Hurts like Hell
von OniKaminari
Kurzbeschreibung
Noch bevor Law mit den Strohhüten eine Allianz schloss, erlaubte er seinem Küchenmädchen eine eigene Piratenbande zu gründen, und unter seiner Flagge zu segeln. Dies war die Geburtsstunde der Bone-Piraten, eine Einheit der Heart-Piraten. Schließe dich Lorelay, Ally und Black an und werde Teil der Bone-Piraten! Triff neue Freunde, lerne altbekannte Piraten kennen und erlebe (hoffentlich) epische Schlachten! Und wenn das Leben als Pirat nichts für dich ist, lockt dich vielleicht die Cipherpol oder die Marine ;) Ich bin mir ziemlich sicher, dass mir diese Kurzbeschreibung noch besser gelingt irgendwann :D
GeschichteAllgemein / P16 / Mix
Eustass 'Captain" Kid
Monkey D. Garp
Monkey D. Ruffy
OC (Own Character)
Rob Lucci
Trafalgar Law
22.01.2019
21.03.2023
173
582.773
21
Alle Kapitel
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18.03.2023
3.173
Kuros Sicht:
Es war jetzt drei Tage her, dass wir Qualle im Aufenthaltsraum rumschreien hörten. Sie hatte Streit mit Lory, so viel konnten wir heraushören oder uns zumindest erschließen. Seitdem war die Köchin nicht mehr zu sehen. Sie blieb allein in ihrem Zimmer. Selbst Izzy und Black lehnte sie vollkommen ab. Nur Lola und Blue hatten sporadisch Kontakt zu ihr, wenn sie ihr Essen und Trinken brachten. Noodle war vollkommen fertig mit den Nerven. Auch sie wurde von Qualle vor die Tür gesetzt und hatte keine Chance zu ihr durchzudringen.
Qualle sprach nicht. Ihre Teller kamen auch meistens wieder unberührt zurück. Ich war nicht der Einzige, der sich sorgte und natürlich klopfte ich auch bei ihr und wollte mich nach ihr erkundigen, aber sie reagierte nicht.
Lola mahnte uns dazu sie in Ruhe zu lassen. Ganz in Ruhe. Kein Klopfen, kein Hilfeangebot, einfach Ruhe. Sie wurde bitterböse mit Izzy, als er es trotzdem versuchte und stauchte ihn ordentlich zusammen.
Lory war auch vollkommen auf der Seite ihrer Oma. Spätestens damit wurde Lolas Anweisung tatsächlich zum Befehl und nach der Aktion auf dem Deck und Lorys seltsamem… Ausflug, von dem wir noch immer nicht wussten, was er zu bedeuten hatte, wagte keiner sich ihren Befehlen zu widersetzen. Sie hatte eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wer hier auf dem Schiff das Sagen hatte.
Überhaupt verhielt sie sich plötzlich so… normal? Es war beinahe unheimlich, wie fit sie plötzlich war. Was auch immer sie getan hatte, sie hatte sich… naja, normalisiert eben.
Sie sah vollkommen gesund aus. Bis auf eine leichte Blässe verriet nichts mehr, dass sie eigentlich noch sehr angeschlagen war. Was die ganze Sache extrem verkomplizierte.
Man vergaß so leicht, dass sie sich noch immer nicht erinnerte. Sie spielte mit Kaito, übernahm es nach ein paar Tagen komplett sich wieder um ihn zu kümmern und ihre einzige dauerhafte Unterstützung dabei war Takeru. Wie schon die Male zuvor. Sie sprach auch ganz normal mit uns, kicherte über Witze und alles wirkte so wie immer, bis sie eben über einen Kommentar, eine Bemerkung oder Anspielung stutzte. Dann musste man ihr erst erklären, was damals alles war, und ihr berichten, was sie vergessen hatte.
Es war nicht leicht…
Für die anderen Kinder auch nicht. Sie langweilten sich langsam auf dem Schiff. Da kam es wie gerufen, dass wir den Calm Belt endlich verließen und den South Blue betraten. An einer ganz anderen Stelle, als wir eigentlich wollten, aber das war uns egal.
„Die Redline!“, schrie Elorie aufgeregt, während ich tief einatmete und die erste Brise frischen Windes genoss: „Da hinten ist schon die Redline!“
„Stimmt“, bestätigte Lola schmunzelnd: „Und guck mal in die andere Richtung. Da ist eine feine, kleine Insel, auf der wir erstmal halten.“
„Wir fahren nicht direkt bis nach Elysium durch? Warum nicht?“
„Wir brauchen neue Vorräte und du bist extrem aufgedreht. So kann ich dich nicht bei deinen Eltern abgeben.“
Die kleine Prinzessin guckte zu Lola hoch: „Du gibst mich doch auch gar nicht ab, sondern Lory.“
Lola grinste: „Ah, schon richtig. Trotzdem werde ich es abbekommen. Ich kenne deine Mutter zu gut. Also geht ihr Kinder euch auf der Insel ein bisschen austoben und dann fahren wir weiter.“
„Klingt ok. Können wir zur Redline fahren!?“
„Mh, nein. Eher nicht.“
„Ich frag Lory, die ist der Käpt’n!“
Kichernd streichelte Lola ihr über den Kopf: „Ok, mach das. Dann bitte sie doch auch gleich darum bei deinem Vater anzurufen. Sie soll ihm sagen, dass wir zwei, drei Tage hierbleiben.“
Obwohl ich ganz entspannt in der Gegend herumstand und eigentlich kein Hindernis sein dürfte, rannte die Kleine erstmal gegen mich, bevor sie laut nach Lory rufend übers Deck rannte.
„Zwei bis drei Tage?“, wiederholte ich überrascht: „Dann wird das ja doch ein richtiger kleiner Aufenthalt hier.“
„Mhm“, machte sie gut gelaunt: „Mach dir ein paar Pläne. Erkunde die Insel mit jemandem oder bau noch ein paar Möbel mit Izzy auf. Das tut euch beiden gut.“
Damit hatte sie tatsächlich sehr recht.
Wir bauten viel in letzter Zeit. Beziehungsweise ich baute und er saß bei mir und sah mir zu. Oft schwiegen wir uns einfach an, genauso oft unterhielten wir uns aber auch und lenkten uns ab. Von Qualle, die ihn sehr beschäftigte und von der Situation auf Water 7. Und… irgendwie von allem anderen. Ich verbrachte gerne Zeit mit ihm, er war ganz witzig drauf.
Er hatte mir auch dabei geholfen die Wand in Allys und Akis Zimmer wieder zu reparieren. Man sah jetzt nichts mehr von dem Vorfall, auf den schließlich auch Lory aufmerksam geworden war. Ich verließ den Raum, als sie und Takeru anfingen zu streiten. Sie verlangte eine Erklärung für die kaputte Wand, er wollte das Fass nicht öffnen und verbot noch zusätzlich Black den Mund, der mit einem unangenehmen Grinsen am Tisch saß und sich den Streit ansah.
Ihm würde ein Ausflug auch guttun… Der Schwarzhaarige verhielt sich seltsam. Um es nett auszudrücken. Und um es mit Blues Worten zu sagen, verhielt er sich wie ein egoistisches Arschloch… Sie hatte recht damit. Man wollte gar nicht mehr mit ihm sprechen. Er verdrehte die Themen und es lief immer darauf hinaus, dass er etwas verletzendes sagte und versuchte unnötig zu provozieren.
Schwer seufzend stützte ich mich auf der Reling ab und genoss ein paar Minuten lang die Sonne auf meiner Haut, bis mich Izzy um Hilfe bat.
Balou und Junior hatten ihre Arbeit getan. Die Silver Sails konnte jetzt auch ohne ihre Hilfe vorankommen, also befreiten wir sie von den Seilen, mit denen sie uns durch den Calm Belt gezogen hatten.
Der Wind blies in die Segel. Die Sonne ließ den Stoff strahlen und machte damit dem Namen unseres Schiffes alle Ehre. Ganz entspannt schipperten wir in den Hafen der kleinen Insel und legten an.
„Auf, Kinder!“, rief Benza und klatschte grinsend in die Hände: „Wir gehen auf Entdeckungstour!“
Seine Zwillinge und Elorie waren sofort dabei. Nur Kuro ließ die Hand seiner Mama nicht los, die barfuß und mit Bettfrisur bei uns stand und ein paar Worte mit Blue wechselte. Er war einfach fast so groß wie sie, das war unglaublich…
„Willst du nicht auch mitgehen?“, erkundigte ich mich bei dem Jungen. Er sah so gar nicht beeindruckt von Benzas Plan aus.
„Nö“, antwortete er und lehnte sich gegen Lory: „Mama und Takeru gehen später mit mir weg.“
„Das klingt auch schön.“
„Und was machst du?“
„Mh“, machte ich: „Habe ich mir noch nicht überlegt. Ich habe noch ein bisschen mit den Möbeln zutun, aber auf die Insel gehen klingt auch sehr verlockend.“
Meine Überlegungen erledigten sich, als Izzy zu mir kam und fragte, ob ich mit ihm spazieren gehen wollte. Seine Augenringe waren noch dunkler geworden und er wirkte beinahe ein wenig desorientiert. So wollte ich ihn nicht allein auf die Insel schicken, also willigte ich ein.
Ich fragte auch Ally und Aki, ob sie Lust hatten auf einen kleinen Ausflug, aber sie lehnten ab.
„Was ist mit dir, Mama?“, fragte Izzy müde und rieb sich ein Auge: „Willst du ein paar Schritte gehen? Wir nehmen dich mit.“
„Maris“, seufzte Lola in dieser für sie so typischen Tonlage, die sie immer dann anschlug, wenn sie genervt war oder langsam die Geduld verlor: „Mein liebes Kind. Wenn ich ein paar Schritte gehen will, setze ich einen Fuß vor den anderen und wandle! Ich bin alt, aber nicht schwerbehindert!“
„… Dir fehlen beide Beine, das ist so ziemlich der Innbegriff von schwerbehindert sein.“
Sie schob ihn mit ihrem Gehstock voran: „Geh laufen. Auf. Passt auf euch auf, ihr könnt nicht wissen, wer oder was in diesen Wäldern lauert. Esst keine Süßigkeiten, die euch Fremde anbieten und wenn alle Stricke reißen, opfert euch gegenseitig.“
„Du gibst einfach die besten Ratschläge, Mutter.“
„Nenn mich nicht Mutter, da fühle ich mich so alt.“
„Du bist 71, du bist alt!“
Ein weiterer Stoß mit dem Stock schubste ihn die Rampe nach unten. Stolpernd versuchte er sich zu fangen und entging nur ganz knapp, mit dem Gesicht voran auf dem Steg zu landen.
Kichernd lief ich ihm hinterher und klopfte ihm auf den Rücken.
„Da will man nett sein…“, brummelte er und trottete los.
„Ich glaube, Lola hat einfach andere Pläne. Lass uns ein Stück gehen, das beruhigt bestimmt deine Nerven und wenn du ein bisschen ausgepowert bist, kannst du vielleicht auch schlafen.“
Ich ließ ihn den Weg wählen. Benza, Blue und die Kinder waren in das kleine Dorf gegangen, dass am Hafen angrenzte. Izzy steuerte den Wald an, der rechts vom Dorf gelegen war. Ich spazierte ihm entspannt hinterher.
Er schlurfte immer mehr und obwohl es seine eigene Idee war, war er schnell unzufrieden mit unserer kleinen Wanderung. Nuschelnd brummelte er in seinen nicht vorhandenen Bart. Dabei war es hier im Wald so friedlich. Die Blätter raschelten, die warme Sonne wärmte unsere Haut. Es roch so angenehm frisch nach Blumen und Wiese. Ich könnte mich hier tatsächlich entspannen, zumindest für den Moment. Aber nicht, wenn es Izzy so schlecht ging.
„Willst du reden?“, bot ich an.
„Mh“, machte er und versuchte seinen müden Körper aufzurichten, bevor er schwer seufzte: „Ist ja nichts, was du nicht schon wüsstest.“
„Erzähl es mir trotzdem. Du siehst so fertig aus, du musst mit deinen Gedanken nicht allein sein.“
Als ob ich alles wüsste, was hier abging…. Ich hatte mitbekommen, dass auf dem Schiff, das Lory versenkte, offenbar Qualles Vater lebte. Mir lief so ein entsetzlicher Schauer über den Rücken, dass ich gar nicht wagte nachzufragen oder dem auf die Spur zu gehen. Lory hatte doch nicht wirklich Qualles Vater umgebracht, oder? Richtig?
„Ich mache mir einfach Sorgen um Qualle“, sagte er: „Ich meine, ich kann verstehen, wenn sie jetzt niemanden um sich herum haben will… Keine Männer. Ich möchte aber auch nicht, dass sie so allein ist. Sie hat ja sogar Noodle rausgeworfen.“
Keine Männer?
„So habe ich sie noch nie erlebt“, gab ich zu, ohne auf seine Bemerkung einzugehen: „Und ich mache mir auch Sorgen. Geben wir ihr trotzdem Zeit. Anscheinend braucht sie das gerade.“
„Ich weiß nur nicht, ob das wirklich so eine gute Idee ist, wenn sie sich so einigelt… Wenn sie wenigstens Blue oder Mama wirklich zu sich lassen würde…“
„Wird sie, wenn sie bereit ist. Ich weiß nicht, was genau überhaupt passiert ist. Es geht mich auch nichts an, das scheint wirklich etwas sehr Privates zu sein. Wenn sie denkt, dass das jetzt gerade das richtige für sie ist, müssen wir das respektieren.“
„Ich weiß“, murmelte er und atmete tief durch: „Tue ich auch. Es fällt mir nur schwer, ich wäre gerne für sie da.“
„Bist du. Sie weiß, dass du da bist und wenn sie dich braucht, kommt sie garantiert zu dir.“
Brummelnd guckte Izzy in die Wolken: „Ja. Sie weiß ja, wo ich bin.“
„Eben. Du musst ein bisschen auf dich selbst aufpassen. Du siehst echt vollkommen fertig aus.“
Er hatte seine Hände in die Ärmel seines hellblauen Kimonos geschoben. Ich konnte trotzdem sehen, dass er nervös in seine Unterarme kniff. „Weißt du wie ätzend es ist, wenn man einen Verdacht hat und keine Bestätigung bekommt?“, fragte er: „Beziehungsweise wie frustrierend es ist, wenn man keine Entwarnung bekommt? Natürlich weißt du es, du bist jetzt wie lange mit Eisberg unterwegs? Sie macht einfach nie das Maul auf und sagt mal was Konkretes, das ist fürchterlich! Stattdessen bekommt man nur Halbwahrheiten, kryptische Informationen und ist dann mit seinen Gedanken alleine.“
„Ja, das kenne ich leider… Du kannst mit mir reden.“
Der junge Mann fuhr sich durch seine kurzen, lila Strubbelhaare, die zu den Spitzen hin immer heller wurden, bis sie in einen sanften Orangeton übergingen: „Ja, danke. Aber besser nicht. Du hast schon gesagt, dass du keine Ahnung hast und ich will zuverlässige und eindeutige Antworten haben.“
Ich nickte: „Das verstehe ich.“
„Lass uns lieber über etwas anderes sprechen“, bat er müde: „Ethan ist im Moment nicht da. Kann ich in der Zwischenzeit mit in dein Zimmer einziehen? Wenn das ok ist? Dann bin ich näher bei Qualle.“
Schmunzelnd gab ich mein Einverständnis: „Noch kein ganzer Themenwechsel, aber ja, klar.“
„Dann können wir auch besser über deine Situation reden. Du hast mir immer noch keine Details zu deiner Schwester gesagt. Mach das mal jetzt.“
„Jetzt?“, hakte ich nach.
„Ja. Bitte. Ich will mich ablenken und dann kann ich darüber nachdenken und mir überlegen, wie wir sie finden können.“
Ein wenig überfordert summte ich und suchte einen passenden Anfang. Das Problem war ja, dass ich kaum Details hatte. Das, was ich ihm beim Aufbauen von Lorys Sachen erzählt hatte, war eigentlich schon alles.
Ratlos guckte ich auf den Pfad vor uns, überlegte und erspähte in der Ferne eine Person, die langsam auf uns zukam. Dieser Wald hier war aber auch wirklich schön für einen Spaziergang. Wunderte mich, dass hier nicht mehr Leute rumliefen…
„Kuro.“
„Ja!“, schnappte ich aus meinen Gedanken heraus: „Ich kann dir nicht viel mehr geben…“
„Dann erzähl mir einfach nochmal, was ich schon weiß“, bat er: „Von Anfang an. Erzähl mir alles.“
„Äh“, machte ich und kratzte mich am Kopf: „Ok. Also… Ich bin in Skypia aufgewachsen. Mit meinem Papa. Mein Vater hat nicht bei uns gelebt, war aber oft bei uns. Wenn ich mich richtig erinnere. Das sind alles nur ganz verschwommene Erinnerungen. Mein Vater hatte noch andere Kinder, eben auch meine Schwester… Ich kann mich besser an sie erinnern als an meine Väter. Ist das nicht komisch?“
„Ach, nein“, meinte er: „Wenn sie einen sehr prägenden Einfluss auf dich hatte, ist das doch schön. Beschreib sie mir. Alles, was du weißt.“
„Sie war sehr groß. Das könnte natürlich auch einfach an der Perspektive gelegen haben, weil ich eben noch ein Kind war, aber… Sie war größer als mein Vater. Und der war schon riesig, wenn ich so drüber nachdenke. Sie hat blonde Haare, wie mein Vater. So schulterlang. Aber das kann sich ja geändert haben…“
Izzy winkte ab: „Sag mir einfach, was du weißt. Das sie mittlerweile vielleicht ein bisschen anders aussieht, ist egal.“
„Ok… Sie hat Flügel. Wie ich, nur in weiß… Obwohl, nicht ganz.“
„Nicht ganz weiß?“
„Also… schon“, druckste ich: „Sie waren ein bisschen golden.“
Izzy blieb stehen und sah mich verdutzt an: „Golden?“
„Ja, so… bisschen eben. Sie haben ganz dezent golden geschimmert. Bisschen wie… Ja, wie soll man das denn beschreiben?“, seufzte ich: „Sie hat nicht geglitzert oder sowas, aber wenn die Sonne richtig auf ihre Flügel fiel, war da so ein goldenes Schimmern.“
So wie er guckte war das etwas, das ich ihm vorher tatsächlich noch nicht gesagt hatte.
„Um das mal zusammenzufassen“, sagte er mit tellergroßen Augen: „Du suchst nach einer großen, blonden Frau mit goldenen Flügeln?“
„Mh… Ja.“
„Gib mir mehr. Wie ist sie so drauf? Was ist ihr Charakter?“
Überfordert trat ich auf der Stelle herum. Der feine Kies unter meinen Schuhen knirschte leise: „Da fragst du wirklich zu viel… Sie hat viel gelacht und immer ganz breit gegrinst. Viele Geschichten erzählt... Mein Papa hat sich oft Gedanken gemacht. Ich glaube, sie war bei der Marine, jedenfalls hatte sie oft passende Klamotten an… Ich glaube, das war auch ein Grund, warum ich in die Marine gegangen bin. Ich dachte, ich finde sie vielleicht.“
Izzy öffnete den Mund. Seinem Gesichtsausdruck nach zu Urteil wollte er mich etwas wichtiges fragen oder ich hatte ihn vollends verwirrt, mit was auch immer, doch er kam gar nicht dazu, zu sprechen.
„Sehr ambitioniert“, kommentierte die Person, die ich eben noch aus der Ferne gesehen hatte und die jetzt direkt vor uns stand.
Es war eine Frau. Sie war ein gutes Stück älter als wir. Ihre blasspinken, schulterlangen Haare wurden ein wenig von dem lauen Wind zerzaust, der auch die Blätter an den Bäumen wieder zum Rascheln brachte.
Mir lief ein seltsamer Schauer über den Rücken, als ich in ihre großen, eisblauen Augen sah. Es war nicht unangenehm, aber die zierliche Dame schien irgendwie direkt in mich hineinzusehen. Sie lächelte und hielt unseren Blickkontakt. Feine Lachfältchen bildeten sich um ihre Augen herum und sie ließ ihre Hand sinken, mit der sie eine leicht qualmende Pfeife hielt. Mir stockte der Atem. Irgendetwas an ihr war mir sofort suspekt und gleichzeitig so… vertraut.
„Sein Leben direkt der Regierung zu verschreiben, um einen geliebten Menschen zu finden… Das tut nicht jeder. Das war mutig, Kuro“, sagte sie mit einer Stimme so sanft wie das Schaukeln der Wellen.
„Ich… ja“, stammelte ich.
Grinsend brach sie den Blickkontakt und starrte in die Luft neben mir, bevor sie kichernd einen Zug von ihrer Pfeife nahm: „Du hattest recht, er ist ganz bezaubernd. So verschüchtert, sieh dir das nur an… Oh nein, ich glaube dir, ich glaube dir! Er ist sonst sicherlich nicht so vor den Kopf gestoßen. Das passt auch gar nicht zu einem Soldaten… Ehemaligen Soldaten, achso. Ja, natürlich, das macht Sinn.“
Ich drehte mich automatisch in die Richtung, in der die Frau ihre wirren Kommentare abgab. Da stand niemand. Sie redete mit der Luft.
Ich tauschte einen kurzen Blick mit Izzy aus, der genauso perplex war, wie ich.
„Ach!“, machte die offensichtlich geistig verwirrte Frau und sah uns wieder an: „Seid ihr so lieb und begleitet mich zu Lorelay?... Ach, Edgar. Sei nicht so, sie sind doch beide lieb.“
Wir tauschten noch einen Blick aus. Wer war das? Mit wem sprach sie?
Izzy räusperte sich: „Tut mir leid, ich versteh nicht ganz, was hier gerade passiert. Wer genau sind Sie?“
Sie kicherte und amüsierte sich offenbar köstlich: „Du musst mich nicht siezen, Maris.“
Maris. Hatte ich irgendwann seinen Namen gesagt? Seinen richtigen Namen, nicht den Spitznamen? Zu irgendeinem Zeitpunkt, zu dem sie es hatte hören können? Nein, oder?
„Ich meine, die Insel ist ja nicht sonderlich groß“, fuhr sie ganz unbeirrt fort und ging an uns vorbei: „Aber es ist doch immer nett Gesellschaft zu haben, nicht wahr?... Ja, abgesehen von euch. Ihr seid auch spitze. Mh? Nein, ich meine das sehr ernst! Das war kein Sarkasmus… Ach, du!“
Ich griff nach Izzys Ärmel und zog ihn zu mir. „Was machen wir jetzt?“, flüsterte ich: „Welche Lorelay meint sie? Mit wem redet sie!?“
„Na, wir gehen jetzt zur Silver Sails!“, summte die Frau und winkte uns zu sich, ohne sich noch einmal zu uns umzudrehen: „Und ich meine natürlich Lorelay, die Mutter von zwei Söhnen. Mh, das war jetzt auch nicht sehr viel präziser, oder? Naja! Kommt, Jungs. Auf, auf, immer einen Fuß vor den anderen setzen. Ich bin schon viel zu spät dran. Deine Schwiegermutter schimpft schon mit mir… Stief? Stiefmutter? Warum verwechsele ich denn immer Stiefmutter und Schwiegermutter?... Das klingt irgendwie so streng. Stiefmutter, das passt gar nicht zu dir…. Mh? Ach, Unsinn, das verrät gar nichts. Er hat die Bemerkung von Lola doch auch nicht verstanden. Nein, nein, ich sage nichts. Aber ehrlich, es wundert mich. Sehr. Dass sie den armen Jungen so im Unwissen lassen, ist schon gemein… Ja, das verstehe ich auch nicht. Na, mal sehen.“
„Wir gehen besser mit“, flüsterte Izzy und setzte sich zügig in Bewegung.
Ich teilte seine Meinung. Bevor sich diese Frau noch als nächste Katastrophe entpuppte, die wir überstehen mussten…
________________________________________
Wer eine meiner anderen Geschichten liest, kennt diese ominöse Dame vielleicht. Naaaaa? :D
Es war jetzt drei Tage her, dass wir Qualle im Aufenthaltsraum rumschreien hörten. Sie hatte Streit mit Lory, so viel konnten wir heraushören oder uns zumindest erschließen. Seitdem war die Köchin nicht mehr zu sehen. Sie blieb allein in ihrem Zimmer. Selbst Izzy und Black lehnte sie vollkommen ab. Nur Lola und Blue hatten sporadisch Kontakt zu ihr, wenn sie ihr Essen und Trinken brachten. Noodle war vollkommen fertig mit den Nerven. Auch sie wurde von Qualle vor die Tür gesetzt und hatte keine Chance zu ihr durchzudringen.
Qualle sprach nicht. Ihre Teller kamen auch meistens wieder unberührt zurück. Ich war nicht der Einzige, der sich sorgte und natürlich klopfte ich auch bei ihr und wollte mich nach ihr erkundigen, aber sie reagierte nicht.
Lola mahnte uns dazu sie in Ruhe zu lassen. Ganz in Ruhe. Kein Klopfen, kein Hilfeangebot, einfach Ruhe. Sie wurde bitterböse mit Izzy, als er es trotzdem versuchte und stauchte ihn ordentlich zusammen.
Lory war auch vollkommen auf der Seite ihrer Oma. Spätestens damit wurde Lolas Anweisung tatsächlich zum Befehl und nach der Aktion auf dem Deck und Lorys seltsamem… Ausflug, von dem wir noch immer nicht wussten, was er zu bedeuten hatte, wagte keiner sich ihren Befehlen zu widersetzen. Sie hatte eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wer hier auf dem Schiff das Sagen hatte.
Überhaupt verhielt sie sich plötzlich so… normal? Es war beinahe unheimlich, wie fit sie plötzlich war. Was auch immer sie getan hatte, sie hatte sich… naja, normalisiert eben.
Sie sah vollkommen gesund aus. Bis auf eine leichte Blässe verriet nichts mehr, dass sie eigentlich noch sehr angeschlagen war. Was die ganze Sache extrem verkomplizierte.
Man vergaß so leicht, dass sie sich noch immer nicht erinnerte. Sie spielte mit Kaito, übernahm es nach ein paar Tagen komplett sich wieder um ihn zu kümmern und ihre einzige dauerhafte Unterstützung dabei war Takeru. Wie schon die Male zuvor. Sie sprach auch ganz normal mit uns, kicherte über Witze und alles wirkte so wie immer, bis sie eben über einen Kommentar, eine Bemerkung oder Anspielung stutzte. Dann musste man ihr erst erklären, was damals alles war, und ihr berichten, was sie vergessen hatte.
Es war nicht leicht…
Für die anderen Kinder auch nicht. Sie langweilten sich langsam auf dem Schiff. Da kam es wie gerufen, dass wir den Calm Belt endlich verließen und den South Blue betraten. An einer ganz anderen Stelle, als wir eigentlich wollten, aber das war uns egal.
„Die Redline!“, schrie Elorie aufgeregt, während ich tief einatmete und die erste Brise frischen Windes genoss: „Da hinten ist schon die Redline!“
„Stimmt“, bestätigte Lola schmunzelnd: „Und guck mal in die andere Richtung. Da ist eine feine, kleine Insel, auf der wir erstmal halten.“
„Wir fahren nicht direkt bis nach Elysium durch? Warum nicht?“
„Wir brauchen neue Vorräte und du bist extrem aufgedreht. So kann ich dich nicht bei deinen Eltern abgeben.“
Die kleine Prinzessin guckte zu Lola hoch: „Du gibst mich doch auch gar nicht ab, sondern Lory.“
Lola grinste: „Ah, schon richtig. Trotzdem werde ich es abbekommen. Ich kenne deine Mutter zu gut. Also geht ihr Kinder euch auf der Insel ein bisschen austoben und dann fahren wir weiter.“
„Klingt ok. Können wir zur Redline fahren!?“
„Mh, nein. Eher nicht.“
„Ich frag Lory, die ist der Käpt’n!“
Kichernd streichelte Lola ihr über den Kopf: „Ok, mach das. Dann bitte sie doch auch gleich darum bei deinem Vater anzurufen. Sie soll ihm sagen, dass wir zwei, drei Tage hierbleiben.“
Obwohl ich ganz entspannt in der Gegend herumstand und eigentlich kein Hindernis sein dürfte, rannte die Kleine erstmal gegen mich, bevor sie laut nach Lory rufend übers Deck rannte.
„Zwei bis drei Tage?“, wiederholte ich überrascht: „Dann wird das ja doch ein richtiger kleiner Aufenthalt hier.“
„Mhm“, machte sie gut gelaunt: „Mach dir ein paar Pläne. Erkunde die Insel mit jemandem oder bau noch ein paar Möbel mit Izzy auf. Das tut euch beiden gut.“
Damit hatte sie tatsächlich sehr recht.
Wir bauten viel in letzter Zeit. Beziehungsweise ich baute und er saß bei mir und sah mir zu. Oft schwiegen wir uns einfach an, genauso oft unterhielten wir uns aber auch und lenkten uns ab. Von Qualle, die ihn sehr beschäftigte und von der Situation auf Water 7. Und… irgendwie von allem anderen. Ich verbrachte gerne Zeit mit ihm, er war ganz witzig drauf.
Er hatte mir auch dabei geholfen die Wand in Allys und Akis Zimmer wieder zu reparieren. Man sah jetzt nichts mehr von dem Vorfall, auf den schließlich auch Lory aufmerksam geworden war. Ich verließ den Raum, als sie und Takeru anfingen zu streiten. Sie verlangte eine Erklärung für die kaputte Wand, er wollte das Fass nicht öffnen und verbot noch zusätzlich Black den Mund, der mit einem unangenehmen Grinsen am Tisch saß und sich den Streit ansah.
Ihm würde ein Ausflug auch guttun… Der Schwarzhaarige verhielt sich seltsam. Um es nett auszudrücken. Und um es mit Blues Worten zu sagen, verhielt er sich wie ein egoistisches Arschloch… Sie hatte recht damit. Man wollte gar nicht mehr mit ihm sprechen. Er verdrehte die Themen und es lief immer darauf hinaus, dass er etwas verletzendes sagte und versuchte unnötig zu provozieren.
Schwer seufzend stützte ich mich auf der Reling ab und genoss ein paar Minuten lang die Sonne auf meiner Haut, bis mich Izzy um Hilfe bat.
Balou und Junior hatten ihre Arbeit getan. Die Silver Sails konnte jetzt auch ohne ihre Hilfe vorankommen, also befreiten wir sie von den Seilen, mit denen sie uns durch den Calm Belt gezogen hatten.
Der Wind blies in die Segel. Die Sonne ließ den Stoff strahlen und machte damit dem Namen unseres Schiffes alle Ehre. Ganz entspannt schipperten wir in den Hafen der kleinen Insel und legten an.
„Auf, Kinder!“, rief Benza und klatschte grinsend in die Hände: „Wir gehen auf Entdeckungstour!“
Seine Zwillinge und Elorie waren sofort dabei. Nur Kuro ließ die Hand seiner Mama nicht los, die barfuß und mit Bettfrisur bei uns stand und ein paar Worte mit Blue wechselte. Er war einfach fast so groß wie sie, das war unglaublich…
„Willst du nicht auch mitgehen?“, erkundigte ich mich bei dem Jungen. Er sah so gar nicht beeindruckt von Benzas Plan aus.
„Nö“, antwortete er und lehnte sich gegen Lory: „Mama und Takeru gehen später mit mir weg.“
„Das klingt auch schön.“
„Und was machst du?“
„Mh“, machte ich: „Habe ich mir noch nicht überlegt. Ich habe noch ein bisschen mit den Möbeln zutun, aber auf die Insel gehen klingt auch sehr verlockend.“
Meine Überlegungen erledigten sich, als Izzy zu mir kam und fragte, ob ich mit ihm spazieren gehen wollte. Seine Augenringe waren noch dunkler geworden und er wirkte beinahe ein wenig desorientiert. So wollte ich ihn nicht allein auf die Insel schicken, also willigte ich ein.
Ich fragte auch Ally und Aki, ob sie Lust hatten auf einen kleinen Ausflug, aber sie lehnten ab.
„Was ist mit dir, Mama?“, fragte Izzy müde und rieb sich ein Auge: „Willst du ein paar Schritte gehen? Wir nehmen dich mit.“
„Maris“, seufzte Lola in dieser für sie so typischen Tonlage, die sie immer dann anschlug, wenn sie genervt war oder langsam die Geduld verlor: „Mein liebes Kind. Wenn ich ein paar Schritte gehen will, setze ich einen Fuß vor den anderen und wandle! Ich bin alt, aber nicht schwerbehindert!“
„… Dir fehlen beide Beine, das ist so ziemlich der Innbegriff von schwerbehindert sein.“
Sie schob ihn mit ihrem Gehstock voran: „Geh laufen. Auf. Passt auf euch auf, ihr könnt nicht wissen, wer oder was in diesen Wäldern lauert. Esst keine Süßigkeiten, die euch Fremde anbieten und wenn alle Stricke reißen, opfert euch gegenseitig.“
„Du gibst einfach die besten Ratschläge, Mutter.“
„Nenn mich nicht Mutter, da fühle ich mich so alt.“
„Du bist 71, du bist alt!“
Ein weiterer Stoß mit dem Stock schubste ihn die Rampe nach unten. Stolpernd versuchte er sich zu fangen und entging nur ganz knapp, mit dem Gesicht voran auf dem Steg zu landen.
Kichernd lief ich ihm hinterher und klopfte ihm auf den Rücken.
„Da will man nett sein…“, brummelte er und trottete los.
„Ich glaube, Lola hat einfach andere Pläne. Lass uns ein Stück gehen, das beruhigt bestimmt deine Nerven und wenn du ein bisschen ausgepowert bist, kannst du vielleicht auch schlafen.“
Ich ließ ihn den Weg wählen. Benza, Blue und die Kinder waren in das kleine Dorf gegangen, dass am Hafen angrenzte. Izzy steuerte den Wald an, der rechts vom Dorf gelegen war. Ich spazierte ihm entspannt hinterher.
Er schlurfte immer mehr und obwohl es seine eigene Idee war, war er schnell unzufrieden mit unserer kleinen Wanderung. Nuschelnd brummelte er in seinen nicht vorhandenen Bart. Dabei war es hier im Wald so friedlich. Die Blätter raschelten, die warme Sonne wärmte unsere Haut. Es roch so angenehm frisch nach Blumen und Wiese. Ich könnte mich hier tatsächlich entspannen, zumindest für den Moment. Aber nicht, wenn es Izzy so schlecht ging.
„Willst du reden?“, bot ich an.
„Mh“, machte er und versuchte seinen müden Körper aufzurichten, bevor er schwer seufzte: „Ist ja nichts, was du nicht schon wüsstest.“
„Erzähl es mir trotzdem. Du siehst so fertig aus, du musst mit deinen Gedanken nicht allein sein.“
Als ob ich alles wüsste, was hier abging…. Ich hatte mitbekommen, dass auf dem Schiff, das Lory versenkte, offenbar Qualles Vater lebte. Mir lief so ein entsetzlicher Schauer über den Rücken, dass ich gar nicht wagte nachzufragen oder dem auf die Spur zu gehen. Lory hatte doch nicht wirklich Qualles Vater umgebracht, oder? Richtig?
„Ich mache mir einfach Sorgen um Qualle“, sagte er: „Ich meine, ich kann verstehen, wenn sie jetzt niemanden um sich herum haben will… Keine Männer. Ich möchte aber auch nicht, dass sie so allein ist. Sie hat ja sogar Noodle rausgeworfen.“
Keine Männer?
„So habe ich sie noch nie erlebt“, gab ich zu, ohne auf seine Bemerkung einzugehen: „Und ich mache mir auch Sorgen. Geben wir ihr trotzdem Zeit. Anscheinend braucht sie das gerade.“
„Ich weiß nur nicht, ob das wirklich so eine gute Idee ist, wenn sie sich so einigelt… Wenn sie wenigstens Blue oder Mama wirklich zu sich lassen würde…“
„Wird sie, wenn sie bereit ist. Ich weiß nicht, was genau überhaupt passiert ist. Es geht mich auch nichts an, das scheint wirklich etwas sehr Privates zu sein. Wenn sie denkt, dass das jetzt gerade das richtige für sie ist, müssen wir das respektieren.“
„Ich weiß“, murmelte er und atmete tief durch: „Tue ich auch. Es fällt mir nur schwer, ich wäre gerne für sie da.“
„Bist du. Sie weiß, dass du da bist und wenn sie dich braucht, kommt sie garantiert zu dir.“
Brummelnd guckte Izzy in die Wolken: „Ja. Sie weiß ja, wo ich bin.“
„Eben. Du musst ein bisschen auf dich selbst aufpassen. Du siehst echt vollkommen fertig aus.“
Er hatte seine Hände in die Ärmel seines hellblauen Kimonos geschoben. Ich konnte trotzdem sehen, dass er nervös in seine Unterarme kniff. „Weißt du wie ätzend es ist, wenn man einen Verdacht hat und keine Bestätigung bekommt?“, fragte er: „Beziehungsweise wie frustrierend es ist, wenn man keine Entwarnung bekommt? Natürlich weißt du es, du bist jetzt wie lange mit Eisberg unterwegs? Sie macht einfach nie das Maul auf und sagt mal was Konkretes, das ist fürchterlich! Stattdessen bekommt man nur Halbwahrheiten, kryptische Informationen und ist dann mit seinen Gedanken alleine.“
„Ja, das kenne ich leider… Du kannst mit mir reden.“
Der junge Mann fuhr sich durch seine kurzen, lila Strubbelhaare, die zu den Spitzen hin immer heller wurden, bis sie in einen sanften Orangeton übergingen: „Ja, danke. Aber besser nicht. Du hast schon gesagt, dass du keine Ahnung hast und ich will zuverlässige und eindeutige Antworten haben.“
Ich nickte: „Das verstehe ich.“
„Lass uns lieber über etwas anderes sprechen“, bat er müde: „Ethan ist im Moment nicht da. Kann ich in der Zwischenzeit mit in dein Zimmer einziehen? Wenn das ok ist? Dann bin ich näher bei Qualle.“
Schmunzelnd gab ich mein Einverständnis: „Noch kein ganzer Themenwechsel, aber ja, klar.“
„Dann können wir auch besser über deine Situation reden. Du hast mir immer noch keine Details zu deiner Schwester gesagt. Mach das mal jetzt.“
„Jetzt?“, hakte ich nach.
„Ja. Bitte. Ich will mich ablenken und dann kann ich darüber nachdenken und mir überlegen, wie wir sie finden können.“
Ein wenig überfordert summte ich und suchte einen passenden Anfang. Das Problem war ja, dass ich kaum Details hatte. Das, was ich ihm beim Aufbauen von Lorys Sachen erzählt hatte, war eigentlich schon alles.
Ratlos guckte ich auf den Pfad vor uns, überlegte und erspähte in der Ferne eine Person, die langsam auf uns zukam. Dieser Wald hier war aber auch wirklich schön für einen Spaziergang. Wunderte mich, dass hier nicht mehr Leute rumliefen…
„Kuro.“
„Ja!“, schnappte ich aus meinen Gedanken heraus: „Ich kann dir nicht viel mehr geben…“
„Dann erzähl mir einfach nochmal, was ich schon weiß“, bat er: „Von Anfang an. Erzähl mir alles.“
„Äh“, machte ich und kratzte mich am Kopf: „Ok. Also… Ich bin in Skypia aufgewachsen. Mit meinem Papa. Mein Vater hat nicht bei uns gelebt, war aber oft bei uns. Wenn ich mich richtig erinnere. Das sind alles nur ganz verschwommene Erinnerungen. Mein Vater hatte noch andere Kinder, eben auch meine Schwester… Ich kann mich besser an sie erinnern als an meine Väter. Ist das nicht komisch?“
„Ach, nein“, meinte er: „Wenn sie einen sehr prägenden Einfluss auf dich hatte, ist das doch schön. Beschreib sie mir. Alles, was du weißt.“
„Sie war sehr groß. Das könnte natürlich auch einfach an der Perspektive gelegen haben, weil ich eben noch ein Kind war, aber… Sie war größer als mein Vater. Und der war schon riesig, wenn ich so drüber nachdenke. Sie hat blonde Haare, wie mein Vater. So schulterlang. Aber das kann sich ja geändert haben…“
Izzy winkte ab: „Sag mir einfach, was du weißt. Das sie mittlerweile vielleicht ein bisschen anders aussieht, ist egal.“
„Ok… Sie hat Flügel. Wie ich, nur in weiß… Obwohl, nicht ganz.“
„Nicht ganz weiß?“
„Also… schon“, druckste ich: „Sie waren ein bisschen golden.“
Izzy blieb stehen und sah mich verdutzt an: „Golden?“
„Ja, so… bisschen eben. Sie haben ganz dezent golden geschimmert. Bisschen wie… Ja, wie soll man das denn beschreiben?“, seufzte ich: „Sie hat nicht geglitzert oder sowas, aber wenn die Sonne richtig auf ihre Flügel fiel, war da so ein goldenes Schimmern.“
So wie er guckte war das etwas, das ich ihm vorher tatsächlich noch nicht gesagt hatte.
„Um das mal zusammenzufassen“, sagte er mit tellergroßen Augen: „Du suchst nach einer großen, blonden Frau mit goldenen Flügeln?“
„Mh… Ja.“
„Gib mir mehr. Wie ist sie so drauf? Was ist ihr Charakter?“
Überfordert trat ich auf der Stelle herum. Der feine Kies unter meinen Schuhen knirschte leise: „Da fragst du wirklich zu viel… Sie hat viel gelacht und immer ganz breit gegrinst. Viele Geschichten erzählt... Mein Papa hat sich oft Gedanken gemacht. Ich glaube, sie war bei der Marine, jedenfalls hatte sie oft passende Klamotten an… Ich glaube, das war auch ein Grund, warum ich in die Marine gegangen bin. Ich dachte, ich finde sie vielleicht.“
Izzy öffnete den Mund. Seinem Gesichtsausdruck nach zu Urteil wollte er mich etwas wichtiges fragen oder ich hatte ihn vollends verwirrt, mit was auch immer, doch er kam gar nicht dazu, zu sprechen.
„Sehr ambitioniert“, kommentierte die Person, die ich eben noch aus der Ferne gesehen hatte und die jetzt direkt vor uns stand.
Es war eine Frau. Sie war ein gutes Stück älter als wir. Ihre blasspinken, schulterlangen Haare wurden ein wenig von dem lauen Wind zerzaust, der auch die Blätter an den Bäumen wieder zum Rascheln brachte.
Mir lief ein seltsamer Schauer über den Rücken, als ich in ihre großen, eisblauen Augen sah. Es war nicht unangenehm, aber die zierliche Dame schien irgendwie direkt in mich hineinzusehen. Sie lächelte und hielt unseren Blickkontakt. Feine Lachfältchen bildeten sich um ihre Augen herum und sie ließ ihre Hand sinken, mit der sie eine leicht qualmende Pfeife hielt. Mir stockte der Atem. Irgendetwas an ihr war mir sofort suspekt und gleichzeitig so… vertraut.
„Sein Leben direkt der Regierung zu verschreiben, um einen geliebten Menschen zu finden… Das tut nicht jeder. Das war mutig, Kuro“, sagte sie mit einer Stimme so sanft wie das Schaukeln der Wellen.
„Ich… ja“, stammelte ich.
Grinsend brach sie den Blickkontakt und starrte in die Luft neben mir, bevor sie kichernd einen Zug von ihrer Pfeife nahm: „Du hattest recht, er ist ganz bezaubernd. So verschüchtert, sieh dir das nur an… Oh nein, ich glaube dir, ich glaube dir! Er ist sonst sicherlich nicht so vor den Kopf gestoßen. Das passt auch gar nicht zu einem Soldaten… Ehemaligen Soldaten, achso. Ja, natürlich, das macht Sinn.“
Ich drehte mich automatisch in die Richtung, in der die Frau ihre wirren Kommentare abgab. Da stand niemand. Sie redete mit der Luft.
Ich tauschte einen kurzen Blick mit Izzy aus, der genauso perplex war, wie ich.
„Ach!“, machte die offensichtlich geistig verwirrte Frau und sah uns wieder an: „Seid ihr so lieb und begleitet mich zu Lorelay?... Ach, Edgar. Sei nicht so, sie sind doch beide lieb.“
Wir tauschten noch einen Blick aus. Wer war das? Mit wem sprach sie?
Izzy räusperte sich: „Tut mir leid, ich versteh nicht ganz, was hier gerade passiert. Wer genau sind Sie?“
Sie kicherte und amüsierte sich offenbar köstlich: „Du musst mich nicht siezen, Maris.“
Maris. Hatte ich irgendwann seinen Namen gesagt? Seinen richtigen Namen, nicht den Spitznamen? Zu irgendeinem Zeitpunkt, zu dem sie es hatte hören können? Nein, oder?
„Ich meine, die Insel ist ja nicht sonderlich groß“, fuhr sie ganz unbeirrt fort und ging an uns vorbei: „Aber es ist doch immer nett Gesellschaft zu haben, nicht wahr?... Ja, abgesehen von euch. Ihr seid auch spitze. Mh? Nein, ich meine das sehr ernst! Das war kein Sarkasmus… Ach, du!“
Ich griff nach Izzys Ärmel und zog ihn zu mir. „Was machen wir jetzt?“, flüsterte ich: „Welche Lorelay meint sie? Mit wem redet sie!?“
„Na, wir gehen jetzt zur Silver Sails!“, summte die Frau und winkte uns zu sich, ohne sich noch einmal zu uns umzudrehen: „Und ich meine natürlich Lorelay, die Mutter von zwei Söhnen. Mh, das war jetzt auch nicht sehr viel präziser, oder? Naja! Kommt, Jungs. Auf, auf, immer einen Fuß vor den anderen setzen. Ich bin schon viel zu spät dran. Deine Schwiegermutter schimpft schon mit mir… Stief? Stiefmutter? Warum verwechsele ich denn immer Stiefmutter und Schwiegermutter?... Das klingt irgendwie so streng. Stiefmutter, das passt gar nicht zu dir…. Mh? Ach, Unsinn, das verrät gar nichts. Er hat die Bemerkung von Lola doch auch nicht verstanden. Nein, nein, ich sage nichts. Aber ehrlich, es wundert mich. Sehr. Dass sie den armen Jungen so im Unwissen lassen, ist schon gemein… Ja, das verstehe ich auch nicht. Na, mal sehen.“
„Wir gehen besser mit“, flüsterte Izzy und setzte sich zügig in Bewegung.
Ich teilte seine Meinung. Bevor sich diese Frau noch als nächste Katastrophe entpuppte, die wir überstehen mussten…
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Wer eine meiner anderen Geschichten liest, kennt diese ominöse Dame vielleicht. Naaaaa? :D