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Das Chaos kommt im Doppelpack

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P12 / Gen
Aramis Athos D'Artagnan OC (Own Character) Porthos
01.01.2019
01.01.2019
8
90.757
7
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01.01.2019 4.147
 
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Prolog
„Eure Exzell-“ Der Rest der Anrede für den Bischof blieb mir im Hals stecken. Vielleicht hätte ich damit rechnen müssen. Vielleicht hätte ich genau dieses Bild erwarten sollen, welches sich mir nun bot, immerhin schaffte ich es immerzu, mich in peinliche, prekäre oder gar gefährliche Situationen zu bringen. Doch andererseits würde wohl keiner diesen Anblick erwarten. Klar, ich war unaufgefordert und ohne vorher auch nur zu klopfen in sein Privatgemach eingedrungen, aber wer hätte denn bitte erwartet, dass der dicke, bereits ziemlich alte und ergraute Kirchenmann (!) sich mit einer jungen Frau im Bett vergnügte? Eben, keiner! Ich glaubte noch an das Gute im Menschen und gerade Männer im Dienst der Kirche sollten doch wohl sehr gut sein! Wahrscheinlich war ich schlichtweg zu naiv für diese grausame Welt... Weshalb ich ja auch erst in diese ganze Lage geraten war! Hätte ich mich nicht von meiner Mutter und meiner Tante dazu überreden lassen, ein Abenteuer in Form einer Reise nach Rom (eigentlich hätte ich da schon stutzig werden sollen, aber ich hatte mit so einer Hinterhältigkeit nicht gerechnet) zu erleben, dann wäre es nie zu der Zwangs-Verlobung mit einem reichen, italienischen Kaufmann (eine gute Partie für eine Landpomeranze wie mich, aber ich dachte gar nicht daran, einen schnöden Mann zu heiraten, der meine freche Klappe und meine Vorliebe zum Fechten nicht akzeptieren konnte!) gekommen und ich hätte mich nie heimlich als Novizin ausgeben müssen, um von Rom nach Venedig zu kommen und hier um eine weitere Reisegruppe zu ersuchen, damit ich nicht alleine reisen musste. Die Gascogne war ziemlich weit weg, der Weg war gefährlich (und ich war nicht leichtsinnig genug, um zu glauben, dass ich alleine klar kommen würde, zumindest meistens) und ich hatte das Talent, mich andauernd zu verlaufen. Ich schaffte es ja sogar, mich in meinem winzigen Heimatdorf zu verirren, da wollte ich lieber nicht testen, wohin mich mein Orientierungssinn in der Fremde führte. Nachher landete ich noch in Afrika! Zuzutrauen wäre es mir.
Die erschrockenen Blicke des Bischofs und auch der Frau, wobei die noch viel entspannter wirkte trotz der Tatsache, dass ich sie dabei erwischt hatte, wie sie sich stöhnend von einem Bischof rammeln ließ (das angestrengte Knurren und das eindeutige Vor und Zurück des Bischofs ließen keinen anderen Vergleich zu), holten mich wieder aus meinen Gedanken. Wahrscheinlich war die Frau das gewöhnt. So eine hübsche Frau konnte nur eine Hure sein, wenn sie sich mit einem Bischof einließ. Frauen wie sie waren meist auf Geld aus und da ein Bischof nie heiraten konnte, war sie höchstens noch seine Mätresse. Dabei hätte sie es mit ihrem Aussehen sicher noch viel weiter bringen können. Ihre blonden Locken mit einem Stich ins Rote breiteten sich über dem Kissen aus und die gerade Nase sowie die hohen Wangenknochen verliehen ihr ein aristokratisches Aussehen. Ihre vollen Lippen leuchteten rot im Dämmerlicht und ihre blauen Augen funkelten verführerisch. Dieser Blick hätte wohl jeden Mann in die Knie gezwungen. Und sie war auch sonst gut gebaut. Da sie nackt war, konnte ich deutlich erkennen, wie groß ihre Brüste waren. Damit brachte sie sicher jeden Mann zum Schwitzen. Unwillkürlich zog ich Vergleiche mit mir. War wohl so eine Angewohnheit von Frauen, wenn sie hübscheren Frauen begegneten. Ich war nämlich nicht annähernd so schön. Meine hellen, roten Haare hingen mir in leichten Wellen bis zu den Schulterblättern. Mein Mund war zu klein, meine Augen einen Ticken zu groß und meine Stupsnase war auch alles andere als perfekt. Zu allem Übel hatte ich auch noch Sommersprossen. Ich fand sie eigentlich nicht schlimm, aber zum Ideal einer hübschen Frau gehörten sie nun einmal nicht. Meine zierliche Gestalt und die nicht sonderlich üppigen Kurven verbarg ich nur allzu gerne unter Männerkleidung. Nur mein blasser Teint passte zum Schönheitsideal der Adligen. Das Einzige, worauf ich wirklich stolz war, waren meine leuchtend blauen Augen. In meinem Dorf galt ich als Schönheit, aber da es neben mir nur noch etwa drei andere Mädchen gab, die in meinem Alter waren, war das nicht allzu schwer. Ich hatte schon einige Anträge erhalten von jungen Burschen aus dem Dorf, die ich aber allesamt abgewiesen hatte. Was sollte ich auch mit einem Nörgler an meiner Seite, der von einer Frau nicht mehr erwartete, als dass sie den Haushalt führte, jederzeit willig zur Verfügung stand, wenn er seiner Lust frönen wollte, und ihm Kinder gebar? Nicht mit mir! Meine Mutter und auch meine Tante hatten sich furchtbar aufgeregt, wann immer ich einen Verehrer abgeschossen hatte, und als der fahrende Händler ein Auge auf mich geworfen hatte (wovon ich nicht mal was geahnt hatte), hatten sie alles geschickt eingefädelt, um mich nach Italien zu locken. Hinterhältige Hexen! Ich war fast 18, verdammt, und wollte selbst über mein Leben entscheiden!
Mir ging erst auf, dass ich mit meinen Gedanken wieder zu sehr abgedriftet war und wahrscheinlich seit einigen Minuten starr in der Tür stand und glotzte, als sich der Bischof fing und mich anfuhr: „Verschwindet!“
Einem gottesfürchtigen Mann sollte man immer gehorchen, das hatte mir meine Mutter eingeimpft. Doch obwohl der Bischof ein Mann der Kirche war, wirkte er nicht sehr gottesfürchtig, woran die Frau unter ihm natürlich nicht ganz unschuldig war. Ein Mann Gottes und ein Mann der Kirche mussten nicht zwingend gleich sein, das war mir schon früher aufgefallen. Es wäre auf jeden Fall taktvoll und ohne Zweifel besser für meine Augen, wenn ich mich jetzt zurückzog und später wieder kehrte, doch es war zweifelhaft, ob der Bischof mich überhaupt anhören würde und meinen Wunsch erfüllte. Wenn ich ihn jetzt nervte, gab er mir sicher alles, was ich wollte, nur damit ich verschwand. Tja, so naiv war ich dann wohl doch nicht. Ein bisschen Manipulation und Trickserei beherrschte ich auch. „Nein“, gab ich ruhig zurück und verharrte gelassen im Türrahmen. „Ich wollte um eine Mitreisegelegenheit nach Frankreich bitten“, stellte ich in gebrochenem Italienisch klar. Mein Italienisch war furchtbar. Ich hatte ja auch erst vor wenigen Wochen überhaupt das erste Mal ein paar Brocken gelernt. Der Frau huschte ein überraschter Ausdruck über das Gesicht. Ob es an meiner Dreistigkeit lag oder daran, dass ich Französin war, wusste ich nicht.
Weiter zum Nachdenken kam ich nicht, denn der Bischof beanspruchte wieder meine Aufmerksamkeit. „Nein!“, presste er wütend hervor, „Und jetzt verschwindet, bevor ich die Wachen rufen lasse.“
„Von mir aus.“ Ich zuckte mit den Schultern. Erstens konnte ich mich gegen so ein paar Idioten von der Wache ganz sicher wehren und zweitens hatte ich ja noch einen Triumph im Ärmel. „Dann gehe ich eben und erzähle von Eurem, ähm, Rendez-vous mit dieser reizenden Dame.“ Meine Stimme triefte vor Spott.
Der Bischof verstand trotz der beschönigenden Ausdrücke sehr deutlich, dass ich sein Stell-dich-ein in die Weltgeschichte heraus posaunen würde, wenn er nicht tat, was ich von ihm verlangte. Und das würde seinem Image natürlich deutlich schaden. Plötzlich sehr blass um die Nasenspitze seufzte er tief. „Kommt nachher wieder, dann werde ich Euch eine Reisebegleitung organisiert haben“, murmelte er.
„Sehr schön“, grinste ich und verließ dann das Zimmer. Sorgfältig zog ich die Tür hinter mir zu, um den Beiden wieder Privatsphäre zu gönnen. Fraglich war ja, ob sie jetzt noch Lust hatten, da weiter zu machen, wo sie aufgehört hatten, aber das war definitiv nicht mein Problem.

Es war bereits Abend, als ich mich wieder auf den Weg zum Bischof machte. Über Venedig glitzerten Feuerwerke, die ich nur allzu gerne weiter betrachtet hätte, sodass ich versucht gewesen war, meinen Besuch auf morgen zu verschieben, aber wer wusste schon, ob der Bischof dann noch sein Versprechen hielt? Vielleicht würde er sogar jetzt sein Versprechen brechen. Wer sich über das Zölibatsgesetz hinweg setzte, nahm sicher auch von Lüge und Eidbruch keinen Abstand. Aber ich hatte zum Glück überzeugende Argumente in Form eines Degens.
Bevor ich jedoch die Gemächer des Bischofs erreichte, wurde ich plötzlich gepackt. Eine Hand auf meinem Mund hinderte mich am Schreien und dann wurde ich um eine Ecke gebracht (zum Glück nicht metaphorisch). Ich biss in die Hand, weswegen ein heller Schrei erklang, machte mich frei und drehte mich herum, wobei ich den Degen an meiner Hüfte zog und sie auf den Hals der Frau richtete, die ich heute Mittag im Bett des Bischofs gesehen hatte. Sie schielte ein wenig empört auf die Bisswunde an ihrer Hand. Ich zuckte nur die Schultern. „Man erschrickt mich eben nicht.“
Automatisch hatte ich Französisch gesprochen. Umso verwunderter war ich, als sie in derselbe Sprache antwortete, als wäre es ihre Muttersprache. „Vorsicht, Mädchen, nicht dass sich noch jemand verletzt.“ Sie schob lässig den Degen zur Seite. Ich richtete die Spitze sofort wieder auf ihren Hals. Ich wusste nicht, wer sie war und was sie im Schilde hatte, doch gut konnte es nicht sein, so wie sie mich in eine Gasse gezerrt hatte. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie ein prächtiges, goldbesticktes Kleid trug. Wow, sie musste echt Geld haben, wenn sie sich so etwas leisten konnte. Ihr Busen wurde durch ein enges Korsett hochgepuscht und bot so jedem Mann etwas zu sabbern. Beinahe hätte ich die Augen verdreht.
„Ist Sinn und Zweck eines Degens“, klärte ich die Hochwohlgeborene auf.
Sie begutachtete meine Haltung, ein Bein nach hinten und gebeugt, eine Hand am Degen, den Arm gestreckt. „Du weißt, was du tust, das muss man dir lassen.“
Woher kannte sie sich damit aus? Sie sah nicht gerade wie eine begnadete Fechterin aus. „Was wollt Ihr?“
„Zuerst einmal hätte ich gerne, dass du den Degen runter nimmst, dann können wir uns in Ruhe unterhalten. Ich hätte da nämlich einen kleinen Vorschlag für dich.“
Einen Moment zögerte ich noch, dann senkte ich den Degen, steckte ihn jedoch nicht weg, was sie mit einem skeptischem Blick kommentierte. Ansonsten ging sie nicht weiter darauf ein. „Du könntest mit uns kommen auf dem Weg zurück nach Frankreich.“
Jetzt war ich wirklich sprachlos vor Überraschung. Es dauerte einen Moment, bevor ich meine Stimme wieder fand. „Warum unterbreitet Ihr mir so ein Angebot?“
„Du hast etwas an dir...“ Prüfend ließ sie ihren Blick wieder über mich gleiten. Sofort fragte ich mich, was sie wohl sah. Eine junge Frau in Männerkleidung mit einem Degen in der Hand würde ihr kaum reichen, um als Adlige ein solches Angebot zu machen und einen Bauerntölpel mit sich reisen zu lassen.
„Was soll das denn bitte sein?“, hakte ich nach.
„Ich weiß es nicht, aber du könntest nützlich sein.“
„Wobei?“
„Nun, ein paar Freunde von mir und ich sind aus einem bestimmten Grund in Venedig. Wir suchen etwas von großer Bedeutung für den französischen König und du könntest dabei behilflich sein.“
„Der König?“ Ich hatte schon immer als Musketier dem König dienen wollen. Sollte ich wirklich eine Chance bekommen, mein Können unter Beweis zu stellen?
„Ja, genau. Also, wirst du uns helfen?“
Bevor ich nachdenken konnte, hatte ich schon eifrig genickt. Gleich darauf biss ich mir auf die Unterlippe. Wieder einmal war ich zu impulsiv gewesen. Ob das eine gute Idee war, wusste ich nicht einmal. Ich kannte diese Frau ja gar nicht! „Wer seid Ihr eigentlich?“
„Milady de Winter“, stellte sie sich vor. Der Name kam mir in keinster Weise bekannt vor.
Ich seufzte. „Gut, was soll ich machen?“
„Es gibt da einen venezianischen Adligen, der einen wichtigen Schlüssel trägt.“ Sie holte einen kleinen, metallenen Schlüssel aus ihrem Busen hervor. Tolles Versteck. „Er sieht aus wie der hier. Abgesehen von diesem hier, den ich vom Bischof habe, gibt es noch zwei weitere. Meine Freunde kümmern sich bereits um deren Beschaffung, doch einer der Träger soll heute Abend in einem kleinen Boot durch die Kanäle treiben, wie ich hörte. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Freund darüber Kenntnis hat und bitte dich daher, mir diesen Schlüssel zu beschaffen. Würdest du das für mich tun?“
Ein wenig unwohl war mir schon bei dieser mysteriösen Frau. Mir war nicht entgangen, wie bedeckt sie sich bei ihren 'Freunden' hielt. Ich war ernsthaft versucht, abzulehnen, aber dann entschloss ich mich, es einfach zu versuchen. Ich war gut mit dem Degen, da sollte es wirklich ein Leichtes sein, diesen venezianischen Adligen zu überlisten. Und wozu sonst hatte ich einen Sinn für's Abenteuer? Also nickte ich nur.
„Sehr gut“, befand Milady de Winter und setzte ein gewinnendes Lächeln auf, „Wir treffen uns dann später am nördlichen Stadttor, einverstanden?“ Ich nickte nur erneut und wollte mich dann abwenden, doch die Dame hielt mich noch einmal fest. „Verrätst du mir auch deinen Namen?“
Ich zögerte nur eine Sekunde, bis ich zu dem Entschluss kam, dass ich ihn ihr ruhig sagen konnte. Ich war ein Dorftrottel aus dem Nirgendwo der Gascogne und keine Adlige, sie würde rein gar nichts damit anfangen können. „Emélie.“ Ich drehte mich um und verschwand aus dem Gebäude.

Es dauerte nicht lange, bis ich das Boot ausgemacht hatte. Heute war es auf den Kanälen sehr ruhig und das affektierte Lachen der falschen Dame an Bord war weithin zu hören. Ich verbarg mich im Schatten einer Mauer direkt am Kanal und spähte das Boot aus. Unter einem roten Baldachin saß eine junge, blonde Frau in einem ziemlich freizügigen Kleid, neben ihr ein Mann in purpurner Pumphose und prächtigem Wams, was ihn eindeutig als Adligen auswies. Diese hässlichen Hosen waren gerade total in Mode, dabei sahen sie einfach furchtbar aus. Der Adlige befummelte die 'Dame' ziemlich heftig und ich wandte meinen Blick ab. Ich hatte definitiv heute schon genug nackte Haut gesehen. Nur widerwillig spähte ich wieder zum Boot hinüber. Ich hatte eine Mission zu erfüllen, daran würde mich auch diese Fummelei nicht abhalten! Ich zählte vier Wachen. Das würde ich locker schaffen, die waren oft nicht sehr begnadete Fechter. Außerdem hatte ich das Überraschungsmoment auf meiner Seite.
„Lasst das, mein Herr! Ich bin eine Dame!“, protestierte die Frau kichernd und nicht sehr überzeugend, wobei sie nur sehr halbherzig seine Finger wegschlug. Der aus ihrem Kleid quellende Busen widerlegte ihre Worte.
Ich wartete ab, bis sie nahe genug heran waren, sodass ich vom Ufer auf das Boot springen könnte und machte mich bereit, als sie unter einer Brücke mit einem kleinen Turm hindurch fuhren. Doch bevor das Boot heran war, landete auf einmal ein schwarzer Schatten mit einem lauten Rumms auf dem Boot. Der Baldachin brach zusammen und die Dame schrie auf. Wo war der denn hergekommen? Der Mann (Was sollte es auch anderes sein? Ein Schatten war es jedenfalls nicht.) in schwarzem Hemd, schwarzer Hose und schwarzen Stiefel mit dem schwarzen Kapuzenumhang, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte (der stand eindeutig auf die Farbe schwarz), richtete sich auf, kickte die erste Wache über Bord und schnappte sich dann das Ruder. Was nicht so ganz zu seiner Erscheinung passte, war das Kreuz, das um seinen Hals baumelte. War das ein verkorkster Priester? Ich hatte noch nie einen kämpfenden Priester gesehen, doch dieser hier schlug sich echt wacker. Mit dem Ruder haute er einer zweiten Wache einen runter und ohnmächtig sank sie über Bord. Er warf den langen Stab in die Hände einer dritten Wache und flog mit einem gekonnten Sprung über den Baldachin, worunter noch immer der Adlige hockte. Sein schwarzer Mantel flatterte und verlieh ihm das Aussehen eines überdimensionalen Raben. Bevor die anderen beiden richtig wussten, wie ihnen geschah, hatte der Fremde zugetreten, sich die hölzerne Waffe zurück geholt und den beiden letzten verbliebenen Wachen die Degen aus der Hand gerissen und den einen über Bord befördert, während der andere ohnmächtig auf das Deck sank. Mit dem Ende des Stabes lupfte er schließlich das rote Tuch über dem Adligen und der 'Dame'.
„Schlüssel“, verlangte er emotionslos. Seine Stimme klang trotz der Monotonie, die darin mitschwang, rau und sehr... männlich. Mir rieselte ein warmer Schauer den Rücken hinunter. Was war das denn jetzt?
Der Adlige sprang auf und stürmte mit gezogenem Degen auf den Attentäter zu, der ruhig stehen blieb und dann mit einer Gelassenheit, die mir irgendwie imponierte, den Stab im richtigen Moment zur Seite drehte. Der Degen flog davon und der Adlige landete kopfüber im Wasser. Ein paar Sekunden ließ der schwarze Priester den Mann über Bord hängen, dann ließ er ihn wieder hoch kommen. Schwer atmend hob der Adlige einen Schlüssel, der genauso aussah wie der, den Milady gehabt hatte. „Meint Ihr diesen Schlüssel?“
Der Fremde griff sich den Schlüssel und machte kurzen Prozess mit dem Adligen: Kopfüber platschte er ins Wasser. Wer war der Fremde? War das einer von Miladys Freunden oder ein anderer, der hinter dem Schlüssel her war? Wie auch immer, ich würde ihm den Schlüssel wieder abnehmen. Wenn ich ihn Milady überbrachte, dann könnte sie vielleicht beim König ein gutes Wort für mich einlegen. Immerhin hatte es bisher keine Frau je in die Reihen der Musketiere geschafft und es würde nicht leicht werden, da hinein zu kommen, egal wie gut ich war. Ich hatte zwar auch einen Plan B, mich als Mann verkleidet einzuschleichen, aber das brächte nur Probleme mit sich, wenn mein Geheimnis aufflog. Außerdem war ich stolz darauf, eine kämpfende Frau zu sein und wollte anderen Frauen zeigen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen mussten.
Kurzerhand zog ich meinen Degen und sprang auf das Boot. Glücklicherweise hielt ich ausnahmsweise mein Gleichgewicht und schlug dem Fremden in einem Moment der Überraschung den Stab aus der Hand. Mein Degen lag nun an seinem Hals. Unter der Kapuze konnte ich so gerade die Umrisse seines Kinns mit Ansätzen eines Bartes ausmachen. Dabei hätte ich nur zu gerne einen Blick in das Antlitz diesen beeindruckenden Kämpfers geworfen...
„Gebt mir den Schlüssel!“, verlangte ich energisch. Glücklicherweise hatte ich für eine Frau eine recht tiefe Stimme. Manchmal war es von Vorteil, als Frau unterschätzt zu werden, doch jetzt kam ich mit Einschüchterung weiter, weshalb ich auch meine roten Haare zu einem Knoten geschlungen hatte und sie unter der Krempe meines großen Hutes verbarg. Er verdeckte auch den Großteil meines Gesichts. Na ja, ich versuchte zumindest ihn einzuschüchtern, so gut ich es bei diesem guten Kämpfer eben vermochte, immerhin war der einen ganzen Kopf größer als ich und sehr viel stärker. Ich verfluchte wieder einmal meine geringe Größe. Aber jetzt hieß es ohnehin Konzentration und auf die Reaktion des Priesters warten!

Es war alles gut gelaufen. Die Wachen waren einfach auszuschalten gewesen und der Adlige leicht zu überzeugen. Er wollte sich gerade der Dame, die in Begleitung des Adligen gewesen war, zuwenden, als plötzlich ein Ruck durch das Boot ging. Noch während er sich umdrehte, wurde ihm der Stab aus der Hand geschlagen und er fand eine Degenspitze unter seinem Kinn wieder.
„Gebt mir den Schlüssel!“, verlangte der junge Bursche. Amüsiert verzog Aramis das Gesicht. Was dachte sich dieses schmächtige Bürschchen eigentlich? Wusste er nicht, wen er vor sich hatte? Aramis musterte seinen Angreifer genauer. Er war klein, mindestens einen Kopf kleiner als er und ziemlich zierlich. Das Hemd schlackerte locker um seinen Oberkörper. Die Hose saß schon enger und endete in engen, schwarzen Lederstiefeln, die dem Jungen bis unter die Knie reichten. Ein viel zu großer Hut saß auf seinem Kopf und verdeckte den Großteil seines Gesichts, sodass er nur das bartlose Kinn sehen konnte. Herrje, der Junge musste wirklich noch ziemlich jung sein. Aber er war mutig, das musste Aramis ihm lassen. Vermutlich konnte er es auf jugendlichen Leichtsinn schieben. Nun, er würde dem Burschen lehren, sich mit den falschen Leuten anzulegen. Blitzschnell zog er seinen Degen und seine Klinge prallte auf die des Jungen.
Der Bursche ließ den Degen nicht fallen, wie Aramis halb erwartet hatte und so schaffte er es nur, den Degen von seinem Hals zu entfernen. Immerhin etwas. Gleich würde der Bursche schon sehen, was er von seinem Wagemut hatte. Er lieferte sich einen schnellen Schlagabtausch mit dem Jungen. Aramis schaffte es zu seiner eigenen Verwunderung nicht, dem Burschen auch nur eine kleine Wunde zuzufügen, da dieser jeden Schlag parierte. Aramis dominierte den Kampf insofern jedoch, dass der Bursche selber nicht zum Gegenangriff ansetzen konnte und nur mit seiner Verteidigung beschäftigt war.
Aramis drängte den Jungen schließlich ein paar Schritte nach hinten in der Hoffnung, ihn über den Rand des kleinen Bootes schubsen zu können. Bevor es jedoch so weit kommen konnte, stolperte der Junge über die ohnmächtige Wache, die im Boot lag. Er ließ den Degen fallen und ein kleiner Schrei entfloh seiner Kehle, der eindeutig zu hell für einen Jungen war. Instinktiv fing Aramis den Jungen, von dem er sich nicht mehr sicher war, ob es überhaupt ein Er war, mit seinem freien Arm auf.

Ich war gestolpert. Na klasse. Es war recht gut gelaufen, auch wenn ich keinen Angriff hatte starten können und dann so was! Instinktiv ließ ich den Degen fallen und schrie auf. Im gleichen Moment verfluchte ich mich für diese unbedachte Kurzschlusshandlung, mit der ich mich sicher verraten hatte...
Ich wappnete mich schon für eine schmerzhafte Hosenboden-Schiffsboden-Bekanntschaft, als ich einen Arm um meine Taille spürte. Ein angenehmer Duft nach Regen und Frühling stieg mir in die Nase, der von dem Fremden ausgehen musste. Er hatte mich nämlich zu meinem grenzenlosen Erstaunen aufgefangen. Sein warmer Arm war um meine Taille geschlungen und es prickelte, wo er mich berührte. Herrje, was machte dieser Kerl mit mir?  
Ich riss mich zusammen, auch wenn seine Nähe meine Gedanken ziemlich durcheinander wirbelte. Der Fremde stellte mich auf und zog kurzerhand den Hut von meinem Kopf. „Hey!“, empörte ich mich, als es an meinen Haaren ziepte, die sich natürlich prompt lösten und vollkommen verwuschelt in mein Gesicht fielen. Hastig schob ich sie mir aus dem Gesicht, um noch etwas sehen zu können.
Der schwarze Priester schien mich zu mustern, was aber schwer zu sagen war, da ich seine Augen nicht ausmachen konnte. Eigentlich war es echt unfair, dass er sein Gesicht weiter verstecken durfte und ich nicht, doch es hatte wohl wenig Sinn, ihn darauf hinzuweisen. Ein wenig unwohl wand ich mich unter seiner Musterung, bis er schließlich seinen Degen zurück in die Scheide steckte. „Ich kämpfe nicht gegen eine Dame“, verkündete er.
„Ich bin keine Dame, Priester!“, zischte ich.
„Und ich bin kein Priester, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass ich nicht gegen Frauen kämpfe.“
„Gut, macht es leichter.“ Rasch hob ich meinen Degen wieder auf und bedrohte ihn wieder damit.
Er hatte mir bereits halb den Rücken zugewandt, drehte sich jedoch wieder um. „Steck das weg, Mädchen!“, forderte er nur ruhig und machte mich damit noch wütender, doch ich zwang mich zur Ruhe.
„Erst wenn Ihr mir den Schlüssel gebt!“
„Ein Schlüssel nützt Euch ohnehin wenig, wenn Ihr in Da Vincis Schatzkammer wollt.“
„Da Vinci?“ Was hatte er damit zu tun?
„Leonardo da Vinci, der Künstler und Erfinder“, klärte mich der Fremde auf.
„Ich weiß, wer das ist“, fauchte ich, „Der Schlüssel ist nicht für mich, sondern für Milady de Winter.“
„Warum sollte Milady ein unerfahrenes Mädchen wie Euch ausschicken?“ Er kam einen Schritt näher und ragte drohend über mir auf. Sein Duft stieg mir wieder in die Nase und benebelte meine Sinne. Verdammt!
Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken wieder klar zu bekommen, dann knurrte ich wütend: „Ich bin kein unerfahrenes Mädchen! Und ihre Beweggründe kenne ich nicht, sie hat mir nur gesagt, dass ich es tun soll!“
„Und Ihr hinterfragt es nicht, wenn Euch eine Fremde eine Anordnung gibt?“
„Ich hatte meine Gründe“, zischte ich. Langsam brachte er mich wirklich aus dem Konzept. Es wurde Zeit für einen Rückzug. „Da Ihr anscheinend Miladys Verbündeter seid, könnt Ihr ihr auch den Schlüssel bringen“, beschloss ich großzügig und sprang wieder zum Ufer hinüber. Uneleganter als geplant landete ich mit einem Fuß im Wasser und drohte nach hinten zu kippen, fand aber gerade noch rechtzeitig mein Gleichgewicht wieder, indem ich mich an eine Säule klammerte. Ich spürte den stechenden Blick des Fremden im Rücken, drehte mich jedoch nicht um und ignorierte ihn.
Ich eilte davon. Der undurchsichtige Kerl hatte leider Gottes Recht und ich wollte Milady suchen, um sie nach ihren Beweggründen zu fragen, wobei ich dieses Mal eindeutig auf eine klare Antwort bestehen würde. Vielleicht würde ich sie auch zu diesem Fremden, aus dem ich einfach nicht schlau wurde, fragen.
Bevor ich um eine Ecke bog, warf ich doch noch einen letzten Blick zurück. Ich konnte einfach nicht widerstehen, der Fremde übte anscheinend eine enorme Anziehungskraft auf mich aus, die ich nicht verstehen konnte. Er saß neben der blonden Hure und hatte endlich seine Kapuze abgenommen, aber da er halb mit dem Rücken zu mir saß und die Entfernung nicht zu unterschätzen war, konnte ich nur seine schwarzen Locken erkennen. War ja klar gewesen, dass er auch noch schwarze Haare haben musste...
Dafür war umso deutlicher, was die Beiden da abzogen. Ich verdrehte die Augen. Natürlich war er ein Schwerenöter! Ich hatte heute genug gruselige Dinge für ein ganzes Leben gesehen und wollte den Glauben in das Gute von Kirchenmänner nicht komplett verlieren, also wandte ich mich ab und eilte davon. Ich würde jetzt Milady suchen und dann ging es endlich nach Hause!
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