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Kurzbeschreibung
GeschichteHumor, Liebesgeschichte / P12 / Gen
01.03.2019
28.02.2021
74
63.572
1
Alle Kapitel
20 Reviews
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
 
13.03.2019 1.127
 
15. Oktober 2018, 16 Uhr, im Zimmer

"Sorry, I didn't mean to wake you up last night", sagte ich, nachdem Alexa mich aufgeweckt hatte. Sie verdrehte die Augen und warf ihre langen Haare in den Nacken. Cooler Move. Der einzige Grund, um sich die Haare lang wachsen zu lassen.
"You didn't wake me up, Tara. We bumped into each other, when I was about to leave." Ich schnitt eine Grimasse. Bluffen, meine heimlichen Leser, ist nie eine gute Idee.
"And when did you leave?", fragte ich, mein Blackout geschickt verschweigend.

"It was like eight in the morning." Ihre Worte wurden von einem missbilligenden Gesichtsausdruck und einem vorwurfsvollen Unterton begleitet. All die amerikanischen Filme hatten in ihrer Beschreibung von weiblichen College-Studentinnen gelogen. Ich dachte, Alexa würde nur darauf warten, ihre homosexuelle Phase an mir auszuleben und mich in meinem Vorhaben, Bierpong Weltmeisterin zu werden unterstützen. Bisher war aber Aldous Huxley der einzige Verbindungspunkt zwischen uns.
"At least I didn't wake you up", nuschelte ich und fragte mich, warum ich neben den Brötchen, Äpfeln und Nutella nicht auch noch wenigstens eine Wasserflasche mit auf mein Zimmer genommen hatte.

Jesús Ankunft rettete mich. Er lachte über den Hut und fragte in sehr gebrochenem Englisch, wem ich den denn geklaut hatte. Ich machte hilflose Gesten und jagte beide aus meinem Zimmer. Dann zog ich mir die Decke über den Kopf.

***

Tagebucheintrag, 15. Oktober, 22.14 Uhr, immer noch im Zimmer

Henni ist vor einer Weile angekommen und hat sich beschwert, dass ich morgens um sieben nicht da gewesen bin. Sie hatte sich nämlich von ihrem One-Night-Stand weggeschlichen und ist dann nicht in die Wohnung gekommen. Passiert. Und ich konnte ihr einen umfassenden Bericht von gestern Nacht geben.

Moment. Das ist jetzt zwar aktuell wichtig, aber ich habe seit Beginn meines Tagebuchs nur heute geschrieben. Was habe ich die letzten zwei Wochen gemacht? Ich habe meine Mitbewohner kennengelernt. Also Alexa und Jesús und Carla und Ala. Die erste Woche habe ich mit Elias und Tania (also seiner Freundin) mein Zimmer eingerichtet und wir waren auf ein paar Semesterbeginn-Partys und haben neue Freunde gefunden und wir haben uns London angeschaut. Dann ging der ganze Unikram los, ich hab noch mehr Leute kennengelernt und bin ständig wegen irgendwelcher dummen Dokumente zwischen Wohnheim und Uni hin und her gehetzt und Elias und Tania konnten weiter ihre Freizeit genießen. Ist vielleicht ganz gut, mit beiden in einem 10m2 Zimmer zu wohnen, war echt anstrengend. Elias kenne ich ja, der ist kein Problem. Tania kenne ich nicht ganz so gut und die hat auch so ein kleines Oberflächlichkeits-Problem mit Instagram-Sucht gekoppelt. Aber die sind dann am 09. weitergefahren und zwei Tage hatte ich das Zimmer für mich. Und dann ist Henni gekommen. Yay.

Ich kenne also jetzt viele Leute und alle möglichen Unibüros und heute wäre theoretisch der erste richtige Vorlesungstag gewesen. Gut, dass ich so viele Leute kenne, die mich jetzt über den ganzen organisatorischen Kram aufklären können. Ich schreibe am besten gleich noch irgendwem.

Ja. Soviel dazu. Henni schläft jetzt schon, weil sie ja um sechs morgens aufgestanden ist und nicht wie die andere Person in diesem Zimmer um sechs Uhr abends. Ich komme überraschend gut klar in London. Sprache ist gar kein Problem. Mit Ausnahme von indischen Akzenten, das ist super anstrengend. Und auch die Stadt ist krass gut. Das Zentrum ist ein bisschen überfüllter als Berlin (im Oktober, das muss man sich mal vorstellen), aber mit dem Subway und so habe ich mich schnell angefreundet. Als ich damals in Berlin angekommen bin, war ich viel überforderter. Aber die Umstellung von Berlin auf London ist vermutlich nicht ganz so krass wie die Umstellung von Coburg nach Berlin.

Und jetzt zu den aktuellen Geschehnissen:

Klatschtante Henni musste natürlich als allererstes mit ihrem ONS angeben, bevor sie realisiert hat, dass ich ja nach ihr nach Hause gekommen bin und dementsprechend vermutlich auch eine viel spannendere Geschichte zum Angeben habe. Eigentlich sind meine Geschichten immer spannender. Ich habe ja schließlich keine unkreativen One-Night-Stands, sondern erlebe Abenteuer.

Also habe ich ihr alles erzählt. Sie kennt mich gut genug, um mein Komasaufen nicht zu verurteilen und außerdem habe ich den Eindruck, dass uns nur die Fähigkeit einander zuzuhören zu besten Freunden macht (und wir haben halt die letzten anderthalb Jahre zusammen gewohnt). Egal, was wir ansonsten über die andere Person denken. Ich glaube, hätten wir uns unter anderen Umständen kennengelernt, hätten wir ohne Punkt und Komma über die jeweils andere gelästert.

Jedenfalls war es sehr unbefriedigend die Geschichte zu erzählen. Fast so unbefriedigend, wie der Versuch, alle meine Gedanken aufzuschreiben. Da ist halt nicht viel in meinem Kopf. Und das dann zu sortieren und irgendwie verständlich aufzuschreiben, ist auch gar nicht so einfach. Außerdem bin ich es nicht gewohnt, so viel mit der Hand zu schreiben, ich habe fast einen Krampf. Dumme Sachen kann ich nicht mal einfach löschen, ich muss sie durchstreichen und nochmal schreiben.

Wie auch immer. Zurück zu meinen wenigen Gedanken.
Abgesehen von Elliotts Lächeln sind meine Erinnerungen so sporadisch gesät, dass ich heute Morgen nicht mal mehr seinen Namen wusste. Das gibt einem schon zu denken. Vor allem, weil die Dinge, an die ich mich erinnern kann, einfach gut waren. Er war sympathisch, wir schienen eine gute Dynamik und sehr viel Spaß gehabt zu haben. Aber haben wir rumgemacht? Bin ich mit ihm in die Kiste gesprungen? Haben wir aus Versehen irgendwelche Straftaten begangen? Keine Ahnung.

Und um ehrlich zu sein, findet man nicht oft Menschen mit diesem Lächeln. Ich kann euch alle fünf aufzählen. Marius, Jule, Lorenz, Conor und Franck. In der Reihenfolge. Gymnasium, Auslandsjahr, Uni, Uni, Uni. Man könnte meinen, ich hasse dieses Lächeln inzwischen. Nö. Ich habe mich noch nie in jemanden ohne dieses Lächeln zu verliebt. Die Kerle an sich können aussehen, wie sie wollen. Entscheidend ist, dass sie genau dieses Lächeln haben.

Elliott ist jedenfalls der mit Abstand attraktivste Mensch, den ich seit meiner Ankunft in London gesehen habe. Laut meinen Erinnerungen ist er auch der freundlichste Mensch, den ich seit meiner Ankunft in London gesehen habe. Das will schon was heißen, ich habe viele freundliche und hübsche Menschen kennengelernt. Aber ich sehe nicht ein, warum ich diesen freundlichsten und schönsten Menschen nur für zwölf Stunden anstatt für immer um mich rum haben sollte. Jup. Ab morgen sind meine Kopfschmerzen weg und nach der Uni werde ich Elliott finden. Nicht auf gruselige Stalker-Art, sondern so romantisch. Ich glaube, das ist automatisch romantisch, weil ich kein Kerl bin und auch nicht eklig aussehe. Außer jetzt gerade. Aber jetzt gehe ich erst mal duschen. Also sobald Ala fertig ist.

Eine Dusche für fünf Menschen... Alter.
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