Das Haus war nicht sonderlich hoch, dafür aber mit zwei Flügeln sehr in die Breite gezogen. Der rote Backstein verströmte eine zurückhaltende Eleganz. Die Giebel und Fensterbekrönungen waren reich verziert. Die Veranda wurde von zwei großen Löwen flankiert, die sich auf ihre Hinterpfoten erhoben und den Maul zu einem Brüllen geöffnet hatten. Aus Erfahrung wusste Silver, das das Haus im Inneren vor Deckenmalereien, teure Gemälde und Skulpturen nur so strotzte.

Vor dem Stall, der etwas abseits des Hauses stand, stellte sie ihr Auto ab. Gespannt starrte sie durch die Windschutzscheibe zu dem Haus hinüber. Die Wachen –ein halbes Dutzend- würden sich gerade formieren und im Erdgeschoss durch die Fenster starren. Den Hausherrn hatten sie aber noch nicht informiert. Silver öffnete langsam die Tür und stieg aus. Der Schotter unter ihren Füßen knirschte leise, als sie sich auf die breite Holztür zubewegte. Vier Gestalten huschten aus dem schmalen Spalt. Mit Fragen stellen hielten die sich gar nicht mehr auf.

Silver ließ einmal beide Schultern rollen und beschleunigte ihre Schritte. Die zwei äußeren Männer setzten dazu an, noch weiter auszuscheren um sie einzukesseln. Mit einem Sprung nach rechts kam sie einem in die Quere. Ihre Beine umklammerten seine Hüften und mit den Schlagringen um ihrer rechten Hand traf sie kurz hintereinander seinen seitlichen Hals, die Nase und den Solarplexus. Ein linker Schwinger setzte ihn dann gänzlich außer Gefecht. Als sie wieder auf dem Boden aufkam, rollte sie sich über die Schulter ab. Mit der linken Hand griff sie nach hinten an ihren Hosenbund, zog den Teleskopschlagstock und fuhr ihn mit einer leichten Drehung des Handgelenkes aus. Das Metall des Stockes klackerte. Mit einem Rundumschlag traf sie die Kniekehle eines Weiteren. Es brauchte vier weitere Hiebe auf Kniescheiben, Hinterköpfe, Nieren und Fingern damit die nächsten zwei bewusstlos zusammensanken.

Dem Letzten sprang sie mit einem Knie voran gegen die Brust, griff seinen Kopf am Nacken und zog ihn nach unten gegen das andere Knie, das sie im Ansatz eines Sprunges nach oben zog. Sie riss beide Beine hoch, hielt seinen Kopf zwischen den Waden gefangen und zog ihn mit ihrem ganzen Gewicht und der Schwerkraft nach unten. Das Ganze hatte keine zwanzig Sekunden gedauert. Silver sprintete zu dem Haus hinüber, schlüpfte durch den Türspalt und schlug dem Mann, der dort hinter wartete, ins Gesicht. Sein Partner bekam ihren Fuß ins Gesicht und wurde nochmals zurückgestoßen. Sein Kopf prallte gegen die Steinmauer und er sank zu Boden.

Silver atmete mehrmals durch. Ihr Bauch schmerzte wieder deutlicher, aber sie selber trug bis auf wenige Treffer an Armen und Beinen keine weiteren Verletzungen davon. Gerade, als sie sich zur breiten Wendeltreppe aufmachen wollte, hörte sie ganz leise in der Tiefe des Hauses eine schwere Tür gehen. Ein ganz feines Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. Sie verließ das Haus wieder, umrundete es im Laufschrift und betrat eine zweite Garage, in der ein alter Defender untergebracht war. Dort in der Ecke rührte sich in dem Moment, in dem sie leise die Tür öffnete, die Abdeckung einer schweren Kiste. Eine schmale Gestalt schob sich unter Ächzen und Stöhnen aus der Kiste, klopfte sich den Staub von dem Pyjama und wollte sich gerade die Haare richten, als Silver mit einem Räuspern seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Bleiben Sie genau dort stehen! Keine Bewegung.“

Der Mann rührte sich nicht einen Millimeter, als sie ihn umrundete und in sein Sichtfeld trat. Trotz seines Namens sah man Makkuro Baisotei die japanischen Wurzeln seiner Familie kaum an. Lediglich die Nasen und Kieferpartie erzählte die Geschichte einer asiatischen Großmutter, die über den Pazifik nach Amerika kam. Graue Strähnen fraßen sich durch sein hellbraunes Haar und die bläulichen Augen schimmerten in dem diffusen Licht des Mondes gräulich.

„Wir viele Wachen sind hier?“, wollte Silver wissen, eine Hand auf ihrer Pistole.

„Sechs.“

„Sonst ist keiner mehr hier?“

Baisotei schüttelte den Kopf.

„Sie erinnern sich noch, wer ich bin?“

Ein vorsichtiges Nicken: „Wir haben uns ein paar Mal gesehen...“

„Machen Sie sich eine Vorstellung davon, warum ich hier mitten in der Nacht auftauche, ihre Wachen unschädlich mache und sie am Ausgang ihres Fluchttunnels abfange?“

Baisoteis Augen huschten verängstigt herum. Jemand, der so lange im Geschäft war, sollte mit solche Situationen eigendlich souveräner umgehen. Er machte sich fast in die Hosen vor Angst. Zitternd brachte er hervor: „Wollen Sie mich töten?“ Silver stieß ein Schnauben aus: „Dann hätte ich aus der Ferne ihr Haus in Brand gesetzt und sie bei der Flucht über die Felder erschossen...ich bin hier, weil ich sehr dringend mit Ihnen über den Auftrag reden muss, den sie letztens an mich vermittelt haben.“



Die Einrichtung des Hauses war seit Silvers letztem persönlichem Besuch vor über vier Jahren um einige Stücke erweitert worden. So saß sie in seinem Arbeitszimmer auf barocken Stühlen aus dunklem Holz mit kirschroten Samtbezug und weit verzweigten Schnitzereien. Vor ihr stand ein volles Glas Rotwein, das sie nicht angerührt hatte. Das ihres Gastgebers war schon halb geleert.

„Die russische Mafia, an die Sie mich vermittelt haben, hat versucht mich umzubringen.“, fing Silver direkt an: „Warum?“

Baisotei seufzte: „Ich habe absolut keine Ahnung wie das passieren konnte. Ich wusste, dass die russische Mafia ein verhältnismäßig sicherer Auftragsgeber ist...“ Seine Stimme brach ein wenig weg. Er setzte das Weinglas an und trank einen großen Schluck. Sein Blick wanderte in dem Raum umher und blieb immer an Fenstern und Türen hängen. Die Nervosität und tiefgreifende Angst war ihm anzusehen. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und im Nacken: „Ich habe absolut keine Ahnung, wie das passieren konnte...“

„Den Auftrag habe ich so erledigt, wie es von mir verlangt worden war. Dann wollte ich mich mit ihnen treffen, um die Durchführung zu verifizieren und dann der Übermittlung des Geldes beizuwohnen. Dabei versuchten sie mich zu erschießen.“

„Was ist jetzt mit denen?“

„Tot...“

„Und Sie wollen wissen warum das passiert ist?“

„So abwegig ist das nicht, oder?“

„Nein, nicht wirklich.“, Baisotei erhob sich von seinem Stuhl. Er begann Kreise durch das Zimmer zu ziehen. Wie ein Tier im Käfig. Silver betrachtete ihn von ihrem Platz aus, die Beine übereinander geschlagen, das Gesicht in dem Schatten versteckt. Ein gefährlicher Zug breitete sich um ihre Mundwinkel aus. Ein Fletschen ihrer Zähne.

Baisotei spürte die Veränderung der Atmosphäre...bis vor wenigen Minuten hatte er den Raum mit einer jungen Frau geteilt und hätte theoretisch jederzeit gehen können. Jetzt war er hier mit einer Bestie gefangen.

„Silver, hören Sie mir zu...“, er klang eindringlich, flehend: „Ich habe absolut keine Ahnung, was do...“ Er konnte nicht mal aussprechen, da war sie schon bei ihm. Ihr Weinglas in der Hand. Mit einer schnellen Bewegung zerschlug sie das Gefäß und rammte dem Mann den spitzen Stiel in den Oberschenkel. Schmerzerfüllt jaulte er auf und versuchte noch mit den Händen die Tischplatte zu finden, um sich abzustützen, aber er verfehlte sie und schlug hart auf dem Marmor auf. Silver war auch schon über ihm. In ihrer linken Hand hielt sie ein Messer, mit der rechten packte sie seinen Kragen, um ihn wieder zum Schreibtischstuhl zu ziehen.

Ihre Stimme war hart und kalt, als sie anfing zu sprechen: „Ich wollte das hier nie auf die gewaltsame Tour machen, aber mir rennt die Zeit davon. Eigendlich müsste ich schon längst auf dem Weg nach Mexiko sein...in etwa sechs Stunden finden die meinen Auftrag.“ Sie legte ihre freie Hand auf das Glas, das noch immer in Baisoteis Oberschenkel steckte und übte ein wenig Druck aus. Der Mann schrie und zappelte unter ihr. Der vernebelte Ausdruck in seinen Augen zeugte davon, wie gerne sein Geist einfach in die Ohnmacht gleiten würde.

„Sie könnten auch in Rente gehen.“, erwiderte Baisotei zwischen zusammengebissenen Zähnen. Ohne mit der Wimper zu zucken, drückte Silver die restlichen fünf Zentimeter Glas in den Oberschenkel. Anschließend scheuerte sie ihm eine, um ihn wieder unter die Lebenden zu holen. „Ich werde Ihnen jetzt nicht meine Gründe darlegen.“, zischte sie leise: „Sie haben jetzt noch fünfzehn Minuten, bis Sie ernsthaft in Gefahr laufen zu verbluten. Ihre Männer sitzen gefesselt im Wohnzimmer und werden Ihnen nicht helfen könne. Ihr Leben hängt also einzig und allein von mir und mir ab. Wenn Sie mir die Antworten geben, die ich haben möchte, stoppe ich die Blutung und Sie können das Krankenhaus aufsuchen, wenn Sie wollen!“

Wenige Sekunden lang sträubte Basotei sich noch, nickte dann aber ergeben.

„Sehr schön. Erste Frage: Wo kann ich den Chef der Mafia antreffen?“

Baisotei amtete einige Male gegen den Schmerz an, bevor er antwortete: „Der hat sein Haus vermutlich in Russland, aber die amerikanische Zweigstelle hat auch einen Boss und der besitzt ein Haus in New Jersey, die Adresse steht in meinem schwarzen Buch.“

„Zweite Frage: Was wussten Sie über diesen Auftrag?“

„Nichts...wirklich nicht. Nur, dass die Russen einen Killer suchten...und ich für sie die Anzeige geschaltet habe.“

„Üblicher Weg?“

„Ja.“

Der übliche Weg ging tatsächlich über öffentliche Seiten im Internet. Bestimmte Codierungen und Wörter machten dem Killer dann klar, was, wo und wann erledigt werden sollte. Silver hatte diesen Auftrag auch auf diesen Weg erhalten und dann die Mafia kontaktiert.

Silver machte ihm klar, sich nicht zu bewegen, während sie seinen Schreibtisch durchsuchte und anschließend die Seite aus dem Buch riss, auf dem die Adresse stand. Mit einem Seufzte betrachtete sie den Mann. Dann zog sie in einer schnellen Bewegung den Glasstumpf aus dem Bein und presste seinen teuren Morgenmantel darauf. Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Ich muss Ihnen etwas beichten, Sie verbluten nicht...die Wunde muss vielleicht nicht mal genäht werden. Einen schönen Tag noch.“

Damit verschwand sie aus dem Zimmer und ließ einen ziemlich verdatterten Baisotei hinter sich, der zusammengesunken auf seinem Stuhl hing, der Morgenmantel auf seinem Bein und Schweißperlen auf der Stirn.



22.05.2018  4:17Uhr

New Jersey

Nach New Jersey brauchte Silver nur drei einhalb Stunden, sodass sie um 4:17Uhr in einem heruntergekommenen Motel eincheckte. Aber auch hier bedachte man sie mit verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit. Sie sah nicht so aus, als würde sie Probleme machen, also ließ man sie in Ruhe. Ihr Zimmer verströmte...Charme.

Ihre Sachen packte sie nicht aus. Überprüfte nur schnell die Verrieglung an allen Fenstern und der Tür. Versteckte dann eine gesicherte Pistole unter dem Kopfkissen und legte sich in Jeans und T-Shirt schlafen.



23.05.2018

New Jersey

Den gesamten nächsten Tag verbrachte Silver getarnt wie ein Scharfschütze und ausgerüstet mit Wärmebildkameras und Richtmikrophonen im Feld auf einer Anhöhe 200m von dem Haus von Daniel Blinow entfernt. Er war der älteste von insgesamt drei Sprösslingen des Oberbosses dieser russischen Mafia. Sein Vater fristete sein Dasein vermutlich gefesselt an ein Bett, immerhin war sein Sohn schon über fünfzig.

Über zehn Stunden später wusste Silver so viel wie in der kurzen Zeit herauszufinden war.

Am Abend machte sie sich auf in die Stadt, wo ein alter Freund von ihr ein exklusives Casino mit ganz speziellem Service anbot...er könnte es schaffen, ihr in zwölf Stunden alles Wichtige zu besorgen, um in das Haus einzudringen. Dafür zahlte sie weit über eine halbe Millionen Dollar, allerdings konnte sie dem nicht hinterhertrauern, weil ihr dazu einfach die Zeit fehlte. Tatsächlich hatte sie den ganzen Tag nichts davon mitbekommen, dass jemand die Leiche gefunden hat...aber heute war ganz überraschend der Termin zwischen dem amerikanischen und russischen Präsidenten im Capitol ausgefallen, aber ohne dass ein Grund bekannt gegeben worden war...



24.05.2018  3:23Uhr

New Jersey, East Windsor

Blinows Haus war sogar für das East Windsor Viertel luxuriös. Und weit abgelegen. Das mehrstöckige Haus mit der groß angelegten Gartenlandschaft und den meterhohen blickdichten Zäunen stand am äußersten Stadtrand, in der direkten Umgebung gab es keine anderen Häuser, dafür aber einen Flussausläufer eines nahegelegenen Sees. Silvers Plan war vergleichsweise simpel, sollte dafür aber Erfolg versprechen.



Im Schutze der Dunkelheit lenkte Silver das kleine Schlauchboot mit ausgeschaltetem Motor an das Ufer des Flusses. Das Paddel schob sie langsam durchs Wasser. Der Fluss war maximal fünf Meter breit und auch gerade tief genug, um mit einem kleinen Motorboot zu fahren, aber es reichte aus. Große Farne bedeckten das Ufer weitgehend, sodass sie ihr Boot dort angebunden zurückließ. Die Pflanzen in Blinows Garten waren ordentlich gestutzt und durch die symmetrische Anordnung aller Beete und Bäume ergaben sich wenige Versteckmöglichkeiten. Die, die es aber gab, nutzte Silver aus. Von dort beobachtete sie die Wachen am Wasser und auf der Veranda des Hauses. Acht müsste es in der Außenanlage insgesamt geben. Zehn weitere im Haus.

Silver verharrte bewegungslos in dem dichten Gestrüpp. Sie spürte, wie die Insekten über ihre Haut krabbelten, aber sie ignorierte es. Sie musste absolut ruhig sein, um das hier zu überleben. Ganze drei Stunden hockte sie so da, wie ein Raubtier auf der Lauer. Gestern war Blinow um Punkt halb sechs in den Pool auf der Veranda gestiegen, neben dem Silver zuvor Stellung bezogen hatte. Ihre Hoffnung war, dass er heute ebenfalls schwimmen gehen wollte.

Die Minuten verstrichen, am Horizont zeichnete sich ein heller Streifen ab, der sich von einem dunklen Blau schnell zu einem hellen Orange wandelte. Gerade, als sich etwas rot dazu mischte, bewegte sich im Haus endlich etwas. Zunächst ging in dem einen Zimmer im oberen Geschoss Licht an, dann wurde es wieder ausgeschaltet und im Erdgeschoss dafür eins entflammt. Zehn Minuten später tauchte ein Mann, den Silver als Daniel Blinow identifizierte, im Garten auf. Er trug nur einen edlen Bademantel aus Samt, der um die Hüfte locker zusammengebunden war. Blinow war noch ziemlich fit und eins der Gesichter, denen man auch im Alter von fünfzig noch anmerkte, das er mal richtig gut ausgesehen hat. Dunkle Locken mit wenigen grauen Strähnen, markanten Wangenknochen und eine harte Kieferlinie. Ein ordentlich gestutzter Dreitagebart zierte seine Wangen. In einem ordentlichen Anzug würde er vermutlich genauso viel Gentleman- wie Badboy-Charme ausströmen, eine vorteilhafte und deswegen auch gefährliche Mischung.



Die Wachen zogen sich respektvoll aus dem Garten zurück und Blinow streifte sich den Bademantel ab und begann ganz langsam die Treppe in den Pool hinabzusteigen. Gerade, als er bis zu den Knien in dem warmen Wasser stand, traf ihn etwas seitlich im Oberschenkel. Als er hinunterblickte, sah er gerade noch wie die Kanüle einer Spritze wieder zurückgezogen wurde. Im stummen Entsetzen klappte sein Mund auf, aber er fühlte eine einsetzende Lähmung in seinem ganzen Körper. Er konnte nicht mehr schreien, sich auch nicht mehr bewegen. Ein Arm schlang sich um seinen Bauch und zog ihn zurück, damit er nicht nach vorne ins Wasser fiel.

Silver umgriff seinen Oberkörper und Arm im Rautekgriff und schleppte ihn die wenigen Meter in das Gebüsch zu ihrer rechten. Dann klebte sie ihm den Mund mit Klebeband zu, fesselte die Hände mit Kabelbinder hinter den Rücken und die Beine. Das Betäubungsmittel war stark, wirkte aber nicht sonderlich lange. In zehn Minuten wäre er wieder bei Bewusstsein und sie könnte ihn nicht mehr zum Boot schleppen. Mit einem Fernglas überprüfte Silver die Aktivität im Haus und Garten, sah allerdings keinen der Wachmänner. Sie packte ihn erneut und schleppte ihn am Rand des Zaunes zum Wasser. Einen leblosen Körper in ein Schlauchboot zu wuchten war nicht einfach.

In der Nähe des Hauses tauchten drei Wachen auf, als Silver Blinows Fesseln an den Füßen gerade fest gezogen hatte. Aus einer Bauchtasche ihres schwarzen Neoprenanzuges zog sie eine weitere Spritze, die mit Methylpentynol gefüllt war. Sie spritzte ihm das Mittel über eine Unterarmarterie, und bedeckte den Körper dann mit einer undurchsichtigen Folie.

Silver schmiss den Motor des Bootes noch nicht an, sondern paddelte aus dem Versteck, damit sich die Schiffschraube nicht in den Pflanzen verfangen konnte. Dann schmiss sie den Motor an. Fünf Wachen auf dem Grundstück hoben die Köpfe, aber sie konnten nicht mal die Sturmgewehre anlegen, als Silver mit dem Boot schon um die erste Kurve des Flusses heizte.



Die Sonne stand in voller Größe am Himmel, als Silver das Schlauchboot an einem kleinen Ferienhaus weiter im Süden des Sees festmachte. Der Steg war nur sechs Meter lang und führte über eine ungerade Treppe hinauf in das Ferienhaus. Sie schleppte Blinow hinter sich her, möglicherweise holte er sich dabei einige Blessuren, aber das war egal.



Silver fesselte den Mann auf einem Stuhl. Dabei warf sie einen Blick auf ihre Uhr; kurz nach sieben.

Mit einer Hand tastete sie vorsichtig über die Hämatome an ihrem Bauch. Nachdem sie den Körper des Mannes mehrmals hin und her wuchten musste, tat wieder alles weh.

Blinow wachte um acht Uhr wieder auf. In der Zwischenzeit hatte sie das Schlauchboot zusammengefaltet und dieses und die Motoren wieder in einer Kiste verstaut. Keine Spuren am Ferienhaus deuteten mehr darauf hin, dass sie dort Stellung bezogen hatte.

Als das Mittel langsam begann seine Wirkung zu verlieren, holte Silver einen kaltgestellten Eimer Wasser aus dem Kühlschrank und schüttete ihm ungefähr die Hälfte davon ins Gesicht, Mit einem erschrockenem Schrei fuhr er aus der Ohnmacht empor und versuchte dabei die Arme hochzureißen, wurde aber von den Fesseln zurückgehalten. „Verdammte Scheiße.“, fluchte er leise: „Wo bin ich?“ Mehrmals musste er blinzeln, um das Wasser aus den Augen zu vertreiben, dann sah er hoch zu Silver: „Wer sind Sie?“

„Ich muss Ihnen einige Fragen stellen.“, sie nickte hinunter zu der Wanne voll mit Wasser, in der die Füße des Mannes standen: „Und ich weiß, dass Sie es mir nicht leicht machen werden...“ „Dann können Sie mich ja gleich gehen lassen.“, schnauzte Blinow sie an. Silver grinste. Ihr war klar, wem sie gegenübersaß. Der Russe hatte über fünfzehn Jahre in der russischen Armee zugebracht, allein sieben davon in der Spezialeinheit Speznaz. Seine Ausbildung bestand zu 40% aus effektivem Töten, 50% Schmerzen wiederstehen und 10% nachrichtendienstlicher Technik.

Silver holte einen rollbaren Container heran, darauf stand eine Autobatterie an der bereits zwei Kabeln mit Kneifzangen angebracht worden war. Blinow betrachtete sie mit einer Kaltschnäuzigkeit, von der Silver üblicherweise ein großer Fan war, aber nicht, wenn verdammt nochmal ihr eigenes Leben daran hing.

Sie setzte die erste Zange an Blinows rechter Brustwarze, als sie mit der anderen Zange die llinke berührte schüttelte sich der Körper in Krampfanfällen. Der Strom raste durch jede seiner Zellen.





24.05.2018  11:54Uhr

Lancaster

Silver saß in einem Diner an einer Straßenecke in der Innenstadt von Lancaster und nippte gerade an einer Tasse schwarzen Kaffee, als ein junger Kellner zu ihr an den Tisch trat.

„Schmeckt Ihnen der Kaffee?“, fragte er, mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Seine schwarzen Haare waren ziemlich durcheinander und das hässlich grüne Shirt des Dinners spannte an den breiten Schultern. „Ganz wunderbar.“, erwiderte Silver.

„Hätten Sie denn gerne noch etwas zu essen? Meine Kollegin meinte, sie möchten nichts, aber unser Rührei mit Speck ist wirklich sehr lecker.“

Silver starrte ihn wenige Sekunden lang an, ehe sie nachgiebig nickte. Als der Junge sich das notierte, meinte sie noch leise: „Aber bitte kein Speck...eine Scheibe Toast wäre besser.“

„Natürlich doch.“, er zwinkerte, drehte sich um und verschwand in der kleinen Küche.

Silver griff wieder nach der Tasse. Nachdenklich drehte sie sie zwischen den Fingern, während sie dem Kellner hinterher blickte. Noch immer hatte sie den Geruch von verbranntem Fleisch in der Nase und ihre Ohren klingelten noch von den Schmerzensschreien.

Das Klappern eines Tellers vor ihr riss sie aus ihren düsteren Gedanken: „Hier bitte schön.“ Silver lächelte freundlich, bedankte sich und aß vorsichtig eine Gabel voll: „Schmeckt wirklich gut.“ „Das freut mich.“, der Junge machte schon Anstalten sich ihr gegenüber fallen zu lassen. Sie seufzte leise: „Hören Sie. Ich hatte eine wirklich anstrengende Nacht und würde sehr gerne in Ruhe mein Kaffee trinken, etwas essen und dann nach Hause fahren.“ Er sah aus, als hätte man ihn getreten: „Okay...Entschuldigung...dann noch einen schönen Tag.“ Er knete nervös die Finger, lächelte noch einmal peinlich berührt und machte sich dann schnell auf zu dem nächsten Tisch.

Silver seufzte leise auf...auch wenn der Bursche, der vermutlich gerade die zwanzig erreicht hat, ihr leidtat. Und irgendwie war es auch schmeichelhaft, aber nachdem was sie gerade getan hat, würde sie nicht mal ein Bakterium anfassen können, ohne sich so zu fühlen, als würde sie es beschmutzen.

Mit einer Hand rieb sie sich über das Brustbein hinter dem ihr Tier hockte. Schon seit sie mit dem hier angefangen hatte, merkte sie die Anstrengung, ihre Seele zu schützen. Jedes Mal, wenn sich das Tier wieder zum Schlafen zusammen rollte, kamen Schuldgefühle in ihr hoch. Gefühle, die ihr Herz zerrissen, ihre Seele beschmutzten und ihren Geist rasch altern ließen.

Sie fühlte sich nicht wie 29, sondern eher wie 45.

Sie dachte, dass alles hier falsch war.

Sie zweifelte.

Ihre Verletzungen schmerzten.



Ihre Armbanduhr sprang auf 12Uhr, als in dem Fernseher in der Ecke die Nachrichtensendung CNN anlief. Silver verstand nicht, was die Reporterin sagte, weil der Ton abgedreht worden war, aber die Einblendung eines Bildes des russischen Präsidenten sagte alles, dazu noch die Unterschrift „Russischer Präsident tot – Ursache unklar“. Im weiteren Verlauf der Sendung wurde eine Nummer eingeblendet, dazu der mit roten Lettern geschriebene Satz: Bei hilfreichen Informationen kontaktierten Sie uns! Silver merkte sich die Nummer, die ganz offensichtlich zum FBI gehörte.

„Könnten Sie bitte etwas lauter drehen?“, eine junge Frau hinter der Theke griff nach der Fernbedienung.

Das Büro in Washington D.C. leitete die Ermittlung, angeblich ihr bester Agent, aber der Anschlag war jetzt vier Tage her und bisher hat sie noch nichts von einer möglichen Verfolgung mitbekommen. Es war fraglich, ob die bisher überhaupt über irgendwelche Informationen verfügten.

Sie fuhr sich wieder über das Brustbein.

Sie holte ihr aktuelles Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer.







KAPITEL 4



First things first


I’ma say all the words inside my head


I’m fired upand tired of the way that things have been, oh ooh


The way that things have been, oh ooh


Second thing second


Don’t you tell me what you think that I can be


I’m the one at the sail, I’m the master of my sea, oh ooh


The master of my sea, oh ooh




24.05.2018  10Uhr

Washington D.C.

Entsetzt stand Moore mitten im Großraumbüro des FBI. Dort flimmerte gerade die Nachrichtensendung von CNN über die Mattscheibe, mit dem Tod des Präsidenten als exklusiven Aufhänger. „Young? Young!“, brüllte Moore quer durch das Büro. Einige Mitarbeiter hoben noch den Kopf, viele waren es aber schon gewöhnt und störten sich nicht mehr an lauten Schreien. Sekunden später tauchte Young neben seinem Boss auf.

„Ich habe absolut keine Ahnung, was hier passiert.“, stieß er aus, in einer Hand das Handy, dessen Mikrophon er gerade zuhielt: „Die Pressestelle hat nichts rausgegeben. Keiner weiß, woher CNN diese Informationen hat.“ „Ist es nur CNN, oder auch andere?“, fragte Moore abwesend, während er dem Bericht folgte. „Bisher nur CNN...“, entgegnete Young mit einem Anflug von Sarkasmus in der Stimme: „Bisher. Kann sich aber vermutlich ganz schnell ändern. Und in der Pressabteilung laufen garantiert gleich die Telefone heiß.“

„Dann setzten wir eine Erklärung auf.“

Young betrachtete ihn abschätzig von der Seite, ächzte dann leise und ließ dann sein Handy in die Hosentasche gleiten: „Ich halte viel von Ihrer Meinung Moore...Sie sind mein Mentor seit ich hier angefangen habe, aber was schreiben wir da rein?“

„Amy hat doch heute Dienst oder?“

„Was weiß ich denn schon?“, Young wirkte ehrlich verdattert. Moore grinste aber nur wissend: „Amy hat es perfektioniert aus nichts alles zu machen. Und wir können die Bevölkerung um Mithilfe bitten.“ „Ich habe das Gefühl, Sie klammern sich an Strohhalme...aber okay, machen wir das.“, war Youngs einziger Kommentar dazu, dann wählte er wieder eine Nummer in seinem Handy und kehrte zurück zu seinem Schreibtisch. Moore blieb vor dem Fernseher stehen, als die Sendung schon längst vorüber war. Zurück am Schreibtisch grinste Young ihn an: „CNN sendet den Beitrag erneut um 12Uhr, mit der Aufforderung uns zu helfen.“ Der ältere Agent nickte zustimmend: „Ich hole mir einen Kaffee, wollen Sie auch einen?“



24.05.2018  12:03Uhr

„Nein Sir...ja, ich verstehe...natürlich...falls Ihnen sonst noch etwas einfällt, dann...ja klar. Auf Wiedersehen.“, Moore ließ den Telefonhörer auf die Gabel fallen. „Ich verstehe nicht, wieso hier immer noch so viel Müll ankommt.“, fluchte Young von dem Schreibtisch gegenüber: „Ich dachte, die miesen Anrufe würden aussortiert werden?“

„Ich habe die Hoffnung, dass das passiert.“, meinte Moore, als auch sein Telefon schon wieder begann zu klingeln. Er unterdrückte ein Seufzen, als er abnahm: „FBI Büro Washington D.C. Special Agent Moore am Apparat...was kann ich für Sie tun?“

„Guten Tag Agent Moore.“, die Stimme der Frau war zurückhaltend, aber nicht unfreundlich: „Ich habe Informationen über den Mord an dem russischen Präsidenten.“

„Den Satz habe ich heute sehr oft gehört.“, das konnte der Agent sich nicht verkneifen, aber bevor er weitersprechen konnte, erklang das bittere Lachen der Frau: „Das kann ich mir vorstellen, aber ich kann mir auch vorstellen, das Informationen aus erster Hand...praktisch von der Quelle des Auftraggebers selber, sehr wichtig für Sie und Ihre Ermittlungen sind...“ Das Ende des Satzes ließ sie wie eine Frage offen in der Luft hängen. Moore rutschte ein Stück näher an den Schreibtisch heran, die freie Hand wanderte zu einem Kugelschreiber, um sich sofort etwas notieren zu können. „Was können Sie mir denn sagen?“

„Erstmal nichts...ich muss mich vergewissern, dass Sie vertrauenswürdig sind.“

Eine Welle der Enttäuschung nahm Moores Herz ein. Wieder hatte er das Gefühl, nur einem Verrückten zu begegnen. Wieder nichts erreicht zu haben. „Ich melde mich bei Ihnen.“, erklärte die Frau, dann ertönte ein Klicken und sie legte auf.

„Hm...merkwürdig“, machte Young an seinem Schreibtisch, noch bevor Moore seinen Unmut kundtun konnte: „Den Anruf, den Sie gerade bekommen haben, lässt sich nicht zurückverfolgen...“

Nicht das einzig merkwürdige, dachte sich Moore.



24.05.2018  20Uhr

Washington D.C., Barney Circle

Um Punkt 20Uhr nahm Moore den Auflauf aus dem Backofen. Der wunderbare Geruch von Spinat und Käse breitete sich in der gemütlichen Küche aus. Summend stellte er die Form auf der Arbeitsplatte ab und nahm sich mit einem Pfannenwender ein Stück Auflauf.

Aus einer bereits geöffneten Flasche Wein goss er sich ein halbes Glas ein. Im Hintergrund spielte ruhige Jazzmusik, als er sich am Küchentisch niederließ und mit dem Essen begann. Das konnte er gerade noch 10 Minuten lang genießen, als es an seiner Haustür klingelte. Sturm klingelte.

Leise vor sich hin fluchend betätigte er den Türöffner und wartete nur wenige Sekunden an der Haustür, bis drei Männer die Treppe hochtrampelten. Im gleichen Moment klingelte Moores Handy, er blickte noch auf den Bildschirm auf dem Alex Young ruft an angezeigt wurde, da war auch schon einer der Männer bei ihm.

„Nehmen Sie das runter.“, bestimmte er. Sein Englisch war nicht ausgezeichnet, aber es reichte aus. Der harte russische Akzent wirkte aber um einiges gefährlicher. Moore legte etwas irritiert sein Handy auf dem kleinen Tisch neben der Haustür ab und trat etwas zurück. Die breitgebauten Männer in den schwarzen Anzügen und mit den grimmigen Gesichtern drängten ihn zurück in die Wohnung. „Wir nehmen Sie hiermit fest.“, erklärte er: „Wegen des Mordes an dem russischen Präsidenten.“ Moores Mund klappte vor Überraschung auf. In seinem Kopf tat sich ein großes Vakuum auf, als einer der Männer die Handschellen zückte und seine Hände hinter dem Rücken fesselte: „Was? Wieso? Was passiert hier?“

Das kalte Metall knirschte.

Der Russe grinste eisig: „Ihr Fingerabdruck war auf der Leiche. Das scheint ein guter Grund zu sein.“

„Es gibt hundert Gründe, wie das passiert sein kann!“

„Richtig!“, der Russe war mit einem Schritt in seinem persönlichen Freiraum und starrte aus eisblauen Augen zu ihm hinunter: „Und einer ist, dass Sie ihn ermordet haben!“ Damit zerrten die zwei Männer ihn aus der Wohnung.



24.05.2018  20:32Uhr

Washington D.C.

Moore verbrachte die Nacht in einer kühlen Zelle im Kellergeschoss des FBI. Zwei Wachen vor der Zelle, zwei weitere vor der elektronischen Tür, die man nur mit einem achtstelligen Code und einem Fingerabdruck öffnen konnte. Alle Wachen waren mit schweren Sturmgewehren ausgerüstet. Moore tigerte einen großen Teil der Nacht in seiner Zelle auf und ab. Auf dem quietschenden Bett in der einen Ecke der Zelle wälzte er sich einige Stunden lang hin und her. Schöpfte dann etwas Wasser aus dem Edelstahlwaschbecken und wusch sich dann den Schweiß aus dem Gesicht und vom Nacken.

Niemand redete mit ihm, niemand gab ihm Antworten, auf so viele Fragen, die ihn quälten.

Wie kam der Fingerabdruck an den Tatort, obwohl er Handschuhe trug?

Er war sich sicher, nicht den Präsidenten ermordet zu haben...ziemlich sicher.

Seufzend betrachtete er die vier steinernen Wände, die ihn einschlossen. Das engte seinen Spielraum der Gedanken ebenfalls ein.

Er hatte ihn doch nicht ermordet, oder doch?!

War das blonde Haar, was ebenfalls dort gefunden wurde, seins?

Wieso konnte er nicht mit Young sprechen?

Warum klingelte der FBI Direktor nicht mitten in der Nacht einen Anwalt aus dem Bett, um einen seiner Mitarbeiter zu schützen?



25.05.2018  8:42Uhr

Young betrat den Keller des FBI Gebäudes mit einer Tasse Kaffee und zwei Sandwich in der Hand. Mit einer eindeutigen Kopfbewegung schickte er die zwei Wachen vor der Zelle weg und öffnete sie mit seinem Fingerabdruck.

Moore saß wie ein Häufchen Elend auf dem Bett, den Kopf an die Wand gelehnt und den Mund leicht geöffnet. Dem Zucken seines Körpers nach zu urteilen schlief er gerade sehr unruhig... „Hey, Stephen.“, Young schnippte an einige Male gegen seine Ohren, damit der ältere Agent wieder wach wurde: „Ich habe Ihnen Kaffee und was zu essen mitgebracht.“ „Danke.“, Moore lächelte schwach und nippte an der Tasse. Er wirkte um Jahre gealtert, seine Augenringe waren dunkel, die Haare standen unordentlich ab und die Kleidung saß auch nicht mehr.

„Ich habe gute Nachrichten für Sie; Sie können die Zelle erstmal verlassen.“

Moore stieß ein bitteres Lachen aus: „Das klingt nach einem aber.“

„Das gibt es auch. Der Direktor hat mir vorgeschlagen, also gewissermaßen gezwungen, Ihnen zu sagen, dass Sie sich von nun an aus dem Fall raushalten. Und wenn ich ehrlich sein soll, ich würde das auch machen. Der Direktor ist praktisch auf Knien in die Russische Botschaft gekrochen und hat die Diplomaten angefleht, Sie nicht mehr in Gefangenschaft zu halten.“

„Ich weiß sein Engagement zu schätzen.“, ächzte Moore. Ein trauriger Unterton machte sich in seinen Augen breit: „Vielleicht ist es ganz gut, dass jemand anderes ermittelt. Wir haben nicht wirklich viel erreicht.“

„Oh Gott, was ist in der Zelle passiert, dass Sie so negativ sind? Üblicherweise ist das doch eher meine Aufgabe.“

Mehr oder weniger schuldbewusst biss Moore in sein Sandwich.



25.05.2018  11:07Uhr

Zwei Stunde später saß Moore in einem Taxi, auf dem Weg nach Hause. Er hatte sein Handy und seine Wertgegenstände wieder und alles war soweit in Ordnung...er sollte sich nur für weitere Befragungen bereithalten und die Stadt nicht verlassen. Als das Taxi von der Querstraße, an der das FBI Gebäude stand, auf die Hauptstraße abbog, bemerkte Moore ein schwarzes Auto mit verdunkelten Fenstern, das sich kurz nach dem Taxi in Bewegung setzte. Während der Fahrt überkam fühlte er immer wieder ein Kribbeln im Nacken. An einer Ampel sah er sich dann schlussendlich nach hinten um und musste mit einem kalten Gefühl in der Magengegend erkennen, dass er einen der Wagen wiedererkannte. Das schwarze Auto. „Oh man...“, Moore drückte sich wieder zurück in die Sitzbank und versuchte sich irgendwie ganz klein zu machen. Unnütz natürlich, wenn sie dem Auto folgten, aber er fühlte sich jetzt nicht so auf dem Präsentierteller drapiert.

Als der Taxifahrer ihn vor seiner Wohnung herausließ, sah er das Auto zum vierten Mal auf dieser Fahrt.



Moore wollte gerade die Treppe zu seiner Wohnung emporsteigen, als er hinter sich lautes Fußgetrampel hörte. Kurz bevor die Haustür erreicht hatte, packte ihn eine Hand im Nacken und schleuderte ihn gegen seine Wohnungstür. Gerade noch so riss er die Arme hoch, um den Aufprall abzudämpfen. Ehe er allerdings auf dem Boden aufkam, packte ihn jemand unsanft am Arm und riss ihn wieder hoch. Erst jetzt konnte Moore die Gesichter sehen...oder halt nicht sehen, weil jeder der drei eine Skimaske trug. Ihm war aber sofort klar, um wen es sich handeln musste; die drei Russen, die ihn vor ungefähr 13 Stunden verhaftet hatten. Als der eine dann auch noch anfing zu sprechen, war er sich ganz sicher, die Stimme bereits gehört zu haben: „Mr. Moore, Sie müssen viele Freunde in hohen Positionen haben, wenn man Sie so schnell wieder frei lässt. Ich hoffe jetzt, wo Sie so viel Glück haben, geschieht nicht ganz plötzlich ein tragischer Unfall.“ Die letzten zwei Worte stieß er abgehackt, wenige Zentimeter vor Moores Gesicht hervor.

Dieser brachte gerade noch so ein schwaches Nicken zustande. Er war eindeutig zu alt, um sich von eiskalten Russen vor seiner Wohnung bedrohen zu lassen und sich dann heldenhaft dagegen zu wehren...seine Pistole lag beim FBI, bis auf weiteres eingeschlossen in die Asservatenkammer...sie sollten am besten einfach gehen, und ihn halbwegs gesund zurücklassen. Einer der Männer, der sich wie sein Partner bisher immer im Hintergrund gehalten hatte, verpasste ihm noch einen harten Schlag in die Magengrube und dann verschwanden sie.

Moore versuchte verzweifelt gegen den Schmerzen anzuatmen, während er sich, festhaltend an dem Treppengeländer, langsam wieder aufrichtete. Mit zittrigen Fingern suchte er seine Schlüssel aus der Manteltasche. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, er ließ seinen Mantel und Schuhe an Ohr und Stelle fallen und ging in die Küche. Aus dem Tiefkühlschrank nahm er sein Kühlpack, umwickelte es mit einem dünnen Handtuch und drückte es gegen die schmerzende Stelle. Er legte den Kopf in den Nacken und hoffte einfach nur darauf, dass kein großer Bluterguss übrig blieb.

„Mist, Mist, Mist.“, schimpfte er leise vor sich hin und fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare: „Ich glaube, ich brauche eine Drink.“ Ein Blick auf die Uhr hielt ihn dann aber davon ab.



Unruhig wanderte er in den folgenden Stunden in seiner Wohnung auf und ab. Zwischendurch versuchte er einen Film zu sehen und zu lesen, brach aber beides nach wenigen Minuten schon wieder ab. Das Handy hatte er insgesamt achtmal in der Hand, immer kurz davor bei seinen Kollegen anzurufen und nach dem Stand der Ermittlungen zu fragen.



25.05.2018  13:16 Uhr

Moore hielt es einfach nicht mehr aus. Die Neugier und Nervosität fraß sich wie ein Monster in sein Herz, er hatte das Gefühl daran zugrunde zu gehen. Bevor er es sich dann doch nochmal anders überlegen konnte, zückte er sein Handy und wählte die Nummer von Young.

„Hey Young, ich wollte nur mal fragen, wie es so aussieht.“

„Oh man, hätte ich gewettet, wie lange sie es aushalten nicht anzurufen, hätte ich gewonnen. Das war so klar, dass sie nicht ein bisschen warten können.“

„Entschuldigung, gegen mich wird wegen Mordes ermittelt!“

Moore konnte praktisch hören, wie Young am anderen Ende der Leitung die Augen rollte: „Bevor Sie fragen, nein wir haben noch nichts neues. Wir sind gerade mit dem Durchsehen der Videoaufzeichnungen fertig. Insgesamt sieben verdächtige Personen, die wir uns genauer ansehen wollen. Ich wollte nochmal zum Hotel fahren, um mit den entsprechenden Angestellten zu sprechen...dann können wir vermutlich-„ Youngs Stimme wurde in Moores Kopf immer leiser. Er versank in seinen Gedanken. In den letzten Tagen hatten sie eigendlich nichts mehr gemacht, als sich Stunden über Stunden die Videoaufzeichnung der tausend Kameras anzugucken...vier der merkwürdigen Personen hatte er selber auf die Liste gesetzt; Bauchgefühl, mehr war es nicht gewesen. Und da war auch eine Gestalt, an die er sich besonders erinnerte...weil sie im anschließenden Verhör aller Angestellten nicht wieder aufgetaucht war.

Ich kann mir auch vorstellen, dass Informationen aus erster Hand...praktisch von der Quelle des Auftraggebers selber, sehr wichtig für Sie und Ihre Ermittlungen sind...

Oh Gott.

„Sagen Sie Young. Können Sie mir einen Gefallen tun?“

„Ich hole nicht ihre Waffe aus der Asservatenkammer!“

„Das verlange ich auch gar nicht von Ihnen.“, Moore musste sich zwingen ruhig zu atmen. Das verbliebende Adrenalin in seiner Blutbahn vermehrte sich gerade wieder rasend schnell. Die Schwere der Erkenntnis sorgte für Schwindel.

Warum sollte sie anrufen?

Was weiß sie?

„Ich brauche die Nummer von der einen Anruferin von gestern Mittag. Der Anruf, der sich nicht zurückverfolgen ließ.“

Lange war es still, bis Young endlich zögerlich herausbrachte: „Sie wissen, dass die mich hier rausschmeißen, wenn das rauskommt. Sie sind ein Verdächtiger, es ist schon gefährlich sich überhaupt mit Ihnen zu unterhalten.“

„Jetzt machen Sie sich bitte nicht ins Hemd! Ich bin unschuldig, das wissen wir beide und ich will es beweisen, aber dafür brauche ich diese Nummer!“

Ein Seufzen, dann ein: „Von mir aus.“ Young diktierte die Zahl halbwegs widerstandslos, verabschiedete sich dann aber hastig und legte auf. Moore drehte und wendete den Zettel, auf der er die Nummer eilig notiert hatte, zwischen den Fingern, eher er dann aber zu seinem Handy griff, hielt er sich zurück. Nein, das wäre dumm...

Übereilt sammelte er die wichtigsten Sachen zusammen, warf sich seinen Mantel über und verließ das Haus. Glücklicherweise befanden sich diesmal keine Russen in irgendwelchen verdunkelten SUVs und beobachteten ihn...darauf verlassen konnte er sich aber auch nicht. Wider aller Vernunft nahm er seinen Wagen –es wäre aber noch auffälliger, würde er sein Auto einfach stehen lassen- und fuhr etwas weiter in die Innenstadt, wo noch vereinzelte Telefonzellen herumstanden.

Er warf Kleingeld ein, tippte die Nummer ab und betete einfach nur. Es klingelte elendig lange, bevor jemand ranging. Moore traute sich aus irgendwelchen Gründen nicht zu sprechen, sein Gegenüber auch nicht. Dann endlich brachte der Agent einige Worte über die Lippen: „Mir wird gerade der Mord in die Schuhe geschoben.“ Die Antwort kam prompt: „Ich weiß.“ Moore hielt sich gar nicht damit auf, sich zu wundern, woher die Frau das wissen konnte, sondern fuhr fort: „Sie sagten, Sie hätten nützliche Informationen und ich hoffe einfach, dass Sie mir irgendwie genug vertrauen, weil ich muss mich mit Ihnen treffen.“

„Natürlich...“

„Wäre Ihnen jetzt gleich recht? An irgendeinem öffentlichen Ort? Ich bin mir sehr sicher, ich werde verfolgt.“

„14Uhr am Fashion Centre in Pentagon City.“

Moore war sich sicher, dass sie jetzt sofort auflegen würde und rief halb panisch: „Halt, wie erkenne ich Sie?“

„Wir werden uns finden, verlassen Sie sich drauf.“

„Und wie heißen Sie?“

Sekundenlang Stille und dann: „Silver.“

Der Lautsprecher knackte.

Noch während das Wechselgeld klimpernd in die Schale fiel, atmete Moore gegen den Schock an.



Auf der Fahrt zum Einkaufszentrum -Moore musste sich ziemlich beeilen, wenn er noch pünktlich sein wollte- bekam er nochmal einen Anruf. Überraschenderweise war es Young: „Boss. Ihr Problem ist gerade größer geworden. Die haben gerade Ihr Konto und Verbindungsnachweise überprüft und da sind hohe Zahlungen aufgetaucht und Nummern von bekannten Mafiosi...keine Ahnung, was hier abgeht, aber die Schlinge um Ihren Hals zieht sich gerade gewaltig zu.“ Laut fluchend beendete Moore das Gespräch, öffnete das Fenster und warf sein Handy auf die Fahrbahn. Der kleine Sprinter hinter ihm rollte augenblicklich drüber.



25:05.2018 14:08Uhr

Washington D.C., Pentagon City

Moore zwang sich dazu, seine Schritte ruhig und langsam zu halten, aber er musste ständig über die Schulter sehen. Noch folgte ihm keiner, aber er war sich nicht sicher, wie lange das so bleiben würde. Das FBI könnte innerhalb von zehn Minuten an dem Ort sein, an dem er sein Handy aus dem Fenster geschmissen hatte...dann war es auch nur noch eine Sache von wenigen Minuten, bis sie sein Auto gefunden hätten.

Etwas hilflos drehte er sich im riesigen Atrium um die eigene Achse. Das Einkaufszentrum ragte viele, viele Stockwerke über ihm in die Höhe. Die Schaufenster der Läden waren mit Fluchtlichtern und bunten Schildern bestückt und in der Mitte des viereckigen Gebäudes stand ein Starbucks, der eine große Menge der Grundfläche für seine Sitzgelegenheiten einnahm. Beinah wäre Moore rückwärts gegen eine Palme gestolpert, die um den Starbucks herum in massiven Töpfen standen. Fluchend stolperte er vorwärts, vielleicht konnte er irgendwo hin, wo die Russen ihn nicht gleich fänden...wo auch immer das war.

Er war so planlos. Bis auf seine Wohnung und das Büro hatte er keinen Unterschlupf, keinen Rückzugsort. Jetzt gerade war er auf sich allein gestellt und er begann Panik zu bekommen. Das ekelhafte Gefühl war ihm nicht ganz fremd und er hasste es. Die Panik suchte sich einen Weg seine Kehle hinauf, fraß sich ganz langsam in einzelne Körperzellen und vernebelte seinen Kopf.

Angespannt sah er sich um.

Gab es einen Fluchtweg?

Rechts führten die Rolltreppen hoch in die nächste Etage.

Er musste hier weg.

Taumelnd vor Angst wandte er sich nach rechts, aber noch bevor er einen wirklichen Schritt machen konnte, packte ihn jemand am Arm. Sein überängstliches Gehirn wollte schon zu einem Schrei ansetzten oder wenigstens zu einem Schlag ausholen, als eine weibliche Stimme sein Bewusstsein erreichte: „Erste Regel beim Fliehen. Nicht rennen, gehen. Und wie ich sehe haben Sie uns Gesellschaft mitgebracht.“

Moores Herz hätte sich gerne wieder beruhigt, aber sein Gehirn schickte die nächste alarmierende Nachricht seine Nervenbahnen hinab.

„Sie sind eine Auftragskillerin!“, stieß er aus und versuchte halbherzig sich aus ihrem Griff zu befreien. Sie ihrerseits lächelte jedoch und hackte sich bei ihm ein: „Da kratzen Sie aber nur an der Oberfläche. Jetzt gerade bin ich Ihre Aus-dem-Gefängnis-frei-Karte.“



Silver zog den leicht mitgenommenen Agent in aller Ruhe quer durch das Zentrum zu dem zweiten Eingang, der auf einer Brücke endete, die über eine große Interstate führte. Auf der anderen Seite der Brücke lag ein dreigeschossiges Parkdeck. „Haben Sie sich wieder halbwegs beruhigt?“, wollte die Frau wissen, als sie fast auf der anderen Seite waren. Moore brachte es irgendwie zustande zu nicken. Silver sah ihn aufmunternd an: „Das ist gut.“

Als sie bei dem Parkdeck angekommen waren und hinter der erstbesten zementierten Wand zum Stehen kamen, zog Silver ihr rechtes Hosenbein hoch und überreichte Moore ihre Zweitwaffe: „Uns sind vier Russen gefährlich nahe. Sie fahren jetzt mit dem Aufzug ins Erdgeschoss...ich nehme die Treppe. Die Russen werden mir folgen und ich schalte sie dann aus, okay? Auf dem Parkplatz 026 steht ein silbernes Auto, steigen Sie ein und machen Sie sich halbwegs klein! Wenn man Sie sieht sind Sie tot.“ Moore nickte, seiner Stimme vertraute er nicht wirklich. Aufmunternd klopfte sie ihm auf die Schulter.

Er rief den Aufzug, die Türen öffneten sich sofort. Moore trat ein und drückte die Taste für das Erdgeschoss. Als sie sich langsam wieder schlossen, konnte er seine Sorge um Silver nicht von seinem Gesicht verbannen. Die Frau war aktuell seine beste Chance hier rauszukommen. Sie zwinkerte ihm aufmunternd zu. Gerade noch sah er, wie sie sich nach links zu dem Treppenhaus wandte.



Das Treppenhaus war nicht der optimalste Ort für einen Kampf. Zu viele Ecken, um zurückgedrängt zu werden und zu wenig Platz um auszuweichen. Einen Schusswechsel wollte Silver nicht riskieren, weil sich hier eventuell noch andere Passanten aufhielten. Angespannt zählte sie die Sekunden hinunter. Nach 22 hörte sie von oben Fußgetrampel.

Als die ersten zwei nebeneinander um die Ecke bogen, hatten sie gar nicht genügend Zeit zu reagieren, als Silver auch schon zwei Messer nach Ihnen schleuderte. Der erste wurde an der Kehle getroffen, der zweite leider nur an der Schulter. Die Männer dahinter schnauften wütend und schoben sich wie eine gewaltsame Welle nach vorne. Silver ergriff das Geländer zu ihrer rechten, stieß sich mit einem Fuß vom Boden ab, machte eine Drehung um die Längsachse und trat mit dem anderen Fuß von links nach dem Messer, das sich widerstandslos durch das Fleisch schnitt und die Verlängerung der Schlüsselbeinarterie traf. Das hellgraue Shirt verfärbte sich augenblicklich tiefschwarz und gurgelnd sank der Mann zu Boden. Den Schwung nutzend flog Silver weiter, kam mit dem Fuß wieder auf und rammte nach einer zweiten Drehung ihr Knie zwischen die Beine des nächsten Angreifers. Sie stieg auf seinen Oberschenkeln empor, packte den Kopf mit den Kniekehlen und ließ sich wieder nach vorne fallen. Mit einem hässlichen Knacken brachten die Halswirbel noch während sie bei dem Abrollen von einer Wand der engen Treppe gestoppt wurde. Da war auch schon der Letzte über ihr. Mit der rechten Hand voran wollte er ihre Kehle packen, aber sie griff sein Handgelenk und trat mit den Füßen nach oben aus. Das Schultergelenk gab mit einem Krachen nach. Silver trat nochmal, diesmal nach dem empfindlichen Bauchraum und er stützte nach hinten über die Treppenstufen hinab. Sie kam in wenigen Sekunden wieder auf die Beine und hechtete ihm nach. Den Messerangriff, der sie unten erwartete, konnte sie gerade noch so abfangen und ihm die Waffe abnehmen, als er es auch schon mit einem Sprung nach vorne auf ihren Bauch abgesehen hatte. Silver machte einen Satz zurück, deutete an und schlug dann richtig zu. Ihr großer Vorteil, um die übertrumpfende Kraft der Männer zu kompensieren, war ihre Schnelligkeit und die perfekt ausgearbeitete Technik. Ihr Schlag war so angesetzt, dass er den Unterkiefer vom restlichen Schädel trennte. Mit einem Ausdruck des Entsetzten und der Fassungslosigkeit in den Augen versuchte er sich aus der Reichweite ihrer Fäuste zu retten, aber der nächste Schlag war alles vernichtend...direkt auf seinen Kehlkopf. Ein erstickter Laut drang aus dem, was von seinem Mund noch übrig war, dann griff er sich mit der intakten linken Hand dort hin. Schrecklich so zu sterben, und das wusste Silver. Sie machte einen Schritt nach vorne und brach ihm in einer flüssigen Bewegung das Genick.

Sie holte tief Luft und lockerte ihre Schultern. Dann nahm sie die Messer wieder an sich und verschwand eilig über das Treppenhaus nach unten ins Erdgeschoss.



Silver stieg auf dem Parkplatz mit der Nummer 26 in das Auto. Da klickte eine Waffe neben ihrem Kopf.

Ein Seufzen und sie drehte sich nach rechts. Moore hielt die Waffe, die Silver ihm zuvor gegeben hatte, an ihre Schläfe.

„Natürlich musste das so kommen.“

In einer blitzschnellen Bewegung packte sie die Waffe am Lauf und schlug sie mitsamt seiner Hand gegen das Lenkrad. Mit der anderen Hand packte sie das Handgelenk und drückte gegen einen empfindlichen Nervenpunkt. Ein spitzer Schmerzensschrei entkam den Agenten, dann ließ er die Waffe los. Klappernd fiel sie in den Fußraum des Fahrers. Silver verdrehte Moores Arm in einen unschönen Winkel und setzte einen Griff an seinen Fingern an. Ein bisschen Kraft in die richtige Richtung und sie würden splitternd zerbrechen, jetzt gerade schmerzten sie nur heftig. „Hören Sie mir jetzt ganz genau zu.“, stieß Silver zwischen zusammengebissenen Zähnen aus: „Ich hätte Sie auch einfach Ihrem Schicksal überlassen können, also machen Sie keinen weiteren Scheiß mehr. Ihr Leben ist in dieser ganzen Gleichung ziemlich unwichtig, gewissermaßen nur ein zusätzliches Laster, bei dem man es sich gerne dreimal überlegt, ob man es auf sich nimmt.“ Mit einem letzten nachdrücklichen Druck gegen seine Finger entließ sie seinen Arm.

Schwer atmend zog Moore ihn zurück. Silver holte die Pistole wieder aus dem Fußraum und verstaute sie in ihrem Stiefel, ehe sie den Motor startete und das Auto aus dem Parkhaus auf die Interstate lenkte.



Eine ganze Weile schwiegen sie, die Atmosphäre war angespannt. Auch, wenn Moore keinen weiteren Versuch unternahm Silver irgendwie zu überwältigen, spürte sie, dass er noch nicht so weit war sämtlichen Widerstand niederzulegen. Dazu schwieg Silver sich aber aus.

Jetzt erst hatte der FBI Agent die Möglichkeit sie genauer zu betrachten. Ihre Lederjacke spannte etwas in den breiten Schultern, die schwarze Hose umschmiegte ihre muskulösen Beine und das dunkelrote Shirt saß hauteng. Ihre Füße steckten in Boots ohne Absatz. Ihre blonden Haare flossen in leichten Wellen wie flüssiges Gold über ihre Schultern. Große grüne Augen und volle rote Lippen vervollständigten das Bild einer wahren Schönheit. Aber auch das Makeup konnte wegen der Nähe nicht gänzlich über die Hämatome in ihrem Gesicht wegtäuschen.

Trotz ihres bestechend guten Aussehens verströmte sie eine Gefahr, die Moore tief unter die Knochen ging. Sein Gehirn warnte ihn unablässig vor dieser Frau und bestand darauf irgendetwas zu unternehmen...irgendwie die eigene Situation zu verbessern, jetzt gerade fühlte er sich nämlich nur hilflos ausgeliefert.

Ihm fiel aber einfach nichts ein, was er jetzt noch machen könnte.

Sein einziger Vorteil, eine mögliche Überraschung, war dahin.



Nach einem Schulterblick wechselte Silver auf die mittlere Spur und gab Gas. Rechts zogen die langsameren Autos und LKWs vorbei. In Moores Kopf ratterte es, das spürte Silver.

„Sie sind sich sicher, dass ich den Präsidenten ermordet habe...“

Moore sah sie von der Seite an, nickte dann leicht. Silver grinste schief: „Auch auf die Gefahr hin, dass Sie mir dann ins Lenkrad greifen...Ihre Vermutung ist richtig...aber der Auftragsgeber dahinter wird sie viel mehr interessieren.“ Moore fühlte sich in dem Auto merklich unwohl. Er rutschte auf seinem Sitz hin und her und beobachtete Silver immer wieder aus dem Augenwinkel. Nach dieser Offenbarung wurde es nicht besser.

„Das ist...interessant.“, brachte er nach einer ganzen Weile hervor. „Sagen Sie nicht, Sie hätten so etwas nicht vermutet.“, erwiderte Silver: „Deshalb haben Sie mich überhaupt wieder zurück gerufen.“

„Hatten Sie damit gerechnet?“

„Ich hatte darauf gehofft, weil dann klar ist, dass Sie meine Hilfe brauchen und das minimiert das Risiko für mich.“

Moore seufzte resigniert. Silver nahm kurz die Augen von der Straße, um ihn anzusehen: „Ich werde dafür nicht ins Gefängnis gehen, das verspreche ich Ihn...aber ich habe etwas, was Ihr Leben retten kann und Ihre Karriere.“ Mit einer Hand griff sie nach dem Handschuhfach und holte einen silbernen USB-Stick heraus.

„Darauf befindet sich alles, was sie brauchen, um Ihre Unschuld zu beweisen und die Schuldigen vor Gericht zu bekommen...ich würde aber nicht darauf zugreifen, sonst erfahren Sie Dinge, die Sie schlussendlich doch umbringen könnten.“

Moore drehte den Stick gedankenverloren zwischen den Fingern, steckte ihn dann ein: „Können Sie mir denn ungefähr sagen, was da drin steht?“ Silver stieß ein leises Lachen aus und begann zu erklären: „Haben Sie mal den Sohn des amerikanischen Präsidenten kennengelernt?“

„Ja...leider. Schrecklicher Mensch. Ihm ist der Ruhm zu Kopf gestiegen, oder er hat von Geburt an einfach einen schrecklichen Charakter.“

„Als der amerikanische Präsident vor zwei Monaten in Russland war, hat sein Sohn die Tochter des russischen Präsidenten vergewaltigt.“

Moore fluchte unterdrückt: „Scheiße...“

„Sie haben es erfasst...aber es wird noch schlimmer. Der russische Präsident wollte offenbar bei seinem Besuch hier Beweise dazu veröffentlichen, was Amerika nachhaltig hätte schaden können. Dazu noch zwei oder drei Anschläge auf wichtige wirtschaftliche Punkte und sie lägen am Boden. Die obersten Positionen bei der CIA haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Ruf des Präsidenten zu retten, indem sie den Russlands umbringen lassen. Und von Anfang an war geplant, dass ich sterbe und alles auf den ermittelnden Agenten hindeutet, dem man eine ideologisch motivierte Tat in die Schuhe schieben wollte.“

Nach dieser Enthüllung schwieg Moore lange Zeit. Er hatte das Gefühl, als müsste er sich jeden Moment übergeben. Der Stick in seiner Jackentasche brannte sich in seine Haut, als ihm die Bedeutung von allem bewusst wurde.

„Ich habe ein ziemliches Problem...“, murmelte er dann: „Oh Gott, die CIA wird mich hassen, wenn ich das veröffentliche. Vielleicht versuchen die mich dann wegen Hochverrat dranzukriegen.“

„Die Alternative ist, dass Sie ihr Leben verlieren.“, Silver warf ihm einen bedeutungsschweren Blick zu: „Sie sollten danach für einige Zeit untertauchen. Monaco ist ganz schön und Brasilien, oder die Inseln im südchinesischem Meer...nur nicht Osteuropa, da wird es dann schon wieder gefährlich.“



Silver lenkte das Auto auf den Parkplatz der ersten Tankstelle hinter Washington. Moore kletterte nach einer auffordernden Handbewegung aus dem Auto. Aus ihrer Jackentasche holte sie einen Autoschlüssel und ein dickes Bündel 100Dollar Noten und überreichte es ihm durch die geöffnete Scheibe.

„Zwei Tipps: Erstens, wenden Sie sich an irgendwelche Journalisten, die dringend eine gute Story brauchen, um die Daten auf dem Stick zu veröffentlichen. Zweitens, ich empfehle ab Dallas den Zug um nach Mexiko zu kommen. Von dort ist es leichter mit Ihrem Pass irgendwo anders hinzufliegen.“

Sie wollte das Fenster schon wieder schließen, als Moore „Halt!“ rief. Abwartend sah sie ihn an.

„Besteht die Chance, dass ich Sie nochmal wiedersehe?“

Sie zwinkerte: „Wie gesagt, Monaco ist ganz schön und einen guten Drink kann man mit schöner Aussicht über das Meer immer genießen.“ Damit startete sie wieder den Motor und lenkte das Fahrzeug von dem Parkplatz zurück auf die Straße. Moore blickte ihr noch lange hinterher...







EPILOG



Welcome to your life


There’s no turning back


Even while we sleep


We will find you




10.06.2018  15:53Uhr

Monaco Yacht Club

Moore stand in einer ordentlichen weißen Hose und blauem Polohemd auf der obersten Terrasse des Yachtclubs von Monaco und starte in das Hafenbecken hinauf. Unter ihm befanden sich zwei weitere Terrassen, auf denen sich die reichsten Tausend der Europäer tummelten. Teure Kleidung, noch teurerer Schmuck und an die Yachten im Hafen und den Autos auf dem Parkplatz wollte man gar nicht erst denken. Den leisen Hintergrundgeräuschen nach fuhren auf der anderen Seite des Yachtclubs gerade die Autos der Formel 1 her, die gerade im Großen Preis von Monaco um die beste Platzierung kämpften.

Ein klein wenig verloren sah Moore sich um. Er war mit der Hoffnung nach Monaco geflogen, nochmal seine Retterin zu treffen und sich wirklich zu bedanken, aber er war bereits seit 14 Tagen hier und allmählich schwand seine Hoffnung, irgendwie mit ihr in Kontakt zu treten.

Er trank einen kleinen Schluck von dem George Dickel No.12 und wollte gerade zum Rückzug antreten, als eine Frau neben ihn trat.

„Ich habe nicht mehr damit gerechnet, Sie hier anzutreffen.“, meinte sie und lehnte sich mit einem seichten Grinsen auf den Lippen neben ihn an die Brüstung. Moore betrachtete sie aufmerksam; die Haare waren jetzt rostrot gefärbt und kurz geschnitten. Die Kleidung der Umgebung entsprechend angepasst. Ein schwarzes Kostüm mit einer weißen Bluse und flachen Lackschuhen. Auf ihrer Nase thronte eine große Sonnenbrille und irgendwie wirkte die Struktur ihres Gesichtes anders

„Es freut mich, dass Sie noch leben.“, fuhr sie dann fort, während sie sich die Sonnenbrille vom Gesicht nahm: „Hat alles soweit funktioniert?“ Moore stieß ein Schnauben aus: „Lesen Sie keine Zeitung? Es gibt immer noch keinen Tag, an dem das nicht auf den Titelseiten aller Zeitungen steht.“

Silver richtete den Kragen ihres Blazers: „Da wo ich mich aufgehalten hatte, konnte man nicht so auf Medien zugreifen.“

„Wo waren Sie denn?“

„Weit, weit weg. Auch ich muss mich manchmal verstecken.“

„Und das tun Sie hier unter den Schönen und Reichen?“, Moore runzelte die Stirn. Silver lachte allerdings nur leise: „Nein, hier bin ich um zu arbeiten.“

Sie nickte hinunter zu der weit ausladenden Bar, die sich am Rand der unteren Terrasse unter einem weißen Segel befand. Von ihrer Position konnte sie unter das schräggestellte Segel blicken. Eine Frau, in einem auffälligen roten Cocktailkleid mit einer offenen Schnürung am Rücken, bekam gerade zwei Mojito überreicht. Ihre blonden Haare waren mit dünnen Flechtzöpfen und feinen Silberketten durchzogen. Sie schenkte dem Barkeeper ein strahlendes Lächeln, bevor sie zu einer Sitzecke an der Brüstung der Terrasse, mit Blick auf das Wasser, zurückkehrte. Dort waren gemütliche Sofalandschaften rund um eine Feuerschale aufgestellt, die jetzt gerade noch nicht entzündet war. Sie setzte sich neben einen jungen Mann, der ihr ein Glas abnahm. Moore beobachtete, wie sie sich kichernd unterhielten.

Der Mann legte seinen Arm um die junge Frau und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie lachend den Kopf in den Nacken warf.



„Sollen Sie sie umbringen?“

Silver schüttelte den Kopf: „Ich soll verhindern, dass das jemand tut. Sie ist die Tochter des Vorsitzendes des Yacht Clubs.“ Moore schmunzelte leicht: „Verdient man gut?“

„Bei ihr? 2000 pro Stunde, jeden Tag. Insgesamt vermutlich 10 Tage lang.“

Moore rechnete im Kopf nach: „672000 Dollar.“ Silver schüttelte den Kopf: „Euro...dass sind beinah 800.000 Dollar. Aber ist auch gut so. Ich werde demnächst verschwinden müssen.“

Sie stieß ein Seufzen aus, schüttelte ganz leicht den Kopf und stieß sich von der Brüstung ab.

„Müssen Sie lange hier bleiben?“

„Ich habe keine Ahnung.“, Moore zuckte mit den Schultern: „Das Problem ist nicht, dass ich das veröffentlicht habe...das FBI hat versucht mich zu schützen, Journalisten unterstützen mich und viele Politiker auch, aber die CIA hat schon einige Male Auftragskiller angeworben und solange nicht alle restlos verurteilt sind und im Gefängnis sitzen, ist es für mich sehr gefährlich.“

„Da es sich bei der ganzen Sache um einen Apparat der Bürokratie handelt, dauert das noch lange.“, Silver öffnete ihren Blazer und holte ein Stück Papier hervor: „In Ihrem Hotel gibt es an der Rezeption einen Safe. Das hier ist der Code für den Safe mit der Nummer 221. Darin befindet sich genug Geld, damit Sie durch kommen.“ Sie schloss ihren Blazer wieder, der sich perfekt an ihre Taille anschmiegte.

„Wird das nicht auffallen, wenn irgendwer meine Ausgaben untersucht?“

„Wollen Sie verhungern?“

Moore nahm den Zettel an sich.

„Wieso machen Sie das alles?“, wollte er dann wissen. Er sah sie bewusst nicht an. Sein Blick wanderte über mehrere der feiernden Menschen in dem Yacht-Club, bis er schließlich an der Frau hängen blieb, für die Silver gerade die Secuity mimte

Silver versteifte sich nicht und zuckte auch nicht zusammen, nicht mal ihre Pupillengröße veränderte sich. Sie stand weiter unbewegt da.

„Es würde den Rahmen sprengen, Ihnen meine Beweggründe genauer darzulegen.“, sie setzte ihre Sonnenbrille auf, nahm Moore seinen Drink aus der Hand und wandte sich zum Gehen: „Ich mache schlimme Dinge und gute Dinge und auch irgendetwas dazwischen. Für das Gewissen und das Geld. Cheers.“ Damit prostete sie ihm zu und machte sich mit zügigen, aber nicht hektischen Schritten auf den Weg. Sekunden später stand Moore allein an der Terrasse und starrte auf das Meer hinaus.

Für das Gewissen...ja, das konnte er verstehen.













Disclaimer


Alle Charaktere und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt! Einige erwähnte Fakten, Orte, Gegenstände etc. existieren wirklich und sich recherchierbar. Andere sind frei erfunden und entspringen der Fantasie des Autors!





Verwendete Lieder

„Paint it black“ von Hidden Citizens

„Bad guys“ von 3OH!3

Dysfunctional“ von Tech N9ne

Believer“ von Imagine Dragons

Everybody wants to rule the world“ von Lorde





Erwähnte Bücher

„Die Grüne Wiese“ von H.P. Lovecraft



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